27.02.2014 Aufrufe

PDF-Download - Militärgeschichtliches Forschungsamt der ...

PDF-Download - Militärgeschichtliches Forschungsamt der ...

PDF-Download - Militärgeschichtliches Forschungsamt der ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

5»Leipzig 1813 – In den Wirren <strong>der</strong> Völkerschlacht«: Das 360-Grad-Panorama des<br />

Künstlers Yadegar Asisi zeigt seit August 2013 die Folgen <strong>der</strong> Völkerschlacht für die<br />

Stadt Leipzig des Jahres 1813. Das 3500 qm große Rundbild vermittelt den Eindruck,<br />

als würde man dem Geschehen tatsächlich beiwohnen.<br />

hun<strong>der</strong>t. Daher gilt dieses gemeinhin<br />

als Zeitalter <strong>der</strong> Nationalbewegungen<br />

und <strong>der</strong> Nationalstaaten. Erst die Eliten<br />

aus <strong>der</strong> Schicht des aufstrebenden<br />

Bürgertums, dann breitere Bevölkerungsschichten<br />

maßen dem »Volk« als<br />

Kern des Nationalen eine beson<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung zu. Dabei lässt das Wort<br />

»Volk« unterschiedliche, historisch bedingte<br />

Auslegungen zu. In <strong>der</strong> frühen<br />

Neuzeit bezogen sich »Vol(c)k« o<strong>der</strong><br />

auch »Heervolk« und »Kriegsvolk« auf<br />

die ins Feld ziehende bewaffnete<br />

Macht. Zusammen mit den mitziehenden<br />

Händlern, Fuhrknechten, aber<br />

auch Frauen und Kin<strong>der</strong>n bildete es<br />

einen komplexen und mobilen Sozialkörper.<br />

Dies än<strong>der</strong>te sich seit <strong>der</strong> Französischen<br />

Revolution von 1789 mit<br />

dem dort propagierten und dann unter<br />

Napoleon Bonaparte perfektionierten<br />

Massenheer. Nun trat, zumindest theoretisch,<br />

das gesamte Volk unter die<br />

Waffen. Damit einher ging die Verknüpfung<br />

von »Massenheer« und<br />

Nation, die Heere wurden sozusagen<br />

»nationalisiert«. Von nun an wurden<br />

die Streitkräfte als wesentlicher Ausdruck<br />

einer Nation wahrgenommen<br />

und mit <strong>der</strong> Wehrpflicht eine »demokratische«<br />

Idee verbunden. Oft wich<br />

die alltägliche Realität von den hehren<br />

Zielen <strong>der</strong> patriotischen Aufrufe ab.<br />

Faktisch führte die Wehrpflicht zu teils<br />

gewaltsamen Wi<strong>der</strong>ständen, zu Fluchto<strong>der</strong><br />

Ausweichbewegungen, selbst zu<br />

taktisch motivierten Eheschließungen<br />

junger Männer mit deutlich älteren<br />

Frauen (denn Verheiratete blieben ausgenommen).<br />

Historikerinnen und Historiker<br />

untersuchen daher heute nicht<br />

nur den Ablauf konkreter historischer<br />

Ereignisse, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong>en Folgen<br />

und Bedeutungen. Dabei unterliegt die<br />

jeweilige Bewertung oftmals einem<br />

zeitbedingten Wandel; etablierte, vielen<br />

lieb gewonnene Auffassungen<br />

werden so fortwährend in ein neues<br />

Licht gestellt. Dies trifft auch auf die<br />

»Befreiungs-« o<strong>der</strong> »Freiheitskriege«<br />

im Allgemeinen wie auf die Völkerschlacht<br />

im Beson<strong>der</strong>en zu.<br />

Die Wirkung <strong>der</strong> napoleonischen<br />

Zeit auf die Deutschen war vielfältig<br />

und mehrdeutig: Im Rheinland, das<br />

ohnehin seit 1800 staatsrechtlich zu<br />

Frankreich gehörte, war die französische<br />

Herrschaft vielfach anerkannt.<br />

Im militärisch und moralisch nie<strong>der</strong>geworfenen<br />

Preußen hingegen, das zudem<br />

enorme materielle Besatzungslasten<br />

zu tragen hatte, entstand ein<br />

Nährboden für einen Franzosenhass,<br />

den die preußisch-patriotische Propaganda<br />

von 1813 gezielt aufgriff. Abgesehen<br />

vom Dauereinsatz ihrer Armeen<br />

in Spanien o<strong>der</strong> Russland, profitierten<br />

die Rheinbundstaaten durchaus von<br />

Napoleon.<br />

Indessen verankerte die Neuordnung<br />

Deutschlands auf dem Wiener Kongress<br />

1815 viele Kennzeichen <strong>der</strong> im<br />

Zeitalter von Revolution und Napoleon<br />

umgeformten Staatsgewalt: Die<br />

dort geschaffenen Grenzen zeigen sich<br />

heute noch in <strong>der</strong> Gestalt mancher<br />

Bundeslän<strong>der</strong>. Und die Staatsgewalt<br />

etablierte sich in <strong>der</strong> Fläche – wie im<br />

Zeitalter Napoleons mittels Steuern,<br />

Bürokratie und Wehrpflicht. Was<br />

Frankreich Mitte 1813 bei Annahme<br />

des angebotenen Waffenstillstands<br />

hätte behalten können, verlor es bei<br />

Leipzig und im anschließenden Feldzug<br />

<strong>der</strong> Koalitionsheere nach Paris.<br />

Wäre Napoleons Kalkül vom 16. Oktober<br />

1813 aufgegangen, im Süden Leipzigs<br />

die Hauptarmee <strong>der</strong> Koalition erst<br />

in <strong>der</strong> Flanke zu binden, dann im Zentrum<br />

durch den Angriff seiner Garde<br />

und <strong>der</strong> Reserve zu durchstoßen, wäre<br />

die Landkarte Deutschlands heute womöglich<br />

eine an<strong>der</strong>e.<br />

Gerade auch deshalb sahen die<br />

folgenden eineinhalb Jahrhun<strong>der</strong>te so<br />

viele nationale Gedenkfeiern in Deutschland.<br />

Dies wie<strong>der</strong>um führte nach 1945<br />

zu unterschiedlichen Erinnerungssträngen<br />

in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />

und in <strong>der</strong> DDR. Während letztere im<br />

Zeichen des Kalten Krieges die deutschrussische<br />

Waffenbrü<strong>der</strong>schaft beschwor,<br />

rückten in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

die Themenfel<strong>der</strong> Krieg und patriotisches<br />

Gedenken mit dem Generationenwandel<br />

um 1970 zunehmend aus<br />

dem Blickfeld. Das Thema »Leipzig«<br />

verweist daher auch auf unterschiedliche<br />

Erinnerungskulturen in Preußen,<br />

Bayern und im Rheinland, in »Ost«<br />

und »West«.<br />

Angesichts <strong>der</strong> rund 100 000 Opfer<br />

<strong>der</strong> Völkerschlacht stellt sich die Frage,<br />

wie heute eines solchen Jahrestages angemessen<br />

gedacht werden kann. Der<br />

vom Freistaat Sachsen und <strong>der</strong> Stadt<br />

Leipzig initiierte Veranstaltungszyklus<br />

»Leipzig 1813 – 1913 – 2013. Eine europäische<br />

Geschichte« verfolgt daher das<br />

Anliegen, die Stätte des Krieges zu<br />

einem Ort <strong>der</strong> Begegnung umzuwidmen.<br />

Das bedeutet eine erneute Umdeutung<br />

dieses Erinnerungsortes im<br />

Sinne <strong>der</strong> Gegenwart. Gleichzeitig<br />

kommt so die europäische Perspektive<br />

an den Ort einer Vielvölkerschlacht zurück.<br />

Martin Hofbauer und Martin Rink<br />

Literaturtipps<br />

Hans-Ulrich Thamer, Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas<br />

Kampf gegen Napoleon, München 2013.<br />

Karl-Heinz Lutz / Martin Rink / Marcus von Salisch (Hg.),<br />

Reform - Reorganisation - Transformation. Zum Wandel<br />

in deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen<br />

bis zur Transformation <strong>der</strong> Bundeswehr. Im<br />

Auftrag des Militärgeschichtlichen <strong>Forschungsamt</strong>es,<br />

München 2010.<br />

Dominic Lieven, Russland gegen Napoleon. Die Schlacht<br />

um Europa, München 2011.<br />

picture alliance / AP images<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!