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BT-Drs 17/12542 - DIP21 Login Seite - Deutscher Bundestag

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Drucksache <strong>17</strong>/<strong>12542</strong> – 24 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>17</strong>. Wahlperiode<br />

Hinsichtlich der Religionsfreiheit (sogenannte Mohammed-<br />

Karikaturen, sogenanntes Mohammed-Video und Ähnliches)<br />

sind die gleichen Abwägungsregeln anzuwenden,<br />

wie bei jedem anderen kollidierendem Grundrecht. Eine<br />

Sonderstellung des Artikel 4 GG ist der Grundrechtssystematik<br />

des Grundgesetzes nicht zu entnehmen. Artikel 4<br />

GG ist daher nur dann unbedingter Vorrang einzuräumen,<br />

wenn es sich um Schmähkritik handelt. Sind die Grenzen<br />

zulässiger Meinungsäußerung nicht überschritten, kann<br />

gleichwohl ein Verbot der Verbreitung einer an sich zulässigen<br />

Form von Meinungsäußerung gerechtfertigt sein,<br />

wenn anderenfalls die öffentliche Sicherheit konkret gefährdet<br />

ist. In Parallele zur polizeilichen Notstandshaftung<br />

ist ein solches Verbot zulässiger Meinungsäußerung<br />

jedoch an enge Voraussetzungen geknüpft (konkrete Gefährdung<br />

der öffentlichen Sicherheit, Fehlen von Alternativen<br />

bei der Gefahrenabwehr und so weiter).<br />

1.3 Schwerpunkt Plattformregulierung:<br />

Machtverschiebungen und die Rolle <br />

von Plattformen 118<br />

1.3.1 Ausgangspunkt und Fragestellung<br />

In der verfassungsrechtlichen Diskussion in der Weimarer<br />

Republik (und auch bereits zuvor) wurde darauf hingewiesen,<br />

dass die Freiheit öffentlicher Kommunikation<br />

nicht nur durch den Staat gefährdet werden kann, sondern<br />

auch durch andere Akteure – vor allem Unternehmen –<br />

die eine herausgehobene Rolle im Kommunikationsprozess<br />

erlangen, die mit dem Risiko verbunden ist, die Freiheit<br />

öffentlicher Kommunikation zu stören. Zu den Zielen,<br />

die die Rechtsordnung in Bezug auf Medien verfolgt,<br />

gehört seitdem – neben vielen anderen – auch, zu verhindern,<br />

dass derartige Vermachtungen entstehen. Das<br />

Bundesverfassungsgericht hat die Verhinderung vorherrschender<br />

Meinungsmacht zur „Pflichtaufgabe“ des Gesetzgebers<br />

erklärt. 119 Dies gilt wegen der besonderen<br />

Wirkmacht vor allem für den Rundfunk. 120 Die verfassungsrechtliche<br />

Aufgabe ist allerdings weiter zu verstehen.<br />

Traditionell stehen dabei die Unternehmen im<br />

Fokus, die Massenmedien beherrschen, so dass konsequenter<br />

Weise das Recht bei der Verhinderung vorherrschender<br />

Meinungsmacht an den Rundfunkveranstalter<br />

anknüpft (§§ 26 ff. RStV).<br />

118 Anmerkung: Der folgende Text ist eine gekürzte, überarbeitete und<br />

aktualisierte Fassung von Schulz, Wolfgang/Dreyer, Stephan/<br />

Hagemeier, Stefanie: Machtverschiebungen in der öffentlichen Kommunikation.<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin: 2011.<br />

119 Siehe: BVerfGE 73, 118 (159).<br />

120 Vgl. dazu: Hasebrink, Uwe/Schulz, Wolfgang/Held, Thorsten: Macht<br />

als Wirkpotenzial. In: Medien-Kurzanalysen April 2009, Berlin:<br />

2009, S. 3 ff.<br />

Vor allem internetbasierte Kommunikation kann die<br />

Frage aufwerfen, ob dieser Fokus nicht angesichts der<br />

Veränderung von öffentlicher Kommunikation zu eng gewählt<br />

ist. Die folgende Untersuchung stellt daher wissenschaftliche<br />

Beobachtungen zusammen, die Aufschlüsse<br />

darüber geben sollen, inwieweit eine Erweiterung dieses<br />

Fokus sinnvoll oder gar geboten erscheint. Sie greift dabei<br />

unterschiedliche Typen von Angeboten heraus, anhand<br />

derer sich Vermachtungsrisiken zeigen können. Darüber<br />

hinaus werden Trends dargestellt, die sich im<br />

Nutzungsverhalten von Internetdiensten und den Angeboten<br />

selbst in den vergangenen Jahren abgezeichnet haben,<br />

und deren soziale und politische Implikationen – auch im<br />

Hinblick auf Machtverschiebungen – diskutiert.<br />

1.3.2 Vorüberlegung: Kommunikative<br />

Chancengerechtigkeit als<br />

Ausgangspunkt<br />

Das Bundesverfassungsgericht orientiert sich bei der<br />

Auslegung der Kommunikationsfreiheiten im Artikel 5<br />

Absatz 1 GG am Ziel der „freien individuellen und öffentlichen<br />

Meinungsbildung“. 121 Wann dieser Prozess als<br />

„frei“ angesehen werden kann, oder andersherum, wann<br />

eine Störung vorliegt, die zum Urteil der Unfreiheit dieses<br />

Prozesses führt, dies hat das Bundesverfassungsgericht<br />

noch nicht auf eine bestimmte Formel gebracht. Aus<br />

unterschiedlichen Entscheidungen lässt sich aber herauslesen,<br />

dass es von einem Paradigma der „kommunikativen<br />

Chancengerechtigkeit“ ausgeht. Vergleichbar der<br />

Grundkonstruktion des „normativen Öffentlichkeitsbegriffes“,<br />

etwa im Werk von Jürgen Habermas 122 , ist davon<br />

auszugehen, dass öffentliche Kommunikation gewissen<br />

Bedingungen gehorchen muss, damit sie als Basis für<br />

eine freie Meinungs- und schließlich Willensbildung normativ<br />

anerkannt werden kann. Erlangen Teilnehmer in<br />

der öffentlichen Diskussion eine kommunikativ nicht begründete<br />

Machtstellung, wird die öffentliche Kommunikation<br />

insoweit verzerrt und „unfrei“. Dies wäre etwa zu<br />

unterstellen, wenn ein Zustand „vorherrschender“ Meinungsmacht<br />

im Sinne von § 26 RStV erreicht ist.<br />

Die Sicherung von Zugangsfreiheit durch § 52c RStV<br />

stellt eine Maßnahme dar, die die Rundfunkfreiheit im<br />

Rahmen von Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG ausgestaltet.<br />

Danach sind die Landesgesetzgeber aufgerufen, zu gewährleisten,<br />

dass freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung<br />

stattfinden kann. 123 Diesem „Primärziel“<br />

der Ausgestaltung dient es, rechtliche Rahmenbedingungen<br />

für kommunikative Chancengerechtigkeit zu schaffen.<br />

Im Prozess der Massenkommunikation sollen nur<br />

kommunikativ begründete Kriterien für die Verbreitungschancen<br />

von Kommunikationsinhalten ausschlaggebend<br />

sein. Ökonomische oder technisch begründete Machtstellungen<br />

sollen diese Chancen möglichst nicht beeinflussen.<br />

124 Dabei wird zunehmend deutlich, dass nicht nur die<br />

Perspektive des Kommunikators, sondern auch die des<br />

Rezipienten im Hinblick auf Zugangschancengerechtigkeit<br />

zu beachten ist. 125<br />

121 Siehe beispielsweise: BVerfGE 57, 295 (319 f.).<br />

122 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen<br />

zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. 4. Aufl., Neuwied:<br />

1969.<br />

123 Siehe vor allem: BVerfGE 57, 295 (319 f.).<br />

124 Anmerkung: Zum Konzept vgl. Hoffmann-Riem, Wolfgang: Kommunikationsfreiheiten.<br />

Baden-Baden: 2002, S. 27 ff. und Schulz,<br />

Wolfgang/Kühlers, Doris: Konzepte der Zugangsregulierung für digitales<br />

Fernsehen. Berlin: 2000, S. 11 ff.<br />

125 Vgl.: Schulz, Wolfgang/Held, Thorsten/Kops, Manfred: Perspektiven<br />

der Gewährleistung freier öffentlicher Kommunikation. Baden-Baden:<br />

2002. S. 58 ff. und 62 ff.

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