28.02.2014 Aufrufe

Amtshandlung gegen einen Unsterblichen - Informationsmittel für ...

Amtshandlung gegen einen Unsterblichen - Informationsmittel für ...

Amtshandlung gegen einen Unsterblichen - Informationsmittel für ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

B<br />

BD<br />

BDBA<br />

KULTURWISSENSCHAFTEN<br />

LITERATUR UND LITERATURWISSENSCHAFT<br />

Deutsche Literatur<br />

Personale <strong>Informationsmittel</strong><br />

Albert DRACH<br />

EDITION<br />

13-1 Werke in zehn Bänden / Albert Drach. Hrsg. von Ingrid Cella ...<br />

- Wien : Zsolnay. - 21 cm. - ISBN 3-552-05211-9<br />

[#2748]<br />

Bd. 7,2. <strong>Amtshandlung</strong> <strong>gegen</strong> <strong>einen</strong> <strong>Unsterblichen</strong> : die kl<strong>einen</strong><br />

Protokolle / hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Ingrid<br />

Cella ... - 2013. - 347 S. : Ill. - Bibliographie A. Drach S. 344 -<br />

345. - ISBN 978-3-552-05267-3 : EUR 24.90<br />

Wer Albert Drach (1902 - 1995) nicht kennt, hegt angesichts des Untertitels<br />

die kl<strong>einen</strong> Protokolle vielleicht Skepsis und denkt an trockene Alltagsprosa.<br />

Doch jegliche Lektüre, das sei versichert, beschert sofort ein angenehm<br />

überraschendes, ganz und gar außergewöhnliches Leseerlebnis. Denn der<br />

Wiener Rechtsanwalt Drach hat s<strong>einen</strong> variationsreichen „Protokoll“-Stil, 1<br />

den habsburgischen Kanzleistil parodierend und persiflierend, zu höchster<br />

sprachkünstlerischer Feinheit entwickelt. Alle Spielarten der Ironie und Satire<br />

obwalten in diesen vielschichtigen und anspielungsreichen Erzählungen,<br />

die miteinander thematisch und motivisch subtil verflochten sind. Und sie<br />

haben eine nicht minder erstaunliche Genese, insofern sie weit zurückreichen<br />

in Drachs schriftstellerische Anfänge. Um 1927/28 fügte er fünf dieser<br />

Erzählungen zu dem Zyklus Bildnisse der Erfolglosen zusammen und gab<br />

ihm den Untertitel Ein Wiener Lied aus unserer Zeit. Nahezu vierzig Jahre<br />

vergingen bis zu ihrer Erstveröffentlichung zusammen mit dem Prosatext<br />

Das Goggelbuch. 2<br />

In der zehnbändigen Werkausgabe hat man nun diese Einheit auf den dreifach<br />

untergliederten Band 7 verteilt. Den Auftakt bildet Das Goggelbuch. 3<br />

1 Der Protokollstil des Albert Drach : Recht, Gerechtigkeit, Sprache, Literatur /<br />

Matthias Settele. - Frankfurt am Main [u.a.] : Lang, 1992. - 234 S. ; 21 cm. - (Europäische<br />

Hochschulschriften : Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur ; 1343). -<br />

ISBN 3-631-44911-9.<br />

2 Die kl<strong>einen</strong> Protokolle und das Goggelbuch / Albert Drach. - München, Wien :<br />

Langen Müller, 1965.<br />

3 Bd. 7,1. Das Goggelbuch / [hrsg. von Gerhard Hubmann und Eva Schobel]. -<br />

2011. - 141 S. - ISBN 978-3-552-05548-3 : EUR 14.90. - Rez.: IFB 12-3<br />

http://ifb.bsz-bw.de/bsz351250913rez-1.pdf


Ihm folgen jetzt die kl<strong>einen</strong> Protokolle, ergänzt um die aufschlußreiche Eigenhaendige<br />

literarische Einführung zu den Bildnissen. Als jene Protokolle<br />

1965 erschienen, waren sie allesamt nicht nur mehrfach überarbeitet,<br />

sondern <strong>gegen</strong>über den Bildnissen auch um zwei neue Texte ergänzt worden:<br />

<strong>Amtshandlung</strong> <strong>gegen</strong> <strong>einen</strong> <strong>Unsterblichen</strong> und Vom Stift zum<br />

Gimpel, aber nicht wieder zurück. (Letzterer bleibt Band 7,3 vorbehalten,<br />

um dort neben zwei „anderen ›Vogelgeschichten‹“ [S. 232] zu stehen – eine<br />

weniger stichhaltige Entscheidung als die, das eigenständige Goggelbuch<br />

auszugliedern.) Zugleich hatte Drach mannigfaltige Korrelationen hergestellt<br />

zu s<strong>einen</strong> „Großen Protokollen“, zu den Romanen Untersuchung an Mädeln,<br />

4 „Z. Z.“ das ist die Zwischenzeit 5 und Das große Protokoll <strong>gegen</strong><br />

Zwetschkenbaum. 6<br />

Das Glanz- und Paradestück der vorliegenden sechs Kl<strong>einen</strong> Protokolle ist<br />

– übrigens auch aus wirkungsgeschichtlicher Perspektive – sicherlich die<br />

<strong>Amtshandlung</strong>, eine Geschichte, deren Hintergrund Arthur Rimbauds Wiener<br />

Aufenthalt 1876 bildet. Aber welche Funken schlägt Drach aus der dürftigen<br />

Faktenüberlieferung! In der Stadt der Gemüts- und Weinseligkeit wird<br />

Rimbaud das Opfer zwiefacher rüdester Gefühlslosigkeit: eines Kutschers,<br />

der ihm sein Gepäck stiehlt, und eines Polizeibeamten, der dem ihm von<br />

Anfang an und dann erst recht aufgrund der Affäre mit Verlaine zwielichtig<br />

ersch<strong>einen</strong>den Fremden nicht glaubt und ihn kurzerhand ausweisen läßt.<br />

Teils offenkundig, teils untergründig verschränkt hat Drach diese kritische<br />

Satire auf seine Heimatstadt mit der autobiographisch fundierten Erzählung<br />

Martyrium eines Unheiligen. Deren Zentralfigur Anastasius strebt in mehrfachen<br />

Anläufen eben die Unsterblichkeit mittels exzeptioneller Dichtung an,<br />

die Rimbaud ohne krampfhaftes Selbstbemühen zuwuchs. Hin<strong>gegen</strong> gelangt<br />

Anastasius zu der Eigenerkenntnis (S. 191): „[…] und was ihm entglitten<br />

und was ihm geworden, hielt er weder <strong>für</strong> schlecht noch <strong>für</strong> gut, aber <strong>für</strong><br />

belanglos.“ Eine verborgene Pointe dieses Schlusses liegt darin, daß man<br />

die Einsicht unter autobiographischem Blickwinkel wohl kurz vor Abfassung<br />

der Bildnisse ansetzen muß.<br />

Die <strong>Amtshandlung</strong> eröffnet die Protokollsammlung und zugleich deren erste<br />

Untergruppe „Die ungemütlichen Protokolle“. Das Epitheton bezieht sich<br />

auf den durchgehenden Handlungsort Wien, dessen werbeorientierte<br />

Selbsteinschätzungen (vom „Charme“ bis zum „goldenen Herz“) ironischkritisch<br />

destruiert werden. Mit dem Martyrium schließt eine zweite Gruppe,<br />

„Die nichtbeteiligten Protokolle“ genannt, was eine ironische Verkehrung<br />

oder Untertreibung bedeutet, ist doch Drach an Anastasius durch den autobiographischen<br />

Bezug enger beteiligt als an jeder anderen Figur. Ein an-<br />

4 Bd. 1. Untersuchung an Mädeln : Kriminalprotokoll / hrsg. von Ingrid Cella. -<br />

2002. - 445 S. - ISBN 978-3-552-05211-9 : EUR 24.90.<br />

5 Bd. 2. „Z. Z.“ das ist die Zwischenzeit : ein Protokoll / hrsg. von Wendelin<br />

Schmidt-Dengler unter Mitarb. von Eva Schobel. - 2003. - 444 S. - ISBN 978-3-<br />

552-05230-5 : EUR 24.90.<br />

6 Bd. 5 Das große Protokoll <strong>gegen</strong> Zwetschkenbaum : Roman / hrsg. von Bernhard<br />

Fetz und Eva Schobel. - 2008. - 334 S. - ISBN 978-3-552-05226-0 : EUR<br />

24.90.


geblich „Wohlwollendes Protokoll“ bietet sodann der dritte und letzte Abschnitt,<br />

aber wiederum enthüllt sich das genaue Gegenteil: Ein Herr mit<br />

Hut und ohne handelt von einem Musteropportunisten, der „einem landwirtschaftlichen<br />

Buche über die Bekämpfung der Reblaus“ (S. 204 - 205)<br />

entnommene Begriffe nach 1918 zu zeitpolitischen Schlagworten umfunktioniert,<br />

in den Nationalrat gewählt wird, unversehens über die Beziehung zu<br />

einer Jüdin stolpert, indes über s<strong>einen</strong> Sturz hinaus opportunistisch bleibt.<br />

Seiner Amtserschleichung korrespondiert die Besitzgier des Protagonisten<br />

der Stift-Geschichte, deren Ausgliederung somit eine der nicht unwesentlichen<br />

Korrelationen innerhalb der Sammlung beschädigt.<br />

Die nach sorgfältiger kritischer Durchsicht der Gesamtüberlieferung erfolgte<br />

Textkonstitution beruht auf dem Erstdruck. Wo dieser „<strong>einen</strong> inhaltlich eindeutig<br />

fehlerhaften Text bietet und aus den originalen Textzeugen eine verbessernde<br />

Variante zu gewinnen war“ (S. 233), wurde emendiert. Ebenso<br />

zeigen sich die insgesamt vier Herausgeber (Ingrid Cella, Gerhard Hubmann,<br />

Alexandra Millner und Eva Schobel) um eine möglichst gründliche<br />

Kommentierung bemüht. Es gibt ein Allgemeines Nachwort, das den Werdegang<br />

von den Bildnissen zu den (kl<strong>einen</strong>) Protokollen skizziert. Ergänzt<br />

wird es um anregende interpretatorische Nachworte zu den einzelnen Erzählungen,<br />

woran sich jeweils anschließen: Einzelstellenerläuterung, Übersicht<br />

zu den Textzeugen und Darstellung der Textgenese. Letztere läßt<br />

wichtige Unterschiede der überlieferten Fassungen hervortreten, was um so<br />

bedeutsamer ist, als die Werkausgabe nicht einer historisch-kritischen Gesamtedition<br />

vorgreifen soll und kann und demgemäß keine Varianten mitteilt.<br />

Derart vermittelt sich dem Leser allerdings lediglich eine ungefähre<br />

Vorstellung davon, wie Drach seine „frühen Erzählungen nachträglich zum<br />

Protokoll erklärt“ (S. 299) oder vielleicht genauer: wie er sie form- und<br />

sprachkünstlerisch dazu umgearbeitet hat.<br />

Hinsichtlich erläuterungsbedürftiger Begriffe, Sachverhalte, Anspielungen<br />

usw. bestehen naturgemäß meistens unterschiedliche Auffassungen. Wenn<br />

jedoch der allgemeinsprachliche „Rotzbube“ erklärt wird (zu S. 180),<br />

dann wäre dies <strong>für</strong> Austriazismen wie beispielsweise „Krampus“ und<br />

(Tür-)„Schnalle“ (S. 146, 148) viel eher angebracht gewesen; desgleichen<br />

<strong>für</strong> manche der – nicht ohne weiteres von selbst – sprechenden Namen,<br />

etwa „des preisgekrönten Poeten Speibschmierl“ (S. 20) oder des um seine<br />

Unsterblichkeit besorgten Anastasius. Die Erwähnung „des Mannes, dem<br />

auch in der Folge nichts erspart blieb“ (S. 14), spielt an auf eine selbstmitleidige<br />

Floskel des alternden Kaisers Franz Joseph, die Karl Kraus nach<br />

bester Nestroy-Tradition in dem Couplet Mir bleibt doch nichts erspart<br />

(Die letzten Tage der Menschheit IV/31) ironisiert hat. Die der Vaterfigur<br />

im Protokoll Vermerk einer Hurenwerdung eignende „dicke, rote Nase“ (S.<br />

53) signalisiert gleich anfangs seine Doppelpotenz als Kindeserzeuger und<br />

Trinker, denn jenes Organ ist ein uraltes Penissymbol, man denke nur an<br />

den Gargantua des Rabelais und an Slawkenbergius in Sternes Tristram<br />

Shandy (IV. Buch), der Drach wohlvertraut war, wie zum ersten Satz des<br />

Anastasius-Protokolls ganz richtig angegeben wird. Die Hinweise zu Anspielungen<br />

auf Hedda Zinner und Brecht im selben Protokoll wären hinsichtlich


der letzten Anspielung (S. 190) dahingehend zu ergänzen, daß ein gemeinsamer<br />

Wienaufenthalt der beiden in der sehr gründlichen Brecht-Chronik 7<br />

nicht nachgewiesen ist. Und eine Verwechselung birgt die Anmerkung (zu<br />

S. 96), Casanova sei eingegangen in Mozarts und Da Pontes Don Giovanni.<br />

Zum guten Abschluß findet sich eine schätzbare Bibliographie der Primärund<br />

Sekundärliteratur, die sogar Rezensionen verzeichnet, nur wider Erwarten<br />

die Kurzangabe „Günter Kaindlstorfer, Ratzeputz“ (S. 224, Anm. 2) nicht<br />

auflöst.<br />

So wie die Textkonstitution des Bandes nunmehr eine verläßliche Textgrundlage<br />

geschaffen hat, dringt der Kommentar insgesamt zu den tieferen<br />

Bedeutungsschichten vor. Es werden somit dem Leser erstmals angemessene<br />

Zugänge eröffnet zu einer höchst anspruchsvollen und nachdenklich<br />

machenden Prosa, deren Lektüre aber auch ungemein vergnügend ist.<br />

Wolfgang Albrecht<br />

QUELLE<br />

<strong>Informationsmittel</strong> (IFB) : digitales Rezensionsorgan <strong>für</strong> Bibliothek und<br />

Wissenschaft<br />

http://ifb.bsz-bw.de/<br />

http://ifb.bsz-bw.de/bsz379090953rez-1.pdf<br />

7 Brecht-Chronik : 1898 - 1956 / von Werner Hecht. - [Hauptbd.] - 2. Aufl. 1998,<br />

[Sonderausg.]. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, [2003]. - 1315 S. : Ill., graph.<br />

Darst. ; 25 cm. - ISBN 3-518-41481-X (kart.) : EUR 29.90 [7755]. - Rez.: IFB 04-1-<br />

142 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz107244020rez.htm - Ergänzungen. - 1. Aufl. -<br />

2007. - 156 S.- ISBN 978-3-518-41858-1 : EUR 17.80. - Rez.: IFB 07-2-389<br />

http://swbplus.bsz-bw.de/bsz254194796rez.htm

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!