1933-Erinnerungen von Schwester Cassilda Joos - Burgenverein ...
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Untervazer <strong>Burgenverein</strong> Untervaz<br />
Texte zur Dorfgeschichte<br />
<strong>von</strong> Untervaz<br />
<strong>1933</strong><br />
<strong>Erinnerungen</strong> <strong>von</strong> <strong>Schwester</strong> <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong><br />
Email: dorfgeschichte@burgenverein-untervaz.ch. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter<br />
http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter<br />
http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
- 2 -<br />
<strong>1933</strong> <strong>Erinnerungen</strong> <strong>von</strong> <strong>Schwester</strong> <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong> Sr. <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong><br />
Original, vier gewöhnliche Schulheften im Eigentum der Kongregation der<br />
Ingenbohler-<strong>Schwester</strong>n. Abschrift Schreibmaschine in Privatbesitz.<br />
ERINNERUNGEN<br />
<strong>von</strong><br />
CASSILDA JOOS<br />
EHRW. SCHWESTER DER CONGREGATION DER<br />
BARMHERZIGEN SCHWESTERN VOM HL. KREUZ<br />
IN INGENBOHL, GEBUERTIG AUS UNTERVAZ.<br />
GEB. 6. XI.1849<br />
------------------------<br />
GEST. 16. XI. <strong>1933</strong>
- 3 -<br />
Vorbemerkung:<br />
Die ERINNERUNGEN sind in sorgfältigen Schriftzügen, denen allerdings,<br />
im Vergleiche zur Handschrift früherer Jahre, eine gewisse Versteifung des<br />
Alters anhaftet, wodurch sie aber eher energischer erscheinen, in vier<br />
gewöhnlichen Schulheften mit peinlicher Sauberkeit niedergeschrieben.<br />
Veranlassung gab, wie ich erfahren konnte, ein Wunsch der derzeitigen<br />
Generaloberin der Ingenbohler-<strong>Schwester</strong>n, der das Schriftstück auch<br />
gewidmet ist. Die Hauptsache der Niederschrift dürfte aus einem Gusse sein.<br />
Später hinzu kamen wohl die Anmerkungen und die Nachträge. Ich habe<br />
hier in der Abschrift die Reihenfolge des Textes nach dem Originale<br />
eingehalten.<br />
Das Original ist Eigentum der Congregation der Ingenbohler-<strong>Schwester</strong>n,<br />
bezw. deren Generaloberin. Es wurde mir freundlichst zur Einsicht<br />
zugestellt, mit dem Bemerken: Sie werden darin vieles finden, was Ihnen<br />
grossen Genuss bieten wird. Wir bitten Sie nach Einsichtnahme uns die<br />
Hefte wieder retournieren zu wollen. Die Aufzeichnungen haben für uns in<br />
verschiedener Hinsicht grossen Wert und dürfen uns nicht verloren gehen"!<br />
Ich habe mit Maschinenschrift eine Abschrift mit einem Durchschlage<br />
genommen. Vieles, was das Lesen des Originales so angenehm macht,<br />
konnte leider auf der mangelhaften Abschrift nicht mitgenommen werden.<br />
Der Text ist vollständig wiedergegeben. Orthographie u. Interpunktion sind<br />
beigehalten worden. Die Hinweisungen kommen aus dem Original und<br />
nennen dessen Seitenzahlen, welche hier am Rande angegeben wurden.<br />
den 23. Februar 1934<br />
Kaspar <strong>Joos</strong>
- 4 -<br />
ERINNERUNGEN<br />
Der Wohlerwuerdigen Lieben Frau Mutter<br />
M. Theresia Beck<br />
gewidmet <strong>von</strong> Schw. <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong><br />
zum Namensfeste 1932.<br />
------00000------<br />
Mein Heimatdorf liegt im Ct. Graubünden, am linken Ufer des Rheins,<br />
Bezirk Unter-Landquart, Kreis V Dörfer. Es zählt heute ungefähr 1000<br />
Einwohner. (vor 60-70 Jahren zählte es 1200). Da wurde ich geboren den 6.<br />
Nov. 1849 als das 2. Kinde ehrbarer, streng katolischer Bürgersleute:<br />
Laurenz <strong>Joos</strong> u. der Margareta geb. Wolf. (Siehe Anhang Seite 41, 42, 43,<br />
44) Schon am folgenden Morgen in der Frühe, gleich nach der hl. Messe<br />
erhielt ich in der Pfarrkirche die hl. Taufe durch P. Adelrich O.C. Da wurde<br />
ich gehegt u. gepflegt <strong>von</strong> der lb. Mutter u. <strong>von</strong> einer alten Amme die mich<br />
u. meine Geschwister in den ersten Lebensjahren aufs Beste betreute. Am<br />
folgenden Pfingstsamstage, also Pfingsten 1850, wurde ich <strong>von</strong> Bischof<br />
Caspar Carl v. hohen Balken in der<br />
Seite 2:<br />
Kathedrale in Chur gefirmt. Ich war damals genau 1/2 Jahr alt. Meine Mutter<br />
erzählte mir, wie der P. Pfarrer zögerte, ihr einen Schein zu verabfolgen, mit<br />
dem Bemerken, die Firmung pressiere doch nicht. Sie aber bestand darauf u.<br />
wendete ein, so ein Kind sei vielen Gefahren ausgesetzt u. sie wolle nicht,<br />
dass ihr Kind stürbe, ohne gefirmt zu sein, da ja das hl. Sakrament der Seele<br />
ein unauslöschliches Zeichen eindrücke u. die Seligkeit im Himmel<br />
vermehre. Nun gab er ihr schweigend das Verlangte u. am andern Tage<br />
wurde ich <strong>von</strong> meiner Mutter u. meiner Firmpatin Jgf. Margareta Plattner,<br />
abwechselnd auf den Armen <strong>von</strong> Untervaz nach Chur in die Cathedrale zur<br />
hl. Firmung getragen. u. das sind 2 Wegstunden, u. wieder so<br />
zurückgetragen. Das sind 4 Wegstunden. Es führte damals noch keine<br />
Eisenbahn nach Chur, u. die alte Amme behauptete, das Rütteln auf einem<br />
Fuhrwerk könnte einem so kleinen Kinde schaden.
- 5 -<br />
Seite 3:<br />
Recht bald kommt das Alter des Erwachens für Freude u. Schmerz. Eine<br />
meiner ersten <strong>Erinnerungen</strong> ist mein grosser Schmerz beim Tode unserer<br />
geliebten, alten Amme u. Wärterin Meya. (Ihr richtiger Name war Maria<br />
Mafiew.). Sie war nach ganz kurzer Krankheit selig im Herrn gestorben. Ich<br />
weinte bitterlich, als man sie hinaustrug u. fing an das Wort Sterben, Tod, in<br />
seiner Bedeutung in etwas zu begreifen u. zu fürchten. Ich fühlte mich einige<br />
Zeit recht traurig und verlassen. Ich zählte damals 4 - 5 Jahre.<br />
Auch meine erste Freude, deren ich mich erinnere, prägte sich mir tief ein.<br />
Meine <strong>Schwester</strong> war etwas mehr als zwei Jahre älter als ich. Mit dem 7.ten<br />
Jahre wurde sie schulpflichtig u. besuchte daheim die erste Primarklasse.<br />
(Damals wie auch heute noch wurde bei uns nur im Winter Schule gehalten,<br />
d.h. 6 Monate. Während der guten Jahreszeit müssen die Kinder den Eltern<br />
bei der Arbeit helfen, die Knaben hauptsächlich bei dem Vieh auf den<br />
Bergen u. Alpen)<br />
Seite 4:<br />
Seite 5:<br />
An den Winterabenden lernte sie ihre Lektion aus der Fibel. Gleichsam<br />
spielend u. zur Kurzweil lernte ich mit ihr aus dem gleichen Büchlein,<br />
während die Mutter in der Küche beschäftigt war u. bis nächsten Frühling<br />
konnten wir beide lesen. Eines Abends kam ein benachbarter<br />
protestantischer Mann in Geschäften beim Vater zu Besuch. Mein Vater<br />
lobte mich bei ihm u. hiess mich ihm aus einem Blatte vorzulesen. Es gelang<br />
mir ganz geläufig. Der freundliche Mann staunte u. freute sich u. schenkte<br />
mir einen glitzernden Zwanziger. Diese Scene ist mir treu im Gedächnis<br />
geblieben, während ich mich an das Lesen lernen u. die Vorgänge des<br />
Winters nicht im Geringsten erinnere. Das zwanzig Centimstück freute<br />
mich, (Siehe S. 45 Nachtrag.). besonders aber das Lob meines lb. Vaters, der<br />
sowohl im Lob als im Tadel stets sehr sparsam war. Ich glaube, es war<br />
vielfach deswegen, dass wir Kinder alle vor unserm Vater stets grossen<br />
Respekt hatten u. zwar bis zu seinem Tode in hohem Alter. (Siehe S. 49, 50<br />
Nachtrag.).<br />
Ich hoffte nun bald zur Schule gehen zu dürfen. Als aber nächsten Herbst die<br />
Schule angekündet wurde, war ich nicht auf der Liste, weil ich noch ein Jahr<br />
zu jung war. Meine <strong>Schwester</strong> musste also allein gehen. Nach ein paar<br />
Tagen aber lockte sie mich mit u. als der Lehrer mich zurückweisen wollte,<br />
machte sie den Fürsprecher u, erzählte ihm, ich könne lesen. Der Lehrer gab
- 6 -<br />
mir das 2te Schulbüchlein in die Hand u. ich las laut vor. Da erhoben die<br />
mutwilligen Knaben ein lautes Geschrei und Gelächter u. verspotteten mich<br />
mit verschiedenen, nicht schmeichelhaften Zurufen. Ich aber fing laut zu<br />
weinen an u. zwar so laut, dass der P. Superior die Stiege herunter u. ins<br />
Schulzimmer trat um zu sehen, was da los sei. Das Schulzimmer war<br />
nämlich im Erdgeschoss des Pfarrhauses) Nachdem der Lehrer wieder<br />
Ordnung geschaffen, tröstete er mich u. sagte mir ich dürfe schon zur Schule<br />
kommen. Ich aber hatte längere Zeit keine Lust mehr, denn ich fürchtete die<br />
Buben. Endlich ging ich wieder u. der<br />
Seite 6:<br />
Seite 7:<br />
Lehrer liess mich ruhig neben meiner <strong>Schwester</strong> sitzen, da ich mich still<br />
verhielt. Und so ging ich öfters mit meiner <strong>Schwester</strong> zur Schule,<br />
wahrscheinlich aber nicht täglich, da ich nicht pflichtig war. Nun trat ich das<br />
7te Jahr an u. wurde schulpflichtig. Ich wurde gleich in die 2te Classe<br />
eingereiht. Den folgenden Herbst stieg ich mit den andern in die 3te Classe<br />
u. kam somit in die Oberschule. Es waren damals nur 2 Katolische Schulen,<br />
heute sind 3. Ich erinnere mich klar, welch grosse Angst ich hatte zu den<br />
grossen Buben hinein. Und wirklich, es erwartete mich wieder eine grosse<br />
Demütigung, die mir noch ganz klar im Gedächtnis ist. (Siehe Seite 51 u. 52<br />
den Grund dieser Bubenrache ). Sobald ich zur Türe hineintrat, erhoben die<br />
Buben ein grosses Geheul u. Gelächter u. einer rief: häst das a,b,c, Büchle<br />
bei dir? u. ein anderer rief: komm nur nit, du chunst under, wir zerstampfen<br />
dich. Ich aber weinte wieder bittere Tränen, mein Ehrgefühl war verletzt. So<br />
durchlief ich denn die 8 Classen der Untervazer Primarschule in kindlicher<br />
Unbesorgtheit unter dem Cepter <strong>von</strong> 4 verschiedenen Lehrern, alles brave,<br />
guter, Männer u. Lehrer. Gefehlt habe ich niemals, den ich war<br />
nie krank. Ein einziges mal erzwang ich bei meinen Eltern die Erlaubnis am<br />
schmerzhaften Freitag nach Ems zu wallfahrten mit meiner Tante. Am<br />
andern Morgen aber musste ich dem Lehrer die üblichen 20 Centimes<br />
Strafgeld bringen, der Vater wollte es so haben. Strafe habe ich, soviel ich<br />
mich erinnere, nur 2 mal erhalten, einmal weil ich in der Kirche beim<br />
Abendrosenkranz laut gelacht u. einmal weil ich und andere Mitschülerinnen<br />
einem Kachelwagen zu lange Aufmerksamkeit schenkten und deswegen<br />
einige Minuten zu spät in die Schule kamen. Für Beides wurden wir vom<br />
Lehrer verurteilt einige Minuten auf dem Boden zu knien. (Siehe Seite 46,<br />
47, 48.).
- 7 -<br />
Auch die schönste Lebenszeit verläuft nicht ohne grössere od. kleinere<br />
Leiden u. Widerwärtigkeiten. Solches erfuhr auch ich während der mir so<br />
lieben Schulzeit. Das Lernen ging mir leicht u. machte mir Freude. Manches<br />
lernte ich mühelos u. gleichsam spielend, so das Rechnen u. das<br />
Auswendiglernen. Ich erhielt oft Lob vom Lehrer. Das erweckte in den<br />
obern Klassen manchmal<br />
Seite 8:<br />
Neid, besonders bei zwei Klassenmitschüler, Nachbarskinder. Sie lernten<br />
ungern, begriffen schwer, benahmen sich aber anmassend, grob u. stolz. Sie<br />
waren auch gross u. stark gewachsen u. ihrer Kraft wohl bewusst. Ihre<br />
Mutter hatten sie ganz früh verloren u. der Vater, sonst ein braver Mann, war<br />
über den Tod seiner heissgeliebten Frau etwas menschenscheu geworden u.<br />
so lebten diese Kinder allein mit ihrem Vater, der sie wohl nie zurechtwies.<br />
Es ärgerte sie, wenn ich gelobt wurde. Wenn gar der Lehrer hie u. da die<br />
Unklugheit beging meine Antworten ihnen als Beispiel vorzustellen, um sie<br />
zu beschämen, dann weh mir auf dem Heimwege., wenn ich nicht zu<br />
entwischen kam. Sie riefen mir Schimpfnamen, rissen mich an den Zöpfen u.<br />
schlugen hie u. da tapfer auf mich los mit den Worten: wenn du es dem<br />
Lehrer sagst, bekommst du das nächste mal mehr. Ich merkte mir das. Nie<br />
habe ich sie beim Lehrer verklagt, ja nicht einmal bei meiner Mutter, um sie<br />
nicht zu betrüben und meine <strong>Schwester</strong>, die es hie u. da gesehen, bat ich<br />
hierüber zu schweigen. Ja oft verschwieg ich beim Kopfrechnen u. auch<br />
andern Fächern dem Lehrer die richtige Antwort, um die bösen Kinder nicht<br />
zu reizen. Geweint aber habe ich deswegen nie mehr, denn ich war schon zu<br />
stolz dazu u. mochte es denen meinen Feinden nicht zu liebe tun.<br />
Seite 9: In der obersten Klasse waren wir die zwei letzten Schuljahre nur 8 Schüler, 3<br />
Mädchen und 5 Knaben. Ich hatte meinen Platz stets neben Marie Krättli,<br />
der spätern Mutter der beiden Kapuziner Pater Vitus u. P. Leonhard Gadient.<br />
Wir waren stets gut freund und wetteiferten im Lernen. Unser Pensum hatten<br />
wir stets leicht u. schnell gelöst u. so mussten wir warten bis die langsamen<br />
Knaben fertig hatten. Hie u. da hatten wir Mitleid mit ihnen u. gaben ihnen<br />
unsere Arbeit zum Abschreiben. Der Lehrer konnte nicht überall<br />
nachkommen, er hatte zu viele Klassen, u. so drückte er denn wohl<br />
manchmal die Augen zu. Ach wie viel Zeit haben wir 2 Mädchen auf der<br />
Schulbank tot geschlagen, weil wir keine richtige Beschäftigung hatten. Der
- 8 -<br />
Lehrer hiess uns oft im Schulbuch still zu lesen, aber das behagte uns nicht.<br />
Wir hatten nur ein einziges Schulbuch zur Benützung, zwar ein grosses,<br />
dickes, aber vieles verstanden wir nicht u. das meiste lies uns kalt, ich glaube<br />
wir Kinder fühlten schon heraus,<br />
Seite 10:<br />
Seite 11:<br />
zu unserm Nutzen, dass es so ziemlich religionslos war. Biblische<br />
Geschichte wurde damals in der Schule nicht gelehrt u. Katechismus nur<br />
durch den P. Pfarrer u. den P. Helfer erteilt. So suchten wir uns denn<br />
irgendwie zu beschäftigen u. zu unterhalten. Wir suchten nach Bildern und<br />
Büchern. (Sie gehörten einem Sängerverein u. wurden wohl selten benutzt.<br />
Wir legten sie aber stets wieder an ihren Ort). Auf einem alten Büchergestell<br />
in einem Winkel des Schulzimmers fanden wir alte, abgenutzte<br />
Schillerbücher. Wir nahmen sie uns unter die Schulbank, lernten Verse<br />
auswendig u. recitierten sie einander vor. Manchen ist mir im Gedächnis<br />
geblieben bis heute. Am besten aber gefiel uns der "Tell". Das war für uns<br />
köstlich. Eines Tages brachte Marie <strong>von</strong> Hause "Schneewittchen" mit u. ich<br />
den "Hansjörg", ebenfalls eine köstliche Unterhaltung für uns. Ich wusste<br />
viele Geschichten zu erzählen. Längst hatte ich alle Winkel unseres Hauses<br />
durchstöbert nach Büchern u. Geschichten gesucht. Glücklicherweise nichts<br />
als Gutes gefunden. Es fanden sich mehrere Bände v. Christof Schmid u. a.<br />
Besonders aber hatte es mir die grosse Bibel angetan, die im Wohnzimmer<br />
auf einem hohen Gestell ihren Platz hatte.<br />
Es war aber uns Kinder verboten, sie herunter zu nehmen. Sie war so gross<br />
u. so schwer u. schon so alt, u. hatte so mürbes Papier. Aber ich wusste sie<br />
doch zu bekommen. (Nur im Winter, wenn es sehr kalt war. Sonst wurde das<br />
Haus während dem Hochamt gewöhnlich geschlossen u. wir gingen alle zur<br />
Kirche. Die Kleinste mit der Mutter). Wenn die Mutter ins Hochamt ging,<br />
musste ich hie u. da hüten u. unter dem Fleischtopf das Feuer scheuern. Da<br />
erbat ich mir denn als Belohnung die grosse Bibel herunternehmen zu<br />
dürfen, u. sie erlaubte es mir. Es waren auch viele Bilder darin. Da las ich<br />
denn so eifrig, dass ich das feuern vergass, bis ich die Mutter heimkommen<br />
hörte. Dann lief ich der Küche zu. Sie aber schalt mich, nicht. Ueberhaupt<br />
sah die Mutter sehr gerne, wenn wir Kinder lern- u. wissbegierig waren, u.<br />
sie bedauerte es oft, dass im Dorfe keine Gelegenheit war zu weiterer<br />
Ausbildung. Die Bibel aber blieb gewöhnlich einige Tage unten, aber vor<br />
dem Vater versteckt. Durch dieses Lesen eignete ich mir eine ziemliche
- 9 -<br />
Kenntnis des alten und neuen Testamentes an. Auch grosse, alte Bücher <strong>von</strong><br />
P. Martin Cochem u. v. Michael (?) Sintzel waren da u. ich las oft darin.<br />
(Siehe Seite 50). So wusste ich den Schulmädchen<br />
Seite 12:<br />
Seite 13:<br />
viele schönes u. frommes zu erzählen u. auch vieles aus der biblischen<br />
Geschichte u. der Heiligenlegende. Mit grossem Intresse u. andächtig hörten<br />
sie mir zu, wenn ich ihnen <strong>von</strong> den Leiden der armen Seelen erzählte, wie<br />
sie P. Martin Cochem schildert. u. wie diese sogar <strong>von</strong> Teufeln der Hölle<br />
geplagt werden. Auch alle Gebetbücher im Hause wurden durchgeschaut.<br />
Eines gefiel mir besonders, die "Geistliche Blumenlese des hl. Alphons v.<br />
Liguori" v. Anton Merk, Pfarrer, 1858. Es war eine der ersten schönen u.<br />
grössern Ausgaben. Ich nahm es für mich, benützte es fleissig u. zog viel<br />
geistlichen Nutzen daraus. Die Methoden, die hl. Messe mit Nutzen<br />
anzuhören, übte ich bei der hl. Messe u. übe sie heute noch wie damals u.<br />
habe sie stets so geübt. Auch die Besuchungen des Allerheiligsten u. die<br />
Betrachtungen über das Leiden Christi u. über die Verehrung der seligsten<br />
Jungfrau gewann ich lieb u. übte sie fleissig. Das Buch aber besitze ich noch<br />
heute u. habe u. benütze es immer noch mit Vorliebe. Früher lernte ich<br />
manches daraus auswendig, worüber ich jetzt recht froh bin.<br />
Unsere Mutter schickte uns Kinder täglich zur hl. Messe u. abends zum<br />
Rosenkranz. Es wurde täglich ein Psalter, d.h. die drei Rosenkränze gebetet,<br />
ein Brauch aus alter Zeit, der aber heute nicht mehr besteht. Die P.<br />
Capuziner hielten auch öfter Stationen-Andacht mit dem Volk u. immer so,<br />
wie sie in Rom gebetet wird. Da ich immer dabei war, so lernte ich alle 14<br />
Stationen mühelos auswendig u. bete sie heute noch so. Im Alter ist man<br />
recht froh, wenn man viele Gebetsformeln weiss. Das Beten strengt dann<br />
weniger an. Vor der reformierten Kirche hatte ich eine Art abstossender<br />
Schrecken. Wir wohnten nahe dabei, aber niemals habe ich hineingeschaut.<br />
Es war uns auch <strong>von</strong> der Mutter verboten. Auch hielt sie uns vom Umgang<br />
mit protestantischen Kindern streng fern.<br />
O Gott ich danke Dir <strong>von</strong> ganzem Herzen u. kann Dir nicht genug danken,<br />
dass ich das Glück hatte in katolischer Familie geboren u. katolisch erzogen<br />
zu werden u. dass Du mir liebe, gute Eltern gegeben, die uns Kinder <strong>von</strong><br />
Seite 14:<br />
allem Bösen hüteten, wie ihre Augäpfel. Und ich danke Dir auch, dass Du<br />
mir liebe gute Geschwister gegeben. Auch danke ich Dir, mein lieben
- 10 -<br />
himmlischer Vater, dass du mich dreimal in grosser Todesgefahr so<br />
gnädiglich beschützt u. errettet hast. Ich war als 10 - 12 jähriges Mädchen<br />
einmal daran im Rhein zu ertrinken u. zweimal durch sehr hohen Sturz <strong>von</strong><br />
der obern Dorfbrücke in ein trockenes Bachbett zu Tode zu fallen.<br />
Seite 15:<br />
Seite 16:<br />
Seite 17:<br />
Die Zeit des Schulaustrittes war herangekommen u. der gestrenge Herr<br />
Schulinspektor, Pfarrer Gabriel, damals reformierter Pastor in Zizers, war<br />
gekommen uns zu prüfen auf unsere "Reife". Zu meinem Schrecken erhielt<br />
ich am Schlusse öffentliches Lob vom Hrn. Inspektor. Hoch klopfte mir das<br />
Herz aus Angst vor Plackereien auf dem Heimwege. Diesmal kam ich aber<br />
ungeschoren u. ohne "Prügel" nach Hause. Die Knaben waren wohl voller<br />
Freude, straflos u. für immer der Schule entronnen zu sein u. hielten das<br />
andere nicht mehr der Mühe wert. Auch war mein Vater als Schulrat<br />
anwesend gewesen. Als Genugtuung für die Knaben sei hier gesagt, dass sie<br />
mich <strong>von</strong> nun an in keiner Weise mehr belästigten. Obschon stillschweigend,<br />
haben wir doch bald einander ganz u. vollständig verziehen u. hielten gute<br />
Nachbarschaft. Aus den Knaben aber wurden später brave Männer u.<br />
achtbare Bürger.<br />
Mich selbst beschlich nach dem Examen eine eigene wehmütige Stimmung.<br />
Ich fühlte unbewusst, dass das Paradies meiner glücklichen Kindheit nun<br />
geschlossen u. dass meine glücklichste Lebenszeit abgelaufen. O welch<br />
schöne, sorglose Jugend verlebte ich im Kreise der lb. Meinigen. Das<br />
Wermutströpfchen das durch genannte Knaben etwa hineingeträufelt wurde,<br />
hatt nicht viel zu bedeuten u. war bald wieder vergessen. Der lb. Gott liess es<br />
als weiser Erzieher zu u. hatte wohl seine Absicht dabei. Es sollte bald<br />
anders werden.<br />
Am nächsten Tage war Examen in der Arbeitsschule. Der<br />
Handarbeitsunterricht wurde <strong>von</strong> einer tüchtigen Schneiderin, zwar<br />
Protestantin, aber braven Frau, gegeben, jeden Samstag Nachmittag,<br />
während die Knaben frei hatten. Wir hatten Strümpfe, Hemden, Röcke, ja<br />
selbst Hosen für unsere Brüder gefertigt u. ausgestellt u. zwar alles mit der<br />
Hand genäht, denn <strong>von</strong> einer Nähmaschine wussten wir noch nichts. Wir<br />
erhielten grosses Lob für unsere praktischen Leistungen. Inspektor war P.<br />
Joh. Paul, Superior, u. er war begleitet <strong>von</strong> P. Amanz, Sup. in Mastrils. Und<br />
nachdem sie uns alle mit Lob überschüttet, trieben sie verschiedenen Scherz
- 11 -<br />
mit uns. Am Schlusse prophezeite P. J. Paul scherzhaft, was aus jeder<br />
werden würde. Als die Reihe an mich kam, sagte er: und das gibt eine<br />
Klosterfrau. Da lachten alle laut auf. Ich aber wurde rot im Gesichte u. hatte<br />
Mühe meinen Schrecken u. meine Unmut zu verbergen. Klosterfrauen<br />
kannte ich nur auf Heiligenbildchen u. eine lebende hatte ich noch nie<br />
gesehen. Auf dein Heimwege nannten mich<br />
Seite 18:<br />
Seite 19:<br />
die andern Mädchen spottweise "Klosterfrau". Ich kam verdrossen nach<br />
Hause u. verbarg mich in meinem Kämmerlein, bis ich mich wieder selbst<br />
getröstet hatte. Von diesem Tage an hatte ich den P. J. P. Superior nicht<br />
mehr so lieb wie vorher. Ich wich ihm aus, wo ich konnte u. wo möglich<br />
hütete ich mich beim Pfarrhause vorbeizugehen. In grösster Verlegenheit<br />
war ich, wenn mich die Mutter mit Milch od. Butter ins Pfarrhaus schickte.<br />
Ich gab die Sache nur schnell in der Küche an die Köchin ab u. während sie<br />
hinging den P. Superior zu rufen, stob ich schon die Stiege hinab u. zur Türe<br />
hinaus, ohne auf das Bildchen zu warten. Ja als der gute P. Superior nach<br />
ungefähr einem Jahre versetzt wurde, freute ich mich heimlich im Herzen, in<br />
der Hoffnung nun auch seine "Prophezeiung" gänzlich vergessen zu können<br />
u. nie mehr daran erinnert zu werden. Doch ich hatte mich getäuscht. -<br />
Nach Schulentlassung schickte mich die Mutter sechs Monate lang zu<br />
genannter Arbeitslehrerin, Frau Päder. Zum essen u. schlafen aber kam ich<br />
stets nach Hause, denn es war nicht weit entfernt. Die Frau galt als tüchtige<br />
Schneiderin u. ich sollte mich in der Anfertigung gewöhnlicher, einfacher<br />
Kleidungsstücke u. Lingen gut ausbilden. Die Frau war eine protestantische<br />
Prätigauerin, der Mann ein katolischer Untervazerbürger. (aber ein lauer<br />
Katolik. Er hatte seine Jugend im Prättigau in ganz protestantischer<br />
Umgebung zugebracht). Sie hatten drei kleine Knaben, die zwei ältern waren<br />
Zwillinge u. bald schulpflichtig. Aber nie habe ich gesehen, dass mit ihnen<br />
gebetet oder ein katolisches Zeichen gemacht wurde. Auf mein Befremden<br />
hierüber sagte die Frau: Ich fürchte mich mehr am Katolischen zu verderben<br />
als zu nützen, freue mich aber sehr, dass meine Kinder sollen katolisch<br />
unterrichtet u. erzogen werden u. ich habe immer eine innere Freude, wenn<br />
ich einen Kapuziner sehe". Ich lehrte die Knaben das hl. Kreuzzeichen<br />
machen u. das Vaterunser u. das Ave Maria beten u. einige kleinere Verslein<br />
zum hl. Schutzengel. Später vernahm ich, dass die Frau ihre Kinder<br />
musterhaft
- 12 -<br />
Seite 20:<br />
Seite 21:<br />
zum Gottesdienst u. zum Religionsunterricht schickte u. dann auch später<br />
viel Freude an ihren Söhnen erlebte. Das Wort Klosterfrau bedeutete nun für<br />
mich Kreuz u. Kampf vom Augenblicke an, da es der P. Superior zu mir<br />
gesprochen. Der Gedanke, du musst ins Kloster gehen, wenn du in den<br />
Himmel kommen willst, verliess mich nicht mehr ganz. Auch mitten in<br />
Vergnügungen mit meinen Freundinnen kam er mir in den Sinn u. tauchte<br />
hie u. da so heftig auf, dass ich mich unbemerkt da<strong>von</strong> machte u. heim lief,<br />
mich in mein Kämmerlein verschloss u. dort auf die Knie warf u. weinte.<br />
Der Gedanke meine lieben Eltern u. Geschwister verlassen zu müssen war<br />
mir entsetzlich u. schien mir unausführbar. Doch je heftiger ich dagegen<br />
kämpfte, desto heftiger trat er auf u. verfolgte mich bei Tag u. Nacht, so dass<br />
meine Gesundheit darunter litt. Ich verriet aber keinem Menschen meine<br />
Seelennot, nicht einmal der Mutter u. wenn sie mich fragte, ob mir etwas<br />
fehle, gab ich verneinende oder ausweichende Antwort.<br />
So war schon wieder ein recht bitterer Wehrmutstropfen in meine sonst so<br />
glückliche Jugendzeit gefallen. Nun fing ich an recht innig u. vertrauensvoll<br />
zu beten. Den Tag über begab ich mich hie u. da allein in die Kirche vor das<br />
Allerheiligste. In meiner Not flehte ich auch voll Vertrauen zur allerseligsten<br />
Jungfrau Maria, sie möge mir diesen Klostergedanken wegnehmen, oder<br />
aber Mittel u. Wege u. Kraft geben ihn auszuführen. Und sie erhörte mich.<br />
Bald kehrte Ruhe u. Friede ein in mein armes Herz, das wohl 2 Jahre so hart<br />
gekämpft hatte.<br />
Im Jahre 1866 wurde in Untervaz ein neues Schulhaus gebaut u. drei<br />
katolische Schulen eingerichtet. Im Herbst 1867 wurde <strong>von</strong> der<br />
Schulbehörde eine <strong>Schwester</strong> <strong>von</strong> Ingenbohl berufen für die zwei ersten<br />
Classen u. für die Arbeitsschule. Wohlerwürdige Frau Mutter Theresia<br />
Scherer sandte <strong>Schwester</strong> Juliana Fischer. Es war eine leibliche ältere<br />
<strong>Schwester</strong> <strong>von</strong> Schw. Concordia Fischer, der spätem Provinzoberin <strong>von</strong><br />
Steiermark. Nun sah ich zum erstenmal eine Klosterfrau u. fasste sie scharf<br />
ins Auge u. freute mich.<br />
Seite 22:<br />
Ich bemerke hier, dass genannte <strong>Schwester</strong> schon nach 1½ Jahren<br />
zurückberufen wurde. Sie wurde durch keine andere ersetzt. Missliches<br />
Verhältnis zwischen den Patres u. der <strong>Schwester</strong> war schuld daran. Die<br />
Abberufung geschah durch Hochw. Pat. Anizet Regli, welcher damals
- 13 -<br />
Superior unserer Congregation u. zugleich Provinzial der schweiz.<br />
Capuzinerprovinz war. Ich hörte dies <strong>von</strong> ihm selbst. Meine erste Profess<br />
legte ich in die Hand dieses Paters ab. Nebst andern Verwandten war dabei<br />
auch mein sel. Vater anwesend. Beim Mittagessen wandte sich der Peter<br />
Anizet zu meinem Vater in sagte: "Nicht wahr, da oben habe ich aufgeräumt.<br />
Ich dachte ich wolle gerade beide nehmen, die <strong>Schwester</strong> u. den P. Superior<br />
Remigius, ich erwische dann den rechten. Und den P. Helfer werde ich auch<br />
bald durch einen andern ersetzen." Mein Vater nickte mit dein Kopfe, ohne<br />
ein Wort hierauf zu erwiedern. Er erschien mir wie traurig u. nicht geneigt,<br />
dies Thema fortzusetzen. Im Laufe des Nach mittags fragte ich den Vater,<br />
was es denn gegeben habe u. er antwortete mir: "ach sie haben eben einander<br />
nicht verstanden", u. ich fragte nicht weiter.<br />
Seite 23:<br />
Bei meinen folgenden Exerzitien, also im nächsten Jahre, sagte die selige<br />
Mutter Theresia zu mir: Hören Sie, mir ist es recht leid, dass es in Untervaz<br />
so gegangen ist mit der Lehrschwester. (wäre ich zu Hause gewesen, das<br />
wäre nicht geschehen).<br />
Ich war damals gerade längere Zeit abwesend in Böhmen. Es wäre mir lieb,<br />
wenn sie gelegentlich sich zu Hause auf kluge Weise erkundigen könnten.<br />
Ich würde näml. diese Schule wieder gerne übernehmen u. würde eine od.<br />
zwei <strong>Schwester</strong>n geben.<br />
Dem Wunsche der lb. sl. Mutter bin ich gerne u. bald nachgekommen u.<br />
habe es wiederholt getan, aber nichts erreicht. Schliesslich sagte mir mein<br />
Vater da ist voraussichtlich für lange Zelt nichts zu machen. Und so war es<br />
auch und ist es wohl heute noch heute<br />
Ich fasste sogleich den Mut mich meiner Mutter zu eröffnen u. ihr meinen<br />
Herzenswunsch, in ein Kloster zu gehen, mitzuteilen. Jedoch stellte ich mir<br />
nur ein geschlossenes Kloster vor. Es kam dies wohl daher, dass ich in<br />
Büchern schon über das Klosterleben gelesen hatte. Die liebe Mutter<br />
verstand mich schnell u. sagte, sie wolle mir nicht vor meinem Glücke<br />
stehen. Jedoch solle ich es wohl überlegen u. mich mit Pater Helfer (P.<br />
Moritz Steiner) beraten. Auch wollte sie lieber, ich würde nach Ingenbohl<br />
gehen, ich könnte dann auch so eine Lehrerin werden, wie Schw. Juliana<br />
eine sei. Sie könne es fast nicht übers Herz bringen zu wissen, dass ich<br />
eingeschlossen wäre u. nie mehr zu ihr kommen dürfte u. in der Nähe sei
- 14 -<br />
kein geschlossenes Kloster. Auch könne ich <strong>von</strong> Ingenbohl leichter wieder<br />
zurück, wenn es mir nicht gut gehe. Ihr Wunsch war mir Befehl u. Wink<br />
vom lb. Gott, zumal ich vorher im Unklaren war, wohin ich gehen wolle.<br />
Der Vater teilte auch die Meinung der Mutter u. so war die Sache bald in<br />
Ordnung. Hochw. P. Moritz, damaliger Pfarrhelfer, besorgte die<br />
Eintrittsbewilligung, die schon nach ein paar Tagen <strong>von</strong> Frau Mutter<br />
Theresia Scherer eintraf. Nun drängte es mich förmlich, recht bald<br />
fortzukommen, denn ich fühlte, es müsse schnell gehen. Mein Entschluss<br />
war so fest, dass ich dachte, lieber wollte ich mein Leben einbüssen, als<br />
wieder zurückkehren u. nochmals diesen Kampf durchmachen, Ich schaute<br />
weder rechts noch links und niemand, als Eltern u. Geschwister, durften <strong>von</strong><br />
meinem Entschlusse etwas wissen, bis am letzten Tage, da ich auch den<br />
nächsten Verwandten Lebewohl sagte. Und am Tage vor der Abreise musste<br />
ich auch zu P. Remigius, Superior, gehen u. Tauf u. Firmzeugnis holen. Er<br />
wurde ganz heftig u. riet zögernd: "Was, warum denn ins Kloster? und wenn<br />
du doch willst, warum denn nicht nach Stans? Nie würde ich einer raten<br />
nach Ingenbohl zu gehen, geh doch nach Stans"<br />
Beilage zu Seite 25, I. Heft<br />
Das Institut Ingenbohl ist jetzt sehr unsicher, sagte er. Es steht auf<br />
wackeligen Beinen. Es ist schrecklich mit Schulden überhäuft. Sie seien<br />
unübersteiglich, ja unglaublich. Die Frau Mutter Theresia ist ein stolzes,<br />
hartes Weib. Viele <strong>Schwester</strong>n sind sehr unzufrieden. Auch meine Köchin<br />
da war eine solche <strong>Schwester</strong>. Sie hiess Schw. Marie. Die solltest du hören.<br />
Die ist nicht umsonst ausgetreten. Lass nur diese Frau Mutter sterben u. alles<br />
wird auseinander gehen, so wie es bei den Brüdern gegangen ist.<br />
Diese Worte machten aber nicht den geringsten Eindruck auf mich. Letzteres<br />
verstand ich nicht, denn <strong>von</strong> einer Stiftung für Brüder hatte ich nie etwas<br />
gehört.<br />
Mit der Köchin des Paters habe ich nie ein Wort geredet, denn sie war erst<br />
vor kurzer Zeit angekommen, u. obige Worte des Paters teilte ich keinem<br />
Menschen mit. Auch zu Hause verriet ich mit keiner Miene, was ich <strong>von</strong><br />
Pater gehört, ich glaube aus Furcht, man würde mich sonst nicht ziehen<br />
lassen.
- 15 -<br />
Ich bemerke hier, dass Pater Remigius ein guter Pfarrer u. eifriger Seelsorger<br />
war u. auch ein sehr guter Kanzelredner u. bei den Leuten beliebt. Ohne<br />
Zweifel meinte er es auch gut mit mir. Auch diese Köchin Marie habe ein<br />
gutes Beispiel gegeben.<br />
Dies machte aber nicht den geringsten Eindruck auf mich u. ich beharrte auf<br />
meinem Willen. Erst in spätem Jahren kam es mir ein oder andermal in den<br />
Sinn. Am frühen Morgen des 23. Mai 1868 nahm ich Abschied <strong>von</strong> allen<br />
meinen Lieben u. <strong>von</strong> allem, was mir teuer war auf Erden, ohne Tränen zu<br />
vergiessen. Mein Schmerz war zu<br />
Seite 26:<br />
gross. Ich war wie in einem Taumel u. so war ich auch noch wochenlang in<br />
Ingenbohl.<br />
Mein Onkel Wolfgang Wolf, (der Bruder meiner Mutter den wir alle sehr<br />
liebten, starb in hohem Alter als frommer sittenreiner Jüngling u. Götti. Er<br />
war der Liebling der Capuziner.), begleitete mich bis Einsiedeln. Da kehrten<br />
wir im Hotel Sonne ein. Am Abend unterhielt sich mein Onkel mit dem<br />
Wirte und mit einem anwesenden Gaste u. als letzterer mein Reiseziel<br />
erfuhr, redete er recht Nachteiliges über das Institut Ingenbohl, so dass der<br />
Onkel nachher zu mir sagte: Komm du lieber wieder mit mir heim. Doch<br />
dies alles liess mich gänzlich unberührt. Ich war innerlich froh den<br />
Abschied, das Schwerste, wie ich meinte, überwunden zu haben u. nichts in<br />
der Welt hätte meinen Entschluss wankend machen können. Mein Sehnen<br />
ging nur dahin, recht bald am Ziele zu sein.<br />
Es trug sich zu, dass gerade die Pilger der Landes-Wallfahrt aus<br />
Unterwalden anwesend waren u. Nachmittag zwei Uhr ihre Rückreise<br />
antraten. Es war in der Pfingstwoche. Da entschloss ich mich den Weg nach<br />
Ingenbohl betend, zu Fuss mit diesem Pilgerzug zu machen. Mein Onkel<br />
äusserte Bedenken u. meinte, es sei für mich zu schwer, da wir am Tage<br />
vorher auch den Weg<br />
Seite 27:<br />
<strong>von</strong> Rapperswil über den Etzel bis Einsiedeln zu Fuss gemacht hatten. Ich<br />
aber beharrte auf meinem Willen u. sagte: "Gebetet habe ich jetzt viel zur<br />
lieben Mutter Gottes, nun will ich ihr noch ein Opfer bringen". Da wurde<br />
mein Onkel traurig, nahm mir alles Gepäck aus der Hand u. besorgte es zur<br />
Post. Dann nahm er Abschied <strong>von</strong> mir mit den Worten: "Wenn es dir nicht<br />
gefällt, so komm wieder heim, hast du es gehört" Ich antwortete nicht mehr,
- 16 -<br />
denn die Pilger waren schon am abreisen. Die Sonne brannte recht heiss. Ich<br />
betete mit den Leuten den Rosenkranz u. gegen den Abend kam ich müde u.<br />
in Schweiss gebadet an der Klosterpforte an. Nach einigen Minuten erschien<br />
die Wohlerwürdige Frau Mutter Theresia Scherer (Sogleich rief sie aus: So<br />
ist es den wirklich möglich, hat nun doch einmal eine gewagt, <strong>von</strong> da oben<br />
da herunter zu kommen.) empfing mich recht freundlich u. nach einigen<br />
Fragen führte sie mich ins Noviziat zur Novizenmeisterin <strong>Schwester</strong><br />
Hyazintha.<br />
Da war ich nun einige Wochen in einer eigenen Seelenverfassung. Ich<br />
machte alles genau mit, aber wie mechanisch, ohne darüber nachzudenken.<br />
Ich litt schwer an Heimweh nach den Eltern u. Geschwistern, hatte aber<br />
zugleich den Trost <strong>von</strong> der innern Mahnung und Drohung<br />
Seite 28:<br />
Seite 29:<br />
befreit zu sein u. den schwersten Schritt, das Verlassen <strong>von</strong> allem, was mir<br />
lieb u. teuer war, hinter mir zu haben. Ich fühlte mich hierüber glücklich u.<br />
wie <strong>von</strong> einer schweren Last befreit. Nach vier Wochen erhielt ich eine<br />
Pelerine u. durfte dann die Schule besuchen, d.h. zwei Stunden vormittags u.<br />
zwei Stunden nachmittags. In der Zwischenzeit mussten wir Kandidatinen<br />
die Hausarbeiten verrichten u. hatten viel zu tun. Längere Zeit hatte ich den<br />
ganzen 2.ten Stock zu kehren u. das Zimmer der Novizenmeisterin. Auch bei<br />
der Wäsche mussten wir Schülerinnen helfen. Jgf. Mossmann (Sr.<br />
Constantina) u. ich haben längere Zeit am Rain unten in einer Hütte mit aller<br />
Kraftanstrengung das grosse Rad gedreht, wodurch das Wasser in die<br />
Waschküche geleitet wurde. (Siehe Seite 53a ) Ich war auch zeitweilig<br />
Tischdeckerin. Das Trinkwasser zum Mittag u. Nachtessen musste ich am<br />
Bache unten holen. Einst kehrte ich mit gefüllter Flasche zurück. Da öffnete<br />
der alte Kaplan Ulrich sein Fenster u. rief: "Maiteli, chum bring mir au a<br />
Glas frisches Wasser". Ich tat als ob ich nichts gehört u. lief so schnell ich<br />
konnte der Kloster-<br />
Pforte zu u. verschwand.<br />
Wir Schülerinnen gingen gerne zur Wäsche, den wir erhielten eine gute<br />
Suppe um 9. Uhr. An den andern Tagen aber gab es kein "Znüni". Jedoch<br />
erhielten wir am Morgen zum Caffee ein grosses Stück sehr gutes Brod,<br />
welches <strong>von</strong> der guten <strong>Schwester</strong> Agatha wöchentlich 2 mal eigenhändig im<br />
grossen Ofen (der grosse Kachelofen stand im Refektorium, Siehe Seite 52)
- 17 -<br />
gebacken wurde. Das schmeckte uns sehr gut, u. hie u. da hatten wir noch<br />
einen Rest da<strong>von</strong>, um es in die Tasche zu stecken u. um 9 Uhr zu essen. Es<br />
war uns dies gestattet. Ein halbes Jahr lang, hatte ich das Zimmer der<br />
Novizenmeisterin zu kehren. Sie sagte mir einst: "Ich lasse ihnen dies<br />
Aemtchen so lange, damit sie die zu grosse Scheu vor mir ablegen". Ich<br />
wusste aber gar nicht, dass ich Scheu vor ihr hatte. Unsere Lehrerin war<br />
Schw. Concordia Fischer. Die lb. Schw. Novizenmeisterin Hyazintha wurde<br />
bald nach meinem Eintritte nach Andermatt versetzt u. dann war Schw.<br />
Concordia zugleich unsere Novizenmeisterin u. Lehrerin. Ich ging gerne zur<br />
Schule u. das Lernen machte mir viele Freude. Es ging mir leicht. Schw.<br />
Concordia<br />
Seite 30:<br />
Seite 31:<br />
war eine tüchtige Lehrerin. Sie wunderte sich, dass ich so gut rechnen könne<br />
u. Geschichte u. Geographie kenne. Ich verstand das ganze Dezimalsystem<br />
u. löste alle Aufgaben im 7. Heft v. Reinhard ohne Anstand. Auch<br />
Quadratwurzel ausziehen konnte ich. Und als ich verneinen musste eine<br />
Sekundar- od. höhere Schule besucht zu haben, zeigte sie mir ihr Erstaunen<br />
u. konnte es fast nicht glauben. Ein sehr tüchtiger Lehrer hatte in der<br />
Primarschule das alles mit uns durchgenommen, was damals nicht überall<br />
üblich war. Hausgeistlicher war damals Hochw. Hr. Carl Berlage, ein etwas<br />
strenger Lehrer. Er erteilte uns Religionsunterricht, Pädagogik u. allgemeine<br />
Geschichte. Doch beglückte er mich im Zeugnis für Religion mit der Note<br />
"sehr gut". Eine Frl. Therese Wittum, Badenserin, erteilte<br />
Schweizergeschichte u. Geographie. Hie u. da nannte sie mich scherzweise<br />
"Schweizergeschichte". u. auch der "Spartaner". Es war ein liebes, gutes<br />
Fräulein u. trat später in das Kloster der Ursulinen in Villingen. Ende Juli<br />
gab es Schulferien. Ich wurde gleich für 8 Tage nach Schwyz ins Collegium<br />
geschickt um in der Küche zu helfen u. als ich zurück war, gleich wieder<br />
nach Altdorf in die<br />
kantonale Strafanstalt (Jetzt aufgehoben). Da traf ich es sehr gut. Die lb.<br />
<strong>Schwester</strong> Anselma (Genannte Schw. Anselma galt als eine heiligmässige<br />
<strong>Schwester</strong>. Sie wurde später in die Provinz Baden versetzt und starb in<br />
Hegne ) war allein u. ich sollte ihr Gesellschaft leisten. Die liebste Mutter<br />
hätte nicht besser gegen mich sein können. Die Sträflinge bekam ich nie zu<br />
sehen. Arbeiten durfte ich nicht, als etwa nach Belieben etwas Wäsche<br />
zeichnen. Jeden Morgen schickte sie mich in eine andere Kirche zur hl.
- 18 -<br />
Messe, nachdem sie mir ein kräftiges Frühstück gegeben hatte, auch in die<br />
Nachbardörfer. Sie erklärte mir die Gegend und ermahnte mich alles recht<br />
anzuschauen u. auf dem Heimweg nicht zu pressieren. Ja selbst bis ins Rütli<br />
u. zur Tellsplatte schickte sie mich mit einer Begleiterin. Das alles wirkte<br />
sehr wohltätig auf mich u. es machte mir auch grosse Freude die<br />
geschichtlichen Orte zu sehen u. kennen zu lernen. Jetzt erst verlor ich, wie<br />
mit einem Schlage, das Heimweh. Als ich nach 10-12 Tagen ins Mutterhaus<br />
zurückkehrte, sagte mir bald die lb. <strong>Schwester</strong> Concordia, während sie in die<br />
Hände klatschte: "Ja was ist mit ihnen vorgegangen, sie sind ja eine ganz<br />
andere geworden, so heiter u. so fröhlich. Und es war so.<br />
Seite 32:<br />
Noch eine erlebte Freude berichte ich nachträglich. Einige Wochen nach<br />
meinem Eintritt wurde ich zur lieben Frau Mutter gerufen in ihr Zimmer.<br />
Dort befand sich der Hochw. Herr Direktor des Collegiums in Schwyz,<br />
Hochw. Herr C. Wolf. Er begrüsste mich freundlich als Untervazer-<br />
Mitbürgerin u. entfernte Verwandte. Ich durfte mit ihm u. mit der lieben<br />
Frau Mutter den Caffee trinken u. es war eine fröhliche halbe Stunde,<br />
gewürzt <strong>von</strong> Scherz u. Heiterkeit. Beide hatten es darauf abgesehen mich<br />
gehörig zu necken über verschiedene Untervazer Bräuche u. Geschichtlein u.<br />
sich an meiner Verlegenheit zu ergötzen.<br />
Bald nachher verreiste der Hochw. Herr Direktor Wolf nach Rom u. Neapel<br />
u. kehrte vor dort nicht mehr zurück. Der unerbittliche Tod hatte den<br />
kerngesunden, starken Mann auf der Reise hingerafft durch schweres Fieber.<br />
Vor seiner Abreise war er in Schwyz <strong>von</strong> seinem Bruder Josef besucht<br />
worden. Dieser kam auch bei mir vorbei in Ingenbohl u. brachte mir<br />
Geschenke <strong>von</strong> meiner Mutter u. war <strong>von</strong> ihr beauftragt, sich angelegentlich<br />
über mein Befinden, besonders auch über meine Gesundheit, zu erkundigen.<br />
"Weist Du", sagte er zu mir, "meine <strong>Schwester</strong> Philomene, die in Zug ins<br />
Kloster Maria Opferung getreten war, kam auch wieder heim u. war ganz<br />
krank. Darum hat deine Mutter so Angst. Auch hat jemand deiner Mutter<br />
gesagt, es seien meistens Schwäbinnen da, u. die seien "ruch". Komm doch<br />
wieder heim, auch meine Mutter sagt, du sollest wieder heim kommen". Ich<br />
lachte u. konnte ihm nur guten Bericht geben u. bat, ihn, meine Mutter zu<br />
beruhigen, es gehe mir ja gut. Genannte Frl. Philomena Wolf trat nach dem<br />
Tode ihrer Mutter in das Kloster Maria v. d. Engeln in Appenzell u. starb
- 19 -<br />
nach wenigen Jahren als <strong>Schwester</strong> Maria Veronika, geliebt u. tief betrauert<br />
<strong>von</strong> ihren Mitschwestern.<br />
Im Oktober, nachdem wir Theresientag gefeiert hatten, verreiste die<br />
Wohlehrw. liebe Frau Mutter für einige Zeit u. die liebe <strong>Schwester</strong><br />
Novizenmeisterin Concordia konnte wieder den Schulunterricht beginnen,<br />
was mich sehr freute.<br />
Seite 34:<br />
Seite 35:<br />
Bald war mir wieder eine Freude beschieden. Die lb. <strong>Schwester</strong> Concordia<br />
teilte mir mit, am Sonntag nach Allerseelen dürfe ich nach Maria Einsiedeln,<br />
es komme jemand <strong>von</strong> daheim dorthin. Der Tag kam u, man besorgte mir die<br />
Post für die Hin- u. Rückfahrt. Vor der Gnaden-Kapelle erblickte ich sofort<br />
meine liebe einzige <strong>Schwester</strong> Christina. Unter Freudentränen fielen wir uns<br />
in die Arme u. begrüssten uns mit herzlichem Kuss. Sie brachte mir gute<br />
Nachrichten <strong>von</strong> daheim, war aber auch sehr neugierig, wie es mir ergehe. u.<br />
brachte wieder das alte Lied, was man sage über die "ruchen" Schwäbinnen<br />
und komm heim, wenn es dir nicht gut geht. Ich lachte u. konnte ihr nur<br />
Gutes u. Liebes erzählen u. sie freute sich sehr darüber u. ganz getröstet<br />
nahmen wir am folgenden Tag Abschied <strong>von</strong> einander, sie nach Hause u. ich<br />
zurück nach Ingenbohl. In der Postkutsche sass ein älterer Herr u. zwei<br />
Fräulein, wie es schien seine Töchter. Sie hatten eine Wallfahrt nach Maria<br />
Einsiedeln gemacht. Diese Leute waren sehr lieb u. aufmerksam gegen mich,<br />
gaben mir verschiedene Krämli u. Einsiedler Schafböckli. Bald fingen sie an<br />
laut zu beten u. luden mich auch dazu ein. Zum erstenmal hörte ich den<br />
Engelsgruss "Gott grüsse dich Maria, O Maria ich grüsse dich<br />
dreiunddreissig tausendmal, wie dich der Erzengel Gabriel gegrüsst hat, etc.<br />
Es gefiel mir ausgezeichnet. Ich betete mit u. habe es im Gedächnis behalten<br />
bis heute u. bete es auch heute noch. Dann fingen sie an zu essen u. zu<br />
trinken u. nötigten mich mitzuhalten. Bevor ich ausstieg, sagte der Herr zu<br />
mir: "Beten sie für uns u. wenn sie dann den Schleier tragen, kommen sie<br />
nach Altdorf u. machen sie uns einen Besuch, wir wohnen in Altdorf". Ich<br />
nahm aber sehr wenig Notiz <strong>von</strong> der näher gegebenen Adresse u. habe sie<br />
vergessen.<br />
Recht bald nahte der Frühling 1869. Am 24. Mai desselben war es ein Jahr<br />
seit meinem Eintritt u. ich hoffte eingekleidet zu werden. Auf Ostern hatte es
- 20 -<br />
wieder Schulferien gegeben u. man schickte mich nochmals als Aushilfe u.<br />
diesmal nach Stans. Ins Kantonsspital. Die<br />
Seite 36:<br />
Seite 37:<br />
Oberin, Schw. Thomasina, war 8 Tage abwesend, u. so mussten Schw.<br />
Eulogia u. ich allein die Kranken besorgen, abwechselnd auch bei der Nacht.<br />
Besondere Mühe machten zwei schwerkranke Männer, der eine durch<br />
Schusswunde schwer verletzt, der andere mit schrecklichem Krebsgeschwür<br />
im Gesicht. Ersterm mussten fleissig Umschläge gemacht werden u. bei<br />
letzterm war die Krankheit im letzten Stadium u. bedurfte fleissiger<br />
Nachschau u. Pflege. Es waren strenge Nächte, aber ich fand auch vielen<br />
süssen Trost in der Hauskapelle, wo schon damals das Allerheiligste<br />
aufbewahrt wurde u. wohin ich mich <strong>von</strong> Zeit zu Zeit einige Stunden<br />
zurückziehen konnte. Der Krebskranke war ein grosser, stark gebauter Mann<br />
u. hiess N. Blättler. Eines Nachts hatte er sich im Bette etwas aufgerichtet u.<br />
ich wollte ihm die Kopfkissen zurecht schütteln. Plötzlich umarmte er mich<br />
mit rasender Kraft, drückte sein schreckliches Gesicht auf das meinige und<br />
hielt mich 2-3 Minuten so krampfhaft fest, dass ich nicht schreien konnte u.<br />
meinte erdrückt zu werden. Dann liess er mich los u. sank stöhnend zurück<br />
ins Bett. Ich lief zum Brunnen mein Gesicht zu waschen. Dann hörte ich den<br />
Kranken röcheln. Dann öffnete ich eine Spalte seiner Zimmertüre u. er kam<br />
mir vor, wie ein Sterbender. Schnell rief ich <strong>Schwester</strong> Eulogia herbei u. als<br />
wir zum Kranken kamen, lag er in den letzten Zügen u. hatte nach einigen<br />
Minuten ausgelitten. Diese Umarmung eines Sterbenden machte einen so<br />
erschütternden Eindruck auf mich u. noch heute erinnere ich mich lebhaft<br />
daran, sowie auch an die tröstlichen Augenblicke in der Hauskapelle des<br />
Spitals.<br />
Nach 8 Tagen kam die Oberin des Spitals wieder heim u. ich durfte nach<br />
Ingenbohl zurückkehren. Es war die Zeit, wo die <strong>Schwester</strong>n geistliche<br />
Exerzitien zu machen pflegen. Damals wurden sie in zwei Abteilungen im<br />
Frühling u. in zwei Abteilungen im Herbst abgehalten u. bei jeder Serie war<br />
auch die Einkleidung <strong>von</strong> Kandidatinen u. erste Profess <strong>von</strong> Novizinnen.<br />
Auch ich durfte nun zum ersten mal Exerzitien machen mit der zweiten<br />
Abteilung<br />
Seite 38:<br />
u. wurde eingekleidet den 27. April 1869. Wir waren fünf Kandidatinen, die<br />
zur Einkleidung zugelassen wurden. Hochw. Herr Berlage, Hausgeistlicher,
- 21 -<br />
funktionierte u. ich erhielt den Namen <strong>Cassilda</strong>. Die liebe <strong>Schwester</strong><br />
Concordia sagte mir nachher: Ich habe ihnen diesen Namen ausgesucht, weil<br />
er mir gefallen hat, die lb. Frau Mutter wollte ihnen einen andern geben. Mir<br />
wollte er eigentlich nur halb gefallen, weil ich so gar nichts aus ihrem Leben<br />
wusste u. auch nicht auf welchen Tage ihr Fest fiel. Ich hätte auch gerne<br />
meinen Namenstag gefeiert. Nach ein paar Jahren traf ich einst im<br />
Gastzimmer des alten Hauses mit Hochw. Herrn. Spiritual Bataglia u. lieben<br />
Ehrw. Frau Mutter Theresia zusammen. Sie stellte mich ihm vor und nannte<br />
meinen Namen. "Aha", rief er aus, "das ist eine spanische Heilige aus dem<br />
Bistum Toledo, kennen sie ihre Lebensgeschichte?" Ich musste verneinen,<br />
denn ich wusste gar nichts <strong>von</strong> ihr. "Warten Sie", sagte er u. entfernte sich.<br />
Nach einiger Zeit kehrte er zurück mit einem Böglein Papier, voll<br />
geschrieben mit den Hauptzügen aus dem Leben der hl. <strong>Cassilda</strong>,<br />
Seite 39:<br />
Seite 40:<br />
Tochter des Maurenkönigs Childerich Theoderich in Toledo u. mit Angabe<br />
ihrer Festfeier auf den 9. April. Dies machte mir Freude u. ich fing an die hl.<br />
<strong>Cassilda</strong> zu lieben, zu verehren u. anzurufen. Sie erhielt den Ehrenplatz<br />
neben meiner Taufpatronin, der hl. Barbara u. jeden Tag begrüsse ich sie u.<br />
bitte sie um ihre Fürbitte bei Gott. Später erhielt ich <strong>von</strong> Hochw. Hrn.<br />
Kaplan J. Brülhart in Uebersdorf ein Bändchen aus den Jugendschriften <strong>von</strong><br />
Lautenschlager zum Geschenk. Es enthält die Lebensgeschichte der hl.<br />
<strong>Cassilda</strong> in einem sehr schönen geschichtlichen Roman. (Leider ist es mir<br />
abhanden gekommen). Und nach einigen Jahren schenkte mir Frl. Marie<br />
Fégely de Vivis ein schöner Band Heiligenlegenden in französischer<br />
Sprache, in dem am 9. April das Leben der hl. <strong>Cassilda</strong> beschrieben ist.<br />
Dieses Buch schenkte ich meiner Nichte, welche meinen Namen <strong>Cassilda</strong><br />
<strong>Joos</strong> trägt. Ich kannte auch 2 italienische Kandidatinen unseres Institutes,<br />
welche den Taufnahmen <strong>Cassilda</strong> trugen. Man sagte mir, dass in Italien in<br />
einzelnen Provinzen die hl. <strong>Cassilda</strong> als Fürbitterin bei Kinder-Krankheiten,<br />
namentlich bei<br />
Masern u. Rotlauf, angerufen werde.<br />
Die lb. Schw. Oberin Concordia nannte diesen Namen öfter schön. Auch<br />
meinen Brüdern gefiel er u. zwei meiner Nichten u. eine Grossnichte tragen<br />
ihn. Bei seinem letzten Besuche in unserm Mutterhaus traf ich mit dem<br />
Hochwürdigsten Hr. Weihbischof Antonius Gisler zusammen. Als ich ihm
- 22 -<br />
meinen Namen genannt, sagte er "Sie haben einen schönen Namen". Ich war<br />
erstaunt u. erfreut zugleich, vergass aber nicht dessen Bedeutung zu fragen.<br />
Seite 41:<br />
Anhang.<br />
In spätern Jahren erzählte uns die Mutter u. auch der Vater Ueberlieferungen<br />
ihrer Eltern u. Grosseltern. So erzählte die Mutter: Die Wolf in Untervaz<br />
stammen aus dem Prättigau. Zur Zeit des Aufstandes im Prättigau u. seines<br />
Abfalles vom katolischen Glauben im 16. Jahrhundert seien sie geflohen u.<br />
haben sich in Untervaz niedergelassen u. eingebürgert, um dem katolischen<br />
Glauben treu bleiben zu können.<br />
Meine beiden Grossmütter stammten aus Mels. Ich habe keine gekannt u.<br />
auch die Grossväter nicht, d.h. an den Vater meiner Mutter, Caspar Wolf,<br />
kann ich mich dunkel erinnern. Der Grossvater väterlicherseits hiess Crispin<br />
<strong>Joos</strong> u. war verehelicht mit Barbara <strong>von</strong> Good aus Mels, einer ausgezeichnet<br />
frommen u. guten Frau.<br />
Damals (erzählt <strong>von</strong> meinem Vater) wurde in den Schweiz u. besonders auch<br />
im Bündnerland, viel für die französischen Könige geworben. Eines Tages<br />
nahm auch der Grossvater, C. <strong>Joos</strong>, Handgeld ohne Einwilligung seiner Frau<br />
u. ging in<br />
Seite 42:<br />
französische Dienste, die Frau mit drei kleinen Kindern zurücklassend. Sein<br />
Streben war Reichtum zu erwerben u. zu Ehren u. Ansehen zu gelangen u.<br />
dann, seiner Frau ebenbürtig, zu ihr zurückzukehren.<br />
Aber nicht lange, da brach die schreckliche französische Revolution aus.<br />
Tapfer kämpfte mein Grossvater mit seinen Kameraden u. teilte deren<br />
Schicksal. Er fiel auf der Bastille zu Paris u. schwer verwundet lag er unter<br />
einem Haufen Toter. Als am dritten Tage die Leichen der Helden<br />
weggeschafft wurden, war er noch am Leben u. konnte sich im Tumult<br />
entfernen u. in ein Versteck schleppen. Sobald es ihm möglich geworden,<br />
machte er sich mit zwei ebenfalls am Leben gebliebenen Kampfgenossen auf<br />
den Weg in die Heimat. Das war sehr gefährlich u. ging sehr schwer. Nur<br />
des nachts wagten sie sich auf den Weg. Bei Tage hielten sie sich stets<br />
irgendwo versteckt, oft in Wäldern u. zwischen Felsen. Unter unsäglichen<br />
Beschwerden machten sie den Weg <strong>von</strong> Paris zu Fuss in die Heimat, wo sie<br />
endlich bettelarm, halbverhungert, voll Ungeziefer, krank u. elend ankamen.
- 23 -<br />
Seite 43:<br />
Die traurigen Gerüchte aus Paris waren bald auch zu den Ohren seiner Frau,<br />
der armen Grossmutter, gelangt u. sie litt schwer darunter. In ihrer Not nahm<br />
sie Zuflucht zu Hochwürden Herrn N. Appert, der in Chur auf dem bischöfl.<br />
Hof lebte u. im Rufe der Heiligkeit stand. Sie erzählte ihm ihr Leid u. er<br />
tröstete sie mit der Versicherung, ihr Mann werde wieder zurückkehren.<br />
Doch immer schrecklicher lauteten die Berichte aus Frankreich u. dreimal<br />
begab sie sich zu Hochw. Herrn Appert, ihn um seine Gebetshülfe anflehend<br />
u. jedesmal versicherte er sie ganz bestimmt, ihr Mann werde lebend<br />
zurückkehren. - Und er sprach wahr. Auf die Fürbitte dieses Dieners Gottes<br />
tat Gott ein Einsehen u. wie durch ein Wunder gerettet, gab er der armen<br />
Frau den Mann wieder zurück. Unbeschreiblich war die Freude der guten<br />
Frau, den Gatten u. Vater ihrer Kinder wieder zu haben. Zufrieden lebte er<br />
dann noch mehr als zwanzig Jahre in seiner Familie als glücklicher Gatte u.<br />
Vater <strong>von</strong> 8 Kindern.<br />
Seite 44: Mein Vater, war das Jüngste u. einziger Sohn, wurde am Markustage 1803<br />
geboren u. die Grossmutter starb im hohen Alter <strong>von</strong> bereits 90 Jahren.<br />
Hochw. Herr Appert in Chur galt damals beim Volke in der Umgebung als<br />
heiliger Mann u. in den verschiedensten Nöten nahm man Zuflucht zu ihm.<br />
Sein Andenken ist auch heute noch nicht ganz erloschen.<br />
Trotz allem hatte der Grossvater sein Dienstbüchlein u. seine Ehrenzeichen<br />
für Tapferkeit gerettet u. unter seiner zerlumpten Kleidung mit in die Heimat<br />
gebracht. Unser sl. Vater zeigte uns Kindern diese "Kleinodien" mehrmals.<br />
Er hatte sie wohl verwahrt in seiner Koffer. Bei meiner ersten hl.<br />
Kommunion durfte ich ein solches Ehrenband tragen. Ich bemerkte auch bei<br />
meinem Vater hie u. da eine gewisse Sympathie für Frankreich. Offenbar ein<br />
Erbstück <strong>von</strong> seinem Vater. Letzteres ist jedoch in gutem Sinne zu<br />
verstehen.<br />
Mein Vater war ein ruhiger, frommer u. kluger Mann, der seiner Familie das<br />
schönste Tugendbeispiel gab. Siehe S. 49.<br />
Seite 45: Nachtrag zu S. 4.<br />
Als ich in der Pflegeanstalt Gnadenthal auf dem Bureau war, trat i. J. 1919<br />
der Sohn dieses Mannes, namens Johann Päder, als Pensionär in diese<br />
Anstalt ein (Durch Vermittlung meines Bruders, der sein Vormund war.). Er<br />
war wenige Jahre älter als ich. Seit der Primarschulzeit hatten wir uns nicht
- 24 -<br />
mehr gesehen u. doch erkannten wir uns wieder. Er war Protestant, wie seine<br />
ganze Familie u. als sittenreiner, braver Jüngling durchs Leben gegangen.<br />
Nun war er alt u. alleinstehend u. hatte sich (1) in die Anstalt Gnadenthal<br />
zurückgezogen. Bald liebten alle den guten, friedlichen Hans, der sich mit<br />
Vorliebe der ärmsten u. verlassensten Mit-Insassen annahm. Nach 2-3<br />
Jahren wurde er krank. Da wagte ich an ihn die Frage: "Hans, hast du noch<br />
nie gewünscht katolisch zu sterben?" Ja wohl <strong>von</strong> Herzen gerne würde ich<br />
katolisch sterben", antwortete er. Der Hausgeistliche fand bei ihm ein<br />
ausserordentlich günstiges Erdreich für die nähere Vorbereitung u. konnte<br />
ihn bald als Katolik in die Kirche aufnehmen u. reichte<br />
Siehe weiter Seite 181<br />
Seite 46: ihm die Sterbesakramente. Nach einigen Tagen starb er eines sanften u.<br />
seligen Todes u. wurde auf dem Anstaltsfriedhof begraben. Sein Vormund<br />
besorgte für ihn in Gnadenthal eine jährliche Stiftmesse.<br />
Zu Seite 7.<br />
Während der Sommerszeit durften wir Kinder hie u. da nach Mastrils zum<br />
hl. Antonius wallfahrten. Das war für uns stets eine Freude. Einst, es war am<br />
Feste des reinsten Herzens Maria, dem Bruderschaftsfeste "zur Bekehrung<br />
der Sünder", die in Mastrils errichtet ist, gingen meine <strong>Schwester</strong> u. ich mit<br />
einer Tante dorthin. Eine grosse Volksmenge hatte sich eingefunden,<br />
meistens aus dem St. Galler-Oberland. Die Predigt war im Freien u. wie ein<br />
Flüstern ging durch die Menge, P. Theodosius wird predigen. Durch das<br />
grosse Gedränge wurde ich <strong>von</strong> meiner Tante u. <strong>Schwester</strong> weggeschoben u.<br />
direkt vor die Kanzel des Predigers hingestellt. Und wirklich, es war P.<br />
Theodosius.<br />
Seite 47:<br />
Er predigte mit der ganzen Meisterschaft seines Geistes u. Wortes. Ach wie<br />
war mir da! Ich war zu jung um den Inhalt der Predigt ganz zu erfassen.<br />
Aber es kam mir vor, es gelte alles mir, er schaue beständig auf mich u.<br />
durchbohre mich gleichsam mit seinen Feueraugen, er streckte seine Arme<br />
gegen mich aus. Ich wollte entfliehen, aber ich konnte nicht, es war<br />
unmöglich den Platz zu wechseln, ich musste ausharren bis zum Schlusse u.<br />
ich fühlte mich nachher recht erschöpft. - Noch heute steht dies Bild <strong>von</strong> P.<br />
Theodosius ganz klar vor meinen Augen. Aber nur eine seiner Darstellungen<br />
(Nachahmungen) habe ich gesehen, die mir wirklich ganz gut schien. Es war
- 25 -<br />
im bischöflichen Hause in Chur.<br />
Von dieser Zeit an hatte ich ein eigenes Hochachtungsgefühl für diesen Pater<br />
u. fühlte gleichsam eine Art freudigen Schrecken, wenn ich seinen Namen<br />
nennen hörte.<br />
II.<br />
Seite 48: Im Februar 1865 drang die Kunde <strong>von</strong> dem so unerwarteten Tod des P.<br />
Theodosius auch nach Untervaz<br />
Ich erinnere mich, wie ich vom Fenster aus sah, wie Männer aus den<br />
Häusern traten, auf der Gasse zusammenstanden, eifrig einander erzählten u.<br />
gestikulierten. Es schien mir, sie teilten einander etwas Wichtiges mit u.<br />
meine <strong>Schwester</strong> sagte: da ist etwas los. Bald kam der Vater in die Stube u.<br />
ganz erregt teilte er der Mutter u. uns Kindern den Tod des P. Theodosius<br />
mit.<br />
Meine Mutter fing an zu weinen und unter schluchzen sagte sie: Ach, der<br />
arme Pater, bei solcher Kälte musste er so herumreisen. Gewiss haben ihm<br />
diese Kälte u. soviele Strapatzen den Tod gebracht. Und noch längere Zeit<br />
schluchzte sie. Wir Kinder aber mussten niederknien u. 5 Vaterunser beten,<br />
wie es bei Todesfällen katolischer Mitbürger in u. ausser dem Dorfe, damals<br />
bei uns Sitte war. Am andern Morgen wurde im Kirchturme mit allen<br />
Glocken für P. Theodosius geläutet. Er hatte sich vor einigen Jahren in<br />
Untervaz um den Neubau der katolischen Kirche verdient gemacht.<br />
Seite 49:<br />
Zu S. 44, I. Heft<br />
Eigentlich so recht unwillig gegen uns Kinder habe ich ihn nur einmal<br />
gesehen. An der Wand des Wohnzimmers hingen zwei grosse Bildertafeln,<br />
das gekrönte Haupt Christi u. als Gegenstück das Angesicht der<br />
schmerzhaften Mutter Gottes. Ringsum war das Leiden Christi u. seiner<br />
heiligsten Mutter dargestellt. Es waren schöne alte Holzschnitte. Ich habe<br />
gleiche Bilder in Freiburg u. im Pfarrhause in Oberiberg u. im Kloster<br />
Gnadenthal gesehen. Wir Kinder kletterten oft hinauf um alles auf diesen<br />
Bildern genau zu sehen, zu lesen u. zu betrachten. Der Vater duldete dies so<br />
ziemlich stillschweigend. An der andern Wand hing hoch oben ein Bild <strong>von</strong><br />
Ratsherr Josef Leu <strong>von</strong> Ebersol. Es schien fast neu zu sein. Längst<br />
wünschten wir zu wissen wer das sei. Eines Tages "häckelten" wir es
- 26 -<br />
herunter um "den Spruch zu lesen", doch glücklicherweise ohne es zu<br />
zerbrechen. Ich las "Josef Leu <strong>von</strong> Ebersol u.s.w. Da trat plötzlich der Vater<br />
zur Türe herein. O Weh, wie er da ungehalten wart Er drohte uns mit<br />
strenger Strafe, wenn wir das Bild nochmal herunter nehmen würden. "Das<br />
Bild gehört mir, sagte er,<br />
Seite 50:<br />
das braucht ihr nicht, rührt es nicht mehr an. Das ist ein guter Mann, den<br />
man ermordet hat." Und nun hatten wir sehr grossen Respekt u.<br />
Hochachtung vor diesem Bilde. Erst als wir etwas älter geworden, erzählte<br />
uns der Vater vom "Sonderbund" u. vom Ratsherr Josef Leu <strong>von</strong> Ebersol u.<br />
warum u. wie er ermordet worden. Die Bilder finden sich wahrscheinlich<br />
noch zu Hause.<br />
Zu Seite 11:<br />
An den Winterabenden musste ich öfter aus der Heiligenlegende oder aus<br />
der Nachfolge Christi vorlesen. Wenn aber der Vater sagte, die Nachfolge<br />
Christi sei nächst der Bibel das schönste Buch, so konnte ich das gar nicht<br />
glauben, wagte aber nicht meine Meinung zu äussern. Ich begriff die<br />
Nachfolge Christi noch nicht, die Legenden der Heiligen jedoch las ich sehr<br />
gerne u. verstand auch, was ich las. Ebenso auch P, Chochem u. M. Sintzel.<br />
Siehe Fortsetzung S. 54/a<br />
Seite 51/a: Zu Seite 6, I. Heft, Zeile 13.<br />
Trotz meines Eifers u. guten Willens hatte ich am ersten Tage schon "Pech".<br />
Es war vielleicht eine Vorbereitung auf das spätere Leben, das mir auch hie<br />
u. da ähnliches brachte.<br />
Am Tage des Schulanfang hatten die Knaben der Unterschule ihren neuen,<br />
jungen Lehrer, welcher vergass den Schlüssel der Schultüre wegzunehmen,<br />
eingesperrt u. waren da<strong>von</strong> geflohen. Ich hatte es zufällig gesehen u. als der<br />
Lehrer an der Türe rüttelte, machte ich sie mitleidig auf. Aber, o weh. Der<br />
mit Zorn erfüllte Lehrer riss mich in das Schulzimmer hinein u. sagte: "Zur<br />
Strafe bleibst du jetzt hier u. ich sperre dich ein". In meinem Schrecken<br />
entschuldigte ich mich nicht, sondern weinte u. schrie so laut, dass es wieder<br />
oben der Pater Superior hörte u. mir zu Hilfe kam. Er sah sofort klar, lachte<br />
den Lehrer aus u. sagte zu ihm: "Aber sehen sie denn nicht ein, dass das ein<br />
Streich der Buben ist". Sogleich erhielt ich die Freiheit. Am andern Tage<br />
verrieten sich die Täter selbst u. wurden bestraft. Es stellte sich
- 27 -<br />
Seite 52/a: zu Seite 6.<br />
heraus, dass die Knaben der Oberschule die Schüler der Unterschule<br />
geheissen hatten ihren Lehrer einzusperren u. da ihnen der Spass<br />
misslungen, zürnten sie mir u. fanden dann bei meinem Eintritt in die<br />
Oberschule Gelegenheit sich an mir zu rächen. (Das war meine Satisfaktion)<br />
Zu S. 29. Wir hatten stets gute, kräftige Kost als ich Kandidatin war. Ich weiss, die<br />
liebe selige Mutter Theresia hielt viel darauf. Am morgen hatten wir eine<br />
grosse Tasse Caffe u. genug gutes Brot, am Mittag täglich (Abstinenztage<br />
ausgenommen) kräftige Fleischbrühe u. ein Stück gutes, frisches Rindfleisch<br />
mit zwei kräftigen Gemüsen, gewöhnlich Reis oder Polenta mit Dörrbirnen<br />
od. Kastanien, oder auch Kartoffeln u. Apfelschnitz untereinander gemischt,<br />
hie u. da auch Gartengemüse. (Desserts u. Süssigkeiten gab es nicht, ausser<br />
etwa an Festtagen) Am Nachmittag erhielten wir Kaffe mit Brot u. am<br />
Abend stets Suppe, öfter geröstete Mehlsuppe, u. dreimal in der Woche<br />
gehacktes Fleisch od. Kutteln mit<br />
Seite 53/a: Kartoffeln in der Hülse, oder guter Käse mit Kartoffeln, oder Milch u.<br />
Polenta oder Griesbrei u. Kartoffeln. Brot war jedesmal genug vorhanden u.<br />
der Brotkorb mit geschnittenen, Stücklein ging zweimal um. Ich hörte nie<br />
über die Kost klagen u. es war auch keine Ursache dazu. Die gute sl.<br />
<strong>Schwester</strong> Angela, eine Walliserin, kochte uns stets gut, sorgfältig u.<br />
gewissenhaft.<br />
Während den achttägigen geistlichen Exerzitien gab es am Nachmittag<br />
keinen Kaffe.<br />
Zu Seite 28,<br />
Auch beim heuen u. beim Kartoffel einsammeln habe ich geholfen. Auf dem<br />
Platz, wo jetzt das Krankenhaus steht, bis hinauf zum Theresianum, hatte<br />
man einen Acker gemacht u. Kartoffeln gepflanzt. Man machte aber keine<br />
gute Erfahrung, denn die Ernte befriedigte nicht, weder durch Quantität noch<br />
durch Qualität. Schon nach zwei Jahren wurde nicht mehr angepflanzt.<br />
Seite 54/a: Zu Seite 50<br />
In der Fastenzeit betete der Vater mit uns Kindern am Abend den<br />
schmerzhaften Rosenkranz oder die Tagzeiten zur schmerzhaften Mutter<br />
Gottes. Er hatte letztere <strong>von</strong> seiner Mutter gelernt u. wusste sie ganz<br />
auswendig. Er betete vor, stets auf dem Boden kniend u. wir Kinder mussten
- 28 -<br />
antworten. Leider habe ich vieles da<strong>von</strong> vergessen u. nur noch einige Verse<br />
sind mir geblieben. Aber noch sehe ich den <strong>von</strong> schwerer Arbeit müden<br />
Vater, wie er demütig am Boden kniet u. mit gesenktem Haupte andächtig<br />
anhebt:<br />
Herr, tue auf meine Lefzen und Mund,<br />
Ich will dich loben aus Herzensgrund.<br />
Herr, eile mir zu helfen behend,<br />
Zu dir streck ich aus meine Händ.<br />
Und noch oft kamen mir diese Worte in den Sinn, wenn ich mich anschickte<br />
zum Offizium zu gehen. Und so auch ein Vers, der mir besonders gut gefiel:<br />
Mit drei Marien kommen wir<br />
Den Leib, O Herr, zu salben dir.<br />
Seite 55/a: Gib uns die Salb, gib Lieb u. Treu'<br />
Gib uns die Myrrhen wahrer Reu'.<br />
Ich erinnere mich auch, dass ich mich freute, wenn das Sacro Sancta anfing,<br />
denn wir Kinder waren schläfrig geworden. Diese schönen Tagzeiten<br />
standen in einem alten Büchlein (gedruckt zu Prag 1678) Es hatte wohl der<br />
Grossmutter gehört. Auch die schönen Tagzeiten vom hl. Johannes v.<br />
Nepomuk standen darin. Ich liebte diese sehr. Das Büchlein war in grobes,<br />
starkes Leder gebunden u. hatte beschlagene Ecken. Ich liebte es sehr u.<br />
habe es <strong>von</strong> Hause mit mir genommen, ohne die Mutter zu fragen. Doch -<br />
"unrecht Gut gedeiht nicht gut". Als Kandidatin nahm ich es mit in die<br />
Hauskapelle, liess es aus Vergesslichkeit liegen u. als ich es nach einigen<br />
Stunden holen wollte, war es schon nicht mehr da. Alles suchen und<br />
nachforschen durch die Schw. Novizenmeisterin Concordia war vergebens.<br />
Es war nicht mehr zu finden. "das hat niemand aus unserm Hause getan,<br />
sondern ein Auswärtiger" sagt die Novizenmeisterin, u. so war es wohl.<br />
Seite 56/a: Zu Seite 28 u. 29,<br />
Während der Nacht mussten wir auch Anbetungsstunde halten. Die ewige<br />
Anbetung wurde Tag u. Nacht ununterbrochen auf dem Chore im<br />
Mutterhause gehalten. Ich hatte stets eine ganze Stunde in der Nacht zu<br />
halten u. hie u. da noch eine am Tage u. die andern Kandidatinen u. Novizen<br />
auch so. Wir waren eben nicht viele Leute im Mutterhause u. anderswo<br />
wurden die Stunden nicht gehalten. Längere Zeit hatte ich die Stunde <strong>von</strong> 3-
- 29 -<br />
4 Uhr morgens mit der Novizin Schw. Genesia. Um halb 3 Uhr wurden wir<br />
geweckt u. so gab es halt wenig Schlaf. Einst nun war ich während dem<br />
beten eingenickt u. fiel bald den Stuhl hinunter. Die eifrige Novizin machte<br />
mir strenge Vorwürfe u. ich litt viel Angst sie werde ihr Wort halten u. mich<br />
verklagen. Bald nachher erhielt ich eine andere Stunde, näml. <strong>von</strong> 9-10<br />
abends. Das war für mich viel leichter. - Andere Rüge erhielt ich nicht.<br />
000000<br />
Seite 51:<br />
<strong>Erinnerungen</strong> <strong>von</strong> Schw. <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong>, II. Heft<br />
Nun konnte die Schule wieder fortgesetzt werden bis gegen Ende Juli. Von<br />
meiner Einkleidung hatte ich bis jetzt noch nie das Geringste nach Hause<br />
berichtet. Nun musste es geschehen. Auf diese Nachricht hin waren natürlich<br />
alle sehr erstaunt u. schickten sogleich meine <strong>Schwester</strong> um nach mir zu<br />
sehen. Sie erschien ganz unerwartet u. wurde <strong>von</strong> lieben ehrw. Mutter<br />
Theresia recht freundlich empfangen u. als meine <strong>Schwester</strong> sich befremdet<br />
u. etwas ungeschickt über meine schwarze Haube ausdrückte, lachte sie<br />
herzlich. Sie nahm uns beide auf ihr Zimmer u. beschenkte meine <strong>Schwester</strong><br />
mit verschiedenen frommen Gegenstände. Auch ein schönes Gebetbuch mit<br />
dem Titel "Jesus, Maria, Josef" u. mit grossem, schönen Druck, gab sie ihr<br />
um es dem Vater als Geschenk <strong>von</strong> ihr zu bringen. So oft ich später als<br />
Seite 52:<br />
<strong>Schwester</strong> heimkam, erzählte mir die Mutter, welche Freude der Vater an<br />
diesem Buche habe u. wie er es hoch in Ehren halte, weil es <strong>von</strong> der lieben<br />
Frau Mutter sei. Er benütze es viel zum beten u. lesen. Die letzten 3 Wochen<br />
seines Lebens <strong>von</strong> 85 Jahren, musste er meisten im Bette zubringen u. hatte<br />
dies Buch bei sich, um es stets zur Benutzung bei Hand zu haben. Vor dem<br />
Tode gab er es der Mutter mit dem Bemerken, dies Buch gut aufzuheben,<br />
denn es sei <strong>von</strong> der lieben Mutter Theresia. Dies ist geschehen, denn es<br />
findet sich wahrscheinlich noch zu Hause.<br />
Sobald der Schulkurs zu Ende war, musste ich für vier Wochen zur Aushilfe<br />
in die Anstalt Altishofen. Da ich jetzt Novizin war, so setzte man mir den<br />
Schleier auf. Die Oberin, Sr. Edmunda, war aus Gesundheitsrücksichten<br />
abwesend u. ich fand da Schw. Theodula, ebenfalls Novizin, allein. Wir zwei<br />
junge Novizinnen schalteten u. walteten so gut wir konnten u. hatten die<br />
Hände voll
- 30 -<br />
Seite 53:<br />
Arbeit. Wir verstanden uns aber sehr gut u. es begegnete uns kein<br />
Missgeschick. Ich glaube, die Anstalt war ein Asyl u. ein Zufluchtsort für<br />
gefallene Mädchen. Jetzt wirken unsere <strong>Schwester</strong>n nicht mehr dort. Sobald<br />
die <strong>Schwester</strong> Oberin wieder eintraf, kehrte ich nach Ingenbohl zurück.<br />
Im October begann wieder die Schule. Die liebe Mutter Theresia war<br />
sogleich nach ihrem Namensfeste nach Oestreich verreist. Nach einigen<br />
Tagen wurde ich zur wohlerw. Frau Assistentin Florentina Feffa (oder<br />
Foffa?) gerufen. Sie sagte kurz zu mir: "Ein Pfarrherr im Ct. Freiburg<br />
wünscht eine <strong>Schwester</strong> als Lehrerin für die Mädchen u. die liebe Frau<br />
Mutter hat berichtet, wir sollen Sie schicken. Also machen Sie sich bereit u.<br />
reisefertig für den (nächsten) Freitag u. seien Sie denn kein so Hasenfuss.<br />
Am Freitag reisen Sie bis Bern u. bleiben dort bei Hr. Strässli über Nacht. Er<br />
wird Sie im Bahnhof abholen u. am Samstag morgen wieder dorthin<br />
begleiten. Dann reisen Sie bis Flamall od. Flamatt, ich kann das Wort nicht<br />
recht unterscheiden, geben Sie denn acht auf den Ruf des Conducteur. Man<br />
wird Sie im Bahnhof<br />
Seite 54: abholen". Dan übergab sie mir einen Brief mit der Adresse: Hochw. Herrn J.<br />
J. Kilcher, Pfarrer in Ueberstorf, Ct Freiburg u. sagte: Sehen sie diese<br />
Adresse gut an. Also nach Ueberstorf kommen sie als Lehrerin u. werden<br />
einstweilen Kost u. Logis im Pfarrhause haben. Bei der Ankunft geben sie<br />
ihm diesen Brief u. er wird ihnen das Uebrige mitteilen". Sie segnete mich<br />
mit dem Zeichen des hl. Kreuzes u. ich war entlassen. Umsonst erwartete ich<br />
ein aufmunterndes Wort u. zog mich dann still zurück. Ich erinnere mich<br />
noch heute klar an jedes Wort meiner ersten Aussendung.<br />
Nach einem Tage war ich reisebereit. Ich hatte eine Reisetasche voll gepackt<br />
u. ein kleines Handtäschchen mit Proviant gefüllt. Die lb. <strong>Schwester</strong><br />
Concordia gab mir einige neue, für eine junge unerfahrene Lehrerin<br />
dienende Bücher mit. Dann probierte sie mir den Schleier u. sagte, indem sie<br />
herzlich lachte: sie sehen darin gerade aus, wie ein verscheuchtes junges<br />
Rösslein.<br />
Der Abschiedstag war da. Es war ein Tag in der zweiten Hälfte des Monats<br />
October 1869 u. recht schlechtes, rauhes Wetter. Ich musste den Mantel<br />
anziehen, denn es regnete u. schneite zugleich.<br />
Seite 55:<br />
in Olten musste ich im Bahnhof lange warten, bis ich weiter fahren konnte,
- 31 -<br />
damals ging das reisen nicht so schnell <strong>von</strong> statten, wie heute. Ein<br />
neugieriges Knabengesicht erschien unter der geöffneten Wartsaaltüre u.<br />
schaute mich höchst verwundert an. Und nicht lange, so kam ein ganzes<br />
Trüppchen Schulknaben u. lachten u. schrien mich lustig an mit: quaq, quaq<br />
---, u. einer rief öfter dazwischen schwarze Krähe. Bald kam ein<br />
Bahnbeamter in die Nähe u. die Missetäter nahmen schnell reissaus u. waren<br />
zerstoben. Die Sache hatte mir eigentliches Ergötzen eingeflösst u.<br />
keineswegs Furcht. (Ich füge hier ein: ganz Aehnliches ist uns einige Jahre<br />
später in Murten begegnet. Auf offener Strasse begegneten uns ein<br />
Trüppchen Schulknaben u. begrüsste uns mit obigen Titeln, quaq - Krähe -<br />
Aegersta etc. mit lautem Geschrei. Zufällig war der katolische Pfarrer in der<br />
Nähe. Es war Hochw. Herr J. Vonlanten, der erste kat. Pfarrer in Murten<br />
nach der Reformation. schnell kam er herbei, erkannte die Knaben, fasste<br />
einen fest beim Kragen u. sagte: "so,<br />
Seite 56:<br />
ihr kommt mit auf den Posten, ich zeige euch an. Es wird euch schlecht<br />
genug ergehen, ihr werdet ein paar Stunden in den Turm gesteckt". O, wie<br />
jetzt die Knaben devot wurden. Jämmerlich flehten sie deutsch u. wälsch:<br />
Pardonez Monsieur le curé, Verzeihung um Gotteswillen, wir wollen es<br />
gewiss nicht mehr tun. Mein Vater schlägt mich, schrie einer u. ein anderer:<br />
mein Vater sperrt mich ein. O, bitte, bitte Herr Pfarrer, zeigen sie uns nicht<br />
an, gewiss wir wollen es nicht wieder tun" Er liess sie laufen mit der<br />
Drohung, dass es ihnen bei Wiederholung schlecht ergehen würde. Sehr<br />
dankbar zogen sie ihre Mützen u. liefen rasch nach Hause)<br />
Es war schon bereits dunkel geworden, als ich im Bahnhof Bern anlangte.<br />
Ich wurde dort <strong>von</strong> Hrn. Strässle erwartet u. in sein Haus geführt u. gut<br />
bewirtet u. am nächsten Morgen früh wieder zum Bahnhof begleitet. Im<br />
Laufe des Vormittag kam ich in Flamatt an. Es war niemand<br />
Seite 57:<br />
da u. so wurde ich etwas ängstlich. Aber der Stations-Vorstand versicherte<br />
mich, es sei die richtige Absteige-Station für Ueberstorf. Endlich kamen<br />
zwei Frauen, jede hatte einen schweren Korb am Arm. Die eine war die Kur-<br />
Köchin u. die andere die Köchin des Herrn Kaplan Brülhart. Sie hatten in<br />
Neuenegg den Fleischbedarf für nächste Woche geholt u. waren dort länger<br />
aufgehalten worden als gewöhnlich, was ihnen recht leid war. Aber, wie<br />
musste ich meine schwere Reisetasche tragen? Die Frauen halfen mir
- 32 -<br />
zeitweilig, hatten aber selbst schwere Körbe, zudem schneite es lustig u.<br />
nach ein paar Minuten mussten wir immer wieder den Schnee vom Schirm<br />
schütteln. Der Weg war sehr schlecht u. die Frauen jammerten fleissig um<br />
meine Kleider u. den schönen Mantel. Ach aber sank fast zu Boden unter der<br />
Last der schweren Reisetasche Ich hatte nachher längere Zeit an einer<br />
Erkältung, die Folge dieser Überanstrengung zu leiden.<br />
Seite 58:<br />
Seite 59:<br />
Der Hochw. Herr Pfarrer empfing mich höchst freundlich u. liebenswürdig.<br />
Es war ihm recht leid, dass er vergessen hatte zu sagen, ich solle das Gepäck<br />
im Bahnhof Flamatt lassen. Es wurde nun für mich in allem aufs Beste<br />
gesorgt. Herr Pfarrer J. J. Kilchoer war ein älterer, stattlicher Herr. In seinen<br />
ersten Priesterjahren war er Vikar in Bern gewesen u. mit den Bernern gut<br />
befreundet. Als Haushälterinnen hatte er seine <strong>Schwester</strong> Maria, eine Nichte<br />
Marietta u. eine Grossnichte Rosa. Nun wies er mir das Zimmer an. Er sagte<br />
zu mir: Ich trete ihnen mein Schlafzimmer ab u. begnüge mich mit einem<br />
Zimmer. Der Ofen geht durch beide u. heizt beide u. so sparen wir Holz u.<br />
wir wären in der Nähe, wenn ihnen in der Nacht etwas fehlen würde. Vis-avis<br />
schliefen die Köchinnen. Ich nahm alles stillschweigend an. Dann<br />
erzählte er mir, der junge Oberlehrer, J. Hayoz, sei stolz geworden u. sei<br />
fortgezogen, weil ihm die verlangte Gehaltserhöhung nicht bewilligt wurde.<br />
Die<br />
Gemeindekasse sei eben recht ärmlich bestellt u. es müssen alle<br />
Schulausgaben nur aus Steuern bestritten werden. Der Gemeinderat wollte<br />
nun alle Kinder nur einem Lehrer geben u. Halbtagschule halten lassen u.<br />
das wolle er nicht. So nahm er sich vor auf eigene Kosten eine Lehrerin<br />
anzustellen ne klopfte bei der Ehrw. Frau Mutter in Ingenbohl an, welche<br />
ihm glücklicherweise entsprach. Der Gemeinderat war nicht für diesen Plan<br />
und äusserte verschieden Befürchtungen u. meinte es werde nicht gehen<br />
(Weil es im Armenhaus Umbertschwendi nicht gut ging).<br />
"Nun wollen wir sehen" sagte er schmunzelnd. "Wir trennen jetzt die Kinder<br />
nach Geschlechter. Sie nehmen alle Mädchen u. der Unterlehrer alle<br />
Knaben. Der Gemeinderat hat nichts zu sagen. Sie stehen unter meinem<br />
Schutze u. ich sorge für sie. Es wird sich zeigen. Geht es gut, so wird die<br />
Gemeinde später die Sache gern genug übernehmen. Unterdessen sind sie<br />
meine <strong>Schwester</strong>". (Ich beobachtete den Winter hindurch hie u. da, dass er
- 33 -<br />
zu den Leuten gelegentlich sagte: d’Schwöster Lehreri ist mini, ihr händs mit<br />
mir ztun")<br />
Seite 60:<br />
Seite 61:<br />
Ich verstand nicht den Wink, den mir der Herr Pfarrer durch diese Erzählung<br />
wohl geben wollte, was wahrscheinlich besser war. Am Sonntag, also am<br />
folgenden Tage, verkündete er <strong>von</strong> der Kanzel den Beginn der Schule u. die<br />
neue Einteilung. Gänzlich unbefangen u. ohne jedes Misstrauen betrat ich<br />
am Montag nach der hl. Messe mit den Kindern das Schulzimmer. Die<br />
Kinder schienen höchst freudig überrascht u. grüssten mich herzlich mit:<br />
"Gelobt sei, Jesus Christus, liebe Nunna", wohl aus 50-60 Kehlen. Einige<br />
hielten sogar die Händchen wie zum Gebete auf, sie hatten wohl nie eine<br />
Klosterschwester, gesehen. (Gleiches begegnete mir nachher noch einige<br />
Mal auch <strong>von</strong> ältern Leuten). Von der Behörde erschien niemand. Bald aber<br />
kam der Herr Pfarrer u. half bei der Klasseneinteilung. Er befahl den<br />
Kindern <strong>von</strong> nun an <strong>Schwester</strong> Lehrerin zu sagen u. ihr recht gehorchsam zu<br />
sein. Sie versprachen es freudig. Schon am ersten Tage hatten wir einander<br />
lieb gewonnen u. das Schulhalten war meine Freude. Die Kinder waren ja so<br />
lenksam u.<br />
folgsam u. arbeitsam mit grossem Eifer u. Fleiss u. alles ging gut. Der Herr<br />
Pfarrer schien seine Freude daran zu haben, denn er war stets freundlich u.<br />
zuvorkommend gegen mich u. begrüsste mich stets mit "Votre Serviteur" u.<br />
einer tiefen Verneigung. Hie u. da sagte er halb scherzend: <strong>Schwester</strong>, die<br />
Leute beten sie fast an u. ich "bin nur mehr Nummer 2". Später dachte ich<br />
hie u. da: wie schön u. leicht ist es, als erste <strong>Schwester</strong> Lehrerin in einer<br />
Ortschaft aufzutreten.<br />
Die Leute nannten mich: "üsi Nunna". Es fiel mir angenehm auf, wie<br />
freundlich u. zuvorkommend alle gegen mich waren. Ebenso fiel mir<br />
überraschend angenehm auf, der eifrige, praktische Katolizismus dieses<br />
Volkes u. der streng römische Ritus des Gottesdienstes.<br />
Die Kirche war an Sonntagen Vor- u. Nachmittag gedrängt voll,<br />
hauptsächlich <strong>von</strong> Männern. Ebenso fiel mir auf die grosse Ehrfurcht vor<br />
allen Geistlichen u. das grosse Zutrauen, das sie zu ihrem Hrn. Pfarrer<br />
hatten. In ihren Nöten u. Anliegen kamen sie ins Pfarrhaus u.<br />
Seite 62:<br />
suchten bei ihrem Herrn Pfarrer Rat, Hilfe u. Trost. Es war für mich oft recht<br />
intressant, denn ich hatte so etwas nie gesehen. Jeden Sonntag warteten
- 34 -<br />
Frauen auf ihn. Wir assen alle miteinander, am gleichen Tische, der Herr<br />
Pfarrer, die Köchinnen u. ich. Der Herr Pfarrer war ein guter Erzähler u.<br />
eifriger Politiker, wo<strong>von</strong> ich sehr wenig verstand. Er passte sich aber<br />
geduldig meiner schwachen Fassungskraft an u. lehrte mich über manches.<br />
So ging alles vortrefflich. Nur eines tadelte er, ich stand des morgens zu früh<br />
auf, wie er meinte. Ich war vom Mutterhause her gewohnt um 4 Uhr<br />
aufzustehen u. das wollte er nicht, er fürchtete, ich würde krank. Ich aber<br />
hielt tapfer stand, dank meines Novizeneifers u. erhob mich jeden Morgen<br />
ganz leise, leise zur vorgeschriebenen Zeit. Dass ich nur Novizin war, hat<br />
der Herr Pfarrer nie vernommen. Es war mir v. Sr. Concordia verboten<br />
worden zu sagen u. er hat auch nie darnach gefragt.<br />
Seite 63:<br />
Sobald die liebe Frau Mutter <strong>von</strong> ihrer Reise heimgekehrt war, schrieb sie<br />
mir ein liebes, aufmunterndes Briefchen u. im Laufe des folgenden Sommers<br />
beauftragte sie die liebe <strong>Schwester</strong> Cornelia, Oberin in Gruyeres (Hospitz),<br />
nach mir zu sehen. Sie zeigte ihre Ankunft an und ich ging ihr eine Strecke<br />
entgegen. Auf der Wiese welche zum Schloss Guibert gehört, war der<br />
Eigentümer samt seiner Familie mit heuen beschäftigt. Seine Kinder spielten<br />
am Wege. Das Schloss samt Liegenschaft gehörte damals einem<br />
protestantischen Bernerbauer, namens Spicher aus Bümplitz. Da rief eines<br />
seiner Kinder, ein 8-9 jähriges Mädchen: "Muetti, Chum lug, d’Frau Pfarrer<br />
geht do ahi, d’katolische Pfarreri. Muetti, chum gleitig, de gsäschi da".<br />
Offenbar hielt mich das protestantische Kind meiner Kleidung wegen für<br />
etwas vornehmeres u. das war ihm die Pfarrersfrau.<br />
Der lb. Schw. Concordia gefiel es gut in Ueberstorf u. sie blieb einen Tag u.<br />
eine Nacht bei uns. Der Herr Pfarrer u. sie verstanden sich bald sehr gut. Er<br />
erzählte ihr<br />
Seite 64:<br />
manches u. klagte ihr auch, dass es ihm viel Herzleid mache, dass in seiner<br />
Grenzpfarrei viele Berner hereinkommen u. sich Landgüter ankaufen.<br />
Besonders bedaure er auch, dass das Schloss Guibert in protestantische<br />
Hände übergegangen sei. Es sei aber jetzt wieder zum Verkaufe angeboten.<br />
Sie verstand ihn wohl u. versprach ihm, wo es gelegentlich geschehen<br />
könne, auf einen Käufer einzuwirken. Die liebe <strong>Schwester</strong> Cornelia ahnte<br />
wohl nicht, dass sie gerade in Uebersdorf ihre letzte Ruhestätte finden sollte.
- 35 -<br />
(Das Schloss wurde <strong>von</strong> unserer Congregation erworben u. später dort ein<br />
Pensionat errichtet. Schw. Cornelia Fürer starb da als Oberin desselben. )<br />
Nach einigen Wochen kam die lb. <strong>Schwester</strong> Carolina Imfeld, Oberin in<br />
Gauglera, mich zu besuchen. Auch ihr gefiel es gut u. sogleich war sie mit<br />
Herr Pfarrer freund. Sie erzählte <strong>von</strong> der Gründung der Gauglera u. ihrer<br />
Geschichte u. vom nicht vor langer Zeit abgebrannten Armenhaus<br />
Umbertschwendi. Ich wusste <strong>von</strong> allem diesem nichts, wurde nun aber durch<br />
aufmerksames Zuhören in alles eingeweiht. Die lb. Schw. Carolina erzählte<br />
mir später, sie habe ein recht gutes Andenken <strong>von</strong> Ueberstorf mitgenommen.<br />
Seite 65:<br />
Der Herr Pfarrer erzählte ihr auch <strong>von</strong> seiner Gründung, der Mädchenschule.<br />
Denken sie, sagte er, nicht ohne Anflug <strong>von</strong> Stolz, schon drei Nachbar-<br />
Pfarrherrn sind gekommen um sich zu erkundigen, ob es gut gehe u.<br />
äusserten den Wunsch auch so was einzuführen. Und wirklich, nicht lange<br />
ging es, so verlangten die Gemeinden Bösingen, Heitenried, Wünewil etc.<br />
<strong>Schwester</strong>n als Lehrerinnen für die Mädchen u. bald so in den andern<br />
Gemeinden des deutschen Bezirkes u. auch darüber hinaus.<br />
(Siehe Seite 161, Heft 4, Nachtrag)<br />
Im folgenden Sommer zeigte die liebe Frau Mutter Theresia vom Collegium<br />
Freiburg her ihren morgigen Besuch an. Welche Freude! nicht nur bei mir,<br />
sondern auch beim Herrn Pfarrer. Er lief im Hause herum u. rief seiner<br />
<strong>Schwester</strong>: "Denk Meyi, d’Frau Mutter Theresia, morn schu. Marietta, sorg<br />
für alles guet. Gang hüt no uf Neuenegg um Fleisch zu holen". Und wirklich,<br />
die lb. Frau Mutter kam ganz allein. Der Herr Pfarrer holte sie selbst mit<br />
seinem Fuhrwerk im Bahnhof Schmitten ab u. tat ihr in seiner höflichen Art<br />
alle Ehre an. Nach dem Essen<br />
Seite 66:<br />
wurde die Frage der <strong>Schwester</strong>nwohnung geregelt. Schon in erster Zeit war<br />
dem Herr Pfarren vom Mutterhause her ein Vertrag zur Unterzeichnung<br />
zugeschickt worden. Darin wurde freie Wohnung u. ein Gehalt <strong>von</strong> 320 frs.<br />
für die <strong>Schwester</strong> verlangt. Der Hr. Pfarrer hatte angenommen, konnte es<br />
aber bis jetzt noch nicht ausführen. Nun war der Zeitpunkt gekommen an die<br />
Gemeinde zu gelangen. Es ging ganz leicht. Der Gemeindeammann, Hr.<br />
Grossrat Franz Spicher auf der Wirtschaft, war gern bereit den Vertrag im<br />
Namen der Gemeinde zu unterzeichnen u. versprach die Wohnung im<br />
Schulhause zu räumen u. für die <strong>Schwester</strong> herrichten zu lassen. Bis nächste
- 36 -<br />
Ostern soll alles in Ordnung sein. Auch der Gehalt soll auf fr. 400.- erhöht<br />
werden. Die lb. Frau Mutter war hiemit zufrieden u. die Sache war in<br />
Ordnung. Nun ging der Hr. Pfarrer mit der lb. Frau Mutter zum Schlosse<br />
Guibert u. riet ihr, es zu kaufen, die Umstände seien günstig. Sie besichtigten<br />
es in- und auswendig u. die lb. Frau Mutter schien einem Ankaufe gar nicht<br />
abgeneigt, jedoch wurde einstweilen nichts weiteres beschlossen.<br />
Seite 67:<br />
Die liebe Frau Mutter zeigte sich sehr lieb u. mütterlich gegen mich u. fragte<br />
genau, ob ich meine Kost u. Logis recht habe u. ob ich auch warme<br />
Unterkleider habe. Ich konnte alles mit ja beantworten u. doch schickte sie<br />
mir bei Winteranfang ein Paar wollene Beinkleider u. eine sehr warme,<br />
wollene Unterjacke. Ich besitze die Jacke heute noch u. habe sie aus Pietät<br />
gegen die nun in Gott ruhende liebe Mutter stets sorgfältig behandelt u.<br />
gespart.<br />
Am folgenden Tage kehrte die liebe Frau Mutter wieder nach Freiburg<br />
zurück. Der Herr Pfarrer aber war stolz auf diesen Besuch u. voll Lob über<br />
die schönen Eigenschaften der lieben Frau Mutter. Gelegentlich erzählte er<br />
auch den Mitbrüdern Von dieser imponierenden, ausgezeichneten Frau u.<br />
wenn er <strong>von</strong> ihr sprach, geschah es stets mit grosser Ehrfurcht u.<br />
Hochachtung.<br />
Im folgenden Frühling wurde ich zu den hl. Exerzitien geladen. u. durfte am<br />
Schlusse derselben meine erste hl. Profess ablegen. Sie wurden, sowie auch<br />
die ganze Ceremonie, vom Hochw. P. Anizet Regli, Provinzial der schweiz.<br />
Kapuziner u. Superior unseres Institutes gehalten.<br />
Seite 68:<br />
Es war der 23. Mai 1871. Mein lb. Vater, meine einzige <strong>Schwester</strong> mit ihrem<br />
ihr vor 9 Tagen angetrauten jungen Manne u. der Hochw. Herr Pfarrer<br />
Furger aus Trimmis, ein Freund unserer Familie, waren als Geladene<br />
erschienen u. wohnten der Feier bei. (Genannter Schwager L. Lipp wohnte<br />
auch wieder meiner goldenen Jubelprofess bei u. zwar in voller geistiger<br />
Frische u. körperlicher Gesundheit u. Rüstigkeit). Zum erstenmal sah ich<br />
meinen Vater weinen, was mir sehr zu Herzen ging. Er aber sagte zu mir:<br />
"Achte nicht darauf, es sind ja meistens Freudentränen". Als sich mein Vater<br />
<strong>von</strong> der lb. Frau Mutter verabschiedete, stand ich etwas entfernt u. konnte<br />
nicht alles verstehen, hörte aber doch, dass er ihr sein Kind angelegentlich<br />
empfahl u. dass sie ihn so herzlich tröstete u. ihn bat, ohne Sorge zu sein, sie
- 37 -<br />
werde stets mütterlich für mich sorgen. Dies alles vermehrte u. bestärkte die<br />
grosse Hochachtung u. Verehrung, die mein lieber Vater für die selige<br />
Mutter Theresia stets hegte, bis zu seinem sl. Tode, der i. J. 1888, nur kurze<br />
Zeit vor dem Tode der sl. Mutter stattfand.<br />
Seite 69:<br />
Am folgenden Tage durfte ich mit meinem lieben Besuche nach Einsiedeln<br />
wallfahrten. Wir gingen alle miteinander zu Fuss über den Hacken u. es ging<br />
leicht <strong>von</strong> statten. Als wir Einsiedeln erblickten, konnte ich fast nicht<br />
glauben, dass wir schon so bald am Ziele wären, ohne eigentlich Müdigkeit<br />
zu fühlen u. so erging es den andern. Es war eine sehr schöne Tour bei<br />
günstigem Wetter u. zugleich eine ächte Wallfahrt nach früherer alter Sitte.<br />
Mein Vater war ein Mann <strong>von</strong> tiefer innerlicher Frömmigkeit. Er blieb etwas<br />
länger in der Gnadenkapelle u. als ich ihn darüber fragte, sagte er zu mir:<br />
"Ich habe noch extra etwas für dich u. die Ehrw. Mutter gebetet". Am<br />
folgenden Tage mussten wir Abschied nehmen. Ich kehrte ins Mutterhaus<br />
zurück, um mich schon am nächsten Tage wieder nach Ueberstorf zu<br />
begeben.<br />
Die liebe Frau Mutter hatte nun meinen Vater persönlich kennen gelernt u.<br />
bewies ihm ihre Geneigtheit auf verschiedentliche Art bis zu ihrem fast<br />
gleichzeitigen Tode. So lange mein Vater lebte, durfte ich alle 4 Jahre<br />
einmal meine Schulferien bei den Eltern in der Familie<br />
Seite 70:<br />
zubringen. Sie wusste mich da gut aufgehoben u. das elterliche Haus steht<br />
nahe bei der katolischen Kirche. Unsere Genossenschaft besass damals noch<br />
keine Erholungsheime u. im Mutterhause machte sich immer mehr<br />
Platzmangel fühlbar. Scherzend sagte einst die lb. Ehrwürdige Mutter zu<br />
mir, als ich in die Ferien reiste: "Ich will mal sehen, ob sie auch<br />
Anziehungskraft haben u. uns eine gute Kandidatin bringen". Und wirklich,<br />
kaum war ich einige Tage zu Hause, so meldete sich bei mir eine etwa 15-16<br />
jährige, gesunde, intelligente Tochter aus braver einfacher Bauernfamilie,<br />
namens Josefa Hug u. bat mich, für sie bei der lb. Frau, Mutter die<br />
Eintrittsbewilligung als Kandidatin der Genossenschaft nachzusuchen<br />
Umgehend kam die zusagende Antwort u. am Schlusse der Ferien begleitete<br />
ich die Tochter ins Mutterhaus. Sie wurde für die Schule bestimmt u.<br />
befriedigte nach allen Seiten sehr gut. Im Laufe des folgenden Sommers,<br />
kurz vor ihrer Einkleidung, verunglückte ihr Vater durch einen Sturz <strong>von</strong>
- 38 -<br />
einem Baum. Nach wenigen Minuten war der gesunde, starke Mann eine<br />
Leiche. Josefa wurde sofort zur Mutter geschickt. Schmerzlich bewegt<br />
erzählte<br />
Seite 71:<br />
Seite 72:<br />
es mir die liebe Frau Mutter, als ich zu den Exerzitien kam u. sagte. "Ach,<br />
das war eine so gute Kandidatin u. ich hätte sie so notwendig gehabt, aber<br />
ich konnte es nicht übers Herz bringen, sie ihrer Mutter zu entziehen. Josefa<br />
wäre gerne wiedergekommen u. die Mutter wollte schliesslich das Opfer<br />
auch bringen, obschon mit blutendem Herzen. Aber denken sie sich eine<br />
Witwe mit 6 Kindern, <strong>von</strong> denen Josefa das älteste ist u. ihr allein behilflich<br />
sein kann u. dazu ein kleines Vermögen. Nein, ich konnte nicht u. habe<br />
Josefa geraten bei ihrer Mutter zu bleiben u. ihr beizustehen". Josefa hat<br />
grossmütig dem Rate der Ehrw. Frau Mutter gefolgt u. in der Folge ihre<br />
Aufgabe ausgezeichnet gelöst. Vorerst half sie ihrer Mutter bei der<br />
Kindererziehung u. als die jüngern Geschwister etwas herangewachsen<br />
waren, übernahm sie eine Stelle in einem Grand-Hotel im Engadin, da war<br />
sie sehr geschätzt u. gut bezahlt u. half bald ihrer Mutter mit der zahlreichen<br />
Familie über alle finanziellen Schwierigkeiten hinweg, ja brachte sie zu<br />
Wohlstand. Josefa blieb bis zu ihrem Tode, im 72 Lebensjahre, eine brave,<br />
sittenreine Jungfrau u. gab durch ihre aufopfernde Kindes u.<br />
Geschwisterliebe, sowie durch ihre Werke der Nächstenliebe<br />
u. Frömmigkeit, der ganzen Gemeinde gutes Beispiel. Ihr Andenken ist im<br />
Segen.<br />
Bald nachdem ich nach meiner ersten Profess wieder nach Ueberstorf<br />
zurückgekehrt war, bezog ich meine neue Wohnung im Schulhause. Ich<br />
bereitete nun mein Essen selbst u. es ging mir eigentlich gut. Die Leute<br />
zeigten sich sehr gut u. freigebig gegen mich. Sie brachten mir Milch,<br />
Butter, Rahm etc., Kartoffeln u. Gemüse musste ich niemals kaufen u.<br />
Fleisch nur im Sommer, denn im Winter erhielt ich es auch geschenkt. Oft<br />
dachte ich, wenn ich doch eine arme Familie wüsste, der ich meinen<br />
Ueberfluss bringen könnte, aber es war keine in der Nähe. Mme. de<br />
Techtermann u. ihre Tochter Natalie de Reynold, sowie auch Hr. de Reynold<br />
waren sehr gut gegen mich. Hr. Paul de Techtermann war gelähmt u.<br />
beschäftigte sich mit Anfertigen <strong>von</strong> Rosenkränzen. Er schickte mir <strong>von</strong> Zeit<br />
zu Zeit ein Paquet mit schönen verschiedenen Rosenkränze u. adressierte
- 39 -<br />
"der lieben <strong>Schwester</strong>in" Die Familien brachten aber nur den Sommer in<br />
Ueberstorf zu.<br />
Seite 73:<br />
Eines Tages erhielt ich <strong>von</strong> der lieben Frau Mutter die Mitteilung, ich müsse<br />
in Freiburg eine staatliche Prüfung ablegen, um ein Lehrpatent zu erhalten.<br />
"Gehn sie mutig", schrieb sie mir, "wir beten für sie". Fast zu gleicher Zeit<br />
kam die Aufforderung <strong>von</strong> Freiburg, nach zwei Tagen zur Prüfung zu<br />
erscheinen. Eigentümlich unbesorgt ging ich hin. Und es ging mir gut u. ich<br />
konnte jede an mich gestellte Frage richtig beantworten. Ich erhielt ein<br />
Lehrpatent für den Kanton Freiburg auf unbeschränkte Zeit. Dies wurde<br />
niemals beanstandet u. ich musste auch nie eine Nachprüfung machen.<br />
Im Prüflingslokal hatte ich, meinen Platz neben einer Ursulinerin aus dem<br />
Kloster Freiburg. Diese war etwas schwach im rechnen u. bat mich ihr zu<br />
helfen. Ich tat es, denn es konnte leicht geschehen. O, wie sie mir dankbar<br />
war. "Alle Tage werde ich für sie beten", sagte sie u. ich werde auch meine<br />
liebe Mutter bitten, dass sie es auch tut."<br />
Seite 74:<br />
Im Herbst 1875 sagte die liebe Frau Mutter zu mir "Soll ich sie einmal<br />
rutschen?" Ich lachte u. sagte "Wie sie wollen, liebe Mutter". Ich stellte mir<br />
das ganz einfach vor u. dachte nicht im Geringsten daran, dass es vielleicht<br />
doch mit Opfer verbunden sein könnte. Ich hatte es eben noch nie erfahren.<br />
"Gut", sagte die liebe Mutter, "seien sie stets so bereitwillig u. ergeben,<br />
wenn Wechsel an sie herantreten" Und die Gelegenheit, mir dies Wort<br />
ernstlich zu Gemüte zu führen, blieb später nicht aus. Nach ein paar Tagen<br />
teilte mir die lb. Frau Mutter mit, dass ich für die neue Mädchenschule in<br />
Gurmels bestimmt sei. Ich solle jetzt nach Ueberstorf zurückkehren u. meine<br />
Sachen einpacken u. dann mitnehmen, sie werde nach Gurmels schreiben,<br />
dass man mich nächsten Mittwoch mit Fuhrwerk abhole. - Es geschah.<br />
Mein Koffer war bald gepackt. Dann verabschiedete ich mich dankend bei<br />
Hochw. Herrn Pfarrer u. seiner <strong>Schwester</strong> Haushälterin. Ich war wirklich<br />
vielen Dank schuldig, denn beide waren sehr gut gegen mich gewesen u.<br />
sorgten sich um mich. Hochw. Herr J. J. Kilchör war<br />
Seite 77:<br />
ein musterhafter Pfarrer u. hochgeschätzt u. verehrt <strong>von</strong> der ganzen Pfarrei.<br />
Ich war erstaunt über das grosse Zutrauen, das er bei allen seinen<br />
Pfarrkindern in jeder Hinsicht genoss. Er war auch ein guter Priester u.<br />
imponierte durch seine hohe würdevolle Gestalt u. sein stets höfliches,
- 40 -<br />
taktvolles Benehmen.<br />
Auch bei Hochw. Herrn Kaplan Brülhart u. seiner Köchin Lisbeth nahm ich<br />
Abschied. Er war ein sehr frommer, alter, kränklicher Herr u. bezeigte mir<br />
stets nur Liebe u. Güte. ihm u. seiner Köchin war ich Dank schuldig.<br />
Schliesslich kehrte ich noch bei der Familie U. Boschung (Schwiegersohn<br />
des Hr. Grossrat Franz Spicher u. sein Nachfolger auf der Gastwirtschaft) an,<br />
um Vergelts Gott zu sagen, denn auch <strong>von</strong> hier hatte ich viel Gutes genossen<br />
u. man liess es mir an nichts fehlen. Allen diesen, sowie allen, denen ich<br />
Dank schulde, vergelte es Gotte mit dem ewigen Leben (tägliches Gebet).<br />
Seite 78:<br />
Gegen Abend kam der Fuhrmann mit dem Bernerwägeli. Ich setzte mich<br />
vergnügt hinten auf meinen Koffer, war aber froh, dass es schon dunkelte u.<br />
dass es finster war, als wir in Gurmels ankamen. Bei der Schiffenenbrücke<br />
fürchtete ich mich heimlich einwenig, denn ich kannte diese Gegend noch<br />
gar nicht. Nicht lange jedoch währte es, denn sobald wir die Höhe erreicht,<br />
schimmerten uns viele Lichtlein aus dem plötzlich vor uns liegenden Dorfe<br />
Gurmels entgegen. Ich wurde zur Gastwirtschaft Folly gefahren u. da war<br />
für mich ein Nachtessen bereit. Der Wirt hatte den Schlüssel zu meiner<br />
Wohnung in Händen u. kam mit um zu öffnen u. beim abladen des Koffers<br />
behilflich zu sein. - Dann dankend "Gute Nacht" u. die Türen fest<br />
verschlossen. So sass ich nun da u. schon wollte mein Mut etwas sinken.<br />
Doch ich war müde u. ein gutes Bett war bereit. Mich Gottes Schutz<br />
empfehlend, schlief ich bald ruhig ein bis am nächsten Morgen.<br />
Auf der Stiege fiel ich in der Dunkelheit zu Boden, denn sie war mit Brettern<br />
belegt. Ich verletzte mich an einem Knie, jedoch nur leicht.<br />
Nach der hl. Messe begrüsste ich den Herrn Pfarrer. Er bot mir eine Tasse<br />
Caffe an, was ich gerne annahm.<br />
Seite 79:<br />
Er sprach vorläufig nicht u. schien wie in Gott versunken. In meine Augen<br />
wollten Tränen treten. Er bemerkte das u. sagte: "Fassen sie Mut, es ist<br />
besser, es gefällt u. geht im Anfang nicht so gut. Nur dann bleibt man recht<br />
lange am Orte. Ich habe es an mir selbst erfahren." Und es hat auch bei mir<br />
nun zugetroffen, denn 2o Jahre waren mir in Gurmels vergönnt, obschon ich<br />
mich nur langsam, gleichsam Schritt für Schritt angewöhnte. Im Uebrigen<br />
benahm sich der Hr. Pfarrer sehr kurz. u. doch fühlte ich schon bei dieser<br />
ersten Begegnung, dass er ein frommer Priester u. aufrichtiger, kluger Mann
- 41 -<br />
war. "Kommen sie zu mir", sagte er, "wenn es ihnen an etwas fehlt, ich<br />
werde ihnen, so gut ich kann, mit Rat u. Tat stets zu Diensten sein. (Gehn sie<br />
nie zu den Leuten, um zu klagen, das ist nicht gut.) Dies war nun für mich<br />
ein grosser, ja beglückender Trost. Ich lernte ihn nach u. nach als<br />
heiligmässigen Priester kennen. und dieser heiligmässige Priester ist allen<br />
<strong>Schwester</strong>n in Gurmels, ohne Ausnahme, ein treuer, väterlicher Freund<br />
geblieben bis zu seinem Tode.<br />
Seite 80:<br />
Seite 81:<br />
Er hiess Peter Roggo v. Pontels, Gemeinde Düdingen. Er war der jüngste<br />
Bruder des hochangesehenen Kantonsrat Peter Roggo auf dem schönen<br />
Bauernhofe Pontels bei der Kapelle, welche er, der genannte Kantonsrat, auf<br />
eigene Kosten zu Ehren der h1. Kathrina hatte erbauen lassen. Von diesem<br />
ausgezeichneten Manne hörte man viel Rühmliches erzählen. Besonders soll<br />
er zur Zeit des "Sonderbundskrieg" grosse u. schwere Opfer gebracht haben<br />
für die Erhaltung der Religion u. für seinen Heimatkanton zur Unterstützung<br />
seiner Partei. Die sl. <strong>Schwester</strong> Carolina Imfeld erzählte mir auch, dieser<br />
Mann habe zur Zeit ihrer Gründung, der Anstalt Gauglera viel Gutes getan.<br />
(Einst habe er der Anstalt Gauglera einen schönen, lebenden gesunden<br />
Ochsen geschenkt.)<br />
Lachend erzählte mir einst der selige Hr.-Pfarrer: "Zu Hause in Pontels<br />
nannte man uns beide Brüder nur der gross Peti u. der chli Peti. Mein Bruder<br />
Peter war mein Taufpate u. gab mir seinen Namen Peter u. so war ich der<br />
chli Peti u. er der gross Peti. Jeder hatte aber eine ausserordentliche<br />
Körperlänge, besondere der chli Peti, der <strong>von</strong> seinen Mitbrüdern später<br />
scherzhaft der lange Roggo genannt wurde.<br />
Im Alter <strong>von</strong> beinahe 80 Jahren resignierte Pfarrer P. Roggo auf die Pfarrei<br />
u. übernahm die Kaplanei Guschelmuth, eine kleine Filiale zur Pfarrei<br />
Gurmels gehörend. Da starb er beinahe 85 Jahre alt u. liegt in der Pfarrkirche<br />
Gurmels begraben.<br />
Ermutigt suchte ich meine Wohnung auf u. schaute mich um Es war ein<br />
kleines Inventar vorhanden, vorläufig genügend für eine <strong>Schwester</strong>. Die<br />
Mädchenschule war im Mai 1875 errichtet worden. Die lb. <strong>Schwester</strong><br />
Amiliana, Lehrerin in Ems, wurde während ihrer Ferienzeit hingeschickt um<br />
anzufangen u. den kleinen Haushalt einzurichten. Sie blieb ungefähr drei<br />
Monate u. war dann wieder nach Ems zurückgekehrt. - Mein erstes war nun
- 42 -<br />
mich um das Essen zu kümmern. Doch fand sich bald das Notwendige u. der<br />
lb. Gott zeigte sich auch hier als guter, sorgender Vater.<br />
Nun schaute ich die Umgebung an. Das Gebäude stand etwas abseits. Alles<br />
wollte mir recht unheimlich vorkommen. Es war früher ein Herrschaftssitz<br />
gewesen u.<br />
Seite 82:<br />
Seite 83:<br />
Seite 84:<br />
die Leute nannten es jetzt noch "Schloss", <strong>von</strong> dem aber nur noch die<br />
Umfassungsmauern gut waren. Meine Wohnung bestand aus nur einem<br />
Zimmer, einer Küche, Keller u. Estrich. Neben dem Wohnzimmer war das<br />
Schulzimmer, recht klein u. etwas unpraktisch. Sowohl im Schul- als im<br />
Wohnzimmer waren die Wände kahle Mauern, die bei Witterungswechsel<br />
nass wurden. Die Fenster waren alle sehr alt mit vergilbten Scheiben. Alles<br />
sah düster aus. Anstossend an das Haus war ein grosser, prächtig gelegener<br />
Schlossgarten, der aber zur Hälfte zur gänzlichen Wildnis herabgesunken<br />
war. Die Umfriedungsmauer u. Zugänge waren verwittert zerbröckelt u. zum<br />
Teil ganz zerfallen. Nebenan stand eine sehr grosse Scheune mit<br />
Wirtschaftsgebäude. Das grosse Landgut samt diesen dazugehörenden<br />
Gebäulichkeiten war <strong>von</strong> der Gemeinde käuflich erworben worden, damit es<br />
nicht<br />
in protestantische Hände falle. Es hatte früher einer Familie de Maillardoz de<br />
Rue gehört. Das Land wurde nun <strong>von</strong> der Gemeinde stückweise teils<br />
verkauft teils verpachtet (Die schöne Scheune samt Wirtschaftsgebäude<br />
wurde später abgetragen u. verkauft u. auf diesem Platze steht jetzt das neue<br />
Schulhaus <strong>von</strong> Gurmels) Alles kam mir so düster u. schwermütig vor u. ich<br />
rief zu Gott sich meiner zu erbarmen. Nach 1-2 Tagen kam eine freundliche<br />
Person aus dem nächsten Hause zu mir u. bat mich bei ihnen vorzusprechen,<br />
wenn ich etwas bedürfe. Unter anderm sagte sie: fürchten sie sich nur nicht,<br />
wenn man ihnen etwa sagt, es geistere u. sei nicht geheuer im Hause, es ist<br />
nichts daran". Ich hatte noch nichts <strong>von</strong> dem gehört u. sagte lachend: "Nein,<br />
nein, solche Geister fürchte ich nicht im Geringsten, die existieren in allen<br />
alten Schlössern, aber immer als leeres Geschwätz". - Und so war es auch<br />
hier. Diese Person war Cirila Rossier u. lebt heute noch.<br />
Sie ist längst Urgrossmutter u. auch die Grossmutter unserer Lb.<br />
Mitschwester Frohmunde Rotzeter. Sie u. ihre Familie waren u. sind den<br />
<strong>Schwester</strong>n stets gute Nachbarsleute geblieben u. letzten Frühling noch
- 43 -<br />
erzählte mir <strong>Schwester</strong> Frohmunde, dass ihre bald 90 jährige Grossmutter<br />
immer vorhabe mich noch einmal zu besuchen. Nach ein paar Tagen kam<br />
der Gemeinde-Amman. Er entschuldigte sich wegen vorhandener Misstände<br />
am Gebäude u. versprach auf Verbesserung hinzuwirken, was ihm auch nach<br />
u. nach gelang. Er war ein guter, alter Mann u. hiess Johann Anderset. Unter<br />
andern sagte er: "Wir hätten ein besseres Haus unten bei der Kirche, schauen<br />
sie dort die Bäckerei mit den schönen Granienstöcken. Aber Herr Staatsrat<br />
Schaller, der gegenwärtige Erziehungspräsident, wollte die Schule hier oben<br />
haben. Ich zürnte heimlich Hr. Schallet, sah aber später ein, dass er Recht<br />
hatte u. klarer gesehen als ich. Am nächsten Sonntag wurde in der<br />
Pfarrkirche verkündet, dass alle Schulen der Pfarrei am Nachmittag des 2.ten<br />
Seite 85:<br />
Seite 86:<br />
November beginnen werden. Ich freute mich, denn ich sehnte mich nach den<br />
Kindern. Und wirklich, meine Schülerinnen erschienen vollzählig zur<br />
bestimmten Zeit, was mich sehr freute. Von der Schulkommission aber<br />
erschien nur der Gemeindeammann für einige Minuten, sie hatten alle keine<br />
Zeit. Nun, die Hauptsache, die Kinder, war da u. wir hatten bald<br />
Bekanntschaft gemacht u. Freundschaft geschlossen. Um ihnen Freude zu<br />
machen entliess ich sie fürs erstemal schon nach 1 1/2 Stunden. Und so<br />
kamen die Kinder täglich vollzählig zur Schule, was mich sehr angenehm<br />
überraschte. In Ueberstorf war das nicht so gewesen. Die vielen<br />
Schulabsenzen bildeten dort ein rechtes Schulkreuz. Es kam wohl meistens<br />
daher, weil dort die meisten Kinder einen weiten Schulweg haben u. das war<br />
nun in Gurmels nicht der Fall. in allen Jahren meiner dortigen Wirksamkeit<br />
hatte ich in dieser Beziehung keinerlei Schwirigkeit u. keinen einzigen<br />
Warnung- od. Straffall zu verzeichnen. Die Schule ging nun<br />
ihren ruhigen Gang u. ich gab mich zufrieden.: Es fehlte mir eigentlich<br />
nichts als die Mitschwester, aber ich mangelte diese hier mehr als in<br />
Ueberstorf. Es war jedoch keinerlei Aussicht vorhanden auf Erfüllung dieses<br />
heimlichen Wunsches. Ich heizte täglich zweimal tüchtig den Ofen, lüftete<br />
fleissig u. so trockneten die nassen Wändemauern u. niemand wurde krank.<br />
Holz hatten wir genug. Bald glaubte ich zu beobachten, dass die Kinder<br />
nicht so geweckt waren, wie in Ueberstorf. Sie kamen mir auffallend<br />
langsam vor, dafür aber sehr gutwillig u. ruhig. Da hiess es Geduld lieben u.<br />
sich anpassen. Nach u. nach fühlte ich es nicht mehr viel u. später sah ich<br />
ein, dass es so im Volkscharakter dieser Gegend liegt u. durchaus nicht auf
- 44 -<br />
Mangel an Intelligenz schliessen lässt. In spätern Jahren konnte ich<br />
ähnlichen Vergleich ziehen zwischen Oberiberg u. Muotathal, so dass es mir<br />
schwer erklärlich schien, wie dort in so geringer Entfernung der<br />
Volkscharakter so verschieden sein kann.<br />
Seite 87:<br />
Seite 88:<br />
Gegen Ende November erhielt ich ein Schreiben vom Oberamt in Murten,<br />
worin mir mitgeteilt wurde, es werde nächste Tage eine <strong>Schwester</strong> <strong>von</strong><br />
Ingenbohl eintreffen um die Arbeitsschulen der zur Pfarrei Gurmels<br />
gehörenden Gemeinden Liebistorf, Cordast, Wallenried, sowie auch der<br />
Gemeinden Bärfischen u. Grissach zu übernehmen. Die <strong>Schwester</strong> werde bei<br />
mir in Gurmels wohnen. Dies geschehe im Auftrag der Erziehungs-Direktion<br />
Freiburg. Für ein Bett werde die Gemeinde Cordast sorgen. Ich war ganz<br />
erstaunt u. höchst überrascht über diese Mitteilung, denn ich hatte vorher<br />
nicht das Geringste hie<strong>von</strong> gehört. oder vernommen. Die ganze Sache kam<br />
mir sonderbar, ja fast bedenklich vor. Bald kam mir der Gedanke: vielleicht<br />
will dich der liebe Gott auf diese Weise erhören, lasse du allem freien Lauf. -<br />
Ich begab mich sogleich zum Hr. Pfarrer u. zeigte ihm das Schreiben. Auch<br />
er war erstaunt, denn auch er hatte keinerlei Kenntnis <strong>von</strong> der Sache. Im<br />
übrigen teilte er genau meine Ansicht. Nun begrüsste ich noch den<br />
Gemeindeammann. Auch er sagte, es sei ihm <strong>von</strong><br />
keiner Seite eine Mitteilung über diese Sache zugekommen, er habe auch<br />
nichts da<strong>von</strong> gehört. Er selbst habe nichts gegen diese Einrichtung u. er<br />
glaube, auch niemand in der Gemeinde habe etwas dagegen, die Leute seien<br />
gut gesinnt gegen <strong>Schwester</strong>n. Er beobachtete auch mein Erstaunen u. sagte<br />
lächelnd: "Wissen sie, die Gemeinde steht seit einiger Zeit unter Couratel,<br />
wegen früherer Misswirtschaft. Ich bin nur so ein Strohkönig, befohlen wird<br />
in Freiburg." Ich war vorläufig beruhigt. Was es heisst, unter Couratel<br />
stehen, erfuhr ich erst nach u. nach. - Am folgenden Tage brachte die<br />
Gemeinde Cordast ein vollständiges neues Bett. Ich liess es in mein Zimmer<br />
stellen. Und am 3.ten Tag, gegen 9 Uhr abends, es war ganz finster, klopfte<br />
es an der Haustüre. Und wirklich, eine <strong>Schwester</strong> stand da. mit schwerer<br />
Reistasche in der Hand. Es war die Novizin Schw. Agapita Eisengrein. Sie<br />
war totmüde u. erzählte, sie komme <strong>von</strong> der Eisenbahn-Station Düdingen zu<br />
Fuss u. sei wohl 2 - 2 1/2 Std. auf dem Weg gewesen. Bei Klein-Gurmels<br />
habe sie die Richtung gegen Laupen einge-
- 45 -<br />
Seite 89:<br />
schlagen u. sei so vom rechten Weg abgekommen. Glücklicher weise sei ihr<br />
ein Mann begegnet, der ihr mitleidig die schwere Tasche abnahm u. trug, ihr<br />
den rechten Weg wies u. sie begleitete bis nahe zu unserm Hause. Es stellte<br />
sich heraus, dass es ein in Grunenburg wohnender Protestant war. Schnell<br />
gab ich der <strong>Schwester</strong> trockene Strümpfe u. Schuhe, denn der Weg war nass<br />
gewesen, weil es leicht schneite u. bereitete ihr einen wärmenden Croc u.<br />
dann noch etwas Kräftiges zu essen u. ein warmes Bett. Sie begab sich<br />
sogleich zur Ruhe u. schlief die ganze Nacht. Am morgen befahl ich ihr<br />
liegen zu bleiben bis Mittag, was sie gerne tat u. dann war sie wieder wohl u.<br />
munter. Ich aber sagte staunend zu mir selbst: "ist es denn wirklich wahr,<br />
dass wir nun zwei sind"? Wie gut ist Gott gegen dich, dass er auf eine so<br />
ungeahnte u. ungehoffte Weise deinen heimlichen Wunsch erfüllte"<br />
Wir warteten nun ruhig der Dinge die da kommen sollten. Und schon im<br />
Laufe der gleichen Woche erschien ein Herr bei uns u. stellte sich als den<br />
Oberamtmann des Seebezirks vor. Es war Hr. Alex Bourqui, ein sehr<br />
Seite 90:<br />
Seite 91:<br />
freundlicher, wohlwollender Mann, Berner-Jurassier u. guter Katolik, Er<br />
sagte, er habe diese ganze Angelegenheit, im Auftrag den<br />
Erziehungspräsidenten Hr. H. Schaller, eingeleitet. u. besorgt. Die <strong>Schwester</strong><br />
habe nun nächste Woche mit der Arbeitsschule zu beginnen u. zwar am<br />
Montag Nachmittag in Liebistorf, Dienstag in Cordast, Mittwoch in<br />
Bärfischen, Donnerstag Vormittag in Wallenried u. Nachmittag in Courtepin<br />
u. Freitag in Grissach. Der Erleichterung wegen werde sie am Donnerstag in<br />
Wallenried im Schlosse des Hr. de Castella das Mittagessen erhalten um <strong>von</strong><br />
dort aus nach Courtepin gehen zu können. Die betreffenden Behörden werde<br />
er sofort in Kenntnis setzen. Und sollte es dann irgendwo fehlen od. etwas<br />
nicht in Ordnung sein, so möchten wir es ihm sogleich mitteilen. Dieser gute<br />
Herr war während seiner ganzen Amtszeit in Murten uns <strong>Schwester</strong>n sehr<br />
gewogen, ja wie ein guter Vater. Sein Wunsch war recht viele <strong>Schwester</strong>n in<br />
den Kanton zu bekommen zur Erziehung der weiblichen Jugend.<br />
Unterdessen hatte ich auch vom Mutterhaus eine kurze Anzeige erhalten. Ich<br />
möchte zusehen, wie das etwa zu<br />
machen u. anzugreifen sei u. ob es überhaupt gehe. Wir wussten nun jetzt,<br />
woran wir waren u. was wir zu tun hatten. Wohlgemut zog die <strong>Schwester</strong> am<br />
nächsten Montag Mittag aus. Es kamen einige Schülerinnen um sie
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abzuholen. Und so ging es täglich. Den Samstag hatte sie frei, denn die<br />
Arbeitsschule für meine Schülerinnen hielt sie selbst. Ueberall wurde die<br />
<strong>Schwester</strong> Arbeitslehrerin freundlich aufgenommen u. es ging ihr gut. u. sie<br />
fühlte sich glücklich dabei. Nur die französische Sprache ist den 4<br />
französischen Schulen machte ihr etwas Mühe, war aber zugleich eine<br />
Uebung für sie.<br />
Gegen Ostern schrieb mir die liebe Frau Mutter, sie möchte die lb.<br />
<strong>Schwester</strong> Agapita gern wieder zurücknehmen, denn sie sollte weiter<br />
studieren u. sich ein französisches Lehrpatent erwerben. Ich soll mich<br />
erkundigen, ob dies anginge ohne erhebliche Schwirigkeiten. Ich antwortete<br />
sofort, nach meiner Ansicht stehe ihrem Wunsche nichts <strong>von</strong> Bedeutung im<br />
Wege u. könne dieser Wechsel sich ohne weitere Schwirigkeiten vollziehen.<br />
Und so geschah es. Die lb. Schw. Agapita kehrte in der Charwoche ins<br />
Seite 92:<br />
Mutterhaus zurück u. am gleichen Tage abends kam lb. <strong>Schwester</strong> Edburga<br />
Benz an, auch als neu eingekleidete Novizin. Auch sie trat ihren Posten<br />
mutig u. freudig an u. alles ging einen ruhigen, friedlichen Gang. An den<br />
Vormittagen u. in der freien Zeit arbeitete Schw. Edburga viel für die<br />
Pfarrkirche durch flicken, Spitzen knüpfen u. verschiedene Anfertigung<br />
neuer Kirchensachen Der gute alte Pfarrer hatte viel Freude daran u. war<br />
sehr zufrieden nun jemand zu haben, der ihm Sakristei in Ordnung hielt.<br />
(d.h. die kirchlichen Gewänder.)<br />
Er zahlte uns sehr nobel dafür u. was weit höher zu schätzen, stets wachte<br />
sein väterliches Auge über uns u. suchte unser geistiges u. leibliches Wohl<br />
nach Kräften zu fördern. Ich glaube, nie hat eine <strong>Schwester</strong> einen<br />
Augenblick an seinem Wohlwollen gezweifelt, obschon er sich durch nichts<br />
zurückhalten liess, wenn er eine Rüge für notwendig oder nützlich fand. Er<br />
verdiente wahrhaft den Namen "Vater und Freund".<br />
In die Schule mischte er sich nicht u. war auch nicht in der<br />
Schulkommission. Er besuchte jede Schule seiner Pfarrei 2-3 mal im Jahre,<br />
ermahnte die Kinder zum Gehorchsam u. zum Fleiss u. fragte, ob das eine<br />
oder andere<br />
Seite 93:<br />
Anlass zu besonderer Klage gebe. Die Kinder waren jedesmal auffallend<br />
gespannt auf seine Bemerkung u. freuten sich sehr, wenn sie ein Wort des<br />
Lobes <strong>von</strong> ihm erhielten. Als ich ihn einlud, auch uns <strong>Schwester</strong>n zu
- 47 -<br />
besuchen, sagte er: "Zu Euch komme ich zweimal im Jahre, dann dürft ihr<br />
mich bewirten". Und so geschah es auch u. das war für uns jedesmal eine<br />
grosse Freude u. ein wahrer geistiger Genuss. Bei dieser Gelegenheit sagte<br />
er einst zu uns: Mich könnt ihr jeden Abend um 5 Uhr in der Kirche treffen,<br />
wo ich meine Stunde halte u. gern auch in den Beichtstuhl gehe, wenn es<br />
gewünscht wird. Ihr dürft täglich kommen, ich bin stets bereit, wenn mich<br />
nicht ganz besondere Geschäfte verhindern. Geht nur nie unruhig zur hl.<br />
Kommunion". Bei erster Gelegenheit erzählte ich dies der lieben seligen<br />
Frau Mutter Theresia u. sie rief aus: "O, ihr glücklichen Kinder! O, wenn<br />
doch alle <strong>Schwester</strong>n einen so guten Pfarrer hätten". Und als sie nach<br />
Gurmels kam uns zu besuchen, logierte sie bei ihm u. er freute sich sehr<br />
darüber. Auch wir beide <strong>Schwester</strong>n durften beim Nachtessen mithalten u. es<br />
war für uns ein sehr schöner, auch geistig genuss-<br />
Seite 94:<br />
reicher Abend. An diesem Abend erteilte die selige Mutter uns auch die<br />
Erlaubnis zwei bis dreimal im Jahre bei Herrn Pfarrer zu speisen. Nach<br />
ungefähr 2 Jahren kam die Ehrw. <strong>Schwester</strong> Conrada Bilger, damals<br />
Assistentin bei lb. Frau Mutter, zu uns um Visitation zu halten. Es war<br />
Sonntag abend im Septemb. am Freiburger-Kirchweihfeste Wir waren vom<br />
Herrn Pfarrer zum Nachtessen eingeladen. Ich sagte es ihr u. wollte zugleich<br />
gehen um abzusagen. "O nein", rief sie aus, sagen sie nicht ab, sondern<br />
fragen sie an, ob sie mich mitbringen dürfen. Ich freue mich königlich<br />
darauf, denn die liebe Frau Mutter erzählte mir einst, welch schönen Abend<br />
sie bei Hr. Pfarrer in Gurmels erlebt habe". Und wir gingen alle drei und<br />
wurden alle drei mit Freuden aufgenommen und bewirtet u. auf eine für uns<br />
recht angenehme u. lehrreiche Weise unterhalten.<br />
Auch die Köchin des Hr. Pfarrers war eine ausgezeichnete Person, klug, treu<br />
u. den <strong>Schwester</strong>n sehr wohlwollend gesinnt, d. h. ausgestattet mit allen<br />
Eigenschaften einer<br />
Seite 95:<br />
guten Pfarrersköchin. Es war Jungfrau Maria Hayoz <strong>von</strong> Wallenbuch. Sie<br />
bleibt mir unvergessen. Der liebe Gott wolle ihr alles Gute, das sie uns<br />
getan, vergelten mit erhöhter Seligkeit im Himmel.<br />
Bei jedem Zusammensein benützte der Herr Pfarrer die Gelegenheit uns gute<br />
Lehren zu geben, (die uns mehr nützten als lange Reden), für den Fortschritt<br />
im Geistesleben. Was er uns empfahl, übte er auch an sich selbst. Einst
- 48 -<br />
sprach er auch über grosse körperliche Strengheiten vieler Heiligen, die wir<br />
nicht nachahmen können. Um uns aber doch zu christlicher<br />
Selbstüberwindung u. Abtötung zu ermuntern, sagte er, obschon er sonst<br />
selten <strong>von</strong> sich selbst redete, folgendes: "An den gewöhnlichen Tagen des<br />
Jahres mache ich es mit dein Fasten so: Am Sonntag faste ich nicht, am<br />
Montag faste ich den Wein, am Dienstag den Zucker, am Mittwoch u.<br />
Samstag das Fleisch, am Donnerstag den Käse u. am Freitag den Caffee.<br />
Nun ratet, rief er lachend, was mich am meisten kostet? Den Caffee zu<br />
fasten, ja, den Caffee, das kostet mich viel, alles andere wenig". Er ass<br />
nämlich nur dreimal<br />
Seite 96:<br />
im Tage. Am morgen Kaffee mit Brot u. Käse, um halb 12 Uhr Mittagessen<br />
u. abends 6 Uhr Kaffee mit Zubehör. An den gebotenen Fasttagen und<br />
während der 40-tägigen Fasten fastete er streng nach kirchlicher Vorschrift,<br />
bis ins Alter. Wir konnten beobachten, dass er, wenn Ostern nahe war, aus<br />
Schwäche ohne Stütze fast nicht mehr gehen konnte. Sobald aber die<br />
Fastenzeit vorbei war erholte er sich auffallend schnell. Von uns <strong>Schwester</strong>n<br />
jedoch verlangte er an den Fasttagen nur sehr wenig,<br />
Dass er sich stets in strenger Selbstzucht hielt geht auch aus folgendem<br />
hervor: Als 80 jähriger Greis erzählte er mir einst bei heiterer Laune: Als ich<br />
noch bei den Jesuiten in Freiburg 14 jähriger Student war, führte uns einst<br />
der Spaziergang durch einen Wald, worin reife Heidelbeeren waren. Ich<br />
suchte recht viele zu pflücken u. zu essen, denn ich liebte sie sehr. Abends 5<br />
Uhr war eine Unterrichtsstunde. Bevor die Lektion begann schaute uns der<br />
gestrenge Hr. Professor scharf an u. sagte dann zu mir: "Peter, geh an den<br />
Brunnen u. wasche deinen Mund". Ich gehorchte stillschweigend, schwur<br />
aber in meinem Zorn schon auf dem Wege, niemals mehr in meinem Leben<br />
Heidelbeeren zu essen u. ich habe es pünktlich gehalten bis heute. Obschon<br />
er die Heidelbeeren so sehr liebte, benützte er diese Gelegenheit zur<br />
Abtötung.<br />
Weiter erzählte er: Während den Exerzitien vor dem Empfang der undern<br />
Weihen, fasste ich den Vorsatz nie mehr zu rauchen. Ich habe ihn niemals<br />
gebrochen, sondern getreulich gehalten bis heute. Ein andermal erzählte er<br />
mir: Beim Empfang der höhern Weihen durften wir drei besondere Wünsche<br />
tun. Einer <strong>von</strong> den meinigen war: ich bat den lieben Heiland, dass ich nie in
- 49 -<br />
meinem Leben jemanden auf sinnliche Weise liebe u. dass ich nie <strong>von</strong><br />
jemanden auf sinnliche Weise geliebt werde. Ich meine, der liebe Heiland<br />
hat mich erhört. Nun begriff ich leichter, dass er sich nie im geringsten<br />
kränkte, wenn er Widersacher hatte. Möchte nur alles zum Heile der Seelen<br />
geschehen, war dann seine Rede. Einst kamen wir auf die katolischen<br />
Ordensgenossenschaften zu sprechen. Ich liebe u. hochschätze alle<br />
Ordensleute, als bevorzugte Kinder der Kirche, sagte er. Am liebsten aber<br />
habe ich die Kapuziner u. alle Franziskuskinder der 3 Orden. Sie sind<br />
diejenigen, <strong>von</strong> welchen unser Volk u. wir Priester am meisten Hilfe haben".<br />
Er war den Kapuzinern<br />
Seite 98:<br />
ein grosser Wohltäter u. kranken u. alten Patres liess er oft etwas Stärkendes<br />
zukommen. Er trat auch dem 3.ten Orden bei u. war u. blieb ein eifriges<br />
Mitglied bis zu seinem Tode. Seine Köchin erzählte uns: "Sobald er<br />
Ordensmitglied war, entäusserte er sich alles Ueberflüssigen. Seither besitzt<br />
er stets nur noch 2 Paar Schuhe (gröbere Lederschuhe) Wird ein Paar<br />
schadhaft, lässt er sie ausbessern u. schenkt sie einem Armen. Aehnlich<br />
macht er es mit seinen andern Kleidungsstücken. Seine schönen, leinenen<br />
Hemden, die ich selbst gesponnen (sie beschäftigte sich im Winter auch mit<br />
spinnen), hat er f bis auf 6 St. alle den Armen gegeben. Seine grosse<br />
Wohltätigkeit kam erst nach seinem Tode so recht an die Oeffentlichkeit. Er<br />
bemühte sich nämlich stets seine guten Werke geheim zu halten u.<br />
bevorzugte stets die verschämten Hausarmen. In spätern Jahren, als er u.<br />
seine Köchin wegen Gicht in den Fingern nicht mehr wohl konnten, musste<br />
ich monatlich seine Geldrollen machen, d. h. viele Paketchen mit 3-5-10-15<br />
frcs. Inhalt. Diese übergab er heimlich an Hausarme u.s.w.<br />
Einfachheit, gerades, gerechtes Wesen u. wahre Herzensdemut waren<br />
Grundzüge seines schönen, goldlauteren, edlen Charakters.<br />
-oooooooooo-<br />
Seite 99:<br />
<strong>Erinnerungen</strong> <strong>von</strong> Schw. <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong>. III. Heft.<br />
Auch eine andere grosse Wohltäterin gab uns die göttliche Vorsehung in der<br />
Person der Mademoiselle Marie de Fégely de Vivis. Diese ausgezeichnete<br />
Dame gehörte einem der vornehmsten Patriziergeschlechter Freiburgs an,<br />
war aber die letzte ihres Namens. Ihr Vater war französischer Marechal
- 50 -<br />
gewesen. Im Sommer wohnte sie in ihrem Schlosse in Petit Vivis (klein<br />
Vivers) zwischen den Pfarreien Gurmels u. Bärfischen gelegen, im Winter in<br />
der Stadt Freiburg. Sie besass Landgüter in den Gemeinden Gurmels u.<br />
Bärfischen. Eines derselben in der Gemeinde Gurmels-Monterchu gelegen,<br />
ging später nach ihrem Tode lt. Testament an die Pfarreien Gurmels u.<br />
Bärfischen über, zur Gründung eines Waisenhauses. Es wirken jetzt dort<br />
<strong>Schwester</strong>n aus dem Institut Baldegg, weil es damals <strong>von</strong> unserm Institute<br />
Ingenbohl, wegen Mangel an <strong>Schwester</strong>n, nicht übernommen werden<br />
konnte. Diese genannte Dame versah<br />
Seite 100: uns <strong>Schwester</strong>n in Gurmels mit allem etwa noch fehlenden. Wir erhielten ein<br />
3.tes Bett, genügend Bett- u. Küchenwäsche, Bett- u. Fenstervorhänge<br />
(Roullon) u. andere notwendige u. nutzbringende Dinge. Wir brauchten es<br />
ihr nur zu sagen, wenn uns etwas fehlte u. sie sorgte für uns wie eine gute<br />
Mutter. Auch für Material für die Arbeitsschule war sie besorgt, was eine<br />
grosse Wohltat war u. <strong>von</strong> Zeit zu Zeit versah sie uns mit Geld zur<br />
Unterstützung verschämter Armen. Gegen unser Institut zeigte sie sich stets<br />
sehr geneigt u. hatte grosse Hochachtung u. Ehrfurcht vor der lb. sl. Mutter<br />
Theresia und vor unserm sl. Stifter, dem Hochw. Pater Theodosius, (Siehe<br />
Seite 146) den sie gut gekannt hatte Ein Patengeschenk, das bei ihrer Taufe<br />
in einer Casse an Zins gelegt wurde, war nun auf l000 frcs. tausend Frank.<br />
angewachsen. Da übersandte sie diese Summe der lb. Frau Mutter Theresia<br />
sl. als Unterstützung u. Mitgift für eine arme, aber brave Kandidatin (Sr.<br />
Canisia Fuchs, Elsässerin, zugewendet).<br />
Seite 101: Im Umgange war Frl. Marie de Fégely die vornehme, edle Dame vom Fuss<br />
bis zum Scheitel, ächte Aristokratin, dabei aber höchst liebenswürdig,<br />
wahrhaft fromm u. herablassend. (Siehe Seite 145)Von ihr sagte einst der<br />
Pfarrer P. Roggo: "Fräulein Fégely ist <strong>von</strong> allen Adeligen, die ich kenne,<br />
weit die Beste." Und das war <strong>von</strong> ihm viel gesagt, denn es war nicht seine<br />
Art, den Adeligen Complimente zu machen. Sie ruht in Bärfischen, im Chor<br />
der Pfarrkirche, in der Familiengruft begraben.<br />
Auch die Gemeinde liess sich nun herbei zur Verbesserung unserer<br />
Wohnung u. des ganzen Gebäudes. Vor allem erhielt das Haus eine neue<br />
Bedachung u. wir waren der Mühe enthoben bei Regenwetter u.<br />
Schneeschmelze Kübel u. Kessel unterstellen zu müssen, um in der Nacht
- 51 -<br />
trocken zu bleiben. Die Gartenmauer u. Zugänge wurden ausgebessert u. mit<br />
Steinplatten neu gedeckt. Im Wohn- u. Schulzimmer gab es neue Fenster u.<br />
neue Böden u. neue Oefen. Die Küche erhielt einen neuen Kochherd. Schulu.<br />
Wohnzimmer wurden mit Holz getäfert, das Wohnzimmer unterschlagen<br />
u. beide Zimmerchen gefällig gestrichen.<br />
Seite 102: Auf dem Estrich wurde ein Zimmerchen bewohnbar hergerichtet u. dahin<br />
stellten wir das 3te Bett.<br />
So hatte der liebe Gott wahrhaft väterlich für uns gesorgt, ja bis zum<br />
Ueberfluss. Es erwahrte sich auch das Wort des Pfarrers P. Roggo, das er<br />
mir anfänglich zum Troste sagte: "Es ist besser, es gehe im Anfang nicht so<br />
gut, es kommt dann später besser."<br />
Nach einigen Jahren wurden auf Anregung des Hrn. Oberamtmann A.<br />
Bourqui für die Gesamtschule in Wallenried u. für die Mädchenschule in<br />
Grissach u. auch für die neu gegründete katolische Schule in Murten<br />
<strong>Schwester</strong>n <strong>von</strong> Ingenbohl berufen. Die Arbeitsschulen <strong>von</strong> Wallenried u.<br />
Grissach fielen nun für <strong>Schwester</strong> Edburga in Gurmels weg. Dafür erhielt sie<br />
die neugegründete Schule in Gross-Guschelmuth, Pfarrei Gurmels. Es blieb<br />
ihr also noch Arbeit genug. Es war geradezu erstaunlich mit welchem Mut<br />
die liebe <strong>Schwester</strong> Edburga ihren Posten besorgte. Mochte das Wetter noch<br />
so ungünstig, der Weg noch so schlecht sein, sie blieb nie zu Hause,<br />
Seite 103: sondern zog mutig aus. Ich erinnere mich nicht, dass sie ein einziges Mal<br />
gefehlt hätte. Wallenried u. Courtepin bediente sie am gleichen Tage. Früh<br />
morgens 6 Uhr machte sie sich auf den Weg, im Winter mit dem Laternchen<br />
in der Hand, um zeitig in Wallenried bei der halbacht Uhr Messe zu<br />
erscheinen u. nachher Schule zu halten bis 11 Uhr. Dann erhielt sie im<br />
Schlosse des Herrn de Castella ein gutes Mittagessen. Die gute, alte<br />
Schlossköchin Marianne, eine Elsässerin, blieb auch im Winter im Schlosse,<br />
während die Herrschaft sich zu dieser Zeit in Paris oder Freiburg aufhielt.<br />
Um 1 Uhr musste die <strong>Schwester</strong> in Courtepin sein u. dort Schule halten bis 4<br />
Uhr. Bei den kurzen Wintertagen bricht um diese Zeit bald die Dämmerung<br />
an u. wenn sie heimkam, war es schon dunkel, ja Nacht. Jedesmal litt ich<br />
Kummer bis ich sie zu Hause sah, denn Courtepin ist 5/4 Stunden <strong>von</strong><br />
Gurmels entfernt u. Bärfischen ist nicht viel näher. Dazu sind die Wege sehr<br />
einsam u. führen teilweise durch Wälder. Ich wandte mich jedesmal an die
- 52 -<br />
Seite 104: armen Seelen, betete für sie u. bat sie um Schutz. Und jedesmal stand auch<br />
die <strong>Schwester</strong> plötzlich wohlbehalten u. wohlgemut da, schüttelte den<br />
Schnee ab, zog die Schneestiefel aus u. lachte über meine unnötige Sorge.<br />
Der Winter 1880/81 war ausserordentlich kalt u. streng, so dass sich auch die<br />
ältesten Leute nicht an so etwas erinnerten. Die <strong>Schwester</strong> wurde <strong>von</strong> Frl. de<br />
Fégely mit verschiedenen warmen, leichten Kleidungsstücken versehen.<br />
Unter anderm erhielt sie eine mit Seidenwatte gefütterte Pelerine u. die liebe<br />
Frau Mutter Theresia schickte ihr einen kurzen, leichten u. doch warmen<br />
Mantel, der auch bei verschneitem Weg gut zu tragen war. Wir lachten oft<br />
über diese Montour, aber sie war praktisch u. tat gute Dienste, u. das war<br />
doch die Hauptsache. Das Angesicht suchte sie sich zu schützen durch eine<br />
Art Maske (Gesichtsbedeckung), die sie sich selbst aus weisser Wolle<br />
anfertigte, so dass nur die Augen unbedeckt blieben. Diese Maske trug sie,<br />
Wenn es finster war u. auch sonst, wenn gerade keine Leute des Weges<br />
kamen, was meistens<br />
Seite 105: der Fall war, denn wer nicht musste, ging nicht aus. Wenn ich über ihr<br />
Costume lachte, sagte sie, es achtet das niemanden, denn jeder der mir<br />
begegnet ist eingemummt bis über die Ohren u. Augen. Und doch erfroren<br />
der <strong>Schwester</strong> Nase u. Wangen, so dass dicke Geschwulste entstanden, als<br />
gegen Ende Februar die grosse Kälte brach u. Tauwetter eintrat. Wir hatten<br />
recht Angst. Doch es heilte wieder ohne den geringsten Nachteil zu<br />
hinterlassen. "Die armen Seelen müssen mich heilen", sagte die <strong>Schwester</strong>,<br />
denn für sie habe ich auf dem Wege die grosse Kälte ertragen u. aufgeopfert.<br />
Und ihre Erwartung wurde nicht getäuscht.<br />
So besorgte <strong>Schwester</strong> Edburga Benz, eine Elsässerin, diese Arbeitsschulen<br />
14 Jahre mit vorbildlicher Pünktlichkeit. Sie blieb gesund u. wohl, war<br />
niemals krank. Und so, wie ich mich erinnere, hat sie nicht ein einziges mal<br />
die Schule gefehlt, oder nicht zur rechten Zeit gehalten, mochten Weg u.<br />
Wetter noch so ungünstig sein. Selbst durch hohen Schnee, wodurch am<br />
frühen Morgen<br />
Seite 106: noch niemand gegangen, ist sie durchgewatet u. doch blieb sie gesund,<br />
fröhlich u. heiter. Hie u. da sagte sie lachend zu mir: "Ich habe doch viele<br />
Freuden, denn am Abend freue ich mich schon auf dem Heimweg königlich<br />
auf den warmen Kaffee, auf den grossen geheizten Ofen, auf den ich mich
- 53 -<br />
nun setze um mich gehörig durchzuwärmen u. auf den gemütlichen Abend in<br />
der warmen Stube. Dann erzählte sie mir ihre etwaigen Erlebnisse während<br />
des Tages.<br />
Es sei hier lobend erwähnt, dass wir in allen Jahren keinerlei<br />
Unannehmlichkeiten hatten mit den betreffenden Gemeinde- u.<br />
Schulbehörden u. auch in keiner andern Weise. Auch auf den weiten<br />
Schulwegen ist ihr nie etwas Misshelliges oder Unangenehmes begegnet u.<br />
die Bevölkerung war überall wohlwollend u. zuvorkommend. Ich litt oft<br />
Angst, wenn ich die <strong>Schwester</strong> so allein auf einsamen Wegen wusste, sie<br />
selbst aber äusserte nie Angst u. sagte stets, es sei keine Ursache dazu.<br />
Einst kam Schw. Edburga aus den hl. Exerzitien zurück u. erzählte mir mit<br />
einem Anflug <strong>von</strong> Stolz folgendes:<br />
Seite 107: "Denken Sie, als ich zur lieben Frau Mutter Theresia Scherer ins Zimmer<br />
getreten, schaute sie mich einige Augenblicke fest an u. sagte dann zu mir:<br />
"sie machen mir eine grosse Freude, denn sie sind die erste, die während<br />
diesen Exerzitien zu mir kommt u. ein gesundes u. frisches Aussehen hat".<br />
Ja liebe Frau Mutter, sagte ich, ich bin ganz gesund u. zufrieden. "Danken<br />
sie dem 1b. Gott wozu sie alle Ursache haben", sagte sie dann weiter. Und so<br />
frisch u. gesund war Schw. Edburga noch, als sie nach 14 Jahren versetzt<br />
wurde u. einen andern Wirkungskreis erhielt. (Siehe Seite 119)<br />
Jede Woche war der ganze Freitag den Religionsunterricht gewidmet. Er<br />
wurde <strong>von</strong> Hochw, Herrn Pfarrer erteilt u. zwar in der Kirche in zwei<br />
Abteilungen, die ältern Schüler Vormittag u. die jüngern Nachmittag. Alle<br />
Schüler der Pfarrei, mit Ausnahme Wallenried, hatten zu erscheinen. Für die<br />
Kinder der zwei untersten Klassen jedoch wurde der Katechismusunterricht<br />
vom Hochw. Herrn Kaplan am Freitag Nachmittag im Mädchen-<br />
Schulzimmer erteilt.<br />
Seite 108: In der Kirche sollte beim Unterricht abwechselnd ein Lehrer dabei sein u.<br />
die Aufsicht halten. Aber es war kein gesuchtes Aemtchen u. so blieben den<br />
die Lehrer sehr oft aus u. der gute alte Hr. Pfarrer hatte Mühe die Disciplin<br />
aufrecht zu halten. Und nun fiel mir diese Aufgabe zu. Es war wirklich kein<br />
beneidenswertes Amt, 70-80 u. noch mehr, mutwillige, zerstreute Kinder in<br />
Ruhe halten. Oft litten sie auch <strong>von</strong> Kälte in ungeheizter Kirche, waren<br />
müde u. hungrig vom weiten Weg u. klopften eifrig mit ihren kalten Füssen.
- 54 -<br />
Es gab manche ergötzliche Scene, aber auch hie u. da Aerger u. ein oder<br />
andermal erhielt ich wohl keine schmeichelhaften Titel. Glücklicherweise<br />
waren auch die grössern Knaben nicht eigentlich boshaft od. gar verdorben<br />
u. <strong>von</strong> ihren Schullehrern wurden sie zum Gehorchsam ermahnt, denn jeder<br />
wusste aus eigener Erfahrung wie schwierig mein Amt war. An Sonn u.<br />
Feiertagen hatten die Schulknaben während des Gottesdienstes ihren Platz<br />
im Chor u. ein Lehrer musste die Aufsicht halten. Einst während dem<br />
Seite 109: Religionsunterrichte kicherten die Knaben mehr als gewöhnlich u. ich sah,<br />
dass sie kaum das Ende erwarten mochten. Nach dem Gebet sagten sie zu<br />
mir: "<strong>Schwester</strong>, schauen sie schnell, wer dort an der Chormauer ist". Und<br />
richtig, sie hatten am gestrigen Feiertage, während der Vesper, den<br />
abwesenden Aufseher mit Stift an die Mauer gezeichnet mit höchst zornigem<br />
Gesichte. Sie hatten es zum Staunen zutreffend fertig gebracht u. darunter<br />
geschrieben: C. Egger, Lehrer! Ich erschrak u. rief Hr. Pfarrer herbei. Er<br />
lachte herzlich u. sagte zu mir: Lassen sie es stehen. Der Lehrer soll es am<br />
Sonntag sehen u. selbst entfernen. Warum war er nicht auf seinem Posten".<br />
Nach den Tätern fragte er nicht u. ich auch nicht. Die Zeichnung aber wurde<br />
schon am Samstag abend <strong>von</strong> Lehrer Egger so heimlich als möglich entfernt.<br />
Im Uebrigen hielt wohl auch er für das Klügste stillschweigend über die<br />
Sache wegzugehen. Ein andermal, als ich nach der Ursache eines Gekichers<br />
fragte, sagte ein kleinerer Schüler zu mir:<br />
Seite 110: "<strong>Schwester</strong>, der da (er kannte seinen Nachbar nicht) hat gesagt, Ihr seit a<br />
Aegersta (Elster). Augenblicklich gerät der Angeklagte in solchen Zorn, dass<br />
er sich mit wütenden Streichen über den Kopf des Anklägers rächte. Er<br />
selbst aber kam ungeschoren da<strong>von</strong>, d.h. ungestraft. Der gute alte Herr<br />
Pfarrer war sehr geduldig u. nachsichtig u. das viele Strafen war nicht seine<br />
Sache. An Knabenstreichen zeigte er meistens kindliche Freude u. lachte<br />
herzlich mit. Er war eine wahre Philipp Neri Natur. Auch bei den<br />
monatlichen allgemeinen Kinderbeichten musste ich die Kinder hüten. Es<br />
dauerte dabei oft lange u. die grössere Zahl war weiter hergekommen u. da<br />
gab es denn Streit, ja hie u. da Püffe u. Schläge vor dem Beichtstuhl, selbst<br />
ohne Bussgeissel. (Aehnliches, nur noch Schlimmeres bekam ich später in<br />
der Liebfrauenkirche in Zürich zu sehen, als wir dort zufällig während der<br />
Kinderbeichte eingetreten waren. Der gute Herr Vikar musste
- 55 -<br />
Seite 111: den Beichtstuhl öfter verlassen um Ordnung zu schaffen, weil keinerlei<br />
Aufsicht da war. Ich musste unwillkürlich an Gurmels denken. Einst, als<br />
junge <strong>Schwester</strong>, kam ich müde u. etwas verstimmt <strong>von</strong> meinem Hüterdienst<br />
nach Hause. Ich stellte mich ans Fenster u. schaute durch die Scheiben, bis<br />
sich die Schüler der obern Gemeinden endlich versammelt hatten, um<br />
gemeinschaftlich nach Hause zu gehen. Der Weg der Schüler <strong>von</strong><br />
Guschelmuth führte neben unserm Garten vorbei. An der Gartenmauer stand<br />
ein Pflaumenbäumchen mit reifen Pflaumen behangen. Die Knaben blieben<br />
stehen, schauten begierlich bald nach dem Bäumchen, bald nach unsern<br />
Fenstern u. schienen Rat zu halten u. sich zu besinnen. Plötzlich wurde das<br />
Bäumchen fest angepackt, heftig geschüttelt, die Pflaumen eingepackt, dann<br />
eiligst Fersengeld genommen u. weiter oben auf der langen Zelg Mahlzeit<br />
gehalten. Ich war ganz empört über eine solche Tat und gerade nach der<br />
Beichte! Nein, traurige Vorsätze! Sofort lief ich zum Herrn Pfarrer u. hoffte,<br />
er werde<br />
Seite 112: jetzt "Feuer vom Himmel regnen lassen". Aber er hatte die Kirche soeben<br />
verlassen u. stand schon im Wohnzimmer mit dem Rücken an die Ofenwand<br />
gelehnt, wie gewöhnlich, wenn er müde war. Ruhig hörte er mir zu, ohne<br />
über meinen Feuereifer u. über meine Rachepredigt ein Wort zu verlieren u.<br />
das machte mich noch ärgerlicher. Schliesslich neigte er sich lächelnd nahe<br />
an mein Ohr u. sagte leise: Machen wir es besser? Jetzt war ich geschlagen<br />
u. verstummte. Ich dachte an meine wöchentlichen Beichten u. Vorsätze,<br />
griff nach der Türklinke u. eilte nach Hause. Der Verlust der Pflaumen war<br />
bald verschmerzt. Ob die Knaben gestraft wurden, weiss ich nicht. Bei ihren<br />
Lehrern habe ich sie nicht verklagt u. auch nicht anderswo. Diesen Vorfall<br />
habe ich nie mehr vergessen, mich aber auch nie mehr so aufgehalten über<br />
die Unzulänglichkeit "guter" Vorsätze. Die feine Lektion, die mir der gute<br />
Herr Pfarrer gab, war mir <strong>von</strong> grossem Nutzen.<br />
(Siehe weiter Heft 4, Nachtrag)<br />
Einst an einem Sommerabend sah uns der Herr Pfarrer, zufällig <strong>von</strong> seiner<br />
Laube aus, etwa verspätet <strong>von</strong> einem<br />
Seite 113: Besuche bei Mitschwestern nach Hause kommen. Des andern Tages machte<br />
er uns tadelnde Bemerkung u. sagte uns in Zukunft sollen wir sorgen, dass
- 56 -<br />
wir Betglockenzeit zu Hause seien. Wir merkten es uns u. haben uns niemals<br />
mehr verspätet.<br />
Besuchet hie u. da die nähern Mitschwestern, sagte er, jedoch nicht zu oft, u.<br />
bleibet mit ihnen in schwesterlicher Fühlung, das erfordert die Liebe. Und<br />
noch viele andere gute u. weise Lehren gab uns der fromme Pfarrer. Ich<br />
erzählte sie dann gelegentlich auch der lb. sl. Mutter Theresia u. sie hat alles<br />
gut gefunden u. sich darüber gefreut.<br />
Seite 114 bis 117<br />
Es folgt nun eine wörtliche Wiederholung aus Heft 2 Seite 95 bis 98.<br />
beginnend mit dem Passus: Bei jedem Zusammensein benützte er die<br />
Gelegenheit und schliessend mit dem II. Heft ohne den letzten Abschnitt mit<br />
den Worten: Diese übergab er heimlich an Hausarme u.s.w. Diese offenbar<br />
irrtümliche Wiederholung ist am Rande mit blauem Tintenstift angestrichen.<br />
Dagegen findet sich auf S. 117 unten noch folgender Passus:<br />
Seite 116: Einst sagte er zu mir: Ich liebe jedes meiner Pfarrkinder mit väterlicher<br />
Liebe. Am nächsten aber stehen meinem Herzen die Kapläne der Pfarrei u.<br />
Ihr <strong>Schwester</strong>n.<br />
Seite 118: Nun gab es eine neue Schuleinteilung. Man hielt dafür die Knabenschule in<br />
Gurmels u. die Gesamtschule in Liebistorf erfüllen ihre Aufgabe nicht mehr<br />
genügend. Hochw. Hr. Schulinspektor Tschopp, im Einverständnis mit den<br />
zuständigen Behörden, übertrug mir die Oberklassen, d.h. die drei letzten<br />
Schuljahre der Schüler <strong>von</strong> Gurmels u. Liebistorf, Knaben u. Mädchen. Die<br />
Lehrer behielten die übrigen untern Klassen. Die liebe Frau Mutter war<br />
einverstanden. Ich kam etwas bös weg, denn es gab nun für mich einige<br />
schwierige Jahre. Doch der lb. Gott half mir glücklich darüber hinweg.<br />
Endlich wurden die Lehrer <strong>von</strong> Gurmels u. Liebistorf durch junge, tüchtige<br />
Lehrkräfte ersetzt. Liebistorf erhielt eine Oberschule u. eine zweite<br />
<strong>Schwester</strong> für die zwei untersten Klassen, Knaben u. Mädchen. Die grössern<br />
Knaben erhielt der Lehrer u. die grössern Mädchen blieben mir. Alles<br />
wickelte sich ruhig u. im Frieden ab.<br />
Seite 119: Nun war für mich die erwünschte goldene Zeit angebrochen. Die<br />
auswärtigen Arbeitschulen konnten wir jetzt leicht fallen lassen. Liebistorf<br />
erhielt ein Fräulein für die Unterschule u. für die Arbeitsschule u. die<br />
Arbeitsschule <strong>von</strong> Courtepin übernahmen die <strong>Schwester</strong>n <strong>von</strong> Wallenried. In
- 57 -<br />
den Gemeinden Bärfischen, Cordast u. Guschelmuth wurden Mädchen<br />
ausgebildet als Arbeitslehrerinnen u. es ging alles gut.<br />
Die katolischen Schulen <strong>von</strong> Murten wurden nach einiger Zeit vom Institute<br />
Menzingen übernommen, Grissach erhielt ein Welt-Fräulein als Lehrerin u.<br />
Wallenried einen Lehrer. Unsere <strong>Schwester</strong>n wurden zurückgenommen.<br />
Seite 119: unten. Zu Seite 107. Für jede Arbeitsschule erhielten wir frcs. 80 Gehalt pro<br />
Jahr. Wir wurden aber stets <strong>von</strong> Frl. Marie de Fégely u. <strong>von</strong> Hochw. Herrn<br />
Pfarrer P. Roggo grossmütig unterstützt, so dass uns nichts mangelte.<br />
Seite 120: Hospitz St. Peter.<br />
Herr Pfarrer P. Roggo war nun bereits alt geworden u. ging mit dem<br />
Gedanken um, die grosse Pfarrei Gurmels mit der kleinen Kaplanei<br />
Guschelmuth, die zur Pfarrei Gurmels gehört, zu vertauschen. Um aber noch<br />
vorher armen u. alten verlassenen Leuten der Pfarrei für eine Heimat zu<br />
sorgen, fasste er den Entschluss aus eigenen Mitteln ein kleineres Hospitz<br />
erbauen zu lassen. Jetzt sorgte die göttliche Vorsehung für einen Vikar.<br />
Dieser verstand sich gut in Bausachen u. stand nun dem Herr Pfarrer mit Rat<br />
u. Tat treu zur Seite. Recht bald entstand das hübsche Gebäude, schön<br />
gelegen, mitten im Dorfe, nahe bei der Pfarrkirche, erbaut durch Baumeister<br />
J. Perler, Vater unserer <strong>Schwester</strong> Leandra. Van nannte es zu Ehren seines<br />
Gründers "Hospitz St. Peter". Es wird <strong>von</strong> unsern <strong>Schwester</strong>n bedient. Bald<br />
zogen arme verlassene Alte u. Gebrechliche verschiedener Art ein. Für sie<br />
war es zur grossen Wohltat geworden. Es gereichte dem Herrn Pfarrer zur<br />
Freude u.<br />
Seite 121: zum grossen Troste, dass nun für die Aermsten in der Pfarrei gesorgt war.<br />
Diese armen, alten Leute waren damals näml. fast nicht zu bewegen, sich in<br />
ein Spital der Providence in Freiburg zu begeben, wo für sie gesorgt worden<br />
wäre. (Diese böse Vorurteil rührte <strong>von</strong> dem abgebrannten Armenhause<br />
Umbertschwendi her.) Ganz aus eigenen Mitteln, d. h. aus seinem<br />
väterlichen Vermögen, hatte der Herr Pfarrer das Haus erbauen lassen.<br />
Die untere Kirche.<br />
Zu unterst im Dorfe, auf einer kleinen Erhöhung, steht eine alte Muttergottes<br />
Kirche. Ihre Gründung reicht zurück bis zur Murtenschlacht im<br />
Burgunderkrieg. Es besteht da eine kleine Wallfahrt zur "Muttergottes vom<br />
dürren Berg". An allen Monatsonntagen und Muttergottesfesten wird der
- 58 -<br />
Hauptgottesdienst da gehalten. Nun wurde durch einen Blitzschlag der Turm<br />
u. das Innere der Kirche stark beschädigt. Der Hochaltar wurde zerstört u.<br />
der Turm brannte gänzlich nieder. Die Kirche wurde aber jetzt wieder ganz<br />
renoviert, ein neuer Hochaltar erstellt u. der Turm wieder schön aufgebaut.<br />
Dies geschah<br />
Seite 122: hauptsächlich durch finanzielle Hilfe des Pfarrers P. Roggo u. der Frl. Maria<br />
de Fégely de Vivis u. auch durch fleissige, tätige Mitwirkung des Herrn<br />
Vikar F. Xaver Zengerling.<br />
Siehe weiter S. 178.<br />
Es wurde auch oft <strong>von</strong> der Notwendigkeit einer neuen Pfarrkirche<br />
gesprochen, denn die alte war zu klein geworden. Doch Pfarrer Rogge sagte,<br />
diesen Bau muss ich meinem Nachfolger überlassen. Bald demissionierte er<br />
auf die Pfarrei u. zog sich auf die leichte Kaplanei Guschelmuth zurück. Die<br />
Pfarrstelle wurde <strong>von</strong> den Chorherren zu St. Nicolaus, welche Kollatoren der<br />
Pfarrei sind, dem früheren Vikarius Franz Xaver Zengerling übertragen. Der<br />
Bau der neuen Pfarrkirche kam bald zustande. Er wurde durch Baumeister J.<br />
Perler ausgeführt u. glücklich vollendet. Eine gute finanzielle Hilfe war<br />
wieder alt Pfarrer Roggo. Herr Pfarrer Zengerling aber mühte sich ab Tag u.<br />
Nacht u. verwendete seine Geistes- u. Körperkräfte für das gute Gelingen<br />
des Baues. Bei Wind u. Wetter selbst im Winter, stand er unter den<br />
Arbeitern<br />
Seite 123: um sie zu ermuntern, zu belehren u. mitzuhelfen. Doch auch an ihm sollte<br />
sich das Wort bewahrheiten: "Eine Kirche kostet einen Pfarrer". Kaum war<br />
die schöne Kirche zu seiner grossen Freude vollendet, kam schwere<br />
Krankheit über ihn, die er wohl schon längere Zeit gefühlt, aber nicht<br />
beachtet hatte u. nach einigen Wochen sank der sonst so starke Mann ins<br />
Grab. Er starb zwei Jahre vor alt Pfarrer Roggo. Beide aber ruhen Seite an<br />
Seite in der schönen Pfarrkirche in Gurmels u. erwarten de den Tag der<br />
Auferstehung.<br />
Es scheint, dass alt Pfarrer Roggo zum Bau der neuen Pfarrkirche den<br />
ganzen Rest seines Vermögens geopfert hat. Denn ungefähr ein Jahr vor<br />
seinem Tode sagte er zu mir: "Nun bin ich wirklich arm u. ich bin glücklich<br />
dabei. Erst wenn man die Armut am eigenen Leibe fühlt, kann man sagen<br />
ich bin arm. Seien sie darum nicht zu tüpfalig in ihren Sachen. Es soll immer
- 59 -<br />
etwas fehlen, damit man die gelobte Armut nicht zu leicht vergisst". Mit<br />
grossem Eifer dem Gebete und der Betrachtung obliegend<br />
Seite 124: lebte er ruhig u. ungestört auf der einsamen Kaplanei. Täglich weilte er<br />
stundenlang in Andacht versunken vor dem Tabernakel. An allen Sonn- u.<br />
Feiertagen aber kam er, nachdem er in Guschelmuth die Frühmesse gelesen,<br />
zu Hochamt u. Predigt in die Pfarrkirche. Sommer u. Winter machte er<br />
diesen Weg zu Fuss, ohne auf Wind u. Wetter zu achten, obschon er eine<br />
Stunde weit ist. Er gab hiemit dem Volke ein herrliches, unvergessliches<br />
Beispiel u. erbaute hiedurch die ganze Pfarrei. Auch hierin, wie in vielen<br />
Dingen, glich er seinem heiligmässig verstorbenen Onkel, Hochw. Herr<br />
Piller, Spiritual des Klosters der Visitation in Freiburg. Ruhig u. gottergeben<br />
beschloss er sein heiligmässiges Leben nach kurzer, leichter Krankheit.<br />
Tiefe Frömmigkeit, einfaches gerades Wesen, grosser Gerechtigkeitssinn u.<br />
wahre Herzensdemut waren Hauptzüge seines schönen, edlen Charakters. Es<br />
wäre zu wünschen, dass eine berufenere Feder solch schönes Priesterleben<br />
ausführlich schildern würde um es der Nachwelt zu überliefern.<br />
Seite 125: Ein ebenso frommer Priester war der Hochw. Herr Berset, Pfarrer der Stadt<br />
Neuenburg u. Freund des Pfarrers Roggo. Während seiner Amtszeit wurde<br />
die schöne katolische Kirche in Neuenburg gebaut. Hiefür brachte er grosse<br />
u. schwere Opfer. Der Erbauer war Ing. Ritter-Ducrest in Neuenburg. Seine<br />
Tochter Yolanda, die Herr Pfarrer Berset nahe gestanden, erzählte mir später<br />
viele rührende Züge aus seinem opferreichen, heiligmässigen Priesterleben.<br />
So schlief er die letzten 25 Jahre in Neuenburg, ob gesund oder krank, stets<br />
nur auf einem alten Kanapee, weil er sein eigenes Bett einer notdürftigen<br />
Familie gegeben hatte. Anstatt sich ein anderes zu kaufen, verwendete er das<br />
hiefür geschenkte Geld zum Bau der Kirche. Für seine eigenen Bedürfnisse<br />
verbrauchte er nur das Allernotwendigste, Alles andere kam in die Hände<br />
der Armen. Und so noch mehreres, höchst Erbauliches, erzählte sie mir,<br />
wenn Frl. Y Ritter zur ihrer <strong>Schwester</strong> Valentine nach Gnadenthal zu Besuch<br />
u. in die Ferien kam.<br />
Seite 126: Gott sei gepriesen in seinen Heiligen u, in seinen heiligmässigen Dienern.<br />
Solange wir noch viele fromme u. eifrige Priester haben, brauchen wir nicht<br />
zu sehr zu bangen um die Erhaltung unserer hl. Religion im lb. Vaterlande.<br />
Es bleibt ewig wahr, was der Katechismus sagt: Ein guter Priester ist eine
- 60 -<br />
der besten Gaben, die Gott seiner Kirche geben kann.<br />
Der Nachfolger des Hr. Pfarrers Zengerling war Hr. Pfarrer Canisius Greber,<br />
Schulinspektor. Aber schon nach drei Jahren trat er <strong>von</strong> der Pfarrei zurück u.<br />
wurde durch Hochw. Herrn Ems, dem jetzigen Generalvikar des Bischofs<br />
<strong>von</strong> Freiburg, ersetzt.<br />
Im Herbst 1875 hatte ich die Schule in Gurmels übernommen u. im Herbst<br />
1904 trat ich da<strong>von</strong> zurück. Also 29 Jahre brachte ich in Gurmels zu. Und<br />
überall, wo man arbeitet u. wirkt, lässt man einen Teil seiner Lebenskraft<br />
zurück. Dies traf auch bei mir zu. Auch meine Gesundheit hatte gelitten u.<br />
war nicht mehr in gutem Zustande. Ich war<br />
Seite 127: gezwungen mich einer schwierigen Operation zu unterziehen u. nach den<br />
Herbstexerzitien 1904 hielten es die Obern für besser, dass ich nicht mehr<br />
nach Gurmels zurückkehre. An meine Stelle, als Lehrerin <strong>von</strong> Gurmels, trat<br />
nun Schw. Valentina Schafer.<br />
Seite 128: Bald war meine Gesundheit wieder soweit hergestellt, dass ich arbeiten<br />
konnte u. die liebe Frau Mutter Anizeta schickte mich ins Theresianum, um<br />
dort die 1 Primarklasse zu übernehmen. (Man hielt damals auch eine<br />
Primarklasse). Es war mir später ganz unbegreiflich, mit welchem Schrecken<br />
ich diesen Auftrag vernahm. Ich machte schüchtern verschiedene<br />
Einwendungen u. stellte schliesslich die Bitte im Kloster essen u. schlafen zu<br />
dürfen. Aber die liebe Frau Mutter war in keinem Punkte meiner Ansicht u.<br />
willigte in nichts ein. Und so begab ich mich dann schweren Herzens, aber<br />
mit grossem Gottvertrauen in meinen neuen Wirkungskreis. Und der Segen<br />
des Gehorchsams u. des guten Willens blieb nicht aus. Es ging alles u. in<br />
allem so gut, dass ich sagen konnte, es war dies wohl in jeder Beziehung das<br />
schönste u. leichteste Jahr meiner langen Schultätigkeit. Die liebe <strong>Schwester</strong><br />
Berta Theiler war Oberin u. verstand meinen Standpunkt sehr gut u.<br />
unterstützte mich in mütterlicher Weise. Unter den <strong>Schwester</strong>n herrschte ein<br />
sehr gutes, friedliches<br />
Seite 129: Verhältnis. Ach, die lieben guten <strong>Schwester</strong>n, fast alle sind sie schon lange<br />
in der Ewigkeit u. geniessen des Himmels seligen Frieden. Der liebe Gott<br />
vergelte ihnen allen reichlich die grosse schwesterliche Liebe, die sie mir<br />
erwiesen. Heute noch erfreut die Erinnerung daran mein armes Herz u. ich<br />
preise Gott dafür.
- 61 -<br />
Nur zu bald war ein Schuljahr entschwunden. Meine Gesundheit war immer<br />
etwas schwankend geblieben, der schwachen Lunge wegen. Da wurde ich<br />
nach Siders versetzt zur Uebernahme der deutschen Schule. Der Abschied<br />
war mir etwas schwer, doch auch in Siders ging es mir gut. Meine Atmungsu.<br />
Stimmorgane kräftigten sich auffallend schnell. Bald war ich wieder im<br />
vollen Besitz meiner frühern Stimme u. konnte auch ungehemmt u. leicht<br />
atmen. Ich glaube, das milde Klima in Siders hat auf meinen<br />
Gesundheitszustand einen sehr günstigen Einfluss ausgeübt.<br />
Auch das Verhältnis im <strong>Schwester</strong>nkreise war ein gutes. Recht bald lernten<br />
wir uns verstehen. Während den Sommermonaten wird nicht Schule<br />
gehalten. Im Mai u. Juni<br />
Seite 130: machte man mit den Kindern grosse Spaziergänge, so nach Leukerbad, auch<br />
in Eifischthal, auch nach Langeborn zum Einsiedler u. einmal sogar nach<br />
Brig u. mit der Eisenbahn durch den Simplon ins Italienische. Die<br />
Grossartigkeit der Alpenwelt im Wallis u. die schöne Natur machten stets<br />
einen wohltuenden u. herzerhebenden Eindruck auf mich.<br />
Oefter machten wir <strong>Schwester</strong>n kleine Spaziergänge in die nahe<br />
Taubstummenanstalt Gerunden, wo die liebe, gute <strong>Schwester</strong> Bernarda Jaggi<br />
Oberin war. Sie zeigte stets Freude, wenn wir kamen u. erwies uns Gutes,<br />
wo sie konnte. Sie starb in Gerunden, bei ihren lieben Taubstummen u. liegt<br />
dort begraben. Sie war eine ausgezeichnete Mitschwester. Recht viel<br />
schönes u. interessantes bekam ich während meines Aufenthaltes in Siders<br />
zu sehen. Der Pfarrer <strong>von</strong> Siders, Hochw. J. Lagger, war ein guter, frommer<br />
Herr u. väterlicher Hirte seiner Pfarrei. Auch gegen die <strong>Schwester</strong>n war er<br />
sehr wohl gesinnt.<br />
Seite 131: Die Knabenschule in Siders wurden damals <strong>von</strong> Schulbrüdern aus der<br />
Congregation der Marienbrüder gehalten. Bruder Zehnder, ein lieber,<br />
wackerer Walliser, war Direktor u. hielt seine Klasse im <strong>Schwester</strong>n-<br />
Schulhause Er war sehr Wohlwollend gegen uns <strong>Schwester</strong>n u. wo er<br />
glaubte, uns einen Dienst tun zu können, tat er es sicher u. war stets mit Rat<br />
u. Tat zur Hand. Nun ruhen alle drei, diese lieben, guten Wallisser, Erw.<br />
<strong>Schwester</strong> Bernarda Jaggi, Ehrw. Bruder Zehnder u. Hochw. Pfarrer I.<br />
Lagger in Walliser-Erde in Gottes heiligen Frieden u. geniessen<br />
himmlischen Lohn für ihr sehr opferreiches Leben. Bruder Zehnder starb
- 62 -<br />
plötzlich in Sitten in den besten Mannsjahren u. Hochw. Herr Lagger starb<br />
als Chorherr in Sitten.<br />
Nach zweijähriger Tätigkeit in Siders musste ich schon wieder den<br />
Wanderstab ergreifen. Ich wurde nach Oberiberg versetzt um dort die Schule<br />
zu übernehmen. Die Ober-Yberger Luft wird ihnen jetzt gut tun, sie wird<br />
ihre Lunge stärken u. wiederstandsfähiger machen, sagte die liebe Mutter<br />
Anizeta zu mir u. so kam es auch. Bald<br />
Seite 132: fühlte ich mich wohl u. heimisch bei diesen lieben, herzigen Kindern. O so<br />
unschuldig u. zutraulich waren sie alle, ohne Ausnahme. Wohl selten wird es<br />
irgendwo so zu finden sein. Ich selbst habe nirgends so viel unberührte<br />
Kinderunschuld getroffen, wenigstens so allgemein, bei allen.<br />
Gute Kinder lassen gewöhnlich auf gute Eltern u. gute Einwohnerschaft<br />
schliessen. In Oberiberg traf es zu. Eine ausschliesslich gut katolische<br />
Bevölkerung bewohnt diese sonnigen Höhen. Nur schade, dass sie jetzt <strong>von</strong><br />
Jahr zu Jahr abnimmt. Früher brachte die Seidenweberei guten Verdienst u.<br />
die Leute beschäftigten sich, zu Hause damit. Nun aber stockt auch diese<br />
Industrie u. so wurden manche Familien gezwungen abzuwandern u. ihr Brot<br />
anderswo zu verdienen. Der Ortspfarrer, Hochw. Herr Franz Suter,<br />
bedauerte dies sehr u.. hie u. da stimmte es ihn wehmütig. Er war ein echter<br />
alter Schwyzer, ein herzensguter Mann u. wahrer Vater seiner<br />
Pfarrgemeinde. Er wurde aber auch vom Volke dafür gehalten. Sein ganzes<br />
Priesterleben hat er in Oberiberg zugebracht, bis zu seinem in hohen Alter<br />
dort erfolgten Tode. Die letzten<br />
Seite 133: Jahre seines Lebens war er durch ein hartnäckiges Fussleiden etwas invalid<br />
geworden. Einen Ruf auf eine höhere Stelle in jüngern Jahren verschmähte<br />
er. Er wollte bei seiner lieben Herde bleiben. Sein Bruder war Pfarrer in<br />
Schwyz gewesen u. seine einzige <strong>Schwester</strong> war Klosterfrau in St. Peter in<br />
Schwyz. Für Oberiberg u. seine Kirche opferte er bereits sein ganzes<br />
Vermögen, denn unter ihm wurde die neue Kirche gebaut. Die Leute<br />
erzählten hie u. da, wie viel er als junger Priester getan. So z. Bsp. trug er die<br />
ganze Woche täglich Steine auf seinem starken Rücken zum Baue der<br />
Kirche auf den Bauplatz u. hielt doch am Sonntag den ganzen Gottesdienst<br />
selbst.
- 63 -<br />
Aber auch gegen uns <strong>Schwester</strong>n war er ein lieber, guter Vater. Schon die<br />
ersten Tage kam er zu uns u. sagte: "Ihr sollt wissen, wo ich zu Hause bin.<br />
Wenn euch etwas fehlt, so kommt zu mir. Ich bin stets bereit Euch zu helfen,<br />
wenn ich kann". Und es war dies kein leeres Wort. In verschiedener<br />
Beziehung hatten wir ihm viel Gutes zu verdanken. Auch seine Köchin, Frl.<br />
Verena Reichmuth, <strong>von</strong> Oberiberg, war eine ausgezeichnete<br />
Seite 134: Person, ausgestattet mit allen wünschenswerten Eigenschaf einer<br />
Pfarrersköchin. Sie zeigte grosse, edle Herzensgüte, wie man sie wohl selten<br />
in der Welt findet. Der liebe Gotte wolle es beiden im vollsten Masse<br />
belohnen im ewigen Leben. Oberiberg war wirklich ein Ruheplätzchen u.<br />
Erholungsort in jeder Beziehung, wohin Missmut u. Verdruss selten od. nie<br />
ihren Weg fanden.<br />
Doch schont nach vier Jahren musste ich die so lieb gewordene Schule in<br />
Oberiberg mit der Schule im Ried vertauschen. Dieser Tausch fiel mir<br />
ordentlich schwer u. die Folge zeigte, dass ich richtig geahnt. Auch im Ried<br />
blieb ich vier Jahre u. während dieser Zeit wurde die neue schöne<br />
Filialkirche gebaut durch Herrn Architekt Steiner aus Schwyz. Vorerst<br />
musste die alte Kapelle gänzlich abgetragen werden wegen Grundlegung des<br />
Fundamentes. Der Schulunterricht wurde in das Erdgeschoss des<br />
Kaplanhauses verlegt, denn das Schulzimmer im Schulhause wurde zur<br />
Kapelle hergerichtet u. das Allerheiligste dort aufbewahrt.<br />
Seite 135: Täglich wurde da die hl. Messe gelesen, auch der Sonntagsgottesdienst mit<br />
Predigt u. Christenlehre da gehalten. Wir <strong>Schwester</strong>n hatte grosse Freude<br />
den lieben Heiland in Brotsgestalt im Hause beherbergen zu dürfen. Wir<br />
hielten sorgfältig Wache u. bemühten uns ihn so viel als möglich zu<br />
besuchen u. unsere Gebete dort andächtig zu verrichten. Viele Mühe gab uns<br />
das tägliche auskehren dieser Kapelle nach der hl. Messe, besonders bei<br />
Regenwetter. Es wurde wie selbstverständlich uns <strong>Schwester</strong>n allein<br />
überlassen. Doch wir taten es gerne für den lieben Heiland und machten<br />
keinerlei Einwendungen.<br />
Aber das Schulehalten ging nun recht schwer. Das Lokal war viel zu klein u.<br />
in jeder Beziehung höchst unpassend. Vorher war es Holzbehälter gewesen.<br />
Die Handhabung notwendiger, genügender Disziplin war unmöglich Genau<br />
obenan hatte Hochw. Herr Kaplan Zell sein Studierzimmer. Es war für
- 64 -<br />
Lehrerin u. Schüler ein schwerer Winter u. ich hätte kaum den Mut gehabt,<br />
einen zweiten so durchzumachen, besonders auch aus Mitleid mit den armen<br />
Kindern vom Stoss. Dort wo die Not am grössten, da<br />
Seite 136: ist Gott am nächsten, es ging alles glücklich vorüber u. niemand wurde<br />
eigentlich krank. Noch bevor ein Jahr ganz zu Ende war, stand das schöne<br />
Gotteshaus vollständig fertig, in allen Teilen sehr wohl gelungen. Wir hatten<br />
alle eine sehr grosse Freude, lobten u. priesen Gott u. dankten ihm recht<br />
herzlich. Alle ertragenen Unannehmlichkeiten u. Beschwernisse während<br />
des Baues wurden leicht verschmerzt u. vergessen. Das schöne Gebäude<br />
macht sowohl seinem Erbauer, Hr. Ing. Steiner, als auch der ganzen Pfarrei<br />
Ried-Muotathal Ehre.<br />
Bald wurde der Hochwürdigste Herr Bischof Georgius mit Gefolge<br />
angemeldet zur Einweihung der neuen Kirche. Am Vorabend brachte man<br />
die Reliquien für die Altäre. Sie wurden in die Kapelle zur Verehrung<br />
ausgestellt u. mit 6 brennenden Kerzen umgeben. Wir zwei <strong>Schwester</strong>n<br />
hielten die ganze Nacht Wache dabei u. knieten betend davor. So hatte es<br />
uns der Hochw. Herr Hofkaplan J. M. Ruos, aufgetragen u. wir taten es<br />
gerne.<br />
Seite 137: Am folgenden Morgen in aller Frühe wurden die Reliquien <strong>von</strong> der<br />
Geistlichkeit prozessionsweise singend u. betend abgeholt u. in die neue<br />
Kirche gebracht u, die Kirchweihe begann. Das Volk wohnte aufmerksam u.<br />
andächtig bei. Für uns alle aber war der Kirchweihtag ein grosser<br />
Freudentag.<br />
Schon am folgenden Tage konnte das Schulzimmer im Schulhause wieder<br />
eingerichtet u. bezogen werden. Die ganze Filiale Ried kam mir jetzt anders<br />
vor, d.h. in einem viel günstigern Lichte, da jetzt ein so schönes Kirchlein<br />
dastand u. so günstig gelegen.<br />
Auch uns <strong>Schwester</strong>n ist die Gemeindebehörde in Muotathal freundlich<br />
entgegengekommen. Auf meine Bitte die <strong>Schwester</strong>nwohnung mittelst einer<br />
Türe vom Stiegenhaus abschliessen u. ein drittes Zimmerchen bewohnbar<br />
herrichten zu lassen, ging man willig ein u. es geschah sogleich. Die grosse<br />
u. weitläufige Pfarrei Muotathal war nun mit Gelegenheit zum Besuch des<br />
Gottesdienstes wohl versehen, denn auch die entlegene Filiale Bisistal hatte<br />
Seite 138: vor mehreren Jahren eine neue Filialkirche erhalten, gewidmet dem
- 65 -<br />
hochheiligen Herzen Jesu. Um dieses alles hat sich der Ortspfarrer, Hochw.<br />
Herr bischöfl. Commissar u. Canonikus Schmid am meisten verdient<br />
gemacht. Er war ein sehr frommer u. gelehrter Mann. Dieser hochverdiente<br />
u. heiligmässige Priester war ein wahrer Vater seines Volkes. In den<br />
verschiedensten Nöten und Anliegen nahm man zu ihm Zuflucht u. fand oft<br />
merkwürdig Hilfe. "Er ist ein Heiliger u. sieht auch in die Zukunft", hörte<br />
man hie u. da die Leute sagen.<br />
Dieser Herr Pfarrer war extra-Beichtvater für uns <strong>Schwester</strong>n. Und so<br />
begaben wir uns denn vierteljährlich in die Pfarrkirche zur hl. Beicht u.<br />
machten im Vorbeigehen auch unserm greisen Vater einen kurzen Besuch u.<br />
fragten nach seinem Befinden. Einst führte das Gespräch auf die Nähe des<br />
Todes. Dann sagte er scherzend zu mir: Sie brauchen noch nicht zu<br />
pressieren, sie müssen noch vorher Jubiläum feiern, u. dann noch ein zweites<br />
mal.<br />
Seite 139: Dabei neigte er sich lächelnd gegen mich und gab mir einen eigenen Blick.<br />
Ich nahm dies alles für Scherz u. dachte nicht im Geringsten darüber nach.<br />
Als sich aber nach mehreren Jahren diese seine Worte bewahrheiteten, kam<br />
mir alles getreulich wieder in den Sinn. Ich sah ihn deutlich vor mir stehen u.<br />
wieder traf mich sein sonderbarer Blick.<br />
Man kann hierüber denken, wie man will. So etwas lässt sich hie u. da auch<br />
zufällig erraten u. ich war damals noch ziemlich rüstig. Sein eigentümlicher<br />
Blick aber blieb mir stets eingeprägt. Im meinen Augen war u. blieb der<br />
Muotathaler Pfarrer Schmid ein heiligmässiger Priester. Nicht etwa wegen<br />
obiger u. ähnlicher Voraussagungen, sondern wegen seines tadellosen,<br />
heiligmässigen Priesterlebens. Er ist ein würdiges Gegenstück zu Pfarrer P.<br />
Roggo u. stets lobe u. danke ich Gott, der mich so gute Beispiele sehen liess.<br />
Alljährlich am Frohnleichnamsfeste machten wir <strong>Schwester</strong>n auch die grosse<br />
Prozession mit. Es war dabei sehr erbaulich. Besonders erbaute uns die<br />
greise Frau Mutter<br />
Seite 140: des dortigen Frauenklosters, welche trotz ihres hohen Alters mit dem ganzen<br />
Convente den weiten Weg ganz mitmachte. Der grossen Schwäche wegen<br />
wurde sie abwechselnd <strong>von</strong> zwei ihren Mitschwestern gestützt. An diesen<br />
Tage waren wir jedesmal ins Frauenkloster zum Mittagessen eingeladen.<br />
Das bedeutete für uns eine Wohltat, denn der Gottesdienst dauerte lange u.
- 66 -<br />
der Heimweg war noch weit. Den lieben guten Klosterfrauen ein herzliches<br />
Vergelts Gott dafür.<br />
Schon hatte ich vier Jahre in Ried zugebracht. Während dieser Zeit, war die<br />
Muotaverbauung u. deswegen hatten sich mehrere Arbeiterfamilien mit<br />
Kindern niedergelassen. Dadurch wurde die Schülerzahl vermehrt u. das<br />
Schulzimmer überfüllt u. die Disziplin erschwert. Nun waren diese Arbeiten<br />
beendigt u. die Leute zogen wieder fort. In der Schule herrschte wieder<br />
Ordnung u. es ging viel besser. Doch bald folgte anderes Kreuz.<br />
Mein Gesundheitszustand gab zu Bedenken Anlass und<br />
Seite 141: zwang mich ärztliche Hilfe zu suchen. Ein altes Uebel stellte sich ein u. war<br />
<strong>von</strong> häufigen Erstickungsanfällen begleitet. Mit Erlaubnis der lb. Obern<br />
begab ich mich ins Kreuzspital nach Chur u. consultierte Hr. Dr. Plattner.<br />
"Gründlich helfen kann nur eine Operation" sagte er. Doch wies er mich<br />
vorläufig ab wegen geschwächter Gesundheit u. vorgerücktem Alter. Nach<br />
vierwöchentlicher Erholung in Chur erbat ich mir <strong>von</strong> den lb. Obern die<br />
Erlaubnis nach Zürich zu gehen u. Hr. Dr. Tschudi zu beraten, denn er hatte<br />
mich schon früher in gleicher Sache behandelt u. auch operiert. Dr. Tschudi<br />
hielt eine Operation für sofort notwendig. Er vollzog sie u. es gelang<br />
glücklich. Ich hatte aber eine etwas lange Rekonvaleszenz, wohl wegen<br />
vorher geschwächter Gesundheit. Gegen Ende November kam ich ins lb.<br />
Mutterhaus zurück u. durfte den Winter über da verbleiben. Unterdessen<br />
hatte sich mein Gesundheitszustand wieder gebessert. Ich fühlte mich wieder<br />
arbeitsfähig u. sehnte mich nach regelmässiger, passender Beschäftigung.<br />
Schon<br />
Seite 142: sechsundvierzig Schuljahre hatte ich zurückgelegt. Meine Stimme hatte<br />
durch wiederholte Kropfoperation etwas gelitten. Und so übertrug mir die<br />
liebe Mutter Anizeta das Bureau in der Pflegeanstalt Gnadenthal.<br />
Recht schwer wollte nur der Abschied <strong>von</strong> der Schule u. den lb. Kindern<br />
fallen. Doch mit dem Segen des Gehorchsams begab ich mich den 3ten Mai<br />
1916 mutig auf meinen neuen Posten. Und wirklich, der liebe Gotte segnete<br />
sichtbar meinen guten Willen. Er half mir über alle Schwirigkeiten so leicht<br />
hinweg, dass ich bald weder Heimweh noch den Wunsch nach anderer<br />
Beschäftigung mehr hatte. Die Schw. Oberin, liebe Schw. Bertildis, war sehr<br />
gut gegen mich u bald fühlte ich mich ganz glücklich u. daheim. Schon das
- 67 -<br />
Klostergebäude übte einen eigenen Reiz auf mich aus. Die schönen<br />
heimeligen Kachelöfen, die mit alten Oelgemälden behangenen Gänge, der<br />
Klosterhof, ja jeder Winkel des Hauses u. die ganze Umgebung<br />
Seite 143: mutete mich lieb u. traut an. Besonders aber gefiel mir der Chor im<br />
Klosterkirchlein mit den schönen Chorstühlen für die Klosterfrauen. Wie<br />
gerne kniete ich dort neben der Orgel u. wie leicht liess sich da beten. Der<br />
Gedanke, hier haben fromme Frauen Tag u. Nacht Gottes Lob gesungen u.<br />
ihm in Lieb u. Freude gedient, stimmte mich andächtig. Ich stellte mir vor,<br />
wie sie fromm u. eilig in der Nacht zur Mette aus ihren Zellen hervorkamen<br />
u. opferte alle ihre Lobgesänge dem lieben Gott neuerdings auf. Ein süsser,<br />
idealer Traum meiner Jugend fand da in etwa seine Wirklichkeit u. ich<br />
dankte Gott dafür. Ich sah mich nämlich einst, als ich noch zu Hause war, im<br />
Traum in einem schönen Chorstuhl sitzen u. aus allen Kräften fromme<br />
Psalmen singen. Und als ich in Schweiss gebadet erwacht, tönte es noch<br />
länger in meinen Ohren nach und erfüllte mein Herz mit Freude. Und in der<br />
Tat, was gibt es schöneres im Himmel u. auf Erden, als Gottes Majestät u.<br />
Güte zu besingen u. ihm für seine Wohltaten zu danken Jetzt u. in alle<br />
Ewigkeit sei er gelobt u. gepriesen.<br />
Seite 144: Wie glücklich mussten sich die Klosterfrauen hier gefühlt haben. Und nun<br />
hatte sie der aargauische Klostersturm unbarmherzig zum Aussterben<br />
verurteilt u. weggefegt. Fast alle ruhen längst auf dem Klosterfriedhof in<br />
Gnadenthal. Eine der letzten derselben, Frau Martina Meyer <strong>von</strong> Tägerig,<br />
starb 1909 in Tägerig u. liegt dort vor der Kirchtüre begraben. Sie hatte sich<br />
nach ihrer gänzlichen Vereinsamung zu ihren Verwandten nach Tägerig<br />
zurück gezogen. O du ungerechte Neuzeit !<br />
An den Sonntagen der guten Jahreszeit ging ich gewöhnlich nach Tägerig<br />
zum Pfarrgottesdienst. Ich kniete dort ganz unbemerkt auf der Empore im<br />
abgeschlossenen Chorstuhl der verstorbener Klosterfrau Martina Meyer. Er<br />
war sehr gut plaziert. Man konnte gut auf den Altar sehen u. die Predigt<br />
leicht verstehen. Ich fühlte mich da ganz stolz, wie eine richtige Chorfrau.<br />
Dieser Kirchgang war mir für Leib u. Seele wohltätig. Der Weg<br />
Seite 145: ist nicht mühsam u. der schöne Spaziergang am Morgen war meiner<br />
Gesundheit zuträglich. Er musste auch für die ganze Woche ausreichen. Auf<br />
dem Heimwege betrachtete ich mit seelischem Behagen Gottes herrliche
- 68 -<br />
Natur u. betete Gott an in seiner wunderbaren Schöpfung.<br />
Zu Seite 101:<br />
Sie allein mit uns zwei <strong>Schwester</strong>n lud der Herr Pfarrer an seinem<br />
Namenstag St. Peter zum Mittagessen ein. Frl. de Fégely hielt es für eine<br />
grosse Ehre u. Auszeichnung u. freute sich wie ein Kind. Wir <strong>Schwester</strong>n<br />
durften auch einmal 8 Tage Ferien bei ihr im Schlosse petit Vivis zubringen.<br />
Sie hielt oft Ordensleute u. Geistliche in den Ferien, so auch hie u. da<br />
<strong>Schwester</strong>n aus dem Ursulinerinnenkloster in Freiburg. Unsere Verstorbene<br />
<strong>Schwester</strong> Canisia Fuchs, ihr Schützling, durfte auch ihre Ferien im Schlosse<br />
petit Vivis bei Frl. de Fégely zubringen.<br />
Seite 146: Zu S. 100, Heft 3.<br />
Während der Wirren des sog. Sonderbundskrieges zog die Familie de Fégely<br />
nach Genf u. kehrte erst wieder nach Freiburg zurück, nachdem die Ruhe im<br />
Land wieder hergestellt war. In Genf nun lernte Frl. M. de Fégely unsern sl.<br />
Stifter P. Theodosius persönlich kennen u. hochschätzen. Müde u. abgehetzt<br />
<strong>von</strong> der Flucht aus dem Aargau klopfte P. Thedosius eines Abends an ihrem<br />
Hause in Genf an u. ihr Vater, Graf de Fégely, nahm ihn herzlich gern auf.<br />
Er hielt sich verborgen u. nach einigen Tagen der Ruhe u. der Pflege floh er<br />
weiter ins Elsass. Ihre Mutter unterstützte ihn auch später des öftern mit<br />
Geld.<br />
Graf Franz Philipp de Fégely de Vivis, war ein französischer Maréchal<br />
gewesen u. in den Grafenstand erhoben worden. Er starb in Genf im J. 1850<br />
im Alter <strong>von</strong> 90 Jahren ihre Mutter war Marianne de Malliardoz de Rue,<br />
welche im Lande als grosse Wohltäterin bekannt war. Frl. Marie de Fégely<br />
hatte bis zu ihrem Tode grosse Hochachtung u. Verehrung für P. Theodosius<br />
u. zeigte stets Interesse u. Wohlwollen für seine Werke u. Stiftungen.<br />
Anmerkung: Obiges sind eigene Mitteilungen des Frl. M. de Fégely an uns<br />
<strong>Schwester</strong>n.<br />
-ooooo-
- 69 -<br />
Seite 147: <strong>Erinnerungen</strong> IV. Heft.<br />
In die Zeit meiner Tätigkeit in Gnadental fällt die Feier meiner 50jährigen<br />
Jubelprofess. Am 23. Mai 1871 hatte ich in die Hände unserer ersten<br />
Generaloberin, der sl. Mutter Theresia Scherer meine erste Profess abgelegt.<br />
Der damalige Superior des Institutes, Hochw. P. Anizet Regli, erster<br />
Nachfolger des sl. Stifters P. Theodosius Florentini, leitete die ganze<br />
Ceremonie. Ich durfte also i. J. 1921 Jubelprofess feiern. Die Feier wurde<br />
auf die Herbstexerzitien verlegt u. fiel auf den 13. October 1921.<br />
Mein jüngerer Bruder Crispin, mein Neffe Martin, Sohn des ältern Bruders<br />
Caspar u. damals studierender an der Universität Freiburg, ein Grossneffe,<br />
Peter Hug, Lehramtskandidat am freien Lehrseminar Zug u. mein Schwager<br />
Lorenz Lipp mit seiner Tochter Sabina, waren <strong>von</strong> Untervaz hergekommen<br />
um den Feier beizuwohnen, was mich sehr freute. Mein Schwager war schon<br />
bei meiner ersten Profess vor 50 Jahren anwesend mit seiner Frau, meiner<br />
einzigen geliebten <strong>Schwester</strong>. Nun kam er zum<br />
Seite 148: zweiten male u. zwar ganz gesund u. rüstig, begleitet <strong>von</strong> seiner Tochter.<br />
Meine liebe <strong>Schwester</strong> aber konnte wohl vom Himmel herunter zuschauen,<br />
denn sie war vor 5 Jahren gestorben.<br />
Diese schöne Profess bedeutete für mich ein grosser Freudentag.<br />
Nach der Jubelprofess brachte ich drei Wochen im Elisabethenheim in<br />
Zürich zu u. kehrte dann wieder auf meinen alten Posten in Gnadenthal<br />
zurück. Es ging mir auch fürderhin gut in jeder Beziehung. Ich überliess<br />
mich ruhig u. mit Vertrauen der göttlichen Vorsehung. Meiner Arbeit auf<br />
dem Bureau konnte ich noch leicht nachkommen u. sie besorgen. Ich war<br />
froh u. zufrieden wieder in den alten Verhältnissen zu sein, denn im Alter<br />
fällt jede Veränderung schwer. So ging alles wieder im alten Geleise. Selbst<br />
der Wechsel der Oberin machte keinerlei Störung.<br />
Die liebe Schw. Kyneburga wurde näml. nach ihrer 6jährigen treuen, guten<br />
Wirksamkeit durch lb. Schw. Illuminata ersetzt.<br />
Seite 149: So vergingen recht rasch wieder fünf Jahre in ruhiger Arbeit u.<br />
Zufriedenheit, denn auch die Mittel für geistige Pflege des Seelenlebens<br />
fehlten in Gnadenthal nicht. Da im Herbste 1926 schrieb mir die liebe,<br />
Ehrwürdige Frau 14 Mutter Theresia Beck, es sei ihr Wunsch, dass ich am
- 70 -<br />
3ten October zu den hl. Exerzitien ins Mutterhaus komme u. nachher<br />
daselbst verbleibe. Ich war sofort gänzlich einverstanden, denn ich hielt es<br />
für einen Wink des Himmels mich auf den nahen Tod gefasst zu halten,<br />
obschon ich mich noch verhältnismässig wohl u. rüstig fühlte. Und so<br />
verliess ich denn am 3ten Oct. 1926 das liebgewordene Gnadenthal, um es<br />
bis heute nicht wieder zu sehen.<br />
Mit dankbarem Herzen u. zufriedenen Sinnes nahm ich Abschied, denn die<br />
Bücher waren in Ordnung bis auf den letzten Tag, was ich mir stets zur<br />
Regel gemacht hatte. Feinde kannte ich keine, denn alle ohne Ausnahme<br />
waren gut gegen mich gewesen, die lieben Oberinnen u. Mitschwestern u.<br />
Insassen. Aber auch die Herren der Aufsichtsbehörde zeigten sich stets sehr<br />
gut gegen mich u. erwiesen<br />
Seite 150: mir Dienste, wo sie konnten, so besonders der Herr Präsident, Hochwürden<br />
Herr Domherr F. Meyer, Pfarrer in Wohlen, Hochw. Herr P. Hauser in<br />
Bremgarten, Herr J. Koch in Büttikon, Hr. Ing. G. Meyer in Wohlen, Hr. Dr.<br />
Candinas in Wohlen u. Hr. N. Meyer, Gerichtspräsident in Bremgartern. Der<br />
liebe Gotte wolle es allen in allem Masse vergelten. Er wollen die schöne<br />
Anstalt u. ihre Leitung stets segnen, damit recht viel Gutes geschehe zu<br />
seiner Ehre u. zum Heile der Seelen.<br />
Die ersten Tage im Mutterhause machte ich die geistlichen Exerzitien u.<br />
fühlte mich dann schon daheim. Mit vollem Vertrauen warf ich mich in die<br />
Arme der göttlichen Vorsehung, die stets väterlich für ich gesorgt hatte u. es<br />
nun auch fürderhin tun wird. Alle Oberinnen u. Mitschwestern waren lieb u.<br />
gut gegen mich u. ruhig in Gottes Frieden verlebte ich meine Tage.<br />
Seite 151: Obschon etwas müde infolge des Alters, konnte ich doch täglich noch<br />
arbeiten. Doch diese Welt ist nicht der Ort der Ruhe. Plötzlich wurde ich <strong>von</strong><br />
einem Uebel befallen, das eine sofortige Operation erheischte. Am Abend<br />
des 14. März 1931 brachte man mich ins Krankenhaus nach Schwyz u. die<br />
Operation wurde sofort durch Hr. Dr. Bommer vollzogen. Es gelang alles<br />
glücklich u. schon nach 12 Tagen wurde ich wieder nach Ingenbohl ins<br />
Krankenhaus St. Joseph verbracht. Das Uebel war behoben u. die Genesung<br />
schritt vorwärts.<br />
Zu Seite 152:<br />
Nun waren wieder 10 Jahre verflossen seit meiner 50 jährigen Jubelprofess.
- 71 -<br />
Wie ein Augenblick waren sie mir entschwunden. (Doch was sage ich, heute<br />
den 24. Mai <strong>1933</strong> sind es 65. Jahre, seitdem ich als Kandidatin in unser<br />
Institut eingetreten bin u. doch ergeht es mir wie oben. Wie ein Augenblick<br />
sind mir diese 65 Jahre entschwunden)<br />
"Tausend Jahr sind vor Dir, wie ein Tag, o Herr".<br />
Seite 152: Ich durfte nun Diamantene Jubelprofess feiern. Am Schlusse 8tägiger<br />
geistlicher Exerzitien fand sie am 3. Sep. 1931 statt. Es ging höchst feierlich<br />
zu. Die Feier wurde <strong>von</strong> Seiner Eminenz, dem Hochseligen Cardinal-<br />
Protektor Wilhelm van Rossum geleitet. Die Wohlehrwürdige, liebe Frau<br />
Mutter M. Theresia Beck kniete führte mich zum Altare u. kniete sich neben<br />
mich. Mit kräftiger Stimme sprach ich die Professformel vor dem<br />
ausgesetzten Hochwürdigsten Gute in Monstranz. Ich fühlte mich körperlich<br />
u. geistig so wohl u. freudig erregt u. gehoben. Ohne besondere Beschwerde<br />
konnte ich dem ganzen hochfeierlichen Gottesdienste beiwohnen.<br />
Im April 1871 hatten wir unserer fünf <strong>Schwester</strong>n die erste Profess abgelegt.<br />
Die andern vier wurden schon vor vielen Jahren <strong>von</strong> Gott abberufen u. sind<br />
zu ihm heimgekehrt, Ich allein blieb übrig, um es zu berichten u. warte<br />
achtsam auf seinen Ruf.<br />
Seite 153: Jedoch konnten 10 liebe Mitschwestern zu gleicher Zeit ihre 50 jährige<br />
Jubelprofess feiern. Wir waren also 11 Jubilarinnen, eine bis jetzt noch nie<br />
erreichte Zahl, was auch zur Freude beitrug.<br />
Auch diesmal war wieder mein lieber Bruder Crispin erschienen. Es freute<br />
mich sehr, ihn so gesund u. rüstig vor mir zu sehen, wie bei meiner<br />
Jubelprofess vor 10 Jahren. Auch der liebe Bruder Caspar war freudig bereit<br />
mitzukommen u. mich durch seine Teilnahme an der Feierlichkeit zu<br />
beehren, erlitt aber kurz zuvor einen kleinen Unfall, der ihm die Reise<br />
verunmöglichte u. ihm u. mir Verdruss verursachte. Es scheint, ein<br />
Tröpfchen Wermut gehörte eben doch zur Sache. - An seiner Stelle sandte<br />
der Bruder seine jüngste Tochter Anna. Gott sei 1000-mal Dank gesagt u.<br />
hochgepriesen sei er für alles.<br />
Seite 154: Während den baulichen Veränderungen im Mutterhause entstand<br />
Platzmangel u. so fand die lb. Frau Mutter, es sei besser, wenn ich<br />
einstweilen im Krankenhause meine Wohnung nehme. Ich gehorchte guten<br />
Mutes, denn ich hoffte bestimmt, ich werde bald wieder ins Kloster
- 72 -<br />
zurückkehren dürfen. Aber auch nachdem man zu bauen aufgehört, hiess es<br />
im Krankenhause bleiben u. hiemit hatte mir der liebe Gotte ein besonderes<br />
Kreuz auferlegt.<br />
Es befiel mich grosses Heimweh nach dem lieben Kloster, nach der lieben,<br />
teuren Frau Mutter, nach den lieben Oberinnen u. Mitschwestern u.<br />
unmöglich war es mir, mich im Krankenhause daheim zu fühlen. Ich war u.<br />
blieb fremd u. verlassen bis heute. Natürlich haben auch verschiedene<br />
missliche u. mir unpassende Umstände viel dazu beigetragen Auf allen<br />
meinen Lebensstationen konnte ich mich mehr oder weniger schnell<br />
angewöhnen, hier aber gelang es mir trotz meines guten Willens nie ganz.<br />
Das Heimweh nach dem Kloster kam immer wieder mit aller Macht über<br />
mich. Ich kam mir vor, wie ein Fisch<br />
Seite 155: ausser dem Wasser u. ich konnte <strong>von</strong> Sieg reden, wenn ich es zeitweilig<br />
stillschweigend ertrug. Es ist nun einmal so, je näher der Tod, desto steiler<br />
der Weg auf den Berg Calvaria. Und im Alter ist der Tod nahe u.<br />
unausweichlich. Daher schickt der lb. Gott so verschiedene Kreuze, die er<br />
für uns gut u. dienlich findet. Es ist aber ausser Zweifel, dass der liebe Gott<br />
jede Art <strong>von</strong> Leiden, die er uns schickt u. die wir aus Liebe zu ihm ertragen,<br />
annimmt u. belohnt. Und im Alter gibt es Leiden verschiedenster Art, die<br />
uns meistens in jüngern Jahren noch erspart geblieben sind u. <strong>von</strong> denen<br />
man keine Ahnung hatte. Der liebe Gott muss sich mit uns Alten meistens<br />
zufrieden geben, wenn wir diese Leiden still u. geduldig ertragen. Die<br />
Wirksamkeit im Alter besteht fast nur noch in geduldig ertragenem Leiden u.<br />
im Gebet. Das Alter ist aber eine beständige Krankheit, die zum Tode führt<br />
u. sehr oft sind auch die Gebete u. andern fromme Uebungen, die man im<br />
Alter errichtet, gleichsam angekränkelt.<br />
Seite 156: Die Gebete sind nicht mehr so intensiv feurig u. innig, die Betrachtungen u.<br />
Anmutungen naturgemäss abgeschwächt. Darum sagt auch die Nachfolge<br />
Christi: "Viel Gutes kannst du tun, solange du gesund bist, was du aber<br />
auszurichten vermagst, wenn du krank bist, das weiss ich nicht. Tue also<br />
Busse u. sei treu u. eifrig im Dienste Gottes solange du noch bei Kräften<br />
bist, denn gar bald wirst auch du sagen: ich sehe die Tage nahen, <strong>von</strong> denen<br />
ich sagen muss, sie gefallen mir nicht."
- 73 -<br />
Ich aber bete mit dem Propheten: "Herr, verlass mich nicht zur Zeit des<br />
Alters, wenn abgenommen meine Kraft". Und weiter: "Auf dich, O Herr,<br />
habe ich gehofft u. ich werde in Ewigkeit nicht zu schanden werden.<br />
Seite 157: Vorstehende <strong>Erinnerungen</strong> habe ich SCHW. CASSILDA JOOS<br />
niedergeschrieben im vierundachtzigsten Jahre meines Lebens u. im<br />
sechsundsechzigsten Jahre meines Ordenslebens. Mein Wunsch ist, möge es,<br />
wenigstens in ein oder anderer Hinsicht, zu Nutzen u. Frommen unserer<br />
Nachkommen gereichen. Krankenhaus St. Joseph im Juni <strong>1933</strong>.<br />
---0000000---<br />
Seite 158: leer.<br />
Seite 159: Heft 4 Nachtrag. Zu Seite 112, Heft 3.<br />
Als durch Papst Leo XIII verordnet wurde, dass an allen Sonn- u. Feiertagen<br />
in jeder Pfarrkirche der Rosenkranz soll gemeinschaftlich gebetet werden,<br />
kam Herr Pfarrer Roggo dieser Verordnung sogleich nach. Aber, sagte er,<br />
das muss bei uns nach dem Hochamt geschehen, denn sonst sind die Männer<br />
nicht zu haben. Am Nachmittag u. Abend kommen sie trotz bitten u. mahnen<br />
nicht zur Kirche. Und doch sollten gerade die Männer den Rosenkranz<br />
mitbeten, sonst vergessen ihn einige sogar.<br />
Es musste nun jemand vorbeten, denn dort ist es so Sitte. Aber jetzt wollte<br />
sich niemand dazu hergeben in der Kirche laut vorzubeten, nicht einmal der<br />
Sakristan. Die Männer aber waren nicht zu bewegen abwechselnd,<br />
chorweise laut mit einander zu beten, denn sie waren es nicht gewöhnt. Da<br />
bat der Herr Pfarrer mich das Vorbeten zu übernehmen zu Ehren der lieben<br />
Mutter Gottes u. zum<br />
Seite 160: Heile der Seelen. Die Männer laufen aus der Kirche, ohne den Rosenkranz<br />
gebetet zu haben, wenn man nicht tut, wie sie gewöhnt sind, sagte er. Ich<br />
entschuldigte mich u. sagte: "Man wird mich nicht verstehen in dieser<br />
grossen dicht gefüllten Kirche, meine Stimme ist zu schwach". Er aber<br />
beharrte bei seiner Bitte u. ich musste einwilligen.<br />
Nicht lange u. die Sache ging ganz gut. Ich wurde leicht verstanden u. die<br />
Männer antworteten alle einstimmig: Heilige Maria Mutter Gottes, bitt’ für<br />
uns arme Sünder u.s.w. u. keiner lief da<strong>von</strong>, worüber der Herr Pfarrer eine
- 74 -<br />
grosse Freude hatte. Und der Herr Vikarius sagte mir einst: "Ihr Gebet tönt<br />
wie Musik in der Kirche u. jedesmal bete ich mit Freude mit den Männern".<br />
Ich aber strengte mich aus allen Leibeskräften an recht laut a. deutlich u.<br />
auch schnell zu beten, denn nicht alle Männer beten gerne lang u. dauerte<br />
doch schon der Gottesdienst nahe 2 Stunden. So betete ich viele Jahre alle<br />
Sonn- u. Feiertage vor. Von meiner Stirne rann jedesmal der Schweiss. Die<br />
Stimme aber blieb mir wohl erhalten, trotz der grossen Anstrengung. Die<br />
Männer machten wieder Bekanntschaft mit dem Rosenkranz u. wohl auch<br />
mit der lieben Mutter Gottes der Königin des hl. Rosenkranzes u. der<br />
Zuflucht der Sünder.<br />
Zu Seite 65. II. Heft<br />
Nicht lange vorher war die Anstalt Umbertschwendi, ein gemeinsames<br />
Armenhaus für den Sensebezirk <strong>von</strong> Insassen angezündet und gänzlich<br />
niedergebrannt worden. Die Anstalt war unsern <strong>Schwester</strong>n bedient worden.<br />
Die <strong>Schwester</strong>n hatten aber da sehr schwer, denn es ging nie gut,<br />
verschiedener misslicher Umstände wegen. Ich hörte hie u. da <strong>von</strong><br />
Geistlichen sagen, es sei gut, dass es so geendet habe. Wohl deswegen waren<br />
die Pfarrherrn anfänglich etwas ängstlich in Berufung <strong>von</strong> <strong>Schwester</strong>n.<br />
Seite 162: Zu Seite 72, Zeile 3<br />
Die nächste Gemeinde nördlich <strong>von</strong> Untervaz heisst Mastrils. Es ist eine<br />
kleine Berggemeinde. Auf der Höhe erhebt sich ein kleines, schönes<br />
Kirchlein u. schaut freundlich ins Thal hinab. Es wurde nach der<br />
Reformation <strong>von</strong> einigen dem alten Glauben treu gebliebenen Einwohnern<br />
mit vieler Mühe erbaut u. dem h1. Antonius <strong>von</strong> Padua geweiht, weil die<br />
Pfarrkirche an die überwiegende Mehrzahl Von Protestanten übergegangen<br />
war. Seither besteht da eine Wallfahrt zum hl. Antonius u. besonders jeden<br />
Dienstag kommen Wallfahrer dahin. Die Väter Kapuziner der schweiz.<br />
Provinz haben da ein Hospitz u. besorgen die Pfarrei u. die Wallfahrt. Wie<br />
schon als Schulmädchen, so machte ich auch wieder diese Wallfahrt, so oft<br />
ich die Schulferien bei meinen Eltern zubrachte. Damals war P. Eberhard<br />
Walser daselbst Superior. Pater Eberhard galt in der ganzen Umgebung beim<br />
Volke als Heiliger. In den verschiedensten Nöten u. Anliegen nahmen die<br />
Leute Zuflucht zu ihm u baten ihn um Rat u. Gebetshülfe. Selbst aus dem<br />
reformierten Prätigau kamen Protestanten u. suchten n. fanden Hilfe bei ihm.
- 75 -<br />
Seite 163: Also ging auch ich begleitet <strong>von</strong> einer Nichte zum hl. Antonins auf den<br />
"Strilserberg". An einem Dienstag, morgens 6 Uhr machten wir uns auf den<br />
Weg u. waren rechtzeitig dort um die hl. Kommunion zu empfangen u. dem<br />
Gottesdienste um halb acht Uhr beiwohnen zu können. Nachher nahmen wir<br />
im Hospitz das Frühstück. Während dessen sass P. Eberhard gemütlich<br />
neben uns u. wir lauschten aufmerksam jedem seiner Worte. Er selbst aber<br />
ass nicht. Bei jedem Besuche dachte ich: "Die Leute haben recht, das ist ein<br />
Heiliger". Sei ganzes Wissen sprach dafür. Es machte mir jedesmal grosse<br />
Freude P. Eberhard besuchen u. ihm etwas bringen zu dürfen, das mir meine<br />
Mutter mitgegeben hatte.<br />
Die liebe, selige Mutter Theresia erlaubte mir diese Wallfahrt gerne u.<br />
empfahl sich auch dem Gebete dieses heiligmässigen Paters.<br />
Seite 164: Ein andermal machte ich während den Ferien eine andere Wallfahrt.<br />
Aufgemuntert durch die Mutter des Hochw. Veit Gadient, welche kurz zuvor<br />
diese Wallfahrt auch selbst gemacht hatte, wagte ich es, begleitet <strong>von</strong> meiner<br />
Nichte Margareta Lipp, die Stätte zu besuchen, wo der Martyrer Fidelis <strong>von</strong><br />
Sigmaringen sein Blut für den katolischen Glauben vergossen hat. Morgens<br />
halb 6 Uhr machten wir uns auf u. gingen zu Fuss nach Mastrils. Dort<br />
wohnten wir dem Gottesdienste bei u. wollten nachher an der Station<br />
Landquart die Bahn besteigen u. benützen bis Grüsch. Aber kaum einige<br />
Minuten vorher war der Zug abgefahren. Mutig nahmen wir den Weg unter<br />
die Füsse u. kamen nach 4-5 stündigem Marsche glücklich in Seewis an. Wir<br />
fanden bald die eingezäunte Wiese, wo der Heilige erschlagen wurde u. die<br />
Quelle, die dort entsprungen. (Diese Wiese ist jetzt Eigentum der schweiz.<br />
Kapuziner-Provinz. Wir kletterten über den Zaun, knieten bei der Quelle<br />
nieder, tranken <strong>von</strong> ihrem Wasser u. küssten andächtig den Boden. Dann<br />
beteten wir mit<br />
Seite 165: ausgespannten Armen zum leidenden, sterbenden Heiland, besonders um<br />
Ausbreitung unsere hl. Glaubens in dieser Gegend. Durch die Fürbitte des hl.<br />
Martyrers Fidelis. Die bald sinkende Sonne mahnte uns zur Heimkehr u.<br />
schon war es Abend geworden, als wir wieder in Grüsch ankamen, wo wir<br />
nun die Bahn benützen konnten bis Zizers. Nun noch eine Fusstour <strong>von</strong> einer<br />
kleinen halben Stunde u. wir waren wieder zu Hause in Untervaz. Wir waren<br />
erschöpft u. übermüdet, denn seit morgen hatten wir nichts Warmes
- 76 -<br />
gegessen u. 7-8 Stunden waren wir am gleichen Tag zu Fuss gegangen,<br />
bergauf u. bergab. An andern morgen war es mir unmöglich ohne Hilfe die<br />
Stiege hinunter zu kommen, so waren meine Beine übermüdet u. es ging<br />
einige Tage bis sie wieder ihren Dienst taten, wie vorher. Meine damals<br />
noch jungen Brüder aber lachten mich weidlich aus u. spotteten, ich werde<br />
wohl nicht so bald wieder wallfahrten gehen u. so dumme Streiche machen.<br />
Mir aber macht diese Wallfahrt heute noch Freude u. noch sehe ich<br />
Seite 166: die erstaunten u. verwunderten Gesichter einiger Bewohner des<br />
ausschliesslich protestantischen Prättigauer-Dorfes Seewis. Zu leide getan<br />
hat man uns nicht das Geringste, im Gegenteil, jeder der uns begegnete<br />
zeigte sich hübsch höflich.<br />
Als ich die Geschichte der lb. sl. Mutter Theresia erzählte, lachte sie u.<br />
sagte: "das ist gut für einmal, ein zweites mal aber machen sie keine solchen<br />
Sprünge mehr?<br />
Seite 167: Zu Seite 83, Heft II.<br />
Die ersten Wochen meines Aufenthaltes in Gurmels fielen mir recht schwer.<br />
Offenbar hatte ich Heimweh u. fühlte mich verlassen. u. fremd au. allein in<br />
dem alten, halbzerfallenen Hause. Manches bisher Gewohnte musste ich<br />
entbehren. Bald schrieb ich an die liebe Mutter Theresia u. erzählte u. klagte<br />
ihr meine Kreuze u. Kreuzchen. Umgehend antwortete sie mir mit wenigen<br />
Zeilen, die mir bis heute im Gedächnis geblieben sind. Sie schrieb: "Haben<br />
Sie stets Hochachtung vor der Armut u. vor den Armen. Das gefällt dem<br />
lieben Gott u. gern knüpft er hieran die Gnade zu fleissiger Uebung dieser<br />
Tugend u. zu treuer Befolgung des Gelübdes der hl. Armut. Ueben Sie<br />
täglich die Geduld u. denken Sie oft an das hl. Haus Nazareth. - Auf dem<br />
ärmlichen Anfang eines Werkes liegt gewöhnlich Segen für seine Zukunft."<br />
Diese wenigen Zeilen trösteten mich.<br />
Die Erfahrung hat bewiesen, dass der letzte Satz bei manchen Anstalten<br />
zutrifft, die heute so gut gedeihen.<br />
Seite 168: leer<br />
Seite 169: Die liebe selige Mutter legte es uns bei jeder Gelegenheit ans Herz die hl.<br />
Armut hochzuschätzen u. die Gelegenheit zur Uebung derselben im rechten<br />
Geiste zu benützen. Es gebe ja solche in den verschiedensten Formen. Aber
- 77 -<br />
trotzdem hielt sie stets auf kräftige, gesunde u. hinreichende Kost u. wo<br />
möglich liess sie es hierin an nichts fehlen. Ich war noch junge <strong>Schwester</strong>,<br />
als sie mir einst schrieb: "Ich will, dass Sie täglich ein halbes Glas Wein<br />
trinken, weil Sie schwächlich sind". Leckereien, Süssigkeiten u. dergl. als<br />
Dessert u.s.w. gibt es jedoch nicht. Als die liebe Schw. Hyazintha Lehrerin<br />
in Bösingen war, erzählten wir uns freudig <strong>von</strong> dem Besuche der lb. Mutter<br />
Theresia, der kurz vorher in Bösingen u. Gurmels stattgefunden hatte. Und<br />
lb. Schw. Hyazintha sagte, sie habe <strong>von</strong> lb. Frau Mutter strenger Tadel<br />
bekommen, weil sie in Laupen beim Zuckerbäcker einen kleinen Kuchen<br />
holen lies um ihn beim Mittagessen der lt. Mutter vorzusetzen. "So etwas<br />
dürfen Sie niemals tun", habe die liebe Mutter gesagt, denn<br />
Seite 170: Solches beim Zuckerbäcker zu kaufen ist Luxus u. wider die Armut.<br />
Ungern sah es die liebe Mutter, wenn junge <strong>Schwester</strong>n bei Tisch nicht<br />
gehörig essen wollten. "Man soll sich etwas zwingen", sagte sie, "u.<br />
genügend gesunde Kost zu sich nehmen auch wenn sie unserm Geschmacke<br />
nicht gerade zusagt. Selbstüberwindung auch in diesem Punkte ist guter Akt<br />
der Abtötung u. verdienstlich. Ebenso verdienstlich ist es, das zu lassen,<br />
wo<strong>von</strong> man weiss, dass es der eigenen Gesundheit nicht zuträglich ist.<br />
Selbstbeherrschung u. Selbstüberwindung auch in diesem Punkte erhält<br />
gesund u. schützt vor vielen Krankheiten."<br />
Seite 171: Einst kam die liebe selige Mutter ganz unerwartet <strong>von</strong> Freiburg her zu eine<br />
kurzen Besuche nach Ueberstorf. Ich besorgte mir damals meinen Haushalt<br />
und meine Küche schon selbst. Nachdem sie meine Kücheneinrichtung<br />
besichtigt, sagte sie lachend: "heute will ich kochen u. zwar eine geröstete<br />
Mehlsuppe u. Kartoffeln mit Hülse. Unterdessen besorgen Sie Käse u.<br />
decken den Tisch". Eilig ging ich zur Wirtschaft Boschung u. kaufte 1 Pfund<br />
Käse. Als ich zurückkam, war die Suppe bereits gekocht u. die Kartoffeln<br />
bald weich. "Wieviel haben Sie für den Käse bezahlt", fragte die lb. Mutter.<br />
Einen Frcs., war meine Antwort. "Das ist nicht zuviel", sagte die lb. Mutter.<br />
"Er ist sehr gut, auch ist das mehr als 1 Pfund, es ist ja ein so grosses,<br />
schönes Stück". Bald hatte ich den Tisch besorgt u. aufgetragen u. ich fügte<br />
auch noch Brot u. guten Wein bei. Wir assen u. waren vergnügt beisammen.<br />
Auch tranken wir 1/2 Glas Wein mit etwas Wasser vermischt. "So gut hat<br />
mir das Essen schon lange nicht mehr geschmeckt u. so wohl getan", sagte
- 78 -<br />
die liebe Mutter. "Ich bin eben in meiner Jugend<br />
Seite 172: an Mehlsuppe gewöhnt worden, darum liebe ich sie jetzt noch". Das alles<br />
freute mich sehr u. ich rief aus: " ich auch, ich auch! Wir Kinder mussten am<br />
Abend wenigstens einige Löffel voll geröstete Mehlsuppe essen, bevor wir<br />
die Milch bekamen u. so wurde ich daran gewöhnt u. liebe sie heute noch.<br />
Obschon die liebe Mutter nie direkt da<strong>von</strong> sprach, wenigstens nicht zu uns<br />
Jüngern, so wussten wir doch, dass sie mit vielen finanziellen<br />
Schwirigkeiten zu kämpfen hatte. Als ich noch Novizin war, liess sie mich<br />
gelegentlich einer Vorbeireise <strong>von</strong> Ueberstorf ins Collegium nach Freiburg<br />
rufen. Die liebe Mutter fand, mein Kopf sei zu sehr beschwert mit Haaren,<br />
das sei beim Tragen des Schleiers ungesund, sie wolle mir einen Teil<br />
wegschneiden u. sie tat es. "Ach, wie viele u. schöne Haare", sagte sie, "die<br />
könnte man verkaufen, wir hätten das Geld so bitter nötig". "Ja ich weiss<br />
schon Abnehmer" sagte die lb. Schw. Caritas, die daneben stand. Die liebe<br />
Mutter<br />
Seite 173: besann sich eine Weile u. sagte dann: "Nein, ich will es nicht tun, werfen sie<br />
die Haare ins Feuer". Die lb. <strong>Schwester</strong> Caritas tat es.<br />
Der Bekennerbischof Stephan Marylei wohnte die letzte Zeit seines Lebens,<br />
nachdem er sich vom bischöflichen Amte zurückgezogen hatte, im Hause<br />
der Frl. Marie de Fégely de Vivis. Während des Sommers begab auch er sich<br />
einige Zeit ins Schloss petit Vivis. Als wir ihn einst dort trafen, drückte er<br />
mir frcs. l00.- in die Hand n. sagte leise: Das ist für Sie u. ihren Haushalt.<br />
Ich war ganz erschrocken u. wusste kaum was tun. Lächelnd ermutigte er<br />
mich u. dann nahm ich dankend an. Bei nächster Gelegenheit übergab ich<br />
das Geld freudig der lieben Mutter. Sie rief aus: Wie gut ist Gott gegen uns.<br />
Haben Sie nur immer recht grosses<br />
Seite 174: Vertrauen, er verlässt uns nicht, ich erfahre es so deutlich. Immer war "wo<br />
die Not am grösster Gott am nächsten".<br />
Schon in den ersten Jahren meines Ordenslebens machte ich gleichsam<br />
unbewusst die Beobachtung, dass alle <strong>Schwester</strong>n, die ich kannte, bestrebt<br />
waren der lieben Mutter in ihren Sorgen zu helfen, wie etwa die Kinder einer<br />
braven Familie ihren Eltern. Man sparte, wo es recht u. vernünftigerweise<br />
anging. Man brachte auch Opfer u. freiwillige körperliche Abtötung.
- 79 -<br />
Auch wenn man <strong>von</strong> morgen bis abends reiste, dachte man nicht daran<br />
"einzukehren" um etwas "Warmes" zu geniessen, man nahm seinen Proviant<br />
in der Tasche mit sich. Von u. zum Schiff trug man seine, u. wenn<br />
Seite 175: auch schwere Reisetasche selbst an der Hand. Man wusste gleichsam nichts<br />
anderes.<br />
Die liebe Schw. Carolina Imfeld kam <strong>von</strong> der Gauglera bis Ueberstorf zu<br />
Fuss um mich zu besuchen, sobald sie vernahm, ich sei dort. Und noch<br />
grössere Touren machte sie zu Fuss. Die liebe Schw. Gustavina Martin kam<br />
mit zwei <strong>Schwester</strong>n <strong>von</strong> Plaffeyen bis Ueberstorf zu Fuss zu den hl.<br />
Exerzitien. Das Reisegepäck trugen sie den ganzen weiten Weg mit sich. Sie<br />
erzählten mir, dass sie euch <strong>von</strong> Plaffeyen nach Freiburg zu Fuss gehen. Die<br />
liebe Schw. Febronia sel. ging zu Fuss <strong>von</strong> Cressier bis Düdingen mit der<br />
Reisetasche an der Hand, wenn sie zu den Exerzitien reiste. Wir gingen auch<br />
hie u. da <strong>von</strong> Gurmels nach Freiburg zu Fuss u. wenn wir zur Quatemberzeit<br />
gingen, machten wir uns gewöhnlich schon morgens 4 Uhr nüchtern auf die<br />
Füsse, um zeitig in der Kapuzinerkirche zu sein. Wir nehmen ein Laternchen<br />
mit, es war dies notwendig um glücklich durch die stockdunkle<br />
Wendeltreppe die Grandfey-Brücke zu erreichen.<br />
Seite 176: Aehnliche u. auch noch beschwerlichere Fusstour machten noch viele andere<br />
<strong>Schwester</strong>n. Die lieben alten <strong>Schwester</strong>n Carolina Imfeld, Anastasia Hauser,<br />
Januaria Edelmann, Cornelia Führer, Hyazintha Zoller, Gustavina Martin,<br />
Adelheid Scherrer u. noch viele, viele andere, die ich nicht so nahe kannte,<br />
waren hierin geradezu vorbildlich, Der liebe Gott lohne ihnen ihr gutes<br />
Beispiel mit ewiger, himmlischer Glückseligkeit.<br />
Seite 177: Ich war in Gurmels, als in unsrer Congregation das neue Chorgebet<br />
"Officium parvum der seligsten Jungfrau Maria" eingeführt wurde. Wir<br />
<strong>Schwester</strong>n waren sehr erfreut hierüber u. beteten das Officium täglich mit<br />
Eifer u. Freude. Oefter sangen wir den Hymnus "Ave Maria stella" u. das<br />
"Magnificat" mit voller Stimme, ja hie u. da auch die Vesperpsalmen. Wir<br />
hatten dies schon zu Hause gelernt. Auch konnte das ohne Aufsehen<br />
geschehen in unserer entlegenen Wohnung, wo sonst niemand im Hause<br />
war.<br />
Seite 178: Zu Seite 122 Heft 3<br />
Das Volk der Pfarrei liebt diese Muttergotteskirche sehr. Recht oft knien
- 80 -<br />
dort fromme Leute um zu beten u. Novenen zu halten zur lieben<br />
Muttergottes. Aber auch <strong>von</strong> weiter her kommen hie u. da Wallfahrer. Es<br />
wird auch viel geopfert u. es vergeht wohl kaum eine Woche, dass nicht ein<br />
oder mehrere mal hier Messe gelesen wird. Auch wir <strong>Schwester</strong>n liebten<br />
diese Kirche u. fast jeden Sonn u. Feiertag lenkten wir unsern Spaziergang<br />
dorthin um die lb. Mutter Gottes zu grüssen, hie u. da mit einem Liedchen.<br />
Kein Muttergottes-Fest, auch kein kleines, liessen wir vorbeigehen ohne<br />
gegen abend in diese "untere" Kirche zu pilgern. Heute noch habe ich<br />
grosses Zutrauen zur lieben »Muttergottes vom Dürrenberg" u. rufe sie in<br />
mancher Not an. In dieser Kirche, im Chor, ruht auch der Hochw. Herr<br />
Domprobst u. Schulinspektor J. Alois Tschopp, ein hochverdienter Priester<br />
u. Freund des Volkes. Geboren u. aufgewachsen in Liebistorf, in der Nähe<br />
dieser<br />
Seite 179: Kirche, betete er schon in seinen Kinderjahren viel u. gern an diesem Orte,<br />
in dieser Kirche u. erhielt durch die Fürbitte der lieben Mutter Gottes die<br />
Gnade des Priesterberufes. Seinem Wunsche gemäss erhielt er auch in dieser<br />
Kirche seine letzte Ruhestätte. (Gestorben den.......)<br />
Seite 180: Zu Seite 45<br />
Noch eine Freude ähnlicher Art gewährte mir der lb. Gott in Gnadenthal. Es<br />
trat ein Pensionär ein namens Schmid <strong>von</strong> Niederwil, ein gebildeter Mann.<br />
Eines Tages sagte der alte Briefträger Hufschmid wohlwollend zu mir:<br />
"Hören Sie, Schmid versteht sehr gut Bureauarbeiten u. könnte ihnen viel<br />
helfen u. würde es gerne tun. Er ist ein guter Charakter u. sie dürfen ihm<br />
trauen, nur hat er sein Vermögen verloren u. was schlimmer ist, Glauben u.<br />
Religion. Er war einziger Sohn eines reichen Vaters in dieser Pfarrei, hat<br />
sich alleinstehend u. sorglos durchs Leben getrieben u. ist nun ein armer<br />
Mann geworden. Ich teilte dies gelegentlich dem Hochw. Hr. Präsidenten,<br />
Hr. Pfarrer Meyer in Wohlen, mit. "Ich kenne Hr. Schmid schon", sagte er,<br />
"ein alter Militär u. Offizier u. wie ich vernahm, ein Logenbruder. Um<br />
seinem zerütteten Vermögen aufzuhelfen ging er nach Amerika, kam aber<br />
bald wieder zurück, noch ärmer als zuvor. Seither war er in Wohlen. Ich<br />
konnte ihm nie<br />
Seite 181: beikommen, denn mich flieht er. Nachteiliges über seine Sitten habe ich nie<br />
gehört. Nehmen sie ihn u. probieren sie ihn, vielleicht ist dann auch für den
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Priester eine Annäherung möglich. Schmid hat nämlich seit vielen Jahren<br />
keine katolischen Pflichten mehr erfüllt." Ich liess Schmid kommen, gab ihm<br />
passende Arbeit u. sah bald, dass er ganz tüchtig war in seinem Fache. Ich<br />
konnte <strong>von</strong> ihm manches lernen, denn er gab stets gefällige Auskunft. War<br />
bescheiden u. zeigte sich als nobler Charakter. Letzteres rühmten alle<br />
<strong>Schwester</strong>n nach. Er redete überhaupt wenig. Auf dem Bureau wurde nur<br />
Geschäftliches gesprochen. Von Religion etwas direkt zu betonen, hatte ich<br />
noch nie gewagt. Ein Jahr war bereits vorbei u. Ostern war wieder vor der<br />
Türe. Mit Erlaubnis des Dr. Präsidenten übergab ich Hr. Schmid eine<br />
Erkenntlichkeit (frcs. 10.-) u. sagte: "Nun Hr. Schmid da Ostern ist, wollen<br />
wir ein wenig feiern u.<br />
Seite 182: auch an uns selbst denken. Sie sind Katolik u. werden mit uns Ostern halten,<br />
nicht wahr". Er wurde rot im Gesicht u. zuckte die Achseln, ohne ein Wort<br />
zu erwiedern. Ich liess ihn nächste Tage nicht ganz aus dem Auge u. glaubte<br />
auch seinen Seelenkampf zu beobachten, aber seine Osterpflicht erfüllte er<br />
nicht. Als wir im Laufe nächster Woche wieder auf dem Bureau arbeiten,<br />
sagte er zu mir: "Jetzt bin ich ein armer Mann, aber ich war auch einmal<br />
glücklich. Ich habe mein Gymnasium in Zug gemacht u. war ein braver<br />
Student u. glücklicher Sodale der Muttergottes-Congregation". Gut, sagte ich<br />
das können sie wieder werden. Bitten sie die liebe Mutter Gottes um<br />
Wiederaufnahme u. sie wird es tun. Still u. in sich gekehrt ging Schmid<br />
einige Zeit herum. Dann wurde er krank. Ein altes Uebel kam wieder zum<br />
Vorschein. Er verlangte nach Hr. Pfarrer Senn in Rohrdorf u. in Gegenwart<br />
<strong>von</strong> 2 Zeugen wurde er wieder in die Kirche aufgenommen. Er empfing<br />
andächtig die hl. Sakrament, was er seit vielen Jahren nicht mehr<br />
Seite 183: getan u. nach längerer geduldig ertragener Krankheit starb er ruhig eines<br />
seligen Todes.<br />
--000000--
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Sr. <strong>Cassilda</strong> als Jubilarin
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Anmerkung:<br />
Die Nachträge an den Hefträndern sind in Klammern gesetzt. Die Nummern der<br />
Seitenzahlen sind der Abschrift entnommen und es ist ungewiss ob die Fehler aus dem<br />
Original oder aus der Abschrift stammen.
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Nachtrag:<br />
Ökumenisches Heiligenlexikon online<br />
<strong>Cassilda</strong> <strong>von</strong> Toledo (<strong>von</strong> Burgos)<br />
Gedenktag katholisch: 9. April<br />
Einsiedlerin * in Toledo<br />
+ im 11. Jahrhundert in Briviesca bei Burgos<br />
<strong>Cassilda</strong> war Tochter eines Emirs der Sarazenen.<br />
Als sie im Heilbad San Vincente nahe Burgos vom<br />
Blutfluss geheilt wurde, trat sie zum Christentum<br />
über und lebte fortan als Einsiedlerin.<br />
Ihre Fürsorge galt besonders christlichen<br />
Gefangenen. Die Legende berichtet, wie sie <strong>von</strong><br />
ihrem Vater ertappt wurde als sie Gefangenen im<br />
Kerker Brot brachte, worauf sich das Brot in ihrer<br />
Schürze in Rosen verwandelte. Über Casildas Grab<br />
wurde die Kirche <strong>von</strong> Briviesca gebaut<br />
Attribute: Schürze mit Rosen<br />
Patronin <strong>von</strong> Toledo und Burgos, gegen Blutfluss,<br />
eheliche Unfruchtbarkeit und Unglück<br />
Gemälde <strong>von</strong> Francisco Zurbarán,<br />
im Prado in Madrid<br />
Internet-Bearbeitung: K. J. Version 11/2013<br />
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