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BT-Drs 17/12542 - DIP21 Login Seite - Deutscher Bundestag

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Drucksache <strong>17</strong>/<strong>12542</strong> – 54 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>17</strong>. Wahlperiode<br />

verbunden, die im Folgenden betrachtet werden sollen.<br />

Darauf aufbauend geht es um Reaktionsmöglichkeiten<br />

rechtlicher Regulierung, die bereits ergriffen werden oder<br />

noch einer weiteren Ausarbeitung harren.<br />

2.3.2 Neue Formationen der Öffentlichkeit<br />

Wenn über Öffentlichkeit gesprochen wird, dann ist zunächst<br />

klarzustellen, ob ein normativer oder empirischfaktischer<br />

Öffentlichkeitsbegriff in Bezug genommen<br />

wird. Normativ kann man Öffentlichkeit in Anlehnung an<br />

Habermas wie folgt begreifen: als „Inbegriff derjenigen<br />

Kommunikationsbedingungen, unter denen eine diskursive<br />

Meinungs- und Willensbildung eines Publikums von<br />

Staatsbürgern zustande kommen kann“. 283<br />

Rechtlich ist der Begriff „Öffentlichkeit“ nicht definiert,<br />

Öffentlichkeit wird aber an vielen Stellen jedenfalls indirekt<br />

in Bezug genommen. Wenn etwa das Bundesverfassungsgericht<br />

in ständiger Rechtsprechung darauf abstellt,<br />

dass die individuelle und öffentliche Meinungsbildung<br />

frei zu erfolgen habe, so rekurriert es damit auf einen normativen<br />

Öffentlichkeitsbegriff. Es geht um die Voraussetzungen<br />

– etwa in der Struktur der Rundfunkordnung –,<br />

die gegeben sein müssen, damit von einer freien Meinungs-<br />

und Willensbildung ausgegangen werden kann.<br />

Welche strukturellen Veränderungen sich dadurch ergeben,<br />

dass jeder jedenfalls öffentlich zugänglich seine<br />

Auffassungen ins Internet stellen kann, ist noch nicht abschließend<br />

geklärt.<br />

Davon zu unterscheiden ist ein empirisch-faktisches Verständnis.<br />

Das prominenteste Konzept stammt sicherlich<br />

von Niklas Luhmann. Öffentlich ist danach, was in der<br />

Folgekommunikation als bekannt unterstellt werden<br />

kann. Mit dieser begrifflichen Fassung ist zunächst eine<br />

Relativität des Öffentlichen verbunden. Es geht um die<br />

Frage, bei wem die Bekanntheit unterstellt werden kann,<br />

hier sind von der Paar-Öffentlichkeit (auch in menschlichen<br />

Beziehungen macht es einen Unterschied, ob etwas<br />

bei dem anderen als bekannt unterstellt werden kann) bis<br />

hin zur Weltöffentlichkeit viele Abstufungen möglich.<br />

Die Relativität bezieht sich auch auf die Dauer. Damit ist<br />

so etwas wie Vergessen angesprochen, denn Informationen<br />

haben eine gewisse Halbwertzeit in der Öffentlichkeit.<br />

Verbunden ist mit der empirisch-faktischen Betrachtungsweise<br />

auch eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher Typen<br />

von Öffentlichkeit, die vor allem mit ihrer Entstehung<br />

in Verbindung gebracht werden. An dieser Stelle<br />

werden insbesondere die Medienöffentlichkeit und die<br />

spontane Encounter-Öffentlichkeit differenziert.<br />

Medienöffentlichkeit nimmt hier eine ganz besondere<br />

Rolle ein. Zum einen sichert sie – und in differenzierten<br />

Gesellschaften nur sie – die generelle Unterstellbarkeit<br />

der Bekanntheit von Informationen. Niklas Luhmann hat<br />

das auf den viel zitierten Satz zugespitzt: „Was wir über<br />

283 Zit. nach: Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen<br />

zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. 4.<br />

Aufl., Neuwied: 1969, S. 38.<br />

unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben,<br />

wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ 284 Man<br />

darf erwarten, dass das, was in der Zeitung stand, von allen,<br />

mit denen man in Kontakt kommt, gewusst wird, aber<br />

auch nur dies. Spezifisch für die Medienöffentlichkeit ist<br />

die Selektion nach journalistisch-redaktionellen Kriterien.<br />

Journalisten sind die Agenten des Prinzipalbürgers<br />

und selektieren das gesellschaftlich Relevante, erzeugen<br />

also eine öffentliche Agenda. Medien haben bislang sozusagen<br />

das Monopol auf die Selbstbeobachtung der Gesellschaft.<br />

Hier beginnen allerdings auch schon die Veränderungen.<br />

Zum einen ist ein tendenzieller Funktionsverlust massenmedialer<br />

Kommunikation beklagt worden. Es finden etwa<br />

bei der Informationssuche offenbar Verschiebungen hin<br />

zu Kommunikationstypen statt, die nicht oder nur teilweise<br />

journalistisch-redaktionell arbeiten. Stark wahrgenommene<br />

und so potenziell einflussreiche politische<br />

Blogs können dafür als ein Beispiel dienen. Zudem ist bereits<br />

im Bereich der traditionellen Massenmedien eine beschleunigte<br />

Fragmentierung zu beobachten, mit der<br />

Folge, dass jeweils nur Teilöffentlichkeiten entstehen und<br />

eine gesamtgesellschaftliche Öffentlichkeit für diese Inhalte<br />

nicht zu unterstellen ist. Auch dieser Trend, der<br />

bereits in der Formatierung zielgruppengerechter Hörfunkangebote<br />

und einer immer weiteren Ausdifferenzierung<br />

von Publikumszeitschriften ihren Ausdruck gefunden<br />

hat, wird sich auf der technischen Plattform des<br />

Internet weiter beschleunigen.<br />

Zudem entstehen neue Öffentlichkeitstypen, die allerdings<br />

auch in der Kommunikations- und Medienwissenschaft<br />

noch keine eindeutige Beschreibung erfahren<br />

haben. So etwa das, was man als „Suchmaschinenöffentlichkeit“<br />

bezeichnen könnte. Sie ist zunächst eine passive<br />

Öffentlichkeit, das heißt, anders als bei der massenmedialen<br />

Öffentlichkeit ist bei den Inhalten nicht durch eine<br />

ausgeprägte soziale Praxis sichergestellt, dass zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt eine Bekanntheit von Informationen<br />

entsteht und entsprechend am nächsten Tag durch die<br />

neue Zeitungsausgabe wieder „vernichtet“ wird. Allerdings<br />

bilden sich auch hier schon soziale Praktiken heraus,<br />

die zur Unterstellung von Bekanntheit in bestimmten<br />

Kontexten führen. Beispielsweise ist mittlerweile<br />

üblich, dass Job-Bewerberinnen und -bewerber „gegoogled“<br />

werden, so dass Informationen, die auf hohen Suchmaschineplätzen<br />

über die Eingabe eines Namens verfügbar<br />

sind, in dieser Situation als bekannt unterstellt werden<br />

müssen. So mancher Bewerber, der dies nicht bedacht<br />

hat, fühlte sich schließlich im Auswahlverfahren nicht berücksichtigt.<br />

Ein interessanter Unterschied zu massenmedialer Kommunikation<br />

zeigt sich in der Art der Selektion, die hier<br />

nicht journalistisch-redaktionell erfolgt, sondern nach bestimmten<br />

Algorithmen. Die hinter diesen Algorithmen<br />

stehenden Überlegungen haben aber zum Teil eine erstaunliche<br />

Strukturähnlichkeit mit jenen, nach denen auch<br />

284 Zit. nach: Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien.<br />

2. Aufl., Opladen: 1996, S. 9.

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