68 III. Das bürgerliche Wohnhaus des 20. Jahrhunderts Die ...

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123 imaginären Skala natürlich nicht verbesserte. Doch können aus der jeweiligen zeitaktuellen Perspektive die egalisierenden Bemühungen eines Teils der etablierten Gesellschaftsschichten an ihrer Architektur abgelesen und honoriert werden, wenngleich dieser den Wettlauf mit den Zeitum-ständen nicht "gewinnen" konnte. Sofern jedes Bauvorhaben eine gewisse Zeit zur Realisierung benötigt, hinkten die am Baugeschehen Beteiligten zwangsläufig oft dem "politisch korrekten" tagesaktuellen Zeitausdruck hinterher. Doch die Reformer empfanden die Beschränkungen auch als Chance, ihre Ziele einer breiten gesellschaftlichen Basis näherzubringen, was angesichts der sich eröffnenden Perspektiven in eine idealistisch-kreative Phase mündete. "Wenn ich an die Jahre nach dem ersten Krieg zurückdenke, so habe ich die Vorstellung, nie habe das Leben so geblüht. Nach den Leidensjahren hatte alles einen Lebensdrang, der nicht aufhaltbar war [...]" 145 , resümierte Bonatz dazu, obwohl er sein luxuriöses Herrenhaus abstoßen musste. Auf die entbehrungsreiche Besinnungsphase folgte relativ rasch ein den Mythos der "goldenen 20er Jahre" begründender Wirtschaftsaufschwung bis zur Weltwirtschaftskrise ab 1929. Die Architekten der traditionalistischen und zunächt noch alleinigen Moderne konnten den Baubedarf des teils noch bzw. wieder wohlhabenden und teils neu aufgestiegenen Bürgertums und der Kommunen mit zwischenzeitlich ausgereiften Konzepten bedienen. Nach unseren heutigen Maßstäben sind die Wohn- und Landhäuser der Zwischenkriegszeit nach wie vor äußerst großzügig, doch man muss aus der enormen Bandbreite den gewichtigen Anteil an moderaten Bauten herauslesen, die einer neuen Bescheidenheit, auch einer neuen Sachlichkeit ante letteram entsprechen und damit die Bestrebung zum Ausdruck bringen, die ökonomische Schichtung der Gesellschaft zwar nicht gänzlich zu nivellieren, ihr jedoch die Extreme zu nehmen und vor allem die Klassenunterschiede nicht demonstrativ nach außen auszuspielen. Der englische Begriff des understatement trifft die erzieherische Wirkung, die von dieser Architektur ausgehen sollte, am besten: Ein distinktiver Status besteht durchaus, doch er wurde im Interesse des sozialen Friedens und der solidarischen Lebensgemeinschaft von den Privi-legierten nicht gegenüber den Minderbemittelten vorgeführt. Das Ideal der Suche nach einer ausgleichenden Mitte, also einer breiten mittelständischen Gesellschaftsbasis, entspricht bei weitem nicht so eindeutig der Vorstellung von einer hierarchisch gegliederten und sozial immobilen "Ständegesellschaft", wie sie von einzelnen Architekten wie Schultze-Naumburg zwar propagiert wurde, aber nicht als kollektive Mehrheitsideologie pauschal auf die traditionelle Avantgarde projiziert werden kann.

124 Der Wunsch nach einer Stabilität gewährleistenden und die Extreme ausgleichenden Mitte ist natürlich auch das eigennützige ökonomische Interesse des mittelständischen Bürgertums. Er wurde bestärkt durch die politischen Erfahrungen der Weimarer Republik und äußerte sich in der Ablehnung revolutionärer sozialistischer Tendenzen, wie in den Jahren 1918-19, sowie des Sowjetkommunismus des ehemaligen Kriegsgegners einerseits und der Extreme des Wirtschaftskapitalismus, verkörpert durch den anderen ehemaligen Kriegsgegner USA andererseits. Das hehre Wunschbild eines eigenen und moderaten "dritten Wegs" der Mitte war in der Reformbewegung, insbesondere bei den Bodenreformern, seit Beginn des Jahrhunderts etabliert. Fatalerweise sollte die Begrifflichkeit eines Sozialismus in eigenständiger nationaler Ausformung durch die ebenso opportunistische wie substanzlose Propaganda des "Nationalsozialismus" vereinnahmt werden. Auch viele der humanistisch motivierten Architekten waren nicht weitsichtig und skeptisch genug, die Manipulation zu durchschauen, die das Naziregime an ihnen und mit ihnen zur Verfolgung ihrer kriminellen Ideologie vornehmen sollte. Dabei sind wohlgemerkt die Räume und die sie formenden Mauern der Häuser eines Behrens, Gropius, Mies van der Rohe, Bonatz oder Schmitthenner, wie wir sie in dieser Darstellung behandeln, im Parteienspektrum vollkommen unpolitisch. Wer wollte dem Haus Schroeder von Behrens oder den zueinander zeitgleichen Häusern Roser von Schmitthenner und Mosler von Mies eine gegen die Menschlichkeit gerichtete Zielsetzung vorwerfen? Allenfalls bestätigen sie in der wunschgerechten Bedienung etablierter Auftraggeber den Lehrsatz von Karl Marx, wonach die herrschende Kultur immer die Kultur der Herrschenden sei. Tatsache ist, dass die Architekten als Personen, unabhängig von der Architektur als ihren Objekten, nachdem sie bis etwa 1920 die gestalterischen und konstruktiven Probleme ihrer traditionellen Bauvorstellung gelöst und ein eloquentes Formenrepertoire zur Anwendung bereit hatten, sich zunehmend vom Ziel der künstlerischen Gestaltung des Wohnhauses als individuellem privatem Lebensrahmen lösten. Einer explizit soziopolitischen Vorstellung folgend sollten die von ihnen geschaffenen Wohnformen erzieherisch auf kollektive Lebensformen hinwirken. Mit ihren Produkten wollten sie nicht mehr nur bestehende Bedürfnisse befriedigen und auf Veränderungen reagieren, sondern mit diesen Bauten Bedürfnisse wecken und die Veränderungen überhaupt erst auslösen. Unbestreitbar ist nach dem zwischenzeitlichen Forschungsstand auch, dass sich manche Funktionalisten bereitwillig in autoritären Regimen engagieren wollten, wenn man sie nur gelassen hätte. 146 Man muss jedoch nach wie vor einer unterschwellig

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Der Wunsch nach einer Stabilität gewährleistenden und die Extreme ausgleichenden<br />

Mitte ist natürlich auch das eigennützige ökonomische Interesse <strong>des</strong> mittelständischen<br />

Bürgertums. Er wurde bestärkt durch die politischen Erfahrungen der Weimarer<br />

Republik und äußerte sich in der Ablehnung revolutionärer sozialistischer<br />

Tendenzen, wie in den Jahren 1918-19, sowie <strong>des</strong> Sowjetkommunismus <strong>des</strong> ehemaligen<br />

Kriegsgegners einerseits und der Extreme <strong>des</strong> Wirtschaftskapitalismus,<br />

verkörpert durch den anderen ehemaligen Kriegsgegner USA andererseits. <strong>Das</strong><br />

hehre Wunschbild eines eigenen und moderaten "dritten Wegs" der Mitte war in der<br />

Reformbewegung, insbesondere bei den Bodenreformern, seit Beginn <strong>des</strong> <strong>Jahrhunderts</strong><br />

etabliert. Fatalerweise sollte die Begrifflichkeit eines Sozialismus in eigenständiger<br />

nationaler Ausformung durch die ebenso opportunistische wie substanzlose<br />

Propaganda <strong>des</strong> "Nationalsozialismus" vereinnahmt werden. Auch viele der humanistisch<br />

motivierten Architekten waren nicht weitsichtig und skeptisch genug, die<br />

Manipulation zu durchschauen, die das Naziregime an ihnen und mit ihnen zur<br />

Verfolgung ihrer kriminellen Ideologie vornehmen sollte.<br />

Dabei sind wohlgemerkt die Räume und die sie formenden Mauern der Häuser eines<br />

Behrens, Gropius, Mies van der Rohe, Bonatz oder Schmitthenner, wie wir sie in<br />

dieser Darstellung behandeln, im Parteienspektrum vollkommen unpolitisch. Wer<br />

wollte dem Haus Schroeder von Behrens oder den zueinander zeitgleichen Häusern<br />

Roser von Schmitthenner und Mosler von Mies eine gegen die Menschlichkeit gerichtete<br />

Zielsetzung vorwerfen? Allenfalls bestätigen sie in der wunschgerechten<br />

Bedienung etablierter Auftraggeber den Lehrsatz von Karl Marx, wonach die herrschende<br />

Kultur immer die Kultur der Herrschenden sei. Tatsache ist, dass die<br />

Architekten als Personen, unabhängig von der Architektur als ihren Objekten, nachdem<br />

sie bis etwa 1920 die gestalterischen und konstruktiven Probleme ihrer traditionellen<br />

Bauvorstellung gelöst und ein eloquentes Formenrepertoire zur Anwendung<br />

bereit hatten, sich zunehmend vom Ziel der künstlerischen Gestaltung <strong>des</strong> <strong>Wohnhaus</strong>es<br />

als individuellem privatem Lebensrahmen lösten. Einer explizit soziopolitischen<br />

Vorstellung folgend sollten die von ihnen geschaffenen Wohnformen<br />

erzieherisch auf kollektive Lebensformen hinwirken. Mit ihren Produkten wollten sie<br />

nicht mehr nur bestehende Bedürfnisse befriedigen und auf Veränderungen reagieren,<br />

sondern mit diesen Bauten Bedürfnisse wecken und die Veränderungen überhaupt<br />

erst auslösen.<br />

Unbestreitbar ist nach dem zwischenzeitlichen Forschungsstand auch, dass sich<br />

manche Funktionalisten bereitwillig in autoritären Regimen engagieren wollten, wenn<br />

man sie nur gelassen hätte. 146 Man muss jedoch nach wie vor einer unterschwellig

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