BT-Drs 17/12542 - DIP21 Login Seite - Deutscher Bundestag
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Drucksache <strong>17</strong>/<strong>12542</strong> – 56 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>17</strong>. Wahlperiode<br />
einfachgesetzlicher und auch verfassungsrechtlicher<br />
Ebene aus. Hier geht es etwa darum, dass durch die neuen<br />
Formationen der Öffentlichkeit mögliche doppelte Inkongruenzen<br />
zwischen intendierter und erreichter Öffentlichkeit<br />
auftreten. Dies lässt sich relativ gut an Unterrichtszitaten<br />
von Lehrerinnen und Lehrern auf Portalen wie<br />
spickmich.de exemplifizieren. So kann ein Lehrer bei seinen<br />
Äußerungen im Unterricht davon ausgehen, dass<br />
diese Äußerungen klassenöffentlich bleiben, das heißt<br />
also den Raum, in dem sie gesprochen werden, nicht verlassen.<br />
Diese Erwartung kann enttäuscht werden, wenn<br />
ein Schüler die entsprechenden Äußerungen beispielsweise<br />
auf dem Internet-Portal spickmich.de postet und so<br />
einer – je nach Gestaltung des Zugangs zu dieser Plattform<br />
unterschiedlich großen – Öffentlichkeit Zugänglichkeit<br />
verschafft. Aber auch bei dem betreffenden Schüler<br />
kann es Irrtümer im Hinblick auf die erreichten Öffentlichkeiten<br />
geben. Er kann davon ausgehen, dass das Zitat<br />
schulöffentlich bleibt, während das Portal aber so gestaltet<br />
ist, dass alle Schüler, die sich bundesweit anmelden,<br />
Zugang zu den Inhalten haben.<br />
Ein weiteres Beispiel sind Internet-Archive. Wie oben bereits<br />
dargestellt, kann es dazu kommen, dass in bestimmten<br />
Situationen regelhaft Informationen über Personen<br />
per Suchmaschine abgerufen werden. Ein Archiv, das Internet-öffentlich<br />
ist und eigentlich nur Zugang für zeitgeschichtlich<br />
Interessierte eröffnen möchte, kann auf diese<br />
Weise Informationen (etwa über frühere Straftaten einer<br />
Person) Suchmaschinen-öffentlich machen. Einige Gerichte<br />
waren mit derartigen Fällen bereits beschäftigt. 287<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat für die Herstellung<br />
praktischer Konkordanz zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht<br />
Betroffener aus Artikel 2 Absatz 1 in<br />
Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG und dem betroffenen<br />
Kommunikationsgrundrechten aus Artikel 5 Absatz 1<br />
GG schon völlig unabhängig von den Veränderungen, die<br />
durch Fragmentierungen der Öffentlichkeit entstehen,<br />
deutlich gemacht, dass auf beiden <strong>Seite</strong>n Besonderheiten<br />
der Kommunikation einzubeziehen sind. Dies bedeutet,<br />
dass sowohl bei der Frage, welche Informationsinteressen<br />
befriedigt werden, als auch, wie groß eine mögliche Beeinträchtigung<br />
des Persönlichkeitsrechts de facto ist, die<br />
tatsächlich erreichte Öffentlichkeit der Prüfung zugrunde<br />
gelegt werden muss. Dies kann für Fälle Suchmaschinenöffentlicher<br />
Archive beispielsweise bedeuten, dass der<br />
Zugewinn an Öffentlichkeit für den intendierten Archivzweck<br />
nicht sonderlich relevant ist, auf der anderen<br />
<strong>Seite</strong> aber die Persönlichkeitsrechte viel intensiver berührt<br />
werden, wenn das Archiv für Suchmaschinen geöffnet<br />
wird.<br />
287 Vgl.: BGH: Berichterstattung im Internet – Online-Archiv, Urteil vom<br />
13. November 2012; BGH: Sedlmayr-Mord – Berichte im Online-Archiv<br />
des KStA, Urteil vom 1. Februar 2011, Az. VI ZR 345/09; OLG<br />
Hamburg: Berichterstattung über Straftäter in Online-Archiven, Urteil<br />
vom 20. März 2011; Löschungspflicht bei Online-Archive – LG<br />
Hamburg, Urteil vom 18. Januar 2008, Az.: 324 O 507/07. Eine<br />
Übersicht zu den Urteilen ist online abrufbar unter: https://www.tele<br />
medicus.info/urteile/tag/Online-Archiv<br />
2.3.5 Fehlsteuerungen<br />
Die oben angesprochenen Funktionsverschiebungen bei<br />
der Herstellung von Öffentlichkeit und das Aufkommen<br />
privater Öffentlichkeiten kann im Informationsrecht zu<br />
Fehlsteuerungen bis hin zur Zielverfehlung führen. Dafür<br />
einige Beispiele:<br />
Das Medienkonzentrationsrecht oder besser die Bestimmungen<br />
zur Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht<br />
in § 26ff RStV fokussieren sich derzeit stark auf<br />
traditionelle Massenmedien vom Typ Fernsehen und beziehen<br />
andere machtvolle Akteure bisher nur systematisch<br />
ein, sofern sie fernsehartige Meinungsmacht vermitteln.<br />
Es stellt sich die Frage, ob dies den potenziellen<br />
Vermachtungen in der öffentlichen Kommunikation noch<br />
hinreichend gerecht wird, oder besser, ob nicht parallel<br />
dazu darüber nachzudenken ist, auch den Einfluss von<br />
Aggregatoren oder Suchmaschinen zu beobachten. Jedenfalls<br />
fällt auf, dass es medienrechtlich bislang unproblematisch<br />
wäre, wenn – um ein unwahrscheinliches Szenario<br />
zu bemühen – sich Google und der Axel Springer<br />
Verlag zusammenschließen würden.<br />
Viele Normen – etwa des Urheberrechts – knüpfen sogar<br />
explizit an Öffentlichkeit oder aber ihr Gegenstück, die<br />
Privatheit, an. So kann sich beispielsweise bei privaten<br />
Öffentlichkeiten die Frage stellen, inwieweit ein öffentliches<br />
Zugänglichmachen im Sinne von § 19a UrhG vorliegt<br />
beziehungsweise anders herum, ob man sich in diesem<br />
Feld automatisch im Bereich der Privatkopie im<br />
Sinne von § 52 UrhG bewegt.<br />
Weitere Punkte seien hier nur kurz genannt, so beispielsweise,<br />
dass etwa der Trennungsgrundsatz in § 58 RStV<br />
bislang auch journalistisch-redaktionelle Inhalte fokussiert<br />
und sich die Frage stellt, wo noch schützenswertes<br />
Vertrauen in die Unterscheidung von Kommunikaten im<br />
Hinblick auf ihren Entstehungskontext besteht. Auch die<br />
Reichweite des Medienprivilegs im Datenschutzrecht<br />
(§ 41 BDSG) geht bislang von einer klaren Unterscheidbarkeit<br />
journalistisch-redaktioneller Kommunikationstypen<br />
aus. Schließlich verbirgt sich hinter der Dunkelnorm<br />
der Kennzeichnungspflicht des § 55 RStV ein gewisses<br />
grundsätzliches Konfliktpotenzial, denn hier geht es um<br />
die Möglichkeit anonymer Kommunikation im Internet.<br />
Viel hängt davon ab, wie der Begriff der „privaten Zwecke“<br />
ausgelegt wird. Auch an dieser Stelle muss eine<br />
Trennlinie zwischen Öffentlichem und Privatem gezogen<br />
werden, um die Norm anwendbar zu machen.<br />
Kultur<br />
3 Kunst und Kultur in der digitalisierten<br />
Gesellschaft<br />
3.1 Veränderungen der Produktion,<br />
Distribution und Nutzung von<br />
künstlerischen Werken/kreativen Inhalten<br />
So sehr man sich auch mit den Veränderungen durch die<br />
digitale Entwicklung beschäftigen kann und muss und so<br />
spannend all diese Entwicklungen für die Kreativen und<br />
ihre Partner sowie für den Endnutzer sind, so sehr lohnt