BT-Drs 17/12542 - DIP21 Login Seite - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>17</strong>. Wahlperiode – 53 – Drucksache <strong>17</strong>/<strong>12542</strong><br />
dass die Netzwerköffentlichkeit Filtermechanismen entwickeln<br />
muss, die jenen der massenmedialen Öffentlichkeit<br />
in ihrer Funktion vergleichbar sind. Dafür stellte er<br />
mehrere Kriterien auf: So müsse gewährleistet sein, dass<br />
grundsätzlich alle Teilnehmer ihre Standpunkte einbringen<br />
können, dass also bestimmte Meinungen, Weltanschauungen<br />
und Interessen nicht systematisch ausgeschlossen<br />
werden (universal intake). Zudem müsse es<br />
Filtermechanismen geben, die individuelle Äußerungen<br />
als über das Private hinaus relevant identifizieren können.<br />
Es müsse die Möglichkeit geben, die Glaubwürdigkeit<br />
und Verlässlichkeit von Informationen zu überprüfen. Es<br />
müsse Mechanismen der Meinungssynthese geben,<br />
sprich, es müsse möglich werden, ähnliche Meinungen<br />
zusammenzufassen, um sie von wenig repräsentativen<br />
Einzelansichten zu unterscheiden, und das Gewicht ihrer<br />
Repräsentativität zu bestimmen. Last, but not least müsse<br />
gewährleistet sein, dass der Staat keinen Einfluss darauf<br />
nehme, wie solche Meinungsbildungs- und Diskussionsprozesse<br />
strukturiert würden.<br />
Eine demokratisch-partizipative Öffentlichkeit entwickelt<br />
sich Benkler zufolge nicht von selbst, auch wenn die<br />
technischen Mittel zur Verfügung stehen. Es bedarf vielmehr<br />
institutioneller Arrangements, die geeignet sind, auf<br />
Basis einer vernetzten, partizipativen Kommunikationsstruktur<br />
die Entwicklung einer strukturierten Öffentlichkeit<br />
zu ermöglichen, die mehr ist als eine bloße Ansammlung<br />
öffentlicher Einzeläußerungen. Es bedarf also einer<br />
zeitgemäßen Medienregulierung. Auch die Medienöffentlichkeit<br />
des 20. Jahrhunderts war ein Ergebnis solcher<br />
Medienregulierung. Sie ist allerdings, wie sich gezeigt<br />
hat, auf das Internet nicht ohne Weiteres zu übertragen.<br />
Die Debatten um den Jugendmedienschutz oder um Zugangssperren<br />
zeigen dies deutlich. Die Frage ist also, wie<br />
das demokratisierende Potenzial einer Netzwerköffentlichkeit<br />
für die öffentliche Sphäre erhalten und gefördert<br />
werden kann, ohne dabei einen Rahmen vorzugeben, der<br />
sein Entwicklungspotenzial hemmt. Hierauf wird in den<br />
Handlungsempfehlungen näher eingegangen.<br />
2.2 Neue Privaträume<br />
Mit dem digitalen Wandel haben sich nicht nur neue Öffentlichkeiten<br />
herausgebildet, sondern auch neue private<br />
Räume. Genauer gesagt haben sich innerhalb von im Internet<br />
neu entstandenen öffentlichen Bereichen auch<br />
Sphären gebildet, die als privat empfunden werden,<br />
wenngleich sie juristisch als öffentlich gelten. So wird<br />
etwa das eigene Profil in einem sozialen Netzwerk von<br />
vielen Nutzerinnen und Nutzern als privat verstanden,<br />
selbst wenn es einer Vielzahl von Personen zugänglich<br />
ist, mit denen die Betreffenden kaum persönliche Beziehungen<br />
unterhalten. Es hat den Anschein, dass die Abgrenzung<br />
von privaten und öffentlichen Sphären sich im<br />
Zuge der technischen Entwicklung beträchtlich verschoben<br />
hat.<br />
Dabei hat die rechtliche Entwicklung mit der kulturellen<br />
nicht Schritt gehalten, wie sich etwa im Bereich des Datenschutzes<br />
oder des Urheberrechts zeigt. So dürfen private<br />
Fotos von Freunden oder Bekannten nicht öffentlich<br />
zugänglich gemacht werden, es sei denn, die Betreffenden<br />
haben entsprechend eingewilligt. Dessen sind sich<br />
viele Nutzerinnen und Nutzer jedoch gar nicht bewusst,<br />
weil sie ihre Profile für ausschließlich privat halten. Ähnlich<br />
im Bereich des Urheberrechts, wo die öffentliche Zugänglichmachung<br />
geschützter Werke grundsätzlich die<br />
Erlaubnis des Rechteinhabers voraussetzt. Private Nutzer,<br />
die Inhalte mit ihren Freunden „teilen“, wissen oft gar<br />
nicht, dass sie gegen geltendes Recht verstoßen, weil sie<br />
zum Beispiel ein Urlaubsvideo mit ihrer Lieblingsmusik<br />
unterlegen und es auf eine öffentliche Plattform wie You-<br />
Tube hochladen.<br />
Doch greifen Nutzer oft nicht nur unwillkürlich in Rechte<br />
Dritter ein. Auch ihre eigene Privatsphäre ist in Bereichen,<br />
die als privat empfunden werden, oft weniger geschützt<br />
als sie meinen. Dies betrifft die Möglichkeit, das<br />
Nutzerverhalten auf Plattformen und beim Gebrauch privatwirtschaftlicher<br />
Dienste zu tracken, also zu überwachen<br />
und zu analysieren. Es ist bekannt, dass beispielsweise<br />
private Chatprotokolle, obschon sie grundsätzlich<br />
vom Kommunikationsgeheimnis gedeckt sind, von Algorithmen<br />
der Anbieter analysiert werden. Ähnliches gilt<br />
für Texte in sozialen Netzwerken, die von Unternehmen<br />
für Privatnutzer angeboten werden. Selbst wenn diese<br />
Praktiken datenschutzrechtlich unbedenklich sein sollten,<br />
weil eine rechtsgültige Einwilligung der Nutzerinnen<br />
und Nutzer vorliegt, scheint es bedenkenswert, dass hier<br />
offenbar eine Diskrepanz besteht: Während die Nutzer<br />
sich häufig in einem geschützten Privatraum wähnen, besteht<br />
tatsächlich eine permanente Zugriffsmöglichkeit der<br />
Anbieter auf die Kommunikationsinhalte.<br />
Während einerseits Räume, die von Nutzern der eigenen<br />
Privatsphäre zugeordnet werden, rechtlich als öffentliche<br />
Räume gelten, bilden sich innerhalb der allgemeinen Öffentlichkeit<br />
zunehmend Sphären heraus, in denen das privatwirtschaftliche<br />
Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />
gilt, die von den Anbietern der entsprechenden<br />
Portale und Plattformen vorgegeben werden. Daraus resultiert<br />
für die Nutzerinnen und Nutzer eine problematische<br />
Unsicherheit: Nicht nur wissen sie über den tatsächlichen<br />
rechtlichen Status der eigenen Kommunikation oft<br />
nicht Bescheid, sondern sie können häufig auch nicht zutreffend<br />
einschätzen, wie stark oder schwach ihr eigener<br />
Schutz in solchen Bereichen ist. Der bestehende rechtliche<br />
Rahmen bietet dabei offenbar immer weniger Orientierungspunkte.<br />
Man wird allerdings damit rechnen müssen,<br />
dass das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit<br />
auch in Zukunft Veränderungen unterworfen sein wird.<br />
2.3 Neue Formationen der Öffentlichkeit und<br />
ihre Folgen für das Recht 282<br />
2.3.1 Einleitung<br />
Öffentlichkeit hat sich durch bestimmte Formen der<br />
Online-Kommunikation in einer Weise verändert, die<br />
man durchaus strukturell nennen kann. Damit sind auch<br />
strukturelle Probleme der Verarbeitung durch das Recht<br />
282 Anmerkung: Der folgende Abschnitt ist eine aktualisierte und gekürzte<br />
Fassung von Schulz, Wolfgang: Neue Formationen der Öffentlichkeit<br />
und ihre Verarbeitung im Informationsrecht. In: Bartsch,<br />
Michael/Briner, Robert G.: DGRI Jahrbuch 2010, Köln: 2011.