BT-Drs 17/12542 - DIP21 Login Seite - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>17</strong>. Wahlperiode – 43 – Drucksache <strong>17</strong>/<strong>12542</strong><br />
lichen Berichterstattung. Dementsprechend stehen wir<br />
vor einer Situation, in der Meinungsquellen wuchern,<br />
während die Faktenquellen, auf denen diese Meinungen<br />
beruhen, schwinden.“ 209<br />
1.6.1 Herausforderungen der Refinanzierung<br />
journalistischer Inhalte<br />
Ob diese These einer Gefährdung der Vielzahl von Faktenquellen<br />
nun geteilt wird oder nicht – sicher ist, dass<br />
durch den digitalen Strukturwandel jahrzehntealte und erfolgreiche<br />
Geschäftsmodelle der Presse in Frage gestellt<br />
sind und in den vergangenen Jahren den digitalen Gegebenheiten<br />
angeglichen oder aufgegeben werden mussten.<br />
Denn der Auflagenverlust der Tagespresse ist enorm und<br />
anhaltend. 210 Seit Anfang der 1990er Jahre geht die Verkaufsauflage<br />
kontinuierlich zurück. In der Langzeitentwicklung<br />
von 1995 bis 2010 haben die Kaufzeitungen gut<br />
ein Drittel (33,6 Prozent) ihrer Auflage eingebüßt, die<br />
Abonnementzeitungen ein Fünftel (20,1 Prozent). 211<br />
Einsparungen bei den Redaktionskosten sind in den letzten<br />
Jahren aber auch durch titelübergreifende Reorganisationen<br />
realisiert worden: Redaktionen wurden titelübergreifend<br />
in Redaktionsgemeinschaften zusammengelegt,<br />
verschiedene verlagseigene Titel werden mit dem gleichen<br />
Content ausgestattet, etwa Frankfurter Rundschau<br />
und Berliner Zeitung. Dadurch kann bereits jetzt ein Verlust<br />
an Vielfalt festgestellt werden. Helmut Heinen,<br />
Miteigner der in eine der Reorganisationen einbezogenen<br />
Berliner Zeitung gibt zu: „Bei der überregionalen Berichterstattung<br />
führen die Pläne zu einem Verlust.“ 212<br />
Gleichzeitig haben einige Verlage festgestellt, dass die<br />
selbst recherchierte Exklusivinformation oder Geschichte<br />
das Einzige ist, was die Marke stärkt, und deshalb exklusive<br />
Rechercheteams gebildet (so beispielsweise der Axel<br />
Springer Verlag im Herbst 2010).<br />
1.6.2 Veränderungen der Arbeitsrealitäten<br />
Die Herausforderungen mit Blick auf die Refinanzierung<br />
journalistischer Inhalte hat auch innerhalb der Redaktionen<br />
zu starken Veränderungen geführt: Personal wurde<br />
abgebaut oder outgesourct, die Redaktionen wurden<br />
gänzlich neu strukturiert oder innerhalb eines Blattes zusammengelegt.<br />
213 Eine wachsende Zahl von Zeitungsverlagen<br />
verringert die Redaktionskosten über Absenkungen<br />
209 Zit. nach: Steiger, Paul: Fakt, Fiktion, Charity. In: Vocer, <strong>17</strong>. April<br />
2012. Online abrufbar unter: http://www.vocer.org/de/artikel/do/<br />
deail/id/165/fakt-fiktion-charity.html und vgl.: Novy, Leonard/<br />
Schwickert, Dominic: Journalismus in der digitalen Moderne. Ergebnisse<br />
aus dem Projekt Zukunft des Journalismus der Stiftung Neue<br />
Verantwortung. In: Fachjournalist 1/2012. Online abrufbar unter:<br />
http://www.fachjournalist.de/PDF-Dateien/2012/05/FJ_1_2012-Jour<br />
nalismus-in-der-digitalen-Moderne.pdf<br />
210 Vgl.: Röper, Horst: Zeitungen 2010. Rangverschiebungen unter den<br />
größten Verlagen. In: Media Perspektiven 5/2010, S. 218–234.<br />
211 Vgl.: ebd., S. 218.<br />
212 Zit. nach: Heinen, Helmut: Mantel des Schreibens. In: Süddeutsche<br />
Zeitung vom 3. September 2009.<br />
213 Anmerkung: Beispielsweise listet Ver.di unter http://druck.verdi.de/<br />
zeitungsverlage Stellenstreichungen und die Zusammenlegung beziehungsweise<br />
das Schrumpfen von Redaktionen chronologisch auf.<br />
von Lohnkosten. Dabei bedient man sich der Leiharbeit,<br />
der Aufgabe von tarifvertraglichen Bindungen und anschließend<br />
untertariflicher Entlohnung sowie zunehmenden<br />
Einsatzes von kostengünstigen freien Journalisten. 214<br />
Als Hauptgrund für den Abbau redaktioneller Ressourcen<br />
wird die Entwicklung des Werbemarktes angegeben. Von<br />
1998 bis 2008 ging der Umsatz hier um 1,7 Mrd. Euro<br />
oder 27,9 Prozent zurück. 215<br />
Die Digitalisierung und die daraus resultierende Notwendigkeit<br />
der schnellen Informationsproduktion hat zudem<br />
die Arbeitsweise in den Redaktionen verändert. „Ressortstrukturen<br />
lösen sich auf, digitale Kommunikations- und<br />
Produktionsprozesse beschleunigen und verändern die<br />
alltägliche journalistische Arbeit. Traditionelle Redaktionsstrukturen<br />
entwickeln sich mehr und mehr zu flexiblen<br />
Strukturen – mit News-Desks und veränderbaren<br />
Produktionseinheiten. Viele Redaktionen arbeiten ohne<br />
feste Ressortstrukturen, die crossmediale Zusammenarbeit<br />
hat zugenommen. 216<br />
In den vergangenen fünf Jahren ist der Anteil des – eigens<br />
für Onlinepublikationen produzierten – Online-Contents<br />
auf über 50 Prozent gestiegen. In den sogenannten Newsrooms<br />
hält der Umgang mit Social Media Einzug. Journalistinnen<br />
und Journalisten nutzen zunehmend Blogs und<br />
den Microblogging-Dienst Twitter als Quellen für neue<br />
Geschichten, aber auch um ihre Geschichten zu verifizieren<br />
oder eigenen Content zu verbreiten. Die Zunahme der<br />
Kanäle, über die journalistische Inhalte publiziert werden,<br />
hat den Druck auf die Journalisten erhöht, mehr Content<br />
zu produzieren und auch insgesamt mehr zu arbeiten.<br />
Heutige Redakteure sind beschäftigter als je zuvor, arbeiten<br />
real-time und operieren über mehrere Plattformen. 2<strong>17</strong><br />
„Die publizistische Bedeutung des Web 2.0 als Distributions-<br />
und Kommunikationskanal wird in Zukunft weiter<br />
wachsen. Neben dem generellen Relevanzzuwachs journalistischer<br />
Nachrichtenangebote im Netz werden vor allem<br />
Blogging-Dienste und soziale Netzwerke für den<br />
Journalismus in jeder Hinsicht wichtiger – ob als Marketingtool,<br />
Publikations- und Rechercheplattform, zur Kontakt-<br />
und Imagepflege oder im Hinblick auf Kollaborationsmodelle<br />
mit den Nutzern.“ 218<br />
Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden einer Umfrage<br />
unter Politikjournalistinnen und -journalisten machen<br />
News-Desks für die Zunahme des Arbeitsdrucks verantwortlich.<br />
Viele der Befragten bestätigen, der Arbeitsdruck<br />
habe insgesamt in den vergangenen Jahren massiv zugenommen,<br />
die Personalsituation sei schlechter geworden<br />
214 Vgl.: Röper, Horst: Zeitungen 2010. A. a. O.<br />
215 Vgl.: ebd.<br />
216 Vgl.: Lünenborg, Margreth/Berghofer, Simon: Politikjournalismus<br />
im Wandel. Merkmale, Einstellungen und Perspektiven deutscher<br />
Politikjournalisten angesichts aktueller Entwicklungen im Berufsfeld.<br />
In: Fachjournalist 3/2010, S. <strong>17</strong>–25.<br />
2<strong>17</strong> Vgl.: Oriella PR Network/Digital Journalism Study: State of Journalism<br />
in 2011. Online abrufbar unter: http://www.orielladigitaljour<br />
nalism.com/files/assets/downloads/publication.pdf<br />
218 Zit. nach: Kramp, Leif/Weichert, Stephan: Innovationsreport Journalismus.<br />
Ökonomische, medienpolitische und handwerkliche Faktoren<br />
im Wandel. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn: 2012. Online abrufbar<br />
unter: http//library.fes.de/pdf-files/akademie/08984.pdf