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BT-Drs 17/12542 - DIP21 Login Seite - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>17</strong>. Wahlperiode – 97 – Drucksache <strong>17</strong>/<strong>12542</strong><br />

„,Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich<br />

wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz<br />

werde.’ (Immanuel Kant)<br />

Damit ist schon alles gesagt – und der Text könnte hier<br />

aufhören. Das wäre unhöflich. Entschuldigung. Ich habe<br />

überhaupt nicht erwähnt, worum es gehen soll.<br />

„Was sind Ihre Top 3-Regeln für Kommunikation im<br />

Netz?“, fragt die Internet-Enquete in einer Blogparade. Bevor<br />

wir uns der Beantwortung dieser Frage nähern, sollten<br />

wir klären, welche Top 3-Regeln der Offline-Kommunikation<br />

allgemein anerkannt sind. Es wird schwer werden,<br />

hier einen allgemeingültigen Konsens zu finden. Zu vielschichtig<br />

und zu verschieden sind die kommunikativen<br />

Möglichkeiten offline: persönliche Begegnung, Telefongespräch<br />

oder Brief – eins zu eins oder eins zu viele.<br />

Noch viele weitere Kombinationen sind denkbar, die sich<br />

wiederum fast alle auf das Netz übertragen lassen und<br />

sich dort in verschiedenen Formen wiederfinden. Videokonferenz,<br />

Chat, E-Mail, Blogpost, Facebook-Nachricht<br />

oder YouTube-Video sind nur einige Beispiele von Kommunikation,<br />

für die ich ein Offline-Äquivalent finden<br />

könnte.<br />

Betrachtet man Netzkommunikation als Aliud zur Offline-Kommunikation,<br />

dann müssten tatsächlich besondere<br />

Regeln für diese aufgestellt werden. Diese Regeln<br />

unterschieden sich von anderen Kommunikationsregeln<br />

grundsätzlich in ihrem Wesen. Netzkommunikation ist effizienter<br />

und schneller, aber im Grundsatz nicht anders.<br />

Im Alltag geht nicht jeder in der Schule, am Arbeitsplatz<br />

oder in der Freizeit mit seinem Gegenüber immer so um,<br />

wie man auch selbst behandelt werden will. Das ist bedauerlich,<br />

aber menschlich. Wenn wir online sind, uns<br />

asynchron, schriftlich und mit elektronischen Hilfsmitteln<br />

äußern, dann passieren solche Fehler auch.<br />

Egoismus – nicht nur im Netz<br />

Leistungsdruck, Stress und Egoismus führen dazu, dass<br />

immer mehr Rüpel ihre Ellenbogen ausfahren. Das Ich<br />

steht über der Gemeinschaft – wer denkt auch noch an die<br />

Gesellschaft, wenn er Maximales fürs Ego erreichen will.<br />

Jeder sucht sich seine eigene Ideologie, weil die großen<br />

ideologischen Streitigkeiten vorüber sind. Menschen können<br />

eine Ich-Bezogenheit entwickeln, die sie für andere<br />

Menschen schwerer erträglich macht.<br />

Dieser Egoismus lässt sich auch im Netz häufig beobachten.<br />

Die eigene Meinung geht über alles und andere haben<br />

keine Peilung. Da kann dann auch schnell einmal die eigene<br />

Ungeduld in Hass und Missgunst umschlagen.<br />

Firmen und Marken werden beschimpft, ohne sich daran<br />

zu erinnern, dass es immer Menschen sind, die die Ergebnisse<br />

einer „SM-Logorrhoe“ lesen müssen. Social Media-<br />

Manager von Facebook-Fanseiten müssen schon ein<br />

ziemlich dickes Fell haben, wenn sie ihren Job mit Liebe<br />

und Engagement über längere Zeit ausfüllen wollen.<br />

Anonym oder nicht – für die Diskussionskultur macht es<br />

keinen Unterschied: Call Center-Mitarbeiter wissen, was<br />

ich meine. In sozialen Netzwerken galt noch vor wenigen<br />

Jahren der Grundsatz, dass der volle Name vor rüpelhaften<br />

und beleidigenden Kommentaren schützt. Das ist inzwischen<br />

weitgehend vorbei.<br />

Offensichtlich schockt es auch keinen, dass seine Freunde<br />

die Verbal-Diarrhoe in ihrem Newsfeed mitlesen können.<br />

Auch außerhalb der sozialen Netzwerke, im „richtigen“<br />

Internet, wird viel zu oft keine Rücksicht genommen.<br />

Werden solche Kommentare dann gelöscht oder nicht<br />

freigeschaltet, dann wird ganz laut „Zensur“ gerufen.<br />

Kleiner Einschub: Es kann getrost das Ende der Debatte<br />

um das Ende der Anonymität im Internet gefordert werden.<br />

Im Internet bin ich im Regelfall – anders als zum<br />

Beispiel beim Bäcker in der Großstadt – eben nicht anonym,<br />

sondern verrate meistens mehr über mich als offline.<br />

Shitstorm – online und offline<br />

Menschen wie ich, für die das Internet integraler Bestandteil<br />

des Lebens ist, für die online und offline verschwimmen,<br />

erleben viel zu oft einen Shitstorm. Negative Erregungswellen,<br />

einer schreit „Sch…“ und dann werden<br />

Ventilatoren angeschaltet, um sie umfassend zu verteilen.<br />

Offline kennt man das auch in verschiedenen Abstufungen:<br />

Kleine Rechthabereien wie ein Streit um den Sitzplatz<br />

im Zug, Nachbarschaftsstreitigkeiten um Lärm, den<br />

Baum oder die Garage. Der Gang zum Anwalt ersetzt<br />

dann ein Gespräch unter Menschen.<br />

Das Internet könnte Ausgleich schaffen. An vielen Stellen<br />

dient es genau dazu. Hier in meinem Blog übrigens auch.<br />

Das Netz ist groß und hat Platz für viele Meinungen.<br />

Wichtig nur, dass die Umgangsformen beachtet werden.<br />

Im Buch Tobit heißt es in ähnlicher Intention wie bei<br />

Kant, wenn auch negativ formuliert: „Was dir selbst verhasst<br />

ist, das mute auch einem anderen nicht zu!“<br />

Was seit dem Usenet als Netiquette bezeichnet wird, ist<br />

im Grunde nichts anderes als der verständnisvolle Umgang<br />

miteinander. Im Offline-Leben wird dies gelebt<br />

durch Werte wie Höflichkeit, Zuverlässigkeit und Disziplin.<br />

„Vergiss niemals, dass auf der anderen <strong>Seite</strong> ein Mensch<br />

sitzt!“<br />

Offline- und Online-Kommunikation unterscheiden sich<br />

von den technischen Randbedingungen. Noch aber sprechen<br />

direkt oder indirekt Menschen miteinander. Das dürfen<br />

wir nicht vergessen.<br />

Was ist nun zu tun? Kann die Politik Netiquette verordnen<br />

und bußgeldbewährt durchsetzen? Nein. Es ist eine<br />

Aufgabe für mich, für dich, für uns alle. Jeden Tag. Immer<br />

wieder. Die drei Top-Regeln der Online-Kommunikation<br />

muss jeder für sich finden. Am Ende siegt hoffentlich<br />

die Vernunft.<br />

Transparenzhinweis: Ich habe die Einsetzung der<br />

Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft<br />

im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit begleitet und am<br />

Arbeitsauftrag (<strong>Bundestag</strong>sdrucksache <strong>17</strong>/950) mitgewirkt.“

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