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Indikationen und Limitierungen logopädischer Therapie bei Kindern ...

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Wolfgang Angerstein<br />

<strong>Indikationen</strong> <strong>und</strong> <strong>Limitierungen</strong><br />

<strong>logopädischer</strong> <strong>Therapie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> unter<br />

Berücksichtigung funktioneller <strong>und</strong><br />

organischer Krankheitsbilder<br />

Selbstständiger Funktionsbereich für Phoniatrie <strong>und</strong> Pädaudiologie<br />

(Leiter: Univ.-Prof. Dr. med. W. Angerstein)<br />

Universitätsklinikum der<br />

Heinrich-Heine-Universität<br />

Moorenstr. 5 / Geb. 13.77<br />

40225 Düsseldorf<br />

E-Mail: angerstein@med.uni-duesseldorf.de


Gliederung<br />

- Muster 14<br />

- Hörtests <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong><br />

- Logopädie <strong>bei</strong><br />

• Mehrsprachigkeit<br />

• Entwicklungsauffälligkeiten<br />

• geistiger Retardierung<br />

• AVWS / zentraler Fehlhörigkeit<br />

• peripheren Hörstörungen<br />

• Lese-Rechtschreib-Schwäche<br />

• isolierten Zischlautstörungen<br />

• Stottern<br />

• kindlichen Stimmstörungen<br />

- Verordnung „außerhalb des Regelfalles“<br />

- rechtlicher Rahmen <strong>bei</strong> Privat- <strong>und</strong> Beihilfepatienten


Wolfgang Angerstein:<br />

<strong>Indikationen</strong> <strong>und</strong> <strong>Limitierungen</strong> der<br />

logopädischen Behandlung <strong>bei</strong> kindlicher<br />

Sprachentwicklungsretardierung.<br />

HNO-Mitt. 58 (2008), 14-15


Muster 14<br />

Vorderseite


Muster 14<br />

Rückseite


Muster 14<br />

-<br />

Ess- bzw. Schlucktherapie Sprech- u./o. Sprachtherapie ankreuzen, da<br />

Schluckstörungen meist m. Artikulationsstörungen kombiniert auftreten<br />

(Schlucken = entwicklungsgeschichtlich ältere, lebensnotwendige Primärfunktion<br />

der Artikulationsorgane; Artikulation = entwicklungsgeschichtlich jüngere, nicht<br />

mehr lebensnotwendige Sek<strong>und</strong>ärfunktion der Artikulationsorgane)<br />

-<br />

-<br />

<strong>Therapie</strong>dauer: Regel 45 Min., ausnahmsweise 30 oder 60 Min. (kein Abzug für<br />

Vor- oder Nachbereitung, reine <strong>Therapie</strong>zeit!)<br />

<strong>Therapie</strong>frequenz: meist 1-2x pro Woche (<strong>bei</strong> mehrmals wöchentlicher<br />

„Intensivtherapie“ ist das Rp <strong>und</strong> auch das Regelfall-Kontingent an logopäd.<br />

<strong>Therapie</strong>n schneller aufgebraucht!!)


Muster 14 (Forts.)<br />

- Gruppentherapie ???<br />

- Hausbesuch: nur <strong>bei</strong> medizinischer Indikation (z.B. bettlägerige<br />

oder schwer gehbehinderte Patienten)<br />

- <strong>Therapie</strong>bericht: ist Bestandteil der logopäd. Leistung <strong>und</strong> darf<br />

daher nicht extra (gesondert) berechnet werden!!<br />

- Hörtest darf nicht älter als 6 Monate sein (da sich das<br />

Hörvermögen zwischenzeitlich geändert haben kann)<br />

- Larynxbef<strong>und</strong> nur <strong>bei</strong> Stimmstörungen obligatorisch (dann aber<br />

auch <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong>!!), ansonsten fakultativ


Wann muss ich das Kind<br />

weiterschicken?<br />

Wenn ich<br />

- das Hörvermögen<br />

- <strong>bei</strong> Stimmstörungen den Kehlkopf<br />

nicht suffizient beurteilen kann.


Muster 14 (Rückseite)<br />

- Jede <strong>Therapie</strong>einheit muss vom Patient / den<br />

Eltern unmittelbar nach Ende per Unterschrift<br />

bestätigt werden!<br />

- Behandlungsabbruch ist zu dokumentieren.<br />

- Abweichungen von der ärztlichen Verordnung<br />

(<strong>Therapie</strong>-Frequenz, Einzel- oder<br />

Gruppenbehandlung) nur nach Rücksprache mit<br />

dem verordnenden Arzt <strong>und</strong> nur mit schriftlicher<br />

Begründung!


Hörtests <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong><br />

periphere Hörstörung?<br />

- subjektiv:<br />

• Ton- <strong>und</strong> ggf. Sprachaudiometrie<br />

(<strong>bei</strong>dohrig im freien Schallfeld, getrenntohrig über Kopfhörer)<br />

• Sprachaudiometrie im Störschall<br />

(Simulation der Schulsituation!)<br />

- objektiv:<br />

• Tympanometrie mit Ableitung ipsi- <strong>und</strong> kontralateraler<br />

Stapediusreflexe<br />

• Otoakustische Emissionen (TEOAE, DPOAE)<br />

• Hirnstammaudiometrie (BERA) im natürlichen Schlaf oder in<br />

ITN


gezielte / aktive logopädische <strong>Therapie</strong><br />

(= mehr als Elternberatung)<br />

<strong>bei</strong> Vorschulkindern<br />

- Sprache / Sprechen: ab 2,5 Jahre<br />

- Stimme / Heiserkeit: ab 5 Jahre


Was muss abgeprüft werden zur Einschätzung der<br />

kindlichen Sprach- <strong>und</strong> Sprechentwicklung?<br />

• Sprachstörung: zentral (Gehirn), Bewegungsplanung<br />

• Sprechstörung: peripher (Artikulatoren = Sprechwerkzeuge:<br />

Lippen, Kiefer mit Zähnen,<br />

Zunge, Gaumensegel), Bewegungsausführung<br />

expressiv:<br />

- Satzbau/Grammatik<br />

- (aktiver) Wortschatz<br />

- Artikulation/Lautbildung<br />

- Zungen-M<strong>und</strong>-Motorik<br />

rezeptiv:<br />

- Sprachverständnis / passiver Wortschatz


Logopädie <strong>bei</strong><br />

Mehrsprachigkeit<br />

-keine Krankheit, daher keine Kassenleistung!<br />

- Wer soll das bezahlen?<br />

Eltern haften für ihre Kinder!<br />

soziales Problem, kein medizinisches!


Logopädie <strong>bei</strong><br />

Entwicklungsauffälligkeiten<br />

- nach spätestens 40 logopädischen Einzeltherapien<br />

weiterführende Diagnostik, z.B.<br />

• neuropädiatrisch-kinderpsychologisch / SPZ<br />

geistige Entwicklung / IQ? Gr<strong>und</strong>erkrankung?


Logopädie <strong>bei</strong><br />

geistiger Retardierung<br />

- IQ < 80: Primär besteht sonderpädagogischer Förderbedarf,<br />

Logopädie allenfalls begleitend <strong>und</strong> nur für einen begrenzten<br />

Zeitraum!<br />

- Beispiel M. Down (Diss. Nadine Hlusiak 2007): sprachliche<br />

Fortschritte nur im Alter von 2-14 Jahren <strong>und</strong> <strong>bei</strong> < 100<br />

logopädischen <strong>Therapie</strong>einheiten!<br />

www.uniklinik-duesseldorf.de/unternehmen/kliniken/phoniatrie<strong>und</strong>-paedaudiologie/dissertationen


Sprachentwicklungsretardierung<br />

SES<br />

SEB<br />

SEV<br />

SEV Zuwarten, Kontrollen (V = Verzögerung)<br />

SES Logopädie (S = Störung)<br />

SEB Sonderpädagogik (B = Behinderung)


Sonderpädagogische Förderung in<br />

Sprachheilschulen,<br />

Geistig-Behinderten-Schulen oder<br />

Lernbehinderten-Schulen<br />

schließt Logopädie fast immer aus!!


Logopädie <strong>bei</strong> AVWS /<br />

Zentraler Fehlhörigkeit<br />

- Ausschluss einer peripheren Hörstörung<br />

(Cerumen, Paukenerguss, IOS) Hörtests!<br />

Bei HV bds. > 30 db: zunächst Hörverbesserung!<br />

- Welche Bereiche der auditiven Wahrnehmung /<br />

Verar<strong>bei</strong>tung sind gestört? Testbatterie!<br />

(nur altersnormierte, statistisch auswertbare Tests,<br />

die insgesamt nicht länger als 60 Min. dauern<br />

cave: Aufmerksamkeits- u. Konzentrationsprobleme!)


Funktionsbereich<br />

Phoniatrie u. Pädaudiologie<br />

Logopädischer Bef<strong>und</strong> <strong>bei</strong> auditiven Wahrnehmungsstörungen<br />

Name:<br />

Merkfähigkeit<br />

Zahlenfolgengedächnis PET-Untertest ZFG [NORM: 3,0 – 9,11 Jahre]<br />

PR: T-Wert:<br />

Silbengedächtnis (Logatome: MOTTIER) [NORM: 2. – 5. Schuljahr]<br />

Zentralwert:<br />

Satzgedächtnis HSET-Untertest 3 [NORM: 3 – 9 Jahre]<br />

PR: T-Wert:<br />

Screening Aachen<br />

Textgedächtnis HSET-Untertest 13 [NORM: 3 – 9 Jahre]<br />

PR: T-Wert:<br />

Lautanalytische Fähigkeiten<br />

PET-Untertest Wörter ergänzen (Lautanalyse <strong>und</strong> –ergänzung)<br />

PR: T-Wert:<br />

PET-Untertest Laute verbinden (Lautsynthese)<br />

PR: T-Wert:<br />

[NORM: 3,0 – 9,11 Jahre]<br />

[NORM: 3,0 – 9,11 Jahre]<br />

phonematische Differenzierung<br />

Bremer Lautdiskriminationstest (BLDT)<br />

PR: T-Wert:<br />

[NORM: 2. Schuljahr]<br />

Weitere Bef<strong>und</strong>e:<br />

<strong>Therapie</strong>vorschlag:


Komorbiditäten <strong>bei</strong> AVWS<br />

Da AVWS immer eine Ausschlussdiagnose ist, müssen zunächst die<br />

Komorbiditäten diagnostiziert <strong>und</strong> behandelt werden, d.h. keine<br />

logopädische AVWS-<strong>Therapie</strong> <strong>bei</strong><br />

- doppelseitigem HV > 30 db (zunächst Hörverbesserung!)<br />

- höhergradigen Dyslalien, erheblichen Wortschatzdefiziten<br />

(zunächst logopäd. <strong>Therapie</strong> der Sprachentwicklungsretardierung)<br />

- IQ < 80 sonderpädagogischer Förderbedarf<br />

- AD[H]S (zunächst medikamentöse <strong>Therapie</strong>)<br />

- LRS / Legasthenie (phonologische Entwicklungsdysgraphie bzw.<br />

–lexie Logopädie; orthographische Regelfehler Nachhilfe<br />

in Rechtschreibung bzw. Zeichensetzung)


Logopädie <strong>bei</strong> isolierten<br />

Zischlautstörungen<br />

(z.B. Sigmatismen) I<br />

- sollten vor dem 5. Lebensjahr nicht logopädisch behandelt werden,<br />

denn: Der /s/ - Laut muss erst mit 5 Jahren korrekt gebildet werden,<br />

<strong>bei</strong> jüngeren <strong>Kindern</strong> sind isolierte Zischlautstörungen noch<br />

physiologisch!<br />

- Ausnahmen: Bei isolierten Zischlautstörungen ist logopädische<br />

<strong>Therapie</strong> <strong>bei</strong> lateralen Zischlaut-Fehlbildungen <strong>und</strong> <strong>bei</strong> traumatischen<br />

Zahnlücken (z.B. nach Unfällen) angezeigt, jedoch erst<br />

nach dem Zahnwechsel <strong>und</strong> nicht <strong>bei</strong> Wechselgebiss.


Logopädie <strong>bei</strong> isolierten<br />

Zischlautstörungen<br />

(z.B. Sigmatismen) II<br />

- Vor dem Zahnwechsel, <strong>bei</strong> Wechselgebiss mit physiologischen<br />

Zahnlücken sowie vor dem 5. Lebensjahr reicht Elternberatung<br />

hinsichtlich der korrekten Zungenruhelage (Zungenspitze liegt<br />

2 mm hinter den OK - Frontzähnen an den Rugae des Alveolarkammes<br />

Nutella! Esspapier!) aus, wenn Kinder lispeln.<br />

- <strong>bei</strong> Zahnfehlstellungen (Dysgnathien) bzw. Gebissentwicklungsstörungen<br />

(z.B. frontal oder seitlich offener Biss):<br />

KFO – Mitbetreuung, Abstellen von „Habits“ (z.B. Schnuller,<br />

Daumenlutschen) zusätzlich zur Logopädie oftmals<br />

erforderlich!


Logopädie <strong>bei</strong> Redeflussstörungen<br />

(Stottern)<br />

- neuropädiatrischer Bef<strong>und</strong> inkl. EEG z.A. einer<br />

hirnorganischen Genese<br />

(z.B. frontales Operculum, Basalganglien, Thalamus)<br />

- cave: Krampfleiden!<br />

- Bei physiologischen Entwicklungsunflüssigkeiten ist<br />

logopädische <strong>Therapie</strong> kontraindiziert, da hierdurch<br />

Störungsbewusstsein <strong>und</strong> Chronifizierung entstehen<br />

können! (pädiatrie hautnah 25/Nr. 6, S. 414-415, Dez.<br />

2013)


Logopädie <strong>bei</strong> kindlichen<br />

Stimmstörungen<br />

(„Heiserkeit“)<br />

- zunächst laryngoskopischer Ausschluss entzündlicher oder tumoröser<br />

(z.B. Papillomatose) Larynxerkrankungen (ggf. in ITN!)<br />

- Erst nach Ausschluss bzw. nach erfolgreicher Behandlung organischer<br />

KK – Bef<strong>und</strong>e ist Logopädie sinnvoll zur Behandlung funktioneller<br />

juveniler Dysphonien!<br />

- Ausnahme: SL – Knötchen (<strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong> vor dem Stimmbruch immer<br />

weiche, niemals harte, bindegewebig organisierte) werden <strong>bei</strong> <strong>Kindern</strong><br />

immer rein logopädisch (d.h. niemals durch operative Abtragung!!)<br />

behandelt, da sie a) aufgr<strong>und</strong> einer funktionellen Larynxerkrankung (sog.<br />

juvenile hyperfunktionelle Dysphonie) entstanden sind <strong>und</strong> b) sich unter<br />

<strong>logopädischer</strong> <strong>Therapie</strong> vor der Mutation ohne OP gut zurückbilden.


Logopädie – Verordnung<br />

„außerhalb des Regelfalles“<br />

- extreme Ausnahme (bislang nur einmal!)<br />

- gr<strong>und</strong>sätzlich schriftliche Begründung mit prognostischer<br />

Einschätzung hat den Umfang eines Gutachtens!<br />

- muss vor <strong>Therapie</strong>beginn von der GKV genehmigt<br />

werden<br />

- kann meist vermieden werden durch Wechsel des<br />

Diagnoseschlüssels (z.B. SP 1,2,3 – SP 4,3,1,2 –SP 5,6)!<br />

- alternativ: neue Erstverordnung nach 12 Wochen<br />

<strong>Therapie</strong>pause


Rechtlicher Rahmen für die<br />

Logopädie-Verordnung <strong>bei</strong><br />

Privat- <strong>und</strong> Beihilfe-Patienten<br />

- meist kein Anrecht auf Bezahlung <strong>logopädischer</strong> Leistungen<br />

(nicht im Leistungskatalog der PKV enthalten)<br />

- Beihilfe ist keine Krankenkasse, sondern freiwilliger Zuschuss,<br />

auf den kein gesetzlicher Anspruch besteht Jede Leistung kann<br />

jederzeit ohne Begründung gekürzt oder sogar gestrichen werden!<br />

Oft wird nur ein Teil der logopädischen Rechnung erstattet,<br />

d.h. Zuzahlung durch die Patienten / Eltern!<br />

vor <strong>Therapie</strong>beginn: Logopäden nach Preis pro <strong>Therapie</strong>einheit<br />

fragen, schriftlichen Kostenvoranschlag <strong>bei</strong> PKV <strong>und</strong> Beihilfestelle<br />

einreichen mit Bitte um Kostenübernahme


Résumé<br />

All diese Maßnahmen dienen nicht der Behinderung oder<br />

Verhinderung <strong>logopädischer</strong> Behandlungen. Sie sollen im<br />

Gegenteil Hinweise <strong>und</strong> Denkanstöße sein, um angesichts<br />

der knappen finanziellen Ressourcen die von den<br />

Krankenkassen bezahlten Verordnungen sinnvoll <strong>und</strong> zum<br />

Wohle der Kinder einzusetzen. Da<strong>bei</strong> kommt den<br />

verordnenden Ärzten die hohe Verantwortung zu, mit den<br />

begrenzten finanziellen Mitteln sowohl medizinisch<br />

sinnvoll als auch ökonomisch vertretbar umzugehen.

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