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Molekulargenetische Diagnostik von Imprinting ... - BIOspektrum

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753<br />

Methylierungsveränderungen<br />

<strong>Molekulargenetische</strong> <strong>Diagnostik</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen<br />

THOMAS EGGERMANN 1 , LUKAS SOELLNER 1 , SUSANNE BENS 2 , SABRINA SPENGLER 1 ,<br />

REINER SIEBERT 2 , KARIN BUITING 3 , BERNHARD HORSTHEMKE 3 ,<br />

MATTHIAS BEGEMANN 1<br />

1 INSTITUT FÜR HUMANGENETIK, RWTH AACHEN<br />

2 INSTITUT FÜR HUMANGENETIK, UNIVERSITÄT SCHLESWIG-HOLSTEIN, KIEL<br />

3 INSTITUT FÜR HUMANGENETIK, UNIVERSITÄT ESSEN<br />

Genomic <strong>Imprinting</strong> is defined as the expression of only one allele of a<br />

gene in a parent-of-origin specific way, its disturbance leads to an altered<br />

expression associated with specific syndromes. As the identification of<br />

multilocus methylation defects made the locus specific association questionable,<br />

molecular tests aiming on the identification of multiple loci<br />

should be implemented in routine diagnostics as they allow an efficient<br />

molecular characterization of patients with ambiguous phenotypes.<br />

DOI: 10.1007/s12268-013-0388-8<br />

© Springer-Verlag 2013<br />

Genomische Prägung<br />

ó Für die Entwicklung eines Organismus ist<br />

nicht nur die Vollständigkeit der Erbinformation,<br />

sondern auch die regelrechte Vererbung<br />

der Erbanlagen <strong>von</strong> beiden Eltern notwendig.<br />

Bereits 1980 postulierte Engel [1],<br />

dass die Vererbung eines Chromosomenpaares<br />

<strong>von</strong> nur einem Elternteil (uniparentale<br />

Disomie, UPD) mit klinischen Auffälligkeiten<br />

assoziiert sein sollte. Tatsächlich wurden in<br />

den folgenden Jahren UPDs verschiedener<br />

Chromosomen bei Patienten mit spezifischen<br />

klinischen Bildern nachgewiesen. Als zugrunde<br />

liegender Mechanismus wurde die elterliche<br />

Prägung (genomic imprinting) identifiziert.<br />

Während beim regelrechten <strong>Imprinting</strong><br />

nur eine Genkopie in Abhängigkeit <strong>von</strong> der<br />

elterlichen Herkunft exprimiert wird, kommt<br />

es bei der Störung des <strong>Imprinting</strong>musters,<br />

z. B. durch UPD, zu einer fehlenden oder übermäßigen<br />

Expression beider Genkopien.<br />

Derzeit sind ca. 80 geprägte humane Gene<br />

bekannt, häufig sind sie zu Clustern<br />

zusammengefasst. Die Regulation der geprägten<br />

Gene erfolgt daher eher nicht auf Einzelgenebene,<br />

sondern vielmehr durch übergeordnete<br />

Chromatinstrukturen.<br />

Verschiedene molekulare Mechanismen liegen<br />

dem genomischen <strong>Imprinting</strong> zugrunde,<br />

dabei wird die Expression geprägter Gene<br />

wesentlich durch DNA-Methylierung beeinflusst.<br />

Neben der UPD wurden drei weitere<br />

molekulare Veränderungen beobachtet, die<br />

bei nahezu allen bekannten <strong>Imprinting</strong>-<br />

Erkrankungen auftreten (Tab. 1, Abb. 1):<br />

chromosomale Imbalancen (Deletionen/Duplikationen),<br />

aberrante DNA-Methylierungsmuster<br />

(Hypo- oder Hypermethylierungen)<br />

mit oder ohne Veränderung der genomischen<br />

Sequenz und Punktmutationen in geprägten<br />

Genen. Die Gruppe der angeborenen <strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen<br />

umfasst derzeit acht<br />

Krankheitsbilder, die außer durch die genannten<br />

gleichartigen molekularen Veränderungen<br />

auch durch teilweise überlappende kli-<br />

¯ Abb. 1: Molekulare Veränderungen bei<br />

<strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen. Beispielhaft ist die<br />

Expression eines nicht geprägten Gens sowie<br />

jeweils eines maternal und eines paternal<br />

geprägten Gens dargestellt. Während das nicht<br />

geprägte Gen <strong>von</strong> Veränderungen der Methylierung<br />

nicht betroffen ist und damit eine gleichbleibende<br />

Expression zeigt, führen molekulare<br />

Veränderungen durch die verschiedenen (Epi-)<br />

Mutationstypen bei geprägten Genen zur veränderten<br />

Genproduktmenge. UPD: uniparentale<br />

Disomie.<br />

<strong>BIOspektrum</strong> | 07.13 | 19. Jahrgang


754 WISSENSCHAFT · SPECIAL: MOLEKULARE DIAGNOSTIK<br />

Tab. 1: Übersicht über die derzeit bekannten acht angeborenen <strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen, die nachweisbaren molekularen Veränderungen und die klinischen Hauptmerkmale.<br />

<strong>Imprinting</strong>-Erkrankung Synonym/ Häufigkeit OMIM Chromosom/ (Epi-)Mutationstyp Detektionsrate Hauptmerkmale<br />

Abkürzung geprägte Region der einzelnen (Epi-)<br />

Mutationstypen<br />

Transienter neonataler TNDM 1/800.000 601410 6q24: PLAGL1(ZAC1)/ – upd(6)pat 40 % pränataler Kleinwuchs, transienter Diabetes mit<br />

Diabetes mellitus HYMA1 – paternale Duplikation 40 % Dehydratation, Hyperglykämie, fehlende Keto-<br />

– Hypomethylierung 20 % azidose, Makroglossie, Nabelhernie<br />

Silver-Russell-Syndrom Russell-Silver- 1/10.000 180860 7 – upd(7)mat ∼ 10 % prä-/postnataler Kleinwuchs, relative Makro-<br />

Syndrom, SRS, RSS 11p15: IGF2/H19 – upd(11p15)mat ein Fall berichtet cephalie, Asymmetrie, dreieckiges Gesicht<br />

– Duplikationen matern. Materials < 1 %<br />

– Hypomethylierung > 38 %<br />

Beckwith-Wiedemann- Wiedemann-Beck-with- 1/15.000 130650 11p15: ICR1: IGF2/H19; – upd(11p15)pat ∼ 20 % prä- und postnataler Großwuchs, Organo-<br />

Syndrom Syndrom, EMG-Syndrom, ICR2: KCNQ1OT1/LIT1; – chromosomale Aberrationen 2–4 % megalie, Makroglossie, Omphalozele, neonatale<br />

BWS CDKN1C – Hypermethylierung 5–10 % Hypoglykämie, Hemihypertrophie, Tumorrisiko<br />

– Hypomethylierung 40–50 %<br />

– Punktmutation 5 % (sporadisch),<br />

40–50 % (familiär)<br />

upd(14)pat-Syndrome Wang-Syndrom selten 608149 14q32 – upd(14)pat ? pränataler Kleinwuchs, Polyhydramnion,<br />

– Deletionen matern. Materials Bauchwanddefekte, glockenförmiger Thorax<br />

– Methylierungsdefekte mit coat-hanger rib sign<br />

upd(14)mat-Syndrom Temple-Syndrom selten 14q32: DLK1(MEG3)/ – upd(14)mat ? prä-/postnataler Kleinwuchs, kleine Hände<br />

GTL2 – Deletionen patern. Materials und Füße, stammbetonte Adipositas, muskuläre<br />

– Methylierungsdefekte Hypotonie mit Fütterungsproblemen, frühzeitige<br />

Pubertät<br />

Prader-Willi-Syndrom Prader-Labhart-Willi- 1/25.000– 176270 15q11q13 – Deletionen patern. Materials 70 % Muskelschwäche, Fütterungsprobleme,<br />

Syndrom, PWS 1/10.000 – upd(15)mat ∼ 30 % Adipositas, Hyperphagie, Kleinwuchs,<br />

– Methylierungsdefekte ∼ 1 % Hypogonadismus, geistige Behinderung<br />

Angelman-Syndrom Happy Puppet-Syndrom, 1/20.000– 105830 15q11q13: UBE3A – Deletionen matern. Materials 70 % Mikrozephalie, Ataxie, Epilepsie, Ruhelosigkeit,<br />

AS 1/12.000 – upd(15)pat 1–3 % häufiges Lachen, geistige Behinderung, keine<br />

– Methylierungsdefekte ∼ 4 % Sprache<br />

– Punktmutationen 10–15 %<br />

Pseudohypopara- PHPIb selten 603233 20q13: GNAS maternal vererbte Deletionen, ? isolierte renale PTH-Resistenz<br />

thyroidismus Ib die aberrante Methylierungen<br />

bewirken<br />

nische Merkmale charakterisiert<br />

sind (Tab. 1).<br />

Für alle bekannten <strong>Imprinting</strong>-<br />

Erkrankungen ist die Assoziation<br />

zwischen Erkrankung und spezifischer,<br />

nur auf einen Genlocus<br />

beschränkter <strong>Imprinting</strong>-Veränderung<br />

berichtet (Tab. 1). Daher<br />

war es erstaunlich, dass bei<br />

Patienten mit transientem neonatalem<br />

Diabetes mellitus<br />

(TNDM) neben der typischen<br />

6q24-Hypomethylierung <strong>Imprinting</strong>-Störungen<br />

weiterer Loci zu<br />

beobachten waren [2]. Bei mehreren<br />

<strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen<br />

wurde zwischenzeitlich ein solcher<br />

Multilocus-Methylierungsdefekt<br />

(MLMD) berichtet, allerdings<br />

scheint er nur beim TNDM,<br />

Silver-Russell-Syndrom (SRS) und<br />

Beckwith-Wiedemann-Syndrom<br />

(BWS) häufiger aufzutreten. Interessanterweise<br />

zeigen BWS- bzw.<br />

SRS-Patienten mit gleichartigen<br />

Hypomethylierungen beider im -<br />

printing control regions (ICRs) in<br />

der Region 11p15 jeweils das für<br />

die Erkrankung typische klinische<br />

Bild, sodass derzeit unklar<br />

ist, wie es zur Ausprägung der<br />

spezifischen Symptomatik bei<br />

anscheinend gleichem Epigenotyp<br />

kommt. Möglicherweise tragen<br />

diese Patienten ein gewebespezifisches<br />

Mosaik, wobei die<br />

Methylierungsstörung des für<br />

eine Erkrankung relevanten<br />

Locus in einem bestimmten<br />

Gewebe zur jeweils typischen<br />

Symptomatik führt.<br />

Mögliche Ursachen <strong>von</strong><br />

<strong>Imprinting</strong>-Defekten<br />

Während es sich bei den chromosomalen<br />

Imbalancen (Deletionen/Duplikationen),<br />

uniparentalen<br />

Disomien und Punktmutationen<br />

in geprägten Genen<br />

um „klassische“ chromosomale<br />

oder molekulare Mutationen handelt,<br />

fasst man unter Epimutationen<br />

Veränderungen der Chromatinstruktur<br />

sowie chemischer<br />

DNA-Modifikationen, und nicht<br />

solche der DNA-Sequenz zusammen.<br />

Aufgrund seiner Komplexität<br />

und der Vielzahl der be -<br />

<strong>BIOspektrum</strong> | 07.13 | 19. Jahrgang


755<br />

teiligten Faktoren ist der humane <strong>Imprinting</strong>-<br />

Zyklus anfällig für Fehler. Diese können bei<br />

der Löschung der Prägung in den Keimzellen,<br />

während ihrer Etablierung oder bei der<br />

Aufrechterhaltung über die Zellteilungen hinweg<br />

auftreten. Dabei können theoretisch alle<br />

beteiligten Faktoren und Abläufe betroffen<br />

sein, auch kann die Fehlerrate durch prädisponierende<br />

cis- und/oder trans-agierende<br />

Varianten oder Umwelteinflüsse beeinflusst<br />

werden. Bei cis-wirkenden Faktoren handelt<br />

es sich um molekulare Veränderungen, die<br />

auf dem gleichen Chromosom in unmittelbarer<br />

Nähe zum geprägten Locus auf diesen<br />

einwirken. So wurden bei BWS-Patienten ciswirkende<br />

Deletionen der ICR1 in 11p15<br />

berichtet: Familienmitglieder zeigten hier<br />

nur dann das klinische Bild eines BWS, wenn<br />

die Deletion das maternale Chromosom 11<br />

betraf [3–5]. Der Nachweis, dass sowohl<br />

maternal als auch paternal methylierte<br />

Loci auf verschiedenen Chromosomen<br />

beim MLMD durch Methylierungsverän -<br />

derungen betroffen sind, deutet auf eine<br />

ursächliche Beteiligung trans-agierender Faktoren<br />

hin.<br />

Locusspezifische <strong>Diagnostik</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen<br />

Die derzeitige labordiagnostische Abklärung<br />

der molekularen Defekte bei Patienten mit<br />

<strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen berücksichtigt im<br />

Wesentlichen zwei Aspekte:<br />

1. Die Analytik ist in der Regel krankheitsspezifisch<br />

ausgerichtet, das heißt in<br />

Abhängigkeit <strong>von</strong> der klinischen Symptomatik<br />

wird die erkrankungsspezifische<br />

<strong>Imprinting</strong>-Region untersucht. So wird z. B.<br />

bei klinischem Verdacht auf ein BWS spezifisch<br />

auf Veränderungen in 11p15 getestet,<br />

psychomotorisch retardierte und adipöse<br />

Kinder werden in Hinblick auf das<br />

Prader-Willi-Syndrom (PWS) (15q11–13)<br />

untersucht.<br />

2. Einfluss hat weiterhin das krankheitsspezifische<br />

Spektrum <strong>von</strong> Mutationen und<br />

Epimutationen: Während z. B. mehr als<br />

70 Prozent der Patienten mit PWS oder<br />

Angelman-Syndrom (AS) Deletionen in<br />

15q11–13 tragen, steht bei Kindern mit<br />

SRS eine Methylierungsstörung in 11p15<br />

im Vordergrund. Unabhängig <strong>von</strong> diesen<br />

unterschiedlichen Häufigkeiten sollte aber<br />

bei allen <strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen zuerst<br />

ein Methylierungstest durchgeführt werden,<br />

da dieser nahezu alle genomischen<br />

und epigenetischen Veränderungen detektiert.<br />

Vor diesem Hintergrund ist die Mehrzahl der<br />

verwendeten Methoden und Algorithmen<br />

indikationsspezifisch ausgerichtet (Tab. 2),<br />

weiterhin tragen sie dem breiten Spektrum<br />

<strong>von</strong> (Epi-)Mutationen durch einen kombinierten<br />

Einsatz <strong>von</strong> methylierungssensitiven,<br />

quantitativen und Sequenzierverfahren Rechnung<br />

[6, 7].<br />

Bei den aktuell eingesetzten Techniken lassen<br />

sich rein auf die Gendosis ausgerichtete<br />

Verfahren und quantitativ/methylierungssensitive<br />

Methoden unterscheiden (Tab. 2);<br />

dabei können mit den rein quantitativen Verfahren<br />

bereits zum Teil genomweite hochauflösende<br />

Analysen durchgeführt werden,<br />

die den Nachweis <strong>von</strong> Imbalancen sowie – im<br />

Falle <strong>von</strong> SNP-Arrays einschließlich Unter -<br />

suchung elterlicher DNA-Proben – <strong>von</strong><br />

UPDs geprägten Regionen erlauben (Abb. 2).<br />

Methylierungsveränderungen sind aber auf<br />

diese Weise nicht darstellbar, sodass diese<br />

Methoden zur molekularen <strong>Diagnostik</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen mit einem hohen<br />

Anteil <strong>von</strong> Methylierungsdefekten nicht geeignet<br />

sind. Dagegen können mit den methylierungssensitiven<br />

Methoden auch quantitative<br />

Veränderungen detektierbar sein. Bei auffälligem<br />

Methylierungsergebnis in diesen Tests<br />

kann dann aber eine Unterscheidung zwischen<br />

den verschiedenen (Epi-)Mutationsklassen<br />

(Imbalance, UPD, Epimutation) durch<br />

zusätzliche Analysen notwendig werden.<br />

Berücksichtigt werden sollte aber auch die<br />

Sensitivität einer Methodik, um genomische<br />

oder epigenetische Mosaike zu erfassen, die<br />

bei einzelnen Erkrankungen wie dem SRS<br />

und dem BWS <strong>von</strong> erheblicher Bedeutung<br />

sind.<br />

Zusammenfassend sollte also bei der molekulargenetischen<br />

Testung <strong>von</strong> <strong>Imprinting</strong>-<br />

Erkrankungen den methylierungssensitiven<br />

Verfahren der Vorzug gegeben werden, da je<br />

nach Befund und Krankheitsbild unterschiedliche<br />

molekulare Veränderungen möglich<br />

sind.<br />

Einschränkungen der<br />

locusspezifischen <strong>Diagnostik</strong> und<br />

Nutzen der Multilocus-Testung<br />

Da nahezu alle bekannten <strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen<br />

mit heterogenen klinischen Merkmalen<br />

assoziiert sind, erscheint die Entscheidung<br />

für eine locusspezifische <strong>Diagnostik</strong><br />

bei Vorliegen des charakteristischen<br />

Vollbildes sinnvoll, diese wird aber im Falle<br />

einer abgeschwächten Symptomatik oder<br />

eines teilweise unspezifischen klinischen Bildes<br />

wesentlich erschwert. Hinzu kommen die<br />

teilweise überlappenden phänotypischen Auffälligkeiten<br />

der verschiedenen <strong>Imprinting</strong>-<br />

Erkrankungen: So sollte bei milder PWS-<br />

Symptomatik (Hypotonie, Adipositas) und<br />

molekularem Ausschluss einer Chromosom-<br />

15-Störung an das Vorliegen eines<br />

upd(14)mat-Syndroms gedacht werden.<br />

Die locusspezifische Ausrichtung der molekularen<br />

Testung beim Vorliegen ungewöhnlicher<br />

klinischer Symptome wird daher zunehmend<br />

infrage gestellt: Hier kann die Testung<br />

mehrerer geprägter Loci auf verschiedenen<br />

Chromosomen (Multilocus-Analytik) zum<br />

Nachweis epigenetischer und genomischer<br />

Veränderungen führen [8], die mit Einzellocus-Tests<br />

nicht erfasst werden. Beispiele hierfür<br />

sind neben den Fällen mit MLMD auch<br />

solche mit genomweiter paternaler UPD im<br />

<strong>BIOspektrum</strong> | 07.13 | 19. Jahrgang


756 WISSENSCHAFT · SPECIAL: MOLEKULARE DIAGNOSTIK<br />

Tab. 2: Diagnostische Verfahren zum Nachweis genomischer und epigenetischer Veränderungen in <strong>Imprinting</strong>-Regionen.<br />

Methode Nachweis <strong>von</strong> Zahl der Loci/Test Vorteile Nachteile<br />

UPD CNVs Epimutation<br />

Auf genomische Imbalancen ausgerichtete Tests, Methylierungstestung nicht möglich<br />

Mikrosatelliten-Analyse ja einzelne Loci nein einzelne Loci schnell, kostengünstig, Quantifizierung keine Unterscheidung zwischen UPD und CNV möglich,<br />

(MSA) möglich DNA-Probe mindestens eines Elternteils notwendig<br />

Konventionelle nein > 5 Mb nein gesamtes Genom genomweiter Nachweis großer balancierter/ geringe Auflösung (> 5 Mb), Zellkultur notwendig<br />

Zytogenetik unbalancierter Umbauten<br />

FISH nein Einzellocus nein einzelne Loci kleine Deletionen/(Duplikationen) Mikroduplikationen nur schwer identifizierbar: Informationen<br />

zur betroffenen Region notwendig, Zellkultur notwendig<br />

Molekulare Karyotypisierung SNP-Array genomweit nein gesamtes Genom hochauflösender genomweiter Nachweis kein Methylierungsnachweis, keine Detektion balancierter<br />

(Array-CGH/SNP-Array) unbalancierter Umbauten Umbauten<br />

Methylierungsspezifische (MS-) Tests<br />

MS-Southern Blot ja Einzellocus ja einzelne Loci quantitativ große DNA-Mengen erforderlich, zeitaufwendig, keine Unterscheidung<br />

zwischen (Epi-)Mutationstypen<br />

MS-PCR ja Einzellocus ja einzelne Loci schnell, kostengünstig, Quantifizierung keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen,<br />

möglich nur semiquantitativ<br />

MS-Pyrosequenzierung ja Einzellocus ja einzelne Loci quantitativ keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen<br />

QAMA: Real-Time-PCR- ja Einzellocus ja einzelne Loci quantitativ keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen<br />

basierter Methylierungsassay<br />

Bisulfit-Sequenzierung ja Einzellocus ja einzelne Loci quantitativ zeitaufwendig, Klonierung oder Next Generation Sequencing<br />

notwendig, keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen<br />

MS-MLPA ja mehrere Loci ja bis zu ca. 46 Loci quantitativ, Differenzierung zwischen (Epi-) empfindlich bzgl. DNA-Qualität<br />

Mutationstypen möglich, Nachweis einer<br />

MLMD<br />

Methylierungsarray ja (ja) ja alle geprägten Genorte (hoch- quantitativ, Nachweis einer MLMD, Nachweis keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen<br />

(z. B. Bead-Array) auflösend) sowie genomweit <strong>von</strong> Methylierungsstörungen außerhalb<br />

(niedrig auflösend) geprägter Genorte<br />

MS-SNuPE ja mehrere Loci ja Multilocus quantitativ, Nachweis einer MLMD keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen<br />

CGH: comparative genome hybridisation; FISH: Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung; MLPA: multiplex ligation-dependent probe amplification; MS: methylierungsspezifisch; QAMA: PCR for quantitative analysis of methylated alleles; SNP:<br />

single nucleotide polymorphism; SNuPE: single nucleotide primer extension<br />

<strong>BIOspektrum</strong> | 07.13 | 19. Jahrgang


757<br />

Mosaik bei Patienten mit BWS-Merkmalen,<br />

aber mit ungewöhnlichen, über das achte<br />

Lebensjahr hinausgehenden Tumorereignissen.<br />

Die gleichzeitige Testung verschiedener differenziell<br />

methylierter Regionen (DMRs) und<br />

geprägter Loci, aber auch mehrerer CpGs derselben<br />

DMR durch Multilocus-Verfahren geht<br />

einher mit einer erhöhten Sensitivität für<br />

schwache Methylierungsmosaike, da auch<br />

unterschiedliche CpG-Inseln der gleichen<br />

Region unterschiedliche Methylierungsgrade<br />

aufweisen.<br />

Zusammenfassend bietet die Multilocus-<br />

Testung im Vergleich zur Analyse einzelner<br />

Loci folgende Vorteile:<br />

– Durch die Testung mehrerer CpGs bzw.<br />

DMRs kann der Test sensitiver sein als Einzellocus-Analysen<br />

und somit die Aufdeckung<br />

auch geringgradiger Epimutations-<br />

Mosaike erlauben.<br />

– Bei untypischen klinischen Bildern ermöglicht<br />

sie eine parallele Analyse verschiedener<br />

Loci.<br />

– Mit dem gleichen Ansatz können Patienten<br />

mit verschiedenen Syndromen und<br />

Phänotypen, die auf eine Methylierungsstörung<br />

hinweisen, untersucht werden; insbesondere<br />

bei seltenen Krankheitsbildern<br />

ist die Durchführung aufwendiger Ein -<br />

zeluntersuchungen nicht notwendig. Mit<br />

Ausnahme <strong>von</strong> Punktmutationen können<br />

alle Mutations- und Epimutationstypen<br />

(UPD, Deletionen/Duplikationen, Methylierungsstörung)<br />

erfasst werden.<br />

– Sie erlaubt den Nachweis eines MLMD und<br />

genomweiter UPDs.<br />

Auch bei den derzeit verwendeten Routineverfahren<br />

zur Multilocus-Testung ist aber zu<br />

berücksichtigen, dass diese methodisch<br />

bedingt nur auf wenige geprägte Genorte ausgerichtet<br />

sind.<br />

Genomweite Methylierungsanalysen auf<br />

der Basis <strong>von</strong> Array- und Next Generation<br />

Sequencing-Verfahren bei Patienten mit klinischem<br />

Verdacht auf das Vorliegen einer<br />

<strong>Imprinting</strong>-Erkrankung werden zeigen, wie<br />

das Muster aberranter Methylierungen tatsächlich<br />

aussieht und welche Relevanz der<br />

MLMD für die Ätiologie der Erkrankungen<br />

hat. Auch bleibt abzuwarten, ob die implementierten<br />

Multilocus-Tests entsprechend<br />

modifiziert werden sollten oder ob genomweite<br />

Verfahren hier zum Einsatz kommen<br />

werden.<br />

Ähnlich ist die Suche nach den genomischen<br />

Grundlagen des MLMD zu bewerten:<br />

Erste Berichte über genomische Mutationen<br />

A<br />

B<br />

˚ Abb. 2: Ausgewählte Methoden zur <strong>Diagnostik</strong> <strong>von</strong> <strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen. A, Mikrosatelliten-Analytik<br />

zum Nachweis einer maternalen uniparentalen Disomie des Chromosoms 7. In beiden<br />

untersuchten STR(short tandem repeat)-Markern lassen sich beim Patienten nur maternale Allele<br />

nachweisen. In der MS-PCR lässt sich bei gleichem Epigenotyp nur das mütterliche Allel darstellen.<br />

B, Testung geprägter Genloci auf Chromosom 11p15 bei unterschiedlichen Patienten. In der<br />

MS-MLPA zeigen die Sonden, die den Methylierungszustand der geprägten ICR1-Region anzeigen,<br />

eine Signalreduktion, somit liegt eine ICR1-Untermethylierung vor. In der MS-SNuPE-Analytik zeigen<br />

sich für die 11p15-Genorte H19/IGF2P0 (paternal methyliert) und LIT1 (maternal methyliert)<br />

gegensätzliche Methylierungsgrade im Sinne einer paternalen UPD dieser Region, während andere<br />

Loci unauffällig sind. Die Mikrosatelliten-Analyse am gleichen Genort bestätigt die Duplikation<br />

maternalen Materials.<br />

bei Patienten mit MLMD bzw. bei deren Müttern<br />

[9] weisen auf mögliche monogene Ursachen<br />

hin.<br />

Von besonderer Bedeutung ist diese Beobachtung<br />

für die genetische Beratung: Zwar<br />

treten <strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen in der Regel<br />

sporadisch auf, familiäre Fälle werden aber<br />

immer wieder dokumentiert [10]. Dabei sind<br />

diese familiären Fälle zwar eher auf chromosomale<br />

Umbauten zurückzuführen und damit<br />

bei Patienten mit Duplikationen oder Deletionen<br />

als Ursache der Erkrankung zu beobachten,<br />

es werden aber auch familiäre Fälle<br />

auf der Basis einer primären Epimutation<br />

(Mutation eines <strong>Imprinting</strong>zentrums oder<br />

<strong>Imprinting</strong>faktors) oder einer uniparentalen<br />

Disomie berichtet. Daher ist es notwendig,<br />

die Ursachen eines auffälligen <strong>Imprinting</strong>-<br />

Tests abzuklären, zum einen im Hinblick auf<br />

die eindeutige Einordnung des Mutations-/<br />

Epimutationstyps (Imbalance, UPD, Methylierungsstörung,<br />

Punktmutation), zum anderen<br />

im Hinblick auf ein mögliches Wiederholungsrisiko.<br />

<strong>BIOspektrum</strong> | 07.13 | 19. Jahrgang


758 WISSENSCHAFT · SPECIAL<br />

Danksagung<br />

Die Autoren sind Mitglieder des<br />

vom Bundesministerium für Bildung<br />

und Forschung geförderten<br />

nationalen Netzwerks „<strong>Imprinting</strong><br />

Diseases“ (Förderkennzeichen:<br />

01GM1114) sowie des <strong>von</strong><br />

der Europäischen Union im Rahmen<br />

des COST-Programms geförderten<br />

Netzwerks EUCID.net<br />

(European Network of <strong>Imprinting</strong><br />

Disorders) (BM1208; www.imprin<br />

ting-disorders.eu).<br />

ó<br />

Literatur<br />

[1[ Engel E (1980) A new genetic concept:<br />

uniparental disomy and its potential effect,<br />

isodisomy. Am J Med Genet 6:137–143<br />

[2[ Mackay DJ, Boonen SE, Clayton-Smith J et<br />

al. (2006) A maternal hypomethylation syndrome<br />

presenting as transient neonatal diabetes<br />

mellitus. Hum Genet 120:262–269<br />

[3[ Sparago A, Cerrato F, Vernucci M et al.<br />

(2004) Microdeletions in the human H19<br />

DMR result in loss of IGF2 imprinting and<br />

Beckwith-Wiedemann syndrome.<br />

Nat Genet 36:958–960<br />

[4[ Prawitt D, Enklaar T, Gärtner-Rupprecht<br />

B et al. (2005) Microdeletion of target sites<br />

for insulator protein CTCF in a chromosome<br />

11p15 imprinting center in Beckwith-<br />

Wiedemann syndrome and Wilms’ tumor.<br />

Proc Natl Acad Sci USA 102:4085–4090<br />

[5[ Cerrato F, Sparago A, Verde G et al.<br />

(2008) Different mechanisms cause imprinting<br />

defects at the IGF2/H19 locus in<br />

Beckwith-Wiedemann syndrome and Wilms’<br />

tumour. Hum Mol Genet 15:1427–1435<br />

[6[ Ramsden SC, Clayton-Smith J, Birch R et<br />

al. (2010) Practice guidelines for the molecular<br />

analysis of Prader-Willi and Angelman<br />

syndromes. BMC Med Genet 11:70<br />

AUTOREN<br />

[7[ Eggermann T, Begemann M, Binder G<br />

et al. (2010) Silver-Russell syndrome: genetic<br />

basis and molecular genetic testing.<br />

Orphanet J Rare Dis 5:19<br />

[8[ Azzi S, Rossignol S, Steunou V et al.<br />

(2009) Multilocus analysis in a large cohort<br />

of 11p15-related foetal growth disorders<br />

(Russell Silver and Beckwith Wiedemann<br />

syndromes) reveals simultaneous loss of<br />

methylation at paternal and maternal imprinted<br />

loci. Hum Mol Genet 18:4724–4733<br />

[9[ Meyer E, Lim D, Pasha S et al. (2009)<br />

Germline mutation in NLRP2 (NALP2) in a<br />

familial imprinting disorder (Beckwith-<br />

Wiedemann Syndrome). PLoS Genet<br />

5:e1000423<br />

[10[ Bartholdi D, Krajewska-Walasek M,<br />

Ounap K et al. (2009) Epigenetic mutations<br />

of the imprinted IGF2-H19 domain in Silver-<br />

Russell syndrome (SRS): results from a large<br />

cohort of patients with SRS and SRS-like phenotypes.<br />

Am J Med Genet 46:192–197<br />

Korrespondenzadresse:<br />

Prof. Dr. Thomas Eggermann<br />

Institut für Humangenetik<br />

RWTH Aachen<br />

Pauwelsstraße 30<br />

D-52074 Aachen<br />

Tel.: 0241-80-88008<br />

Fax: 0241-80-82394<br />

teggermann@ukaachen.de<br />

Thomas Eggermann, Lukas Soellner, Susanne Bens, Sabrina Spengler,<br />

Reiner Siebert, Karin Buiting, Bernhard Horsthemke und Matthias Begemann<br />

(v. l. n. r.)<br />

Die Autorinnen und Autoren sind Mitglieder des vom BMBF geförderten Netzwerks<br />

„<strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen“ (Förderkennzeichen: 01G1114), das die<br />

Ursachen angeborener <strong>Imprinting</strong>-Erkrankungen verfolgt, mit dem Ziel, <strong>Diagnostik</strong><br />

und Betreuung <strong>von</strong> Patienten mit diesen seltenen Erkrankungen zu<br />

verbessern.<br />

Arzneimittel in den Schlagzeilen<br />

Epigenetischer Modulator als<br />

Wunderwaffe für das Herz?<br />

ó Die Beteiligung epigenetischer Mechanismen an physiologischen<br />

und pathologischen Prozessen wird zurzeit in vielen<br />

Bereichen der Biomedizin sehr aktiv erforscht. Im Vordergrund<br />

stehen dabei die Entwicklungsbiologie sowie die Krebsforschung,<br />

aber es rücken auch andere Organsysteme und Erkrankungen<br />

mehr und mehr in den Fokus. Eine aktuelle Arbeit<br />

<strong>von</strong> P. Anand und Kollegen in Cell ((2013) 154:569–582) zeigt,<br />

dass Bromodomänen-Proteine eine wichtige Rolle in der Pathogenese<br />

und Therapie der Herzhypertrophie und -Insuffizienz<br />

spielen könnten. Bromodomänen wurden zuerst bei Drosophila<br />

entdeckt. Sie erkennen und binden sich an acetylierte<br />

Histone im Zellkern und modulieren dadurch die Chromatinstruktur<br />

und die Genexpression. Einem internationalen Team<br />

unter der Leitung <strong>von</strong> James Bradner, Harvard University, gelang<br />

bereits 2010 die Identifizierung einer niedermolekularen<br />

Verbindung, JQ1, die die Bindung des Bromodomänen-Proteins<br />

BRD4 an acetylierte Histone verhindet (Abb.). Aufgrund<br />

dieser Eigenschaft bewirkt JQ1 eine Hemmung des Wachstums<br />

<strong>von</strong> Plattenepithel-Karzinomen und multiplen Myelomzellen.<br />

In der aktuellen Arbeit kann nun gezeigt werden, dass<br />

JQ1 auch das pathologische Wachstum <strong>von</strong> Herzmuskelzellen<br />

in vitro und <strong>von</strong> Mausherzen nach chronischer Druckbelastung<br />

in vivo hemmen kann. Nicht nur die kardiale Hypertrophie wurde<br />

durch JQ1 vermindert, auch die Pumpfunktion wurde deutlich<br />

verbessert. Auf molekularer Ebene hemmte JQ1 die Elongation<br />

bei der Transkription und verminderte dadurch die pathologische<br />

Genexpression (Abb.).<br />

Y Das Ausmaß der durch JQ1 in vitro und in vivo erzielten<br />

„therapeutischen“ Effekte ist sehr beeindruckend. Dies mag<br />

auch erklären, weshalb Bromodomänen-Proteine als Angriffspunkte<br />

für neue Arzneistoffe große Hoffnungen wecken. Aber<br />

Vorsicht: JQ1 hemmt bei männlichen Mäusen die Spermatogenese<br />

und könnte den Weg zu einem Kontrazeptivum für den<br />

Mann weisen (Matzuk MM et al., Cell (2012) 150:673). Aber die<br />

potente Interferenz mit essenziellen Vorgängen im Körper könnte<br />

auch die Gefahr für schwere unerwünschte Nebenwirkungen<br />

bergen!<br />

Lutz Hein, Freiburg ó<br />

<strong>BIOspektrum</strong> | 07.13 | 19. Jahrgang

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