Deutscher Bundestag 4. Wahlperiode Drucksache IV/ 2400 Entwurf ...
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — <strong>4.</strong> <strong>Wahlperiode</strong><br />
<strong>Drucksache</strong> <strong>IV</strong>/<strong>2400</strong><br />
Mit diesem in den vorstehenden Zahlen zum Ausdruck<br />
kommenden Prozeß eines überproportionalen<br />
Wachstums des Aufkommens an Einkommensteuern<br />
ist gelegentlich der Begriff der „heimlichen Steuererhöhungen"<br />
verbunden und aus diesem Vorgang<br />
die Forderung nach einer Senkung des Einkommensteuertarifs<br />
abgeleitet worden. Eine derartige Betrachtungsweise<br />
berücksichtigt nicht das Zusammenwirken<br />
der Steuern im Steuersystem und die sich<br />
daraus ergebende Entwicklung des Gesamtsteueraufkommens<br />
im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt.<br />
Angesichts der großen Aufgaben, die von der öffentlichen<br />
Hand zu bewältigen sind, kann diese auf eine<br />
angemessene Beteiligung am Wachstum der Volkswirtschaft<br />
nicht verzichten. Eine solche angemessene<br />
Beteiligung dürfte grundsätzlich dann gegeben sein,<br />
wenn die gesamten Steuereinnahmen im gleichen<br />
Verhältnis steigen wie das Bruttosozialprodukt, es<br />
sei denn, daß aus bestimmten Gründen — z. B. zur<br />
Abwehr übermäßiger konjunktureller Schwankungen<br />
— von diesem Grundsatz abgewichen werden<br />
muß. Betrachtet man aus dieser Sicht die Wachstumsraten<br />
der Steuereinnahmen und des Sozialprodukts<br />
über eine längere Zeit hinweg, so ergibt sich<br />
folgendes Bild:<br />
Kalenderjahr<br />
Zunahme in v. H.<br />
Steuer<br />
einnahmen<br />
Sozialprodukt<br />
1955 gegenüber 1954 10,5 14,3<br />
1956 gegenüber 1955 11,0 10,2<br />
1957 gegenüber 1956 7,0 8,9<br />
1958 gegenüber 1957 4,2 7,0<br />
1959 gegenüber 1958 12,4 8,4<br />
1960 gegenüber 1959 14,8 11,6<br />
1961 gegenüber 1960 14,7 10,0<br />
1962 gegenüber 1961 10,0 8,8<br />
1963 gegenüber 1962 5,4 6,2<br />
In den Jahren mit starker Einkommensteuersenkung,<br />
wie 1955, 1957 und 1958, war das Wachstum<br />
der Steuereinnahmen geringer als die sehr hohe<br />
Anstiegsquote des Bruttosozialprodukts. Die folgende<br />
— ebenfalls durch eine kräftige Erhöhung des<br />
Sozialprodukts gekennzeichnete — Periode erbrachte<br />
demgegenüber ein überdurchschnittliches<br />
Steueraufkommen, das allerdings 1963 wegen bestimmter<br />
Sonderfaktoren (Auswirkungen der ab<br />
1. Juni 1962 geltenden Berlinvergünstigungen, Rückgang<br />
der Lastenausgleichsabgaben, höhere Ausfuhrvergütungen)<br />
geringfügig beeinträchtigt wurde. Im<br />
Gleichklang mit dieser Entwicklung erhöhte sich<br />
das Verhältnis der Steuereinnahmen zum Sozialprodukt<br />
von 21,7 v. H. in 1958 auf 24,2 v. H. in 1963.<br />
Da sich die Bundesrepublik Deutschland in einer<br />
Phase ständigen Wirtschaftswachstums mit steigenden<br />
Einkommen befindet, wird sich der oben geschilderte<br />
Prozeß überdurchschnittlich steigender<br />
Steuereinnahmen fortsetzen, wenn ihm nicht durch<br />
-<br />
eine Senkung der Einkommensteuerbelastung ein<br />
gewisser Einhalt geboten wird.<br />
2. Struktur des gegenwärtigen Einkommensteuertarifs<br />
Der gegenwärtige Einkommensteuertarif sieht für zu<br />
versteuernde Einkommensbeträge bis 8000/16 000 DM<br />
einen proportionalen Steuersatz von 20 v. H. vor,<br />
der im Zusammenhang mit den Grundfreibeträgen<br />
eine indirekte Progression und damit einen harmonischen<br />
Anstieg der Durchschnittsbelastung bewirkt.<br />
Auf diese proportionale Besteuerungszone<br />
ist ein Progressionstarif aufgestockt, der mit einem<br />
Spitzensteuersatz von 27,2 v. H. beginnt und mit<br />
einem höchsten Spitzensteuersatz von 53 v. H. oberhalb<br />
eines zu versteuernden Einkommensbetrags<br />
von 110 000/220 000 DM endet. Die danach folgenden<br />
Einkommensbeträge sind mithin wieder proportional<br />
besteuert mit der Folge, daß eine Durchschnittsbelastung<br />
von 53 v. H. selbst bei höchsten<br />
Einkommen nur annäherungsweise erreicht wird.<br />
Anlaß zur Kritik an diesem so gestalteten Einkommensteuertarif<br />
ist vor allem der Sprung des Spitzensteuersatzes<br />
von 20 v. H. auf 27,2 v. H. an der<br />
Übergangsstelle von der Proportionalzone zum<br />
eigentlichen Progressionstarif. Dieser kräftige Anstieg<br />
der Spitzensteuersätze begründet eine gesellschaftspolitisch<br />
nicht gerechtfertigte Steilheit des<br />
Progressionsverlaufs für die mittleren Einkommensbereiche.<br />
Bei der Gestaltung des Einkommensteuertarifs<br />
1958 mußte dieser Bruch im Progressionsverlauf<br />
zur Vermeidung zu hoher Steuerausfälle hingenommen<br />
werden. Eine Tarifreform mit dem Ziel auch<br />
einer strukturellen Verbesserung des Tarifs wird<br />
daher auf einen harmonischen Anstieg der Spitzensteuersätze<br />
ausgerichtet sein müssen.<br />
3. Gestaltung des neuen Einkommensteuertarifs und<br />
der damit zusammenhängenden außertariflichen<br />
Maßnahmen<br />
Bei einer Reform des Einkommensteuertarifs muß<br />
von den Belastungswirkungen des bestehenden Tarifs<br />
einerseits und von den haushaltsmäßigen Möglichkeiten<br />
andererseits ausgegangen werden. Gleichzeitig<br />
muß man sich vor Augen halten, daß der Einkommensteuertarif<br />
trotz der vorgeschalteten Proportionalzone,<br />
die beibehalten werden soll, eine<br />
Einheit darstellt, und daß in eine Tarifsenkung für<br />
die unteren und mittleren Einkommen, wie sie der<br />
Bundesregierung vorschwebt, auch die Proportionalzone<br />
mit einbezogen werden muß.<br />
Die Bundesregierung hat auch geprüft, ob der<br />
Grundfreibetrag von 1680 DM angesichts des seit<br />
1958 eingetretenen Kaufpreisschwunds geändert<br />
werden sollte. Sie ist jedoch der Ansicht, daß eine<br />
Korrektur des Tarifs in der Proportionalzone und<br />
im Progressionsbereich sowie außertarifliche Maßnahmen<br />
mit familienpolitischen, bildungspolitischen<br />
und sozialpolitischen Zielsetzungen den Vorrang<br />
haben vor einer Erhöhung des Grundfreibetrages,<br />
die an sich erwünscht wäre, aber in ausreichendem<br />
Maße haushaltswirtschaftlich zur Zeit nicht zu verwirklichen<br />
ist.