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Magazin 195722

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,<br />

Anblick meines Visums bleich vor<br />

Ehrfurcht und sagte: Da dürfen Sie<br />

sogar mit offenen schwarzen Pocken<br />

ins Land.<br />

Außer diesem kostbaren Visum<br />

hatte ich aber trotz Radiovorträgen<br />

und Kartenverkauf keine großen<br />

Schätze bei mir, Im Mädchenheim der<br />

Franziskanerinnen, wo ich in Beyrutll<br />

hätte mit meinem Geld zwei Monate<br />

gut auskommen können, in Dschidda<br />

aber kostet die bescheidenste Pension<br />

fünf Pfund täglich.<br />

"Sitta", die Stimme der alten Frau<br />

rurt mich in die Wirklichkeit zurück,<br />

Sie ruft mich zu sich, zum Fenster und<br />

durch die Jalousien sehe ich den Be·<br />

sitzer des braunen Cadillac, den Mann,<br />

der nach Lavendel duftet, weil er Kölnischwasser<br />

a. la Lavendel trinkt.<br />

Die Manner des Dorfes umringen<br />

ihn, mit einer Mischung von Respekt<br />

und Verachtung: tugendhafte Armut<br />

vor dem reichen Laster.<br />

Der Mann spricht lebhaft und immer<br />

wieder höre ich das Wort "Nasranija".<br />

Es spricht von mir, bestimmt sagt er,<br />

daß ich die Christin, die Feindin, die<br />

Heilige Stadt entweihen wollte.<br />

Dann fährt er in einer Staubwolke<br />

in die Wüste.<br />

1ch muß plötzlich an den jungen<br />

Schweden denken, der in Amman Moslem<br />

wurde, um nach Mekka zu kommen.<br />

Aber auch das hat ihm nicht geholfen,<br />

denn er wurde .auf dem Wege<br />

zur verbotenen Stadt mit durchschnittener<br />

Kehle tot aufgefunden. Geld und<br />

Waffen waren unberührt geblieben, es<br />

war also nicht ein Raubmord, sondern,<br />

wie die Leute hier sagen, ein Mekka­<br />

Mord,<br />

Vor mehreren Jahren wurden sogar<br />

sieben reiche Touristen getötet, die<br />

von der Küste auch nach Mekka kommen<br />

wollten. Sie wurden alle niedergemetzelt,<br />

obwohl es sehr schwer war,<br />

sie als Europäer zu erkennen, denn sie<br />

waren als Beduinen verkleidet.<br />

Es sind eben besondere Menschen,<br />

die Mekka seit Jahrtausenden verteidigen,<br />

denen ein Menschenleben nicht<br />

viel gilt, wenn sie glauben, daß Mekka<br />

bedroht ist.<br />

Viele Männee haben sich auf dem<br />

kleinen Platz versammelt, und immer<br />

öfter höre ich das Wort "Nasranija",<br />

das hier am Rande der heiligen Zone<br />

auchmeinTodesurteil bedeuten könnte.<br />

Endlich kommt der Scheik des Dorfes<br />

auf unser Ilaus zu und klopft an<br />

der Türe.<br />

"Jalla, geh", sagen mir die Frauen,<br />

und ich muß das friedliche, schützende<br />

Haremszimmer verlassen und die Türe<br />

zur Straße öffnen.<br />

"Sitta", sagt mir der Scheik, "ft<br />

seyara", ein Auto ist da. Aus seiner<br />

sprechenden Bewegung verstehe ich<br />

dann, daß der Besitzer des Cadillac<br />

mir ein Taxi geschickt hat, das mich<br />

nach Dschidda führen wird. Damit ich<br />

keine Angst haben muß, wird ein kleiner<br />

Dorf junge mit mir fahren, Dcr I [cer<br />

hat schon alles für mich geregelt.<br />

Und er hat mit keinem Wort verraten,<br />

daß Ich nach Mekka wollte.<br />

An seine Verschwiegenheit werde<br />

ich zwei Stunden später zurückdenken,<br />

wenn in einer gewissen Hinsicht<br />

sein Schicksal in meinen Handen liegen<br />

wird.<br />

Denn ich bin kaum in mein Hotel<br />

zurückgekommen, als mir der Boy<br />

schon sagt, daß der Polizeipräsident<br />

von Dschidda mich in einer wichtigen<br />

Angelegenheit sprechen will.<br />

111.<br />

Ghalib H, Taufik, der Polizeiprä.sident<br />

von Dschidda, ist ein etwa fünfzigjähriger<br />

Mann, groß und hager mit<br />

feinen, leicht mongolischen Zügen.<br />

Er kommt recht liebenswürdig auf<br />

mich zu und spricht mit vollendeter<br />

Höflichkeit.<br />

"Wollen Sie bitte Ihren Paß nehmen<br />

und mir ins Polizeipräsidium folgen,<br />

mein Auto wartet draußen." Er weist<br />

mir den rückwärtigen Platz an und<br />

setzt sich selbst neben den Chauffeur.<br />

Die Polizeidirektion von Dschidda ist<br />

ein schloßartiges Gebäude mit mehreren<br />

Terrassen, die auf das Meer blikken.<br />

Im Parterre, hinter einigen malerischen<br />

Säulen, liegt der niedere fensterlose<br />

Raum, in dem die Gräfin d'<br />

Anduran als Gefangene leben mußte,<br />

weil sie ihren Mann vergiftet haben<br />

soll. Aber vielleicht war ihr einziges<br />

Verbrechen gewesen, daß sie nach<br />

Mekka wollte.<br />

"Bitte, 'nehmen Sie Platz", sagt der<br />

Chef der Polizei, der Mudir, wie er hier<br />

heißt.<br />

Der Raum, in dem wir jetzt sind, ist<br />

typisch für den Orient. Es ist ein Mejles-Zimmer,<br />

der Empfangsraum eines<br />

höheren Würdenträgers, wo täglich<br />

hunderte Menschen ihr Anliegen vor-<br />

GroßreInemachen im Haremsh of! Ohne Schellen und ohnelede Hast verrichten<br />

die Moslemfrauen Ibre Arbeit. Sie wascben, halten die \Vohnräume sauber und betreuen<br />

vorlJildUch ihre Kinder. Sie vertragen sich gut untereinander und sind sehr fromm.<br />

Die Haremsterrasse des •• Tayslr". einer alten Karawanserei, wird MarcelJa d'A rle<br />

für ein ige \Vochen zum Heim. Durch das gescbnih,te GItterwerk kann sie auf di e Straße<br />

blicken. Die geöffneten Fenster gehören turn Salamllk. der Herrenabteilung des Hauses.<br />

bringen. In einem Eck steht ein großer<br />

Schreibtisch und an den Wänden entlang<br />

reiht sich Stubl an Stuhl. Vor jedem<br />

Stuhl wartet gastlich ein kleines<br />

Teetischehen, Die Mitte des Raumes<br />

ist, wie immer im Orient, völlig leer,<br />

nur durch bunte Teppiche belebt.<br />

"Kaffee, Tee, Zigaretten?"<br />

"Nein, nichts, danke," Aber rechtzeitig<br />

erinnere ich mich, daß es im<br />

Orient Pflicht des Gastgebers ist, etwas<br />

anzubieten, aber auch des Gastes, irgendeine<br />

Kleinigkeit anzunehmen. Ich<br />

füge also rasch hinzu: "Bitte ein Glas<br />

Wasser oder eine Limonade,"<br />

"Jetzt möchte ich Sie bitten, mir<br />

einige Fragen zu beantworten. Besitzen<br />

Sie eine Melaia und einen Schleier?"<br />

"Ja."<br />

"Haben Sie diese arabische Kleidung<br />

heute getragen?"<br />

"Ja."<br />

"Warum ?"<br />

Das Spiel ist aus, ich muß die Wahrheit<br />

sagen.<br />

"leh wollte nach Mekka gehen, es<br />

ist IJlir aber nicht gelungen.<br />

Der Mudir lächelt zum ersten Male.<br />

"Es wird Ihnen auch nie gelingen,<br />

eher werden Sie den Mond als erste<br />

Frau betreten." Dann spricht er weiter<br />

nach einem Blick in sein Notizbuch.<br />

"Sie haben es heute sogar öfter versucht;<br />

um 11 Uhr morgens sind Sie in<br />

Scharra Abd el Aziz in ein Taxi gestiegen.<br />

, ."<br />

Es klingt wie Zauberei. Jedes Wort,<br />

das ich im Laufe des Vormittags gesprochen<br />

habe, weiß er. Daß ich in Bab<br />

el Makki zwischen einer dicken Negerin<br />

und zwei Hühnern gesessen bin,<br />

alles, jede Regung, jeden Atemzug<br />

wußte er, als wäre er die ganze Zeit<br />

mit mir gewesen. Und doch war ich<br />

den ganzen Vormittag nur ein schwarzer<br />

Schatten.<br />

"Dann", setzt er fort, "haben Sie zu<br />

Fuß Bab el Makki verlassen, Nach<br />

einer Weile ist ein Auto neben Ihnen<br />

stehengeblieben und Sie sind eingestiegen.<br />

Nach dem, was wir weiter wissen,<br />

waren Sie dann in großer Gefahr.<br />

Es ist jetzt meine Pflicht, jenen Mann<br />

unschädlich zu machen, Dieses Land"<br />

wird durch die Gesetze des Korans regiert,<br />

unsere Frauen müssen vielleicht<br />

auf manche Freiheit, auf manche Annehmlichkeit<br />

verzichten, Dafür sehen<br />

wir es aber als unsere heiligste Pflicht<br />

an, ihr Leben und ihre Ehre zu schützen.<br />

Wer sich bei uns an einer Frau<br />

vergreift, hat ein Kapitalverbrechen<br />

begangen und muß unter Umständen<br />

mit seinem Leben dafür büßen,"<br />

Mir wird schwarz vor den Augen<br />

Mein Gott, mein Gott!<br />

"Es ist aber nichts geschehen, außerdem<br />

weiß ich nicht, wie der Mann<br />

heißt."<br />

"Das werden wir bald herausbekommen,<br />

Was ich von Ihnen verlange, ist,<br />

daß Sie die Anzeige erstatten."<br />

"Nein, das will ich nicht tun."<br />

"Der Mann ist ein Verbrecher, der<br />

Sie in eine Falle gelockt hat. Er darf<br />

nicht ungestraft bleiben, sonst wird<br />

er sich an einer anderen Frau vergreifen,<br />

Darum brauche ich Ihre Anzeige."<br />

"Ich will aber nicht:' So geht es weiter,<br />

eine Stunde nach der anderen. Ich<br />

kann und will nicht nachgeben. Endlich<br />

begnügt sich der Mudir mit einer kurzen<br />

Erklärung, die ich unterschreiben<br />

muß, leb erkläre darin wörtlich, es ist<br />

mir nichts geschehen, und ich werfe<br />

dem Unbekannten nichts vor. Darauf<br />

wandert meine Erklärung ins Polizeiarchiv<br />

von Dschidda, wo sie vermutlich<br />

noch heute liegt.<br />

"Und jetzt", sagt der Mudir, "wollen<br />

wir von etwas anderem sprechen.<br />

Darf ich Ihren Paß sehen, Ich nehme<br />

an, daß Sie morgen sehr müde sein<br />

werden, aber übermorgen werden Sie<br />

wahrscheinlich schon imstande sein,<br />

das Land zu verlassen." Doch plötzlich<br />

hält er inne, er hat das berühmte Visum<br />

gesehen, das mir erlaubt hätte, sogar<br />

mit den schwarzen Pocken ins<br />

Land zu kommen.<br />

"Wie kommen Sie zu diesem Diplomatenvisum'?<br />

Wer hat übrigens für Sie<br />

garantiert?"<br />

"Für mich garantiert?"<br />

"Jeder Fremde, der in unser Land<br />

will, muß hier eine Persönlichkeit haben,<br />

die für ihn mit 600 Pfund bürgt."<br />

"Ich kenne aber niemanden hier. Ich<br />

habe nur telegrafiert, geschrieben und<br />

wieder telegrafiert.··<br />

" ... bis ein Wunder geschehen ist<br />

und die Regierung oder der König für<br />

Sie gebürgt hat. Das ändert natürlich<br />

Ihre Lage, so gern ich Sie auch aus<br />

dem Lande haben möchte, aus Angst,<br />

daß Ihnen einmal doch etwas zustoßen<br />

könnte, obwohl" er lächelte dabei fein,<br />

"Sie jetzt nicht gerade unternehmungslustig<br />

aussehen,"<br />

"Ich fürchte mich vor einer zweiten<br />

Nacht im Hotel Taufik."<br />

"Ja, im Taufik können nur Taube<br />

schlafen, aber auch in den anderen<br />

Hotels, auf der Hauptstraße, werden<br />

Sie wohl kaum Ruhe finden .. ," Daraufhin<br />

hält der Mudir Kriegsrat mit<br />

seinen Männern, bis sie gemeinsam<br />

das einzige ruhige Hotel in Dschidda<br />

finden.<br />

Der "Taysir" liegt am Rande eines<br />

stillen, weißen Platzes in meiner geliebten<br />

Altstadt, der schon um 8 Uhr<br />

abends tief und ruhig schläft.<br />

Dann stellt mir der Mudir für die<br />

Ubersiedlung noch sein Auto und<br />

zwei seiner Männer zu Verfügung, obwohl<br />

ich eigentlkh nur eine verhinderte<br />

Missetäterin bin. Was nur Tom<br />

Sawyers Wort bestätigen, daß in<br />

einem Verbrecher leben augenscheinlich<br />

Vorteile liegen.<br />

Der "Taysir" ist eine alte Karawanserei<br />

mit sieben Betten in jedem Zimmer,<br />

was erstens nicht gemütlich ist<br />

und zweitens den siebenfacben Preis<br />

kosten könnte. Aber ich entdeckte<br />

sofort eine entzückende Haremsterrasse,<br />

die von .allen Seiten mit geschnitzten<br />

Holzgittern geschützt ist<br />

und wohin ich kurz entschlossen Bett,<br />

Spiegel und Kleiderständer tragen<br />

lasse.<br />

Diese Terrasse, einsam, still und<br />

herrlich kühl in den Nachten, soll für<br />

einige Wochen mein Heim werden.<br />

Hierher werde ich einmal blaß, aber<br />

mit leuchtenden Augen aus Mekka<br />

zurückkommen.<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

9 fJ:OIIMId.fld

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