1 Konzept einer ehrlichen Unternehmensethik ... - HWWI

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27.02.2014 Aufrufe

Konzept einer ehrlichen Unternehmensethik Zusammenfassung. Dieser Essay entwickelt das Konzept einer ehrlichen Unternehmensethik. Sie ist deontologisch und steht am Ende eines selbstbestimmten ethischen Entwicklungsprozesses, der eingeleitet wurde durch die gesellschaftliche Leitfrage: „Was steckt hinter dem Handeln von Unternehmen?“ Hauptteil. Ich will mit einem Gedankenexperiment beginnen, das uns zum Konzept einer ehrlichen Ethik führen wird: Ein Unternehmen erklärt, bei der Herstellung seiner Produkte in einem bestimmten Entwicklungs- beziehungsweise Schwellenland zukünftig auf Kinderarbeit verzichten zu wollen, weil diese nicht mehr vereinbar sei mit den ethischen Grundsätzen des Unternehmens. Dieser Schritt ist uneingeschränkt zu begrüßen! Viele Konsumenten werden ähnlich denken. Manche werden allerdings darüber entsetzt sein, dass das Unternehmen überhaupt Produkte durch Kinder hat fertigen lassen. Sie werden die Interaktionsbeziehung mit dem Unternehmen umgehend beenden, um es nachträglich für sein unmoralisches Handeln zu bestrafen. Andere Konsumenten hingegen werden sich von diesem jetzt ethischen Unternehmen sowie seinen vermeintlich fairen Produkten hingerissen fühlen und den Schritt des Unternehmens belohnen. Diesem teleologischen Verständnis („Es ist gut, dass das Unternehmen auf Kinderarbeit verzichtet“) will ich ein deontologisches entgegensetzen: Ich will die Gründe erfahren, warum das Unternehmen plötzlich auf Kinderarbeit verzichtet! Hat es diesen Schritt wirklich aus eigener Überzeugung getan, etwa weil es eingesehen hat, dass die Ausbeutung von Kindern ein Verbrechen ist? Oder hat es sich mit seiner Entscheidung bloß gesellschaftlichem Druck gebeugt? Oder sind am Ende gar wirtschaftliche Aspekte bestimmend gewesen für das unternehmerische Handeln? Etwa weil die Qualität der Produkte aus Kinderarbeit schlechter geworden ist oder weil die Lohnkosten schlicht zu hoch sind und die Produktion in einem anderen Land rentabler wäre? Aus teleologischer Sicht interessiert der Grund für die gute Tat nicht. Es interessiert nur, dass sie geschieht! Stellte sich bei diesem Gedankenexperiment jedoch heraus, dass der letztgenannte Grund ausschlaggebend für den Verzicht auf Kinderarbeit gewesen ist, würde die Entscheidung der Unternehmensführung dann etwa tatsächlich noch dieselbe, durchweg hohe gesellschaftliche Wertschätzung erfahren wie unter der zunächst fälschlichen Annahme moralischen Handelns? Wenn also erkennbar würde, dass nicht Gewissenhaftigkeit, sondern nur kühle, wirtschaftliche Rationalität das Handeln des Unternehmens bestimmt hat? Wenn die Moral eines Unternehmens tatsächlich nichts weiter wäre als das Ergebnis eines internen Abwägungsprozesses ökonomischer Vor- und Nachteile? Und sich dadurch in der Gesellschaft der Eindruck verfestigte, dass jede ethische Überzeugung, jede höhere Idee in Zahlen überführt und aufgelöst und somit ganz leicht für unternehmerische Absichten missbraucht werden könne? Nein! Natürlich nicht! Die Menschen wären enttäuscht. Sie würden das Unternehmen geringschätzen und sich als Konsumenten bewusst von ihm abwenden. Der finanzielle Verlust für das Unternehmen, vielmehr aber noch der an Ansehen, wäre erheblich. Dieses Gedankenexperiment zeigt deutlich die Unvollkommenheit einer teleologischen 1

<strong>Konzept</strong> <strong>einer</strong> <strong>ehrlichen</strong> <strong>Unternehmensethik</strong><br />

Zusammenfassung. Dieser Essay entwickelt das <strong>Konzept</strong> <strong>einer</strong> <strong>ehrlichen</strong><br />

<strong>Unternehmensethik</strong>. Sie ist deontologisch und steht am Ende eines selbstbestimmten<br />

ethischen Entwicklungsprozesses, der eingeleitet wurde durch die gesellschaftliche<br />

Leitfrage: „Was steckt hinter dem Handeln von Unternehmen?“<br />

Hauptteil. Ich will mit einem Gedankenexperiment beginnen, das uns zum <strong>Konzept</strong> <strong>einer</strong><br />

<strong>ehrlichen</strong> Ethik führen wird:<br />

Ein Unternehmen erklärt, bei der Herstellung s<strong>einer</strong> Produkte in einem bestimmten<br />

Entwicklungs- beziehungsweise Schwellenland zukünftig auf Kinderarbeit verzichten zu<br />

wollen, weil diese nicht mehr vereinbar sei mit den ethischen Grundsätzen des<br />

Unternehmens.<br />

Dieser Schritt ist uneingeschränkt zu begrüßen! Viele Konsumenten werden ähnlich denken.<br />

Manche werden allerdings darüber entsetzt sein, dass das Unternehmen überhaupt<br />

Produkte durch Kinder hat fertigen lassen. Sie werden die Interaktionsbeziehung mit dem<br />

Unternehmen umgehend beenden, um es nachträglich für sein unmoralisches Handeln zu<br />

bestrafen. Andere Konsumenten hingegen werden sich von diesem jetzt ethischen<br />

Unternehmen sowie seinen vermeintlich fairen Produkten hingerissen fühlen und den Schritt<br />

des Unternehmens belohnen.<br />

Diesem teleologischen Verständnis („Es ist gut, dass das Unternehmen auf Kinderarbeit<br />

verzichtet“) will ich ein deontologisches entgegensetzen: Ich will die Gründe erfahren, warum<br />

das Unternehmen plötzlich auf Kinderarbeit verzichtet! Hat es diesen Schritt wirklich aus<br />

eigener Überzeugung getan, etwa weil es eingesehen hat, dass die Ausbeutung von Kindern<br />

ein Verbrechen ist? Oder hat es sich mit s<strong>einer</strong> Entscheidung bloß gesellschaftlichem Druck<br />

gebeugt? Oder sind am Ende gar wirtschaftliche Aspekte bestimmend gewesen für das<br />

unternehmerische Handeln? Etwa weil die Qualität der Produkte aus Kinderarbeit schlechter<br />

geworden ist oder weil die Lohnkosten schlicht zu hoch sind und die Produktion in einem<br />

anderen Land rentabler wäre?<br />

Aus teleologischer Sicht interessiert der Grund für die gute Tat nicht. Es interessiert nur,<br />

dass sie geschieht! Stellte sich bei diesem Gedankenexperiment jedoch heraus, dass der<br />

letztgenannte Grund ausschlaggebend für den Verzicht auf Kinderarbeit gewesen ist, würde<br />

die Entscheidung der Unternehmensführung dann etwa tatsächlich noch dieselbe, durchweg<br />

hohe gesellschaftliche Wertschätzung erfahren wie unter der zunächst fälschlichen Annahme<br />

moralischen Handelns? Wenn also erkennbar würde, dass nicht Gewissenhaftigkeit, sondern<br />

nur kühle, wirtschaftliche Rationalität das Handeln des Unternehmens bestimmt hat? Wenn<br />

die Moral eines Unternehmens tatsächlich nichts weiter wäre als das Ergebnis eines internen<br />

Abwägungsprozesses ökonomischer Vor- und Nachteile? Und sich dadurch in der<br />

Gesellschaft der Eindruck verfestigte, dass jede ethische Überzeugung, jede höhere Idee in<br />

Zahlen überführt und aufgelöst und somit ganz leicht für unternehmerische Absichten<br />

missbraucht werden könne?<br />

Nein! Natürlich nicht! Die Menschen wären enttäuscht. Sie würden das Unternehmen<br />

geringschätzen und sich als Konsumenten bewusst von ihm abwenden. Der finanzielle<br />

Verlust für das Unternehmen, vielmehr aber noch der an Ansehen, wäre erheblich.<br />

Dieses Gedankenexperiment zeigt deutlich die Unvollkommenheit <strong>einer</strong> teleologischen<br />

1


<strong>Unternehmensethik</strong>, für die allein die Tat zählt. Da das Unternehmen nur das Ergebnis<br />

seines Handelns zu rechtfertigen hat, ist eine umfassendere kritische Beurteilung der<br />

Geschäfts- und Arbeitsprozessethik durch die Gesellschaft beinah unmöglich. Diese<br />

Intransparenz stellt für Unternehmen aber eine explizite Gefahr dar, wenn die Gesellschaft<br />

doch an Informationen über ethische Missstände und Verfehlungen innerhalb des<br />

Unternehmens gelangt, die bewusst zurückgehalten wurden, da sie in scharfem Gegensatz<br />

zum gesellschaftlichen Konsens stehen – wenn also, wie in dem Gedankenexperiment, das<br />

Unternehmen zugeben muss, in der Zukunft nur deswegen auf Kinderarbeit zu verzichten,<br />

weil sich die Qualität der Produkte aus Kinderarbeit verschlechtert hat beziehungsweise die<br />

relativen Lohnkosten gestiegen sind. Je unvorbereiteter solche Missstände die Gesellschaft<br />

treffen, umso heftiger wird sie diese ahnden und das Unternehmen bestrafen.<br />

In diesem Zusammenhang erweisen sich Normierungsinitiativen als besonders sinnvoll,<br />

wenn es darum geht, Unternehmen in einem ersten Schritt auf die Einhaltung von<br />

grundlegenden ethischen Prinzipien, also auf den gesellschaftlichen Konsens, zu<br />

verpflichten.<br />

Dennoch: Eine solche <strong>Unternehmensethik</strong>, die oberflächlich ist und bestimmte Werte nur<br />

akzeptiert, weil ökonomische Kalküle oder die Gesellschaft oder Normierungsinitiativen sie<br />

dazu drängen, ist immer fremdbestimmt. Und solange eine <strong>Unternehmensethik</strong><br />

fremdbestimmt ist, ist sie unaufrichtig, da sie nie die eigenen Überzeugungen vertritt,<br />

sondern stets die anderer! Vor dem Hintergrund des zunehmenden ethischen Bewusstseins<br />

der Gesellschaft, das die Menschen Fragen nach den tatsächlichen Beweggründen eines<br />

Unternehmens für diese oder jene Handlung stellen lässt, ist ein Umdenken hin zu <strong>einer</strong><br />

deontologischen <strong>Unternehmensethik</strong> erforderlich.<br />

Diese Ethik ist die ehrliche Ethik, ist das bewusste Heraustreten eines Unternehmens aus<br />

der beschriebenen ethischen Fremdbestimmung. Herausgefordert zu diesem Schritt der<br />

Formulierung des eigenen Ethikverständnisses wird das Unternehmen durch eine veränderte<br />

gesellschaftliche Leitfrage. Interessierte sich diese zunächst für den Aspekt, ob ein<br />

Unternehmen überhaupt ethische Werte in einem Leitbild formuliert hatte („Verfügt ein<br />

Unternehmen über ethische Werte“), so gilt ihre Aufmerksamkeit nun der Motivation eines<br />

Unternehmens.<br />

„Was steckt hinter dem Handeln eines Unternehmens“ ist also die neue Leitfrage <strong>einer</strong><br />

zunehmend kritischen Öffentlichkeit, die ein Unternehmen zwingt, sich und sein Handeln zu<br />

erklären! Sie kann nur unternehmensindividuell beantwortet werden. Und dazu muss sich ein<br />

Unternehmen des eigenen ethischen Verständnisses bewusst werden.<br />

Dieser Paradigmenwechsel von <strong>einer</strong> teleologischen hin zu <strong>einer</strong> deontologischen<br />

<strong>Unternehmensethik</strong> wird zwar noch extern durch die veränderte gesellschaftliche<br />

Fragestellung eingeleitet, doch wird ein Unternehmen langfristig die neue Leitfrage<br />

internalisieren. Weil sie nach den Beweggründen für das eigene Handeln fragt,<br />

verpflichtet sie ein Unternehmen zu <strong>einer</strong> verstetigten moralischen Rechtfertigung<br />

seines Handelns. Das Ergebnis wird eine ehrliche Ethik sein, von deren Richtigkeit sowohl<br />

ein Unternehmen als Institution als auch dessen Mitglieder individuell überzeugt sein<br />

werden. Das <strong>Konzept</strong> <strong>einer</strong> <strong>ehrlichen</strong> Ethik ist somit die individuelle und unverwechselbare<br />

Antwort eines Unternehmens auf die Herausforderungen, vor die der intensivierte globale<br />

Wettbewerb und die moralischen Erwartungen der Gesellschaft es stellen.<br />

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Um das Wesen der <strong>ehrlichen</strong> Ethik zu konkretisieren, soll in Anlehnung an den Philosophen<br />

HANS LEISEGANG (1969) dessen Unterscheidung von sittlichen Werten in sogenannte<br />

„niedere“ und „höhere“ Werte herangezogen werden, die er allerdings in einem<br />

individualethischen Kontext vornimmt. Die gesellschaftliche Anerkennung „niederer“ Werte<br />

(u.a Respektierung der Menschenrechte) sei stets Voraussetzung für die Entwicklung<br />

„höherer“ Werte (u.a. Liebe, Freundschaft).<br />

Tatsächlich sind LEISEGANGS Ausführungen auch für die <strong>Unternehmensethik</strong> und im<br />

Besonderen für das <strong>Konzept</strong> <strong>einer</strong> <strong>ehrlichen</strong> Ethik von großer Relevanz: Sehr viele<br />

Unternehmen zogen bei der Beantwortung der ersten gesellschaftlichen Leitfrage („Verfügt<br />

ein Unternehmen über ethische Werte“) ausschließlich die „niederen“ Werte (u.a.<br />

Respektierung der Menschenrechte, Ablehnung von Diskriminierung, nachhaltiges<br />

Wirtschaften) heran. Deshalb ähneln sich unternehmerische Ethik- Kodizes sehr, wirken über<br />

alle Maßen standardisiert und unaufrichtig, denn auch ohne Kodifizierung würden<br />

Unternehmen nicht gegen die „niederen“ Werte handeln, weil die Gesellschaft deren<br />

Einhaltung als selbstverständlich erachtet und schlicht erwartet. Würde das Unternehmen<br />

dagegen verstoßen, hätte es negative Konsequenzen seitens der Gesellschaft befürchten –<br />

kein Mensch würde mit einem Unternehmen interagieren, das beispielsweise die<br />

Menschenrechte nicht achtet (dieser Aspekt wird so auch in dem Gedankenexperiment<br />

besprochen).<br />

Das <strong>Konzept</strong> der <strong>ehrlichen</strong> Ethik beendet diese oberflächliche <strong>Unternehmensethik</strong>, da sich in<br />

ihr die „höheren“ Werte eines Unternehmens (u.a. Wahrhaftigkeit, die ihm das Mitgehen<br />

kurzfristiger gesellschaftlicher Trends verbietet; Bestreben, eine echte Gemeinschaft<br />

darzustellen, der die Stakeholder gerne angehören) ausdrücken. Sie entsteht auf der<br />

Grundlage der „niederen“ Werte, die als gesellschaftlicher Konsens für alle Mitglieder<br />

verbindlich gelten, geht aber mit der Formulierung unternehmensindividueller<br />

Wertevorstellungen darüber hinaus.<br />

Das Wesen der <strong>ehrlichen</strong> Ethik wirft jedoch zwei Fragen auf, die abschließend betrachtet<br />

werden sollen:<br />

Erstens: Wer bestimmt die ethischen Werte eines Unternehmens? Es ist hier zu<br />

unterscheiden zwischen inhaber- und managergeführten Unternehmen. Im erstgenannten<br />

Falle konzentrieren sich Eigentums- und Verfügungsrechte in der Hand des Inhabers. Eine<br />

Verwirklichung der <strong>ehrlichen</strong> Ethik scheint angesichts dessen sehr leicht. Weil der Inhaber<br />

die alleinige Verantwortung trägt, sind unternehmens- und individualethische Werte meist<br />

kongruent. Und sie sind glaubhaft, da der Inhaber sie vorlebt.<br />

Im letztgenannten Falle, der eine getrennte Ausübung von Eigentums- und<br />

Verfügungsrechten vorsieht, ist die Verwirklichung der <strong>ehrlichen</strong> Ethik dagegen weniger<br />

einfach, weil Unternehmens- und individualethische Werte und Interessen disgruent sind<br />

(Ansatzpunkt der Principal-Agent-Theorie). Die institutionelle Herausbildung „höherer“ Werte<br />

ist hier stets aufzufassen als Konsens zwischen den Interessengruppen und damit der<br />

Individuen innerhalb eines Unternehmens.<br />

Zweitens: Wie steht die ehrliche Ethik zum wirtschaftlichen Gewinnprinzip? Diese Frage<br />

nimmt Bezug auf das Spannungsverhältnis zwischen ökonomischen Notwendigkeiten und<br />

moralischen Überzeugungen eines Unternehmens. Sie erkennt das wirtschaftliche<br />

Gewinnprinzip ausdrücklich an, das aber unter dem Eindruck der neuen gesellschaftlichen<br />

Leitfrage und der Konsequenzen daraus verwirklicht wird.<br />

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Hauke Hansen – Preisträger des Essaywettbewerbs 2013<br />

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