BT-Drs 17/12542 - DIP21 Login Seite - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>17</strong>. Wahlperiode – <strong>17</strong> – Drucksache <strong>17</strong>/<strong>12542</strong><br />
1.1.6.1.2 Typisches Erscheinungsbild der<br />
Medien: Rundfunk sind Video- und<br />
Audiobeiträge, Presse sind Texte und<br />
Bilder<br />
Nach anderer Auffassung 59 ist es unter den Bedingungen<br />
moderner Massenkommunikation nicht mehr zeitgemäß,<br />
für die Abgrenzung von Rundfunk und Presse allein auf<br />
das formale Kriterium der Distributionsform abzustellen.<br />
Vielmehr erfolgt die Abgrenzung nach dem typischen Erscheinungsbild<br />
des Mediums. Entspricht das Erscheinungsbild<br />
eher der Presse (Lesemedium), dann soll das<br />
Angebot auch als Presse eingestuft werden. Wenn es von<br />
dem Erscheinungsbild eher dem klassischen Rundfunk<br />
entspricht, wird das Angebot auch als solcher eingestuft.<br />
Demzufolge sind nach dieser Auffassung Angebote als<br />
Rundfunk einzustufen, wenn es sich um bewegte Bilder<br />
handelt, unabhängig ob sie linear (gleichzeitig) oder<br />
durch Abruftechnik vermittelt werden. Werden dagegen<br />
Texte, stehende Bilder und Grafiken im Internet verbreitet,<br />
handelt es sich um (das Lesemedium) Presse. Die<br />
Darstellung einer Zeitung auf einem Pad oder die Darstellung<br />
eines Buches auf einem eReader ist demnach Presse<br />
im verfassungsrechtlichen Sinne.<br />
Eine Ausnahme davon soll allerdings gelten: Werden<br />
Textdienste nur ergänzend mit einem funktionalen Bezug<br />
zu dem Rundfunkprogramm vermittelt, soll es sich trotz<br />
des typischen Erscheinungsbildes nicht um Presse, sondern<br />
um Rundfunk handeln, da der Textdienst eine programmbezogene<br />
Annexfunktion erfüllt. Ebenso verhält es<br />
sich bei der Einordnung von Video- und Audio-Angeboten,<br />
die ein Textangebot nur begleiten oder ergänzen.<br />
Auch diese Angebote werden dann aufgrund ihrer Annexfunktion<br />
als Presse eingestuft. Ist aufgrund der Bedeutung<br />
des Beitrages nicht mehr von einer untergeordneten oder<br />
ergänzenden Rolle auszugehen, entfällt die Annexfunktion<br />
und der Beitrag ist isoliert verfassungsrechtlich einzustufen.<br />
Als Grund für diese Art der Abgrenzung wird auf die Wesenszüge<br />
des Rundfunks abgestellt, die das Bundesverfassungsgericht<br />
benannt hat: Breitenwirkung, Aktualität<br />
und Suggestivkraft. Hinsichtlich der ersten beiden Merkmale<br />
kann keine Abgrenzung zur Pressefreiheit vorgenommen<br />
werden, weil sowohl Presse als auch Rundfunk<br />
eine gewisse Breitenwirkung aufweisen, da es sich um<br />
Massenmedien handelt. Hinsichtlich der Aktualität<br />
konnte früher noch aufgrund der schnellen Berichterstattung<br />
des Rundfunks im Gegensatz zur Presse, die wegen<br />
des großen Distributionsaufwandes zeitlich wesentlich<br />
59 Vgl. Gersdorf, Hubertus: Verbot presseähnlicher Angebote des öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunks. In: AfP 2010, S. 421–434; Bullinger,<br />
Martin/Mestmäcker, Ernst-Joachim: Multimediadienste. Struktur und<br />
staatliche Aufgaben nach deutschem und europäischem Recht. Baden-Baden:<br />
1997, S. 60 ff.; König, Eberhard: Die Teletexte. Versuch<br />
einer verfassungsrechtlichen Einordnung. München: 1980, S. 123;<br />
Schmitt Glaeser, Walter: Kabelkommunikation und Verfassung. Das<br />
privatrechtliche Unternehmen im „Münchner Pilotprojet“. Berlin:<br />
1979, S. 190 ff.; Scholz, Rupert: Audiovisuelle Medien und bundesstaatliche<br />
Gesetzgebungskompetenz. Verfassungsfragen zur rechtlichen<br />
Einordnung und gesetzgeberischen Regelung der Bildträger.<br />
Berlin: 1976, S. 50 ff.<br />
versetzter erfolgte, abgegrenzt werden. Durch die technischen<br />
Veränderungen können die Textangebote jedoch<br />
teilweise schon genauso schnell, wenn nicht gar schneller<br />
verbreitet werden, so dass auch dieses Abgrenzungskriterium<br />
hinfällig ist. Es bleibt die Suggestivkraft. Die besondere<br />
Suggestivkraft des Rundfunks ergibt sich aus der<br />
Kombination von Text, Ton und bewegten Bildern (Spezifikum<br />
des Fernsehens). Dadurch wird ein Anschein<br />
hoher Authentizität vermittelt. Somit ergibt sich die Abgrenzung<br />
zwischen Presse und Rundfunk zwischen stehendem<br />
Text und bewegten Bildern/Ton.<br />
Besondere Zuordnungsprobleme werfen diejenigen<br />
(Misch-) Dienste auf, bei denen Texte, stehende Bilder<br />
und Grafiken einerseits und Video- beziehungsweise Audiobeiträge<br />
andererseits kombiniert werden. Auch insoweit<br />
gilt es, bei der Abgrenzung der grundrechtlichen<br />
Schutzbereiche der Presse- und der Rundfunkfreiheit zu<br />
differenzieren. Sofern im Rahmen des Gesamtangebotes<br />
die Textelemente den Kern der Kommunikation bilden<br />
und die Video- beziehungsweise Audiobeiträge im Wesentlichen<br />
lediglich erläuternden und ergänzenden Charakter<br />
haben, sind diese Beiträge kraft ihrer Annexfunktion<br />
dem Grundrecht der Pressefreiheit zuzuordnen.<br />
Umgekehrt ist das Grundrecht der Rundfunkfreiheit – in<br />
Parallele zu der grundrechtlichen Einordung der (Annex-)<br />
Textdienste klassischer Rundfunkveranstalter – einschlägig,<br />
wenn die Textdienste Annex der Video- oder Audiobeiträge<br />
sind.<br />
1.1.6.1.3 Neues Grundrecht/Medienfreiheit/<br />
Internetdienstefreiheit<br />
Eine andere Ansicht sieht den Artikel 5 Absatz 1 Satz 2<br />
GG als nicht abschließend an. Zum Teil wird davon ausgegangen,<br />
dass Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG ein einheitliches<br />
Massenkommunikationsgrundrecht darstellt, das als<br />
Mediengrundrecht zu verstehen ist. Die Aufzählungen von<br />
Presse, Rundfunk und Film seien nur beispielhaft, also<br />
nicht abschließend. 60 Hinzu trete – ohne Verfassungsänderung<br />
– ein weiteres Grundrecht, eine Internetdienstefreiheit<br />
61 , die inhaltlich mit der Kategorie der Telemedien im<br />
Sinne des einfachen Rechts (Telemediengesetz, Rundfunkstaatsvertrag)<br />
übereinstimmt. Abgegrenzt wird diese<br />
Internetdienstefreiheit gegenüber der Presse durch die<br />
Verbreitungsform. Verkörperte Kommunikationsinhalte<br />
sind Presse. Zum Rundfunk erfolgt eine Abgrenzung<br />
durch die Linearität (gleichzeitiger Empfang). Lineare<br />
Dienste sind – in Anlehnung an die Richtlinie über audiovisuelle<br />
Mediendienste (AVMD-RL) – Rundfunk, alle<br />
übrigen Kommunikationsinhalte, die an die Allgemeinheit<br />
gerichtet sind, fallen unter die Internetdienstefreiheit.<br />
Von der neuen Freiheit sollen also die elektronische<br />
60 Vgl.: Koreng, Ansgar: Zensur im Internet. Der verfassungsrechtliche<br />
Schutz der digitalen Massenkommunikation. Baden-Baden: 2010,<br />
S. 98 ff.<br />
61 Vgl. Holznagel, Bernd/Schumacher, Pascal: Netzneutralität in der Informationsgesellschaft.<br />
A. a. O., S. 59. Ablehnend gegenüber der<br />
Einführung einer neuen Internetdienstefreiheit: Hain, Karl-E.: Ist die<br />
Etablierung einer Internetdienstefreiheit sinnvoll? In: Kommunikation<br />
& Recht 2012, S. 98–103.