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BERATUNGSKOMPETENZEN IN DEN FRÜHEN HILFEN

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<strong>BERATUNGSKOMPETENZEN</strong> <strong>IN</strong> <strong>DEN</strong><br />

<strong>FRÜHEN</strong> <strong>HILFEN</strong><br />

MÖGLICHKEITEN DER BERATUNG VON ELTERN MIT<br />

SÄUGL<strong>IN</strong>GEN UND KLE<strong>IN</strong>K<strong>IN</strong>DERN<br />

Beratung | Juliane Kirsch<br />

26.08.2013 |<br />

urn:nbn:de:gbv:519-thesis 2013-0049-1<br />

MASTERTHESIS<br />

ZUR ERLANGUNG DES AKADEMISCHEN GRADES „MASTER OF ARTS“<br />

Prüfer: Prof. Dr. Matthias Müller | Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam


<strong>IN</strong>HALTSVERZEICHNIS<br />

E<strong>IN</strong>LEITUNG .............................................................................................................................................. 1<br />

1 FRÜHE <strong>HILFEN</strong> .................................................................................................................................. 4<br />

1.1 Begriffsbestimmung und Inhalte Früher Hilfen ........................................................................ 4<br />

1.2 Ziele der Frühen Hilfen ............................................................................................................. 5<br />

1.3 Zielgruppen Früher Hilfen – Wer sie sind und was sie benötigen ............................................ 6<br />

1.3.1 Junge Familien als Zielgruppe Früher Hilfen .................................................................... 6<br />

1.3.2 Unterstützungsbedarfe junger Familien ........................................................................... 7<br />

1.4 Unterstützungsangebote der Frühen Hilfen ............................................................................ 8<br />

1.4.1 Beteiligte des Netzwerkes Früher Hilfen .......................................................................... 9<br />

1.4.2 Netzwerkarbeit ............................................................................................................... 11<br />

1.5 Frühe Hilfen und Kinderschutz – Risiko- und Schutzfaktoren erkennen ................................ 11<br />

1.6 Notwendigkeit und Effizienz Früher Hilfen ............................................................................ 13<br />

1.6.1 Kosten und Nutzen – Frühe Hilfen als Zukunftsinvestitionen ........................................ 13<br />

1.6.2 Effizienz von Hilfen ......................................................................................................... 16<br />

2 DIE GRUNDLAGEN DER BERATUNG ................................................................................................ 18<br />

2.1 Beratung im engeren Sinne – Definitionsversuche ................................................................ 18<br />

2.1.1 Georg Dietrichs Beratungspsychologie .......................................................................... 18<br />

2.1.2 Weitere Definitionen von Beratung ............................................................................... 19<br />

2.2 Beratung als Methode, Arbeitsfeld oder Grundfunktion ....................................................... 20<br />

2.3 Beratungskompetenzen ......................................................................................................... 21<br />

2.4 Die Abgrenzung von Beratung zu anderen Hilfeformen ........................................................ 22<br />

2.4.1 Rechtliche Aspekte von Beratung und Psychotherapie .................................................. 23<br />

2.4.2 Das dreiteilige Versorgungskonzept von Begleitung, Beratung und Psychotherapie ..... 24


3 MÖGLICHKEITEN DER BERATUNG IM NETZWERK FRÜHER <strong>HILFEN</strong> ............................................... 28<br />

3.1 Schwangerschaftsberatung als Arbeitsfeld im Netzwerk Früher Hilfen ................................. 28<br />

3.1.1 Die Aufgaben der Schwangerschaftsberatungsstellen ................................................... 28<br />

3.1.2 Der Beratungsprozess in der Schwangerschaftsberatung .............................................. 30<br />

3.1.3 Fallbeispiel Nadja Ypsilon ............................................................................................... 31<br />

3.1.4 Fazit: Schwangerschaftsberatung im Netzwerk Früher Hilfen ....................................... 34<br />

3.2 Beratungskompetenzen von (Familien-)Hebammen ............................................................. 36<br />

3.2.1 Die Weitergabe von Informationen an Eltern ................................................................ 36<br />

3.2.2 Die Arbeitsweise der (Familien-)Hebammen ................................................................. 38<br />

3.2.3 Fallbeispiel Anna ............................................................................................................ 39<br />

3.2.4 Fazit: Beratung durch (Familien-)Hebammen ................................................................ 42<br />

3.3 Entwicklungspsychologische Beratung als weiterführendes Unterstützungsangebot im<br />

Netzwerk Früher Hilfen ...................................................................................................................... 44<br />

3.3.1 Der Beratungsansatz ...................................................................................................... 44<br />

3.3.2 Der Beratungsprozess ..................................................................................................... 45<br />

3.3.3 Fallbeispiel Felix Zett ...................................................................................................... 46<br />

3.3.4 Fazit: Der Ansatz der EPB ............................................................................................... 49<br />

4 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK ............................................................................................ 51<br />

5 LITERATURVERZEICHNIS .................................................................................................................. 55<br />

6 EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG ....................................................................................................... 58<br />

7 ANHANG – ABBILDUNGEN ................................................................................................................ I


E<strong>IN</strong>LEITUNG<br />

Die kindliche Entwicklung ist ein umfangreicher Prozess, auf welchen viele Faktoren einwirken. Diese<br />

sozialen, psychischen und auch biologischen Einflüsse können positiv sein und den Säugling oder das<br />

Kleinkind beim Heranwachsen und in seinen Entwicklungsschritten fördern. Es kann sich aber auch<br />

um Beeinträchtigungen handeln, die in einem oder gleich mehreren Entwicklungsbereichen Spuren<br />

hinterlassen und somit nicht nur die Kindheit eines Individuums, sondern gleichzeitig sein gesamtes<br />

Leben negativ beeinflussen. Schon pränatale Einflüsse, wie Alkohol- oder Nikotinkonsum der Mutter,<br />

können das Ungeborene in seiner Entwicklung so gravierend beeinträchtigen, dass es durch lebenslange<br />

Folgeerscheinungen geprägt ist. Häufen sich derartige Einflüsse auch auf anderen Ebenen und<br />

wird das Kind zunehmend in seiner Entwicklung eingeschränkt, mindern sich schließlich seine Chancen<br />

auch im schulischen und späteren beruflichen Leben.<br />

Trotz allem setzen Hilfen häufig erst dann ein, wenn Kinder oder Familien auffällig werden, was meist<br />

erst mit Eintritt in Kindergarten oder Schule der Fall ist. Dabei stellen die ersten Lebensmonate eines<br />

kleinen Menschen eine hochsensible und gleichzeitig essentielle Phase dar. In dieser Zeit entwickelte<br />

Defizite können umso schwerer ausgeglichen werden, je älter das Kind ist. Trotzdem fällt es den<br />

Kommunen nach wie vor schwer, bei den prekären Haushaltslagen, die niedrigschwelligen, präventiven<br />

Angebote gleichrangig mit den Pflichtaufgaben der Kinder- und Jugendhilfe umzusetzen.<br />

Durch das am 01.01.2012 in kraftgetretene Kinderschutzgesetz, welches die Frühen Hilfen als eines<br />

seiner Eckpunkte verankert, stellt der Gesetzesgeber eine gewisse Verbindlichkeit her. Möglichst früh<br />

einsetzende Hilfen sollen in einem vielseitigen Netzwerk aus Helfern 1 verschiedener Systeme, Fehlentwicklungen<br />

bei Kindern und in jungen Familien präventiv verhindern. Das Spektrum der Unterstützungs-<br />

und Hilfeangebote ist dabei umfangreich und spricht als universelles die breite Masse junger<br />

und werdender Familien sowie als selektives Angebot spezifische Zielgruppen, beispielsweise auch im<br />

Sinne des Kinderschutzes, an. Die Helfer, aus dem Gesundheitssystem, der Kinder- und Jugendhilfe,<br />

den Schwangerschaftsberatungsstellen und der Frühförderung setzen trotz eines einheitlichen Ziels<br />

auf unterschiedlichen Ebenen an. Durch begleitende, beratende und teils psychotherapeutische<br />

Maßnahmen und Angebote sollen die Familien unterstützt werden.<br />

Die Beratung nimmt dabei im Netzwerk der Frühen Hilfen eine zentrale Rolle ein. Sie bietet als Methode<br />

und in ihrer Funktion sowie als Arbeitsfeld zahlreiche Möglichkeiten und Ansatzpunkte in der<br />

Arbeit mit Eltern von Säuglingen und Kleinkindern. Einige Experten behaupten sogar, dass junge Eltern<br />

heute unsicherer als früher sind und begründen dies im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen<br />

Wandel und der Individualisierung. Der Markt an Erziehungsratgebern ist riesig und wächst wei-<br />

1 In dieser Arbeit soll die männliche Form bei Personengruppen verwendet werden, um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten. Sie meint<br />

dennoch Mitglieder beiden Geschlechts.<br />

Juliane Kirsch | Einleitung<br />

1 | Seite


ter, welches nur ein Anzeichen dafür ist, dass werdende und junge Eltern auf der Suche nach Sicherheit<br />

sind und den Anforderungen der Elternschaft gerecht werden wollen.<br />

Beratung ist in ihrer Begrifflichkeit nicht leicht zu erfassen. Durch unterschiedliche theoretische Ansätze,<br />

zahlreiche mögliche Zielgruppen und Handlungsfelder sowie verschiedenste beteiligte Berufsgruppen,<br />

wird ihre Vielfältigkeit gekennzeichnet. Aus diesen Gründen stellt Beratung wohl auch so<br />

eine geeignete Möglichkeit im Netzwerk Früher Hilfen dar. Die Einsatzmöglichkeiten sind scheinbar<br />

endlos. So gibt es die Schwangerschaftsberatung, Entwicklungspsychologische Beratung und Paarberatung,<br />

die junge Männer und Frauen beim Eintritt in die Elternschaft unterstützen kann. Beratungsrelevante<br />

Themen, wie Überforderung und verschiedenste psychosoziale Probleme junger Familien,<br />

sowie spezifischere Zielgruppe, beispielsweise minderjährige Mütter und Väter, Alleinerziehende,<br />

Familien mit frühgeborenen Kindern oder Eltern mit psychischen Problemen, stellen nur einige Möglichkeiten<br />

und Ansatzpunkte im breiten Spektrum für Beratung dar. Hinzukommt, dass gut ausgeprägte<br />

Beratungskompetenzen bei vielen Berufsgruppen eine notwendige „Grundausstattung“ sind, um<br />

ihre alltägliche Arbeit erledigen zu können.<br />

Im Laufe dieser Arbeit soll die zentrale Frage geklärt werden, welche Möglichkeiten und Grenzen sich<br />

für und durch die Beratung im Netzwerk Früher Hilfen ergeben. Gleichzeitig soll dargestellt werden, wie<br />

genau sich Beratungsprozesse gestalten können, damit den jungen Familien in ihrer Vielfältigkeit geholfen<br />

werden kann.<br />

Das erste Kapitel soll zunächst die Frühen Hilfen differenziert darstellen. Für die Abhandlung dieser<br />

Arbeit ist es von Bedeutung, durch die Beschreibung des Systems Früher Hilfen eine grundlegende<br />

Basis als Ansatzpunkt zu schaffen. Hierfür werden als erstes der Begriff der Frühen Hilfen, seine Inhalte<br />

und Ziele dargestellt. Die Darstellung der Zielgruppe, verbunden mit den Unterstützungsbedarfen<br />

und schließlich bereits vorhanden Unterstützungsangeboten, kennzeichnet im Groben zentrale Ansatzpunkte<br />

für beraterisches Handeln. Hierbei geht es sowohl um die unterschiedlichen Helfergruppen,<br />

als auch deren Vernetzung untereinander in den Frühen Hilfen. Wenn der Bereich des Kinderschutzes<br />

auch nicht zum zentralen Thema dieser Arbeit gemacht werden soll, ist er dennoch ein stets<br />

immanenter Bestandteil in der Arbeit vieler beteiligter Helfer, welche die Augen in Hinblick auf Risikofaktoren<br />

offen halten müssen. Besonders wenn es um den sensiblen Bereich des Kindesschutzes geht,<br />

sind ausgeprägte Gesprächsführungskompetenzen gefragt. Mit der Darstellung der Notwendigkeit<br />

und Effizienz Früher Hilfen, welche eine möglichst realistische Einschätzung darüber vermitteln soll,<br />

was durch Beratungsprozesse erreicht werden kann, endet das erste Kapitel.<br />

Ausgehend vom ersten Kapitel sollen im zweiten alle für die Frühen Hilfen relevanten beraterischen<br />

Aspekte dargestellt werden. Das Hauptziel dieses Kapitels ist es sowohl zunächst eine Grundlage zu<br />

schaffen, von welchem umfangreichen Beratungsbegriff ausgegangen werden soll, als auch erste<br />

Schnittstellen zum System Früher Hilfen zu kennzeichnen. Dafür soll zunächst die Beratung im enge-<br />

Juliane Kirsch | Einleitung<br />

2 | Seite


en Sinne betrachtet werden. Die Definition von Georg Dietrich, eine der wohl umfangreichsten im<br />

deutschsprachigen Raum, soll dargestellt und zur Vermeidung einer einseitigen Sichtweise, durch<br />

weitere ergänzt werden. Nachdem hierdurch eine Basis geschaffen wurde, soll im Anschluss überprüft<br />

werden, ob Beratung eine Methode, Grundfunktion oder ein Arbeitsfeld darstellt. Dies dient zur<br />

Andeutung erster Ansatzpunkte im Bereich der Frühen Hilfen und wird ergänzt durch die Definition<br />

des zentralen Begriffes der Beratungskompetenzen. Die Relevanz und eine wichtige Schnittstelle zum<br />

Netzwerk Früher Hilfen werden im dargestellten dreiteiligen Versorgungskonzept der German Association<br />

of Infant Mental Health (GAIMH) von Begleitung, Beratung und Psychotherapie deutlich.<br />

Nachdem in den ersten beiden Kapiteln die Grundlage geschaffen wurde, soll das dritte schließlich<br />

die zentralen Fragen dieser Arbeit beantworten. Das Kapitel orientiert sich an dem dreiteiligen Versorgungskonzept<br />

und stellt gleichzeitig unterschiedlichste Umsetzungsmöglichkeiten, aber auch Grenzen<br />

für Beratung im Netzwerk Früher Hilfen dar. Hierfür soll es zunächst um die Schwangerschaftsberatung<br />

als ein klassisches Beratungsfeld gehen. Auf die Darstellung der Aufgaben und Arbeitsweise<br />

folgt die Beschreibung und Analyse eines Fallbeispiels, welche möglichst praxisnah den Beratungsprozess<br />

nachvollziehbar machen soll. Der erste Teil dieses Kapitels dient also einerseits zur Verdeutlichung<br />

der Beratung als Arbeitsfeld und andererseits zur Repräsentation der Beratung im Konzept der<br />

GAIMH. Im zweiten Teil des dritten Kapitels wird es um die grundlegenden Beratungskompetenzen<br />

von (Familien-)Hebammen gehen. Dabei sollen sowohl Beratungsanteile in der Arbeit von Hebammen<br />

und Familienhebammen dargestellt werden, als auch der zentrale Aspekt der Weitergabe von Informationen<br />

und Expertenwissen für die Arbeit mit jungen Familien. Ein Fallbeispiel dient zur Veranschaulichung<br />

der Thematik und verdeutlicht gleichzeitig den Übergang von Begleitung zu Beratung.<br />

Der letzte Teil des dritten Kapitels wird sich mit dem Ansatz der Entwicklungspsychologischen Beratung<br />

befassen, welcher zunächst vorgestellt und in einem Fallbeispiel veranschaulicht werden soll.<br />

Besonders hervorgehoben werden soll die Grenze zwischen Beratung und Psychotherapie für Eltern<br />

mit Säuglingen und Kleinkindern. Alle drei Teile dienen zusätzlich zur Darstellung des Übergangs von<br />

den universellen zu den selektiven Hilfen im Netzwerk Früher Hilfen.<br />

In der abschließenden Zusammenfassung sollen die zentralen Erkenntnisse dieser Arbeit festgehalten<br />

werden und ein Ausblick auf weiterführende Fragestellungen gegeben werden.<br />

Juliane Kirsch | Einleitung<br />

3 | Seite


1 FRÜHE <strong>HILFEN</strong><br />

Am 01.01.2012 ist das Bundeskinderschutzgesetzt in Kraft getreten. Die Förderung der Frühen Hilfen<br />

ist eines seiner zahlreichen Eckpunkte. Durch die Verankerung der Frühen Hilfen im Bundeskinderschutzgesetz,<br />

bringt die Bundesregierung ihren Wunsch zum Ausdruck, durch früh einsetzende Hilfen<br />

für junge und werdende Familien, Dysfunktionen und Fehlentwicklungen bei den Kindern vermeiden<br />

zu können (vgl. Thyen 2012, S. 16).<br />

1.1 BEGRIFFSBESTIMMUNG UND <strong>IN</strong>HALTE FRÜHER <strong>HILFEN</strong><br />

Unter Frühen Hilfen ist ein lokales und regionales Unterstützungssystem zu verstehen, welches Hilfeangebote<br />

für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft sowie in den ersten drei Lebensjahren<br />

koordiniert (vgl. Renner/ Heimerhoff 2010, S. 12).<br />

Inhaltlich lassen sich für die Frühen Hilfen drei zentrale Aspekte bestimmen. Frühe Hilfen lassen sich<br />

erstens als frühzeitiges Angebot definieren. Die Unterstützung von Eltern soll dabei so früh wie möglich<br />

erfolgen und zielt darauf ab, den Kindern eine gesunde Entwicklung, bereits in Schwangerschaft<br />

und früher Kindheit, zu ermöglichen. Risiken, die das Kindeswohl gefährden, sollen umfassend reduziert<br />

werden. Im Mittelpunkt stehen Eltern, die aufgrund stark belastender Umstände, nicht selbstständig<br />

für ihre Kinder sorgen können und deshalb Unterstützung benötigen. Diese Belastungen sind<br />

vielschichtig und reichen von psychischen Beeinträchtigungen der Eltern oder häuslicher Gewalt zu<br />

Armutsproblemen oder Defiziten aufgrund mangelhafter Bildung. Damit frühzeitige Unterstützungsangebote<br />

wirken können, müssen diese Belastungen möglichst früh erkannt und passgenaue Hilfen<br />

angeboten werden (vgl. Paul 2012, S. 6).<br />

Zweitens kann man Frühe Hilfen als systemübergreifendes Angebot beschreiben. Hierbei wird davon<br />

ausgegangen, dass es sich bei Frühen Hilfen um keinen bestimmten Hilfetyp handelt, sondern um ein<br />

System aufeinander bezogener und abhängiger Unterstützungsangebote im Rahmen eines Netzwerkes<br />

Früher Hilfen. Dieses Netzwerk umfasst sowohl spezifische als auch allgemeine Hilfen (vgl. Paul<br />

2012, S.6). Bei den allgemeinen Hilfen handelt es sich um universelle und primäre Präventionsangebote,<br />

die sich an alle (werdenden) Eltern im Sinne der Gesundheitsförderung oder Schwangerschaftsberatung<br />

richten. Diese Angebote ermöglichen einen guten Zugang zu allen Familien und werden in<br />

der Regel gut angenommen, da sie nicht stigmatisierend wirken. Unter den spezifischen Hilfen werden<br />

hingegen Angebote der selektiven und sekundären Prävention verstanden und richten sich somit<br />

an Familien in Problemlagen. Es handelt sich um umfassende psychosoziale Angebote, um (werdenden)<br />

Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern in prekären Lebenslagen gerecht zu werden. Bietet die<br />

Jugendhilfe passgenaue und systemübergreifende Hilfe an, kann wirkungsvoller für die Familien und<br />

ressourcenschonender für die kommunalen Haushalte gearbeitet werden, wenn so Fehlversorgungen<br />

und Parallelstrukturen vermieden werden (vgl. Paul 2012, S. 6).<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

4 | Seite


Drittens lassen sich Frühe Hilfen auch als freiwilliges und partizipatives Angebot verstehen. Frühe Hilfen<br />

entsprechen den Prinzipien der Gesundheitsförderung, wenn sie als ein förderndes, präventives<br />

und an die Ressourcen der Eltern anknüpfendes Unterstützungsangebot verstanden werden. Dabei<br />

sollen die Eltern nur soweit in ihren Fähigkeiten und Kompetenzen gefördert werden, dass sie selbstständig<br />

für ihre Kinder Verantwortung und Sorge tragen können. Es geht also um eine Mobilisierung<br />

der Selbsthilfepotentiale junger Familien. Damit die Hilfen wirksam sind, müssen die Unterstützungsangebote<br />

freiwillig angenommen worden sein und im weiteren Verlauf die Familie partizipativ am<br />

Hilfeprozess beteiligt werden (vgl. Paul 2012, S. 7).<br />

1.2 ZIELE DER <strong>FRÜHEN</strong> <strong>HILFEN</strong><br />

Als Ziel der Frühen Hilfen lässt sich zunächst die frühzeitige und nachhaltige Verbesserung der Entwicklungsmöglichkeiten<br />

von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft beschreiben. Frühe Hilfen<br />

leisten dabei sowohl einen Beitrag zu alltagspraktischer Unterstützung als auch zu der Verbesserung<br />

und Förderung von Beziehungs- und Erziehungskompetenzen der (werdenden) Eltern. „Damit tragen<br />

sie maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei und sichern deren Rechte auf Schutz,<br />

Förderung und Teilhabe“ (Renner/ Heimerhoff 2010, S. 12). Das gesunde Aufwachsen wird dabei in<br />

einem umfassenden Sinne verstanden, wozu körperliche und seelische Gesundheit, soziale Teilhabe<br />

sowie die Entfaltung der Entwicklungspotenziale zählen (vgl. Bradna/ Jurczyk/ Schutter 2012, S. 14).<br />

Wenn Hilfen, die dazu beitragen sollen in der Arbeit mit den Familien, die Risiken für das Wohl und<br />

die Entwicklung des Kindes rechtzeitig zu erkennen und zu reduzieren, nicht ausreichen, können Frühe<br />

Hilfen auch dafür sorgen, dass weitere Maßnahmen zum Schutz des Kindes ergriffen werden (vgl.<br />

Renner/ Heimerhoff 2010, S. 12). In diesen Zusammenhang spielt die bereits beschriebene Unterscheidung<br />

von universellen/primären und selektiven/sekundären Unterstützungsangeboten eine<br />

Rolle.<br />

Frühe Hilfen basieren auf einer multiprofessionellen Kooperation, beziehen aber auch bürgerschaftliches<br />

Engagement mit ein, um familiäre Netzwerke zu stärken. Das Hilfesystem der Frühen Hilfen muss<br />

also in ein gesamtgesellschaftliches Engagement eingebettet sein, damit sich nachhaltig die soziale<br />

Lage von Familien verbessert und nicht über das gesunde Aufwachsen von Kindern entscheidet (vgl.<br />

Renner/ Heimerhoff 2010, S. 12). Die Schnittstelle der Verhältnisprävention stellt in diesem Zusammenhang<br />

eine weitere Herausforderung für die Frühen Hilfen dar (vgl. Paul 2012, S. 7).<br />

Maßgebend für die Umsetzbarkeit der Früher Hilfen in der Praxis ist eine enge Vernetzung und Kooperation<br />

mit den „Institutionen und Angeboten aus den Bereichen der Schwangerschaftsberatung,<br />

des Gesundheitswesens, der interdisziplinären Frühförderung, der Kinder- und Jugendhilfe und weiterer<br />

sozialer Dienste“ (Paul 2012, S. 7). Zielgebend ist hierbei, sowohl die flächendeckende Versorgung<br />

mit Hilfe- und Unterstützungsangeboten für junge und werdende Familien als auch die Versorgung<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

5 | Seite


edarfsgerecht und qualitativ hochwertig umzusetzen und voranzutreiben (vgl. Renner/ Heimerhoff<br />

2010, S. 12).<br />

1.3 ZIELGRUPPEN FRÜHER <strong>HILFEN</strong> – WER SIE S<strong>IN</strong>D UND WAS SIE BENÖTIGEN<br />

1.3.1 JUNGE FAMILIEN ALS ZIELGRUPPE FRÜHER <strong>HILFEN</strong><br />

Das durchschnittliche Alter von Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes beträgt 30,5 Jahre und ist<br />

somit in den letzten zehn Jahren um 1,5 Jahre angestiegen. Da die Eltern in jungen Familien heute<br />

bereits älter sein können, werden junge Familien über das Lebensalter der Kinder definiert (vgl. Bradna/<br />

Jurczyk/ Schutter 2012, S. 8).<br />

Junge Familien können sich in vielerlei Hinsicht unterscheiden. Zunächst differenziert man in die drei<br />

Familientypen Ehepaar, Lebensgemeinschaft und Alleinerziehende. Aber auch die Tatsache, ob Geschwisterkinder<br />

inner- oder außerhalb des Haushalts leben und ob beide Elternteile, nur eines oder<br />

keines leiblich mit ihren Kindern verwandt sind, kann das Familienleben beeinflussen. Familien bestehen<br />

heute nicht mehr zwingend aus zwei verheirateten Elternteilen, die gemeinsam mit ihren Kindern<br />

in einem Haushalt leben. Dies kann viele Ursachen, wie etwa eine geringe Heiratsneigung, neue Möglichkeiten<br />

der Familiengründung und die Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels, haben. Studien<br />

zeigen, dass 2010 der Anteil nicht ehelicher Geburten in Deutschland 33% betrug. Wobei ein<br />

starker Unterschied zwischen West- (27%) und Ostdeutschland (61%) erkennbar ist (vgl. Bradna/ Jurczyk/<br />

Schutter 2012, S. 10).<br />

Um die Lebensumstände von jungen Familien besser zu verstehen, ist es notwendig, sich die Bedingungen<br />

für eine Familiengründung in der heutigen Zeit anzuschauen. Zunächst wirken sich veränderte<br />

Erwerbsbedingungen mit den damit verbundenen Unsicherheiten auf junge Familien aus. In unserer<br />

dienstleistungsbasierten Wissensgesellschaft wird die Flexibilität der Angestellten gefordert. Arbeitszeiten<br />

haben sich verändert und viele Menschen sind heute unsicher und befristet, zum Teil im Niedriglohnbereich,<br />

beschäftigt. Diese Umstände können sich negativ auf die Eltern-Kind-Beziehung auswirken,<br />

bergen aber auch ein Potential zur Gestaltung von Familienzeiten und bieten Müttern und<br />

Vätern die Möglichkeit, Aufgaben gleichermaßen zu verteilen. Ein höheres Bildungsniveau ist häufig<br />

mit einer weiteren Distanz zu verwandtschaftlichen Netzwerken verbunden, obwohl die großelterliche<br />

Beziehung gerade im Familienalltag von erwerbstätigen Eltern eine nicht unerhebliche Rolle<br />

spielt. Somit wird der Unterstützungsbedarf junger Familien durch Freunde und Nachbarn bedeutsamer<br />

(vgl. Bradna/ Jurczyk/ Schutter 2012, S. 11).<br />

Hinzukommt, dass im Zuge der Individualisierung, Familiengründung nur eine Wahl unter einer Vielzahl<br />

von Lebensentwürfen ist. Die bewusste Entscheidung für eine eigene Familie bringt auch höhere<br />

emotionale Erwartungen an eine Partnerschaft oder Familie mit sich, welche schnell enttäuscht werden<br />

können, was wiederum Trennungen begünstigt. Durch eine spätere Entscheidung für Familie und<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

6 | Seite


Kinder aufgrund der Berufstätigkeit verkleinert sich das Zeitfenster für berufliche Absicherung und<br />

Familiengründung. Jungen Eltern stehen häufig weniger materielle Ressourcen zur Verfügung. Eine<br />

späte Elternschaft kann hingegen mit einer zeitintensiven Berufstätigkeit kollidieren (vgl. Bradna/<br />

Jurczyk/ Schutter 2012, S. 11).<br />

Aber auch der Wandel der Geschlechterverhältnisse trägt dazu bei, dass junge Frauen bis zum Eintritt<br />

in die Mutterschaft fast im gleichen Maße wie Männer berufstätig sind. Sie erwarten deshalb zunehmend,<br />

dass sich ihre Partner am Familienalltag und den damit verbundenen Aufgaben beteiligen. Ein<br />

erstes Umdenken lässt sich an der Beteiligung von Vätern in der Elternzeit erkennen. Da das traditionelle<br />

Rollenverständnis heute nicht mehr gültig ist, sind Eltern in jedem Fall gefordert, ihre Rollen<br />

selbst zu definieren. Dieser Faktor birgt Risiken und Chancen zugleich (vgl. Bradna/ Jurczyk/ Schutter<br />

2012, S. 11).<br />

Es zeigt sich die Pluralität der familiären Lebenslagen und die damit einhergehenden Anforderungen<br />

an den Helfer, der über entsprechend flexible Fähigkeiten und Kompetenzen verfügen muss. Es wird<br />

jedoch auch deutlich, dass es sich vielfach um Entscheidungs- und Überforderungskonflikte handelt,<br />

die in einem Beratungsprozess besprochen und idealerweise gelöst werden können. Dabei richten<br />

sich die Unterstützungsangebote Früher Hilfen auch an Familien, die Belastungen ausgesetzt sind, um<br />

späteren Kindeswohlgefährdungen präventiv entgegen zu wirken. Solche Belastungen sind vielschichtig<br />

und sollen im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch differenziert dargestellt werden. Die ersten<br />

Daten zu den Modellprojekten stellen ein Bild von den Familien, die mit Hilfeangeboten in den Projekten<br />

unterstützt wurden, dar (vgl. Renner/ Heimerhoff 2010, S. 17).<br />

22% der Mütter, die Angebote und Hilfen der Projekte annahmen, waren zum Zeitpunkt der Geburt<br />

ihres Kindes unter 18 Jahre alt. Der Anteil der Teenagermütter in den Projekten ist im gesamtdeutschen<br />

Durchschnitt (weniger als 1%) also sehr hoch (vgl. Renner/ Heimerhoff 2010, S. 17).<br />

Die Gruppe der Teilnehmer lässt sich desweiteren durch ihre soziale Lage beschreiben. Drei Viertel<br />

der Familien hatten, definiert nach unterschiedlichen Kriterien, einen niedrigen Sozialstatus. So hatten<br />

29% der befragten Eltern keinen Schulabschluss und weitere 35% einen Hauptschulabschluss.<br />

Verglichen mit dem Durchschnitt der deutschen Gesamtbevölkerung ist der Bildungsstand der Teilnehmer<br />

in den Frühen Hilfen also deutlich niedriger. Es muss jedoch auch angemerkt werden, dass<br />

diese Fallzahlen, je nach Ausrichtung des Projektes, stark variieren können (vgl. Renner/ Heimerhoff<br />

2010, S. 17).<br />

1.3.2 UNTERSTÜTZUNGSBEDARFE JUNGER FAMILIEN<br />

Junge Familien werden über die Anwesenheit eines Kindes und seine Angewiesenheit auf Fürsorge<br />

definiert. Hierfür werden, grob zusammengefasst, folgende Ressourcen benötigt: Zeit, Geld und Infrastruktur.<br />

Ganz unterschiedliche Faktoren können dazu beitragen, dass Familien einen erhöhten Unter-<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

7 | Seite


stützungsbedarf entwickeln, um für ihr Kind Sorge und Verantwortung tragen zu können (vgl. Bradna/<br />

Jurczyk/ Schutter 2012, S. 11).<br />

Ökonomische Sicherheit begünstigt ein gelingendes Aufwachsen, indem es einen zugewandten Lebens-<br />

und Erziehungsstil ermöglicht und Konfliktwahrscheinlichkeiten reduziert. Finanzielle Engpässe<br />

sind Folge von Arbeitslosigkeit und Trennungen bzw. Scheidungen und begünstigen diese gleichzeitig<br />

aufgrund des erhöhten Konfliktpotenzials. Hält eine Partnerschaft nicht, sind die Alleinerziehenden<br />

nicht selten von Armut bedroht. Die Situation nach der Beendigung einer Partnerschaft bringt aufgrund<br />

der besonderen Umstände auch spezifische Anforderungen mit sich. Alleinerziehende benötigen<br />

im erhöhten Maße Unterstützung durch ihr soziales Netzwerk, um für die Existenzsicherung und<br />

Erziehung des Kindes Sorge tragen zu können. Auch institutionalisierte (Betreuungs-)Angebote gewinnen<br />

an Bedeutung, um all diesen Aufgaben gerecht werden zu können (vgl. Bradna/ Jurczyk/<br />

Schutter 2012, S. 11f).<br />

Neben der Erfüllung der Grundbedürfnisse sind Eltern auch für die Bildung ihrer Kinder verantwortlich.<br />

Um von gelingendem Aufwachsen sprechen zu können, müssen Mütter und Väter ihren Kindern<br />

beim Spracherwerb und der frühen Bildung behilflich sein. Eltern sehen sich in diesem Hinblick vor<br />

viele Anforderungen gestellt, die auch zu Verunsicherungen führen können. In Hinblick auf Erziehungsfragen<br />

stellt sich also ein weiterer Unterstützungsbedarf dar. Strenge und starre Erziehungsmethoden<br />

sind tabu. Aus diesem Grund können Eltern nicht mehr auf traditionelle Muster zurückgreifen<br />

und müssen dennoch einen Weg finden, mit ihren Kindern umzugehen. Der stetig wachsende Markt<br />

an Erziehungsratgebern kennzeichnet diesen Trend und die damit einhergehenden Verunsicherungen<br />

(vgl. Bradna/ Jurczyk/ Schutter 2012, S. 12).<br />

Weitere Orientierungs- und Unterstützungsbedarfe entstehen in Situationen, in denen Eltern an ihre<br />

persönlichen Belastungsgrenzen kommen. Kleine Kinder sind besonders auf die Zuwendungen ihrer<br />

Eltern und das Feingefühl, ihre nonverbalen Signale richtig zu interpretieren, angewiesen. Deshalb ist<br />

es wichtig, dass Eltern in schwierigen Situationen, die Möglichkeit haben, sich Hilfe holen zu können.<br />

Gerade bei Regulationsstörungen, wie exzessivem Schreien, Fütter- oder Schlafstörungen, können<br />

diese Grenzen schnell erreicht werden. Aber auch die Gestaltung des Übergangs von Partner- zu Elternschaft<br />

muss bewältigt werden und kann Unterstützungsbedarfe beinhalten (vgl. Bradna/ Jurczyk/<br />

Schutter 2012, S. 12).<br />

1.4 UNTERSTÜTZUNGSANGEBOTE DER <strong>FRÜHEN</strong> <strong>HILFEN</strong><br />

Bisher konnte die Vielfalt und Komplexität der Lebenslagen junger Familien in Deutschland dargestellt<br />

werden, woraus sich entsprechend hohe Anforderungen an die Hilfe- und Unterstützungsangebote,<br />

von denen eine Vielzahl für junge Familien in Deutschland besteht, ergeben. Es stellt sich jedoch die<br />

Frage, ob die bisherige Angebotsstruktur diesen Ansprüchen gerecht werden kann.<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

8 | Seite


Die Angebote stammen aus den unterschiedlichen Hilfesystemen Gesundheitswesen, Kinder- und<br />

Jugendhilfe, Familienhilfe, Frühförderung, Bildungswesen sowie der Schwangerenberatung und bieten<br />

eine ganze Bandbreite von Hilfemöglichkeiten an. Diese reichen von niedrigschwelligen Angeboten,<br />

die dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe entsprechen, zu hochschwelligen Settings mit professionellen<br />

Hilfemöglichkeiten. Dabei sind sowohl Gruppenangebote, die zum Teil von Laien aber auch von<br />

entsprechend ausgebildeten Fachkräften geleitet werden, als auch intensive Einzelfallmaßnahmen,<br />

durchgeführt von hochqualifizierten Helfern, in der Angebotsstruktur Früher Hilfen zu finden (vgl.<br />

Bradna/ Jurczyk/ Schutter 2012, S. 13).<br />

1.4.1 BETEILIGTE DES NETZWERKES FRÜHER <strong>HILFEN</strong><br />

Das Netzwerk Früher Hilfen besteht aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Subsysteme, die<br />

wiederum einzelne Teams und Akteure beinhalten. Das Hilfesystem organisiert dabei den Ablauf von<br />

miteinander verknüpften Aktivitäten durch verschiedene Berufsgruppen, die gemeinsam ein spezifisches<br />

Ziel erreichen möchten (vgl. Thyen 2012, S. 20). Im Folgenden sollen kurz die einzelnen Akteure<br />

dargestellt werden, um das System Früher Hilfen genauer kennzeichnen zu können.<br />

DAS GESUNDHEITSSYSTEM<br />

Da der Zeitpunkt der Geburt als sehr geeignet gilt, um mit Familien in Kontakt zu treten, nimmt das<br />

Gesundheitswesen eine besondere Rolle im System der Frühen Hilfen ein. Fast alle werdenden Eltern<br />

nehmen die Angebote dieses Systems in Anspruch. Wegen ihres universellen Zugangs haben hierbei<br />

Hebammen einen besonderen Stellenwert. Wenn auch andere Berufsgruppen über ähnliche Fachkompetenzen,<br />

beispielsweise die Gesundheitsfürsorge für Säuglinge oder im Bereich der Eltern-Kind-<br />

Bindung haben, verfügen sie nicht über das Privileg des universellen Zugangs (vgl. Thyen 2012, S. 21).<br />

Freiberufliche Hebammen und niedergelassene Kinderärzte sollen als Berufsgruppe verstärkt in das<br />

Netzwerk Früher Hilfen eingebunden werden, da sie eine unkomplizierte und von Vertrauen geprägte<br />

Beziehung zu den jungen Familien haben. Hierbei kann es jedoch zu einem inneren Konflikt des Helfers<br />

kommen, wenn dieser neue Handlungsaufträge erhält, die dem bisherigen Charakter der Helfer-<br />

Klienten-Beziehung widersprechen. Gleichzeitig schränkt das Berufsgeheimnis, als hohes Rechtsgut<br />

und gleichzeitige Voraussetzung für das besondere Vertrauensverhältnis, die Kooperation ein. Weitere<br />

Aspekte, die beachtet werden müssen, sind die Unterschiede zwischen den Mitarbeitern aus Gesundheitswesen<br />

und Jugendhilfe, die im gesellschaftlichen Auftrag, der Werthaltung, der Ausbildung<br />

und den Kompetenzen liegen. Zwar arbeiten Angehörige beider Systeme daran, Problemlagen und<br />

Gefährdungen abzuwenden, jedoch besteht ein Unterschied in der systemischen Unterstützung und<br />

im Rückhalt, der den Angehörigen des Gesundheitswesens häufig fehlt oder nur unzureichend vorhanden<br />

ist, um den Aufträgen des Kinderschutzes nachkommen zu können (vgl. Thyen 2012, S. 21).<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

9 | Seite


DIE K<strong>IN</strong>DER- UND JUGENDHILFE<br />

Im Gegensatz zum Gesundheitswesen ist für die Mitarbeiter der Jugendhilfe und die in §8a SGB VIII<br />

genannten Kooperationspartner die ambivalente Auftragslage, den Klienten gegenüber eine unterstützende<br />

Haltung einzunehmen und gleichzeitig dem Kinderschutzauftrag nachzukommen, immer<br />

schon ein Bestandteil ihres Arbeitsalltags gewesen. Diesen Konflikt auszuhalten und gleichzeitig den<br />

Familien gegenüber transparent aufzutreten, um angemessen handeln zu können, benötigt hohe<br />

Kompetenzen in der Gestaltung der Helfer-Klienten-Beziehung, der Reflexion des eigenen Handelns<br />

und muss zudem von institutioneller Seite aus systematisch unterstützt und gefördert werden. Die<br />

Arbeitsweise eines professionell handelnden Sozialarbeiters beinhaltet in der Regel diese Aspekte,<br />

was die potentielle Konfliktlage zu Gunsten der Familie nutzbar macht (vgl. Thyen 2012, S. 22).<br />

DIE SCHWANGERSCHAFTSBERATUNGSSTELLEN<br />

Die Tatsache, dass circa ein Drittel aller Schwangeren die Angebote der Schwangerschaftsberatungsstellen<br />

in Anspruch nehmen, macht sie zu einem wichtigen Kooperationspartner im Netzwerk Früher<br />

Hilfen. Mit einem ressourcenorientieren Ansatz beraten Schwangerschaftsberatungsstellen in Bezug<br />

auf soziale Problemlagen, Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung, Bewältigung psychosozialer<br />

Probleme, Partnerschaftsprobleme und gesundheitliche Fragen und genießen in einem umfangreichen<br />

Maße das Vertrauen der werdenden Familien als Träger des Zeugnisverweigerungsrechts (vgl.<br />

Thyen 2012, S. 22).<br />

DIE FRÜHFÖRDERUNG<br />

Die Angebote der Frühförderung bestehen für die Zielgruppe der Kinder mit drohenden oder bereits<br />

eingetroffenen geistigen oder körperlichen Behinderungen. Ihr Zielauftrag besteht darin, die Förderung<br />

und Behandlung dieser Kinder zu gewährleisten. Die Arbeitsweise erfolgt in der Regel familienund<br />

wohnortsnah, sowie ambulant und aufsuchend. Trotz unterschiedlicher Konzepte in den Ländern<br />

arbeiten die Frühförderstellen mit ihrem Schwerpunkt im pädagogischen Bereich, interdisziplinär und<br />

verfolgen einen ressourcenorientieren Ansatz im Sinne des Empowerments (vgl. Thyen 2012, S. 22).<br />

Die Finanzierung dieser Hilfen erfolgt über das SGB IX (Teilhabe von Menschen mit Behinderungen)<br />

und zunehmend anteilig über die Krankenversicherungen. Die 1.200 Frühförderstellen mit 5.000-<br />

6.000 Mitarbeitern deutschlandweit werden von 4% aller Null- bis Sechsjährigen in Anspruch genommen.<br />

Dabei ist die Frühförderung gut in die Behindertenhilfe im Sinne von geistigen und körperlichen<br />

Behinderungen sowie in den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst eingebunden. Die Vernetzung<br />

mit der Jugendhilfe, welche für die Eingliederungshilfe bei seelischen Behinderungen zuständig<br />

ist, ist vielerorts noch unzureichend. Es ist wichtig, durch eine gute Kooperation die Kompetenzen der<br />

Frühförderung zu nutzen und so einen breiten Zugangsweg zu Familien im Netzwerk Früher Hilfen zu<br />

öffnen. Dabei ist zu beachten, dass nach Erkenntnissen der neurobiologischen Forschung eine Tren-<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

10 | Seite


nung von körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen im Kindesalter ohnehin veraltet erscheint<br />

und zu einem Umdenken führen müsste (vgl. Thyen 2012, S. 22).<br />

1.4.2 NETZWERKARBEIT<br />

Das komplexe Hilfesystem Früher Hilfen kann schon fast den Eindruck einer Überversorgung erwecken.<br />

Untersuchungen weisen jedoch auf ein Präventionsdilemma hin. Dieses besteht darin, dass gerade<br />

Familien mit einem erhöhten Unterstützungsbedarf nicht erreicht werden können. Um dieses zu<br />

eruieren, muss sich die Frage gestellt werden, ob Akteure eines Hilfesystems die angemessenen Hilfen<br />

auch in angrenzenden Systemen kennen. Gleichzeitig muss auf Seiten der Eltern, die längerfristig<br />

Belastungen ausgesetzt sind, geschaut werden, wo und wie gerade diese von Unterstützungsmöglichkeiten<br />

erfahren können (vgl. Bradna/ Jurczyk/ Schutter 2012, S. 13f).<br />

Die Auswertung der Modellprojekte zu den Frühen Hilfen ergab, dass „eine verbesserte Netzwerkarbeit<br />

und verbindliche Kooperation der Schlüssel zum Erfolg [zu sein] scheinen, um Familien nicht<br />

nur zu erreichen, sondern sie auch wirksam zu unterstützen“ (Thyen 2012, S.22). Damit so ein Netzwerk<br />

jedoch funktionieren kann, benötigt es Zeit und Geduld. Die Zusammenarbeit sollte möglichst<br />

kontinuierlich und stabil erfolgen (vgl. Thyen 2012, S. 22).<br />

Außerdem benötigt ein solch komplexes Netzwerk ein Konzept mit einem gemeinsamen Ziel für alle<br />

Beteiligten, was wiederum nur durch lokale und qualifizierte Koordinatoren gewährleistet werden<br />

kann. Es kommt hierbei auf die strukturelle Absicherung der Mitarbeiter des Gesundheitswesens,<br />

sowie auf den Austausch, den gegenseitigen Respekt vor den jeweils anderen Systemlogiken und<br />

unterschiedlichen Begrifflichkeiten an. Nachdem ein Austausch der gemeinsamen Ziele stattgefunden<br />

hat, sollte es darum gehen, die Aufgaben angemessen zu verteilen. Jedes System ist nicht für alles<br />

zuständig, sondern sollte je nach seinen Kompetenzen zum Nutzen der Kinder und Familien handeln<br />

und dabei stets die anderen Systeme im Blick behalten (vgl. Thyen 2012, S. 23).<br />

1.5 FRÜHE <strong>HILFEN</strong> UND K<strong>IN</strong>DERSCHUTZ – RISIKO- UND SCHUTZFAKTOREN ERKENNEN<br />

Auch wenn die meisten Beteiligten einen primär-präventiven Auftrag verflogen, ist der Kinderschutz<br />

ein stets immanenter Bestandteil in den Frühen Hilfen. „Die Schnittstelle [Früher Hilfen] zum Kinderschutz<br />

soll durch sekundär-präventive und intervenierende Maßnahmen und Kooperationsabsprachen<br />

gemäß § 8a SGB VIII […] aktiv gestaltet werden“ (Thyen 2012, S. 16).<br />

Der Kinderschutz soll zwar nicht zum zentralen Thema dieser Arbeit werden, dennoch sollen die Risiko-<br />

und Schutzfaktoren betrachtet werden, welche sowohl eine ressourcenorientierte Sichtweise<br />

ermöglichen als auch Grenzen der primär-präventiven Angebote aufzeigen können. Es erfordert ausgeprägte<br />

kommunikative Kompetenzen sowie ein gutes Feingefühl für die Lebenssituation der Familie,<br />

ihre Befindlichkeiten und Ansichten, um in Fällen von Kindeswohlgefährdung adäquat reagieren<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

11 | Seite


zu können. Gelingt es, angemessene Hilfen zu vermitteln, ist der Weg für diese weiterführende Unterstützung<br />

und Maßnahmen schon geebnet.<br />

RISIKO- UND SCHUTZFAKTOREN<br />

„Risiko- und Schutzfaktoren sind Einflussfaktoren, welche die Wahrscheinlichkeit einer Person, gesund<br />

zu bleiben oder zu werden, verringern (Risiko) oder die negativen Auswirkungen von Risikofaktoren<br />

abmildern (Ressourcen)“ (Thyen 2012, S. 16). Risikofaktoren sind vielseitig und können sich aus<br />

unterschiedlichen Kontexten ergeben. Die Übersicht (Abbildung 1, Anhang, S. I) zeigt eine detaillierte<br />

Darstellung von Risiko- und Schutzfaktoren auf Seiten des Kindes, der Eltern, der Familie, der Situation<br />

und des Umfeldes.<br />

DIE WIRKUNGSWEISE VON RISIKO- UND SCHUTZFAKTOREN<br />

Risikofaktoren, die sich gegenseitig bedingen und kumulativ wirken, können durch die Wirkungsweise<br />

von Schutzfaktoren abgemildert und reduziert werden. Die Stärkung von Ressourcen stellt eine besonders<br />

wirkungsvolle Intervention bei einem mittleren Belastungsrisiko dar. In hochbelasteten Kontexten<br />

reicht die Vermittlung solcher Schutzfaktoren hingegen nicht mehr aus, was direkte sozialpädagogische<br />

oder therapeutische sowie ggf. ärztliche Eingriffe notwendig macht. Manche Risikofaktoren<br />

haben nur dann einen Einfluss auf das Individuum, wenn sie in kritischen Entwicklungsphasen<br />

wirken. Nicht selten sind sie dann irreversibel und verstärken damit auch negative Einflüsse des späteren<br />

Lebens (vgl. Thyen 2012, S. 17). Führt beispielsweise mütterlicher Alkoholmissbrauch, dem das<br />

ungeborene Kind während der Schwangerschaft ausgesetzt ist, zu Gedeih-, Regulations-, Entwicklungs-<br />

oder Verhaltensstörungen (vgl. Feldmann 2013), wird dies zur Folge haben, dass das Kind mit<br />

späteren Belastungen nicht angemessen umgehen kann und ist demnach einem tendenziell höherem<br />

Risiko des Verlustes oder der wiederholten Trennungen von seinen Bezugspersonen ausgesetzt (vgl.<br />

Thyen 2012, S. 17).<br />

In der gängigen Fachliteratur gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, ob sich Risikofaktoren<br />

summieren, sie sich in ihrer Wirkung gegenseitig vervielfältigen oder sich potenzieren. Jedoch scheinen<br />

sich Risikofaktoren nicht nur gegenseitig zu beeinflussen, sondern möglicherweise werden<br />

Schutzfaktoren erst in Anwesenheit dieser aktiviert. Um das zu verstehen, darf man Risikofaktoren<br />

nicht nur als negative und unbedingt zu vermeidende Einflüsse verstehen. Ganz im Gegenteil stellen<br />

sie auch Herausforderungen in den einzelnen Entwicklungsphasen dar, deren Bewältigung zu einer<br />

Ressource, nämlich zur Resilienz-Stärkung eines Kindes, führen kann (vgl. Thyen 2012, S. 18).<br />

Wiederholte Erfahrungen mit Nicht-Bewältigung sind hingegen mit gravierenden Auswirkungen auf<br />

die individuellen Ressourcen und das Selbstbild verbunden. Das Auftreten von negativen Einflussfaktoren<br />

nimmt in seiner Wahrscheinlichkeit zu. Gleichzeitig sinkt die Kraft der Schutzfaktoren. Folgt man<br />

dieser Sichtweise können sich bereits Einflüsse und Ereignisse aus der Schwangerschaft lebenslang<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

12 | Seite


auf die individuelle Entwicklung eines Menschen auswirken. Genetische Einflüsse können sich sogar<br />

transgenerational vererben (vgl. Thyen 2012, S. 19).<br />

1.6 NOTWENDIGKEIT UND EFFIZIENZ FRÜHER <strong>HILFEN</strong><br />

In den vergangenen Jahren wurde eine Debatte über die Umsetzung und das Verfahren des Kinderschutzes<br />

in Deutschland, ausgelöst durch schwerwiegende Fälle von Kindesmisshandlung und<br />

den erheblichen Anstieg der Kosten für die Kinder- und Jugendhilfe, geführt. Diese beiden Faktoren<br />

führten schließlich dazu, die bisherige Vorgehensweise zu hinterfragen. Hinzukam, dass das Gesundheitswesen<br />

eine bemerkenswerte Entdeckung hinsichtlich der gesundheitlichen Lage von Kindern und<br />

Jugendlichen machte, die das Umdenken noch zusätzlich vorantrieb: Die Palette der Krankheiten von<br />

Kindern hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Durch die sogenannte neue Morbidität<br />

wird die „Verschiebung von den akuten zu den chronischen Erkrankungen und von den somatischen<br />

zu den psychischen Störungen“ (Paul 2012, S. 6) beschrieben. Eine Vielzahl der Kinder und Jugendlichen<br />

ist heute körperlich gesund. Gesellschaftliche Veränderungen und neue Rahmenbedingungen,<br />

primär aber auch prekäre Lebensumstände, haben Entwicklungs- und Verhaltensstörungen sowie<br />

psychische Auffälligkeiten zur Folge. Entsprechend dieser Entwicklung müssen frühzeitige Förderungen<br />

und Präventionsprojekte gestärkt und somit auch die bisherige Systemlogik hinterfragt werden<br />

(vgl. Paul 2012, S. 6f). Die folgenden Erläuterungen sollen einerseits die Notwendigkeit Früher Hilfen<br />

darstellen und gleichzeitig Nutzen und Effizienz von Hilfe- und Beratungsprozessen verdeutlichen, um<br />

eine realistische Einschätzung ihrer Wirkungsweise zu ermöglichen.<br />

1.6.1 KOSTEN UND NUTZEN – FRÜHE <strong>HILFEN</strong> ALS ZUKUNFTS<strong>IN</strong>VESTITIONEN<br />

Um die Brisanz dieses Themas zu verdeutlichen, sollen die folgenden Ausführungen, in dem es um<br />

Kosten und Nutzen der Frühen Hilfen geht, mit einem Zitat der Chefärztin Dr. Barbara Filsinger der<br />

Geburtshilflichen Klinik im St. Marienkrankenhaus Ludwigshafen beginnen: „Es ist doch absurd, dass<br />

wir für die medizinische Versorgung eines Frühchens über vier Monate in unserer Klinik 500.000 Euro<br />

aufbringen, um es dann ohne weitere Begleitung in seine Familie abzugeben, wo sich fünf Leute eine<br />

Zweieinhalbzimmerwohnung teilen müssen und drei davon starke Raucher sind“ (Filsinger, zit. nach<br />

Meier-Gräwe/ Wagenknecht 2012, S. 24).<br />

NOTWENDIGKEIT UND NUTZEN FRÜHER <strong>HILFEN</strong><br />

Auch wenn Frühe Hilfen unterschiedlich in den Kommunen umgesetzt wurden, verfolgen sie doch<br />

einheitlich den Leitgedanken der Prävention „Vorbeugen ist besser als Heilen“. Für den Kinderschutz<br />

bedeutet dies, dass früh erkannte Risiken und rechtzeitig aufgefangene Benachteiligungen, das Risiko<br />

der Kindeswohlgefährdung erheblich reduzieren können. Folgekosten, die aufgrund von Kindesvernachlässigung<br />

und -misshandlung entstehen, werden dadurch vermindert (vgl. Meier-Gräwe/ Wagenknecht<br />

2011, S. 14). In ihrer Grundidee gehen die Projekte desweiteren davon aus, „dass Vernach-<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

13 | Seite


lässigung und Misshandlung in den meisten Fällen Endpunkte einer von den Eltern nicht gewollten,<br />

verhängnisvollen Entwicklung sind, an deren Anfang vielfältig Überforderungen stehen“ (Kindler/Sann,<br />

zit. nach Meier-Gräwe/ Wagenknecht 2011, S. 14). Trotz dieser Erkenntnis fällt es den<br />

Kommunen nach wie vor schwer, bei den prekären Haushaltslagen, die niedrigschwelligen, präventiven<br />

Angebote gleichrangig mit den Pflichtaufgaben der Kinder- und Jugendhilfe umzusetzen (vgl.<br />

Meier-Gräwe/ Wagenknecht 2012, S. 24).<br />

Die Säuglingsphase ist zugleich durch ihre essentielle Bedeutung für die Entwicklung eines Kindes und<br />

besondere Vulnerabilität gekennzeichnet. Dabei ist die Grenze von kleinen Anzeichen einer Gefährdung<br />

zu akut lebensbedrohlichen Zuständen schnell überschritten, z.B. bei der Gefahr des Austrocknens<br />

durch mangelnde Flüssigkeitszufuhr. 2009 ergaben Studien des U.S. Departements of Health and<br />

Human Services, dass 42% aller aufgrund von Vernachlässigung oder Misshandlung getöteten Kinder<br />

unter einem Jahr alt und insgesamt 77% unter vier Jahre alt waren (vgl. Meier-Gräwe/ Wagenknecht<br />

2011, S. 15.)<br />

Die Folgen von Kindeswohlgefährdung sind verheerend. Neben dem Leid und Schmerz, sind die Kinder<br />

von langfristigen, meist lebenslangen Folgen betroffen, z.B. Verzögerungen in der sprachlichen,<br />

motorischen und kognitiven Entwicklung sowie Verhaltens- und psychische Störungen. Daraus ergeben<br />

sich zum einen direkte Kosten, die die Kinder- und Jugendhilfe, das Gesundheitssystem und Justizwesen<br />

aufgrund der Inobhutnahmen, Behandlungen von Verletzungen und familiengerichtlichen<br />

Fällen betreffen. Zum anderen müssen aber auch die indirekten Kosten im Auge behalten werden, die<br />

sich beispielsweise aus den psychischen Störungen, Verhaltensauffälligkeiten oder eingeschränkten<br />

kognitiven Entwicklung als Folge der Vernachlässigung oder Misshandlung ergeben. In diesen Fällen<br />

ist mit einer geminderten Erwerbsbeteiligung, gesteigerter Delinquenzrate und erhöhtem Krankheitsrisiken<br />

im Lebenslauf zu rechnen. Dies sind alles Kosten, die sich im Sozial-, Gesundheits- und Justizhaushalt<br />

niederschlagen (vgl. Meier-Gräwe/ Wagenknecht 2011, S. 15).<br />

Die Familie stellt die erste und wichtigste Sozialisationsinstanz für Förderung, Bildung und Erziehung<br />

im Leben eines Kindes dar. Die Rolle der Familie darf also keinesfalls unterschätzt werden, da der<br />

Aufbau des Humanvermögens bereits weit vor Eintritt in eine Kindertagesstätte oder die Schule beginnt.<br />

Unter Humanvermögen ist dabei die Gesamtheit der Kompetenzen eines Menschen, im Sinne<br />

von „Daseinskompetenzen“ für die Lebensführung insgesamt zu verstehen. Bereits der 5. Familienbericht<br />

des Bundesministeriums von 1995 klärte auf, dass nur mit einem Sozialisationserfolg in Familie<br />

und Schule im Vorausgang zur Erwerbstätigkeit, eine Wirtschaft effizient funktionieren kann (vgl.<br />

Meier-Gräwe/ Wagenknecht 2011, S. 17ff).<br />

KOSTEN FRÜHER <strong>HILFEN</strong><br />

Im Rahmen des Projektes „Guter Start ins Kinderleben“ am Standort Ludwigshafen wurde eine Kostenanalyse<br />

zu den konkreten Maßnahmen durchgeführt. Bei den erhobenen Kosten handelt es sich<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

14 | Seite


um Folgekosten, die entstehen, wenn der Zugang zu Familie und Kindern, die im Risiko aufwachsen,<br />

nicht in der frühen Kindheit gelingt und eine Unterstützung erst im späteren Lebenslauf erfolgt (vgl.<br />

Meier-Gräwe/ Wagenknecht 2012, S. 26).<br />

Die Projektarbeit in Ludwigshafen erfolgte in Kooperation mit dem St. Marienkrankenhaus, an welchem<br />

Screeningbögen zur Risikoeinschätzung und eine erweiterte Hebammennachsorge eingeführt<br />

wurden. Dabei ergeben sich die Kosten dieser Leistungen aus der entsprechenden Risikoeinschätzung<br />

verbunden mit den Hilfevereinbarungen, der nachgeburtlichen Unterstützung sowie den zeitlichen<br />

Ressourcen, die für die Vernetzung benötigt werden. Hilfeformen, die im Kontakt zum Jugendamt<br />

erfolgten, bestanden vorrangig aus niedrigschwelligen Angeboten. Es wurden aber auch ambulante<br />

Erziehungshilfen nach § 27 SGB VIII, verbunden mit § 31 SGB VIII (Sozialpädagogische Familienhilfe),<br />

und in seltenen Fällen stationäre Hilfen angeboten und durchgeführt. Weitere Kosten ergaben sich<br />

aus den bereits angesprochenen Vernetzungen, der Einrichtung einer zusätzlichen Stelle als Ansprechpartner<br />

für Familien und Akteure sowie den zusätzlichen Schulungen im Kinderschutz und zum<br />

Einsatz passgenauer Hilfen der Beteiligten. Es ergaben sich nach Auswertung dieser Studie Kosten von<br />

7.274 Euro pro Fall, bei dem ein erhöhtes Belastungsrisiko festgestellt werden konnte, exklusiv der<br />

Kosten für das Screening insgesamt (vgl. Meier-Gräwe/ Wagenknecht 2012, S. 26f).<br />

Dem gegenüber wurden die Folgekosten für ein Kind gestellt, dass von Vernachlässigung oder Misshandlung<br />

betroffen ist. Hierzu wurden vier Szenarien gebildet, je zwei pessimistische und zwei moderate,<br />

die von einem Fallbeginn bei Eintritt in eine Kindertageseinrichtung bzw. in die Schule ausgehen.<br />

Im Lebenslauf dieser hypothetischen Klienten wurden Kosten der „tertiärpräventiven/intervenierenden<br />

Jugendhilfe, für kurative Angebote (Behandlungen von Folgeerkrankungen,<br />

z.B. psychische Störungen) sowie durch Delinquenz und Wertschöpfungsverluste im Erwerbssystem<br />

(Arbeitslosigkeit, Wertschöpfungsverluste durch geringe Qualifikation) erwartet“ (Meier-<br />

Gräwe/ Wagenknecht 2012, S. 27) und berechnet. Somit ergaben sich durchschnittliche Kosten von<br />

432.950 Euro pro Fall im Szenario „KiTa“ und sogar 1,16 Millionen Euro im Szenario „Schule“. Die Kosten<br />

liegen also im moderaten 60-mal und im pessimistischen Szenario sogar 159-mal höher als bei<br />

der Prävention (vgl. Meier-Gräwe/ Wagenknecht 2011, S. 77f).<br />

Da hier nur die Kosten der Frühen Hilfen berücksichtigt wurden, gab es weitere Berechnungen, die<br />

die Bilanz trotzdem positiv blieben ließen. Das Verhältnis der Kosten Früher Hilfen gegenüber denen<br />

bei Kindeswohlgefährdung beträgt unter den in der Studie getroffenen Annahmen im moderaten<br />

Szenario 1:13 und im pessimistischen 1:34. Auch wenn noch weitere Erhebungen und Evaluationen<br />

notwendig sind, spricht die Studie bereits jetzt für notwendiges Umdenken in der Finanzierungsstruktur<br />

von Gesundheitswesen und Jugendhilfe. Es sollte vom Schwerpunkt der späteren Lebensjahre<br />

abgesehen werden und eine Unterstützung von Geburt an erfolgen (vgl. Meier-Gräwe/ Wagenknecht<br />

2012, S. 28). „Gelingt es durch Frühe Hilfen Entwicklungsrisiken zu erkennen, einen guten Zugang zu<br />

(gefährdeten) Familien herzustellen, Unterstützungen und Hilfen im Sinnen eines guten ‚Übergangs-<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

15 | Seite


managements‘ anzubieten und damit eine mögliche Kindesvernachlässigung und Misshandlung zu<br />

verhindern, ist das Wohlergehen der Kinder, aber auch der Gesellschaft unermesslich und führt zu<br />

einer ‚doppelten Dividende‘“ (Meier-Gräwe/ Wagenknecht 2012, S. 28).<br />

1.6.2 EFFIZIENZ VON <strong>HILFEN</strong><br />

Eine Metaanalyse (Beelmann 2006) zu familienbezogenen Interventionen im Bereich der Frühen Hilfen,<br />

Frühförderung oder Familienförderung stellte messbare Effekte für Belastungen oder Kompetenzen<br />

in Familien dar und sollte aufzeigen, wie groß die möglichen Veränderungen wirklich sind. Das<br />

Ergebnis zeigte, dass durch wirksame, strukturelle, und kompetent durchgeführte Interventionen,<br />

eine 15-25 prozentige Reduktion der Belastungen bzw. Steigerung der Handlungskompetenzen erreicht<br />

werden konnte. Dabei ist zu beachten, dass Hoffnungen auf deutlichere Veränderungen unrealistisch<br />

sind, da sie den Menschen prägende Persönlichkeitsfaktoren und Verhaltensmuster außer<br />

Acht lassen (vgl. Thyen 2012, S. 18).<br />

Die Studie konnte weiterhin aufzeigen, dass multiprofessionelle und partizipierende Angebote denen<br />

mit einer einseitigen Ausrichtung überlegen waren. Es ergaben sich in diesem Zusammenhang vier<br />

wichtige Komponenten in der Zusammenarbeit mit den Familien:<br />

1. eine durch Konstanz und Kontinuität geprägte Beziehung zu den Klienten;<br />

2. Curiculum-Treue durch die Vermittlung der Inhalte des Programmes oder Hilfeangebotes<br />

durch passgerechte Interventionen;<br />

3. adäquate und zeitnahe Reaktion auf Krisen, die Kompetenzen in der Erkennung von Depressionen,<br />

Partnergewalt und Suchterkrankungen voraussetzt und<br />

4. Selbstreflexion des Helfers durch Wahrnehmung und Beobachtung seiner eigenen Arbeitsweise<br />

(vgl. Thyen 2012, S. 18f).<br />

Aber auch die Intensität (Anzahl von Beratungssitzungen oder Besuchen bei aufsuchenden Hilfen),<br />

Partizipation und Gruppenzusammensetzung hat Einfluss auf die Effizienz von Hilfen (vgl. Thyen 2012,<br />

S. 19). In den analysierten Programmen der Studie erfolgte in der Regel Verhaltensprävention, die auf<br />

eine Verhaltensänderung einzelner oder mehrerer Familienmitglieder abzielte. Dabei ist zu beachten,<br />

dass besonders sozialbenachteiligte Gruppen weitaus schwieriger zu erreichen sind. In diesem Zusammenhang<br />

soll noch einmal das Präventionsparadoxon hervorgehoben werden. Daraus ergibt sich<br />

im Extremfall, dass Familien mit dem geringsten Bedarf, Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen,<br />

was zu einer Verstärkung der Ungleichheiten zwischen den gesellschaftlichen Gruppen führen<br />

kann. Diese sozialen Unterschiede können nur reduziert werden, indem auch die lebensweltorientierte<br />

Verhältnisprävention verstärkt wird durch beispielsweise die Gestaltung familienfreundlicher Lebensräume<br />

und das Angebot qualitativ hochwertiger Kindertageseinrichtungen besonders für benachteiligte<br />

Gruppen (vgl. Then 2012, S. 19).<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

16 | Seite


Um bedarfsgerechte und möglichst effiziente Unterstützungsangebote im Netzwerk Früher Hilfen<br />

anbieten zu können, müssen sowohl auf Seiten des Systems mit seinen verschiedenen Einrichtungen<br />

und Helfern als auch in Hinblick auf die jungen Familien eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Aspekte<br />

beachtet werden. Wo und wie in diesem System Beratung „ihren“ Platz findet, soll im folgenden Kapitel<br />

skizziert werden.<br />

Juliane Kirsch | Frühe Hilfen<br />

17 | Seite


2 DIE GRUNDLAGEN DER BERATUNG<br />

Beratung betrifft als alltägliches Phänomen fast jeden auf unterschiedlichste Art und Weise. Täglich<br />

erhalten oder geben, ob gewünscht oder ungefragt, wir Ratschläge. Die Themen sind dabei genauso<br />

bunt und vielfältig wie das Leben selbst. Möglicherweise ist dies der Grund, warum Beratung im professionellen<br />

Setting ebenso vielfältig aufzufinden ist. Im Gegensatz zu der alltäglichen Beratung unter<br />

Freunden, Verwandten, Nachbarn oder Kollegen, ist die psychosoziale, fachlich fundierte Beratung<br />

ein relativ junger Bereich, der im Zuge der Individualisierung entstand (vgl. Warschburger 2009, S. 4).<br />

Im Folgenden sollen die wichtigsten Grundlagen der Beratung und erste Schnittstellen zum System<br />

Früher Hilfen dargestellt werden<br />

2.1 BERATUNG IM ENGEREN S<strong>IN</strong>NE – DEF<strong>IN</strong>ITIONSVERSUCHE<br />

In der gängigen Fachliteratur findet man eine Vielzahl von Definitionen für Beratung. Häufig unterscheiden<br />

sie sich je nach gewähltem Blickwinkel, aufgrund unterschiedlicher theoretischer Ansätze<br />

und Herangehensweisen sowie den verschiedenen Handlungsfeldern, in denen Beratung zu finden<br />

ist, sehr stark.<br />

2.1.1 GEORG DIETRICHS BERATUNGSPSYCHOLOGIE<br />

Eine der wohl gängigsten und umfangreichsten Definitionsversuche im deutschsprachigen Raum ist<br />

die von Georg Dietrich, welche wie folgt lautet: „Beratung ist in ihrem Kern (12) jene Form einer interventiven<br />

und präventiven (11) helfenden Beziehung (4), in der ein Berater (5) mittels sprachlicher<br />

Kommunikation (7) und auf der Grundlage anregender und stützender Methoden (8) innerhalb eines<br />

vergleichsweise kurzen Zeitraumes (9) versucht, bei einem desorientierten, inadäquat belastetsten<br />

oder entlasteten (1) Klienten (6) einen auf kognitiv-emotionale Einsicht fundierten aktiven Lernprozess<br />

(10) in Gang zu bringen, in dessen Verlauf seine Selbsthilfebereitschaft, seine Selbststeuerungsfähigkeit<br />

und seine Handlungskompetenz (2) verbessert werden können“ (Dietrich 1991, S. 2).<br />

Dietrich beschreibt und erläutert im Anschluss zu seiner Definition die 12 hervorgehobenen Merkmale,<br />

was die Begriffsbestimmung konkretisiert. Nach der beschriebenen Problemlage, hebt er in seinen<br />

Ausführungen mehrfach die Eigenschaften des Klienten und die unabdingbaren Fähigkeiten hervor,<br />

die notwendiger Weise vorhanden sein oder entwickelt werden müssen, damit Beratung als Hilfeform<br />

möglich ist. Dazu zählt zunächst die Veränderungs- und Selbsthilfebereitschaft des Klienten. Auch<br />

wenn es Aufgabe des Beraters ist, eine Änderung herbei zu führen, ist dieser nicht allein dafür verantwortlich.<br />

Der Berater ist vielmehr dafür zuständig, dem Klienten eine Hilfeleistung anzubieten,<br />

welche dazu dient, aktive Prozesse der Auseinandersetzung mit sich und seiner Umwelt zum Zweck<br />

der Verbesserung der eigenen Person und Lebenslage im Klienten in Gang zu setzen (vgl. Dietrich<br />

1991, S. 3ff). Im Rahmen dieser Helfer-Klienten-Beziehung werden dennoch zahlreiche Anforderun-<br />

Juliane Kirsch | Die Grundlagen der Beratung<br />

18 | Seite


gen an den Berater gestellt, der sowohl fachlich als auch persönlich in der Lage sein muss, adäquate<br />

Hilfeleistungen zu organisieren und durchzuführen. Zentrales Merkmal der helfenden Beziehung ist<br />

hierbei die verbale Kommunikation, welche sowohl auf Seiten des Klienten als auch des Beraters gegeben<br />

sein muss. Mit Hilfe von Sprechakten regt der Berater nämlich die Auseinandersetzung des<br />

Klienten mit dem Konflikt an und der Klient selbst kann mittels verbaler Kommunikation den Stand,<br />

Fortschritt und die Entwicklung seiner Neuorientierung oder Veränderung zurückmelden (vgl. Dietrich<br />

1991, S. 7).<br />

Folgt man dieser Definition und besonders den Beschreibungen und Voraussetzungen, die die Klienten<br />

betreffen, kann Beratung keinesfalls mit allen Personengruppen durchgeführt werden. Dietrich<br />

schließt Kinder und sehr gehemmte Personen aus, da ein Klient in der Lage sein muss aufgrund seines<br />

Problemdrucks, selbst Hilfe anzufordern und sein Bedürfnis nach Veränderung auszudrücken. In diesen<br />

Fällen muss eine andere Person stellvertretend für den „Problemträger“ Hilfe anfordern und so<br />

den Beratungsprozess initiieren. Darüber hinaus muss der Klient über bestimmte reflexive und<br />

sprachliche Ausdrucksmittel verfügen, welche es ihm erst ermöglichen bezüglich sich selbst oder seiner<br />

Lebenswelt zu kommunizieren. Er muss zudem mit einem Grundmaß an Einsicht, Beobachtungsfähigkeit,<br />

Selbst- und Fremdkritik sowie den schon benannten sprachlichen Ausdrucks- und Verstehensfähigkeiten<br />

ausgestattet sein. Diese Eigenschaften definieren die notwendige Beratbarkeit eines<br />

Klienten, die für den Hilfeprozess gegeben sein oder zumindest im Zuge dessen gefördert werden<br />

muss (vgl. Dietrich 1991, S. 5f).<br />

Folgt man dieser Ansicht, stellt sich die Frage wie es mit der Beratbarkeit der Klienten im System der<br />

Frühen Hilfen aussieht. Welche Möglichkeiten der Beratung gibt es in der Arbeit mit den jungen Familien,<br />

also den Eltern sowie Säuglingen und Kleinkindern? Desweiteren stellt sich die Frage ob sehr<br />

junge Mütter und Väter überhaupt beraten werden können. Erfüllen Jugendliche schon alle Voraussetzungen,<br />

um ein Klient der Beratung zu sein? Weitere offene Fragen ergeben sich aus den Problembereichen<br />

der Mütter und Väter – sind hier geeignete Themen für die Beratung zu finden? Wenn ja,<br />

welche? Und können sie angemessen gelöst werden oder sind andere Formen der Hilfe eventuell<br />

besser geeignet?<br />

2.1.2 WEITERE DEF<strong>IN</strong>ITIONEN VON BERATUNG<br />

Um einer einseitigen Sichtweise vorzubeugen, sollen an dieser Stelle noch weitere Definitionen vorgestellt<br />

werden.<br />

Schwarzer und Posse definieren Beratung als „eine freiwillige, kurzfristige, oft nur situative, soziale<br />

Interaktion zwischen Ratsuchenden (Klient) und Berater mit dem Ziel, im Beratungsprozess eine Entscheidungshilfe<br />

zur Bewältigung eines vom Klienten vorgegebenen aktuellen Problems durch Vermittlung<br />

von Informationen und/oder Einübung von Fertigkeiten gemeinsam zu erarbeiten“ (Schwarzer/Posse<br />

1986, zit. nach Warschburger 2009, S. 19).<br />

Juliane Kirsch | Die Grundlagen der Beratung<br />

19 | Seite


Folgt man der Definition von Brem-Gräser dann ist Beratung „eine professionelle, wissenschaftlich<br />

fundierte Hilfe, welche Rat- und Hilfesuchenden Einzelnen oder Gruppen auf der Basis des kommunikativen<br />

Miteinander vorbeugend, in Krisensituationen sowie in sonstigen Konfliktlagen aktuell und<br />

nachbedeutend, dient. Somit darf Beratung keinesfalls bestimmte Entscheidungen dem Ratsuchenden<br />

aufdrängen bzw. diese durch offenen oder verdeckten Machtmissbrauch erzwingen. Kennzeichnend<br />

[…] ist, dass die Probleme des Ratsuchenden den Mittelpunkt bilden“ (Brem-Gräser 1993, zit.<br />

nach Warschburger 2009, S. 19).<br />

Ergänzend soll eine englischsprachige Definition herangezogen werden, die Beratung folgendermaßen<br />

definiert: „Counselling is a principled relationship characterised by the application of one or<br />

more psychological theories and a recognised set of communication skills, modified by experience,<br />

intuition and other interpersonal factors, to clients’ intimate concerns, problems or aspirations. Its<br />

predominant ethos is one of faciliatation rather than advice giving or coercion” (Feltham/Dryden<br />

2004, zit. Nach Warschburger 2009, S. 19).<br />

Im Gesamten gleichen sich die ausgewählten Definitionen einmal mehr und einmal weniger in ihren<br />

Merkmalen, die auch schon Dietrich hervorhob und beschrieb. Erkennbar bleibt zudem, dass die Autoren,<br />

je nach ihrem Schwerpunkt unterschiedliche Merkmale auswählen und hervorheben, seien es<br />

beispielsweise die Eigenschaften des Klienten oder die Machtverhältnisse in der Helfer-Klienten-<br />

Beziehung. Angesichts der zahlreichen Handlungsfelder, in denen Beratung stattfindet, ist dies nicht<br />

verwunderlich. Aufgrund der verschiedenen Aufgabenstellungen und Zielsetzungen, welche sich daraus<br />

ergeben, ist die Formulierung einer allgemeingültigen Definition von Beratung vermutlich unmöglich.<br />

Beratung ist vielmehr eine Bezeichnung für eine Vielzahl, sich teilweise stark unterscheidender<br />

Angebote, abhängig von ihrem Handlungsfeld, Klientel und theoretischen Orientierungen. Folgt man<br />

Warschburger, so lässt sich lediglich festhalten, dass Beratung zu den interventiven Maßnahmen<br />

zählt. Unter Intervention wird dabei „jede Form planvollen, psychologisch begründeten eingreifenden<br />

Handelns gefasst, das das Ziel verfolgt, seelische Störungen vorzubeugen, diese zu beheben oder zu<br />

lindern“ (Warschburger 2009, S. 19f).<br />

2.2 BERATUNG ALS METHODE, ARBEITSFELD ODER GRUNDFUNKTION<br />

Nachdem Beratung im engeren Sinne betrachtet wurde, stellt sich die Frage, was Beratung eigentlich<br />

ist. Da die Beratung ein relativ unspezifischer Bereich ist, ist eine Differenzierung an dieser Stelle nicht<br />

einfach. Galuske stellt in seinen Ausführungen dar, ob es sich bei Beratung um eine Methode, ein<br />

Arbeitsfeld oder eine Grundfunktion handelt und bezieht diese Differenzierung auf den Bereich der<br />

Sozialen Arbeit (vgl. Galuske 2007, S. 33).<br />

Folgt man Galuske, erscheint es zunächst sinnvoll zwischen funktionaler und institutionaler Beratung<br />

zu unterscheiden. Dabei „versteht man unter funktionaler Beratung eine allgemein erzieherische und<br />

sozialpädagogische Tätigkeit“ (vgl. Galuske 2007, S. 33). Sie kann als „problemzentrierte Interaktion<br />

Juliane Kirsch | Die Grundlagen der Beratung<br />

20 | Seite


zwischen Ratsuchenden und Berater mit dem Ziel, Wissensrückstände aufzuarbeiten, Alternativen<br />

aufzuzeigen und Entscheidungshilfen zu geben“ (Bäuerle/Hotte, z.n. Galuske 2007, S. 33) beschrieben<br />

werden. Eine so zu verstehende beratende Tätigkeit lässt sich in allen erzieherischen Handlungsfeldern<br />

finden. Institutionale Beratung hingegen bezieht sich auf spezifische und teilweise spezialisierte<br />

Beratungsangebote, die besonders in den letzten Jahrzehnten zunehmend zum Einsatz kamen. Beispiele<br />

hierfür können die Erziehungsberatung oder Drogen- und Suchtberatung sein. Einfach formuliert<br />

lassen sich durch das ledigliche Anhängen des Suffixes „-beratung“ an Problemkonstellationen<br />

neue spezialisierte Handlungsbereiche kreieren (vgl. Galuske 2007, S. 33). Im Feld der Frühen Hilfen<br />

betrifft dies beispielsweise die Erziehungsberatung, Eltern-Säuglings-Beratung oder entwicklungspsychologische<br />

Beratung.<br />

Jedoch wurde an dieser Stelle noch nicht geklärt, wie die funktionale oder institutionale Beratung<br />

vollzogen wird, etwa ob der Berater spezielle Methoden nutzt oder lediglich seinen alltäglichen Beratungskompetenzen<br />

vertraut. Vor diesem Hintergrund kann also die eingangs gestellte Frage nur so<br />

beantwortet werden, dass Beratung sowohl Arbeitsfeld, Grundfunktion als auch Methode ist. Lediglich<br />

die Perspektive, mit welcher man sich einem Problem nähert, ist entscheidend für die Differenzierung.<br />

In diesem Sinne verweist Beratung als Arbeitsfeld auf einen spezifischen Problem- und Arbeitszusammenhang.<br />

Beratung als Methode hingegen beschäftigt sich vorrangig mit dem Weg der<br />

Hilfeleistung und die geplante Verwendung von Mitteln/Verfahrensweisen (vgl. Galuske 2007, S. 33).<br />

Beratung kann also nicht nur im engeren Sinne verstanden werden, sondern stellt im sozialen Bereich<br />

einen umfangreichen Begriff dar, der vielfältige Einsatzmöglichkeiten kennzeichnet.<br />

2.3 <strong>BERATUNGSKOMPETENZEN</strong><br />

Damit Beratung im professionellen Setting zum Einsatz kommen kann, also ein planvolles und zugleich<br />

begründbares Handeln darstellt, muss der Berater über unterschiedliche Kompetenzen verfügen.<br />

Diese Beratungskompetenzen stellen ein Äquivalent zu den Handlungskompetenzen dar. Kompetenzen<br />

lassen sich dabei als selbst organisiertes geistiges, kommunikatives, instrumentelles und reflexives<br />

Handeln definieren, was für die Beratung die Aufteilung in folgende fünf Kompetenzbereiche<br />

bedeutet:<br />

1. Sach- und Fachkompetenzen beinhalten das Spezial- bzw. Fachwissen und ermöglichen es, mit<br />

fachlich-inhaltlichen Kenntnissen und Fertigkeiten Wissen zu aktualisieren, zu vermehren,<br />

einzuordnen, zu verstehen und zu bewerten;<br />

2. Interventions- und Methodenkompetenzen beziehen sich auf das selbstorganisierte Handeln,<br />

wodurch Tätigkeiten, Aufgaben und Lösungen methodisch, strategisch und kreativ gestaltet<br />

werden können, was eine Strukturierung des geistigen Vorgehens möglich macht. Somit wird<br />

es möglich, Konzepte und Techniken zur Problemlösung anzuwenden, Problemlagen zu analysieren,<br />

Ziele zu formulieren und Rahmenbedingungen zu gestalten;<br />

Juliane Kirsch | Die Grundlagen der Beratung<br />

21 | Seite


3. Beziehungskompetenzen umfassen bestimmte Einstellungen und damit verbundene Handlungsweisen,<br />

die in Interaktionen dazu führen, eigene und fremde Bedürfnisse, Wünsche sowie<br />

Interessen auszuhandeln;<br />

4. Reflexive Kompetenzen sind Personenkompetenzen, die dafür notwendig sind, sich selbst einzuschätzen,<br />

produktive Einstellungen, Werthaltungen, Motive und Selbstbilder zu entwickeln<br />

sowie eigene Begabungen, Motivationen, Leistungsvorsätze zu kennen und nutzen zu können.<br />

Der kompetente Umgang mit der eigenen Person, deren Möglichkeiten und Grenzen stehen<br />

im Vordergrund;<br />

5. Diagnostisch-analytische Kompetenzen stellen die Fähigkeit, die eigenen fachlichen Wissensbestände<br />

mit der Analyse des zu beratenden Systems zu verbinden, in den Vordergrund.<br />

Kompetenzen in diesem Sinne zielen auf die Datensammlung, Hypothesenbildung, strukturierte<br />

Diagnose sowie die der Einschätzung der Person und der Beziehungsgestaltung ab (vgl.<br />

Zwicker-Pelzer 2013, S. 10f).<br />

Die Beschreibung von Beratungskompetenzen ist besonders für Arbeitsfelder und Berufsgruppen von<br />

essentieller Bedeutung, die nicht direkt Beratung anbieten, sondern sie als eine Art Grundkompetenz<br />

in der alltäglichen Arbeit verinnerlichen. Dabei muss nicht jede der fünf Kompetenzen in jedem Arbeitsfeld<br />

oder in jeder Berufsgruppe gleich stark vertreten sein. Vergleicht man z.B. Hebammen mit<br />

Familienhebammen wird der Unterschied deutlich. Hebammen oder auch Kinderärzte sind eine wichtige<br />

Berufsgruppe im Netzwerk Früher Hilfen, da sie meist als erstes mit jungen Familien in Kontakt<br />

kommen und ein besonderes Vertrauensverhältnis genießen. Gleichzeit sind sie aber auch Experten<br />

für die kindliche Entwicklung und Versorgung. Hier sind also vorrangig Beziehungs- sowie Sach- und<br />

Fachkompetenzen gefragt. Familienhebammen haben hingegen einen anderen Arbeitsauftrag inne,<br />

neben den normalen Aufgaben von Hebammen, sind sie auch für psychosozialen Konfliktlagen, zum<br />

Teil auch mittels Beratung, zuständig. Dies wiederum bedeutet, dass sie, neben den bereits benannten,<br />

verstärkt in den Interventions- und Methodenkompetenzen, reflexiven Kompetenzen und diagnostisch-analytischen<br />

Kompetenzen geschult sein müssen.<br />

Es lässt sich zusammengefasst sagen, dass in jedem Arbeitsfeld mit direktem Kontakt zu Menschen,<br />

bestimmte kommunikative und beraterische Fähigkeiten vorhanden sein müssen, welche je nach<br />

Arbeitsauftrag in den unterschiedlichen Kompetenzbereichen einmal mehr und einmal weniger ausgeprägt<br />

sein können.<br />

2.4 DIE ABGRENZUNG VON BERATUNG ZU ANDEREN HILFEFORMEN<br />

Um den Kern von Beratung, trotz seiner Vielfältigkeit, noch einmal differenziert betrachten zu können,<br />

soll es im Folgenden um die Abgrenzung gegenüber anderer Formen des interventiven Eingreifens<br />

gehen. In der gängigen Fachliteratur wird Beratung hierbei häufig von Psychotherapie und Erziehung<br />

abgegrenzt. Folgt man Dietrich sind alles drei „Formen der Lebens- und Entwicklungshilfe, die<br />

Juliane Kirsch | Die Grundlagen der Beratung<br />

22 | Seite


darauf abzielen, psychische Dispositionen und Handlungsmuster der Person zu verändern und zwar<br />

auf dem Wege [der] Herbeiführung von Lernprozessen bei Klienten, Patienten und Educanten“ (Dietrich<br />

1991, S. 10). Es ist vermutlich genau diese Gemeinsamkeit, die es so schwierig macht, eine<br />

Trennschärfe bei der Abgrenzung herzustellen. Deshalb wird vielmehr davon ausgegangen, dass es<br />

Überschneidungen und fließende Übergänge zwischen Beratung, Psychotherapie und Erziehung gibt.<br />

Dietrich beschreibt in diesem Zusammenhang die Mitte-Position der Beratung zwischen Therapie und<br />

Erziehung, nach dem er einen Abgrenzungsversuch anhand der sechs Kriterien Anlass/Grund, Personen,<br />

Ziel, Zeit, Mittel und Rolle vollzogen hat (Dietrich 1991, S. 15).<br />

Warschburger kritisiert, dass zahlreiche Abgrenzungsversuche unzureichend und viele Kriterien zu<br />

ungenau sind und sich nicht alle gleichermaßen eignen (vgl. Warschburger 2009, S. 23). Zur Verdeutlichung<br />

der Thematik stellen ihre zwei Übersichten die wichtigsten Unterscheidungskriterien zwischen<br />

Beratung und Psychotherapie (Abbildung 2, Anhang, S. II - IV) sowie Beratung und Erziehung (Abbildung<br />

3, Anhang, S. V) dar und zeigen gleichzeitig wie groß die Überschneidungen sein können.<br />

2.4.1 RECHTLICHE ASPEKTE VON BERATUNG UND PSYCHOTHERAPIE<br />

Maßgebend für diese Arbeit sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen sein, die für die Arbeitsweise<br />

von Psychologen, Erziehern, Sozialarbeitern und Sozialpädagogen sowie allen anderen Helfern bedeutsam<br />

sind. Da Erziehung im beraterischen Kontext der Frühen Hilfen keine vorrangige Rolle spielt,<br />

soll diese als nachrangig betrachtet werden.<br />

Der entscheidende Unterschied zwischen Beratung und Psychotherapie ergibt sich von der rechtlichen<br />

Seite. Die Begriffe „Beratung“ und „Berater“ sind rechtlich nicht geschützt, „Psychotherapeut“<br />

und „Psychotherapie“ hingegen schon. Daraus ergibt sich für das therapeutische Setting mit seinen<br />

theoretischen und juristischen Rahmbedingungen eine mögliche Unterscheidung zu anderen professionellen<br />

Beziehungen und Interaktionen (vgl. Warschburger 2009, S. 21f).<br />

So wird im Rahmen des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des<br />

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, kurz Psychotherapeutengesetz, (vom 16.06.1998) klar<br />

zwischen Therapie und Beratung unterschieden.<br />

„Ausübung von Psychotherapie im Sinne dieses Gesetzes ist jede mittels wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer<br />

Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen<br />

Psychotherapie indiziert ist. Im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung ist eine somatische Abklärung herbeizuführen“<br />

(§1 Abs. 3 S. 1 PsychThG).<br />

Von Seiten des Gesetzgebers wird Psychotherapie also klar definiert und bedarf zudem eine Approbation<br />

als Psychologischer Psychotherapeut oder Kinder- und Jugendpsychotherapeut:<br />

Wer die heilkundliche Psychotherapie unter der Berufsbezeichnung "Psychologische Psychotherapeutin" oder "Psychologischer<br />

Psychotherapeut" oder die heilkundliche Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie unter der Berufsbezeichnung "Kinder-<br />

und Jugendlichenpsychotherapeutin" oder "Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut" ausüben will, bedarf der Approbation<br />

als Psychologischer Psychotherapeut oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut (§1 Abs. 1 S. 1 PsychThG).<br />

Juliane Kirsch | Die Grundlagen der Beratung<br />

23 | Seite


Laut Gesetzestext kann Psychotherapie nur erfolgen, wenn Störungen vorliegen, die einen Krankheitswert<br />

aufweisen. Somit werden normative Lebenslagen mit beispielsweise Entscheidungskonflikten<br />

oder psychosoziale Belastungsreaktionen, die nicht die Kriterien einer Störung laut ICD-10 aufweisen,<br />

ausgeschlossen und können nicht im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung besprochen<br />

werden (vgl. Warschburger 2009, S. 22).<br />

„Zur Ausübung von Psychotherapie gehören nicht psychologische Tätigkeiten, die die Aufarbeitung und Überwindung sozialer<br />

Konflikte oder sonstige Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben“ (§1 Abs. 3 S. 2 PsychThG).<br />

Obwohl Beratung zu den primären Aufgaben von Psychotherapie gehört, werden einige seiner entscheidenden<br />

Tätigkeitsbereiche, beispielsweise soziale Konflikte, ausgeschlossen. Psychotherapie<br />

bezieht sich ausschließlich auf die Linderung und/oder Behebung bereits vorhandener psychischer<br />

Störungen, während Beratung zur Prävention dieser Störungen Kompetenzen im Sinne der Ressourcenstärkung<br />

fördern soll. Es lässt sich also festhalten, dass rein formal die Trennschärfe zwischen Therapie<br />

und Beratung durch das Psychotherapeutengesetzt gelungen ist und es empfiehlt sich somit<br />

Beratung und Therapie anhand ihrer subjektiven Selbstdefinition zu trennen und sich weniger von<br />

Kriterien, wie die methodische Herangehensweise o.ä., beeinflussen zu lassen (vgl. Warschburger<br />

2009, S. 22f).<br />

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass Beratung und Psychotherapie nicht als konkurrierende,<br />

sondern als sich ergänzende, psychologische Interventionsformen verstanden werden sollten.<br />

Gerade im klinischen Setting bezieht sich Beratung zwar auch auf psychische Gesundheitsprobleme,<br />

legt hierauf jedoch nicht seinen ausschließlichen Schwerpunkt. Beratung fokussiert vielmehr die<br />

grundlegenden Problemkonstellationen. Zudem können Beratungssettings als jeder Person offen<br />

stehende, niedrigschwellige und kostenfreie Angebote, den Weg für die Inanspruchnahme einer Psychotherapie<br />

ebnen. Außerdem können Beratungsangebote psychotherapeutische Hilfeprozesse begleiten<br />

und unterstützen, wodurch Psychotherapie aufgrund des lebensweltbezogenen Bezugs von<br />

der Beratung profitieren kann (vgl. Warschburger 2009, S. 28).<br />

2.4.2 DAS DREITEILIGE VERSORGUNGSKONZEPT VON BEGLEITUNG, BERATUNG UND PSYCHOTHERAPIE<br />

In den vergangenen Jahren konnte sich ein umfangreiches beraterisches und therapeutisches Unterstützungsspektrum<br />

für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern entwickeln. Die German Association of<br />

Infant Mental Health (GAIMH) differenzierte im Rahmen der Erarbeitung von Standards für Fort- und<br />

Weiterbildungen Frühe Hilfen als Maßnahme in Begleitung, Beratung und Psychotherapie. Für alle<br />

drei Formen liegen differenziert ausgebildete Standards und inhaltliche Empfehlungen der GAIMH<br />

vor. Das dreistufige Versorgungskonzept ist in Abbildung 4 (Anhang, S. VI) dargestellt und soll als<br />

Grundlage für den weiteren Aufbau dieser Arbeit dienen.<br />

Je nach Herkunft und Zielgruppe sind die Angebote Früher Hilfen pädagogisch, psychologisch, medizinisch<br />

oder sozial ausgerichtet. Die GAIMH merkt zudem an, dass es aufgrund der spezifischen Be-<br />

Juliane Kirsch | Die Grundlagen der Beratung<br />

24 | Seite


sonderheiten in der Frühen Kindheit in den drei Bereichen Gemeinsamkeiten und Überschneidungen<br />

gibt, wodurch eine strenge Abgrenzung weder möglich noch sinnvoll ist (vgl. GAIMH 2013, S. 2).<br />

BEGLEITUNG<br />

Laut GAIMH stellt Begleitung ein niedrigschwelliges, auf Alltagsbewältigung ausgerichtetes Angebot<br />

dar, welches auch dann indiziert ist, wenn kein spezifisches Problem vorliegt. Die Angebote richten<br />

sich dabei an Mütter, Väter und andere Bezugspersonen sowie ganze Familien und die Kinder selbst<br />

von Beginn der Schwangerschaft bis hin zum dritten Lebensjahr. Begleitung findet auf der Grundlage<br />

einer achtsamen Beziehung zwischen begleitender Fachperson und der Familie innerhalb eines bestimmten<br />

Angebotes mit Einzelnen oder Gruppen statt. In diesem Sinne soll Begleitung präventiv<br />

wirken, indem sie die Eltern mit hilfreichen Informationen versorgt, Ressourcen aktiviert und bestehende<br />

unterstützende Netzwerke nutzt oder neue schafft. Begleitung findet in folgenden vier Tätigkeitsbereichen<br />

statt: 1. rund um die Geburt mit beispielsweise Geburtsvorbereitungskursen, 2. als<br />

Familienbegleitung mit z.B. Elternschulen, 3. als Familienergänzung durch Betreuungsangebote und 4.<br />

in pädagogisch relevanten Problemsituationen durch beispielsweise Ergotherapie oder Logopädie<br />

(vgl. GAIMH 2013, S. 3).<br />

Die Begleitung von belasteten Familien erfolgt in der Regel zeitlich begrenzt, um diesen in ihren Krisen<br />

behilflich sein zu können. Für Familien, die nicht allein in der Lage sind, sich Hilfen zu besorgen,<br />

werden jedoch häufig spezifischere Interventionsformen benötigt (vgl. Cierpka 2012, S. 401).<br />

BERATUNG<br />

Die GAIMH definiert Beratung als einen „Prozess der gemeinsamen Erarbeitung von entwicklungsund<br />

beziehungsförderlichen Lösungen bei Belastungen, Problemen und Krisen von Familien mit Kindern<br />

von null bis drei Jahren und deren außerfamiliären Betreuungssystemen. Beratung befähigt zur<br />

Nutzung vorhandener Ressourcen in einem zeitlich überschaubaren Rahmen, um die nächsten Entwicklungsschritte<br />

des Kindes zu unterstützen. Sie basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und<br />

arbeitet auftrags-, lösungs- und ressourcenorientiert. Beratung macht ein Beziehungsangebot, ohne<br />

dies zum Gegenstand der Beratung zu machen“ (GAIMH 2013, S. 6).<br />

Vielen Familien reicht häufig eine zeitlich begrenzte, symptombezogene Beratung aus. Sie wird dann<br />

notwendig, wenn die Weitergabe von Informationen und/oder Aufklärung über das kindliche Verhalten<br />

oder die Entwicklung zu keiner Veränderung im positiven Sinne führen. Ist diesen Fällen wird eine<br />

Förderung, die an die Eltern-Kind-Beziehung ansetzt, notwendig. Im Zentrum der Beratung sollen alle<br />

förderlichen Interaktionen innerhalb der Eltern-Kind-Bindung zum Wohle des Kindes und seiner Entwicklung<br />

stehen. Die beraterische Leistung ist demnach auf die Entwicklungsphasen des Kindes, anstehende<br />

Entwicklungsschritte und damit verbundene spezifische Themen und Fragestellungen ausgerichtet.<br />

Kurzum „entwicklungspsychologisch fundierte, interaktionszentrierte Beratung ist indiziert<br />

Juliane Kirsch | Die Grundlagen der Beratung<br />

25 | Seite


ei kurzzeitigen, maximal drei Monate bestehenden, nicht kontextübergreifenden Regulationsstörungen<br />

ohne relevante Beziehungspathologie“ (Cierpka 2012, S. 402).<br />

Beispielsweise kann Eltern mit einem exzessiv schreienden Säugling durch die Beratung über weitere<br />

Möglichkeiten angemessener Verhaltensweisen im Umgang mit ihrem Baby in nur wenigen Sitzungen<br />

geholfen werden. So werden Mütter und Väter, die auf die Bedürfnisse, niedrige Reizschwelle und<br />

Irritierbarkeit ihres Kindes hingewiesen werden, angehalten, derartige Signale verstärkt wahrzunehmen<br />

und dementsprechend auf angemessenere beruhigende/reizarme Strategien zurückzugreifen.<br />

Entwicklungsorientierte Beratung ist in diesem Sinne auf die Beobachtung, Wahrnehmung und angemessene<br />

Interpretation kindlicher Signale sowie adäquate Reaktion auf diese ausgerichtet. Die Eltern-<br />

Säuglings-Beratung ist somit überwiegend eine fallbezogene Arbeit, die vorrangig im institutionellen<br />

Kontext erfolgt. Eine erweiterte Interventionsform stellen Elternkurse dar, die am Verhalten der Eltern<br />

ansetzen und auf Basis der Bindungstheorie arbeiten. In solchen Kursen soll der Feingefühl der Mütter<br />

und Väter zugunsten funktionalere Eltern-Kind-Interaktionen verbessert werden (vgl. Cierpka<br />

2012, S. 402f).<br />

PSYCHOTHERAPIE<br />

Laut GAIMH stellt Psychotherapie eine „in der frühen Kindheit […] wissenschaftlich begründete Methode<br />

zur Behandlung von Kindern von 0 bis 3 Jahren und ihren Eltern und/oder anderen primären<br />

Bezugspersonen [dar]. Sie dient der Heilung oder Besserung von psychischen und/oder somatischfunktionellen<br />

Störungen der Kinder. Gleichzeitig zielt sie auf die Verbesserung der Beziehungen zwischen<br />

dem Kind und seinen Bezugspersonen ab und leistet damit einen Beitrag zur Prävention späterer<br />

Störungen. Psychotherapie in der frühen Kindheit kann mit der Behandlung von Eltern während<br />

der Schwangerschaft beginnen“ (GAIMH 2013, S. 9).<br />

Psychotherapie darf im Rahmen Früher Hilfen durch approbierte Kinder- und Jugendpsychotherapeuten,<br />

Kinder- und Jugendpsychiatern und Erwachsenenpsychotherapeuten durchgeführt werden. Eine<br />

Kassenleistung setzt hierbei eine Diagnose nach ICD-10 voraus (vgl. Cierpka 2012, S. 403).<br />

Eltern, die mit ihren Kindern zu einer Beratung oder Psychotherapie kommen, sind meist in einer<br />

erheblichen Krise. Psychotherapie stellt hier eine „Indikationserscheinung“ dar, die am Ende der Informations-<br />

und Entwicklungsberatung in Form der Erstgespräche, vollzogen wird. Wenn nämlich<br />

diese ersten Interventionen nicht ausreichen, stellt Psychotherapie eine mögliche und eventuell notwendige<br />

Interventionsform dar (vgl. Cierpka 2012, S. 403).<br />

Sammeroff bezeichnet die Ziele der Psychotherapie als „three Rs“ und beschreibt sie 1. als „remediation“<br />

(möglichst rasche Stabilisierung des Säuglings, der unter einem Problem oder Symptom leidet),<br />

2. als „redefinition“ (beabsichtigte Änderung der Wahrnehmung der Eltern von ihrem Kind und in<br />

ihren Einstellungen zu ihm) und 3. als „re-education“ (versucht Verhaltensänderung der Eltern hinsichtlich<br />

ihres Säuglings herbeizuführen). Cierpka gibt an, dass die Eltern-Säuglings/Kleinkind-<br />

Juliane Kirsch | Die Grundlagen der Beratung<br />

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Psychotherapie in einer Vielzahl der Fälle nach fünf Sitzungen zu einer Stabilisierung der Gesamtsituation<br />

führt (vgl. Cierpka 2012, S. 403).<br />

Die Unterteilung der Hilfeformen in Begleitung, Beratung und Psychotherapie stellt die Möglichkeit<br />

eines gestuften Versorgungskonzeptes dar, in denen Beratung eine zentrale Rolle einnimmt. Ausgehend<br />

von dieser Sichtweise und diesem Verständnis von Beratung und seinem Stellenwert, sollen im<br />

dritten Kapitel die Möglichkeiten und Grenzen von und durch Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

aufgezeigt und auf die verschiedenen Beratungskompetenzen eingegangen werden.<br />

Juliane Kirsch | Die Grundlagen der Beratung<br />

27 | Seite


3 MÖGLICHKEITEN DER BERATUNG IM NETZWERK FRÜHER <strong>HILFEN</strong><br />

Im zweiten Kapitel wurde dargestellt, wie umfangreich der Begriff der Beratung ist und es wurde bereits<br />

angedeutet, welche Ansatzpunkte sich besonders im Bereich der Frühen Hilfen aus seiner Vielfältigkeit<br />

ergeben. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten, aber auch Grenzen,<br />

für und durch Beratung im Netzwerk Früher Hilfen bestehen. Dabei soll es sowohl um beraterische<br />

Grundkompetenzen gehen, die für alle Helfer unabdingbar sind, als auch um Beratungsfelder, beratungsrelevante<br />

Themen und Beratungsansätze, die sich in den Frühen Hilfen ergeben.<br />

Als Grundlage für den Aufbau dieses Kapitels dient das dreiteilige Versorgungskonzept der GAIMH,<br />

welche im Kapitel 2.4.2 bereits ausführlich dargestellt wurde. Dabei sollen die folgenden drei Unterstützungsangebote<br />

der Frühen Hilfen genauer betrachtet werden und in Bezug auf ihre Beratungsanteile<br />

sowie Grenzen zur Therapie und Begleitung analysiert werden. Die Unterstützungsangebote<br />

wurden ausgewählt, da die Schwangerschaftsberatung den Hilfebedarf vor allem vor der Geburt abdecken,<br />

die (Familien-)Hebammen-Tätigkeit rund um die Geburt und die ersten Lebensmonate des<br />

Säuglings unterstützt sowie der Ansatz der Entwicklungspsychologischen Beratung bis einschließlich<br />

des dritten Lebensjahres Hilfe leistet, wodurch ein möglichst breites Spektrum dargestellt werden<br />

kann. Anhand von Fallbeispielen sollen die Beratungsmöglichkeiten und Grenzen anschaulich und<br />

praxisnah dargestellt werden.<br />

3.1 SCHWANGERSCHAFTSBERATUNG ALS ARBEITSFELD IM NETZWERK FRÜHER <strong>HILFEN</strong><br />

Die Schwangerschaftsberatung stellt ein Arbeitsfeld in den Frühen Hilfen dar, welches schon allein<br />

durch ihre Bezeichnung die „Beratung“ impliziert. Sie ist als ein primär präventives Angebot zu nennen<br />

und zählt hierzu, da die Ratsuchenden, obwohl sie sich in komplexen Problemsituationen befinden<br />

und mit schwierigen Lebens- und Entscheidungsfragen zurechtkommen müssen, überwiegend<br />

keinen Anlass geben, Kindeswohlgefährdung zu vermuten. Klienten der Schwangerschaftsberatungsstellen<br />

befinden sich in Übergangssituationen ihres Lebens, die sie mit Hilfe psychosozialer Beratung<br />

besser zu bewältigen versuchen. Sie verfügen dabei in der Regel über gute Ressourcen. Die Schwangerschaftsberatung<br />

bietet vertrauensvolle Begegnungen zwischen Klienten und Beratern zu einem<br />

sehr frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft an, ohne dabei in ständiger Alarmbereitschaft aufgrund<br />

der Sorge um das Wohl des Kindes zu sein (vgl. Busch/ Franz 2012, S. 60).<br />

3.1.1 DIE AUFGABEN DER SCHWANGERSCHAFTSBERATUNGSSTELLEN<br />

Schwangerschaftsberatungsstellen werden als Einrichtungen in Bezug auf ihre staatliche Anerkennung<br />

und Förderung durch das Schwangerschaftskonfliktgesetzt (SchKG) geregelt. Die Beratungsstellen<br />

haben die Aufgabe, in Fragen rund um die Schwangerschaft zu beraten und zu informieren sowie<br />

ggf. die Schwangerschaftskonfliktberatung, die im Strafgesetzbuch vor einem möglichen Schwanger-<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

28 | Seite


schaftsabbruch vorgeschrieben ist, durchzuführen (vgl. Busch/ Franz 2012, S. 60). Schwangerschaftsberatung<br />

ist eine universelle, für jeden offen stehende Hilfe:<br />

„Jede Frau und jeder Mann hat das Recht, sich […] in Fragen der Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung sowie in<br />

allen eine Schwangerschaft unmittelbar oder mittelbar berührenden Fragen von einer hierfür vorgesehenen Beratungsstelle<br />

auf Wunsch anonym informieren und beraten zu lassen“ (§2 Abs. 1 SchKG).<br />

Die Themen- und Aufgabenbereiche der Schwangerschaftsberatungsstellen sind dabei umfangreich:<br />

„Der Anspruch auf Beratung umfaßt Informationen über<br />

1. Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung,<br />

2. bestehende familienfördernde Leistungen und Hilfen für Kinder und Familien, einschließlich der besonderen Rechte<br />

im Arbeitsleben,<br />

3. Vorsorgeuntersuchungen bei Schwangerschaft und die Kosten der Entbindung,<br />

4. soziale und wirtschaftliche Hilfen für Schwangere, insbesondere finanzielle Leistungen sowie Hilfen bei der Suche<br />

nach Wohnung, Arbeits- oder Ausbildungsplatz oder deren Erhalt,<br />

5. die Hilfsmöglichkeiten für behinderte Menschen und ihre Familien, die vor und nach der Geburt eines in seiner körperlichen,<br />

geistigen oder seelischen Gesundheit geschädigten Kindes zur Verfügung stehen,<br />

6. die Methoden zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs, die physischen und psychischen Folgen eines<br />

Abbruchs und die damit verbundenen Risiken,<br />

7. Lösungsmöglichkeiten für psychosoziale Konflikte im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft,<br />

8. die rechtlichen und psychologischen Gesichtspunkte im Zusammenhang mit einer Adoption.<br />

Die Schwangere ist darüber hinaus bei der Geltendmachung von Ansprüchen sowie bei der Wohnungssuche, bei der Suche<br />

nach einer Betreuungsmöglichkeit für das Kind und bei der Fortsetzung ihrer Ausbildung zu unterstützen“ (§2 Abs. 2 S. 1-2<br />

SchKG).<br />

Schwangerschaften stellen nämlich, obwohl sie auch der wunderbare Beginn eines neuen Menschenlebens<br />

sind, zahlreiche Herausforderungen für die Frau, den Mann, das Paar und die Familie dar. Beziehungen,<br />

berufliche Situationen und Perspektiven, finanzielle Aspekte, die Erfüllung der persönlichen<br />

Bedürfnislage und vieles mehr verändern sich. Besonders dann, wenn persönliche Ressourcen<br />

nicht ausreichen oder sich Rahmbedingungen als schwierig darstellen, kann eine Schwangerschaft mit<br />

Überforderungen einhergehen und zudem mit Ambivalenzgefühlen und Ängsten verbunden sein (vgl.<br />

Busch/ Franz 2012, S. 60).<br />

Schwangerschaftsberater stellen einen der ersten professionellen Ansprechpartner für schwangere<br />

Frauen dar. Ihre Bedeutung im Netzwerk Früher Hilfen wird deutlich, wenn man die große Zahl von<br />

Frauen und Paaren betrachtet, die jährlich das Leistungsangebot dieser Beratungsstellen in Anspruch<br />

nehmen. Mit über 200.000 jährlich suchen etwa ein Drittel aller Frauen, die ein Kind gebären, eine<br />

Schwangerschaftsberatungsstelle in Deutschland auf. Dabei sind besonders die Angebote der sozialrechtlichen<br />

Beratung und Vermittlung finanzieller Hilfen bei den werdenden Eltern gefragt, die nicht<br />

selten den Weg zu weiteren Beratungsgesprächen ebnen. Themen können hierbei Partnerschaftsund<br />

Sexualprobleme, gesundheitliche Fragen, pränatale Diagnostik, Verhütung, Babypflege und auch<br />

allgemein das Leben mit einem Kind sein (vgl. Busch/ Franz 2012, S. 60).<br />

Neben der Beratung zu diesen Themen ist eine Aufgabe der Schwangerschaftsberatungsstellen auch<br />

die Schwangerschaftskonfliktberatung:<br />

„(1) Die nach § 219 des Strafgesetzbuches notwendige Beratung ist ergebnisoffen zu führen. Sie geht von der Verantwortung<br />

der Frau aus. Die Beratung soll ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden. Die Schwangerschaftskonfliktberatung<br />

dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

29 | Seite


(2) Die Beratung umfaßt:<br />

1. das Eintreten in eine Konfliktberatung; dazu wird erwartet, daß die schwangere Frau der sie beratenden Person die<br />

Gründe mitteilt, derentwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt; der Beratungscharakter schließt<br />

aus, daß die Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der schwangeren Frau erzwungen wird;<br />

2. jede nach Sachlage erforderliche medizinische, soziale und juristische Information, die Darlegung der Rechtsansprüche<br />

von Mutter und Kind und der möglichen praktischen Hilfen, insbesondere solcher, die die Fortsetzung der<br />

Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind erleichtern;<br />

3. das Angebot, die schwangere Frau bei der Geltendmachung von Ansprüchen, bei der Wohnungssuche, bei der Suche<br />

nach einer Betreuungsmöglichkeit für das Kind und bei der Fortsetzung ihrer Ausbildung zu unterstützen, sowie<br />

das Angebot einer Nachbetreuung.<br />

Die Beratung unterrichtet auf Wunsch der Schwangeren auch über Möglichkeiten, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden“<br />

(§5 SchKG).<br />

Hierbei handelt es sich um ein Angebot, welches von Frauen in Anspruch genommen wird, die einen<br />

Schwangerschaftsabbruch in Betracht ziehen. Eine zusätzliche Aufgabe der Schwangerschaftsberatungsstellen<br />

ist es, einen Beratungsschein nach §7 SchKG auszustellen, welches die gesetzliche<br />

Grundlage für einen Schwangerschaftsabbruch darstellt.<br />

3.1.2 DER BERATUNGSPROZESS <strong>IN</strong> DER SCHWANGERSCHAFTSBERATUNG<br />

Das Angebot der Schwangerschaftsberatungsstellen muss eine möglichst hohe Quantität und Qualität<br />

aufweisen. Der Gesetzestext weist darauf hin, dass die Länder ein ausreichendes und wohnortsnahes<br />

Angebot von Beratungsstellen sowohl für Schwangerschafts- als auch für Schwangerschaftskonfliktberatung<br />

sicherstellen müssen (vgl. §3 S.1 SchKG i.V.m. §8 S.1 SchKG). In der Regel suchen die Klienten<br />

aus eigener Motivation die Beratungsstellen auf, was die Berater jedoch nicht weniger fordert. Sie<br />

müssen eine vertrauensvolle Gesprächsgrundlage schaffen, also über ausgeprägte Beziehungskompetenzen<br />

verfügen. Daneben müssen die Berater über fachliche Kompetenzen verfügen sowie regionale<br />

Hilfsangebote kennen und vermitteln können. Letzteres ist von besonderer Wichtigkeit. Schwangerschaftsberatungsstellen<br />

müssen Teil eines vielfältigen Netzwerkes, bestehend aus Ämtern, relevanten<br />

Institutionen, Ärzten, Kliniken, Hebammen, Frauenhäuser, Mutter-Kind-Einrichtungen etc., sein (vgl.<br />

Busch/ Franz 2012, S. 61).<br />

Die Qualität der Schwangerschaftsberatungsstellen wird desweiteren sichergestellt, wenn sie konkrete,<br />

bedarfsgerechte und individuell zugeschnittene Hilfen anbieten, langfristig begleiten sowie Selbstvertrauen<br />

zur eigenen Lebensgestaltung vermitteln. Schwangerschaftsberatung kann den positivsten<br />

Effekt erzielen, wenn sie auf allen der genannten Ebenen aktiv ist. Durch die Vernetzung stellen<br />

Schwangerschaftsberatungsstellen zudem die Möglichkeit dar, bei Bedarf schwangere Frauen und<br />

Paare zu ermutigen, weiterführende Hilfen anzunehmen. Besonders hier spielt das bereits angesprochene<br />

Vertrauensverhältnis eine große Rolle, aber auch der Aspekt der Aufklärung. Der anstehende<br />

Kontakt zu beispielsweise Einrichtungen der Jugendhilfe kann verängstigend wirken. Hier ist es von<br />

entscheidender Wichtigkeit die Frau und das Paar darüber aufzuklären, dass z.B. Jugendämter nicht<br />

nur eine Kontrollfunktion erfüllen, sondern vorrangig Hilfen anbieten und ohne den Kontakt viele<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

30 | Seite


Unterstützungsmöglichkeiten (und eventuelle Finanzierungen) gar nicht erst offen stehen (vgl. Busch/<br />

Franz 2012, S. 63ff).<br />

Schwangerschaftsberatungsstellen arbeiten nicht nach §8a SGB VIII, weshalb die Beratungswünsche<br />

und -bedarfe der Frau, ggf. des Paares und nicht des Kindes im Vordergrund stehen. Die Berater müssen<br />

sich dessen bewusst sein und ihre professionelle Distanz zum Schutz- und Kontrollauftrag bewahren.<br />

Auch wenn sie eine mögliche Verantwortung für das ungeborene Kind, beispielsweise in Familienkonstellationen<br />

mit zahlreichen Konflikten, spüren, dürfen sie die absolute Vertraulichkeit, die sie<br />

durch ihre Schweigepflicht nach §203 StGB inne und ihren Klienten zugesichert haben, nicht brechen.<br />

Lediglich in Ausnahmefällen und bei zu befürchtender akuter Kindeswohlgefährdung nach der Geburt,<br />

sind sie trotz ihrer Pflicht zur Weitergabe von personenbezogenen Daten nach BKiSchG befugt.<br />

Eine Entscheidung nach professionellen und persönlichen Gesichtspunkten, die durch Supervision<br />

und kollegialer Intervision oder Einschalten einer für Fragen des Kinderschutzes ausgewiesenen Fachkraft<br />

unterstützt werden kann, muss getroffen werden. Hierfür sind umfangreiche Maßnahmen der<br />

Qualitätssicherung notwendig, wie Fortbildungen durch die Träger der Schwangerschaftsberatungsstellen<br />

und fachliche Diskurse im Rahmen der strukturellen Netzwerke (vgl. Busch/ Franz 2012, S. 65).<br />

Unterschiedliche Anforderungen an den Berater werden erkennbar, welche persönliche Ansichten<br />

zum heiklen Thema des Schwangerschaftsabbruches zurückstellen muss. Es ist in diesem Rahmen<br />

auch eine Beratung im Zwangskontext denkbar, besonders dann, wenn es um die Ausstellung einer<br />

erforderlichen Beratungsbescheinigung für den Schwangerschaftsabbruch geht.<br />

Die Beratung übernimmt durch die Begleitung schwangerer Frauen auch eine präventive und stützende<br />

Funktion für die Entwicklung der Kinder ein und darf gleichzeitig nicht zum Zweck des Kinderschutzes<br />

instrumentalisiert werden. Dabei werden die Berater auf sämtlichen Kompetenzebenen<br />

gefordert, um den an sie gestellten Auftrag zu erfüllen. Nur wenn Schwangerschaftsberatung keinen<br />

direkten Kinderschutzauftrag verfolgt, kann sie von Frauen und Familien auch zukünftig vertrauensvoll<br />

wahrgenommen werden, zur Problemlösung beitragen und somit indirekt auch das Wohlergehen<br />

der Kinder schützen (vgl. Busch/ Franz 2012, S.65).<br />

3.1.3 FALLBEISPIEL NADJA YPSILON<br />

Das folgende fiktive, jedoch durchaus realistische 2 , Fallbeispiel soll die Arbeitsweise in Schwangerschaftsberatungsstellen<br />

detailliert darstellen sowie die Möglichkeiten des Beratungsprozesses erläutern.<br />

Die 16-jährige Nadja Ypsilon steht noch ganz am Anfang ihrer Schwangerschaft, als sie das erste<br />

Mal unangemeldet eine Schwangerschaftsberatungsstelle aufsucht. Sie ist der festen Überzeugung, das<br />

Baby bekommen zu wollen, und will wissen, wie es nun weitergehen soll. Ein Termin wird vereinbart, zu<br />

welchem sie mit ihrer Mutter erscheint. Frau Ypsilon lehnt die Entscheidung ihrer Tochter entschieden<br />

ab, da diese noch zu jung sei, um sich um ein Kind zu kümmern, außerdem habe sie keinen Schulab-<br />

2 Basierend auf den Erfahrungen der Leiterin Jutta Franz (Dipl. Päd.) einer Schwangerschaftsberatungsstelle bei pro familia<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

31 | Seite


schluss und keinen festen Partner. Sie äußert weiterhin, dass es schade ist, dass sie als Elternteil hier<br />

„kein Wörtchen mitzureden“ habe. Die Beraterin äußert wertschätzendes Verständnis für beide Sichtweisen.<br />

Die Option eines Schwangerschaftsabbruches wird von Nadja heftig abgelehnt und die Beraterin<br />

erkennt, wie konfliktbelastet und wenig liebevoll die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist. Sie<br />

bietet den beiden an, sowohl Nadja auf dem Weg in die Mutterschaft als auch ihre Familie in der zukünftigen<br />

Entwicklung zu unterstützen (vgl. Busch/ Franz 2012, S. 62).<br />

Im Erstkontakt zwischen der Beraterin und Familie Ypsilon geht es um die Klärung der Rahmenbedingungen.<br />

Daneben versucht die Beraterin gleichzeitig ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Sie verfolgt<br />

einen klientenzentrierten Ansatz, in welchem Nadjas Belange im Vordergrund stehen. Durch eine<br />

empathische Grundhaltung der Beraterin und Techniken, wie beispielsweise das aktive Zuhören, fühlt<br />

Nadja sich verstanden, als eigenständige Person wahrgenommen und in ihrer Meinung akzeptiert.<br />

Dieser Aspekt ist vermutlich gerade in ihrem jungen Alter und auf ihrem Weg, erwachsen werden zu<br />

wollen, von höchster Wichtigkeit. Obwohl die Beraterin die angespannte Beziehung zwischen Mutter<br />

und Tochter wahrnimmt, kann sie offen gegenüber beiden bleiben. Sie wertet nicht und lässt sich auf<br />

keine Seite „ziehen“. Indem sie anbietet sowohl Nadja als auch ihrer Familie zu helfen, bezieht sie das<br />

soziale Umfeld, zu welchem auch Frau Ypsilon gehört, mit ein. Da Nadja noch minderjährig ist, ist dies<br />

für den nachhaltigen Erfolg der Hilfe notwendig. Schließlich wird durch die Vereinbarung weiterer<br />

Termine, der eigentliche Beratungsprozess initiiert.<br />

In diesen Terminen geht es vorrangig um sozialrechtliche Fragen, aber auch um weitere persönliche und<br />

familiäre Befindlichkeiten. Die Familie benötigt sehr praxisnahe Unterstützung, da sie durch die Beantragung<br />

materieller Hilfen überfordert ist. Gleichzeitig weist die Beraterin Nadja auf weitere Möglichkeiten<br />

hin, wodurch sie durch die Bundesstiftung „Mutter und Kind“ weitere Hilfen beantragt und erhält.<br />

Frau Ypsilon fühlt sich zwischen Gefühlen der Verpflichtung und Überforderung hin und her gerissen.<br />

Nadjas Freund hat in der Zwischenzeit die Beziehung beendet (vgl. Busch/ Franz 2012, S. 62).<br />

Die Vielseitigkeit des Beratungsprozesses wird deutlich. Die Beraterin fungiert einerseits als fachliche<br />

Beraterin und hilft Nadja durch den „Behördendschungel“. Dabei sind im besonderen Maße ihr Expertenwissen,<br />

aber auch ihre Kontakte in anliegenden Netzwerken gefragt. In der Schwangerschaftsberatung<br />

ist es zunächst von höchster Bedeutung, die sachlichen Rahmenbedingungen zu klären, welche<br />

einen positiven Verlauf der Schwangerschaft gewährleisten können.<br />

Das Jobcenter, wo Nadja Hilfen nach SGB II beantragen möchte, schickt sie zum BAFöG-Amt, wo sie<br />

Schüler-BAFöG beantragen soll. Hat sie Anspruch darauf solange sie bei ihren Eltern wohnt? Wie sieht<br />

es mit dem Schwangerschaftsmehrbedarf und Zuschüssen zu Umstandskleidung und Babyerstausstattung<br />

aus? Auch der Frauenarzt, der Nadja zu einer speziellen Vorsorgeuntersuchung, die sie selbst zahlen<br />

soll, schickt, wirft Fragen auf: Ist die Untersuchung wirklich notwendig und kann sie auch hier finanzielle<br />

Unterstützung bekommen? Hinzukommt, dass das Mädchen gerade die achte Klasse wiederholt –<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

32 | Seite


Was ist, wenn sie schwangerschaftsbedingt öfter fehlt? Wird ihr das Schuljahr trotzdem anerkannt?<br />

(vgl. Busch/ Franz 2012, S. 63).<br />

Die Familie hat viele Fragen. Die Beraterin führt Gespräche mit den zuständigen Behörden, um die<br />

Rahmbedingungen abzuklären. Gute Kontakte mit entsprechenden Institutionen und Einrichtungen<br />

sind also eine grundlegende Voraussetzung. Durch Abklärung dieser sachlichen Rahmenbedingungen<br />

gelingt es ihr nicht nur die materiellen Aspekte zu regeln. Die Beraterin kann hierüber beiläufig ein<br />

Vertrauensverhältnis schaffen, welches als Basis für weitere Gespräche dient. Hier wird erneut ihre<br />

klientenzentrierte Vorgehensweise sichtbar. Die Beraterin zeigt sich transparent und echt, indem sie<br />

ihre Sorgen um das Wohl der Mutter und des ungeborenen Kindes verbalisiert:<br />

Es wird nämlich immer deutlicher, dass Nadja in der verbleibenden Zeit vor und schließlich nach der<br />

Entbindung mit ihrem Baby nicht im Elternhaus bleiben kann, da sich die Konfliktsituation immer weiter<br />

zuspitzt. Die Reaktionen von Nadja und Frau Ypsilon sind durch Panik und Aggressionen geprägt, als die<br />

Beraterin diesen Sachverhalt anspricht. Das Mädchen droht sogar damit, abhauen zu wollen. Die Beraterin<br />

kann jedoch durch deeskalierende Interventionen die Situation beruhigen, um erneut eine Gesprächsgrundlage<br />

zu schaffen. So können weitere Optionen, unter anderem auch das Jugendamt, um<br />

Unterstützung zu bitten, besprochen werden, was zunächst Ablehnung bei Familie Ypsilon hervorruft.<br />

Nadjas Vorurteile gegenüber dem Jugendamt sind durch das Fernsehen und Gesprächen mit ihrer Clique<br />

geprägt und auch ihre Mütter empfindet es als Schande, da sie schließlich nicht „asozial“ sind. Die<br />

Beraterin klärt diese Situation auf und beschreibt die Funktionsweise des Jugendamtes mit seinem<br />

zweigeteilten Auftragssystem, bestehend aus Hilfe und Kontrolle. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass<br />

viele Unterstützungsangebote ohne das Jugendamt und die darüber laufende Finanzierung gar nicht<br />

erst möglich sind. Sie empfiehlt Nadja und ihrer Mutter, Hilfen eigeninitiativ und selbstbestimmt in Anspruch<br />

zu nehmen (vgl. Busch/ Franz 2012, S. 63).<br />

An dieser Stelle wird deutlich, wie wichtig und zentral die Beziehungskompetenzen der Schwangerenberaterin<br />

sind. Sie scheint sich als Person einen gewissen Stellenwert gegenüber Nadja und Frau<br />

Ypsilon erarbeitet zu haben. Ohne die Schaffung einer grundlegenden und vertrauensvollen Beziehung<br />

wäre es ihr nicht möglich gewesen, die schwierige Situation durch entsprechende Interventionen<br />

wieder zu beruhigen oder überhaupt die gesamte Tragweite der Konfliktsituation anzusprechen,<br />

die Familie mit dem möglichen Auszug von Nadja zu konfrontieren und das Jugendamt ins Gespräch<br />

zu holen. In diesem Zusammenhang waren zudem besonders ihre Interventions- und Methodenkompetenzen<br />

gefragt. Als die Situation zu eskalieren drohte, musste sie schnell und angemessen reagieren<br />

– in diesem Sinne also Konfliktmanagement betreiben. Leider lässt das Fallbeispiel offen, wie sie<br />

genau gehandelt hat. Die gewählten Techniken sollte sie hierbei stets reflektierend hinterfragen, um<br />

so in Hinblick auf ihr eigenes Handeln, auch gegenüber anderen Wegen der Problemlösung offen zu<br />

sein. Besonders wenn schwierige Sachverhalte anzusprechen sind, muss die Beraterin einerseits das<br />

notwendige Feingefühl besitzen und andererseits klar und deutlich verbalisieren können. Ihre gesam-<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

33 | Seite


ten kommunikativen Kompetenzen sind also gefragt, um einen möglichst effizienten Hilfeprozess gestalten<br />

zu können. Zudem erkennt die Beraterin ihre Grenzen. Indem sie die Familie an das Jungenamt<br />

verweist, vermittelt sie entsprechende Hilfen, die ihre Beratungsstelle nicht leisten kann. Sie<br />

ebnet den Weg dorthin, indem sie Transparenz schafft und gleichzeitig den Kontakt zum Jugendamt<br />

herstellt.<br />

Die Beraterin bietet Nadja und Frau Ypsilon an, ihnen bei der Kontaktaufnahme zum Jugendamt behilflich<br />

zu sein, bei möglichen Konflikten zu vermitteln und sogar das Kennenlernen von Familie Ypsilon mit<br />

der Sozialpädagogin der Jugendhilfe in der Beratungsstelle zu moderieren. Daraufhin wird Nadja in den<br />

kommenden Wochen intensiv von einer Mitarbeiterin beim Jugendamt betreut. Sie muss lernen, dass<br />

sie ihr Leben nicht völlig ungestört, aber gut versorgt mit finanziellen Mitteln, gestalten kann. Dennoch<br />

fühlt sie sich ernstgenommen und wird aktiv in die Suche nach einer passenden Mutter-Kind-<br />

Einrichtung einbezogen. Gleichzeitig werden mit ihr die Optionen einer späteren Verselbstständigung<br />

besprochen. Nadja geht weiterhin in die Schwangerenberatungsstelle. Es tut ihr gut, dort als Person im<br />

Mittelpunkt zu stehen und sie entwickelt Verständnis dafür, dass das Wohl ihres Kindes oberste Priorität<br />

beim Jugendamt hat (vgl. Busch/ Franz 2012, S. 63).<br />

Es ist erkennbar, dass die Vermittlung einer weiterführenden Hilfe gelungen ist. Während in der<br />

Schwangerschaftsberatungsstelle Nadjas Anliegen im Mittelpunkt standen, geht es in dem Kontakt<br />

mit dem Jugendamt vorrangig um das Wohlergehen des Säuglings. Die Beraterin erkannte, dass die<br />

Hilfestellungen ihrer Einrichtung, nicht für die vorliegende Konfliktsituation ausreichen und half bei<br />

dem Übergang in weiterführende Unterstützungsangebote, durch welche nicht nur Nadjas Wohlergehen,<br />

sondern auch das ihres Kindes gesichert sind. Dieses Fallbeispiel zeigt sehr gut, wie der Übergang<br />

von primär-präventiven zu sekundär-präventiven Hilfen funktionieren kann. Auch wenn es außerhalb<br />

der Zuständigkeit der Schwangerenberaterin lag, erkannte sie die Konfliktpotenziale und Risikofaktoren<br />

und konnte durch den zuvor positiv gestalteten Beziehungsaufbau in der Beratung so auf<br />

die Familie einwirken, dass es ihnen möglich war, weiterführende Hilfen anzunehmen. Die Beratung<br />

im Bereich der universellen Hilfen ebnete also den Weg für die weiterführenden Unterstützungsangebote,<br />

wenn nötig. Nimmt der Klient diese selbstbestimmt an, befindet sich der anstehende Hilfeprozess<br />

in einem positiven Licht und muss bei entsprechender Notwendigkeit nicht etwa im Zwangskontext<br />

vollzogen werden. Eine Funktion der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen kann also auch in<br />

der Vorbereitung von weiteren Hilfeprozessen liegen.<br />

3.1.4 FAZIT: SCHWANGERSCHAFTSBERATUNG IM NETZWERK FRÜHER <strong>HILFEN</strong><br />

Die Schwangerschaftsberatung lässt sich als ein klassisches Beratungsfeld bezeichnen. Sie verfolgt<br />

einen klienten- und ressourcenorientieren Ansatz und genießt eine besondere Vertraulichkeit aufgrund<br />

der in §203 StGB verankerten Schweigepflicht der Berater. Gleichzeitig bezieht die Schwangerschaftsberatung<br />

das Lebensumfeld mit ein und verfügt über eine sehr gute Vernetzung mit anderen<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

34 | Seite


Einrichtungen, Institutionen und Helfern, um den Klienten weiterführende Hilfen anbieten zu können<br />

und bei spezifischen Fragen, Experten konsultieren zu können.<br />

Die Berater müssen über ein ausgeprägtes Expertenwissen zu Themen wie Verhütung, Schwangerschaft,<br />

Geburt und vielem mehr verfügen. Viele Klienten kommen gerade wegen sehr praktischen<br />

Fragen oder erhoffen sich finanzielle Unterstützung. All dies sind Ansatzpunkte, um ein Vertrauensverhältnis<br />

aufbauen zu können und ermöglicht im Zuge dessen auch die Bearbeitung von psychosozialen<br />

Konfliktlagen. Die Klienten, ihre Lebenslagen und Konfliktsituationen sind dabei vielseitig, was im<br />

Kapitel 1.3 bereits dargestellt wurde. Das Fallbeispiel Nadja Ypsilon stellt nur ein mögliches Beratungsszenario<br />

dar. Dennoch zeigt dieses Beispiel sehr gut die Möglichkeiten und Grenzen, die im<br />

Rahmen einer Schwangerschaftsberatung vorhanden sind. Es konnten Hilfestellungen bei der finanziellen<br />

Versorgung gegeben, sowie die Anliegen der jungen Frau und familiäre Konflikten gelöst werden.<br />

Beratungskompetenzen müssen also auf allen fünf Ebenen, den Sach- und Fachkompetenzen,<br />

Interventions- und Methodenkompetenzen, Beziehungskompetenzen, reflexiven Kompetenzen und<br />

diagnostisch-analytischen Kompetenzen, die im Kapitel 2.3 ausführlich beschrieben wurden, vorhanden<br />

sein.<br />

Natürlich gibt es auch Grenzen, welche sich aus den Rahmenbedingungen des Arbeitsfeldes selbst, in<br />

Bezug auf die Berater oder die Klienten ergeben können. Da im Mittelpunkt der Schwangerschaftsberatung<br />

die Frau oder das Paar steht, stellt eine Grenze, wie bereits schon mehrfach angesprochen, der<br />

Kinderschutz dar. Die Themen müssen zudem denen in § 2 SchKG genannten entsprechen. Grenzen<br />

des Beraters können sich aufgrund seiner persönlichen Einstellung und seines fachlichen Wissens<br />

ergeben, eine Vermittlung an Kollegen kann in unterschiedlichsten Fällen sinnvoll und notwendig<br />

sein. Und auch die Eigenschaften eines Klienten können dazu führen, dass eine Hilfe durch die<br />

Schwangerschaftsberatung wenig sinnvoll und nicht möglich erscheint. Beispielsweise müssen die<br />

Klienten freiwillig die Hilfe aufsuchen, Ausnahmen sind lediglich die Schwangerschaftskonfliktberatungen.<br />

Hier kann möglicherweise auch Beratung im Zwangskontext erfolgen, wenn es um die Ausstellung<br />

eines Beratungsscheins geht. Weitere Grenzen können sich bei psychischen Störungen sowie<br />

einer Alkohol- oder Drogenproblematik ergeben, bei denen es sinnvoll ist, die Frau oder das Paar an<br />

therapeutische Hilfen zu vermittelt. Diese Grenze zwischen Therapie und Beratung muss gewahrt<br />

bleiben. Jedoch kann es sinnvoll sein, dass die Schwangerschaftsberatung begleitend zur Therapie<br />

erfolgt, damit neben der Behandlung der psychischen Störungen, auch psychosoziale Probleme besprochen<br />

oder praktische Hilfestellungen in beispielsweise finanziellen Angelegenheiten gegeben<br />

werden können.<br />

In dem Fallbeispiel stellte Nadja eine verantwortungsvolle junge Frau dar, die sich an Absprachen hält.<br />

Die Verantwortung, die jugendliche Eltern gegenüber dem Kind einnehmen muss, versetzen sie jedoch<br />

nicht selten in einen Ambivalenzkonflikt zwischen der Angewiesenheit auf Hilfe und pubertätsangemessenen<br />

Abgrenzungswünschen (vgl. Doege/ Engel-Otto/ Nahkla 2012, S. 334). Somit kann<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

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das Alter in einigen Fällen, ebenfalls eine Grenze darstellen und es muss im Einzelfall geprüft werden,<br />

ob mittels Beratung die Problemlagen von jugendlichen Müttern besprochen werden können oder<br />

die Jugendlichen das Hilfsangebot ablehnen. Für Nadja schien die Beratung der genau richtige Weg zu<br />

sein – sie förderte ihr Verständnis, ebnete den Weg für die Unterstützungsangebote durch die Jugendhilfe<br />

und stellte zugleich eine gute Möglichkeit dar, Nadja in ihren Handlungskompetenzen und<br />

ihrer Selbstständigkeit zu unterstützen, worum es in der Beratung primär geht.<br />

Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass die Schwangerschaftsberatung ein vielseitiges, von Vertrauen<br />

geprägtes Arbeitsfeld darstellt und in den Frühen Hilfen eine zentrale Stellung einnimmt. Hierbei<br />

spielt unter anderem die Tatsache, dass die Schwangerschaftsberatungsstellen sehr frühen Kontakt zu<br />

werdenden Eltern haben und gleichzeitig sehr gut vernetzt sind, eine große Rolle. Die Berater müssen<br />

über umfassende Beratungskompetenzen verfügen, damit sich der Hilfeprozess erfolgreich gestalten<br />

kann. Nur auf diesem Weg ist es möglich, über die Unterstützung der Eltern, wenn auch indirekt, bereits<br />

pränatal das Wohl des Kindes zu fördern.<br />

3.2 <strong>BERATUNGSKOMPETENZEN</strong> VON (FAMILIEN-)HEBAMMEN<br />

Beratungskompetenzen stellen eine Art Grundfunktion in allen primär präventiven Bereichen der<br />

Frühen Hilfen dar. Sobald es um den Austausch von Eltern untereinander oder dem Kontakt zwischen<br />

jungen Familien und Experten geht, werden Ratschläge erteilt und Probleme besprochen. So werden<br />

nicht selten auch (Familien-)Hebammen, Kinder- oder Frauenärzte zu Beratern. Dies ist möglich, da<br />

Beratung kein rechtlich geschützter Begriff und somit keine spezifische Ausbildung erforderlich ist,<br />

um beratend tätig zu sein. Im Sinne der Frühen Hilfen sollte es dennoch von höchster Bedeutung sein,<br />

dass auch diese Formen der Beratung auf einem entsprechend hohen Niveau ablaufen. Im Folgenden<br />

soll es um die Arbeitsweise von (Familien-)Hebammen gehen. Zuvor soll jedoch die Informationsweitergabe<br />

erläutert werden, die bereits eine Form der Beratung darstellt, von zentraler Bedeutung in<br />

den Frühen Hilfen ist und gleichzeitig die Arbeit von Hebammen betrifft.<br />

3.2.1 DIE WEITERGABE VON <strong>IN</strong>FORMATIONEN AN ELTERN<br />

Innerhalb der Frühen Hilfen spielt die Weitergabe von Informationen eine große Rolle und ist schon<br />

als eine Form der Beratung anzusehen. Die Beratung bezieht sich hierbei auf eine konkrete Sache und<br />

verfolgt das Ziel, Wissenslücken zu füllen und Aufklärungsarbeit zu leisten, damit der Ratsuchende<br />

am Ende des Gesprächs in der Lage ist, fundiert zu handeln oder eine Entscheidung zu treffen. Es<br />

bestehen Parallelen zu der Fachberatung. Zu beachten ist hierbei, dass die Gesprächspartner in einem<br />

Experten-Laien-Verhältnis stehen und sich somit nicht auf der gleichen Ebene befinden (vgl. Lindeverlag<br />

2013, S. 10). Es sind besonders die Sach- und Fachkompetenzen des Beraters gefordert.<br />

In den Frühen Hilfen wenden sich Eltern mit ihren Fragen vor und nach der Geburt an Experten wie<br />

Hebammen, Frauenärzte oder Kinderärzte. Die Informationsweitergabe kann Eltern in vielerlei Hin-<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

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sicht beruhigen und ihnen Unsicherheiten und Ängste nehmen. Teilen die Ansprechpartner ihr Expertenwissen<br />

mit den Familien, können diese lernen, ihr „Kind richtig zu ernähren, die notwendige Hygiene<br />

einzuhalten, den Schlaf-Wach-Rhythmus zu stabilisieren und – bei aller Sorge um das Baby – auch<br />

sich selbst und ihre Partnerschaft nicht zu vergessen“ (Cierpka 2012, S. 400).<br />

Diese Informationsweitergabe kann auch die weiteren Angebote im Netzwerk Früher Hilfen betreffen.<br />

Um eine von vielen Unterstützungsmöglichkeiten auswählen und annehmen zu können, müssen Eltern<br />

erst einmal darüber informiert sein. Seit den 1991 einheitlich in allen Bundesländern eingeführten<br />

Früherkennungsuntersuchungen beim Kinderarzt, kommt diesem eine zentrale Rolle zu. Er stellt<br />

die erste Anlaufstelle für viele Eltern dar, ist Ansprechpartner und kann ggf. als Schaltstelle entsprechende<br />

Hilfen vermitteln oder empfehlen (vgl. Cierpka 2012, S. 400). Beratung im Sinne von Informationsweitergabe<br />

und Vermittlung kann also auch eine koordinierende Funktion übernehmen.<br />

Experten erkennen in Gesprächen mit Eltern häufig Wissenslücken bezüglich verschiedener Ursachen<br />

des Verhaltens ihres Säuglings, die zu Unsicherheiten führen. Viele Eltern können allein durch die<br />

Informationsweitergabe zu alterstypischen Verhaltensweisen und der kindlichen Entwicklung beruhigt<br />

werden, weil es ihnen dann möglich ist, ihr Kind im Feld der Möglichkeiten als durchaus altersgerecht<br />

entwickeln einzuordnen. Cierpka vermutet, dass Eltern heute tatsächlich unsicherer als früher<br />

sind, was vielfältige Gründe haben kann. Auf der Suche nach Sicherheit nehmen sie nicht selten einen<br />

Elternratgeber zur Hand. Die Vermittlung von entsprechender Literatur kann in diesen Fällen ebenfalls<br />

hilfreich sein (vgl. Cierpka 2012, S. 400).<br />

Die Informationsvermittlung spielt in Beratungsprozessen oder Psychotherapien selbst auch eine<br />

große Rolle. Gerade hoch belastete oder psychisch instabile Eltern benötigen Antworten auf ihre Fragen.<br />

Aufklärung und Informationsvermittlung bezieht sich dabei auf folgende vier Themenbereiche:<br />

erstens die Entwicklung des Kindes, zweitens das Verhalten des Säuglings oder Kleinkindes, drittens<br />

die Mutter-Kind-Interaktion sowie viertens die Partnerschaft (vgl. Cierpka 2012, S. 400).<br />

Werdende und „frischgebackene“ Eltern sind besonders offen für Ratschläge. Hier zeigt sich ein Unterschied<br />

zu klassischen Beratungssettings, in denen die Vergabe von Ratschlägen häufig verpönt und<br />

sogar als Fehler angesehen wird, da sie dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe widersprechen und Klienten<br />

möglicherweise in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken. Von Hinweisen auf reifungs- und entwicklungsförderndes<br />

Verhalten in Bezug auf den Säugling, können Familien jedoch profitieren. „Ein<br />

Rat, wie das Kind beim Stillen anders gehalten werden kann, erleichtert dem Kind nicht nur das Trinken<br />

an der Brust. Die veränderte elterliche Antwort auf Hunger des Kindes trägt auch zu verbesserten<br />

Bedürfnisbefriedigung und damit zur Bindungssicherheit bei“ (Cierpka 2012, S. 401).<br />

Die Hilfestellungen und Ratschläge sollten dennoch nicht willkürlich verteilt werden, sondern am<br />

individuellen Bedarf der Familie orientiert sein. Dabei sollten stets Möglichkeiten des Anbieters und<br />

Ressourcen der Familie zur Stärkung der Gefühle der Selbstwirksamkeit im Auge behalten werden<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

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(vgl. Cierpka 2012, S. 401). Es ist von großer Wichtigkeit, dass der Helfer sich den Ungleichheiten im<br />

Experten-Laien-Verhältnis bewusst ist und erkennt, wenn ein Abhängigkeitsverhältnis entsteht. Trotz<br />

anfänglichen Unsicherheiten muss die Familie handlungsfähig bleiben. Sollte dies nicht möglich sein,<br />

muss geprüft werden, ob eventuell weitere Hilfen angeboten werden sollten.<br />

3.2.2 DIE ARBEITSWEISE DER (FAMILIEN-)HEBAMMEN<br />

Hebammen und Familienhebammen sind für die Unterstützung aller (werdenden) Eltern, auch jene<br />

mit einer höheren medizinischen oder sozialen Belastung, verantwortlich. Als Ziel ihrer Arbeit lässt<br />

sich die möglichst frühe und in Problemlagen rechtzeitige Stärkung der elterlichen Kompetenzen<br />

nennen. „Hebammen begleiten die Schwangerschaft eigenständig durch das Angebot von Vorsorgeuntersuchungen,<br />

zusätzlichen Leistungen bei Beschwerden und Beratungen und geben Kurse zu allen<br />

Fragen des Elternwerdens und der Vorbereitung auf die Geburt. Hebammen leiten physiologische<br />

Geburten zu Hause, im Geburtshaus oder in Kliniken eigenverantwortlich und ziehen bei pathologischen<br />

Verläufen ärztliche Hilfe hinzu“ (Mattern/ Lange 2012, S. 66). Außerdem bieten sie eine nachgeburtliche<br />

Betreuung an.<br />

Da ihre Arbeit in der Regel mit einer Pauschale vergütet wird und lediglich „Hilfen bei Schwangerschaftsbeschwerden<br />

oder Wehen“ (Mattern/ Lange 2012, S. 68) nach dem realen Zeitaufwand bezahlt<br />

werden, müssen Hebammen, um wirtschaftlich arbeiten zu können, ihr Zeitmanagement im<br />

Auge behalten. Aus diesen Gründen können sie außerhalb von Notfällen meisten nur dazu raten,<br />

bestimmte medizinische, soziale oder finanzielle Vorsorgen zu treffen und Hilfen in Anspruch zu<br />

nehmen. Aus diesen Gründen ist auch ihre Beratungstätigkeit eingeschränkt. Im Gegensatz dazu unterstützen<br />

Familienhebammen die (werdenden) Eltern bei der praktischen Umsetzung in verschiedenen<br />

Problemlagen, da ihre Vergütung dem realen zeitlichen Aufwand entspricht. Eine weiterführende<br />

Darstellung zur Unterscheidung des Leistungsspektrums von Hebammen und Familienhebammen<br />

stellt die Abbildung 5 (Anhang, S. VII) dar (vgl. Mattern/ Lange 2012, S. 68).<br />

Der Einsatz von Familienhebammen stellt den Übergang von der primären zur sekundären Prävention<br />

in den Frühen Hilfen dar. Sie werden bei entsprechender Notwendigkeit beauftragt. Obwohl die jungen<br />

und werdenden Mütter meisten freiwillig der Begleitung durch eine Familienhebamme zustimmen,<br />

sind ihre Auftragsgeber vorrangig die kommunale Gesundheits- und Jugendhilfe. Aus den Aufgaben<br />

der Familienhebammen, nämlich die sozialen und gesundheitlichen Probleme der Eltern zu<br />

erkennen und die Problemlösung zu beeinflussen (vgl. Mattern/ Lange 2012, S. 69), ergibt sich die<br />

Notwendigkeit für unterschiedliche Beratungskompetenzen.<br />

Beratung gehört zur zentralen Aufgabe der Hebammenarbeit. In ihrer Beratenden Funktion übernimmt<br />

die Hebamme die fachliche und psychosoziale Beratung. Als fachliche Beraterin ist ihre Expertenmeinung<br />

gefragt, im Sinne der psychosozialen Beratung geht es hingegen um die Bewältigung von<br />

spezifischen Problemen. Beides sind gleichberechtigte Bestandteile der Beratung und werden unter-<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

38 | Seite


schiedlich ausgeprägt im jeweiligen Familiensystem und je nach Bedarf erbracht. „Um unter diesen<br />

Rahmenbedingungen effiziente und präventive Beratungsarbeit leisten zu können sind spezielle<br />

kommunikative Fertigkeiten notwendig“ (St. Marienhospital Vechta 2013, S. 1).<br />

Für den Bereich der psychosozialen Beratung sind vorrangig die Familienhebammen, aufgrund der<br />

bereits angesprochenen finanziellen und zeitlichen Rahmenbedingungen, zuständig. Da der Begriff<br />

„Familienhebamme“ nicht rechtlich geschützt ist, sind keine genauen Tätigkeitsbereiche und Qualifikationen<br />

definiert. Jedoch darf die Berufsbezeichnung nur tragen, wer zuvor eine Ausbildung als Hebamme<br />

(männlich: Entbindungshelfer) abgeschlossen hat. Der Großteil der Familienhebammen hat<br />

eine qualifizierende Fort- oder Weiterbildung nach einer meist zweijährigen Berufserfahrung abgeschlossen,<br />

wobei sich Unterschiede in den einzelnen Institutionen und Bundesländern ergeben können.<br />

Die Fortbildung erfolgt in der Regel in 170 bis 260 Stunden andauernden Projekten über einen<br />

Zeitraum von acht bis zwölf Monaten (vgl. Mattern/ lange 2012, S. 66).<br />

Auch wenn die Module in den Fortbildungen unterschiedlich strukturiert sind, ist in der Regel eines<br />

für Beratung und Gesprächsführung angelegt. So heißt das sechste von insgesamt acht Modulen im<br />

Weiterbildungsprogramm zur Familienhebamme in Berlin-Brandenburg „Gesprächsführung und<br />

Kommunikation“. Im Weiterbildungsstundenplan sind die Themen dieses Moduls wertschätzende und<br />

vermittelnde Beratertätigkeit, Kommunikation im interdisziplinären Kontext, Techniken der Fragestellung<br />

und Gesprächsführung und Diversity-Training (vgl. Derksen/ von Haldenwang 2012, S. 4ff).<br />

3.2.3 FALLBEISPIEL ANNA<br />

Das folgende Fallbeispiel soll die Arbeitsweise der Familienhebammen noch einmal praxisnah darstellen<br />

und eine Analyse der beraterischen Anteile ermöglichen. Die 17-jährige Anna ist in der 20. Woche<br />

schwanger und nach dem Tod ihrer Mutter bei ihrem Vater ausgezogen. Sie lebt in einer kleinen Einliegerwohnung<br />

der Eltern ihres ebenfalls minderjährigen Freundes Paul. Nach Angaben der Schulsozialarbeiterin<br />

möchte Anna die Schulausbildung fortsetzen. Paul arbeitet nach dem Abbruch seiner Ausbildung<br />

gelegentlich in einem Betrieb, welcher ihn später einmal als ungelernte 400€-Kraft einstellen<br />

möchte. Die Schulsozialarbeiterin vermittelt den Kontakt zum Jugendamt, welche die Finanzierung einer<br />

Familienhebamme bewilligt. Da die Familienhebamme, gleichzeitig auch als freiberufliche Hebamme<br />

arbeitet, übernimmt sie im Auftrag von Anna die Regelversorgung und nimmt im Auftrag des Jugendamtes<br />

an Hilfeplangesprächen teil, begleitet Anna bei Bedarf zu gesundheitlichen Einrichtungen und ist<br />

der werdenden Familie bei der Umsetzung von Ideen zur babygerechten Umgestaltung der kleinen<br />

Wohnung behilflich (vgl. Lange/ Mattern 2012, S. 72f).<br />

In ihrer Tätigkeit als Hebamme kann diese Anna in Fragen rund um die Schwangerschaft und Geburt<br />

helfen. Die Ängste und Unsicherheiten der jungen Frau in Bezug auf die Geburt nehmen dadurch ab.<br />

Es sind also im beraterischen Sinne in erster Linie Sach- und Fachkompetenzen, die Anna helfen.<br />

Gleichzeitig kann auf der Beziehungsebene ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, indem die<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

39 | Seite


Hebamme feinfühlig mit Annas Anliegen umgeht. Die Familienhebamme übernimmt desweiteren<br />

begleitende Tätigkeiten, die Anna und Paul unterstützen sollen. Währenddessen wird jedoch immer<br />

deutlicher, dass der Bedarf an psychosozialer Unterstützung höher ist, als Anfangs gedacht.<br />

Die Integration in die Familie des Freundes gelingt nicht. Anna wirkt durch den Verlust der Mutter stark<br />

belastet und es besteht nur wenig Kontakt zu ihrem Vater. Durch Nachfragen erfährt die Familienhebamme<br />

schließlich, dass die junge Frau als Kind über mehrere Jahre durch einen Freund des Vaters sexuell<br />

missbraucht wurde. Eine Verurteilung des Täters und die psychologische Betreuung des Opfers haben<br />

stattgefunden. Dennoch leidet Anna weiterhin darunter, dass ihr lange Zeit die Vorwürfe nicht geglaubt<br />

wurden und sie heute von der Familie des Vergewaltigers als eigentliche Schuldige angesehen<br />

wird. All dies führt zu einer fortdauernden Belastung (vgl. Lange/ Mattern 2012, S. 73).<br />

An dieser Stelle wird eine Grenze der (Familien-)Hebammen Tätigkeit aufgezeigt. Zwar kann Anna<br />

durch Gespräche in gewisser Weise entlastet werden, jedoch bleibt zu prüfen, ob es eventuell sinnvoll<br />

wäre, Anna an einen entsprechenden Experten oder Therapeuten aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen<br />

zu vermitteln. Einerseits sind hier besonders Beziehungskompetenzen der Hebamme gefragt,<br />

da ein besonderes Vertrauensverhältnis notwendig ist, um über solch eine gravierende Thematik<br />

reden zu können. Gleichzeitig muss die Hebamme aber auch über ausgeprägte reflexive und analytische<br />

Kompetenzen verfügen, um ggf. Risikofaktoren für das Wohl der Mutter oder des Kindes sowie<br />

einen weiterführenden Hilfebedarf zu erkennen. Leider lässt das Fallbeispiel an dieser Stelle offen, ob<br />

und wie die Hebamme gehandelt hat.<br />

Denkbar wäre gewesen, dass die Hebamme Anna fragt, ob sie weiterführende Unterstützung<br />

wünscht und ihr anbietet, bei der Suche nach entsprechenden Möglichkeiten behilflich zu sein. Vielleicht<br />

hätte es dem Mädchen geholfen, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen. Hätte Anna weiterführende<br />

Unterstützung nicht gewünscht, muss die Hebamme sich im Klaren darüber werden, ob die<br />

vergangenen traumatischen Erfahrungen, Anna in ihrer zukünftigen Rolle als Mutter beeinträchtigen.<br />

Als Familienhebamme hat sie einen Auftrag des Jugendamtes erhalten und somit im Sinne des Kinderschutzes<br />

ein doppeltes Mandat inne. Besonders hilfreich könnte hier eine Supervision sein, welche<br />

die Hebamme in ihren reflexiven Überlegungen unterstützt.<br />

Durch die Gespräche und Beratung zur Stärkung der Elternroll, gelingt es schließlich Anna und Paul,<br />

ihren Zigarettenkonsum zu reduzieren und gleichzeitig eine Beziehung zum ungeborenen Kind aufzubauen.<br />

Mit wachsendem Babybauch steigt die Aufmerksamkeit durch Mitschüler und Lehrer, was den<br />

Schulbesuch beschwerlich macht. Anna erhält eine Krankschreibung de Frauenärztin, welche es ihr<br />

möglich macht, vom Schulunterricht fern zu bleiben. Desweiteren attestiert sie eine Einzel-<br />

Geburtsvorbereitung, da sich Anna eine Teilnahme an einem Kurs mit vielen älteren Schwangeren nicht<br />

zutraut. Die individuelle Geburtsvorbereitung findet bei Anna Zuhause statt, an welcher auch hin und<br />

wieder Kolleginnen der Hebamme teilnehmen, damit Anna und Paul sich an andere in Vorbereitung auf<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

40 | Seite


die Geburt gewöhnen können. Zur Besprechung der Geburt nimmt Anna die Hebamme mit in den Kreißsaal.<br />

Gemeinsam sprechen sie dort den Wunsch nach einer normalen Geburt ab und bitten im Vorfeld<br />

darum, dass möglichst wenig vaginale Untersuchungen und diese, wenn möglich, auch nur von Frauen<br />

durchgeführt werden. Die Wünsche werden in den Anmeldebogen ohne weitere Nachfragen notiert<br />

(vgl. Lange/ Mattern 2012, S. 73).<br />

Diese Sequenz des Fallbeispiels zeigt deutlich beratende und begleitende Anteile in der Hebammen-<br />

Arbeit auf. Besonders für die Gespräche über die Findung der Elternrolle und den Beziehungsaufbau<br />

sind ausgeprägte Beratungskompetenzen notwendig. Zwar gehören derartige Gespräche auch zu der<br />

alltäglichen Hebammen-Arbeit, jedoch lässt sich vermuten, dass die Hebamme hier in ihrer Funktion<br />

als Familienhebamme deutlich mehr zeitliche Ressourcen zur Verfügung stehen. Somit kann sie, angepasst<br />

an den erhöhten Unterstützungsbedarf von Anna und Paul, einen entsprechenden Beratungsprozess<br />

initiieren. Hierbei ist ein besonderes Maß an Einfühlungsvermögen in die Situation der<br />

jungen werdenden Eltern gefragt. In der Beratung sollen sie einerseits gestärkt werden, sich in ihrer<br />

Rolle als Mutter oder Vater zu Recht zu finden und andererseits realistische Erwartungen in Bezug auf<br />

die Elternschaft aufbauen. Auch wenn die Eltern nicht rücksichtslos desillusioniert werden dürfen,<br />

der Blick durch die „rosarote Brille“ erfüllt schließlich auch eine wichtige Funktion bei der Angstbewältigung,<br />

muss die Hebamme in ihrer Rolle als Berater ggf. eine Möglichkeit finden, sie über die Verantwortung<br />

und den Lebensalltag mit einem Säugling aufzuklären. Dabei kann es schon in der<br />

Schwangerschaft um die Erarbeitung von grundlegenden Gesprächskompetenzen gehen, um Differenzen<br />

bezüglich Erziehungsfragen oder in Hinblick auf die Aufgabenverteilung bei der Versorgung<br />

des Säuglings, lösen zu können (vgl. Fthenakis/ Kalicki/ Peiz 2002, S. 473ff).<br />

Hinzukommen Sach- und Fachkompetenzen der Hebamme, um die Eltern über die Auswirkungen von<br />

Nikotinkonsum in der Schwangerschaft aufzuklären. Dabei müssen einige Besonderheiten in der Beratung<br />

von Jugendlichen beachtet werden. Minderjährige Eltern haben aufgrund der Entwicklungsphase,<br />

in der sie sich befinden, erhöhte Anforderungen zu bewältigen. Altersbedingt versuchen sie<br />

sich abzugrenzen und eine eigene Identität zu finden, was jedoch mit ihrer anstehenden Rolle als<br />

Eltern kollidiert, in welcher sie viel Verantwortung übernehmen müssen und sehr wohl auf Unterstützung<br />

aufgrund ihres jungen Alters angewiesen sind (vgl. Doege/ Engel-Otto/ Nahkla 2012, S. 334).<br />

Familienhebammen müssen, auch wenn jugendliche Eltern natürlich nicht ihr einziges Klientel darstellen,<br />

über Erfahrungen im Umgang mit sehr jungen Eltern verfügen und möglicherweise auch<br />

Grenzen erkennen.<br />

Der begleitende Anteil ihrer Arbeit wird bei der Besprechung der Geburt im Kreißsaal notwendig. Die<br />

Familienhebamme unterstützt Anna aktiv in der Umsetzung ihrer Wünsche und spricht Aspekte, die<br />

dem Mädchen eventuell unangenehm sind, für sie ab. So werden bestmögliche Vorbereitungen für<br />

die Geburt getroffen.<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

41 | Seite


Die Geburt der kleinen Laura findet im Beisein von Annas Großmutter und Freund statt. Die stolzen<br />

Eltern berichten noch im frühen Wochenbett der Familienhebamme von der Geburt. Dieser gelungene<br />

und selbstbestimmte Start in die Elternschaft drückt sich durch liebevolle Zuwendungen zum Kind und<br />

viel Verantwortungsbewusstsein besonders in den ersten Wochen aus. Zunehmende Unruhen des Kindes<br />

mit nächtlichen und stundenlangen Schreiphasen führen jedoch bald zu einer ersten ernsten Krise in<br />

der Partnerschaft. Die Familienhebamme sucht mit den Eltern nach Ursachen für das Schreiverhalten<br />

und versucht gemeinsam, Lösungen zu erarbeiten. Zeitgleich bespricht sie mit dem jungen Paar die<br />

Konfliktsituation und sucht nach Entlastungsmöglichkeiten. Dazu kann schließlich Annas Großmutter<br />

beitragen, die gelegentlich auf das Baby aufpasst, Fahrten zum Kinderarzt begleitet und die Betreuung<br />

auch übernehmen wird, wenn Anna wieder zur Schule geht, wodurch sich die Situation schließlich beruhigt<br />

(vgl. Lange/ Mattern 2012, S. 73).<br />

Besonders in der Zeit nach der Geburt stellt die (Familien-)Hebamme noch einmal eine große Unterstützung<br />

für die junge Familie dar. Sie begleitet und unterstützt die Eltern in den ersten Wochen und<br />

Monaten bei alltäglichen Aufgaben mit dem Baby und hilft den Eltern sicherer im Umgang mit ihm zu<br />

werden. So kann sie hilfreiche Tipps beim Stillen, Wickeln oder dem ersten Bad des Säuglings geben.<br />

Gleichzeitig werden aber auch wieder die beratenden Anteile ihrer Arbeit deutlich, die in Bezug auf<br />

die Konflikte in der Paarbeziehung zum Tragen kommen. Der Übergang von der Partnerschaft zur<br />

Elternschaft, also die Zeit rund um die Geburt des ersten Kindes wird gerne als „normative“ Krise<br />

bezeichnet. Wie bei Krisen so üblich, schafft auch diese Möglichkeiten des Wachstums und der Weiterentwicklung,<br />

aber auch Gefahren von erhöhtem psychischem Disstress (vgl. Cierpka/ Frey/ Scholtes<br />

2012, S. 116). Hinzu kommt das junge Alter von Paul und Anna, was die Anforderungen an die<br />

Elternschaft zusätzlich erhöht. In ihrer beratenden Funktion kann die Hebamme hier die Gestaltung<br />

der gemeinsamen Entwicklung des Paares fördern, anregen und unterstützen.<br />

Die Begleitung durch die Hebamme soll beendet werden, wenn Anna über ausreichende elterliche<br />

Kompetenzen verfügt, um sich mit oder ohne ihren Freund verlässlich um die kleine Laura zu kümmern<br />

und auch weiß, wo und wie sie notfalls wieder Hilfe bekommen kann (vgl. Lange/ Mattern 2012, S. 73).<br />

Das Ziel eines Beratungsprozesses ist es, folgt man Dietrich (1991, S. 2), die „Selbsthilfebereitschaft“,<br />

„Selbststeuerungsfähigkeit“ und „Handlungskompetenzen“ eines Klienten zu verbessern. Im Fall von<br />

Anna ist sehr gut erkennbar, wie die intensive Betreuung und Beratung durch die Familienhebamme<br />

genau dies fördert, damit sie nach und nach lernt, Verantwortung als Mutter zu übernehmen und für<br />

sich und ihre Tochter Sorge zu tragen.<br />

3.2.4 FAZIT: BERATUNG DURCH (FAMILIEN-)HEBAMMEN<br />

Es lässt sich also festhalten, dass Beratung in vielen Tätigkeitsfeldern und bei zahlreichen Berufsgruppen<br />

der frühen Hilfen, so auch bei den (Familien-)Hebammen, eine Grundfunktion in der Arbeitswei-<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

42 | Seite


se darstellt und in der entsprechenden Ausbildung gelehrt wird. Dabei kann die Beratung in Form der<br />

Weitergabe von Expertenwissen oder als psychosoziale Unterstützung erfolgen. Als Grundfunktion<br />

lässt sie sich sowohl in der primären Prävention, als auch in der sekundären finden. Während es sich<br />

in der klassischen Hebammen-Arbeit eher um fachspezifische Beratungskompetenzen geht, müssen<br />

Familienhebammen eher in Bezug auf psychosoziale Problemlagen beraten, wobei ihr Expertenwissen<br />

natürlich nicht weniger gefragt ist. Dabei werden in beiden Formen der Hebammen-Arbeit ausgeprägte<br />

Beziehungskompetenzen benötigt, um einen guten Zugang zu den jungen und werdenden<br />

Eltern zu bekommen.<br />

Weiterhin lässt sich festhalten, dass der Übergang von Begleitung, also Unterstützung bei der Alltagsbewältigung,<br />

und Beratung, die besonders bei spezifischen Problemlagen erfolgt, stark verschwommen<br />

ist. Es ist schwierig, selbst im Einzelfall zwischen Begleitung und Beratung zu unterscheiden. In<br />

der Hebammen-Tätigkeit sind beide Formen höchstbedeutend und als gleichwertig zu bezeichnen.<br />

Anzumerken ist lediglich, dass die Beratungsanteile, gerade im psychosozialen Bereich, bei Familienhebammen<br />

aufgrund der finanziellen Rahmbedingungen ausgeprägter sind. In der klassischen Hebammen-Tätigkeit<br />

ist die ausführlich dargestellte Informationsweitergabe und Aufklärung über die<br />

kindliche Entwicklung und das Verhalten des Säuglings oder Kleinkindes hingegen eher von Bedeutung.<br />

Die Grenze von Beratung zur Psychotherapie stellt gleichzeitig eine Grenze in der Arbeit der<br />

(Familien-)Hebammen dar. Wenn höherer Hilfebedarf erkennbar ist, als dass man ihn in einem Prozess<br />

der Begleitung oder Beratung bewältigen kann, sollten die Klienten an weiterführende Hilfen<br />

vermittelt werden. Psychische Erkrankungen sowie Alkohol- und Drogenabhängigkeit können das<br />

Kindeswohl gefährden. Die (Familien-)Hebammen sind in ihrer Arbeit also dahingehend gefordert,<br />

Risikofaktoren zu erkennen und ggf. dem Jugendamt zu melden.<br />

EXKURS: VÄTER <strong>IN</strong> <strong>DEN</strong> <strong>FRÜHEN</strong> <strong>HILFEN</strong><br />

Eine Entwicklungsmöglichkeit stellt sich zudem in der Beteiligung der Väter, nicht nur im Bereich der<br />

Hebammen-Tätigkeit, sondern im gesamten Netzwerk der Frühen Hilfen, dar. Väter können über die<br />

gleichen Kompetenzen in Pflege und Erziehung verfügen wie Mütter auch, stellen wertvolle Interaktionspartner<br />

für das Kind dar und besitzen ein intuitives Wissen über den Umgang mit dem Säugling.<br />

Darüber hinaus hat die Vater-Kind-Bindung eine besondere Bedeutung für die Entwicklung des Kindes,<br />

das von den unterschiedlichen Anregungen, Ansprüchen und Umgangsstilen beider Elternteile<br />

profitiert. Väter können also eine wichtige Ressource zur Stärkung der Familie darstellen. Gleichzeitig<br />

müssen Sie jedoch selbst gestärkt werden. Dabei gibt es eine Vielzahl von beratungsrelevanten Themen,<br />

beispielsweise der Zweifel an der biologischen Vaterschaft, die Einnahme der Vaterrolle oder<br />

auch die praktische Organisation des Familienalltags (vgl. Eickhorst/ Peykarjou 2012, S. 39ff).<br />

In der Arbeit mit den Vätern müssen dabei einige Besonderheiten beachtet. Die Tatsache, dass beispielsweise<br />

fast alle Hebammen weiblich sind, erschwert den Zugang zu der Zielgruppe der Väter.<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

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Gerade belehrendes Verhalten kann Väter abschrecken, ihre Motivation verringern oder sie das Hilfesystem<br />

als Bedrohung wahrnehmen lassen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass die<br />

Helfer feinfühlig und wertschätzend mit den Männern umgehen. Sie müssen ihre reale Situation und<br />

ihre Bemühungen wahrnehmen, ohne ein Idealbild zu vermitteln oder zu fordern. Es sind also vermehrt<br />

Beziehungskompetenzen gefordert, damit ein guter Zugang zu den Vätern ermöglicht wird.<br />

Auch der Einsatz von männlichen Helfern kann förderlich sein, um mehr Väter im Netzwerk der Frühen<br />

Hilfen zu erreichen (vgl. Eickhorst/ Peykarjou 2012, S. 39).<br />

3.3 ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGISCHE BERATUNG ALS WEITERFÜHRENDES UNTERSTÜTZUNGSAN-<br />

GEBOT IM NETZWERK FRÜHER <strong>HILFEN</strong><br />

Bei der Entwicklungspsychologischen Beratung (EPB) handelt es sich um ein niedrigschwelliges, bindungstheoretisch<br />

fundiertes Beratungsangebot für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern, die sich in<br />

unterschiedlichsten Lebenssituationen befinden können. Die Beratung ist in diesem Unterstützungsangebot<br />

wie bei der Schwangerschaftsberatung schon allein durch ihre Bezeichnung impliziert. Das<br />

Angebot entscheidet sich aber dahingehend, dass es ein sekundär präventives Angebot darstellt und<br />

zudem häufig von Eltern mit bereits „älteren“ Babys und Kleinkindern in Anspruch genommen wird.<br />

Nachdem es zunächst um eine Darstellung dieses Ansatzes im Netzwerk Früher Hilfen geht, soll anschließend<br />

ein Fallbeispiel zur Verdeutlichung der Arbeitsweise vorgestellt und analysiert werden.<br />

Abschließend soll es besonders um die Grenze zwischen Beratung und Psychotherapie gehen.<br />

3.3.1 DER BERATUNGSANSATZ<br />

Der von Dr. Ute Ziegenhain, Dr. Mauri Fries, Barbara Bütow und Dr. Bärbel Derksen entwickelte Ansatz<br />

der Entwicklungspsychologischen Beratung basiert auf Erkenntnissen der Säuglings- und Bindungsforschung.<br />

Es wird davon ausgegangen, dass eine sichere Bindungserfahrungen des Kindes an mindestens<br />

eine emotional verfügbare Bindungsperson als wichtiger Schutzfaktor für die frühkindliche Entwicklung<br />

gilt (vgl. Caritas-Frühförderungsdienste 2013, S. 17).<br />

Das Ziel der Entwicklungspsychologischen Beratung ist die Förderung der elterlichen Feinfühligkeit zu<br />

einem möglichst frühen Zeitpunkt der Kindheit ihres Säuglings oder Kleinkindes. Die Feinfühligkeit<br />

sichert den „Aufbau einer gelungenen Eltern-Kind-Beziehung, und einer sicheren emotionalen Bindung<br />

beim Kind“ (Universitätsklinikum Ulm, URL 4, 2013) selbst. Diese sichere emotionale Bindung<br />

als Schutzfaktor gegenüber späteren Belastungen sowie in Bezug auf die Bewältigung schwieriger<br />

Lebensumständen nimmt dabei einen zentralen Stellenwert ein. Wenn Anzeichen für Entwicklungsund<br />

Verhaltensprobleme rechtzeitig erkannt werden, können diese im Prozess der Auseinandersetzung<br />

mit der Interaktion zwischen Eltern und Kind vorgebeugt werden (vgl. Universitätsklinikum Ulm,<br />

URL 1, 2013).<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

44 | Seite


Die Zielgruppen stellen dabei junge Eltern dar, die entwicklungspsychologisch interessiert sind sowie<br />

unsichere, belastete oder überlastete Eltern. Desweiteren richtet sich die Entwicklungspsychologische<br />

Beratung an Familien mit Säuglingen und Kleinkindern in besonderen Lebensumständen (z.B. Frühgeborene,<br />

Säuglinge mit Behinderungen, jugendliche Eltern oder psychisch erkrankte Eltern). Hinzukommt<br />

die Zielgruppe der Familien, bei denen durch die Kinder- und Jugendhilfe ein Unterstützungsbedarf<br />

festgestellt wurde, der nun im Rahmen der EPB abgedeckt werden soll. Für alle Eltern, mit<br />

welchem Hintergrund sie auch immer in die Entwicklungspsychologische Beratung kommen, gelten<br />

die gleichen Leitlinien. Ihre Leistungen in der frühen Elternschaft werden von den Beratern wertschätzend<br />

wahrgenommen. Gleichzeitig werden ihnen alle notwendigen Ressourcen zur Problemlösung<br />

zugetraut, auch wenn die Wege zu diesen Kompetenzen, Eigenschaften und Fähigkeiten gerade<br />

noch nicht offen stehen. Das Ziel der Beratung soll es also sein, dass Berater und Hilfesuchender gemeinsam<br />

Zugänge zu diesen Ressourcen entwickeln. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf die<br />

vertrauensvolle Beziehung zwischen Berater und Eltern gelegt. In jeglicher Hinsicht steht jedoch die<br />

Eltern-Kind-Beziehung im Mittelpunkt. Die präventive Beziehungsförderung kann desweiteren nur<br />

durch bedarfsgerechte Kooperation mit anderen Bereichen der Jugend- und Gesundheitshilfe gelingen<br />

(vgl. Universitätsklinikum Ulm, URL 1, 2013).<br />

3.3.2 DER BERATUNGSPROZESS<br />

Im Beratungsprozess EPB soll die bereits angesprochene Förderung der elterlichen Feinfühligkeit<br />

durch die Vermittlung Ausdrucks-, Belastungs- und Bewältigungsverhaltensweisen von Säuglingen<br />

und Kleinkindern erreicht werden. Hierbei sollen die Eltern Wissen über die Entwicklung von Säuglingen<br />

und Kleinkindern erlangen und gleichzeitig die Fortschritte ihres eigenen Kindes wahrnehmen.<br />

Eine Förderung der Eltern in ihrer Rolle als Mutter oder Vater wird dadurch gewahrt, dass ihre Wünsche<br />

anerkannt und ernst genommen sowie ihre Lebensumstände und Befindlichkeiten berücksichtigt<br />

werden. Ein zentrales Instrument der EPB stellt die Videoanalyse mit Feedback dar. Die Beratung erfolgt<br />

in Anwesenheit des Säuglings (vgl. Universitätsklinikum Ulm, URL 1, 2013).<br />

Die Entwicklungspsychologische Beratung orientiert sich an den drei Punkten Sehen – Verstehen –<br />

Handeln. Das Sehen stellt den Ausgangspunkt für die EPB dar. Die Beobachtung von alltäglichen Eltern-Kind-Interaktionen<br />

erfolgt mit Hilfe einer kurzen Videoaufnahme, welche z.B. das Wickeln, Spielen<br />

oder Füttern zeigen kann. Für das Verstehen analysiert der Berater zunächst ohne die Eltern das<br />

Video. Im späteren Gespräch mit den Eltern, wo das Video gemeinsam angeschaut wird, wählt er als<br />

erstes eine gelungene Interaktionssequenz, um Stärken und Ressourcen der Familie aufzuzeigen. Anschließend<br />

wird eine noch nicht so gelungene Interaktionsszene behandelt. Fällt es den Eltern beispielsweise<br />

schwer, die Perspektive des Kindes zu verstehen, können kurze entwicklungspsychologische<br />

Erklärungen im Zusammenhang mit den im Video gesehenen Verhaltensweisen behilflich sein,<br />

dieses Verständnis zu fördern. Wenn es den Eltern trotzdem nicht gelingt, sich in die Situation ihres<br />

Kindes zu versetzen, kann dies biografisch bedingt sein. Der Beratungsprozess kann dann den Eltern<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

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dabei behilflich sein, aktuelles Verhalten und Empfindungen in Bezug auf ihr Kind mit eigenen Erfahrungen<br />

der Vergangenheit zu verknüpfen und verstehen. Beim dritten Schritt, dem Handeln, stehen<br />

die Eltern im Mittelpunkt, während es zuvor vorrangig das Baby war. Gemeinsam mit den Eltern werden<br />

Beobachtungs- und Handlungsaufgaben entwickelt, die im Alltag mit dem Kind umgesetzt werden<br />

sollen. Dabei können „biographische (traumatische Kindheitserfahrungen) oder gegenwärtige<br />

Belastungen (Partnerschaftskonflikte etc.)“ (Universitätsklinikum Ulm, URL 2, 2013) die Umsetzung<br />

dieser Aufgaben verhindern. Wird dies erkannt, bezieht die EPB aktuelle und vergangene Alltagsrealität<br />

der Eltern mit in den Beratungsprozess ein. Besonders wenn sich Familien in schwierigen, unveränderbaren<br />

Lebensumständen (z.B. Behinderung des Kindes) befinden, mischen sich die Aspekte von<br />

Beratung und Begleitung. Die EPB ergänzt und unterstütz in diesen Fällen andere Hilfeformen (vgl.<br />

Universitätsklinikum Ulm, URL 2, 2013).<br />

3.3.3 FALLBEISPIEL FELIX ZETT<br />

Das im Folgenden beschriebene Fallbeispiel 3 verdeutlicht den Beratungsansatz der EPB. Frau Zett<br />

kommt mit dem 29 Monate alten Felix in die Beratung, welche ihr von der Kinderärztin empfohlen wurde.<br />

Der Junge ist Einzelkind und wird hauptsächlich von seiner Mutter betreut. Die Geburt verlief normal,<br />

mit sechs Wochen musste er jedoch wegen einer Leistenbruchoperation ins Krankenhaus. Felix<br />

schlief sehr viel als Baby und besonders das Füttern war problematisch, da er häufig erbrach und Mahlzeiten<br />

schon mal bis zu 2 Stunden dauern konnte. Mit 13 Monaten wurde Felix krankengymnastisch<br />

betreut und bekam zusätzlich einen Monat Ergotherapie. Im ersten Gespräch beschreibt Frau Zett, dass<br />

Felix mit Wutanfällen reagiert und stark trotzt, wenn ihm Grenzen gesetzt werden. Der Junge braucht<br />

beim Spielen stets seine Mutter neben sich, trennt sich auch beim Besuch der Mutter-Kind-Gruppe nicht<br />

von ihr und nimmt kaum Kontakt zu anderen Kindern auf. In seiner Entwicklung ist er, verglichen mit<br />

den anderen Kindern der Gruppe, zurück. Mit Hilfe der Münchner Funktionellen Diagnostik wurde im<br />

Alter von 28 Monaten bei Felix ein Entwicklungsrückstand in der Grobmotorik und Selbstständigkeitsentwicklung<br />

von 6-7 Monaten und in der Sprache von 8 Monaten festgestellt (vgl. Caritas-<br />

Frühförderungsdienste 2013, S. 18).<br />

Frau Zett ist Hausfrau und ihr Mann geht tagsüber einer geregelten Arbeit nach. Familie Zett lebt in<br />

geregelten Verhältnissen und bewohnt zusammen mit Felix Großmutter mütterlicherseits ein eigenes<br />

Haus. Frau Zett wird durch ihre Mutter in der Betreuung und Erziehung von Felix unterstützt und entlastet.<br />

Da sie als Kind und Jugendliche selbst sprachliche Einwicklungsverzögerungen aufwies und ihr Bruder<br />

verhaltensauffällig war, macht sie sich große Sorgen um Felix. Sie befürchtet, dass ihr Sohn das<br />

aufbrausende Temperament des Bruders geerbt haben könnte. Gleichzeitig belastet sie Felix starkes<br />

Anklammern und die Vorwürfe aus ihrem Umfeld, dass sie etwas in der Erziehung falsch gemacht hat.<br />

Herr Zett ist abends nach der Arbeit zu müde, um sich intensiv um Felix zu kümmern. Die Mutter möch-<br />

3 Das Fallbeispiel beruht auf reale Klienten, die im Rahmen des Projektes des Caritas-Frühförderungsdienstes Passau betreut wurden.<br />

Namen wurden geändert.<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

46 | Seite


te vorrangig erreichen, dass sich ihr Sohn zeitweise alleine beschäftigen kann (vgl. Caritas-<br />

Frühförderungsdienste 2013, S. 19).<br />

Im ersten Gespräch wird zunächst das Anliegen besprochen, welches Frau Zett mit Felix in die Beratung<br />

führt. Es wird deutlich, dass sich die Mutter Sorgen um ihren Sohn macht und zudem stark belastet<br />

von der Situation ist. Sie möchte erreichen, dass sich etwas am Verhalten ihres Kindes verändert,<br />

weiß jedoch noch nicht wie. In der Beratung von Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern geht es<br />

zunächst darum, „die Funktionen des kindlichen Verhaltens im Kontext der anstehenden Entwicklungsschritte<br />

erkennen und verstehen zu können, um dann auf Seiten der Eltern Veränderungen in<br />

der Bewertung des kindlichen Verhaltens oder Veränderungen in ihrem eigenen Verhalten anzustreben“<br />

(Ziegenhain/ Fries/ Bütow 2006, S. 145). Im Prozess der Beratung sollen Eltern und Berater gemeinsam<br />

erarbeiten, was die Mutter oder der Vater tun kann, um die gewünschten Veränderungen<br />

zu erreichen (vgl. Ziegenhain/ Fries/ Bütow 2006, S. 145). Das erste Gespräch soll jedoch nicht nur das<br />

Anliegen klären, sondern im Zuge dessen Ziele entwickeln.<br />

Gemeinsam mit der Familie Zett werden schließlich folgende Ziele formuliert: Zunächst soll das mütterliche<br />

Selbstvertrauen gestärkt werden und die Anzahl gelungener Mutter-Kind-Interaktion, besonders in<br />

Spiel- und Abgrenzungssituationen, zunehmen. Frau Zett soll die Bedeutung der Sprache in den Interaktionen<br />

erkennen und verstehen und zugleich Informationen über die Autonomieentwicklung erhalten.<br />

Zu ihrer Entlastung erhält Frau Zett einen freien Tag am Wochenende, an welchem sich der Vater um<br />

Felix kümmert. Unter Anleitung soll die Mutter lernen, angemessen mit Trotz umzugehen. Schließlich<br />

soll noch die wahrscheinlich anstehende Frühförderung aufgrund der Entwicklungsverzögerungen besprochen<br />

werden (vgl. Caritas-Frühförderungsdienste 2013, S. 19).<br />

Durch die Ziel- und Auftragsklärung setzt der erste Schritt zur Lösungsfindung ein. Dabei ist es wichtig,<br />

dass Ziele nicht negativ im Sinne von „was nicht mehr soll“, sondern positiv, also „was soll stattdessen“<br />

formuliert werden. Die EPB greift hierbei den Ansatz der lösungsorientierten Kurzzeittherapie<br />

auf – „Über Lösungen zu reden, schafft Lösungen, über Probleme zu reden, schafft Probleme“ (de<br />

Shazer, zit. nach Ziegenhain/ Fries/ Bütow 2006, S. 145). Dabei muss beachtet werden, dass nicht alle<br />

Ziele von Anfang an vollständig klar sein müssen, sondern sich im Prozess der Beratung verändern<br />

oder konkretisieren können (vgl. Ziegenhain/ Fries/ Bütow 2006, S. 145).<br />

Im Zeitraum von 7 Monaten finden 6 Beratungstermine bei Familie Zett zuhause statt. Die erste Video-<br />

Aufnahme wird von einer gemeinsamen Spielsituation zwischen Felix und seiner Mutter gemacht. Frau<br />

Zett erhält dabei die Anweisung, sich nach einiger Zeit aus dem Spiel zurückzuziehen, sich auf die Couch<br />

zu setzen und in einer Zeitschrift zu blättern. Anschließend kommt sie aber wieder zu Felix zurück (vgl.<br />

Caritas-Frühförderungsdienste 2013, S. 19).<br />

Die Beraterin beobachtet dabei folgende Verhaltensweisen: Felix sucht viel Körperkontakt zu seiner<br />

Mutter und setzt sich auf ihren Schoß. Er bezieht die Mutter mit ins Spiel ein, indem er ihr Spielsachen<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

47 | Seite


gibt. Der Junge kommuniziert mittels Mimik, Gestik und Handzeichen, verwendet aber kaum aktive<br />

Sprache. Als sich die Mutter aus dem Spiel zurückzieht, protestiert und spricht er. Seine Stimme wird<br />

laut. Er geht zur Mutter, zupft an ihr und will auf ihren Schoß. Als sie schließlich zurückkehrt, sucht Felix<br />

ihre Nähe. Frau Zett ist während der gesamten Situation sehr ruhig und kündigt ihr Vorhaben, wegzugehen,<br />

sprachlich nicht an. Insgesamt sprechen Mutter und Kind wenig miteinander und spielen mehr<br />

nebeneinander (vgl. Caritas-Frühförderungsdienste 2013, S. 19f).<br />

Der eigentliche Prozess der EPB beginnt mit der Aufnahme eines kurzen Videos, die sich auch die<br />

Beraterin im Fall von Familien Zett zunächst alleine anschaut. Sie wählt gelungene und nicht so gelungene<br />

Sequenzen aus, die mit der Mutter besprochen werden sollen.<br />

Frau Zett und die Beraterin arbeiten gemeinsam heraus, wie wichtig es für Felix in seinem Alter ist,<br />

Momente zu haben, in denen er allein spielen kann. Die Mutter soll in den kommenden Wochen genau<br />

dieses Verhalten verstärkt beobachten und darauf achten, mehr Sprache einzusetzen. Besonders in<br />

Abgrenzungssituationen ist es von zentraler Bedeutung, diese vorher sprachlich anzukündigen. Dabei<br />

soll Frau Zett dann Felix Verhalten beobachten (vgl. Caritas-Frühförderungsdienste 2013, S. 20).<br />

In diesem Teil der Beratung soll Frau Zett gestärkt und gleichzeitig in ihrem für Verständnis von Felix<br />

Verhaltensweisen gefördert werden. Anhand der Videosequenzen kann die Situation genau besprochen<br />

und anschließend Beobachtungs- und Handlungsaufgaben für die kommende Zeit gegeben werden.<br />

Die EPB nutzt viele Elemente und Techniken der lösungsorientierten Beratung. Zu nennen sind<br />

beispielsweise Skalierungsfragen, Ausnahmefragen und das zirkuläre Fragen. Diese Frageformen sind<br />

besonders geeignet, um mit den Eltern in einen Handlungsdialog während des Videofeedbacks zu<br />

kommen. Sie helfen zudem bei der kreativen Lösungsfindung. Der klientenzentrierte Ansatz hilft dabei,<br />

selbst kleinste Veränderungen zwischen Eltern und Kind wahrzunehmen und zu würdigen (vgl.<br />

Ziegenhain/ Fries/ Bütow 2006, S. 156ff).<br />

Als in einer der nächsten Beratungssitzungen wieder eine Abgrenzungssituation im Spiel aufgenommen<br />

wird, kündigt Frau Zett ihr Weggehen an und teilt Felix mit, was sie machen möchte. Ihr Sohn beobachtet<br />

genau, wo sie hin geht und was sie tut, versichert sich mehrmals mit Blickkontakt, kann aber akzeptieren,<br />

dass seine Mutter nicht in unmittelbarer Nähe ist und selbstständig spielen (vgl. Caritas-<br />

Frühförderungsdienste 2013, S. 20).<br />

Als Beratungsergebnis fasst Frau Zett zusammen, dass sie zuhause verstärkt versucht, sich abzugrenzen,<br />

und dies mittlerweile auch schon gut gelingt. Die Alleinspielzeit beträgt nach den sieben Monaten<br />

Beratung 20-30 Minuten. Sogar auf eine Situation außerhalb der vertrauten häuslichen Umgebung, bei<br />

einem Besuch einer Freundin, konnte die Mutter diese Vorgehensweise umsetzen. Aufgrund des Alters<br />

kann Felix über das Projekt „0-3“ nicht mehr betreut werden. Eine weitere Betreuung durch die interdisziplinäre<br />

Frühförderung ist vorgesehen (vgl. Caritas-Frühförderungsdienste 2013, S. 20).<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

48 | Seite


Das Fallbeispiel zeigt deutlich welche Fortschritte in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum erreicht<br />

werden konnten. Die Mutter hat Wege der Entlastung gefunden und kann besser mit der gesamten<br />

Situation umgehen. Gleichzeitig kommt es Felix Entwicklung zur Gute. Auch wenn Felix nicht mehr<br />

über das Projekt betreut werden kann, ist seine Mutter für eine fortführende Hilfe offen.<br />

3.3.4 FAZIT: DER ANSATZ DER EPB<br />

Die Entwicklungspsychologische Beratung ist ein praxisnaher und für die Frühen Hilfen sehr geeigneter<br />

Beratungsansatz. Er verfolgt eine systemische und lösungsorientierte Sichtweise, wodurch in einem<br />

vergleichsweise kurzen Zeitraum Erfolge in der Familie erreicht werden können. Der Ansatz lässt<br />

sich in verschiedenen Beratungsfeldern anwenden. Innerhalb einer einjährigen berufsbegleitenden<br />

Weiterbildung können sich Hebammen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Psychotherapeuten,<br />

Pädagogen, Sozialpädagogen, Kinderärzte, Kinderkrankenschwestern und -pfleger sowie Erzieher<br />

zu Entwicklungspsychologischen Beratern weiterbilden lassen (vgl. Universitätsklinikum Ulm,<br />

URL 1, 2013).<br />

Die Berater müssen nicht nur über umfassende Beratungskompetenzen verfügen, sondern auch ein<br />

besonders ausgeprägtes Wissen im Bereich der Entwicklungspsychologie haben. Um Zusammenhange<br />

zwischen kindlichen und elterlichen Verhaltensweisen, entwicklungspsychologischen Hintergründen<br />

müssen sie über besonders gute reflexive und analytische Fähigkeiten verfügen und gleichzeitig<br />

in der Lage sein, eine Vertrauensbasis zwischen ihnen und den Eltern zu schaffen.<br />

Wie bereits dargestellt, eignet sich der Ansatz für Familien in den unterschiedlichsten Lebenslagen,<br />

weshalb die EPB einen besonders geeigneten Ansatz im System der Frühen Hilfen darstellt. Es ist jedoch<br />

zu beachten, dass es sich um einen sekundär präventiven Ansatz handelt. Es ist somit ein gewisser<br />

Vorlauf notwendig, damit sich Eltern mit ihren Säuglingen und Kleinkindern für eine entwicklungspsychologische<br />

Beratung entscheiden. Häufig erhalten sie Empfehlungen durch beispielsweise<br />

einen Kinderarzt, ihre Hebamme oder von Schwangerschaftsberatungsstellen. In Fällen, in denen<br />

Begleitung oder Beratung in Form von primär präventiven Angeboten nicht mehr ausreicht, kann ein<br />

Entwicklungspsychologischer Beratungsprozess helfen.<br />

Natürlich ergeben sich auch Grenzen, besonders in Bezug auf die Psychotherapie, für diesen Beratungsansatz.<br />

Papoušek nennt Indikatoren für eine Eltern-Säuglings/Kleinkind-Psychotherapie, die<br />

auch gleichzeitig die Grenzen für die EPB aufzeigen. Eine Psychotherapie erscheint dann sinnvoll und<br />

notwendig, wenn<br />

<br />

<br />

trotz der Entwicklungspsychologischen Beratung keine wesentliche Verbesserung der Symptomatik<br />

erkennbar ist,<br />

die kindliche Störung lange andauert (mehr als drei Monate),<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

49 | Seite


die kindliche Störung mehr als nur einen Interaktions- und/oder Regulationsbereich umfasst sowie<br />

mit maladaptiven Interaktionsmustern (ursprünglich eine schützende Strategie, die nun aber<br />

eher schadet) oder sogar mit Vernachlässigung-/Misshandlungsgefahr einher geht,<br />

die Wahrnehmung und Interpretation kindlichen Verhaltens durch die Fürsorgepersonen (z.B.<br />

aufgrund einer postnatalen Depression, Drogenabhängigkeit, neurotischer oder sonstiger psychischer<br />

Störungen) deutlich beeinträchtigt/verzerrt sind und/oder die elterlichen Kompetenzen<br />

maßgebend beeinträchtigt sind.<br />

In Fällen, in denen eine psychische Störung der Eltern zusätzlich zu der kindlichen vorliegt, ist eine<br />

zusätzliche Einzel-/Paartherapie in Betracht zu ziehen (vgl. Cierpka 2012, S. 403).<br />

Juliane Kirsch | Möglichkeiten der Beratung im Netzwerk Früher Hilfen<br />

50 | Seite


4 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK<br />

Die Tatsache, dass Frühe Hilfen kein bestimmter Hilfetyp sind, sondern ein Netzwerk, bestehend aus<br />

unterschiedlichen Einrichtungen, Institutionen und Helfern, eröffnet ein breites Spektrum an Unterstützungsmöglichkeiten.<br />

Familien in allen denkbaren Lebensformen können auf vielfältige Art und<br />

Weise erreicht und unterstützt werden. Die Pluralität der familiären Lebenslagen und Unterstützungsmöglichkeiten<br />

konnte im ersten Kapitel dieser Arbeit dargestellt werden. Es zeigte sich auch,<br />

dass eine umfangreiche Kooperation der Beteiligten untereinander eine unabdingbare Grundvoraussetzung<br />

für das Gelingen einzelner Hilfeprozesse darstellt. Nur wenn die einzelnen Teilnehmer des<br />

Netzwerkes Früher Hilfen, ihrer Möglichkeiten und Grenzen, sowie die ihrer Kooperationspartner<br />

kennen, kann Familien nachhaltig geholfen und das gesunde Heranwachsen von Kindern ermöglicht<br />

werden.<br />

Wichtige Aussagen konnten zudem über die Wirkungsweise von Hilfeprozessen gemacht werden. Die<br />

Darstellung von Notwendigkeit und Effizienz Früher Hilfen stellte zugleich die Bedeutung dieser dar<br />

und trug zu einem realistischen Verständnis bei, was eigentlich für die Familien und die Gesellschaft<br />

durch Hilfeprozesse, besonders im primär-präventiven Bereich, erreicht werden kann. Gleichzeitig<br />

konnte die Bedeutung des Kinderschutzes im Netzwerk Früher Hilfen dargestellt werden. Nach Abschluss<br />

des ersten Kapitels war eine Verständnisgrundlage für die gesamte weitere Vorgehensweise<br />

geschaffen. Gleichzeitig stellte sich aber auch die Frage, wie die Helfer im Netzwerk Früher Hilfen mit<br />

den zahlreichen Möglichkeiten, Unterstützungsbedarfen und Anforderungen umgehen sollen.<br />

Beratungsprozesse sollen als Hilfe- und Unterstützungsangebote Menschen in unterschiedlichsten<br />

Konflikt- und Lebenslagen dienlich sein. Daher stellt Beratung auch eine angemessene Möglichkeit<br />

dar, mit jungen Familien im Netzwerk Früher Hilfen umzugehen und adäquat auf ihre Unterstützungsbedürfnisse<br />

zu reagieren. Die zentrale Frage dieser Arbeit, welche Möglichkeiten und Grenzen<br />

sich für und durch die Beratung im Netzwerk Früher Hilfen ergeben und wie Beratungsprozesse gestaltet<br />

werden können, machte es notwendig, die Grundlagen von Beratung darzustellen und erste<br />

Schnittstellen zu den Frühen Hilfen zu kennzeichnen. Dabei wurde deutlich, dass Beratung in seiner<br />

Begrifflichkeit nicht leicht zu erfassen ist. Der Versuch einer strikten Definition zeigte, dass Beratung<br />

je nach Arbeitsfeld und gewähltem Ansatz unterschiedlich aufgefasst und verstanden werden kann.<br />

Dennoch bleibt der Kern, welcher professionelle Beratung von alltäglichen Gesprächen mit Ratschlägen<br />

unter Freunden oder Bekannten abgrenzt, gleich. Professionelle, psychosoziale Beratung stellt<br />

eine planvolle und fachlich fundierte Vorgehensweise, im Sinne einer Intervention dar. Wie genau<br />

diese Vorgehensweise aussieht, hängt dabei vom gewählten Ansatz, der individuellen Problemlage<br />

des Klienten sowie den persönlichen und fachlichen Kompetenzen des Beraters ab.<br />

Juliane Kirsch | Zusammenfassung und Ausblick<br />

51 | Seite


Um Beratung in seiner Begrifflichkeit und besonders für den Bereich der Frühen Hilfen fassbarer zu<br />

machen, wurde geprüft was Beratung eigentlich ist. Dabei stellte sich heraus, dass Beratung, je nach<br />

Blickwinkel, sowohl eine Methode, ein Arbeitsfeld als auch eine Grundfunktion darstellen kann.<br />

Durch die Darstellung der einzelnen Kompetenzen, die ein Berater verinnerlicht haben muss, um professionell<br />

beratend tätig zu sein, wurde verdeutlicht wie Beratung zu einer planvollen Intervention<br />

werden kann und gleichzeitig einsetzbar in ganz unterschiedlichen professionellen Setting wird. Eine<br />

erste Schnittstelle zum Bereich Früher Hilfen stellte sich dar und wurde durch die Abgrenzung von<br />

Beratung zu anderen Hilfeformen konkretisiert. Besonders die Erläuterung des dreiteiligen Versorgungskonzeptes<br />

der GAIMH machte die zentrale Position von Beratung im System Früher Hilfen deutlich.<br />

Ihre Grenzen und Möglichkeiten wurden angedeutet.<br />

Um diese Erkenntnisse noch klarer werden zu lassen, wurden im dritten und abschließenden Kapitel<br />

die Beratungsmöglichkeiten und –grenzen im Netzwerk Früher Hilfen anhand von drei Unterstützungsangeboten<br />

dargestellt. Der dreiteilige Aufbau resultierte einerseits aus dem Versorgungskonzept<br />

der GAIMH und andererseits daraus, Möglichkeiten für die gesamte Zielgruppe der Null- bis Dreijährigen<br />

in den Frühen Hilfen darzustellen:<br />

Erstens die Schwangerschaftsberatungsstellen – sie stellen ein wichtiges Arbeitsfeld in den<br />

Frühen Hilfen dar, weil sie besonders frühzeitig, nämlich schon mit Beginn der Schwangerschaft,<br />

den werdenden Eltern Unterstützungsmöglichkeiten anbieten. Die Schwangerschaftsberatung<br />

ist ein durch seine besondere Vertraulichkeit gekennzeichnetes Beratungsfeld und<br />

erfordert unterschiedlichste Kompetenzen des Beraters zur Bearbeitung der vielzeitigen psychosozialen<br />

Problemlagen von werdenden Eltern und schwangeren Frauen. Die Tatsache,<br />

dass die werdenden Familien die Angebote freiwillig und selbstbestimmt in Anspruch nehmen,<br />

lässt der Schwangerschaftsberatung eine besondere Bedeutung zukommen.<br />

Zweitens die (Familien-)Hebammen – ihre Arbeitsweise hebt die Bedeutung des Gesundheitssystems<br />

im Netzwerk Früher Hilfen hervor, was einen universellen Zugang zu Familien ermöglicht.<br />

Zudem konnte dargestellt werden, wie begleitende und beratende Anteile in einem Hilfeprozess<br />

in einander übergehen können und welche Bedeutung trotzdem die Beratung dabei<br />

hat. Eine zentrale Erkenntnis war, dass in der Beratung von jungen Eltern die Anteile der Sachund<br />

Fachberatung, im Sinne von Wissensvermittlung und Aufklärung, von essentieller Bedeutung<br />

sind. Besonders hervorgehoben und analysiert wurden die Beratungskompetenzen als<br />

unabdingbare Grundvoraussetzung für alle Helfer, die jungen Familien mit „Rat und Tat“ zur<br />

Seite stehen wollen.<br />

Drittens die Entwicklungspsychologische Beratung – dieser Ansatz wurde ausgewählt, um zu<br />

verdeutlichen wie sich ein Beratungsprozess in den Frühen Hilfen gestalten kann. Es wurde<br />

deutlich erkennbar, wie nah die Wissensvermittlung mit der Lösung von Problemen bei ei-<br />

Juliane Kirsch | Zusammenfassung und Ausblick<br />

52 | Seite


nander liegt. Indem die Eltern Informationen über frühkindliche Verhaltensweise erhalten,<br />

sind sie in der Lage ihr Kind besser einzuschätzen und Verständnis im Umgang mit ihm zu<br />

entwickeln. Daraus resultiert, dass sie angemessener in alltäglichen oder auch schwierigen Situationen<br />

reagieren können, was wiederum der kindlichen Bedürfnisbefriedigung und somit<br />

seiner Entwicklung zu Gute kommt. Gleichzeitig konnten Grenzen der Beratung zur Psychotherapie<br />

und seine ergänzende Bedeutung hierfür dargestellt werden.<br />

Es lässt sich festhalten, dass die primäre Prävention der Frühen Hilfen unterschiedliche Beratungskompetenzen<br />

erfordert. Die Sach- und Fachkompetenzen spielen dabei eine besonders große Rolle,<br />

da junge Eltern sich nicht selten nach Ratschlägen sehnen und offen für Expertenmeinungen sind.<br />

Jedoch spielen auch die beraterischen Beziehungskompetenzen eine Rolle, besonders wenn es darum<br />

geht, einen Hilfeprozess einzuleiten, zu gestalten oder aufrecht zu erhalten. Die Eltern von Säuglingen<br />

und Kleinkindern nehmen im universell präventiven Bereich freiwillig und aus eigener Motivation<br />

heraus bzw. nach entsprechender Empfehlung ein Unterstützungsangebot an. Ihre Motivation kann<br />

sich dabei aus unterschiedlichen Gründen entwickeln – sei es der Wunsch des Austausches mit anderen<br />

Eltern in Kursen oder Gruppen, der Druck, der sich aus einem bestimmten Problem heraus ergibt<br />

oder Unsicherheiten in Hinblick auf ihr Kind, verbunden mit dem Wunsch gute Eltern sein zu wollen.<br />

Wie bereits erwähnt können die Beratungskompetenzen als Grundkompetenzen vorhanden und notwendig<br />

sein oder sich aus dem Arbeitsfeld selbst ergeben. Dabei können die Berater aus nahezu allen<br />

für die Frühen Hilfen relevanten Berufsgruppen stammen. Sobald es um die Bearbeitung eines Problems<br />

geht, reichen die anfangs angesprochenen Sach- und Fach- sowie Beziehungskompetenzen nicht<br />

mehr aus. Der Berater muss auch über diagnostisch-analytische, reflexive sowie Interventions- und<br />

Methodenkompetenzen verfügen, um die Lösung eines Problems angehen zu können und den Eltern<br />

angemessen zu helfen sowie ihre Handlungskompetenzen zu stärken. Zudem muss er, wenn es notwendig<br />

ist oder der Hilfebedarf seine eigenen Kompetenzen oder die Rahmbedingungen seiner Berufsgruppe<br />

bzw. Arbeitsfeldes übersteigt, Kenntnisse über die Angebote von Netzwerkpartnern haben,<br />

zu denen er ggf. die Familien weitervermitteln kann. Beratungsansätze sind in allen der genannten<br />

Bereiche eine Möglichkeit, um für spezifische Zielgruppen angemessene Unterstützungs- und<br />

Hilfsangebote realisieren zu können. Am Beispiel der EPB zeigte sich sehr gut, wie die alltagspraktische<br />

und lösungsorientierte Vorgehensweise, Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern in schwierigen<br />

Situationen behilflich sein kann.<br />

Die Bedeutung der Beratung wird sichtbar, wenn man sie im Kontext mit Begleitung und Psychotherapie<br />

sieht. Begleitung ist vorrangig im primär-präventiven Bereich der Frühen Hilfen zu finden und<br />

dient der Alltagsbewältigung, dabei muss kein spezifisches Problem vorliegen. Hat die Familie einen<br />

erhöhten Unterstützungsbedarf und liegt ein konkretes Problem vor, reicht Begleitung häufig nicht<br />

mehr aus, welche dann durch Beratung ergänzt oder in diese übergehen muss. Gleichzeitig ist zu beachten,<br />

dass auch Begleitung beraterische und umgekehrt Beratung begleitende Anteile hat. Beide<br />

Juliane Kirsch | Zusammenfassung und Ausblick<br />

53 | Seite


kennzeichnen den primär- und teils sekundär-präventiven Bereich der Frühen Hilfen. Je spezifischer<br />

die Problemlage jedoch wird, desto größer wird auch der Anteil der Beratung im Prozess der Unterstützung.<br />

Betrachtet man Beratung zusammen mit Psychotherapie innerhalb der Frühen Hilfen, wird<br />

deutlich, dass hier ein ähnlicher Übergang erkennbar ist. Reicht Beratung nicht mehr aus, weil sich bei<br />

einem Individuum der Familie ein Störungsbild manifestiert hat, sollte eine weiterführende Hilfe in<br />

Form einer Psychotherapie in Betracht gezogen werden. Beratung nimmt hier eine wichtige ergänzende<br />

Funktion ein. In der Psychotherapie können nämlich ausschließlich Störungsbilder nach ICD<br />

behandelt werden. Hilfe bei Entscheidungskonflikte oder psychosozialen Problemlagen gehören jedoch<br />

nicht zu den Aufgaben eines Psychotherapeuten. Daher macht die ergänzende Unterstützung in<br />

Form von Beratung Sinn.<br />

Schlussfolgernd ergeben sich Möglichkeiten für Beratung sowohl zwischen Begleitung und Therapie<br />

als auch in den Übergängen dorthin, welche gleichzeitig Grenzen für die Beratung darstellen. Kann<br />

mit Hilfe von Begleitung, Beratung oder Psychotherapie das Kindswohl nicht gesichert werden, können<br />

weiterführende Maßnahmen wie Inobhutnahmen oder nach familiengerichtlicher Entscheidung<br />

der Sorgerechtsentzug mit einhergehender Fremdunterbringung angeordnet und durchgeführt werden.<br />

Grenzen, die sich hier ergeben, bestehen also immer in Hinblick auf den Auftrag des Schutzes<br />

des Kindeswohls. Für die Zukunft bleibt die Frage offen, wie nachhaltig die Hilfe und Unterstützung in<br />

Form von Beratungsprozessen im primär-präventiven Bereich ist. Da die Frühen Hilfen in ihrer expliziten<br />

Form noch ein relativ junger Bereich sind, basieren auf Forschungsergebnisse letzten 2-5 Jahre.<br />

Um tiefgründige Aspekte der Nachhaltigkeit von Frühen Hilfen zu erlangen, ist es notwendig, dass<br />

zukünftig Langzeitstudien durchgeführt werden. Gleichzeitig konnte aufgezeigt werden, dass der Einbezug<br />

spezifischer Zielgruppen, wenn Frühe Hilfen auch vorrangig universelle Angebote sind, noch<br />

vorangetrieben werden muss. Zu nennen ist beispielsweise die Unterstützung von Vätern, welche nur<br />

kurz in dieser Arbeit angesprochen werden konnte.<br />

Abschließend möchte ich festhalten, dass für mich die Erkenntnisse dieser Arbeit sehr interessant und<br />

aufschlussreich waren. Da ich den frühkindlichen Bereich als einen Schwerpunkt im Master-Studium<br />

favorisierte, ich viel über Entwicklungspsychologie und Bindungstheorien erfahren konnte und auch<br />

praktische Erfahrungen im Kontakt mit Eltern von Säuglingen und Kleinkindern sammelte, war für<br />

mich klar, dass ich ein entsprechendes Thema für die Master-Thesis wählen wollte. Durch die intensive<br />

Auseinandersetzung mit Beratung in einem anwendungsbezogenen Feld, konnte ich noch einmal<br />

zentrale Erkenntnisse des gesamten Studiums zusammenfassen. Einerseits wurde mir deutlich, was<br />

Beratung eigentlich ist, wie ich sie verstehe, aber auch wie ich sie in meiner beruflichen Zukunft nutzen<br />

kann. Andererseits erhielt ich nochmal einen ganz anderen Blick, vor allem mit einer anderen<br />

Qualität, auf die Arbeitsweise und Gespräche mit jungen Eltern. Mein beruflicher Einstieg wird in<br />

einem Arbeitsfeld mit sehr viel Kontakt zu Kleinkindern und jungen Eltern sein – daher werde ich<br />

sicher viele Erkenntnisse dieser Arbeit in der nahen Zukunft nutzen können.<br />

Juliane Kirsch | Zusammenfassung und Ausblick<br />

54 | Seite


5 LITERATURVERZEICHNIS<br />

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http://www.gaimh.de/files/downloads/0b92d5af6d2346b034e6ac1e1c32789f/Standards_d.pdf<br />

[Stand: 21.07.2013]<br />

Galuske, Michael. Methoden der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Juventa-Verlag. Weinheim. 7. Auflage<br />

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Lengning, Anke/ Zimmermann, Peter. Materialen zu den Frühen Hilfen 1. Expertise. Interventions- und<br />

Präventionsmaßnahmen im Bereich Früher Hilfen. Internationaler Forschungsstand, Evaluationsstandarts<br />

und Empfehlungen für die Umsetzung in Deutschland. Nationales Zentrum Früher Hilfen. Köln<br />

2012<br />

Lindeverlag. Was ist Fachberatung?. URL: http://www.lindeverlag.de/titel-2-<br />

2/das_beratungsgespraech-4730/titel/leseprobe/9783709303764.pdf [Stand: 01.08.2013]<br />

Maihorn, Christine/ Nowotny, Elke. Frühe Hilfen und Kinderschutz. Seite 30-37. In: Deutsche Liga für<br />

das Kind: Frühe Kindheit. Die ersten sechs Jahre. Frühe Hilfen. Gesundes Aufwachsen ermöglichen.<br />

Berlin 2012 (Sonderausgabe)<br />

Mattern, Elke/ Lange, Ute. Die Rolle der Familienhebammen im System der Frühen Hilfen. Seite 66-75.<br />

In: Deutsche Liga für das Kind: Frühe Kindheit. Die ersten sechs Jahre. Frühe Hilfen. Gesundes Aufwachsen<br />

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Meier-Gräwe, Uta/ Wagenknecht, Inga. Frühe Hilfen sind eine Zukunftsinvestition. Seite 24-29. In:<br />

Deutsche Liga für das Kind: Frühe Kindheit. Die ersten sechs Jahre. Frühe Hilfen. Gesundes Aufwachsen<br />

ermöglichen. Berlin 2012 (Sonderausgabe)<br />

Meier-Gräwe, Uta/ Wagenknecht, Inga. Materialien zu den Frühen Hilfen. Expertise. Kosten und Nutzen<br />

Früher Hilfen. Eine Kosten-Nutzen-Analyse im Projekt „Guter Start ins Kinderleben“. Nationales<br />

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Paul, Mechthild. Was sind Frühe Hilfen?. Seite 6-7. In: Deutsche Liga für das Kind: Frühe Kindheit. Die<br />

ersten sechs Jahre. Frühe Hilfen. Gesundes Aufwachsen ermöglichen. Berlin 2012 (Sonderausgabe)<br />

Renner, Ilona/ Heimeshoff, Viola. Modellprojekte in den Ländern. Zusammenfassende Ergebnisdarstellung.<br />

Nationales Zentrum Frühe Hilfen. Köln 2010<br />

Juliane Kirsch | Literaturverzeichnis<br />

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Stuttgart. 4. Auflage 2010<br />

St. Marienhospital Vechta. Fortbildungen für Hebammen. URL: http://www.xn--qualittimwochenbettlwb.de/pdf/Kursangebote/SSKHebKursangebote_2010.pdf<br />

[Stand: 02.08.2013]<br />

Thyen, Ute. Der Beitrag Früher Hilfen zu früher Förderung und Bildung von Kindern. Seite 16-23. In:<br />

Deutsche Liga für das Kind: Frühe Kindheit. Die ersten sechs Jahre. Frühe Hilfen. Gesundes Aufwachsen<br />

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http://www.entwicklungspsychologische-beratung.de/index.php?site=epb [Stand: 14.08.2013]<br />

Universitätsklinikum Ulm. Weiterführende Informationen zur EPB. URL 2:<br />

http://www.entwicklungspsychologische-beratung.de/index.php?site=informationen [Stand:<br />

15.08.2013]<br />

Warschburger, Petra. Beratungspsychologie. Springer Medizin Verlag. Heidelberg 2009<br />

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lisierung.pdf [Stand: 30.07.2013]<br />

Juliane Kirsch | Literaturverzeichnis<br />

57 | Seite


6 EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG<br />

Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe selbstständig verfasst und nur die<br />

angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Wörtlich oder dem Sinn nach aus anderen Werken entnommen<br />

Stellen sind unter Angabe der Quelle kenntlich gemacht.<br />

Juliane Kirsch Stuttgart, 22.08.2013<br />

Juliane Kirsch | Eidesstattliche Erklärung<br />

58 | Seite


7 ANHANG – ABBILDUNGEN<br />

Abbildung 1 – Risiko- und Schutzfaktoren zur Einschätzung von Kindeswohlgefährdung<br />

Individuelle (Kind)<br />

Individuelle (Eltern)<br />

Risikofaktoren<br />

- Alter (hohe Vulnerabilität in den ersten drei Lebensjahren)<br />

- Geschlecht (höhere Wahrscheinlichkeit des innerfamiliären<br />

Missbrauchs bei Mädchen)<br />

- Entwicklungsstand und Gesundheit (Geburtenrisiken,<br />

Entwicklungsrückstände, Frühgeburten und Behinderungen) mit<br />

damit verbundenen erhöhten Erziehungsanforderungen<br />

- Regulations- und Verhaltensstörungen<br />

- schwieriges Temperament<br />

- psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen, Substanzmissbrauch)<br />

- körperliche Erkrankungen (verbunden mit<br />

Erschöpfungserscheinungen)<br />

- Lebensgeschichte (vor allem Missbrauch, Vernachlässigungen und<br />

Misshandlungen in eigener Kindheit)<br />

- Persönlichkeitsfaktoren (ausgeprägte, negative Emotionalität;<br />

hohe Impulsivität; Neigung, Probleme vermeidend zu bewältigen;<br />

geringe Planungsfähigkeit<br />

- Gedanken und Gefühle zu Führsorge und Erziehung<br />

(altersunangemessene Erwartungen in Bezug auf Fähigkeiten und<br />

Selbstständigkeit des Kindes, starke Gefühle der Hilfslosigkeit,<br />

feindselige Erklärungsmuster für Verhaltensweisen des Kindes,<br />

Bevorzugung strenger Bestrafungsformen, Unterschätzung negative<br />

Auswirkung kindeswohlgefährdender Verhaltensweisen,<br />

eingeschränkte Fähigkeit/Bereitschaft eigene Bedürfnisse zugunsten<br />

kindlicher zurückzustellen<br />

- Beeinträchtigungen in der Beziehungsfähigkeit im Umgang mit dem<br />

Kind<br />

Schutzfaktoren<br />

- freundliches, interaktives Temperament<br />

- körperliche Gesundheit<br />

- normal kognitive und sozial-emotionale Entwicklung<br />

- Freude am Lernen<br />

- stabile elterliche Beziehung<br />

- positives Familienklima<br />

- Erziehungskompetenzen (besonders ein autoritativer<br />

Erziehungsstil)<br />

Familiäre<br />

Situationsbedingte<br />

Soziale<br />

- Familienstruktur und sozioökonomische Situationen (Armut,<br />

Trennungen/Scheidungen)<br />

- Stressbelastungen und fehlende Unterstützung<br />

- Partnerschaftskonflikte (in Verbindung mit Partnerschaftsgewalt)<br />

- angespannte Arbeitssituationen und Arbeitslosigkeit<br />

- psychologische Merkmale im Familiensystem (eingeschränkte<br />

Selbstorganisation, wenig offener Umgang mit Gefühlen, unklare<br />

Grenzen zwischen Eltern und Kindern)<br />

- subjektiv erlebte oder objektiv vorhandene Barrieren im<br />

Hilfesystem<br />

- kindliche Verhaltensweisen (anhaltendes Weinen,<br />

Nahrungsverweigerung)<br />

- Autoritäts- oder Autonomiekonflikte<br />

- Defizite in der elterlichen Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />

- Alkohol und andere Suchtmittel<br />

- Armut und soziale Benachteiligung in einigen<br />

Bevölkerungsschichten (Migranten, kinderreiche Großfamilien,<br />

Alleinerziehende, Arbeitslose)<br />

- religiös geprägte Erziehungs- und Sozialisationspraktiken (z.B.<br />

Zwangsheirat, Verweigerung notwendiger medizinischer<br />

Behandlungen)<br />

- Zugehörigkeit zu einer Sekte, die eine Vernachlässigung durch eine<br />

Laissez-faire-Haltung oder Kindeswohlgefährdung durch einen<br />

autoritären Erziehungsstil mit Züchtigungsmaßnahmen und<br />

absolutem Gehorsam verlangt<br />

- ausgeprägtes soziales Netzwerk mit positiv<br />

wahrgenommenen (außer)familiären<br />

Unterstützungsmöglichkeiten<br />

- Unterstützung durch Ausbildungs-/Arbeitsstätte der<br />

Eltern und/oder Tagespflege/Krippe des Kindes<br />

- Inanspruchnahme und positiven Erfahrungen mit<br />

Beratungsangeboten<br />

Quelle:<br />

Abbildung modifiziert nach Thyen, Ute. Der Beitrag Früher Hilfen zu früher Förderung und Bildung von Kindern. In: Deutsche Liga<br />

für das Kind: Frühe Kindheit. Die ersten sechs Jahre. Frühe Hilfen. Gesundes Aufwachsen ermöglichen. Berlin 2012 (Sonderausgabe),<br />

S. 16<br />

In Verbindung mit Lengning, Anke/ Zimmermann, Peter. Materialen zu den Frühen Hilfen 1. Expertise. Interventions- und Präventionsmaßnahmen<br />

im Bereich Früher Hilfen. Internationaler Forschungsstand, Evaluationsstandarts und Empfehlungen für die<br />

Umsetzung in Deutschland. Nationales Zentrum Früher Hilfen. Köln 2012, S. 14ff<br />

Juliane Kirsch | Anhang<br />

I | Seite


Abbildung 2 – Unterscheidungskriterien von Beratung und Psychotherapie<br />

Gegenüberstellung von Beratung und Psychotherapie<br />

Merkmal Beratung Psychotherapie<br />

Beteiligte<br />

Anlass<br />

Inanspruchnehmende<br />

Methodenrepertoire<br />

Ziel/Aufgabe<br />

Regelungen zur<br />

Zusammenarbeit<br />

Berater (i.R. psychosozialer Profession) mit einem oder<br />

einer Gruppe von Klienten oder Ratsuchenden<br />

Vielfalt von Beratungsanlässen wie<br />

- »normative« Entwicklungsprobleme<br />

- Probleme im alltäglichen Lebensvollzug<br />

- Entscheidungsanforderungen (z.B. neue Arbeitsstelle;<br />

Verlust der Arbeitsstelle; Krankheit, etc.)<br />

- eher: akuter Charakter Ausschluss: Störung mit<br />

Krankheitswert (-> Therapie)<br />

- man geht von einer generellen Handlungsfähigkeit der<br />

Klienten/Ratsuchenden aus<br />

- supportiver Charakter betont: zeitweilige<br />

Unterstützung in einer Problemsituation<br />

- starke Betonung von Autonomie und Freiwilligkeit der<br />

Inanspruchnahme (Ausnahmen möglich: z.B.<br />

Schwangerschaftskonfliktberatung)<br />

- je nach theoretischer Ausbildung unterschiedliche<br />

Herangehensweise zur Beseitigung des Problems<br />

- diagnostische Kompetenzen<br />

- interventive Kompetenzen (hier steht der informative<br />

Aspekt im Vergleich zur Psychotherapie stärker im<br />

Vordergrund)<br />

- evaluative Kompetenzen<br />

- Strategien haben eher anregenden, unterstützenden<br />

Charakter<br />

- entwicklungsorientierter Charakter<br />

- Stärkung des Selbsthilferepertoires (unterstützender<br />

Charakter)<br />

- Aktivierung von Ressourcen<br />

Je nach Beratungsanlass sehr unterschiedlich:<br />

- Beheben eines Informationsdefizits<br />

- Orientierungshilf geben<br />

- Unterstützung bei Entscheidungsfindung<br />

- Bewältigungskompetenzen/Problemlösefertigkeiten<br />

steigern<br />

- Veränderung der sozialen Bedingungen<br />

- Prävention des Auftretens psychosozialer Hindernisse<br />

im Entwicklungsverlauf<br />

- Anstoßcharakter: Weitervermittlung zu anderen<br />

Interventionsangeboten/<br />

Dienstleistungsangeboten<br />

oftmals informelle Beratungsverträge<br />

Psychotherapeut mit einem oder einer Gruppe von Klienten<br />

oder Patienten<br />

- Störung mit Krankheitswert<br />

- Leidensdruck<br />

- Chronische Probleme<br />

Person mit Störungsbild steht im Vordergrund der<br />

Betrachtung<br />

- Handlungsfähigkeit kann beim Klienten/Patienten<br />

eingeschränkt sein<br />

- Autonomie kann eingeschränkt sein<br />

- freiwilliger Charakter für den Erfolg von Therapie betont;<br />

dennoch auch bei Selbst- und Fremdgefährdung ohne<br />

Zustimmung des Patienten<br />

- je nach theoretischer Ausbildung unterschiedliche<br />

Herangehensweisen zur Linderung der Symptomatik<br />

- diagnostische Kompetenzen<br />

- interventive Kompetenzen<br />

- evaluative Kompetenzen<br />

Strategien sollen konkret zum Abbau unangemessenen und<br />

Aufbau angemessenen Verhaltens beitragen<br />

- Linderung/Heilung der psychischen Störung (kurativer<br />

Charakter<br />

- Prävention von sekundären Folgeerscheinungen<br />

- Unmittelbare Veränderungen der Lebenssituation nicht<br />

angestrebt<br />

- Persönlichkeits- und Verhaltensänderung<br />

i.d.R. formaler Behandlungsvertrag<br />

Juliane Kirsch | Anhang<br />

II | Seite


Fortsetzung: Gegenüberstellung von Beratung und Psychotherapie<br />

Merkmal Beratung Psychotherapie<br />

Einsatzbereich<br />

Fokus<br />

Dauer und Intensität<br />

Zusammenarbeit mit<br />

anderen Berufsgruppen<br />

Institutionalisierung<br />

Interaktionsformen<br />

Historische Wurzeln<br />

- keine eindeutige Fokussierung nur auf den<br />

interventiven Bereich<br />

- zahlreiche präventive Angebote (indizierte sowie<br />

universelle Prävention)<br />

Starke Betonung von:<br />

- Ressourcenorientierung (personale wie soziale<br />

Ressourcen)<br />

- Entwicklungsorientierung<br />

- sozialer. Lebensweltlicher Bezug/unmittelbarer<br />

Alltagsbezug<br />

- i.d.R. eher kurzfristig (5-10 Sitzungen)<br />

- »lockerer« Rhythmus je nach Problemlage und<br />

Unterstützungsbedarf<br />

- Interdisziplinarität explizit gefordert<br />

- in institutionalisierten Beratungseinrichtungen in Form<br />

von interdisziplinären Teams realisiert<br />

- staatliche Einrichtungen (wie z.B. Erziehungs-, Sucht-,<br />

Schwangeren-, Arbeitslosenberatungsstellen<br />

Vielfalt von Interaktionsformen:<br />

- face-to-face Kontakte<br />

- technologie-basierte Beratung (Telefonberatung;<br />

Online-Beratung)<br />

- Informationsmaterial<br />

Beratung und Psychotherapie teilen sich gemeinsame<br />

Wurzeln<br />

- Linderung/Behebung von Störung im Vordergrund<br />

- präventiver Charakter tritt in den Hintergrund<br />

Starke Betonung/Zentrierung auf Person mit Störung sowie<br />

deren unmittelbares soziales Umfeld<br />

- i.d.R. längerfristig (25 Sitzungen und mehr; je nach<br />

therapeutischer Orientierung)<br />

- höhere zeitliche Verdichtung; regelmäßige Treffen in<br />

zeitlich engen Abständen<br />

- nicht unbedingt notwendig<br />

- Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen erfolgt(u-a-<br />

Diagnostik)<br />

- privaten Praxen<br />

- universitäre Ambulanzen<br />

- Krankenhäuser<br />

- Rehabilitationseinrichtungen<br />

- i.d.R. auf face-to-face Kontakte mit einer oder mehreren<br />

Personen begrenzt<br />

- Enge Verzahnung mit der Entwicklung in der Medizin<br />

Wurzeln aus:<br />

- Psychotherapie<br />

- Erziehung<br />

- ehrenamtliche Tätigkeiten<br />

- psychosozialen Berufsfeldern (wie Pädagogik)<br />

Finanzierung - kostenfreie, institutionalisierte Beratungsangebote (-><br />

Recht auf Beratung in Bestimmten Bereichen;<br />

staatliche Finanzierung)<br />

- kostenpflichtige, private Angebote<br />

Zugangswege für<br />

Inanspruchnehmende<br />

Zugangswege für<br />

Professionelle<br />

- in vielen Bereichen (z.B. Schulen; Beratungsstellen)<br />

Angebote vor Ort verfügbar; kein spezielles Antragsund<br />

Bewilligungsverfahren<br />

- kostenpflichtige und -freie anonyme und sehr<br />

kurzfristig verfügbare Angebote (z.B. Internetforen;<br />

Telefonhotlines)<br />

- niedrigschwelliges Angebot<br />

- zahlreiche Ausbildungsinstitute, die beispielsweise in<br />

verschiedenen Beratungsformen wie z.B: Coaching<br />

oder lösungsorientierte Beratung ausbilden; keine<br />

offizielle Anerkennung<br />

- oftmals: eklektizistische Orientierung<br />

- Ausbildung in Verfahren humanistischer Orientierung<br />

(Gesprächspsychotherapie; systemische Beratung)<br />

häufig anzutreffen<br />

- i.d.R. Kostenübernahme durch (gesetzliche bzw. private)<br />

Krankenkassen<br />

- selten: Selbstzahler<br />

- Psychotherapeut stellt nach Eingangsdiagnostik Antrag auf<br />

Kostenübernahme<br />

- »hochschwelliges« Angebot<br />

- Ausbildung an einem anerkannten Ausbildungsinstitut<br />

(nach definierten Curricula, s. Approbationsordnung) zu,<br />

Erwerb der Approbation (= Zulassung) auf der Basis eines<br />

anerkannten Richtlinienverfahrens (<br />

verhaltenstherapeutische; tiefenpsychologisch)<br />

Juliane Kirsch | Anhang<br />

III | Seite


Fortsetzung: Gegenüberstellung von Beratung und Psychotherapie<br />

Merkmal Beratung Psychotherapie<br />

Rechtliche Aspekte - kein staatlich geschützter Titel - staatlich geschützte Titel: Psychologischer<br />

Psychotherapeut sowie Kinder- und<br />

Jugendlichenpsychotherapeut<br />

Zuordnung zu<br />

Anwendungsfeldern in der<br />

Psychologie<br />

- Klinische Psychologie<br />

- Gesundheitspsychologie<br />

- Rehabilitationspsychologie/ Medizinische Psychologie<br />

- Arbeits- und Organisationspsychologie<br />

- Pädagogische Psychologie<br />

- neuere, sich gerade etablierende Felder wie bspw.<br />

Medien- oder Sportpsychologie<br />

- Klinische Psychologie<br />

Verortung in<br />

Berufsfeldern /<br />

Berufsprofil<br />

- keine Begrenzung; »Beratung« findet in allen<br />

Berufsgruppen statt; psychosoziale Beratung in allen<br />

Berufsgruppen, die sich mit den psychosozialen<br />

Problemlagen von Menschen befassen; wie z.B.<br />

Psychologie, Medizin, Sozialarbeit, Sozialpädagogik,<br />

Seelsorge, etc.<br />

Sehr eng begrenzt und vom Gesetz klar geregelt; im<br />

Wesentlichen:<br />

- Psychologie<br />

- Medizin<br />

- Pädagogik<br />

- Sozialpädagogik<br />

Quelle: Abbildung modifiziert nach Warschburger, Petra. Beratungspsychologie. Springer Medizin Verlag. Heidelberg 2009, S. 24ff<br />

Juliane Kirsch | Anhang<br />

IV | Seite


Abbildung 3 – Unterscheidungskriterien von Beratung und Erziehung<br />

Gegenüberstellung von Beratung und Erziehung<br />

Merkmal Beratung Erziehung<br />

Anlass<br />

Zielgruppe<br />

Beteiligte<br />

Ziel<br />

Zeitraum<br />

Mittel<br />

Rollenbeziehung<br />

Institutionen<br />

Finanzierung<br />

- Vielfalt von Beratungsanlässen<br />

- kein direkter Bezug zum Entwicklungsstand<br />

der Person<br />

- »akuter« Anlass<br />

- alle Altersgruppen<br />

- in der Kindheit richtet sich die Beratung<br />

aus rechtlichen Gründen sowie aufgrund des<br />

Entwicklungspotential v.a. an die<br />

Erziehungspersonen<br />

Berufsgruppen aus dem psychosozialen<br />

Bereich (wie Psychologen, Mediziner, (Sozial-<br />

) Pädagogen, Seelsorger, etc.)<br />

- Hilfe zur Selbsthilfe<br />

- Hilfe zur Lösung eines aktuellen Problems,<br />

das nicht alleine bewältigt werden kann<br />

- eher kurzfristig<br />

- bedarfsorientiert - Diskontinuierlich<br />

- anregende, stützende Strategien<br />

- Informationsvermittlung<br />

- direkte Anweisungen<br />

- Reflektion etc.<br />

- partnerschaftliches Verhältnis<br />

- eher symmetrisch<br />

- Klient/Ratsuchender soll aktiv<br />

Entscheidungen treffen<br />

- öffentliche Beratungsstellen<br />

- private Beratung<br />

- kostenfreie wie kostenpflichtige<br />

Beratungsangebote<br />

- »Unmündigkeit« des jungen Menschen -><br />

Entwicklungsbedarf, um verantwortliche<br />

Position innerhalb der Gesellschaft zu<br />

übernehmen<br />

- Anlass durch Entwicklungssituation bestimmt<br />

- Kinder und Jugendliche<br />

- erwachsene Personen mit<br />

Entwicklungseinschränkung<br />

- i.d.R. alle Mitglieder einer Gesellschaft als<br />

potentielle Erziehende<br />

- Eltern als »private Erziehungsinstanzen«<br />

- »staatliche Erzeihungsinstanzen«, v.a.<br />

Schulen, Kindergärten, Heime etc.<br />

- Aufbau erwünschter und Abbau<br />

unerwünschter Verhaltensweisen, um Leben in<br />

der Gesellschaft zu sichern<br />

- Vermitteln von Normen und<br />

Wertdispositionen einer Gesellschaft<br />

- Erlangen von Mündlichkeit und<br />

Selbstbestimmung<br />

- sehr langfristig<br />

- i.d.R. bis zur Volljährigkeit<br />

- kontinuierlich andauernd<br />

- Unterrichtung<br />

- Unterweisung<br />

- Erziehungsmaßnahmen wie Lob/Tadel, Übung,<br />

Vorbild, Strafen etc. -> positive wie negative<br />

Rückmeldungen<br />

- Autoritätsverhältnis<br />

- eher asymmetrische Beziehung<br />

- wenig Freiräume für den zu Erziehenden<br />

- staatliche Erziehungsinstanzen<br />

- private Erziehungsinstanzen (= Eltern)<br />

- Eltern<br />

- staatliche kostenpflichtige (z.B. Kindergärten)<br />

wie kostenlose (z.B. Schulen) Angebote<br />

- (meist kostenpflichtige) Fort- und<br />

Weiterbildung in der Erwachsenenbildung<br />

Quelle: Abbildung modifiziert nach Warschburger, Petra. Beratungspsychologie. Springer Medizin Verlag. Heidelberg 2009, S. 30<br />

Juliane Kirsch | Anhang<br />

V | Seite


Abbildung 4 – Das dreiteilige Versorgungskonzept der GAIMH<br />

Psychotherapeutische<br />

Behandlung<br />

Beratung<br />

Begleitung<br />

Quelle: Abbildung modifiziert nach Cierpka, Manfred. Die unterschiedlichen Ansätze in Beratung und Therapie. In: Cierpka, Manfred. Frühe<br />

Kindheit 0-3 Jahre. Beratung und Psychotherapie für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern. Springer-Verlag. Berlin 2012, S. 401<br />

Juliane Kirsch | Anhang<br />

VI | Seite


Abbildung 5 – Leistungsspektrum von Hebammen und Familienhebammen<br />

Hebamme<br />

Regelleistung des Gesundheitssystems<br />

Familienhebamme<br />

keine gesetzliche Regelleistung;<br />

Bezahlung erfolgt über kommunalen oder freien Träger<br />

Leistungsspektrum gemäß der<br />

Vergütungsvereinbarungen mit den Krankenkassen<br />

Freiberuflichkeit<br />

Initiative zur Inanspruchnahme geht meist von der Frau,<br />

selten von den Akteuren Früher Hilfen aus<br />

Leistungsspektrum entsprechend Konzeption und<br />

individuellen Auftrag, Begleitung zu Akteuren Früher<br />

Hilfen möglich<br />

Honorarvertrag oder Angestellte<br />

Initiative zur Inanspruchnahme wird eher innerhalb des<br />

Netzwerkes Früher Hilfen vermittelt<br />

Hebammenleistungen bedürfen im Rahmen der<br />

Gebührenverordnung keine ärztlichen Anordnung<br />

Auftraggeber ist die Frau<br />

(mündlicher Vertrag reicht aus)<br />

Vergütung Erfolg eher pauschal, unabhängig vom<br />

Zeitaufwand<br />

Fahrzeit wird je Kilometer abgerechnet (deck pauschal<br />

die Fahrzeugkosten und den Zeitaufwand ab)<br />

Hebamme unterliegt den gesetzlichen<br />

Schweigepflichtregelungen<br />

Wochenbettbetreuung ist eine den Hebammen und<br />

Ärztinnen/Ärzten vorbehaltene Tätigkeit<br />

Zeitpunkt der Beendigung der Hilfeleistung wird durch<br />

den gesetzlichen Rahmen des Anspruches mitbestimmt<br />

Indikation, Dauer und inhaltlicher Schwerpunkt der<br />

Hilfeleistung werden vom Träger mitbestimmt<br />

Auftraggeber ist gegebenenfalls je nach Konzeption die<br />

Frau/Familie, parallel aber immer auch der kommunale<br />

oder freie Träger<br />

Vergütung erfolgt eher dem zeitlichen Aufwand<br />

entsprechend<br />

es gibt keine allgemeingültige Regelung<br />

Familienhebamme unterliegt den gesetzlichen<br />

Schweigepflichtregelungen<br />

Tätigkeitsspektrum kann, wenn der Auftrag entweder<br />

Mutter oder Kind betrifft, auch von anderen Berufen<br />

wie Gesundheitskinderkrankenpflegerinnen oder<br />

Kinderkrankenpflegerinnen ausgeführt werden<br />

Zeitpunkt der Beendigung der Hilfeleistung wird durch<br />

Etat und Auftrag mitbestimmt<br />

Quelle: Abbildung modifiziert nach Mattern, Elke/ Lange, Ute. Die Rolle der Familienhebammen im System der Frühen Hilfen. In: Deutsche<br />

Liga für das Kind: Frühe Kindheit. Die ersten sechs Jahre. Frühe Hilfen. Gesundes Aufwachsen ermöglichen. Berlin 2012 (Sonderausgabe), S.<br />

68f<br />

Abbildung 6 – Fotografie Deckblatt: Claudia Lange 2013<br />

Juliane Kirsch | Anhang<br />

VII | Seite

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