BT-Drs 17/12542 - DIP21 Login Seite - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>17</strong>. Wahlperiode – 9 – Drucksache <strong>17</strong>/<strong>12542</strong><br />
Medien<br />
1 Erhaltung, Sicherung und Gefährdungen<br />
der Medien- und Meinungsfreiheit, der<br />
Meinungsvielfalt sowie der Informations-,<br />
Presse- und Rundfunkfreiheit<br />
1.1 Grundrechtsfragen: Anwendung der<br />
Kommunikationsgrundrechte auf die<br />
Internetkommunikation/Lücken/<br />
Einordnungsschwierigkeiten<br />
Im Internet findet sich eine Vielzahl von Diensten, deren<br />
grundrechtliche Einordnung zum Teil erhebliche Schwierigkeiten<br />
bereitet. Im Folgenden geht es allein darum, ob<br />
und unter welchen Voraussetzungen die verschiedenen<br />
Formen der Internetkommunikation dem Schutz der<br />
Kommunikationsgrundrechte im Sinne des Artikel 5 GG<br />
unterfallen. Hierbei werden zunächst der Schutzzweck<br />
sämtlicher Kommunikationsgrundrechte sowie die einzelnen<br />
Gewährleistungen des Artikel 5 GG und deren Abgrenzungen<br />
in den Blick genommen. Im Anschluss folgt<br />
eine Darstellung der Eigenarten und Besonderheiten der<br />
Internetkommunikation, die verdeutlichen, dass sich die<br />
kommunikationsgrundrechtliche Einordnung der Internetkommunikation<br />
schwierig gestaltet. Die Abgrenzung<br />
von Presse und Rundfunk erscheint im digitalen Zeitalter<br />
ebenso wenig geklärt wie die Frage, ob Intermediäre, die<br />
im Gegensatz zu den klassischen Medien nicht nach<br />
publizistischen, sondern nach mehr oder weniger inhaltsneutralen<br />
Kriterien tätig sind, dem Schutz der Kommunikationsgrundrechte<br />
unterliegen.<br />
Die Frage, ob Formen beziehungsweise Dienste der Internetkommunikation<br />
am Schutz des Artikel 5 GG teilnehmen,<br />
hat nicht nur eine akademische, sondern eine erhebliche<br />
praktische Bedeutung. Da im Sinnzentrum des<br />
Artikel 5 GG – neben der Persönlichkeitsentfaltung des<br />
Einzelnen – die Offenheit des Prozesses individueller und<br />
öffentlicher Meinungsbildung steht, können mit der Zuordnung<br />
bestimmter Dienste zu den Grundrechten des Artikel<br />
5 GG entsprechende Regulierungsnotwendigkeiten<br />
korrespondieren. Dem Staat obliegt eine Gewährleistungsverantwortung<br />
für Meinungs- und Medienvielfalt,<br />
aus der sich entsprechende Schutzaufträge ergeben können,<br />
wenn die Offenheit des Prozesses individueller und<br />
öffentlicher Kommunikation beeinträchtigt oder gefährdet<br />
ist. 1<br />
1.1.1 Der Inhalt des Artikel 5 Absatz 1<br />
Grundgesetz<br />
1.1.1.1 Schutzzweck des Artikel 5 Absatz 1<br />
Grundgesetz<br />
1 Vgl.: Gersdorf, Hubertus: Presse-Grosso: Gewährleistungsverantwortung<br />
des Staates für Pressevielfalt. In: AfP 2012, 336–345 (338 f.<br />
mit weiteren Nachweisen auf Rechtsprechung und Literatur).<br />
Artikel 5 Absatz 1 GG umfasst verschiedene Kommunikationsgrundrechte.<br />
Diese enthalten unstreitig eine subjektiv-rechtliche<br />
(= individualrechtliche) Funktion, die<br />
dem Einzelnen das Recht zuweist, seine eigene Persönlichkeit<br />
dadurch zu entfalten, dass er im privaten und öffentlichen<br />
Bereich „den Mund auftun“ und „geistig Luft<br />
ablassen“ kann. 2 Darüber hinaus kommt den Kommunikationsgrundrechten<br />
auch eine objektiv-rechtliche Komponente<br />
zu. Insofern handelt es sich um eine Doppelfunktion<br />
des Schutzzweckes von Artikel 5 Absatz 1 GG. So<br />
erhalten die Kommunikationsgrundrechte innerhalb einer<br />
Demokratie, die auf einem freien (öffentlichen und individuellen)<br />
Meinungsbildungsprozess fußt, eine herausragende<br />
Bedeutung. Denn ein Wesenselement der Demokratie<br />
besteht darin, dass der Wille des Volkes maßgebend<br />
ist. Dafür ist allerdings entscheidend, dass die Bürgerinnen<br />
und Bürger auch die Möglichkeit haben, sich frei von<br />
staatlichen Einflüssen eine Meinung zu bilden (demokratische<br />
Willensbildung). Aus diesem Grund genießt der<br />
Schutz der freien öffentlichen und individuellen Meinungsbildung<br />
einen besonderen Stellenwert. Voraussetzung<br />
ist eine Vielzahl an Meinungen, die dafür als Basis<br />
dient. Aus diesen soll sich in einer Systematik der Meinungspluralität<br />
die überzeugendste Meinung durchsetzen.<br />
Voraussetzung für einen Schutz aus Artikel 5 Absatz 1<br />
GG ist demzufolge der inhaltliche Beitrag zum Kommunikationsprozess.<br />
1.1.1.2 Die einzelnen Gewährleistungen des<br />
Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz<br />
1.1.1.2.1 Meinungsfreiheit<br />
Die Meinungsfreiheit schützt jeden, der seine Meinung<br />
äußert beziehungsweise verbreitet. Voraussetzung ist somit<br />
zum einen, dass eine Meinung vorliegt (in Abgrenzung<br />
zu einer reinen Tatsache) und zum anderen, dass es<br />
sich um eine eigene Meinung handelt. Das Verbreiten einer<br />
fremden Meinung wird hingegen nicht vom Schutzbereich<br />
erfasst. Eine Meinung ist geprägt durch das Element<br />
der Stellungnahme, des Dafürhaltens, der Beurteilung. 3<br />
Im Gegensatz dazu ist eine Tatsache dem Beweis zugänglich,<br />
denn sie kann entweder wahr oder unwahr sein. 4 Bei<br />
jeder in Frage stehenden Information, die geäußert oder<br />
verbreitet wird, muss demzufolge geschaut werden, ob es<br />
sich um eine Meinung oder eine Tatsache handelt. Das<br />
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden,<br />
dass die Äußerung und die Verbreitung von Tatsachen<br />
dann vom Schutzbereich erfasst werden, wenn sie als<br />
Grundlage für eine Meinungsbildung dienen. 5 Demzufolge<br />
wird der Schutzbereich für diese Art von Tatsachen<br />
erweitert.<br />
2 Vgl.: Gersdorf, Hubertus: Legitimation und Limitierung von Onlineangeboten<br />
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Konzeption der<br />
Kommunikationsverfassung des 21. Jahrhunderts. Berlin: 2009,<br />
S. 55.<br />
3 Siehe: BVerfGE 61, 1 (8).<br />
4 Vgl.: Schemmer, Franz: Artikel 5 Absatz 1 GG, Rn 5. In: Epping,<br />
Volker/Hillgruber, Christian (Hrsg.): Beck’scher Online-Kommentar<br />
Grundgesetz. Stand: 1. Juli 2012, Edition: 15.<br />
5 Siehe: BVerfGE 61, 1 (8).