68 III. Das bürgerliche Wohnhaus des 20. Jahrhunderts Die ...

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28.02.2014 Aufrufe

135 was er mit den Lehrbeispielen als Ausgangspunkt präsentierte. Obwohl er unterschiedliche Hausformen anwandte, nehmen die Walmdachhäuser den beherrschenden Platz in seinem Werk ein. Er bediente sich des Typs so virtuos und arrangierte ihn im Gelände mit Höfen, Brunnen, Gartenplanung und einem ins Auge fallenden Dialog der Materialien von Wänden, Dächern, Treppen, Mauern und Bodenbelägen sowie der Lebendigkeit unregelmäßiger Oberflächen durch Spuren handwerklicher Verarbeitung, dass viele Zeitgenossen seinen Häusern eine besondere poetische Aura zusprachen. Schmitthenner selbst spielte zuweilen auf eine bauliche Umsetzung von Beschreibungen aus den Werken von Gottfried Keller, Adalbert Stifter oder Joseph von Eichendorff an. 161 Die bis in die 50er Jahre hineinreichende Apostrophierung als unverkennbare "Schmitthennerhäuser" schrieb ihnen allerdings eine Einzigartigkeit zu, die diese Häuser objektiv nicht haben. Als geschlossene Werkgruppe weisen Schmitthenners Häuser allerdings ein systematisches Kaleidoskop von Gestaltungsweisen und Ordnungssystemen der Fassaden auf und damit eine innerhalb des selbstgesetzten Typkanons geradezu obsessiv durchexerzierte Vielfalt, die ihresgleichen sucht. Kaum ein anderes isoliert betrachtetes Gesamtwerk eines Architekten seiner Zeit kann mit Schmitthenners enzyklopädisch-konsequenter Durchdeklination eines einzelnen Formgedankens verglichen werden. Man müsste Gebäude verschiedenster Architekten heranziehen, um jeweils Analogien zu den im Folgenden analysierten Gestaltungsbeispielen zu ermitteln. Schmitthenners Fassadenaufbau erinnert an die akribische Formsuche eines Malers, der ein Thema um seiner selbst willen variiert, zumal wir jede der vier Seiten eines Hauskubus' einzeln betrachten können und die Breitseiten zufälligerweise meistens ein ausgeglichenes Verhältnis von Höhe zu Breite wie bei Staffeleigemälden aufweisen. Ohne Qualitätskategorien gleichsetzen zu wollen sei an die geradezu spirituelle Variation von Kompositionen erinnert wie bei Stilleben von Cézanne und Morandi oder abstrakten Kompositionen Mondrians. Um Schmitthenners konkretes Gestaltungsrepertoire darzustellen, das er nach diesen formalen Kriterien selbst nie schriftlich erläutert hat, bilden wir eine systematische Ordnung, die anhand prägnanter Beispiele aus der Zeit zwischen 1923 und 1937 den idealistisch gedachten Weg vom Normalen, Regelhaften zum Besonderen, Unkonventionellen entwickelt. Diese Ordnung stimmt allerdings nicht mit einer chronologischen Reihenfolge der Bauten überein, denn Schmitthenner bedient sich von Beginn an der gesamten Bandbreite seiner Gestaltungsmodi. Er verwendet bestimmte Variationsweisen natürlich nicht zwanghaft einheitlich oder in bestimmten aufeinanderfolgenden Entwicklungsschritten, sondern je nachdem, ob sie zur gerade

136 anstehenden Bauaufgabe passen und die funktionalen Bedingungen von Grundriss und Innenraum erfüllen. Der Ausgangspunkt der Fassadengestaltung ist mit der Typ-Theorie bereits vorgegeben und beinhaltet den Einsatz von Symmetrie und Achsenkonkordanz sowie die Abwandlung durch stockwerksweise Achsenkontraktion unter Beibehaltung einer symmetrischen Aufteilung. Eine unterschiedliche bildhafte Wirkung wird allein schon durch die Achsenkontraktion beider Stockwerke erzielt, indem die Fenster nicht gleichmäßig auf die Wandbreite verteilt sind, sondern sich in einem engeren Achsrhythmus zur Mitte konzentrieren und zu den Ecken hin mehr geschlossene Wandfläche diese Komposition einrahmt – eine Gestaltungsweise, die auch Fischer, Riemerschmid oder Mies van der Rohe anwenden. Ein nächster Schritt erfolgt durch den kompletten stockwerksweisen Achsrhythmusversatz. Die Haupt-Gartenseite des Hauses Roser in Stuttgart von 1926 (Abb. 174) zeigt die unterschiedlichen "Takte" der Stockwerke bei einer insgesamt pyramidalen, die Dachgaube einbeziehenden Komposition, die durch die einzige, allen Stockwerken gemeinsame Mittelachse stabilisiert wird. Es ist eine der wenigen vollkommen axialsymmetrischen Fassaden Schmitthenners. 170-177 Paul Schmitthenner: Haus Roser, Stuttgart 172 Eingangsseite 173 Eingangsseite mit realisierten Fenstersprossen

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anstehenden Bauaufgabe passen und die funktionalen Bedingungen von Grundriss<br />

und Innenraum erfüllen.<br />

Der Ausgangspunkt der Fassadengestaltung ist mit der Typ-Theorie bereits vorgegeben<br />

und beinhaltet den Einsatz von Symmetrie und Achsenkonkordanz sowie die<br />

Abwandlung durch stockwerksweise Achsenkontraktion unter Beibehaltung einer<br />

symmetrischen Aufteilung. Eine unterschiedliche bildhafte Wirkung wird allein schon<br />

durch die Achsenkontraktion beider Stockwerke erzielt, indem die Fenster nicht<br />

gleichmäßig auf die Wandbreite verteilt sind, sondern sich in einem engeren Achsrhythmus<br />

zur Mitte konzentrieren und zu den Ecken hin mehr geschlossene Wandfläche<br />

diese Komposition einrahmt – eine Gestaltungsweise, die auch Fischer, Riemerschmid<br />

oder Mies van der Rohe anwenden.<br />

Ein nächster Schritt erfolgt durch den kompletten stockwerksweisen Achsrhythmusversatz.<br />

<strong>Die</strong> Haupt-Gartenseite <strong>des</strong> Hauses Roser in Stuttgart von 1926 (Abb. 174)<br />

zeigt die unterschiedlichen "Takte" der Stockwerke bei einer insgesamt pyramidalen,<br />

die Dachgaube einbeziehenden Komposition, die durch die einzige, allen Stockwerken<br />

gemeinsame Mittelachse stabilisiert wird. Es ist eine der wenigen vollkommen<br />

axialsymmetrischen Fassaden Schmitthenners.<br />

170-177 Paul Schmitthenner: Haus Roser, Stuttgart<br />

172 Eingangsseite 173 Eingangsseite mit realisierten Fenstersprossen

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