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BT-Drs 17/12542 - DIP21 Login Seite - Deutscher Bundestag

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Drucksache <strong>17</strong>/<strong>12542</strong> – 52 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>17</strong>. Wahlperiode<br />

Die massenmedial geprägte Öffentlichkeit konnte diesen<br />

Anspruch jedoch stets nur unzulänglich erfüllen, weil der<br />

Zugang zu diesen Medien selbst von vornherein eingeschränkt<br />

war. Es waren in aller Regel professionelle Journalistinnen<br />

und Journalisten, die für diese Medien arbeiteten<br />

und dabei vor der Herausforderung standen,<br />

gesellschaftliche Entwicklungen in der medialen Öffentlichkeit<br />

adäquat abzubilden, während die eigentlichen<br />

Akteure politischer und sozialer Auseinandersetzungen<br />

allenfalls einen indirekten Zugang zu dieser Öffentlichkeit<br />

hatten. Journalismus war eine Vermittlungsleistung,<br />

und Medien erfüllten in Bezug auf die allgemeine Öffentlichkeit<br />

eine Filterfunktion.<br />

Das Internet hat hier eine bedeutende Veränderung bewirkt.<br />

Bürgerinnen und Bürger, die bisher vor allem<br />

Empfänger medialer Botschaften waren, zu deren Quellen<br />

sie keinen direkten Zugang hatten, wurden in die Lage<br />

versetzt, selbst als Urheber solcher Botschaften in der Öffentlichkeit<br />

aufzutreten. Damit ging einher, dass es möglich<br />

wurde, die Botschaften der Massenmedien kritisch zu<br />

hinterfragen, Fakten zu ergänzen, Widerspruch zu artikulieren.<br />

Die neue Netzöffentlichkeit war in diesem Sinne<br />

von Anfang an eine kritische, da sie sich zunächst in der<br />

Replik auf den medialen Mainstream behaupten musste.<br />

Sie übernahm dabei zunehmend die Funktion einer meinungsbildenden<br />

Instanz, die sie bei den traditionellen Medien<br />

nicht (mehr) ausreichend verwirklicht sah.<br />

Private Teilnehmer dieser neuen Massenkommunikation<br />

verlangten für unbelegte Behauptungen in den traditionellen<br />

Medien Nachweise, lieferten zu offiziellen Verlautbarungen<br />

Gegendarstellungen und Hintergründe oder forderten<br />

eine öffentliche, direkte Diskussion mit anderen<br />

Kommunikationsteilnehmern ein. Auch die professionellen<br />

Verlautbarungen von politischen Akteuren oder Verbänden<br />

sahen sich zunehmend der Herausforderung<br />

gegenüber, auf solche für sie zunächst ungewohnte Ansprache<br />

reagieren zu müssen. Waren die Kommentarspalten<br />

in Blogs ursprünglich ein Ort, in denen der Haupttext<br />

eines Beitrags kommentiert wurde, so sind mit der Weiterentwicklung<br />

sozialer Netzwerke nun Foren entstanden,<br />

in denen angestoßene Debatten fortgeführt werden. Der<br />

öffentliche Diskurs ist damit grundsätzlich dialogisch geworden,<br />

was nicht zuletzt einer Einebnung von Kommunikationshierarchien<br />

gleichkommt.<br />

Das Internet hat insofern ermöglicht, dass neue gesellschaftliche<br />

Gruppen in die mediale Öffentlichkeit eindringen<br />

konnten und diese dazu bewegen, „ihre“ Themen<br />

zu behandeln und sich mit „ihren“ Fragen auseinanderzusetzen.<br />

Insbesondere eine aktive netzpolitische Community,<br />

die sich in Teilen selbst als Bürgerrechts-, Transparenz-<br />

und Demokratiebewegung begreift, sucht bewusst,<br />

das Potenzial der digitalen Medien zu nutzen, um Aufmerksamkeit<br />

für in ihren Augen vernachlässigte Themen<br />

zu erzielen. Bis heute behandelt die politische Öffentlichkeit<br />

im Internet vor allem netzpolitische Themen – setzt<br />

sich also bevorzugt mit Urheberrecht, Datenschutz oder<br />

Netzneutralität auseinander. Dies hat ihr bisweilen den<br />

Vorwurf der Selbstbezogenheit eingetragen.<br />

Sicher ist kritisch zu hinterfragen, entlang welcher<br />

Grenzen sich im Prozess der Konstitution neuer Öffentlichkeiten<br />

zugleich neue Paradigmen des Ausschlusses<br />

vollziehen. Die technische Möglichkeit zur Teilhabe an<br />

öffentlichen Diskursen allein bedingt nicht unbedingt,<br />

dass Akteure, die an medialer Öffentlichkeit früher nicht<br />

teilgenommen hätten, dies heute täten. Im Gegenteil<br />

deutet vieles darauf hin, dass politische und kulturelle<br />

Diskurse auch gegenwärtig noch eine Domäne vergleichsweise<br />

kleiner, gebildeter Schichten sind. Dies anzuerkennen,<br />

darf jedoch nicht zu dem Kurzschluss führen,<br />

es sei ohne Bedeutung, ob eine mediale Struktur die<br />

Möglichkeit zur aktiven Partizipation eröffne oder nicht.<br />

Yochai Benkler hat 2006 erläutert, dass das Entstehen einer<br />

partizipativen Öffentlichkeit im Zuge des digitalen<br />

Wandels zwei wesentliche Voraussetzungen hatte. Zum<br />

einen die grundsätzliche Neutralität der Netze: Die für die<br />

Kommunikation grundlegende Infrastruktur befand sich,<br />

wenigstens in den USA, zwar in Privatbesitz, doch konnten<br />

einzelne Kommunikationsteilnehmer, die als Inhalteanbieter<br />

auftraten, von der Nutzung nicht ausgeschlossen<br />

werden. Die Inhalte wurden zu gleichen Bedingungen<br />

transportiert, ohne Bevorzugung einzelner Datenpakete gegenüber<br />

anderen, und die Netze wurden nicht zentral kontrolliert.<br />

Insofern war auch keine zentrale Kontrolle der<br />

Kommunikation und damit letztlich der Öffentlichkeit<br />

möglich. Zum anderen konnten die Kommunikationsteilnehmer<br />

ihre Endgeräte, vor allem die PC, universell verwenden,<br />

sie also zu selbst bestimmten Zwecken einsetzen.<br />

Gleichwohl ist diese zunehmende Ausdifferenzierung einer<br />

einstmals integrierten Öffentlichkeit nicht ausschließlich<br />

positiv aufgenommen worden. Vielmehr wurde<br />

immer wieder darum gerungen, das Entstehen einer netzwerkartigen<br />

medialen Öffentlichkeit zwischen Informations-Overkill<br />

und Monopolbildung richtig einzuordnen.<br />

So wird einerseits vorgebracht, in der vernetzten Öffentlichkeit<br />

könne sich zwar jede und jeder äußern, aber es<br />

werde nicht jede und jeder gehört. Vielmehr entstehe ein<br />

chaotisches Stimmengewirr. Eine gemeinsame Öffentlichkeit<br />

beruhe aber gerade auf allgemein akzeptierten Entscheidungen<br />

über die Relevanz bestimmter Themen. Andererseits<br />

wird behauptet, es gebe eine solche Vielfalt in<br />

Wirklichkeit gar nicht. Vielmehr konzentriere sich die Aufmerksamkeit<br />

im Internet noch weit mehr als in der massenmedialen<br />

Öffentlichkeit auf bestimmte Meinungsführer<br />

und Foren. Ein großer Teil der Meinungsäußerungen im Internet<br />

werde somit gar nicht wahrgenommen.<br />

Die beiden Ansichten stehen in einem auffälligen Widerspruch<br />

zueinander, verweisen jedoch beide auf dieselbe<br />

Kernfrage: Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit<br />

ein Kommunikationssystem wie das Internet eine Medienöffentlichkeit<br />

ermöglicht, die möglichst viel zur demokratischen<br />

Kultur beiträgt? Benkler hat sich bereits<br />

2006 mit dieser Frage beschäftigt. 281 Er ging davon aus,<br />

281 Vgl.: Benkler, Yochai: The wealth of networks. How social production<br />

transforms markets and freedom. New Haven/London: 2006,<br />

S. 180 ff. Online abrufbar unter: http://www.benkler.org/Benkler_<br />

Wealth_Of_Networks.pdf

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