68 III. Das bürgerliche Wohnhaus des 20. Jahrhunderts Die ...

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163 226-234 Herzog & de Meuron: Entwurf Haus Fröhlich, Stuttgart Stockwerksfolge, wodurch ein Geschoss über die Trauflinie hinaufragt. Ebenso überspannen die raumhohen Fenster einige innere Zwischenwände und überlagern am dritten Geschoss mehrfach die Kante zwischen senkrechter Wand und schräger Dachfläche. Sie sind rahmenlos in den Betonkern eingefügt und durch einen Spalt plastisch von den Öffnungen der Holzhülle abgesetzt. Ihre graphisch-rhythmische Verteilung scheint damit eher den Formgesetzen eines abstrakten Gemäldes zu
164 folgen als der inneren Funktionalität. In pointierter Spannung setzen einige der Fenster exakt an der Wandecke an, ohne jedoch Übereckfenster zu bilden, wie sie in der funktionalistischen Moderne gebräuchlich waren. Auch die Eingangstür unterscheidet sich im Modell äußerlich nicht von den Fensterflächen. Ungewöhnlich ist der im Prinzip konventionell strukturierte Grundriss durch die ganz außen an der Schmalseite über die gesamte Haustiefe geführte Eingangszone mit Treppenlauf, von der aus ein Mittelflur die Räume der unabhängigen Wohnungen erschließt. Besondere fließende Raumwirkungen, eine Galerie über zwei Etagen oder ähnliche Großzügigkeiten bestehen nicht. Da Herzog und de Meuron stark von Joseph Beuys geprägt wurden und Ende der 70er Jahre sogar mit ihm gemeinsam eine Kunstaktion durchführten, drängen sich Bezüge zur Naturphilosophie des Werdens und Vergehens gemäß der an Heraklit angelehnten Fluxustheorie auf. Beuys thematisierte damit unter anderem die zyklischen Regenerationsprozesse energiespeichernder Materialien. Das neben einem uralten Eichenhain geplante Haus stellt folglich über die ölgetränkten Eisenbahnschwellen eine dritte Stufe der Materialkonsistenz dar, nämlich als Wärmespeicher für die Bewohner, bevor ein natürlicher langfristiger Zerfallsprozess die in den Eichenbalken gespeicherte Sonnenenergie als prozessuales Ergebnis der Photosynthese wieder in den natürlichen Kreislauf zurückführt. Sonne, Baum, Eisenbahn, Haus... – ein suggestiver Bedeutungszusammenhang zwischen Mensch und Technik, Natur und Umwelt ensteht. Die hölzerne Hülle bildet zugleich den mystischen Schrein als Aufbewahrungsort der Sammlung von Kunst nach 1945 und assoziiert in Form und Material eine hölzerne Schmuckschatulle oder einen mittelalterlichen Reliquienschrein. So wird auch auf die durch Beuys oft verwendeten frühchristlichen Symbole angespielt, mit denen er Verstandeswelt und Intuition gegenüberstellte. Das Haus imaginiert also auch die Ebene eines Ideenspeichers für den in seinen Mauern enthaltenen universalen Gedankenschatz der durch ihre konzeptionellen Werke repräsentierten Künstler. Als Eingangspavillon zum Museum Schaulager in Basel realisierten Herzog & de Meuron 2003 ein Satteldachhaus, dessen Schmalseiten so schräg zulaufen, dass von der Hauptansicht der Eindruck eines Walmdachhauses entsteht. Seine über Wand und Dach hinweg einheitliche, künstlich aufgerauhte Betonoberfläche verstrahlt durch Verwendung des Erdaushubs der Baustelle eine erdig-urtümliche Anmutung. Auch Bottega + Ehrhardt bauten 2001 ein viel beachtetes Wohnhaus in Ludwigsburg, das zur Eingangsseite einen auf Podesten balancierenden Walmdachbau als Betonmonolith darstellt.
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