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Bericht vom 67. Erfahrungsaustausch - Ärztekammer Niederösterreich

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austausch<br />

In einer jüngst publizierten Studienübersicht zu gerichtsanhängigen<br />

Behandlungsfehlern in der primärärztlichen Versorgung<br />

wird als häufigstes Problem die verzögerte oder verspätete Diagnosestellung<br />

angeführt. 1) Beim <strong>Erfahrungsaustausch</strong> schildern<br />

die Teilnehmenden jegliche Art von Fällen, die man in der Praxis<br />

erleben kann, die einem noch monate-, mitunter jahrelang<br />

gedanklich beschäftigen. Dabei geht es auch oft darum, dass die<br />

Diagnostik nicht optimal gelaufen ist.<br />

Spannend und lehrreich zugleich war auch diesmal die Diskussion<br />

darüber wie vielfältig die Schwachpunkte in der Diagnostik<br />

sein können.<br />

Ein 65-jähriger Weinviertler wurde von der Frau zum Hausarzt<br />

„mitgenommen“, damit auch er sich einmal das Blut anschauen<br />

ließe. Dass die GGT 50 U/l war, regte niemanden auf. Trotzdem<br />

sollte der Versuch gemacht werden, nach einer strikten Alkoholkarenz<br />

den Wert zu prüfen. Nach drei Monaten lag er bei 250<br />

U/l und erst jetzt wurde eine Abdomen-Sonographie veranlasst.<br />

Sie ergab multiple Lebermetastasen, ausgehend von einem<br />

Kolon-Karzinom, wie sich herausstellte.<br />

Das Thema Vorsorgeuntersuchung drängte sich auf. Bei regelmäßigen<br />

Checks, inkl. einer Colonoskopie hätte das Karzinom vielleicht<br />

rechtzeitig vor der Metastasierung entdeckt werden können.<br />

Eine Kollegin meinte, sie habe sich zur Maxime gemacht,<br />

wenigsten einmal im Jahr ihren Patienten einen Hämokkult®<br />

mitzugeben. Und doch hatte sie gerade das bei einem Patienten<br />

verabsäumt.<br />

<strong>Bericht</strong> <strong>vom</strong><br />

<strong>67.</strong> <strong>Erfahrungsaustausch</strong><br />

wurde eine Peritonealcarcinose gefunden. Eine Sepsis raffte<br />

die Patientin bald hinweg.<br />

Das bisher praktizierte „opportunistische“ Screening für Brustkrebs<br />

hatte sich in Österreich erfahrungsgemäß bewährt, wenngleich<br />

ein gynäkologisch tätiger Kollege bei unserem Treffen den<br />

Eindruck äußert, dass sich die Frauen generell nun immer weniger<br />

Zeit für Routineuntersuchungen nehmen. Ob der geplante<br />

neue Modus des Mamma-Screenings sich bewähren wird, bleibt<br />

abzuwarten.<br />

Die Befundübermittlung ist eine häufig zitierte Schwachstelle in<br />

der Diagnostik. Verstärkt wird sie durch die forcierte Abklärung<br />

im niedergelassenen Raum, wenn es bei der Zusammenschau<br />

der Befunde mangelt, nicht zuletzt auch durch Kommunikationslücken.<br />

Bei einer 84-jährigen, recht rüstigen Frau mit unregelmäßigen<br />

Stühlen, ist eine colonoskopische Abklärung angezeigt. Da die<br />

Patientin dies nur von einer Frau gemacht haben will, organisierte<br />

sie sich selbst einen Termin. Die Hausärztin erhielt dann<br />

lediglich einen unauffälligen Histobefund. Erst über Umwege<br />

kann der eigentliche Coloskopiebefund eruiert werden: Dort<br />

war zu lesen, dass es ab einer gewissen Höhe eine für das Gerät<br />

unpassierbare Stelle gab. Die empfohlene Irrigoskopie samt<br />

Vorbereitung war für die alleinlebende Frau so strapaziös, dass<br />

sie mit der Rettung zum Röntgen und nach einem Kollaps dann<br />

ohnehin ins Spital gebracht werden musste. Ein stenosierender<br />

Dickdarm-Tumor konnte operiert werden.<br />

Der 60-jährige Typ II Diabetiker „büßte“ seine mangelnde Compliance<br />

mit einem arteriellen Ulcus cruris und einem femoralen<br />

Bypass. Nun kommt er regelmäßig, weil er auch antikoaguliert<br />

ist. Aber erst dem Praxisvertreter fiel auf, dass er sehr blass<br />

ist. Das Hämoglobin betrug nur 5g/dl. Ein Rektum-Karzinom war<br />

schuld.<br />

Wir stellten fest, dass Patienten, die wegen irgendeines Leidens<br />

häufig beim Arzt oder in der Ambulanz bestellt sind, Gefahr laufen,<br />

dass nicht rechtzeitig an ganz andere Gesundheitsgefahren<br />

gedacht wird.<br />

Eine 84-jährige adipöse Frau war seit längerem wöchentlich in<br />

der Chirurgieambulanz wegen eines Ulcus cruris. Eines Tags<br />

kam sie wegen Bauchschmerzen zum Hausarzt, der sie aufgrund<br />

diffuser Druckschmerzhaftigkeit des Abdomens gleich<br />

einweisen wollte. Erst anderntags entschloss sie sich dazu. Es<br />

Wenn es um die Angewandte Medizin geht, sind die Herausforderungen<br />

bei Fachspezialisten ähnlich gelagert wie in der Allgemeinmedizin.<br />

2) Die von Robert N Braun erarbeitete Berufstheorie<br />

ist genauso bei den einzelnen Fächern anwendbar. 3) Das<br />

lässt sich auch bestätigen, wenn KollegInnen anderer Fachrichtungen<br />

zum <strong>Erfahrungsaustausch</strong> stoßen. In der Ambulanz, in<br />

den Facharztpraxen herrscht genauso Zeitmangel und auch die<br />

apparative Diagnostik kann nicht „ad libitum“ geführt werden.<br />

Ein 65-jähriger Patient, der an behinderter Nasenatmung und<br />

Schnarchen litt und zudem „dumpf“ hörte, hatte schon mehrere<br />

HNO-Ärzte konsultiert. Der letzte Facharzt schickte ihn nun<br />

in die Ambulanz, damit ihm tagesklinisch ein Paukenröhrchen<br />

eingesetzt würde. Da der Patient aber auch ASS nimmt, wurde<br />

er doch stationär aufgenommen. So hatte die diensthabende<br />

Kollegin genug Zeit, ihn „ordentlich“ anzuschauen, was bei<br />

den engen Verhältnissen nicht einfach war. Wegen der vie-<br />

20<br />

CONSILIUM 10/13


austausch<br />

len Schleimproduktion wurde dann<br />

zusätzlich zu einer Adenotomie und<br />

Septumdeviation-Korrektur geraten.<br />

Doch stellte sich auch danach keine<br />

Besserung ein. Schließlich erfolgte<br />

Monate später eine Bildgebung mittels<br />

MRT, wo ein Epipharynx-Ca festgestellt<br />

wurde.<br />

Gleich erinnert sich ein Kollege an<br />

einen Patienten, bei dem er sich selbst<br />

vorwirft, dass er ihn nicht dezidiert<br />

wiederbestellt, bzw. gleich eine HNO-<br />

Zuweisung ausgestellt hatte.<br />

Ein 50-jähriger Versicherungsangestellter,<br />

der selten in der Praxis zu<br />

sehen ist - vielleicht fürchtet er auch,<br />

dass man seinen problematischen Alkoholkonsum<br />

anspricht, kommt kurz<br />

vor Weihnachten wegen Ohr- und<br />

Nackenschmerzen. Bei der örtlichen<br />

Routine findet sich die Uvula aufgequollen, was dem langjährigtätigen<br />

Allgemeinarzt als „Facharzt für das Normale“(Braun)<br />

zwar komisch vorkommt, trotzdem erhält der Patient nur etwas<br />

zum Gurgeln und eine Einreibung. Dann ist der Kollege noch<br />

dazu auf Urlaub und so verzögert sich die Diagnostik weiter bis<br />

schließlich ein Epipharynx-Ca feststellt wurde.<br />

Die Zusammenarbeit der Disziplinen ist ein wichtiges Element<br />

in der Patientenbetreuung. Die Aufteilung der Patienten und<br />

ihrer Krankheiten in internistische, urologische, HNO-fachärztliche<br />

etc. Fälle sollte der Vergangenheit angehören. 4) Vielmehr<br />

sind die diversen Fächer einmal mehr, einmal weniger „wesentlich<br />

berührt“ (Braun), d.h. sie leisten ihren jeweiligen Beitrag in<br />

der Diagnostik und Behandlung ohne gleichsam einen Besitzanspruch<br />

stellen zu dürfen. Das Patientenwohl steht im Vordergrund.<br />

So wäre auch immer wieder eine Zu-, bzw. Rück-Überweisung<br />

zum Allgemeinmediziner wichtig.<br />

Die 63-jährige Frau mit Ohrenschmerzen links seit drei Wochen<br />

ging primär zum HNO-Arzt, der ein Mucoserotympanon feststellte<br />

und einen Tubenkatarrh klassifizierte. Da es nach zwei<br />

Konsultationen noch immer schmerzte, fragte die Patientin jetzt<br />

auch den Hausarzt um Rat. Ihm ist sie vor allem wegen ihrer<br />

(mild verlaufenden) PCP bekannt und aufgrund seiner örtlichen<br />

Routine tippte er auf eine Kiefergelenksproblematik, die diese<br />

Beschwerden auslösen könnte, auch verstärkten sie sich beim<br />

Kauen. Ein Nativ-Röntgen war zwar unauffällig, aber durch<br />

über einige Wochen konsequenter und dann ausschleichender<br />

NSAR Einnahme konnten die Beschwerden zum Verschwinden<br />

gebracht werden.<br />

Bei einigen geschilderten Fällen spielten Medikamente eine<br />

Rolle. Das Problem der Nebenwirkungen muss immer präsent<br />

gehalten werden.<br />

1) Wallace E, Lowry J, Smith SM, et al. The epidemiology of malpractice claims in primary care: a systematic review. BMJ Open 2013;3:e002929. doi:10.1136/bmjopen-2013-002929<br />

2) Braun RN, Fink W, Kamenski G (2004) Angewandte Medizin – Wissenschaftliche Grundlagen. Facultas, Wien<br />

3) Braun RN, Kramsall P, Grabner G (1989) Berufstheoretische Untersuchungen in der Ambulanz einer Universitäts-Augenklinik. Wien. klin. Wschr. 101/22:771-774<br />

Haber P, Röggla G, Braun RN (1989) Klassifizierungen von Beratungsursachen und Beratungsergebnissen einer unausgewählten Stichprobe einer pulmologischen Spezialambulanz.<br />

Wien, klin. Wschr. 101/22:767-768<br />

Kees A, Braun RN (1989) Von der Beratungsursache zum Beratungsergebnis in der (Kinder-) Chirurgie. Wien. klin. Wschr. 101/22:765-767<br />

Schierz W, Braun RN, Danninger H (1989) Berufstheoretische Überlegungen zur Funktion des Arztes für bildgebende Verfahren. Wien. klin. Wschr. 101/22:769-771<br />

4) Fink W (2013). Wem gehört der Bauch, wem der Patient? DAM 5/13:29-30<br />

CONSILIUM 10/13<br />

21


austausch<br />

Eine 17-Jährige wurde wegen Fieber, Erbrechen und Husten besucht.<br />

Da die Untersuchung nichts Auffälliges ergab, erhielt sie<br />

als symptomatische Therapie, u.a. Metogastron®. Die Patientin<br />

wurde anderntags wegen Rigidität im Sinne einer extrapyramidalen<br />

Störung <strong>vom</strong> Notarzt ins Krankenhaus gebracht.<br />

Eine 23-Jährige kommt wegen eines Luftwegekatarrhs. Da sich<br />

der Kollege zu einer Antibiotikatherapie entschied, fragte er<br />

nach Schwangerschaft. „Nein!“ „Sicher?“ Ja, sie müsse die<br />

Pille nehmen, da sie eine Cis-Retinol-Therapie wegen ihrer Akne<br />

mache. Davon wusste der Hausarzt nichts. Ihm schauderte<br />

bei dem Gedanken, durch eine Interaktion des Antibiotikums<br />

mit dem Ovulationshemmer käme es doch zu einer Schwangerschaft<br />

mit einem behinderten Kind.<br />

„Erste Hilfe” in Rechtsfragen<br />

für alle NÖ ÄrztInnen<br />

Nicht selten werden die Nebenwirkungen von den Patienten als<br />

Inkompetenz des Arztes interpretiert: „Der hat mir ein falsches<br />

Pulver/Spritze gegeben!“<br />

58-jähriger geistig behinderter Epileptiker mit einem „Haufen“<br />

von Medikamenten, Mutter bettlägrig nach Querschnittslähmung,<br />

hatte eines Tages dauernden Schluckauf, weshalb ihm<br />

der Hausarzt schließlich Paspertin® spritzte. Dann hörte er längere<br />

Zeit nichts von der Familie. Über Umwegen erfuhr er, dass<br />

der Mann nach der Injektion einige Tage sehr unruhig war, um<br />

sich geschlagen hätte, was die Mutter zur zynischen Bemerkung<br />

veranlasst haben soll: „Jetzt werde ich den Doktor wohl<br />

für eine Weile nicht mehr beanspruchen.“<br />

Eine 35-jährige berufstätige Mutter beschwerte sich telefonisch:<br />

Enttäuscht sei sie über die hausärztliche Therapie! Das<br />

Antibiotikum, das sie vor einer Woche wegen eines protrahierten<br />

Infekts bekommen hatte, hätte bei ihr Durchfall verursacht,<br />

und im Spital stellte man jetzt blutende Hämorrhoiden und eine<br />

Analfissur fest.<br />

Als Hausärzte werden uns Rollen abverlangt, die nicht immer<br />

vereinbar sind: als Anwalt für die Patienten, als „Begutachter“<br />

für die Sozialversicherung, als „freier Unternehmer“.<br />

Die <strong>Ärztekammer</strong> bietet kostenlose „Erste Hilfe“ bei<br />

bestimmten, individuellen Problemfällen an, die mit der<br />

ärztlichen Berufsausübung in Zusammenhang stehen.<br />

Zu diesem Zweck wurde die NÖ Ärzteanwaltschaft ins Leben<br />

gerufen. Beim Ärzteanwalt Mag. Markus Lechner handelt es sich<br />

um einen erfahrenen Rechtsanwalt, der auf Arzt- und Medizinrecht<br />

spezialisiert ist.<br />

Dieser unabhängige Ärzteanwalt hat hierbei die Funktion eines<br />

„Gatekeepers“ im für viele Ärztinnen und Ärzte unübersichtlichen<br />

Dschungel der Rechtsvorschriften. Er wird dabei behilflich sein, die<br />

notwendigen ersten Schritte richtig zu setzen.<br />

Der NÖ Ärzteanwalt Mag. Markus Lechner steht unter<br />

aerzteanwalt@arztnoe.at und der Nummer 01-53751/300 für<br />

kostenlose Anfragen von Ärzten aus <strong>Niederösterreich</strong> zur<br />

Verfügung. (Bitte Name und Telefonnummer hinterlassen.)<br />

Ein 45-jähriger selbständiger Malermeister hatte einen Diskusprolaps,<br />

dabei ischialgiforme Beschwerden mit Parästhesien.<br />

Neuerdings zahlt die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen<br />

Wirtschaft ihren Mitgliedern ein Krankengeld, wofür<br />

dieser Patient alle zwei Wochen eine Krankmeldung bzw. Verlängerung<br />

wünschte, obwohl er nicht mehr sehr beeinträchtigt<br />

schien. Der Kollege fragt sich, ob er es gegenüber seinem Gewissen<br />

verantworten könne, den Krankenstand einfach – nach<br />

Wunsch - zu verlängern. „Wie verhaltet Ihr Euch?“ möchte er<br />

wissen. “Spiele doch durch, was es bedeuten würde, wenn Du<br />

ihm forscher kommst oder sonst wie brüskierst?“ meinte einer<br />

in der Runde. „Den Ärger wirst dann erst nur Du haben!“<br />

Wenn auch Sie Ihre Erlebnisse loswerden<br />

wollen, kommen Sie zum nächsten, den<br />

68. <strong>Erfahrungsaustausch</strong> am Samstag,<br />

9. November 2013, 9.00 bis ca. 13.00 Uhr, NÖ<br />

<strong>Ärztekammer</strong>, Wien 1, Wipplingerstraße 2.<br />

Anmeldung über das Fortbildungsprogramm.<br />

MR Dr. Waltraud Fink<br />

MR Dr. Gustav Kamenski<br />

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