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Heft 3/2013<br />
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C 21234 ISSN 0940 - 4163<br />
Militärgeschichte im Bild: Kaiser Wilhelm II. und Prinzregent Ludwig von Bayern vor <strong>der</strong> Befreiungshalle in Kelheim, August 1913.<br />
Völkerschlacht bei Leipzig<br />
Dreibund-Marinekonvention 1913<br />
1862: Indianeraufstand in Minnesota<br />
Soldatenbild im Film <strong>der</strong> 1950er Jahre
Impressum<br />
Editorial<br />
Militärgeschichte<br />
Zeitschrift für historische Bildung<br />
Herausgegeben<br />
vom Zentrum für Militärgeschichte und<br />
Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
durch Oberst Dr. Hans-Hubertus Mack und<br />
Oberstleutnant Dr. Sven Lange (V.i.S.d.P.)<br />
Produktionsredakteur <strong>der</strong> aktuellen<br />
Ausgabe:<br />
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa<br />
Redaktion:<br />
Oberleutnant Ariane Aust M.A. (aau)<br />
Frie<strong>der</strong>ike Höhn B.A. (fh)<br />
Major Jochen Maurer M.A. (jm), korresp. Mitglied<br />
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)<br />
Hauptmann Ines Schöbel M.A. (is)<br />
Mag. phil. Michael Thomae (mt)<br />
Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig<br />
Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić<br />
Layout/Grafik:<br />
Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang<br />
Anschrift <strong>der</strong> Redaktion:<br />
Redaktion »Militärgeschichte«<br />
Zentrum für Militärgeschichte und<br />
Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam<br />
E-Mail: ZMSBwRedaktionMilGeschichte@<br />
bundeswehr.org<br />
Homepage: www.zmsbw.de<br />
Manuskripte für die Militärgeschichte werden<br />
an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch<br />
Annahme eines Manuskriptes erwirkt <strong>der</strong> Herausgeber<br />
auch das Recht zur Veröffentlichung,<br />
Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung erfolgt<br />
jeweils nach Veröffentlichung. Die Redaktion<br />
behält sich Än<strong>der</strong>ungen von Beiträgen vor.<br />
Die Wie<strong>der</strong>gabe in Druckwerken o<strong>der</strong> Neuen<br />
Medien, auch auszugsweise, an<strong>der</strong>weitige Vervielfältigung<br />
sowie Übersetzung sind nur nach<br />
vorheriger schriftlicher Zustimmung erlaubt. Die<br />
Redaktion übernimmt keine Verantwortung für<br />
die Inhalte von in dieser Zeitschrift genannten<br />
Webseiten und <strong>der</strong>en Unterseiten.<br />
Für das Jahresabonnement gilt aktuell ein Preis<br />
von 14,00 Euro inklusive Versandkosten (innerhalb<br />
Deutschlands). Die Hefte erscheinen in <strong>der</strong><br />
Regel jeweils zum Ende eines Quartals. Die Kündigungsfrist<br />
beträgt sechs Wochen zum Ende des<br />
Bezugszeitraumes. Ihre Bestellung richten Sie<br />
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Stellmacherstraße 14, 26506 Norden,<br />
E-Mail: info@skn.info<br />
© 2013 für alle Beiträge beim<br />
Zentrum für Militärgeschichte und<br />
Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr (ZMSBw)<br />
Druck:<br />
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden<br />
ISSN 0940-4163<br />
Im Oktober vor 200 Jahren wurde bei<br />
Leipzig eine dreitägige äußerst blutige<br />
Schlacht geschlagen, die den Beinamen<br />
»Völkerschlacht« erhielt. Martin Hofbauer<br />
und Martin Rink erzählen sowohl<br />
von dem Waffengang, seinen Voraussetzungen,<br />
Ursachen als auch von den<br />
Folgen. Die Erinnerung an Leipzig 1813<br />
führte zu einer Fülle von Denkmalen,<br />
so etwa 1863, also 50 Jahre nach dem<br />
Geschehen, zur Einweihung <strong>der</strong> Befreiungshalle in Kehlheim (siehe Titelbild)<br />
sowie zur Errichtung des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig vor 100<br />
Jahren.<br />
Ebenfalls 1913 erfolgte <strong>der</strong> Abschluss <strong>der</strong> sogenannten Dreibund-Marinekonvention.<br />
Rüdiger Schiel und Lars Zacharias stellen die militärpolitischen<br />
Hintergrümde und die intensiven Überlegungen <strong>der</strong> beteiligten drei Mächte<br />
vor. Zwar ist die maritime Aufrüstung vor dem Ersten Weltkrieg in Bezug<br />
auf das deutsch-britische Flottenwettrüsten hinlänglich bekannt. Eher am<br />
Rande hingegen wird die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Flotten Deutschlands, Österreich-Ungarns<br />
und Italiens im Mittelmeer wahrgenommen. Dieser Seeweg<br />
war für die Entente äußerst wichtig: Der Weg über den Suezkanal und Gibraltar<br />
stellte die Lebensa<strong>der</strong> des britischen Empire dar, gleichzeitig verliefen im<br />
Mittelmeer die Verbindungswege zwischen <strong>der</strong> Republik Frankreich und<br />
ihren nordafrikanischen Kolonien. Daher kam es vor 100 Jahren zu intensiven<br />
Überlegungen <strong>der</strong> Mittelmächte, die zur Dreibund-Marinekonvention<br />
führten.<br />
Gut drei Jahrzehnte später waren beide Weltkriege für Deutschland verloren<br />
und die Filmindustrie des jungen Westdeutschlands begann sich dem<br />
Thema Krieg und Militär im Allgemeinen und den Soldaten im Beson<strong>der</strong>en<br />
zu widmen. Benjamin Pommer berichtet davon, welche Bil<strong>der</strong> von Krieg und<br />
Militär sowie <strong>der</strong> Soldaten die ersten Nachkriegsfilme gezeigt haben.<br />
Auch ein in Deutschland eher unbekanntes Massaker an den Siedlern von<br />
Neu-Ulm in Minnesota im Jahre 1862 schaffte es über 100 Jahre später in<br />
einen Film, nämlich in den zweiten Teil von »Winnetou«. Holger Bütow stellt<br />
in seinem Artikel die deutsche Besiedelung Minnesotas im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />
die Konflikte mit den Indianern und die Vergeltung <strong>der</strong> Weißen mitten im<br />
Bürgerkrieg vor. Neu-Ulm in Minnesota ist bis zum heutigen Tage für seine<br />
verkleinerte Kopie des Hermannsdenkmals bekannt, für die das Original in<br />
Detmold Pate stand. Jenes wurde 1875 zum Gedenken an die Schlacht im<br />
Teutoburger Wald 9 n.Chr. eingeweiht, darin wurden auch zeitgenössische<br />
Bezüge auf die Reichsgründung 1871 sowie auf die Befreiungskriege 1813 bis<br />
1815 aufgenommen.<br />
Ein Wort in eigener Sache: Die Redaktion heißt Frau Oberleutnant Ariane<br />
Aust M.A. herzlich in ihren Reihen willkommen.<br />
Ich wünsche Ihnen eine gewinnbringende Lektüre dieses Heftes.<br />
Dr. Harald Potempa<br />
Oberstleutnant
Die Völkerschlacht bei Leipzig.<br />
Verläufe, Folgen, Bedeutungen<br />
1813 – 1913 – 2013<br />
Oberstleutnant i.G. Dr. Martin Hofbauer,<br />
geb. 1969 in Passau, Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
in <strong>der</strong> Abteilung Einsatz des ZMSBw<br />
Oberstleutnant d.R. Dr. Martin Rink, geb. 1966<br />
in Kaufbeuren, Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
in <strong>der</strong> Abteilung Einsatz des ZMSBw<br />
4<br />
Inhalt<br />
Service<br />
Das historische Stichwort:<br />
Israels Vergeltungsschlag<br />
in Qibya 1953 22<br />
Neue Medien 24<br />
Lesetipp 26<br />
Die historische Quelle 28<br />
Geschichte kompakt 29<br />
Ausstellungen 30<br />
Die Dreibund-Marinekonvention<br />
von 1913 und die<br />
deutsche Marinestrategie<br />
Fregattenkapitän Dr. Rüdiger Schiel, geb. 1971<br />
in München, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in<br />
<strong>der</strong> Abteilung Einsatz des ZMSBw<br />
10<br />
Militärgeschichte<br />
im Bild<br />
150 Jahre Befreiungshalle<br />
Kelheim 31<br />
Major Lars Zacharias M.A., geb. in 1976<br />
in Karl-Marx-Stadt, S5 Stabsoffizier und Leiter<br />
Unterstützungszelle CIMIC, Panzergrenadierbrigade<br />
37, Frankenberg/Sa.<br />
Indianeraufstand in<br />
Minnesota 1862<br />
Holger Bütow M.A., geb. 1963 in Rehrhof<br />
(Kreis Lüneburg), freier Historiker<br />
14<br />
Kaiser Wilhelm II. und Prinzregent Ludwig<br />
von Bayern anlässlich <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>tfeier<br />
<strong>der</strong> Völkerschlacht bei Leipzig<br />
an <strong>der</strong> Befreiungshalle in Kelheim an <strong>der</strong><br />
Donau am 25. August 1913. Foto: bpk<br />
»So war <strong>der</strong> deutsche Landser?«<br />
Das Bild deutscher Soldaten<br />
in westdeutschen Kinofilmen <strong>der</strong><br />
1950er Jahre<br />
Hauptmann Benjamin Pommer M.A., geb.<br />
1982 in Bochum, Kompaniechef beim Führungsunterstützungsbataillon<br />
281 in Gerolstein<br />
18<br />
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />
Antonia v. Randow B.A. (Potsdam);<br />
Tobias Graef, Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte<br />
(Regensburg);<br />
Major Dr. Klaus Storkmann, Arbeitsgruppe<br />
ZMSBw im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv<br />
(Freiburg i.Br.);<br />
Alexan<strong>der</strong> Querengässer M.A. (Berlin);<br />
Dipl. Pol. Markus Pede (Potsdam);<br />
Pedi D.Lehmann.
Völkerschlacht bei Leipzig<br />
Verläufe, Folgen, Bedeutungen 1813 – 1913 – 2013<br />
Die Völkerschlacht bei Leipzig<br />
akg-images<br />
5Kampf vor dem Grimmaischen Tor in Leipzig, 19. Oktober 1813. Das 1. ostpreußische Landwehrbataillon unter Major Karl<br />
Friedrich Friccus erstürmt die französische Stellung. Gemäle von Ernst Wilhelm Straßberger, 1820.<br />
An drei Tagen im Oktober 1813<br />
kämpften bei Leipzig rund eine<br />
halbe Million Soldaten aus<br />
buchstäblich ganz Europa. Es war die<br />
bis dahin größte Schlacht <strong>der</strong> Weltgeschichte.<br />
Eine <strong>der</strong>artige Zusammenfassung<br />
von Soldaten hatte es zuvor nicht<br />
gegeben. Unter dem Aspekt <strong>der</strong> Mobilisierung<br />
von personellen, materiellen,<br />
politischen und »moralischen« Ressourcen<br />
stellt die Völkerschlacht einen<br />
Höhepunkt militärischer Leistungsfähigkeit<br />
dar. Einen entsprechenden Tiefpunkt<br />
hingegen boten die menschlichen<br />
Verluste: Rund 100 000 Soldaten<br />
starben auf dem Schlachtfeld vor Leipzig,<br />
waren versprengt o<strong>der</strong> verwundet;<br />
und von den Verwundeten starben erschreckend<br />
viele infolge <strong>der</strong> grassierenden<br />
Infektionskrankheiten und <strong>der</strong><br />
medizinischen Mangelversorgung.<br />
«Leipzig 1813« wurde rasch zu einem<br />
deutschen Erinnerungsort. Neben dem<br />
Schlachtgeschehen selbst erlangten die<br />
kollektiven Deutungsmuster schnell<br />
eine eigene Bedeutung. An die militärischen<br />
Ereignisse knüpften sich Erfahrungen,<br />
Erinnerungen, politische und<br />
gesellschaftliche Deutungsansprüche.<br />
Zudem handelt es sich hier um eine europäische<br />
Geschichte. Warum sonst<br />
wäre das Ereignis eine »Völker-Schlacht«<br />
genannt worden?<br />
Aus <strong>der</strong> später verallgemeinerten<br />
preußisch-deutschen Perspektive entschied<br />
die Völkerschlacht bei Leipzig<br />
die »Befreiungskriege« o<strong>der</strong> »Freiheitskriege«.<br />
Meistens tritt dabei in den<br />
Hintergrund, dass diese Kriege nur<br />
einen Teilaspekt des europaweiten,<br />
stellenweise sogar globalen Konflikts<br />
bildeten, <strong>der</strong> als »Sechster Koalitionskrieg«<br />
von Juni 1812 bis April 1814 von<br />
<strong>der</strong> spanisch-portugiesischen Grenze<br />
bis nach Moskau reichte und <strong>der</strong> in Paris<br />
endete. Im Frühjahr und im Herbst<br />
1813 befand sich das Zentrum dieser<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen in <strong>der</strong> Mitte<br />
Deutschlands. Dass in <strong>der</strong> deutschsprachigen<br />
Literatur weniger vom<br />
»Sechsten Koalitionskrieg«, son<strong>der</strong>n<br />
von den »Befreiungskriegen« o<strong>der</strong><br />
»Freiheitskriegen« die Rede ist, zeigt,<br />
wie die Erzählstränge von Publizistik<br />
und Geschichtswissenschaft lange nationalen<br />
Bahnen folgten und oft nach<br />
wie vor folgen: Immerhin hatte <strong>der</strong><br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
Russlandfeldzug Napoleons mit Preußen<br />
und Österreich als Koalitionspartner<br />
begonnen.<br />
Das Ausmaß <strong>der</strong> Leipziger Schlacht<br />
sprengte bisher bekannte taktisch-operative<br />
Dimensionen. Das Kräftegewicht<br />
war am ersten Tag <strong>der</strong> Schlacht in etwa<br />
ausgewogen. Rund 190 000 Soldaten<br />
<strong>der</strong> Truppen Napoleons standen gegen<br />
205 000 Koalitionssoldaten. Wie bei an<strong>der</strong>en<br />
Schlachten dieser Zeit war die<br />
fortwährende Verstärkung durch neue<br />
Kräfte ein wesentliches Kennzeichen:<br />
Am Ende des dritten Schlachttages gaben<br />
die »schwedische« Nordarmee sowie<br />
die russische Reservearmee den<br />
zahlenmäßigen Ausschlag für den Sieg<br />
<strong>der</strong> Verbündeten. Die Vielfalt <strong>der</strong> an<br />
<strong>der</strong> Schlacht beteiligten Akteure weist<br />
auf die Vielzahl <strong>der</strong> miteinan<strong>der</strong> abzustimmenden<br />
Interessen. Das galt sogar<br />
für die weitgehend nach einheitlichem<br />
System organisierten napoleonischen<br />
Armeen, umso mehr aber für die verbündeten<br />
Truppen <strong>der</strong> Alliierten. Die<br />
antinapoleonische Koalition vereinte<br />
höchst unterschiedliche Mitspieler; das<br />
aber war <strong>der</strong> Preis für ihr Zustandekommen.<br />
Kampf um die europäische<br />
Ordnung<br />
In <strong>der</strong> Völkerschlacht bei Leipzig<br />
verdichtete sich <strong>der</strong> Kampf um die europäische<br />
Ordnung. Der seit 1799 von<br />
Napoleon Bonaparte geformte Verwaltungs-<br />
und Wirtschaftsraum umfasste<br />
zuletzt fast ganz Kontinentaleuropa.<br />
Als selbstinszenierter Retter stabilisierte<br />
Bonaparte im Zweiten Koalitionskrieg<br />
bis 1801 ein Herrschafts- und Einflussgebiet<br />
über (Nord-)Italien, die Nie<strong>der</strong>lande<br />
(heutige Benelux-Staaten) sowie<br />
West- und Süddeutschland. Er krönte<br />
sich am 2. Dezember 1804 zu Napoleon<br />
I., dem Kaiser <strong>der</strong> Franzosen, festigte<br />
sein Reich im Dritten Koalitionskrieg<br />
genau ein Jahr später bei Austerlitz gegen<br />
die russische und die österreichische<br />
Armee und setzte sich gegen<br />
Preußen und dann Russland im Vierten<br />
Koalitionskrieg von 1806/07 durch. Die<br />
Ergebnisse waren ein imperiales<br />
Gebilde mit den Rheinbundstaaten als<br />
militärischem Puffer, die Halbierung<br />
Preußens und die Schwächung Österreichs,<br />
das 1809 im Fünften Koalitionskrieg<br />
vergeblich und ein letztes Mal auf<br />
die deutsche, »nationale« Karte setzte.<br />
5Karikatur auf Napoleons Nie<strong>der</strong>lage bei Leipzig und die Zehntausende von Toten.<br />
Radierung, um 1913.<br />
Die von Napoleon 1806 in Berlin<br />
verfügte Kontinentalsperre, die Wirtschaftsblockade<br />
gegen britische Waren,<br />
veranlasste im Jahr 1807 die napoleonische<br />
Besetzung Portugals und Spaniens.<br />
Hieraus entwickelte sich ein Jahr<br />
später <strong>der</strong> Spanische Krieg, <strong>der</strong> zugleich<br />
ein Staaten-, Bürger- und Guerillakrieg<br />
war. Die Kontinentalsperre bewog<br />
Napoleon zwischen 1810 und 1812<br />
zur direkten Einverleibung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande<br />
sowie West- und Norddeutschlands.<br />
1813 reichte das französische<br />
Staatsgebiet von Rom über Dalmatien<br />
bis Lübeck, von Katalonien bis zur Exklave<br />
<strong>der</strong> Festung Erfurt. Die Kontinentalsperre<br />
bzw. <strong>der</strong>en Nichteinhaltung<br />
durch das Zarenreich war letztlich Anlass<br />
für den Russlandfeldzug, <strong>der</strong> im<br />
Juni 1812 begann und bis November<br />
des Jahres die Grande Armée und mit<br />
ihr eine halbe Million Soldaten so gut<br />
wie vernichtete.<br />
Der Frühjahrsfeldzug<br />
Am 30. Dezember 1812 leitete die Konvention<br />
von Tauroggen die Wende<br />
Preußens vom lauen Verbündeten Napoleons<br />
zur vorübergehend neutralisierten<br />
Macht ein. Zwei Monate später<br />
trat <strong>der</strong> noch zögernde preußische König<br />
Friedrich Wilhelm III. an die Seite<br />
Russlands – als Juniorpartner. Während<br />
dieser in Breslau am 16. März<br />
1813 Frankreich den Krieg erklärte und<br />
am Folgetag seinen berühmten Aufruf<br />
»An Mein Volk« erließ, erreichten<br />
Streifkorps russischer Kosaken und<br />
deutscher Exilverbände zwei Tage später<br />
Hamburg. Mit Eintreffen <strong>der</strong> von<br />
Napoleon eilig zusammengerafften<br />
neuen Grande Armée – einschließlich<br />
<strong>der</strong> deutschen Rheinbundtruppen sowie<br />
italienischer und polnischer Verbände<br />
– erfolgten die großen Gefechte<br />
um Sachsen im Mai. Am 2. Mai 1813<br />
wurde die Schlacht von Groß-Görschen<br />
geschlagen. Obwohl die Verbündeten<br />
mit unterlegenen Kräften den<br />
französischen und Rheinbundtruppen<br />
größere Verluste zufügten, als sie selbst<br />
erlitten, wich das preußisch-russische<br />
Heer geordnet in die Lausitz aus. Dies<br />
bedeutete für Napoleon einen Sieg. Die<br />
Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Verbündeten in <strong>der</strong><br />
Schlacht bei Bautzen am 21. und 22.<br />
Mai 1813 brachte schließlich die Entscheidung<br />
des Frühjahrsfeldzuges. Die<br />
Alliierten zogen sich nach Schlesien zurück.<br />
Aufgrund <strong>der</strong> für beide Parteien<br />
erschöpfenden Kämpfe begann am<br />
4. Juni ein Waffenstillstand, <strong>der</strong> nach<br />
Verlängerung am 16. August endete.<br />
Der Herbstfeldzug<br />
Nach Ablauf des Waffenstillstandes<br />
am 17. August 1813 trat Österreich auf<br />
die Seite <strong>der</strong> Verbündeten. Die 256 000<br />
Soldaten <strong>der</strong> österreichisch-russischpreußischen<br />
Hauptarmee (o<strong>der</strong> Böhmischen<br />
Armee) befanden sich unter<br />
dem österreichischen General Karl Philipp<br />
Fürst zu Schwarzenberg im Süden.<br />
Im Osten standen die 104 000 Sol<br />
bpk / Kunstbibliothek, SMB / Knud Petersen<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
Völkerschlacht bei Leipzig<br />
daten <strong>der</strong> russisch-preußischen Schlesischen<br />
Armee unter dem Befehl des<br />
preußischen Generals Gerhard Leberecht<br />
von Blücher. Die Nordarmee mit<br />
ihren 127 000 Mann befand sich in<br />
Brandenburg und Mecklenburg. Neben<br />
russischen und schwedischen<br />
Truppen bestand sie zu über 50 Prozent<br />
aus Preußen. Ihr Befehlshaber<br />
Jean-Baptiste Bernadotte war ein<br />
früherer Revolutionsgeneral und Konkurrent,<br />
dann Marschall Napoleons,<br />
<strong>der</strong> nun als schwedischer Kronprinz<br />
im Lager <strong>der</strong> Gegner stand. Napoleon<br />
verfügte insgesamt über 313 000 Soldaten<br />
in <strong>der</strong> Mitte Deutschlands. Der<br />
Operationsplan <strong>der</strong> Koalition sah vor,<br />
den Hauptkräften Napoleons zunächst<br />
auszuweichen und seine einzelnen Armeekorps<br />
mit überlegenen Truppen zu<br />
schlagen, um dann einen gemeinsamen<br />
Hauptstoß gegen seinen Schwerpunkt<br />
zu führen. Trotz mancher Koordinationsschwierigkeiten<br />
gelang <strong>der</strong> Koalition<br />
genau dies bei Leipzig.<br />
Am 26. August warf die Schlesische<br />
Armee in <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Katzbach<br />
die Truppen des Marschalls Jacques<br />
Macdonald in Nie<strong>der</strong>schlesien zurück.<br />
Zur selben Zeit errang Napoleons<br />
Hauptarmee bei Dresden über die<br />
überlegene, aber zögerlich eingesetzte<br />
Böhmische Armee <strong>der</strong> Koalition einen<br />
deutlichen Sieg. Ein nachhaltiger französischer<br />
Sieg wurde allerdings durch<br />
Erfolge <strong>der</strong> Alliierten vereitelt. Hierzu<br />
zählte vor allem die Vernichtung des<br />
französischen Korps Vandammes<br />
durch russische und preußische Truppen<br />
bei den nordböhmischen Orten<br />
Kulm und Nollendorf. Im Norden<br />
stoppten Truppen <strong>der</strong> Nordarmee den<br />
Vormarsch französischer Truppen auf<br />
Berlin. Deren preußische Kräfte ließen<br />
sich – mehr eigenmächtig als auf Befehl<br />
ihres Oberbefehlshabers – bei<br />
Großbeeren am 23. August südlich und<br />
bei Hagelberg am 26. August westlich<br />
vor Berlin auf äußerst erfolgreiche Gefechte<br />
ein. Mit <strong>der</strong> Schlacht von Dennewitz<br />
am 6. September 1813 brachten<br />
die preußischen Truppen den französisch-rheinbündischen<br />
Kräften des<br />
Marschalls Michel Ney eine so gravierende<br />
Nie<strong>der</strong>lage bei, dass diesem jedes<br />
weitere Vordringen gegen Berlin<br />
verwehrt blieb. Nach einem Monat des<br />
Abwartens erzwang <strong>der</strong> preußische<br />
General Ludwig Yorck am 3. Oktober<br />
im Gefecht bei Wartenburg den Elbübergang<br />
<strong>der</strong> Schlesischen Armee<br />
unter Blücher. Dies veranlasste die<br />
Nordarmee zum Folgen. Die dadurch<br />
erreichte großräumige Einkreisung <strong>der</strong><br />
Truppen Napoleons durch alle drei alliierten<br />
Armeen entwickelte sich zur<br />
Völkerschlacht.<br />
Die Völkerschlacht<br />
Die eigentliche Schlacht von Leipzig<br />
vom 16. bis 19. Oktober glie<strong>der</strong>te sich<br />
in verschiedene Teilschlachten; vorbereitet<br />
wurde sie durch ein großes Reitergefecht<br />
bei Liebertwolkwitz am<br />
14. Oktober südlich <strong>der</strong> Stadt, das die<br />
größten Kavallerieattacken <strong>der</strong> napoleonischen<br />
Zeit überhaupt beinhaltete.<br />
Die bei<strong>der</strong>seitigen Truppenverstärkungen<br />
südlich von Leipzig leiteten<br />
zwei Tage später die eigentliche<br />
Schlacht ein. Auf dem südlichen<br />
Hauptschauplatz zwischen den Dörfern<br />
Markkleeberg, Wachau und Liebertwolkwitz<br />
befanden sich am Ende<br />
des Tages, trotz großer Verluste, beide<br />
Parteien wie<strong>der</strong> in ihren Ausgangspositionen.<br />
Zugleich war <strong>der</strong> Versuch<br />
eines österreichischen Armeekorps<br />
misslungen, im Westen über die Gewässerläufe<br />
<strong>der</strong> Pleiße durch dichte<br />
Auenwäl<strong>der</strong> in die tiefe rechte Flanke<br />
<strong>der</strong> napoleonischen Truppen zu stoßen.<br />
Während <strong>der</strong> Schwerpunkt <strong>der</strong><br />
Schlacht im Süden lag, führte das Eintreffen<br />
<strong>der</strong> Schlesischen Armee Blüchers<br />
nördlich von Leipzig zu einer<br />
weiteren Teilschlacht bei Möckern.<br />
Diese Kämpfe banden die Kräfte, die<br />
Napoleon für seinen geplanten Entscheidungsstoß<br />
im Süden fehlten. Am<br />
17. Oktober fanden nur kleinere Geplänkel<br />
mit geringer Intensität statt.<br />
Der 18. Oktober brachte die Entscheidung.<br />
Die napoleonischen Truppen<br />
wurden nun in einem Ring um Leipzig<br />
zurückgenommen. Während <strong>der</strong><br />
Schwerpunkt <strong>der</strong> Kämpfe zunächst<br />
weiterhin im Süden lag, wurde die<br />
Schlacht durch das Eintreffen <strong>der</strong> russischen<br />
Reservearmee von Osten sowie<br />
<strong>der</strong> Nordarmee Bernadottes im Nordosten<br />
entschieden. Am selben Abend<br />
ordnete Napoleon das Ausweichen seiner<br />
Truppen aus <strong>der</strong> Stadt an. Am<br />
19. Oktober gelang es weniger als <strong>der</strong><br />
Hälfte seiner Truppen, die Stadt nach<br />
Westen zu verlassen; nachdem die einzige<br />
Brücke über die Elster zu früh gesprengt<br />
worden war, blieben etwa 30 000<br />
seiner Soldaten in <strong>der</strong> Stadt abgeschnitten.<br />
Die Kämpfe, die an diesem Tag<br />
auch Leipzig selbst erreicht hatten,<br />
endeten am frühen Nachmittag. Auf<br />
dem Alten Markt erfolgte eine Siegesparade<br />
vor den drei bei <strong>der</strong> Schlacht anwesenden<br />
Monarchen – dem russischen<br />
Zaren, dem österreichischen Kaiser<br />
Franz I. (gleichzeitig Napoleons Schwiegervater)<br />
sowie dem preußischen König<br />
Friedrich Wilhelm III.<br />
Während zuletzt einige sächsische<br />
Truppen auf dem Schlachtfeld die Seiten<br />
gewechselt hatten, geriet ihr Napoleon<br />
treuer König Friedrich August I.<br />
in preußische Kriegsgefangenschaft.<br />
Für die Masse <strong>der</strong> Rheinbundfürsten<br />
war Leipzig das Signal, sich vom napoleonischen<br />
Frankreich abzuwenden –<br />
gegen Zusage <strong>der</strong> territorialen Unversehrtheit<br />
ihrer Län<strong>der</strong>. Indem sie sich<br />
<strong>der</strong> Koalition anschlossen, vollzogen<br />
sie letztlich nur das nach, was Preußen<br />
zu Jahresbeginn und Österreich im<br />
Sommer des Jahres 1813 vorgemacht<br />
hatten.<br />
Folgen und Bedeutungen<br />
Die Völkerschlacht bietet vor dem Hintergrund<br />
ihrer Auswirkungen und <strong>der</strong><br />
Vielzahl <strong>der</strong> beteiligten Akteure die<br />
Möglichkeit, sich nicht nur auf die Ereignisse<br />
selbst im Oktober 1813 zu konzentrieren,<br />
son<strong>der</strong>n vor allem die Folgen<br />
und Bedeutungen in den Vor<strong>der</strong>grund<br />
zu stellen; in militärischer wie<br />
auch in politischer und kultureller Hinsicht.<br />
Dies gilt ganz beson<strong>der</strong>s für<br />
»Deutschland« und »die Deutschen«.<br />
Die Deutungsmuster waren dabei sehr<br />
unterschiedlich. Die bald nach <strong>der</strong> Völkerschlacht<br />
einsetzenden Erzählungen<br />
vom »Befreiungskrieg« betonten die<br />
Rolle des preußischen Königs. Hier ging<br />
es unter verschiedenen Vorzeichen um<br />
die Befreiung von <strong>der</strong> napoleonischen<br />
Fremdherrschaft. Eine an<strong>der</strong>s gelagerte<br />
Sichtweise betonte den Kampf um die<br />
politische Freiheit im Land und sprach<br />
daher vom »Freiheitskrieg«. Dieser Begriff<br />
rückte die Rolle des – in <strong>der</strong> Tat nur<br />
sehr zögerlichen – Preußenkönigs in<br />
den Hintergrund. Im Zeitalter <strong>der</strong><br />
Monarchie war das politisch wenig korrekt,<br />
bot aber Anknüpfungspunkte für<br />
eine spätere liberale o<strong>der</strong> demokratische<br />
Deutungsweise.<br />
In globaler Perspektive fügt sich<br />
»Leipzig 1813« in den großen Konflikt<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
zwischen Frankreich und Großbritannien<br />
ein, <strong>der</strong> zwischen dem Siebenjährigen<br />
Krieg (1755/56-1763) und den<br />
Napoleonischen Kriegen (1792-1815)<br />
ausgefochten wurde. Es war genau die<br />
Phase, in <strong>der</strong> sich die taktisch-operative<br />
Überlegenheit europäischer Armeen gegenüber<br />
nichteuropäischen Armeen<br />
klar herausbildete. Denn die europäische<br />
Konkurrenz erzeugte umfassende<br />
Innovationen bei <strong>der</strong> Kriegführung und<br />
<strong>der</strong> Mobilisierung von Armeen.<br />
Der britisch-französische Gegensatz<br />
führte zur Kontinentalsperre. Diese<br />
wie<strong>der</strong>um war <strong>der</strong> wirtschaftliche Ausfluss<br />
einer kontinentaleuropäischen,<br />
politisch-gesellschaftlichen «imperialen«<br />
Herrschaftsordnung. Mit <strong>der</strong><br />
Einverleibung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande ins<br />
französische Staatsgebiet wurden auch<br />
die holländische Siedlungskolonie<br />
Kapstadt und Handelsstützpunkte in<br />
Ostindien (Indonesien) in den französisch-britischen<br />
Gegensatz hineingezogen<br />
– zugunsten <strong>der</strong> britischen Marine.<br />
Die Kontinentalsperre verwandelte<br />
nicht nur Spanien und Portugal von<br />
Verbündeten Frankreichs zu dessen<br />
Kriegsgegnern, son<strong>der</strong>n koppelte ab<br />
1808 die iberischen Kolonien Lateinamerikas<br />
von ihren europäischen »Mutterlän<strong>der</strong>n«<br />
ab; die spanische Flotte<br />
war 1805 an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> französischen<br />
bei Trafalgar versenkt worden. Während<br />
Frankreich in <strong>der</strong> Karibik und in<br />
Nordamerika als antibritisches Gegengewicht<br />
ausgefallen war, wurden die<br />
jungen Vereinigten Staaten von<br />
Amerika in das internationale Konfliktgeschehen<br />
hineingezogen. Mit den<br />
Napoleonischen Kriegen mittelbar in<br />
Zusammenhang stehen auch <strong>der</strong> Britisch-Amerikanische<br />
Krieg von 1812<br />
und die letzte Phase im »Sechzigjährigen<br />
Krieg« <strong>der</strong> Vereinigten Staaten<br />
gegen die indianischen Völker an den<br />
Großen Seen Nordamerikas. Dasselbe<br />
gilt für die Kriege <strong>der</strong> britischen Ostindienkompanie<br />
gegen die indischen<br />
Marathen-Staaten und das Reich Mysore,<br />
wo Frankreich ebenfalls als Gegenspieler<br />
ausfiel, aber dennoch als<br />
Sündenbock zur Rechtfertigung britischer<br />
Interventionen taugte.<br />
Diese globalen Bezüge erklären die<br />
Rolle Großbritanniens, das bei Leipzig<br />
selbst kaum, in <strong>der</strong> folgenden Europapolitik<br />
jedoch sehr präsent war. Neben<br />
<strong>der</strong> Lieferung von 100 000 Gewehren<br />
an die russische Armee und <strong>der</strong> Zahlung<br />
beträchtlicher Subsidien an die<br />
Koalition fokussierte sich <strong>der</strong> britische<br />
Kriegseinsatz auf die Iberische Halbinsel,<br />
wo Hun<strong>der</strong>ttausende von Soldaten<br />
aus dem napoleonischen Machtbereich<br />
gebunden waren. Ähnliches gilt für die<br />
Rolle Schwedens, das mit Unterstützung<br />
Russlands Kompensation für das<br />
an das Zarenreich abgetretene Finnland<br />
in Norwegen suchte. Dieses wie<strong>der</strong>um<br />
gehörte zum Herrschaftsbereich Dänemarks,<br />
das zudem über das Herzogtum<br />
Holstein gebot und mit Frankreich verbündet<br />
war. Auch weil er diesen Nebenkriegsschauplatz<br />
im Auge behielt, erreichte<br />
Bernadottes Nordarmee erst am<br />
dritten Tag das Leipziger Schlachtfeld.<br />
Die napoleonische Epoche wird auch<br />
als »Sattelzeit« o<strong>der</strong> «Achsenzeit« bezeichnet,<br />
die bis heute die Geschichtsbücher<br />
strukturiert. »Leipzig 1813«<br />
steht inmitten dieses Epochenbruchs.<br />
Diese Epochenverortung ist aber zu<br />
hinterfragen; denn die Richtung des<br />
damals so gedachten und empfundenen<br />
Fortschritts ist 200 Jahre nach<br />
dem Ereignis nicht mehr klar. Die seit<br />
<strong>der</strong> Epoche Napoleons vollendeten<br />
Schritte einer militärischen »Professionalisierung«<br />
überkreuzten sich für die<br />
kommenden rund 150 Jahre mit dem<br />
Konzept vom »Volksheer«. Auch hier<br />
wandeln sich nun die Perspektiven.<br />
Das faktische Ende <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Wehrpflicht in Deutschland wie in weiten<br />
Teilen Europas um das Jahr 2000<br />
legt eine Neubewertung <strong>der</strong> Wehrform<br />
nahe, <strong>der</strong>en Vorzüge über zwei Jahrhun<strong>der</strong>te<br />
hinweg von breiten gesell<br />
ullstein bild - ddp<br />
5Historische Nachstellung <strong>der</strong> Völkerschlacht bei Leipzig in Liebertwolkwitz, 2001. Die Darsteller verkörpern Grenadiere <strong>der</strong> französischen<br />
Leibgarde Napoleons.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
Völkerschlacht bei Leipzig<br />
schaftlich relevanten Gruppen hervorgehoben<br />
worden sind. Die Abkehr<br />
hiervon ist selbst wie<strong>der</strong>um Folge des<br />
Epochenumbruchs um 1990. Insofern<br />
bietet die Perspektive von »1813« über<br />
»1913« zum eigenen Standpunkt<br />
»2013« eine Vergleichsfolie, die sich<br />
weit über die militärische Geschichte<br />
hinaus erstreckt.<br />
Dieser Abriss weist auf die erfor<strong>der</strong>liche<br />
»Betrachtung <strong>der</strong> Betrachter«.<br />
Und »Leizpig 1813« liefert reichlich<br />
Anschauungsmaterial für diverse<br />
Betrachtungsstandpunkte in ihren jeweiligen<br />
Zeiten. Die Ereignisse vom<br />
Oktober 1813 selbst wurden im Lauf<br />
von 200 Jahren durch Literaten, Erinnerungspolitiker<br />
und Historiker mehrfach<br />
überformt. Die »Verläufe« sind<br />
von den »Erfahrungen«, von den »Folgen«<br />
und »Bedeutungen« kaum zu<br />
trennen. Sowohl die diversen »nationalen«<br />
Konnotationen als auch die unterschiedlichen<br />
zeitlichen Ebenen in<br />
<strong>der</strong> 200-jährigen Bewertung zwischen<br />
1813 und 2013 machen die Leipziger<br />
Völkerschlacht zum »Erinnerungsort«,<br />
und zwar in regionaler, in nationaler<br />
wie in europäischer Hinsicht.<br />
sollten die »Kriegsleute und alle waffenfähige[n]<br />
Männer […] im feierlichem<br />
Aufzuge« erscheinen, die Veteranen<br />
von 1813/14 geehrt sowie Ehrengastmahle<br />
für die »verwundeten und<br />
verkrüppelten Krieger dieser Jahre«<br />
gegeben werden. Außerhalb <strong>der</strong> Stadt,<br />
»wo so viel Blut floß«, for<strong>der</strong>te Arndt<br />
die Errichtung eines monumentalen<br />
Denkmals von ca. 60 Meter Höhe, »wobei<br />
die Kunst keine Aeffereien anbringen«<br />
solle. Arndt schlug ein »kolossales<br />
aus Eisen gegossenes« Kreuz mit<br />
großer vergoldeter Kugel vor. Um<br />
dieses Denkmal herum sollten 15 Morgen<br />
»für ein geheiligtes Land erklärt«<br />
und mit Eichen bepflanzt werden. Mit<br />
seiner For<strong>der</strong>ung nach einem Denkmal<br />
propagierte Arndt eine Idee, die tatsächlich<br />
in ähnlicher Weise realisiert<br />
wurde, allerdings erst 100 Jahre nach<br />
<strong>der</strong> Völkerschlacht – und 30 Meter höher.<br />
Arndts Denkmalidee verfolgte<br />
letztlich das Ziel, die noch »heißen« Ereignisse<br />
von Krieg und Schlacht in die<br />
»kalte« Form alltäglicher Erinnerung zu<br />
überführen. Als gemeinsamer Platz sollte<br />
das Denkmal den Ort für Gedenkveranstaltungen<br />
bieten und so für die Selbstvergewisserung<br />
einer »nationalen« Gemeinschaft<br />
dienen – mit religiösen Formen.<br />
Die Ausformung des Nationalgefühls<br />
zu einer Art Ersatzreligion kennzeichnet<br />
den Gesamttrend im 19. Jahr<br />
ullstein bild - Conrad Huenich<br />
Leipzig und sein Denkmal<br />
Ein Jahr nach <strong>der</strong> Schlacht, im Jahr<br />
1814, veröffentlichte Ernst Moritz<br />
Arndt »Ein Wort über die Feier <strong>der</strong><br />
Leipziger Schlacht«. Nicht nur von seiner<br />
Diktion her war die Schrift im Stil<br />
einer Predigt gehalten. Auch inhaltlich<br />
verband Arndt die Völkerschlacht als<br />
Werk Gottes im Sinne von Sühne und<br />
Erlösung: »Da griff Gott <strong>der</strong> Herr, <strong>der</strong><br />
wegen unserer Sünden lange geschwiegen<br />
hatte, mit seinem allmächtigen<br />
Arm darein, er erweckte den Geist <strong>der</strong><br />
Völker und Herrscher, beseelte die<br />
Heere mit seiner Zuversicht, und zerschmetterte<br />
den wilden Tyrannen und<br />
seine gräulichen Räuberhorden.« Mit<br />
dem Ende <strong>der</strong> napoleonischen »Fremdherrschaft«<br />
sah Arndt »in Europa die<br />
Weltordnung <strong>der</strong> Gerechtigkeit« wie<strong>der</strong>hergestellt<br />
– auf »dass wir wie<strong>der</strong><br />
ein ganzes Volk werden können«. Als<br />
»ein starkes und mächtiges Bindungsmittel<br />
aller Teutschen in ächter und<br />
alter teutscher Brü<strong>der</strong>lichkeit und Redlichkeit«<br />
for<strong>der</strong>te Arndt die Einrichtung<br />
eines deutschen Nationalfeiertages für<br />
den Abend des 18. und den ganzen<br />
19. Oktober. Im Rahmen dieser Feier<br />
5Einweihungsfeier des Völkerschlachtdenkmals am 18. Oktober 1913.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
5»Leipzig 1813 – In den Wirren <strong>der</strong> Völkerschlacht«: Das 360-Grad-Panorama des<br />
Künstlers Yadegar Asisi zeigt seit August 2013 die Folgen <strong>der</strong> Völkerschlacht für die<br />
Stadt Leipzig des Jahres 1813. Das 3500 qm große Rundbild vermittelt den Eindruck,<br />
als würde man dem Geschehen tatsächlich beiwohnen.<br />
hun<strong>der</strong>t. Daher gilt dieses gemeinhin<br />
als Zeitalter <strong>der</strong> Nationalbewegungen<br />
und <strong>der</strong> Nationalstaaten. Erst die Eliten<br />
aus <strong>der</strong> Schicht des aufstrebenden<br />
Bürgertums, dann breitere Bevölkerungsschichten<br />
maßen dem »Volk« als<br />
Kern des Nationalen eine beson<strong>der</strong>e<br />
Bedeutung zu. Dabei lässt das Wort<br />
»Volk« unterschiedliche, historisch bedingte<br />
Auslegungen zu. In <strong>der</strong> frühen<br />
Neuzeit bezogen sich »Vol(c)k« o<strong>der</strong><br />
auch »Heervolk« und »Kriegsvolk« auf<br />
die ins Feld ziehende bewaffnete<br />
Macht. Zusammen mit den mitziehenden<br />
Händlern, Fuhrknechten, aber<br />
auch Frauen und Kin<strong>der</strong>n bildete es<br />
einen komplexen und mobilen Sozialkörper.<br />
Dies än<strong>der</strong>te sich seit <strong>der</strong> Französischen<br />
Revolution von 1789 mit<br />
dem dort propagierten und dann unter<br />
Napoleon Bonaparte perfektionierten<br />
Massenheer. Nun trat, zumindest theoretisch,<br />
das gesamte Volk unter die<br />
Waffen. Damit einher ging die Verknüpfung<br />
von »Massenheer« und<br />
Nation, die Heere wurden sozusagen<br />
»nationalisiert«. Von nun an wurden<br />
die Streitkräfte als wesentlicher Ausdruck<br />
einer Nation wahrgenommen<br />
und mit <strong>der</strong> Wehrpflicht eine »demokratische«<br />
Idee verbunden. Oft wich<br />
die alltägliche Realität von den hehren<br />
Zielen <strong>der</strong> patriotischen Aufrufe ab.<br />
Faktisch führte die Wehrpflicht zu teils<br />
gewaltsamen Wi<strong>der</strong>ständen, zu Fluchto<strong>der</strong><br />
Ausweichbewegungen, selbst zu<br />
taktisch motivierten Eheschließungen<br />
junger Männer mit deutlich älteren<br />
Frauen (denn Verheiratete blieben ausgenommen).<br />
Historikerinnen und Historiker<br />
untersuchen daher heute nicht<br />
nur den Ablauf konkreter historischer<br />
Ereignisse, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong>en Folgen<br />
und Bedeutungen. Dabei unterliegt die<br />
jeweilige Bewertung oftmals einem<br />
zeitbedingten Wandel; etablierte, vielen<br />
lieb gewonnene Auffassungen<br />
werden so fortwährend in ein neues<br />
Licht gestellt. Dies trifft auch auf die<br />
»Befreiungs-« o<strong>der</strong> »Freiheitskriege«<br />
im Allgemeinen wie auf die Völkerschlacht<br />
im Beson<strong>der</strong>en zu.<br />
Die Wirkung <strong>der</strong> napoleonischen<br />
Zeit auf die Deutschen war vielfältig<br />
und mehrdeutig: Im Rheinland, das<br />
ohnehin seit 1800 staatsrechtlich zu<br />
Frankreich gehörte, war die französische<br />
Herrschaft vielfach anerkannt.<br />
Im militärisch und moralisch nie<strong>der</strong>geworfenen<br />
Preußen hingegen, das zudem<br />
enorme materielle Besatzungslasten<br />
zu tragen hatte, entstand ein<br />
Nährboden für einen Franzosenhass,<br />
den die preußisch-patriotische Propaganda<br />
von 1813 gezielt aufgriff. Abgesehen<br />
vom Dauereinsatz ihrer Armeen<br />
in Spanien o<strong>der</strong> Russland, profitierten<br />
die Rheinbundstaaten durchaus von<br />
Napoleon.<br />
Indessen verankerte die Neuordnung<br />
Deutschlands auf dem Wiener Kongress<br />
1815 viele Kennzeichen <strong>der</strong> im<br />
Zeitalter von Revolution und Napoleon<br />
umgeformten Staatsgewalt: Die<br />
dort geschaffenen Grenzen zeigen sich<br />
heute noch in <strong>der</strong> Gestalt mancher<br />
Bundeslän<strong>der</strong>. Und die Staatsgewalt<br />
etablierte sich in <strong>der</strong> Fläche – wie im<br />
Zeitalter Napoleons mittels Steuern,<br />
Bürokratie und Wehrpflicht. Was<br />
Frankreich Mitte 1813 bei Annahme<br />
des angebotenen Waffenstillstands<br />
hätte behalten können, verlor es bei<br />
Leipzig und im anschließenden Feldzug<br />
<strong>der</strong> Koalitionsheere nach Paris.<br />
Wäre Napoleons Kalkül vom 16. Oktober<br />
1813 aufgegangen, im Süden Leipzigs<br />
die Hauptarmee <strong>der</strong> Koalition erst<br />
in <strong>der</strong> Flanke zu binden, dann im Zentrum<br />
durch den Angriff seiner Garde<br />
und <strong>der</strong> Reserve zu durchstoßen, wäre<br />
die Landkarte Deutschlands heute womöglich<br />
eine an<strong>der</strong>e.<br />
Gerade auch deshalb sahen die<br />
folgenden eineinhalb Jahrhun<strong>der</strong>te so<br />
viele nationale Gedenkfeiern in Deutschland.<br />
Dies wie<strong>der</strong>um führte nach 1945<br />
zu unterschiedlichen Erinnerungssträngen<br />
in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />
und in <strong>der</strong> DDR. Während letztere im<br />
Zeichen des Kalten Krieges die deutschrussische<br />
Waffenbrü<strong>der</strong>schaft beschwor,<br />
rückten in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
die Themenfel<strong>der</strong> Krieg und patriotisches<br />
Gedenken mit dem Generationenwandel<br />
um 1970 zunehmend aus<br />
dem Blickfeld. Das Thema »Leipzig«<br />
verweist daher auch auf unterschiedliche<br />
Erinnerungskulturen in Preußen,<br />
Bayern und im Rheinland, in »Ost«<br />
und »West«.<br />
Angesichts <strong>der</strong> rund 100 000 Opfer<br />
<strong>der</strong> Völkerschlacht stellt sich die Frage,<br />
wie heute eines solchen Jahrestages angemessen<br />
gedacht werden kann. Der<br />
vom Freistaat Sachsen und <strong>der</strong> Stadt<br />
Leipzig initiierte Veranstaltungszyklus<br />
»Leipzig 1813 – 1913 – 2013. Eine europäische<br />
Geschichte« verfolgt daher das<br />
Anliegen, die Stätte des Krieges zu<br />
einem Ort <strong>der</strong> Begegnung umzuwidmen.<br />
Das bedeutet eine erneute Umdeutung<br />
dieses Erinnerungsortes im<br />
Sinne <strong>der</strong> Gegenwart. Gleichzeitig<br />
kommt so die europäische Perspektive<br />
an den Ort einer Vielvölkerschlacht zurück.<br />
Martin Hofbauer und Martin Rink<br />
Literaturtipps<br />
Hans-Ulrich Thamer, Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas<br />
Kampf gegen Napoleon, München 2013.<br />
Karl-Heinz Lutz / Martin Rink / Marcus von Salisch (Hg.),<br />
Reform - Reorganisation - Transformation. Zum Wandel<br />
in deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen<br />
bis zur Transformation <strong>der</strong> Bundeswehr. Im<br />
Auftrag des Militärgeschichtlichen <strong>Forschungsamt</strong>es,<br />
München 2010.<br />
Dominic Lieven, Russland gegen Napoleon. Die Schlacht<br />
um Europa, München 2011.<br />
picture alliance / AP images<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
Dreibund-Marinekonvention 1913<br />
bpk<br />
5Generaloberst Helmuth Johannes Ludwig von Moltke (1848–1916), von 1906 bis 1914 Chef des Großen Generalstabes (um 1912).<br />
Die Dreibund-Marinekonvention<br />
von 1913 und die<br />
deutsche Marinestrategie<br />
Der Chef des deutschen Generalstabes<br />
Helmuth von Moltke (d.J.)<br />
schrieb am 2. Januar 1913 an seinen<br />
österreichisch-ungarischen Amtskollegen<br />
Franz Conrad von Hötzendorf:<br />
»Die englischen Seestreitkräfte werden<br />
mit ihren Hauptteilen in <strong>der</strong> Nordsee<br />
[durch die deutsche Hochseeflotte]<br />
gebunden sein […] einer gemeinsamen<br />
österreichisch-italienischen Flottenaktion<br />
[würde es] nach meiner Ansicht<br />
nicht schwer werden, die Herrschaft zur<br />
See im Mittelmeer zu gewinnen […]<br />
Dies würde für Deutschland […] den<br />
Vorteil haben, dass Frankreich daran<br />
verhin<strong>der</strong>t wird, sein XIX. Armeekorps<br />
aus Algier und die in Marokko stehenden<br />
[…] zwei Armeekorps herüberzuschaffen<br />
und gegen Deutschland einzusetzen<br />
[…] Trägt Österreich […] dazu<br />
bei […] eine möglichst schnelle Entscheidung<br />
<strong>der</strong> Kämpfe an seiner Westgrenze<br />
zu ermöglichen, so wird ihm dies durch<br />
die Möglichkeit einer beschleunigten<br />
Überführung deutscher Truppen nach<br />
dem Osten zugute kommen.«<br />
Moltke wies damit auf die die strategische<br />
Wechselwirkung <strong>der</strong> künftigen<br />
Kriegsschauplätze im Westen (Deutschland<br />
– Frankreich), in <strong>der</strong> Nordsee<br />
(Deutschland – Großbritannien), im Mittelmeer<br />
(Frankreich – Italien/Österreich-<br />
Ungarn) und im Osten (Deutschland/<br />
Österreich-Ungarn – Russland) hin.<br />
Conrad erwi<strong>der</strong>te auf die Ideen am 9. Januar<br />
1913, dass »sich dieselben ganz mit<br />
den meinigen decken«.<br />
Am 23. Juni 1913 schlossen Deutschland,<br />
Italien und Österreich-Ungarn die<br />
zweite Dreibund-Marinekonvention,<br />
die am 1. November 1913 offiziell in<br />
Kraft trat. Pikanterweise kam die Anregung<br />
zu einem neuerlichen maritimen<br />
Verhandlungsvorstoß vom Chef des italienischen<br />
Generalstabes, also ausgerechnet<br />
von demjenigen Bündnispartner,<br />
dessen Nichtbeteiligung am an<strong>der</strong>thalb<br />
Jahre später eintretenden Ernstfall<br />
alle diesbezüglichen Planungen ad absurdum<br />
führte. Auch wenn die Konvention<br />
damit nie in die Tat umgesetzt<br />
wurde und in <strong>der</strong> Strategiediskussion<br />
um die Kaiserliche Marine bislang<br />
kaum Beachtung fand, markiert sie am<br />
Vorabend des Ersten Weltkrieges auf<br />
maritimem Gebiet den Sprung des<br />
10 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
5General <strong>der</strong> Infanterie Franz Xaver Josef<br />
Freiherr Conrad von Hötzendorf (1852–<br />
1925), seit 1906 Chef des österreichischungarischen<br />
Generalstabes (um 1915).<br />
Dreibundes von einer losen Interessengemeinschaft<br />
zum »echten« Militärbündnis<br />
mo<strong>der</strong>ner Prägung und verdient<br />
daher auch nach 100 Jahren eine<br />
nähere Betrachtung.<br />
Die Rolle <strong>der</strong> deutschen<br />
Schlachtflotte<br />
Staatssekretär im Reichmarineamt Alfred<br />
von Tirpitz schuf ab 1897 die gesetzlichen<br />
und finanziellen Rahmenbedingungen<br />
für eine Flottenrüstung großen<br />
Stils und konnte diese bis zum Ersten<br />
Weltkrieg aufrechterhalten. Im<br />
Ergebnis verfügte das Deutsche Reich<br />
1914 über die zweitstärkste Flotte <strong>der</strong><br />
Welt. Bei <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Schiffe rangierte<br />
sie gleich hinter Großbritannien und<br />
knapp vor den USA. Ihre strategische<br />
bpk<br />
Denk- und Ausrichtung war ganz auf<br />
eine entscheidende Seeschlacht gegen<br />
die britische Royal Navy fixiert mit<br />
dem Ziel, »ihre höchste Kriegsleistung<br />
zwischen Helgoland und <strong>der</strong> Themse<br />
[zu] entfalten«, so Tirpitz im Jahre<br />
1897. Völlig unbeantwortet blieb jedoch<br />
die Frage, was denn mit dieser<br />
Seeschlacht eigentlich erreicht werden<br />
sollte. Auch im Falle eines deutschen<br />
Sieges würden die britischen Seeverbindungen<br />
vor allem im Atlantik auf<br />
Grund des durch die Kohlekapazität<br />
begrenzten Fahrbereichs <strong>der</strong> deutschen<br />
Schiffe und durch das weitgehende<br />
Fehlen von überseeischen Stützpunkten<br />
nicht nachhaltig gefährdet. Über<br />
die Rolle in <strong>der</strong> Nordsee hinaus blieb<br />
<strong>der</strong> Tirpitzflotte die Fähigkeit zur Projektion<br />
von Seemacht über weite Entfernungn<br />
im Ansatz verwehrt.<br />
Damit stellt sich die grundsätzliche<br />
Frage nach <strong>der</strong> Sinnhaftigkeit einer<br />
Schlachtflotte für das Deutsche Reich.<br />
Folgt man dieser Überlegung konsequent,<br />
dann kann ein Einsatz <strong>der</strong> Tirpitzflotte<br />
in einem Konflikt eigentlich<br />
gar nicht vorgesehen gewesen sein. Allein<br />
die Drohung einer auch für den<br />
potenziellen Gegner Großbritannien<br />
verlustreichen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
sollte die britische Regierung von einer<br />
Beteiligung an einem großen Konflikt<br />
abschrecken. Diese als »Risikotheorie«<br />
bezeichnete Doktrin von Tirpitz weist<br />
<strong>der</strong> Flotte die Rolle eines strategischen<br />
Abschreckungsinstruments zu, das<br />
zwar glaubhaft sein muss, um wirksam<br />
zu sein, jedoch mit Beginn des<br />
Konflikts versagt hat. Insofern ist das<br />
5Generalleutnant Alberto Pollio (1852–1914, 3. v.r.), von 1906 bis 1914 Generalstabschef<br />
des italienischen Heeres, beim Kaisermanöver im September 1913 in Schlesien.<br />
bpk, Oscar Tellgmann<br />
Fehlen eines »sinnvollen« Einsatzkonzeptes<br />
für den Ernstfall kein entscheiden<strong>der</strong><br />
Mangel, da Funktion und Wirkung<br />
primär politischer Natur waren.<br />
Die Schlachtflotte war quasi <strong>der</strong> »Droh-<br />
Hebel« für die weltumspannende<br />
Durchsetzung deutscher Interessen gegen<br />
potenzielle Rivalen in Europa und<br />
richtete sich vor allem gegen Großbritannien.<br />
Diese spezifische deutsche<br />
Adaption <strong>der</strong> Begriffe Flotte und Seemacht<br />
findet seinen Ausdruck auch in<br />
<strong>der</strong> weitgehenden Marginalisierung<br />
des für die Einsatzplanung originär zuständigen<br />
Admiralstabs, dessen Einfluss<br />
auf Schiffbau und strategische<br />
Planung im Gegensatz zum eigentlich<br />
rein administrativen Reichsmarineamt<br />
kaum ins Gewicht fiel. Vor diesem Hintergrund<br />
verwun<strong>der</strong>t es nicht, dass<br />
sich <strong>der</strong> Chef des Generalstabes Gedanken<br />
über strategische Einsatzoptionen<br />
<strong>der</strong> Marine machte, während sich<br />
die deutsche Admiralität weitgehend<br />
auf taktische Gefechtsausbildung für<br />
die geplante große Seeschlacht in <strong>der</strong><br />
Nordsee beschränkte.<br />
Die Marinekonvention von 1900<br />
Die Bereitschaft Italiens zur Kooperation<br />
hatte ihre Ursache in Befürchtungen<br />
vor alliierten Landungsoperationen<br />
an <strong>der</strong> italienischen Westküste.<br />
Dass diese nicht aus <strong>der</strong> Luft gegriffen<br />
und die Ententemächte dazu durchaus<br />
in <strong>der</strong> Lage waren, zeigte später die alliierte<br />
Landungsoperation in Gallipoli<br />
(Türkei) 1915. Die italienische Marine<br />
allein war zu schwach, um dieses Risiko<br />
zu minimieren, und die italienische<br />
Armee konnte auch nicht jeden<br />
Küstenkilometer verteidigen. Daher<br />
initiierte Italien aus eigenen Sicherheitserwägungen<br />
heraus bereits um<br />
die Jahrhun<strong>der</strong>twende Verhandlungen<br />
über eine maritime Kooperation im<br />
Mittelmeer. Diese mündeten am 6. Juni<br />
1900 in die erste Dreibund-Marinekonvention.<br />
Die Konvention beinhaltete eine allgemeine<br />
Abgrenzung <strong>der</strong> Operationsgebiete<br />
(Deutschland: Ost- und Nordsee,<br />
Atlantik; Italien: westliches Mittelmeer;<br />
Österreich-Ungarn: Adria und<br />
östliches Mittelmeer), Regelungen zum<br />
Grad <strong>der</strong> Zusammenarbeit in Friedenszeiten,<br />
zum Oberbefehl und zur Sicherstellung<br />
<strong>der</strong> Kommunikation (Signalabkommen)<br />
sowie die gegenseitige<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />
11
Dreibund-Marinekonvention 1913<br />
5Kaiser Wilhelm II. und die Admirale<br />
Alfred von Tirpitz und Henning von<br />
Holtzendorff an Bord <strong>der</strong> Kaiserjacht<br />
»Hohenzollern« anlässlich <strong>der</strong> Kieler<br />
Woche 1910.<br />
bpk/Th. Jürgensen<br />
Nutzung von Hafenanlagen. Damit<br />
unterschied sich diese Marinekonvention<br />
kaum von an<strong>der</strong>en Militärkonventionen<br />
<strong>der</strong> damaligen Zeit und trug<br />
dem Wunsch <strong>der</strong> Bündnispartner nach<br />
individueller operativer Freiheit Rechnung.<br />
Weitergehende Vorschläge Italiens<br />
hinsichtlich <strong>der</strong> Abstimmung und<br />
Festlegung von Operationszielen und<br />
Angriffsobjekten scheiterten an den<br />
Ressentiments <strong>der</strong> deutschen und österreichisch-ungarischen<br />
Chefs <strong>der</strong> General-<br />
und Admiralstäbe, die bei zu<br />
großer Offenheit einen Verrat italienischer<br />
Militärs an Frankreich und<br />
Großbritannien befürchteten. Letztendlich<br />
reichte Italien eine Rückendeckung<br />
durch Österreich-Ungarn in <strong>der</strong><br />
Adria zwar als Minimalkonsens, <strong>der</strong><br />
erneute Verhandlungsvorstoß 1912<br />
zeigt aber die Vitalität des italienischen<br />
Sicherheitsbedürfnisses in diesem<br />
Punkt. Es bleibt zu hinterfragen, inwieweit<br />
die fehlende maritime Berücksichtigung<br />
<strong>der</strong> italienischen Interessen die<br />
Hinwendung Italiens zu Frankreich ab<br />
1903 mit beeinflusst hat.<br />
Auch die ablehnende Haltung <strong>der</strong><br />
deutschen Spitzenmilitärs bleibt zu<br />
hinterfragen. Die Ursache für die mangelnde<br />
Kooperationsbereitschaft ist<br />
letztlich wohl in <strong>der</strong> inneren Verfasstheit<br />
des Dreibundes zu suchen, die<br />
durch gegenseitige Rivalitäten und<br />
latente Konfrontationen vorwiegend<br />
zwischen Österreich-Ungarn und Italien<br />
geprägt war. Vor allem in <strong>der</strong> Balkanpolitik<br />
traten Verwerfungen immer<br />
stärker hervor. Diese erste Marinekonvention<br />
konnte nicht und sollte wohl<br />
auch nicht politische Differenzen überbrücken,<br />
son<strong>der</strong>n lediglich ein Mindestmaß<br />
an Kooperation für den Fall<br />
eines europäischen Konfliktes ermöglichen,<br />
ohne den Dreibundpartnern zu<br />
weitgehende Einschränkungen ihrer<br />
individuellen operativen Freiheit aufzunötigen.<br />
Gepaart mit <strong>der</strong> Angst vor<br />
Verrat war in dieser Situation das Denken<br />
und Handeln <strong>der</strong> deutschen und<br />
österreichisch-ungarischen Marineführung<br />
ganz auf die jeweilige »nationale«<br />
strategisch-operative Doktrin ausgerichtet.<br />
Der berühmte Blick über den<br />
eigenen Tellerrand hinaus fand im Jahr<br />
1900 jedenfalls nicht statt.<br />
Die Marinekonvention von 1913<br />
Legt man das eingangs zitierte Schreiben<br />
Moltkes an seinen Amtskollegen<br />
Conrad zugrunde, schien sich diese Situation<br />
zu Beginn des Jahres 1913 komplett<br />
gewandelt zu haben. Durch die<br />
Integration Großbritanniens in das<br />
Bündnissystem <strong>der</strong> Entente ab 1904 erscheint<br />
ein strategisches Interesse vor<br />
allem des Deutschen Reiches an einer<br />
in eine Gesamtkriegskonzeption eingebetteten<br />
Seekriegsplanung nur logisch.<br />
Gerade das Deutsche Reich konnte vor<br />
dem Hintergrund des Schlieffenplans<br />
von einer maritimen Kooperation im<br />
Mittelmeer erheblich profitieren. Die<br />
Bindung <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong> britischen<br />
Flotte in <strong>der</strong> Nordsee eröffnete den<br />
vereinigten Seestreitkräften des Dreibundes<br />
im Mittelmeer eine reale<br />
Chance, die Kräfteverteilung im Sinne<br />
eines gesamtstrategischen Ansatzes<br />
nachhaltig zu beeinflussen. Weitgehend<br />
folgenlose Gedanken zur Einbeziehung<br />
<strong>der</strong> k.u.k. Kriegsmarine in die<br />
deutschen Operationen gegen Großbritannien<br />
hatte man sich in Berlin<br />
schon 1909 und 1911 gemacht. Ein Jahr<br />
später dachte man auch in Wien um<br />
und sah die k.u.k. Kriegsmarine nun<br />
an <strong>der</strong> deutschen Seite gegen die Entente,<br />
statt dass sie allein in <strong>der</strong> Adria<br />
operierte. Ab Mitte Juni 1912 wurden<br />
von deutscher Seite dann die Seestreitkräfte<br />
bei<strong>der</strong> Bündnispartner im Mittelmeer<br />
eingeplant und eine weitere<br />
Marinekonvention <strong>der</strong> drei Mächte gefor<strong>der</strong>t.<br />
Letzter Auslöser war dann<br />
aber eine erneute Initiative Italiens, um<br />
entsprechenden Verhandlungen zu initiieren.<br />
Wie ernsthaft man vor allem<br />
den deutschen Generalstabschef<br />
Moltke »ins Boot« zu holen versuchte,<br />
zeigt die Tatsache, dass die italienische<br />
Flotte in den Frühjahrsmanövern 1913<br />
explizit das Abfangen eines simulierten<br />
französischen Truppentransports von<br />
Nordafrika nach Toulon durchspielte.<br />
Moltkes Einfluss würde auch in Wien<br />
Wirkung zeigen, so das – letztlich erfolgreiche<br />
– italienische Kalkül.<br />
Die entscheidende Neuerung gegenüber<br />
<strong>der</strong> Marinekonvention von 1900<br />
war die Betrachtung des Mittelmeeres<br />
als ein Operationsgebiet. Die Vereinigung<br />
aller, auch außerhalb des Mittelmeeres<br />
in erreichbarer Nähe befindlichen<br />
Seestreitkräfte unter einem bereits<br />
zu Friedenszeiten festgelegten<br />
Oberbefehlshaber (k.u.k. Admiral Anton<br />
Haus) wurde als operative Grundmaxime<br />
festgeschrieben. Ersatzweise<br />
sollte <strong>der</strong> ranghöchste Offizier vor Ort<br />
das Kommando übernehmen. Die Rahmenbestimmungen<br />
über Signalwesen<br />
und gegenseitige Hafennutzung wurden<br />
hingegen nahezu unverän<strong>der</strong>t aus<br />
<strong>der</strong> Konvention von 1900 übernommen.<br />
Neu und innovativ war jedoch,<br />
dass in einem Zusatzabkommen ein<br />
gemeinsamer Operationsplan bereits<br />
zu Friedenszeiten festgelegt wurde.<br />
Dieser sah die Vereinigung fast aller<br />
Seestreitkräfte in süditalienischen Häfen<br />
vor, um danach die französische<br />
Flotte anzugreifen und nie<strong>der</strong>zukämpfen.<br />
Damit sollte die Seeherrschaft im<br />
Mittelmeer aktiv errungen werden (so<br />
§ 5 des Zusatzabkommens), um in erster<br />
Priorität mögliche Landungsoperationen<br />
an <strong>der</strong> italienischen Küste zu<br />
verhin<strong>der</strong>n. Zur kommunikationstechnischen<br />
Umsetzung dieser weitreichen<strong>der</strong>en<br />
Aufgaben wurde ein neues<br />
Signalbuch entworfen.<br />
Italien hatte sich also mit seiner ursprünglichen<br />
Absicht, <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>kämpfung<br />
<strong>der</strong> französischen Flotte,<br />
weitgehend durchgesetzt. Die Unterbindung<br />
französischer Truppentransporte<br />
aus Nordafrika hatte für den<br />
Kern <strong>der</strong> gemeinsamen Flotte nur<br />
nachrangige Priorität. Diese Aufgabe<br />
sollte durch die deutsche Mittelmeer<br />
12 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
5Vizeadmiral Wilhelm Souchon<br />
(1864–1946) im Jahre 1914.<br />
division, unterstützt durch leichte Seestreitkräfte<br />
und Hilfskreuzer <strong>der</strong> beiden<br />
Verbündeten, übernommen werden<br />
(explizit dazu § 8 des Zusatzabkommens).<br />
Aus gesamtstrategischer<br />
Sicht ist diese operative Entscheidung<br />
als nicht gerade ideal zu bewerten.<br />
Durch die für die geplante Seeschlacht<br />
zur Vernichtung <strong>der</strong> französischen<br />
Flotte notwendige Konzentration des<br />
Gros <strong>der</strong> verfügbaren Flottenkräfte<br />
aufseiten <strong>der</strong> Mittelmächte blieb <strong>der</strong><br />
französischen Führung genügend<br />
Raum und Zeit, das algerische XIX. Armeekorps<br />
nach Frankreich zu verschiffen,<br />
wie sich 1914 zeigen sollte. Zu <strong>der</strong>en<br />
Unterbindung wäre bei Kriegsbeginn<br />
eine mit allen Mitteln durchgeführte<br />
effektive Blockade <strong>der</strong><br />
nordafrikanischen Küste unter Nutzung<br />
des gesamten im Mittelmeer verfügbaren<br />
Potenzials <strong>der</strong> Mittelmächte<br />
notwendig und wohl auch effektiver<br />
gewesen als eine Seeschlacht.<br />
Welche Wirksamkeit ein sofortiger<br />
Angriff auf die Truppentransporte entfalten<br />
konnte, zeigte am 4. August 1914<br />
<strong>der</strong> Beschuss von Philippeville und<br />
Bône durch die deutsche Mittelmeerdivision<br />
unter ihrem Kommandeur Konteradmiral<br />
Wilhelm Souchon gemäß<br />
seiner auf <strong>der</strong> Dreibundmarinekonvention<br />
basierenden Einsatzbefehlen. Der<br />
französische Oberbefehlshaber Admiral<br />
Augustin Boué de Lapeyrére untersagte<br />
daraufhin weitere einzelfahrende<br />
Truppentransporte und ordnete die Bildung<br />
von Geleitzügen an. Damit boten<br />
sich einerseits sofort lohnende Ziele für<br />
weitere Angriffe, an<strong>der</strong>erseits wäre<br />
durch die Unterbrechung des französischen<br />
Truppennachschubs vor allem<br />
Zeit für den deutschen Krieg an <strong>der</strong><br />
Westfront gewonnen worden. Dieser<br />
Zeitgewinn wäre für die deutsche Westoffensive<br />
allerdings ein Erfolg von strategischer<br />
Dimension gewesen, <strong>der</strong> auch<br />
das Risiko einer möglichen taktischen<br />
Nie<strong>der</strong>lage für einzelne Flotteneinheiten<br />
<strong>der</strong> Mittelmächte gerechtfertigt<br />
hätte, wären sie auf überlegene französische<br />
Kräfte getroffen. Diese kurzzeitig<br />
bestehende Möglichkeit verstrich<br />
1914 jedoch ungenutzt.<br />
Insgesamt scheint das Denkschema<br />
von Seeherrschaft durch Seeschlacht<br />
wohl neben <strong>der</strong> Angst vor einer alliierten<br />
Landung an <strong>der</strong> italienischen Küste<br />
zu tief in den Köpfen <strong>der</strong> Entscheidungsträger<br />
<strong>der</strong> Mittelmächte verwurzelt<br />
gewesen zu sein, um mit den damit<br />
verbundenen operativen Maximen<br />
zu brechen. Bezeichnen<strong>der</strong>weise verhielt<br />
sich die französische Seite nicht<br />
an<strong>der</strong>s. Während man im Marineministerium<br />
dem Schutz <strong>der</strong> Truppentransporte<br />
Priorität zumaß, wollte Admiral<br />
Lapeyrére offensiv gegen feindliche<br />
Flottenverbände vorgehen und plante<br />
keine Alternative dazu.<br />
Bündnispolitisch erfolgte mit <strong>der</strong> Marinekonvention<br />
von 1913 am Vorabend<br />
des Ersten Weltkrieges ein erheblicher<br />
Mo<strong>der</strong>nisierungsschub für den Dreibund<br />
in Richtung eines mo<strong>der</strong>nen multinationalen<br />
Militärbündnisses. Eine<br />
gemeinsame Operationsplanung unter<br />
einheitlichem Oberbefehl im Mittelmeer<br />
bot die Chance, das maritime<br />
Kräfteverhältnis und damit die gesamtstrategische<br />
Lage nachhaltig zu beeinflussen.<br />
Dies erkannten auch die führenden<br />
Militärs <strong>der</strong> Dreibundmächte,<br />
wenngleich die gewählte operative<br />
Ausrichtung fraglich war und die Entwicklung<br />
<strong>der</strong> politischen Lage kaum<br />
ein Jahr später alle Planungen obsolet<br />
machen sollte. Ein grundsätzliches Problem<br />
blieb jedoch die Tatsache, dass die<br />
Verbindlichkeit aller Planungen lediglich<br />
auf <strong>der</strong> Grundlage persönlicher Beziehungen<br />
einzelner militärischer Führungspersönlichkeiten<br />
basierte, jedoch<br />
ein grundsätzlicher Konsens <strong>der</strong> staatstragenden<br />
Eliten für den Dreibund vor<br />
allem in Italien und Österreich-Ungarn<br />
fehlte. Weitgehend unbeachtet blieb in<br />
diesem Zusammenhang die Notwendigkeit,<br />
die gemeinsamen Operationen<br />
zu üben. Manöver in Friedenszeiten<br />
waren nicht vorgesehen. Lediglich erste<br />
Versuche zur praktischen Erprobung<br />
des neu erstellten Signalbuches wurden<br />
kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />
angedacht, aber aus Gründen<br />
<strong>der</strong> Geheimhaltung trotz aller Nützlichkeitserwägungen<br />
nicht weiterverfolgt.<br />
Als das Deutsche Reich 1914 am<br />
1. August Russland und am 3. August<br />
Frankreich den Krieg erklärte, war die<br />
italienische Regierung unter Hinweis<br />
auf die defensive Natur des Dreibundes<br />
(Beistand im Falle eines nichtprovozierten<br />
Angriffs auf einen Bündnispartner!)<br />
nicht bereit, den Mittelmächten<br />
in den Krieg zu folgen. Auch die<br />
antiösterreichischen Ressentiments in<br />
<strong>der</strong> italienischen Bevölkerung ließen<br />
einen Kriegseintritt an <strong>der</strong> Seite Österreich-Ungarns<br />
äußerst schwierig erscheinen,<br />
selbst wenn die politische<br />
Führung Italiens ihn gewollt hätte.<br />
Durch die Nichtteilnahme Italiens waren<br />
jedoch sämtliche Vereinbarungen<br />
und strategischen Gedankenspiele <strong>der</strong><br />
Vorkriegszeit Makulatur geworden.<br />
Die Dreibund-Marinekonvention von<br />
1913 bleibt trotz alledem ein beachtenswertes<br />
Dokument. Denn es ist zwar in<br />
seiner Zeit verhaftet, markiert jedoch<br />
erste Schritte auf dem langen Weg zur<br />
Kooperation mo<strong>der</strong>ner multinationaler<br />
Bündnissysteme, wie sie heute beispielsweise<br />
in den ständigen maritimen<br />
Einsatzverbänden <strong>der</strong> NATO<br />
(Standing NATO Maritime Groups)<br />
Realität geworden ist.<br />
Lars Zacharias und Rüdiger Schiel<br />
Literaturtipps<br />
Holger Afflerbach, Der Dreibund. Europäische Großmachtund<br />
Allianzpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, Wien, Köln, Weimar<br />
2002.<br />
Patrick J. Kelly, Tirpitz and the Imperial German Navy, Bloomington,<br />
IN 2011.<br />
Rüdiger Schiel, Die Beziehungen zwischen <strong>der</strong> deutschen kaiserlichen<br />
Marine und <strong>der</strong> österreichisch-ungarischen k.u.k.<br />
Kriegsmarine 1871-1914, Diss., München 2006 (Mikroform).<br />
bpk/Geheimes Staatsarchiv, SPK/Bildstelle GStA PK, Fotograf F. Uhrbans<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />
13
Minnesota 1862<br />
Stiftung Deutsche Kinemathek für Film und Fernsehen/Gert Viktor Krau<br />
5Leutnant Merrill (Mario Girotti) und seine Frau Ribanna (Karin Dor) gefesselt von Banditen. Szenenfoto aus »Winnetou II«.<br />
Indianeraufstand in<br />
Minnesota 1862<br />
In dem Film »Winnetou II« will <strong>der</strong><br />
Leutnant <strong>der</strong> US-Kavallerie Robert<br />
Merrill zur Rettung des Friedens die<br />
Häuptlingstochter des Stammes <strong>der</strong><br />
Assiniboine, Ribana, heiraten. Sein Vater,<br />
Oberst J.F. Merril, aber ist dagegen.<br />
Er misstraut den Indianern und zitiert<br />
mehrfach das schreckliche Massaker<br />
an den »friedlichen Siedlern« von Neu-<br />
Ulm herbei. Was war dort geschehen?<br />
Wie konnte dieses Ereignis seinen Eingang<br />
in die Karl-May-Verfilmung aus<br />
dem Jahre 1964 finden?<br />
USA 1862: Größte Massenhinrichtung<br />
Der Vormittag des 26. Dezembers 1862<br />
war in Minnesota ungewöhnlich mild<br />
und sonnig. Mehr als 4000 Menschen<br />
versammelten sich auf dem schneematschigen<br />
Townsquare von Mankato,<br />
um einem beson<strong>der</strong>en Ereignis beizuwohnen.<br />
Aufgrund <strong>der</strong> Bestimmungen<br />
des Kriegsrechts waren die Saloons bereits<br />
vor 48 Stunden geschlossen worden,<br />
wollte man doch, dass alles ohne<br />
alle Störungen und öffentlichen Aufruhr<br />
vonstatten ging.<br />
Im Zentrum des Platzes traten 1400<br />
Mann des 3. Minnesota-Regiments im<br />
Karree an. Hinter ihnen befand sich<br />
eine zwei Meter hohe hölzerne Plattform,<br />
an <strong>der</strong>en vier Seiten 38 Galgen<br />
standen. Viele <strong>der</strong> Zuschauer zeigten<br />
sich enttäuscht über die geringe Anzahl<br />
<strong>der</strong> Galgen, denn sie hatten gehofft,<br />
alle 303 zum Tode verurteilten<br />
Indianer hängen zu sehen. Durch Einspruch<br />
von Präsident Lincoln war die<br />
Zahl jedoch auf 39 begrenzt worden,<br />
wobei einer <strong>der</strong> Verurteilten erst am<br />
Tage zuvor amnestiert worden war.<br />
Kurz vor 10 Uhr erschien eine Abteilung<br />
Soldaten im Gefängnis neben <strong>der</strong><br />
Hinrichtungsstätte. Pater Augustin Ravoux<br />
verlas ein Gebet auf Französisch<br />
und Dakota, denn viele <strong>der</strong> Verurteilten<br />
waren katholische Christen. Durch<br />
ein Spalier von Soldaten gelangten die<br />
Delinquenten auf das Schafott. Sie<br />
stimmten das Totenlied <strong>der</strong> Dakota an.<br />
Der Gesang brach in dem Moment ab,<br />
als ihnen weiße Schädelkappen angelegt<br />
wurden. Mit Trommelschlägen begann<br />
die Exekution. Klappen und Menschenleiber<br />
fielen in die Tiefe und ein<br />
lautes Raunen ging durch die Menge<br />
Der Leitartikler <strong>der</strong> »St. Paul Pioneer<br />
Press« jubelte einige Tage später über<br />
»Amerikas größte Massenexekution.«<br />
Sie beendete den für die USA verlustreichsten<br />
Indianerkrieg ostwärts des<br />
Mississippi, <strong>der</strong> seinerseits zu weiteren<br />
Feldzügen <strong>der</strong> U.S. Army auf den Prärien<br />
des amerikanischen Westen führte.<br />
Die Hinrichtungen von Mankato waren<br />
das Ergebnis eines scheinbar unvermeidlichen<br />
»Clash of Cultures«, <strong>der</strong><br />
bei genauerer Betrachtung hätte<br />
vermieden werden können. Zu den<br />
Protagonisten des Konfliktes gehörten<br />
Deutsche, die sich seit den Tagen Friedrich<br />
Gerstäckers und Karl Mays gerne<br />
eine beson<strong>der</strong>e Affinität zu den Ureinwohnern<br />
Nordamerikas bescheinigten.<br />
Der berühmt gewordene Vertrag <strong>der</strong><br />
Deutschen von Fre<strong>der</strong>icksburg/Texas<br />
mit dem Volk <strong>der</strong> Comanchen aus dem<br />
Jahr 1847, auf dem viele dieser Vorstellungen<br />
beruhten, war indes nur ein sin<br />
14 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
guläres Ereignis. Im Minnesota <strong>der</strong><br />
1850er und 1860er Jahre verhielten sich<br />
die deutschen Ansiedler nicht an<strong>der</strong>s<br />
als die Mehrheit <strong>der</strong> angloamerikanischen<br />
Grenzbevölkerung, für die<br />
eine Politik des »Vertreibens o<strong>der</strong> Ausrottens«<br />
gültige Maxime war.<br />
Deutsche Siedler in Minnesota<br />
Die deutsche Besiedlung Minnesotas<br />
fiel in die Zeit nach <strong>der</strong> schweren Wirtschaftskrise<br />
<strong>der</strong> 1840er Jahre und <strong>der</strong><br />
gescheiterten Revolution von 1848/49.<br />
Hun<strong>der</strong>ttausende Deutsche wan<strong>der</strong>ten<br />
in die USA aus. Ihre Hauptziele waren<br />
das Ohiotal und das Gebiet entlang <strong>der</strong><br />
Großen Seen mit seinen wachsenden<br />
Industriestädten: Cleveland, Cincinnati<br />
und Chicago. Für künftige Farmer<br />
war indes Minnesota beson<strong>der</strong>s interessant.<br />
Nach Verträgen mit den Dakota,<br />
Chippewa und Winnebago wurde<br />
<strong>der</strong> größte Teil des Staatsgebietes in<br />
den Jahren 1837 bis 1858 zur Besiedlung<br />
freigegeben. Hinzu kamen günstige<br />
Bodenpreise, eine gute Infrastruktur<br />
dank des Mississippi sowie die<br />
große Entfernung zu den Sklavenstaaten.<br />
Viele deutsche Ex-Bürger Missouris<br />
und von Kansas zogen nun<br />
nordwärts, um nicht in die teils gewalttätigen<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen zwischen<br />
den Gegnern und den Befürwortern<br />
<strong>der</strong> Sklaverei zu geraten. Der Bürgerkrieg<br />
warf seine Schatten bereits voraus.<br />
Religiöse Gründe spielten <strong>der</strong>weil<br />
bei <strong>der</strong> Ansiedlung in Stearns County<br />
in Zentral-Minnesota eine Rolle. In<br />
einem Artikel <strong>der</strong> in Cincinnati erscheinenden<br />
katholischen Wochenschrift<br />
»Der Wahrheitsfreund« vom 1. März<br />
1854 wandte sich Pater Franz Xaver<br />
Pierz an »Deutsche, die in überbevölkerten<br />
Städten leben und im Umgang<br />
mit Amerikanern und Protestanten zu<br />
sehr anglisiert würden«. Er versprach<br />
den Lesern eine Heimat, in <strong>der</strong> sie ihren<br />
Glauben frei vom herrschenden<br />
Anti-Katholizismus leben könnten,<br />
warnte aber davor, »irgendwelche Freidenker,<br />
rote Republikaner, Atheisten<br />
und Agitatoren mit ins Land zu bringen«.<br />
Als ein Ergebnis von Pierz`<br />
»leichter Fe<strong>der</strong>«, so schrieb John Ireland,<br />
Erzbischof von Cincinnati, einige<br />
Jahre später, »kamen Scharen von Siedlern,<br />
tatkräftige Söhne des Rheinlands,<br />
Bayerns und Westfalens, sodass in<br />
5Die Hinrichtung von 38 Sioux-Indianern 1862. Zeitgenössischer Stich.<br />
Stearns County ein neues Deutschland<br />
entstand«.<br />
Ausgerechnet »rote Republikaner«<br />
gründeten Neu-Ulm, Minnesotas bekannteste<br />
deutsche Siedlung. Der<br />
Braunschweiger Studienrat Ferdinand<br />
Beinhorn war im Jahr 1852 nach Amerika<br />
emigriert und wollte irgendwo im<br />
Westen eine deutsche Kolonie gründen.<br />
Gemeinsam mit an<strong>der</strong>en Englisch-Studenten<br />
rief er im August 1853 den<br />
»Chicago Land-Verein« ins Leben, <strong>der</strong><br />
im Juni 1854 rund 800 Mitglie<strong>der</strong><br />
zählte, hauptsächlich Handwerker und<br />
Arbeiter. Er plante eine Genossenschaft,<br />
finanziert durch Mitgliedsbeiträge.<br />
Späher hatten zuvor mehrere Regionen<br />
Michigans und Iowas erkundet,<br />
befanden aber, dass das waldreiche<br />
Gebiet des schiffbaren Minnesota-<br />
River sich am besten zur Ansiedlung<br />
eignete.<br />
Eine Genossenschaft von rund 1300<br />
Turnverein-Mitglie<strong>der</strong>n aus Cincinnati<br />
schloss sich dem Vorhaben an. Nach<br />
den Worten des Vorsitzenden Wilhelm<br />
Pfändtner suchten sie nach einem Platz<br />
für eine deutsche Ansiedlung mit »dem<br />
Verbot <strong>der</strong> Spekulation und Erziehungsmöglichkeiten<br />
für die Kin<strong>der</strong><br />
von Liberalen und Freidenkern«. Die<br />
1817 gegründete Turnerbewegung verband<br />
deutschen Nationalismus und<br />
Antiklerikalismus mit Elementen des<br />
Sozialismus. Durch die zahlreichen<br />
Exilanten <strong>der</strong> 48er-Revolution gewann<br />
die Bewegung in vielen deutsch-amerikanischen<br />
Milieus an Popularität.<br />
Der Traum einer kooperativen, sozialistischen<br />
Ansiedlung erfüllte sich<br />
nicht. Nach dem finanziellen Zusammenbruch<br />
<strong>der</strong> Vereinigung erfolgte<br />
1859 <strong>der</strong>en Auflösung. Die Siedlung<br />
Neu-Ulm indes überlebte. Von ihren<br />
635 Einwohnern waren 1860 nur zwei<br />
Nicht-Deutsche. Auch die Umgebung<br />
wurde zunehmend von Deutschen<br />
besiedelt. Brown County wurde zum<br />
Unwillen <strong>der</strong> benachbarten Angloamerikaner<br />
zu einem teutonisch dominierten<br />
Bezirk. »Es ist traurig zu sagen«,<br />
so eine puritanische Amerikanerin,<br />
dass »eine Klasse von gottlosen<br />
Deutschen als erste hier ihre Heimstätten<br />
errichtet hat [...] Sie haben einen<br />
Tanzsaal gebaut und begehen ihre<br />
Sonnabende mit Trinken und Tanzen«.<br />
Jenseits des Neu-Ulmer Tanzsaales auf<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite des Minnesota-River<br />
lebten die Dakota. Ihr Groll auf die<br />
Deutschen hatte an<strong>der</strong>e Gründe.<br />
Die Dakota<br />
Mitte des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts kamen die<br />
Dakota mit den ersten Europäern in<br />
Berührung: französische Trapper und<br />
Pelzhändler. Diese erkundeten von<br />
Quebec aus die Gebiete westlich <strong>der</strong><br />
Großen Seen, errichteten Handelsposten,<br />
schickten Missionare und gaben<br />
den dortigen Indianern den Namen<br />
»Sioux«, eine Verkürzung des Chippewa-Wortes<br />
»Nadessioux« (»Feind«).<br />
Beide Seiten profitierten: Die Franzosen<br />
erhielten Pelze, die Dakota<br />
Gewehre, mit denen sie ihre Feinde bekämpften:<br />
die Chippewa. Ab 1763<br />
übernahm die britische Hudson Bay<br />
Company die Geschäfte. Für die Dakota<br />
verän<strong>der</strong>te sich wenig, die Waffen<br />
waren nun britische Produkte.<br />
Große Verän<strong>der</strong>ungen hingegen<br />
brachten die neu gegründeten Vereinigten<br />
Staaten von Amerika, die Minnesota<br />
1849 zu ihrem Territorium<br />
erklärten. Gegen die Zahlung von 1,6<br />
Millionen Dollar und jährliche Lebensmittellieferungen<br />
gaben die Dakota<br />
den größten Teil ihres Stammesgebietes<br />
auf. Zwischen 1850 und 1858<br />
wuchs die euroamerikanische Bevölkerung<br />
von 6000 auf über 150 000, denen<br />
lediglich 20 000 Indianer gegenüberstanden,<br />
davon 7000 Dakota. Der Wildbestand<br />
schrumpfte dramatisch, sodass<br />
Public Domain, über Library of Congress: Library of Congress<br />
Prints & Photographs Division, LC-USZ63-193<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />
15
Minnesota 1862<br />
Public Domain, über Library of Congress: Library of Congress,<br />
Prints & Photographs Division, LC-USZ61-83<br />
5Häuptling Little Crow. Fotografie von<br />
1862.<br />
die Dakota zu Wohlfahrtsempfängern<br />
wurden. In den Reservaten Redwood<br />
und Upper Sioux begannen Regierungsbeamte<br />
und Missionare die heidnischen<br />
Nomaden zu christlichen<br />
Farmern zu erziehen. Der größte Teil<br />
des versprochenen Geldes verschwand<br />
in den Taschen von Händlern und korrupten<br />
Regierungsbeamten. Hungernde<br />
und bettelnde Dakota gehörten<br />
Anfang <strong>der</strong> 1860er Jahre zum alltäglichen<br />
Bild in Süd-Minnesota. Henry<br />
M. Whipple, Missionar und Bischof<br />
<strong>der</strong> Episkopal-kirche von Minnesota,<br />
warnte Lincolns Amtsvorgänger James<br />
Buchanan davor, dass »eine Nation,<br />
die Diebstahl sät, Blut ernten wird«.<br />
Die Deutschen in Brown County<br />
hegten indes wenig Sympathie für die<br />
hungernden Indianer. Wenn jene zum<br />
Betteln auftauchten, verjagten die<br />
Deutschen sie in <strong>der</strong> Regel mit Besen,<br />
Mistgabel und unter Flüchen. Einige<br />
<strong>der</strong> länger ansässigen amerikanischen<br />
und franko-kanadischen Siedler kannten<br />
die Kultur <strong>der</strong> Dakota besser, luden<br />
sie zuweilen in ihre Häuser ein und gaben<br />
ihnen Nahrung. Den Deutschen<br />
hingegen war das Prinzip einer auf Gegenseitigkeit<br />
beruhenden Großzügigkeit<br />
unbekannt. Lediglich <strong>der</strong> Alkoholhandel<br />
mit Zentrum in Neu-Ulm führte<br />
zu einer Begegnung <strong>der</strong> beiden Lebenswelten,<br />
was allerdings weitere Verwerfungen<br />
in <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> Dakota<br />
nach sich zog, die die Brown-County-<br />
Deutschen als »iya-sica« (»Schlechtsprecher«)<br />
bezeichneten und somit<br />
außerhalb <strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft<br />
stellten.<br />
Der Konflikt<br />
Am Nachmittag des 17. August 1862<br />
tötete eine Gruppe junger Dakota fünf<br />
Weiße in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Siedlung Acton,<br />
darunter zwei Frauen. Die Tat war<br />
nicht von langer Hand geplant. Einer<br />
<strong>der</strong> jungen Männer war von einem seiner<br />
Gefährten <strong>der</strong> Feigheit bezichtigt<br />
worden, weil er sich zuvor geweigert<br />
hatte, ein paar Hühnereier von einer<br />
Farm zu stehlen. Alle waren hungrig<br />
und hatten zuvor erfolglos nach Wild<br />
gesucht. Um seine Ehre wie<strong>der</strong>herzustellen,<br />
for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Gescholtene seine<br />
Begleiter auf, in das Farmhaus zu gehen<br />
und die Bewohner zu töten.<br />
Die Tat von Acton wurde zur Initialzündung.<br />
Die Häupter <strong>der</strong> Krieger-<br />
Clans billigten den Mord und die jungen<br />
Männer begannen sich mit Tanzen sowie<br />
Pfeifenzeremonien auf einen Kampf<br />
vorzubereiten. Der Zeitpunkt schien beson<strong>der</strong>s<br />
günstig, die Weißen zu vertreiben,<br />
da sich die Nachrichten von den<br />
Nie<strong>der</strong>lagen <strong>der</strong> Nordstaaten verbreitet<br />
hatten. Wi<strong>der</strong> bessere Einsicht fügte<br />
sich Häuptling Little Crow in den Entschluss<br />
zum Krieg. Er lebte in einem<br />
Holzhaus und war Farmer geworden.<br />
Noch am Vormittag hatte er den Gottesdienst<br />
in <strong>der</strong> Episkopalkirche besucht.<br />
Bereits in <strong>der</strong> Nacht brach ein Teil <strong>der</strong><br />
Dakota unter Little Crow nach Norden<br />
auf, um Fort Ridgeley anzugreifen, die<br />
einzige Garnison im Minnesota-Tal.<br />
Wenn es gelänge, die Soldaten zu besiegen,<br />
würden die Siedler fliehen, so das<br />
Kalkül. Vielen erschien ein Kampf mit<br />
dem gutbewaffneten Militär als zu gefährlich.<br />
Während Little Crow gegen<br />
Fort Ridgeley zog, durchkämmten einige<br />
hun<strong>der</strong>t Krieger in kleinen Trupps<br />
das übrige Tal. Alkoholismus, Hunger<br />
und jahrelange Demütigungen entluden<br />
sich in einem Massaker. Die<br />
vereinzelt liegenden Gehöfte und Ansiedlungen<br />
waren leichte Beute für die<br />
Dakota. Siedler, die sich den Indianern<br />
zuvor als gastfreundlich gezeigt hatten,<br />
wurden zum Teil verschont, wie die in<br />
einer deutschen Siedlung lebende Helen<br />
Carrothers. Sie sprach Dakota und<br />
flehte so um ihr sowie ihrer Kin<strong>der</strong> Leben.<br />
Einige retteten sich durch Flucht zu<br />
befreundeten Dakotas. Den verhassten<br />
»iya-sica« gegenüber wurde aber nur<br />
selten Pardon gegeben. »Ich werde den<br />
Deutschen ihre Köpfe abschneiden,<br />
wenn sie noch atmen«, hatte <strong>der</strong> Dakota-Krieger<br />
Shakopee gedroht. Insgesamt<br />
töteten sie zwischen 450 und 800<br />
Siedler: Männer, Frauen und Kin<strong>der</strong>.<br />
Little Crows Angriff auf Fort Ridgeley<br />
hingegen blieb erfolglos. Da die<br />
meisten Ansiedlungen entlang des<br />
Flusses nie<strong>der</strong>gebrannt und geplün<strong>der</strong>t<br />
worden waren, bot Neu-Ulm das<br />
einzig lohnende Ziel: Läden, Warenlager<br />
und Schnapsdestillen. Der Pfälzer<br />
Jakob Nix verfügte als ehemaliger Badener<br />
Freikorpskämpfer über militärische<br />
Erfahrung, wurde daher »Platzkommandant«<br />
und organisierte mit<br />
Sheriff Karl Roos die Verteidigung. Sie<br />
ließen die Häuser am Stadtrand räumen<br />
und beschränkten sich auf den<br />
Schutz <strong>der</strong> Ortsmitte, die mit Barrikaden<br />
befestigt wurde. Ein erster Angriff<br />
konnte am 18. August abgewehrt werden,<br />
wobei fünf Männer <strong>der</strong> Bürgerwehr<br />
und ein 13-jähriges Mädchen<br />
getötet wurden.<br />
Am Morgen des 25. August sammelten<br />
sich 1000 bis 1200 Dakota-Krieger<br />
auf den Anhöhen vor Neu-Ulm, besetzten<br />
die preisgegebenen Gebäude<br />
und drangen in erbittertem Häuser- sowie<br />
Straßenkampf vor. Benachbarte<br />
Bürgerwehren hatten die Verteidiger<br />
verstärkt, unter denen später ein grotesker<br />
Streit entbrannte, wer denn nun<br />
Neu-Ulm gerettet habe. Als sich die<br />
Dakota am Abend zurückzogen, waren<br />
5Das Hermannsdenkmal in Neu-Ulm,<br />
Minnesota.<br />
Public Domain, über Library of Congress:Library of Congress,<br />
Prints & Photographs Division, HABS MINN,8-NEWUL,3--2<br />
16 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
190 Gebäude nie<strong>der</strong>gebrannt und über<br />
hun<strong>der</strong>t Verteidiger getötet worden.<br />
Die gescheiterten Angriffe auf Fort<br />
Ridgeley und Neu-Ulm bedeuteten das<br />
Ende des Aufstands, zumal zusätzliche<br />
Verbände <strong>der</strong> U.S. Army in das Gebiet<br />
verlegt wurden. Die meisten Dakota<br />
flohen in die westlichen Prärien, wo sie<br />
sich den verwandten Lakota anschlossen.<br />
Ein Farmer erschoss im Juni 1863<br />
Little Crow, als dieser zur Ergänzung<br />
seines Reiseproviants wilde Beeren<br />
pflücken wollte. Die übrigen ergaben<br />
sich auf Gnade o<strong>der</strong> Ungnade <strong>der</strong> Armee.<br />
Standgerichte verurteilten 303 Indianer<br />
zum Tode, dies waren beinahe<br />
alle wehrfähigen Männer. Bischof<br />
Whipple und an<strong>der</strong>e Kirchenmänner<br />
appellierten an Präsident Lincoln, <strong>der</strong><br />
eine Prüfung <strong>der</strong> Urteile anordnete.<br />
Aus den 303 wurden 38 Todesurteile.<br />
Die Amnestierten erwarteten mehrjährige<br />
Haftstrafen.<br />
Die Tage <strong>der</strong> Indianer in Minnesota<br />
waren gezählt. Die gefangenen 1300<br />
Frauen, Kin<strong>der</strong> und alten Männer <strong>der</strong><br />
Dakota wurden im Mai 1863 per<br />
Dampfboot in eine alkaliverseuchte<br />
Einöde am Missouri deportiert. Weniger<br />
als 1000 überlebten den ersten Winter.<br />
Gleichzeitig wurden die an dem<br />
Aufstand unbeteiligten Winnebagos<br />
ausgesiedelt. Allein die Chippewa<br />
durften bleiben, da ihre heimischen<br />
Sumpfgebiete im nördlichen Minnesota<br />
keine Siedler anzogen.<br />
Wirkungsgeschichte<br />
Indianerangriffe auf größere Ansiedlungen<br />
waren selten und ließen sich<br />
daher bei<strong>der</strong>seits des Atlantiks sehr<br />
gut in <strong>der</strong> Presse vermarkten. Bereits<br />
am 21. August 1862 veröffentlichte die<br />
»New York Times« eine erste Meldung.<br />
Bald darauf erschienen Berichte über<br />
die Kämpfe bei Fort Ridgeley und Neu-<br />
Ulm. Horace Greely, Herausgeber <strong>der</strong><br />
Wochenschrift »Harpers Weekly«, deutete<br />
den Aufstand als ein »diabolisches<br />
Komplott <strong>der</strong> Sezessionisten«, um Unionstruppen<br />
von den Fronten des Bürgerkrieges<br />
abzuziehen. Der Bürgerkrieg<br />
selbst war das alles dominierende<br />
Pressethema, sodass den Ereignissen<br />
in Minnesota insgesamt nur nachrangige<br />
Aufmerksamkeit zuteil wurde.<br />
Die spektakuläre Massenhinrichtung<br />
in Mankato sorgte noch ein letztes Mal<br />
für Schlagzeilen.<br />
5Die Belagerung von Neu-Ulm 1862. Zeitgenössischer kolorierter Stich.<br />
Die deutschen Medien übernahmen<br />
die Meldungen meist aus britischen<br />
Zeitungen. Im November 1862 erschien<br />
in <strong>der</strong> »Gartenlaube«, <strong>der</strong> auflagestärksten<br />
Zeitschrift, ein mehrseitiger »Original-Bericht«<br />
über »die Zerstörung<br />
<strong>der</strong> deutsch-amerikanischen Siedlung<br />
New-Ulm durch die Indianer«. Autor<br />
war ein unbekannter Augenzeuge mit<br />
den Initialen »R.F.«, <strong>der</strong> seinen Text per<br />
Schiff an die Leipziger Redaktion geschickt<br />
hatte. Angesichts <strong>der</strong> verübten<br />
Gräueltaten for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Verfasser die<br />
Aufstellung einer »Kriegsmacht zum<br />
Ausrottungskriege gegen die Rothäute<br />
[...], unter <strong>der</strong>en Schutze allein das <strong>der</strong><br />
Kultur verloren gegangene Land wie<strong>der</strong><br />
erobert werden kann«. Vermutlich<br />
hat Karl May, selbst Autor für die »Gartenlaube«,<br />
den Text gekannt und den<br />
Namen Neu-Ulm in »Winnetou 2« verwendet,<br />
ohne jedoch auf Details zu<br />
achten. Der Drehbuchautor Harald G.<br />
Petersson griff die Neu-Ulm-Erwähnung<br />
auf und gab ihr 1964 dramaturgische<br />
Bedeutung. Die wirkungsmächtigste<br />
literarische Verarbeitung <strong>der</strong><br />
Schlacht stammt von einem US-Autor.<br />
In seinem 1970 erschienenen Welterfolg<br />
»Begrabt mein Herz an <strong>der</strong> Biegung<br />
des Flusses« behandelt Dee Brown in<br />
Kapitel 2 den Sioux-Aufstand in Minnesota.<br />
Helden sind hier allerdings nicht<br />
die Weißen, son<strong>der</strong>n die Indianer.<br />
Neu-Ulm selbst entwickelte sich <strong>der</strong>weil<br />
zu einem blühenden Gemeinwesen.<br />
Im Oktober 1897 kamen über<br />
10 000 Deutsch-Amerikaner in die<br />
Stadt, um die feierliche Einweihung<br />
eines Hermansdenkmals zu begehen.<br />
Es war etwas kleiner als das 1876 bei<br />
Detmold errichtete Vorbild, das den<br />
Sieg <strong>der</strong> Germanen im Jahre 9 n.Chr.<br />
über drei römische Legionen verherrlichte.<br />
»Mag dieses Denkmal spätere Generationen<br />
daran erinnern«, so Festredner<br />
Julius Schütze, »dass es von<br />
Männern errichtet wurde, die sowohl<br />
dem Land ihrer Geburt als auch dem<br />
Vaterland ihrer Wahl die Treue hielten.«<br />
Die doppelte Loyalität wurde alsbald<br />
auf eine harte Probe gestellt. Im Zeitalter<br />
<strong>der</strong> Weltkriege wurden die Deutsch-<br />
Amerikaner zu Amerikanern ohne Bindestrich;<br />
»Hermann the German«, so<br />
die populäre Bezeichnung für das<br />
Denkmal, diente als Zielscheibe für<br />
Schusswaffen jeglichen Kalibers.<br />
Mittlerweile erlebt das deutsche Erbe<br />
wie<strong>der</strong> eine kleine Renaissance. Im<br />
Jahre 2000 wurde das Hermann<br />
Heights Monument, so <strong>der</strong> offizielle<br />
Name, in die Liste <strong>der</strong> nationalen Monumente<br />
<strong>der</strong> Vereinigten Staaten aufgenommen.<br />
Deutsche Gemütlichkeit<br />
hat wie<strong>der</strong> Konjunktur und unter<br />
»www.germanshavemorefun.com«<br />
erfährt man den Termin für das Neu-<br />
Ulmer Oktoberfest. Auch Indianern ist<br />
<strong>der</strong> Besuch gestattet.<br />
Literaturtipps<br />
Holger Bütow<br />
Don Heinrich Tolzmann (Hrsg.), Memories of the Battle of<br />
New Ulm. Personal Accounts of the Sioux Uprising. L.A.<br />
Fritzsche´s History of Brown County, Minnesota (1916),<br />
Westminster, CO 2007.<br />
Gary Clayton An<strong>der</strong>son, Kinsmen of Another Kind. Dakota-<br />
White Relations in the Upper Mississipi Valley, 1650-1862,<br />
St. Paul, MN 1997.<br />
Kenneth Carley, The Dakota War of 1862, St. Paul, MN<br />
1976.<br />
Public Domain, über Library of Congress: Library<br />
of Congress, Prints & Photographs Division, LC-USZC4-2995<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />
17
Kriegsfilme <strong>der</strong> 1950er Jahre<br />
Stiftung Deutsche Kinemathek Museum für Film und Fernsehen<br />
»So war <strong>der</strong> Landser?«<br />
Das Bild deutscher Soldaten in westdeutschen<br />
Kinofilmen <strong>der</strong> 1950er Jahre<br />
5»Rommel – Der Wüstenfuchs« (Henry Hathaway, 1951) mit James Mason in <strong>der</strong><br />
Hauptrolle.<br />
Nach <strong>der</strong> Ära <strong>der</strong> »Trümmerfilme«<br />
(1945–1949) mit ihren<br />
kritischen Anspielungen auf<br />
die Zeit des Nationalsozialismus begann<br />
das neue Jahrzehnt auch mit<br />
neuen filmischen Trends. Die entbehrungsreiche<br />
Zeit des Wie<strong>der</strong>aufbaus<br />
und die deutsche Verantwortung für<br />
den Aufstieg Hitlers fanden sich nicht<br />
mehr in den Filmen <strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />
Im Jahre 1951 kam <strong>der</strong> US-amerikanische<br />
Film »Rommel – Der Wüstenfuchs«<br />
(engl. »The Desert Fox«) auch in<br />
die westdeutschen Kinos und wurde<br />
zum Kassenschlager. Deutsche Soldaten<br />
wurden erstmals positiv dargestellt,<br />
was den Publikumsgeschmack<br />
traf. Der Zuschauer sah einen Kriegsfilm<br />
über Generalfeldmarschall Erwin<br />
Rommel, <strong>der</strong> die deutschen Soldaten<br />
als ritterliche Kämpfer und Opfer ihrer<br />
politischen Führung darstellte. Die<br />
Wie<strong>der</strong>herstellung deutscher »Soldatenehre«<br />
war aber nicht nur Ausdruck<br />
des zunehmenden Interesses im Westen<br />
an einem deutschen Militärbeitrag,<br />
son<strong>der</strong>n auch eine Strategie, um auf<br />
dem westdeutschen Markt erfolgreich<br />
US-amerikanische Filme abzusetzen.<br />
Dieser Erfolg rief nun die westdeutsche<br />
Filmindustrie auf den Plan, die<br />
versuchte, bereits gut eingeführte<br />
Kriegsliteratur zu verfilmen.<br />
Die Bundesrepublik Deutschland<br />
ab 1950<br />
Zwar lag 1949 <strong>der</strong> Krieg schon vier<br />
Jahre zurück. Er wirkte aber, neben <strong>der</strong><br />
außenpolitischen Isolation, innerhalb<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft selbst nach. An<strong>der</strong>s als<br />
die Westalliierten, ließ die sowjetische<br />
Führung die »letzten Zehntausend«<br />
<strong>der</strong> Millionen deutschen Kriegsgefangenen<br />
1956 erst nach langen Verhandlungen<br />
nach Westdeutschland zurückkehren.<br />
Fast zeitgleich bestimmte seit<br />
Beginn des Koreakrieges das Thema<br />
»Wie<strong>der</strong>bewaffnung« die Tagespolitik.<br />
Der Wi<strong>der</strong>stand in den Medien und<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung gegen neue westdeutsche<br />
Streitktkräfte war groß. Ironischerweise<br />
erfolgte 1955 die Gründung <strong>der</strong><br />
Bundeswehr fast genau auf dem Scheitelpunkt<br />
<strong>der</strong> westdeutschen »Kriegsfilmwelle«.<br />
Dies nährte Verschwörungstheorien<br />
über das Verhältnis von<br />
Politik und Filmindustrie. Letztere<br />
profitierte aber eher vom Wirtschaftsaufschwung,<br />
da <strong>der</strong> Bundesbürger zunehmend<br />
über mehr Geld für Freizeitaktivitäten<br />
verfügte. Auch <strong>der</strong> Bund<br />
und die Län<strong>der</strong> gaben mehr Haushaltsmittel<br />
für die Filmför<strong>der</strong>ung aus.<br />
Hinzu kam die personelle Kontinuität<br />
zwischen »Drittem Reich« und <strong>der</strong> jungen<br />
Bundesrepublik Deutschland, die<br />
sich durch alle Bereiche zog, die Filmindustrie<br />
eingeschlossen. Die »Entnazifizierung«,<br />
das heißt die Entfernung<br />
von nationalsozialistischem Personal<br />
aus Politik, Gesellschaft, Verwaltung<br />
und Wirtschaft, sowie die Kriegsverbrecherprozesse<br />
erreichten zwischen<br />
1945 und 1950 ihren Höhepunkt. Danach<br />
sank das Interesse <strong>der</strong> Bevölke<br />
18 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
5Bundespräsident Theodor Heuss zusammen<br />
mit Rückkehrern aus <strong>der</strong><br />
Kriegsgefangenschaft am Grenzübergang<br />
Friedland (1955).<br />
rung in Westdeutschland an dieser<br />
Thematik merklich. Insgesamt gesehen<br />
wirkten wesentliche Strukturbedingungen<br />
<strong>der</strong> Alltags- und Unterhaltungskultur<br />
aus <strong>der</strong> Zeit vor 1945 auch<br />
in <strong>der</strong> jungen Bundesrepublik unterschwellig<br />
fort. Dies betraf zweifelsohne<br />
auch das Kino. Darunter fielen ebenso<br />
die Filmschaffenden – zum Teil auch<br />
populäre Regisseure, Schauspieler und<br />
Autoren – und die Gestaltung <strong>der</strong><br />
Filme selbst.<br />
Faszination Kriegsfilm<br />
inhaltliche Gestaltung <strong>der</strong> Filme zurückzuführen.<br />
Eine genaue Analyse<br />
<strong>der</strong> bundesrepublikanischen Kinobesucher<br />
bezogen auf Alter, Geschlecht,<br />
Beruf usw. ist wegen fehlen<strong>der</strong> Datensätze<br />
nicht mehr möglich. Einzig die<br />
Besucherzahlen und die öffentliche Resonanz<br />
in den Medien lassen vermuten,<br />
wie ein Kriegsfilm beim Publikum<br />
ankam. Der kommerzielle Erfolg von<br />
»Rommel – Der Wüstenfuchs« erhärtete<br />
die Annahme <strong>der</strong> Filmschaffenden,<br />
dass ein bestimmtes Bild des<br />
»Landsers« zum Erfolg führte. Zum<br />
Zeitpunkt <strong>der</strong> Uraufführung war Rommels<br />
erzwungener Selbstmord im Zusammenhang<br />
mit seiner Mitwisserschaft<br />
am militärischen Wi<strong>der</strong>stand<br />
<strong>der</strong> westdeutschen Bevölkerung nur<br />
teilweise bekannt. Vielmehr hatte das<br />
von <strong>der</strong> NS-Propaganda gezeichnete<br />
Bild des Generalfeldmarschalls als<br />
Held des Afrikafeldzugs weiterhin Bestand.<br />
In diese Sichtweise passten we<strong>der</strong><br />
ein Erwin Rommel, <strong>der</strong> anfangs als<br />
glühen<strong>der</strong> Verehrer Adolf Hitlers galt,<br />
noch ein Wi<strong>der</strong>ständler gegen das Regime.<br />
Aus Sicht <strong>der</strong> Filmschaffenden<br />
versprach also das öffentliche, positive<br />
Bild Rommels mehr Aussicht auf Erfolg<br />
als die historisch-kritische Aufarbeitung<br />
seiner Rolle im »Dritten Reich«.<br />
Hinzu kam die Tatsache, dass im Zweiten<br />
Weltkrieg weit über zehn Millionen<br />
Deutsche Dienst in <strong>der</strong> Wehrmacht leisteten<br />
und bis 1968 noch etwa 37 Prozent<br />
<strong>der</strong> männlichen Westdeutschen<br />
Kriegsteilnehmer waren. Diese große<br />
Zuschauergruppe hatte mutmaßlich<br />
eine hohe Erwartungshaltung an die<br />
Gestaltung <strong>der</strong> Kriegsfilme und ihrer<br />
Figuren. Insgesamt waren jene Kinofilme<br />
an <strong>der</strong> Kinokasse erfolgreich, die<br />
den Soldaten – egal welchen Dienstgrad<br />
er bekleidete – als Opfer <strong>der</strong> Umstände<br />
des Krieges darstellten. Wenn<br />
<strong>der</strong> Offizier denn schon als Angehöriullstein<br />
bild<br />
Seitdem das Medium Film und das<br />
Kino eine zunächst konkurrenzlose<br />
Bindung eingegangen waren, fanden<br />
sich auch in Deutschland regelmäßig<br />
Kriegsfilme in den Lichtspielhäusern.<br />
In <strong>der</strong> Weimarer Republik wurden<br />
Filme über den Ersten Weltkrieg gezeigt.<br />
Diese Tendenz setzte sich nach<br />
1933 fort. So wurde nach 1939 in deutschen<br />
Filmen das aktuelle Kriegsgeschehen<br />
verarbeitet (z.B. »Wunschkonzert«,<br />
1940, und »Die große Liebe«,<br />
1942). Im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t wird <strong>der</strong><br />
Kriegsfilm als Genre – an<strong>der</strong>s als in<br />
den 1950er Jahren und davor – fast unangefochten<br />
durch US-amerikanische<br />
Produktionen dominiert. Jedoch ist<br />
den Kriegsfilmen nach weitläufiger<br />
Meinung heute wie gestern eines gemeinsam:<br />
die Darstellung eines historischen<br />
Krieges des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />
Der kommerziell erfolgreiche Kriegsfilm<br />
zeigt aber nicht nur den Waffengang<br />
an sich, son<strong>der</strong>n vor allem die<br />
von ihm Betroffenen. Spielfilme erzählen<br />
eine Geschichte, für die die militärische<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung den Rahmen<br />
bildet. Somit können vor allem<br />
Liebesgeschichten im Krieg geeignet<br />
sein, den breiten Geschmack des Publikums<br />
zu treffen. Je stärker das Frontgeschehen<br />
die handelnden Personen beeinflusst,<br />
desto höher ist die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass sich <strong>der</strong> Zuschauer<br />
auf den Film einlässt. Realismus <strong>der</strong><br />
Darstellung und Emotionen <strong>der</strong> Darsteller<br />
gehen Hand in Hand. Das Prinzip<br />
funktionierte sowohl bei »Die große<br />
Liebe« (1942) als auch bei »Pearl Harbor«<br />
(2001). Problematisch für das Verhältnis<br />
von Kinobesuchern zum Kriegsfilm<br />
wird <strong>der</strong> Inhalt dann, wenn Erwartungshaltung<br />
und Abbildung des<br />
Krieges voneinan<strong>der</strong> abweichen. Ein<br />
Film mit kritischem Unterton o<strong>der</strong> neuesten<br />
historischen Erkenntnissen muss<br />
nicht zwingend beim Publikum im jeweiligen<br />
zeitlichen Kontext ankommen.<br />
Wie konnten dann ausgerechnet<br />
die Kriegsfilme in den 1950er Jahren<br />
<strong>der</strong>maßen kommerziell erfolgreich<br />
sein? Zu diesem Zeitpunkt ging in <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik Deutschland je<strong>der</strong><br />
Bürger im Durchschnitt 16 Mal pro<br />
Jahr ins Kino. Der Bundesbürger betrat<br />
aber nicht nur eines <strong>der</strong> vielen Lichtspielhäuser,<br />
um sich mittels Vor- bzw.<br />
Kulturfilm zu informieren. Er wollte<br />
vielmehr das bekommen, was <strong>der</strong> heutige<br />
Kinobesucher auch sucht: Unterhaltung<br />
o<strong>der</strong> Ablenkung. In diesem<br />
Zusammenhang stellt sich aber die<br />
Frage, wie Kriegsfilm und Unterhaltung<br />
zusammen passen. Im westdeutschen<br />
Kino <strong>der</strong> 1950er Jahre gehörte<br />
neben dem Heimatfilm (»Grün ist die<br />
Heide«, 1951) und dem Musikfilm<br />
(»Große Star-Parade«, 1954) gerade <strong>der</strong><br />
Kriegsfilm zu den wohl beliebtesten<br />
Genres. Was aus heutiger Warte merkwürdig<br />
erscheint, war aus Sicht <strong>der</strong><br />
Bundesbürger anno 1950 halbwegs<br />
normal. Eine Welle von 225 (!) Kriegsfilmen<br />
überschwemmte den bundesrepublikanischen<br />
Markt von 1948 bis<br />
1959. Davon stammten etwa 50 Filme<br />
aus deutschsprachiger Produktion. An<strong>der</strong>s<br />
als heute bestimmten damals u.a.<br />
diese Filme über deutsche Kriegsgeschichte<br />
maßgeblich die Höhe <strong>der</strong> Einspielergebnisse.<br />
Erfolgsmodelle des Kriegsfilms<br />
Der regelmäßig große Zuschauerandrang<br />
bei Kriegsfilmen in den 1950er<br />
Jahren ist konsequenterweise auf die<br />
Verlag für Filmschriften Hebertshausen<br />
5Theater- und Kinosaal (1950).<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />
19
Kriegsfilme <strong>der</strong> 1950er Jahre<br />
ger des militärischen Wi<strong>der</strong>standes<br />
gezeigt werden musste, dann hauptsächlich,<br />
um sich vom NS-Regime abzusetzen,<br />
sein Gewissen zu wahren<br />
und die Leiden seiner Männer bzw. <strong>der</strong><br />
Bevölkerung beenden zu wollen. Die<br />
Wehrmacht galt auch und gerade im<br />
anglo-amerikanischen Ausland als ritterlicher<br />
Gegner im Gegensatz zur<br />
Waffen-SS o<strong>der</strong> zu Organisationen <strong>der</strong><br />
NSDAP. Dieses Motiv <strong>der</strong> scharfen Abgrenzung<br />
von Täter und Opfer bzw.<br />
Gut und Böse erleichterte die Identifizierung<br />
des Zuschauers mit den<br />
handelnden Personen im Film. In Verbindung<br />
mit dem Prädikat des »Antikriegsfilms«<br />
war zusätzlich die Absicht<br />
einer Relativierung von Schuld erkennbar.<br />
Somit konnte <strong>der</strong> Kriegsfilm auch<br />
halbwegs unbedenklich von <strong>der</strong> »Freiwilligen<br />
Selbstkontrolle <strong>der</strong> Filmwirtschaft«<br />
(FSK) eingestuft werden. Die<br />
FSK wollte so eine propagandistische<br />
Wirkung <strong>der</strong> Filme in Form einer Militarisierung<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft verhin<strong>der</strong>n.<br />
Für die Filmindustrie war das<br />
nicht unwichtig, da eine höhere Altersfreigabe<br />
immer auch den Kreis <strong>der</strong> potenziellen<br />
Kinobesucher einschränkte.<br />
Soldaten- und Heldentum<br />
Die Kriegsfilme »08/15« (Paul May,<br />
1954) und »Der Stern von Afrika« (Alfred<br />
Weidenmann, 1957) gehörten mit<br />
Abstand zu den erfolgreichsten <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik. Sie konnten inhaltlich<br />
überzeugen und auch an den Kinokassen<br />
die Erwartungen erfüllen. »08/15«<br />
basierte auf dem Roman von Hans<br />
Hellmut Kirst, in dem er zum Teil eigene<br />
Erfahrungen als Soldat verarbeitete<br />
und sein Werben gegen eine Wie<strong>der</strong>bewaffnung<br />
zum Ausdruck brachte.<br />
Der Film war nicht nur <strong>der</strong> erfolgreichste<br />
Kriegsfilm in <strong>der</strong> Bundesrepublik,<br />
son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> kommerziell erfolgreichste<br />
Kinofilm des Jahres 1955.<br />
Der Film spielt in <strong>der</strong> Kaserne einer Artillerieabteilung<br />
im Jahre 1939 kurz vor<br />
dem deutschen Angriff auf Polen. Handelnde<br />
Personen sind <strong>der</strong> Gefreite<br />
Asch, <strong>der</strong> Obergefreite Kowalski und<br />
<strong>der</strong> Kanonier Vierbein auf <strong>der</strong> einen,<br />
sowie <strong>der</strong> Hauptwachtmeister Schulz,<br />
<strong>der</strong> Wachtmeister Platzek und <strong>der</strong> Unteroffizier<br />
Lindenberg auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Seite. Die Handlung dreht sich hauptsächlich<br />
um den zum Teil als sinnlos<br />
empfundenen Dienstalltag und das<br />
Verhalten <strong>der</strong> Vorgesetzten gegenüber<br />
den Untergebenen. Auffällig ist das distanzierte<br />
Verhältnis aller Charaktere<br />
zum Nationalsozialismus, das sich unter<br />
an<strong>der</strong>em im kritischen Unterton <strong>der</strong><br />
Vorgesetzten äußert. Gerade das bewusste<br />
Abwenden des Kommandeurs<br />
von einem Hitler-Portrait vermittelt<br />
symbolisch eine Distanz zum NS-Regime.<br />
Auch wenn <strong>der</strong> Krieg zunächst<br />
nur als drohende Vorahnung im Film<br />
und gegen Ende in einer Radioansprache<br />
Erwähnung findet, so ist er für alle<br />
Beteiligten mehr o<strong>der</strong> weniger präsent.<br />
Insgesamt war es ein eher unpolitischer<br />
Film mit seichter, komödiantischer Unterhaltung<br />
und einem hohen Identifikationspotenzial<br />
für den Zuschauer.<br />
Die Ereignisse im Film hätten trotz<br />
Übertreibungen in vielen deutschen<br />
Kasernen stattfinden können und bedienten<br />
»vielmehr geschickt die Unterhaltungserwartung<br />
des Publikums«<br />
(Lexikon des internationalen Films).<br />
Eine ähnliche Gestaltung zeichnet<br />
den Kriegsfilm »Der Stern von Afrika«<br />
über den Jagdflieger Hans-Joachim<br />
Marseille aus. Der Film von Alfred<br />
Weidenmann, <strong>der</strong> bereits 1944 im Dritten<br />
Reich mit »Junge Adler« einen Fliegerfilm<br />
produziert hatte, stellt die Karriere<br />
Marseilles als Jagdflieger bis zum<br />
Einsatz beim Afrika-Korps dar. Trotz<br />
ständiger Präsenz des Krieges erzeugt<br />
<strong>der</strong> Film eine positive Grundstimmung,<br />
die sowohl auf Marseilles Spaß<br />
am Fliegen als auch auf relativ gute<br />
Spezialeffekte aufbaut. Hier entstand<br />
gerade für den jungen Zuschauer eine<br />
starke Identifikationsfigur. Auch wenn<br />
Marseille die Folgen seiner Kriegsbelastung<br />
bereits früh im Film spürt, sind<br />
für ihn Konsequenzen o<strong>der</strong> Zweifel am<br />
Krieg undenkbar. Ebenfalls auffällig<br />
ist, dass we<strong>der</strong> ungeschminkte Bil<strong>der</strong><br />
des Krieges noch <strong>der</strong> eigentliche<br />
Kriegsgegner – mit einer Ausnahme –<br />
gezeigt werden. Dieser Umstand führte<br />
zu öffentlicher Kritik, da <strong>der</strong> Film mit<br />
dem ein Jahr zuvor eingeleiteten Aufbau<br />
<strong>der</strong> bundesdeutschen Luftwaffe<br />
auf den Markt kam. Aber auch wenn<br />
das neu gegründete Verteidigungsministerium<br />
die Kreditanstalt bei <strong>der</strong> Vergabe<br />
von Mitteln zur Filmför<strong>der</strong>ung<br />
beriet, wurden im Drehbuch von »Der<br />
Stern von Afrika« keine wesentlichen<br />
Än<strong>der</strong>ungswünsche <strong>der</strong> Experten berücksichtigt.<br />
Damit blieb eine För<strong>der</strong>ung<br />
aus und auch die FSK äußerte<br />
Kritik am Inhalt des Films. Somit war<br />
die positive Darstellung <strong>der</strong> Fliegerei<br />
sicherlich ein willkommener Nebeneffekt<br />
für die junge Bundeswehr, aber da<br />
<strong>der</strong> Inhalt nicht vollständig den Wünschen<br />
des Ministeriums entsprach,<br />
konnte von einer gezielten Steigerung<br />
<strong>der</strong> Wehrfähigkeit hier keine Rede<br />
sein.<br />
Antiheld und Antikrieg<br />
An<strong>der</strong>s als bei den bereits erwähnten<br />
Filmen, konnten auch durchaus kritische<br />
Filme das Publikum überzeugen.<br />
Die Kritik o<strong>der</strong> Ernsthaftigkeit des<br />
Inhalts bezog sich aber bei »Des Teufels<br />
General« (Helmut Käutner, 1955)<br />
und »Die Brücke« (Bernard Wicki,<br />
1959) nicht auf die Verstrickung mit<br />
dem NS-Regime. Beide Filme zeichnete<br />
eher ein schon fast melancholischer<br />
Unterton aus, <strong>der</strong> die vermeintliche<br />
Hilflosigkeit <strong>der</strong> Akteure untermalte.<br />
Der Roman »Die Brücke« von Manfred<br />
Gregor sowie das Theaterstück von<br />
Carl Zuckmayer bildeten die erfolgreichen<br />
Filmvorlagen. »Des Teufels General«<br />
zeigt das Wirken des Generalluftzeugmeisters<br />
Jürgen Harras (eine<br />
Anspielung auf den Jagdflieger Ernst<br />
Udet) in Berlin im November 1941.<br />
Sein Leben ist geprägt durch einen aus<br />
5Illustrierte Film-Bühne Nr. 3834 zum<br />
Film »Der Stern von Afrika« (Alfred<br />
Weidenmann, 1957). Diese Zeitschrift<br />
wurde von 1946 bis 1969 als Programmbegleitheft<br />
für Kinofilme verkauft.<br />
Verlag für Filmschriften Hebertshausen<br />
20 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
schweifenden Lebensstil und die Probleme<br />
bei <strong>der</strong> von ihm verantworteten<br />
Luftrüstung. Fehlerhafte Konstruktionen<br />
an Bombern <strong>der</strong> Luftwaffe rufen<br />
den Sicherheitsdienst <strong>der</strong> SS auf den<br />
Plan. Der Chefermittler, SS-Gruppenführer<br />
Schmidt-Lausitz, versucht zunächst,<br />
Harras zur Zusammenarbeit zu<br />
bewegen, was dieser schroff ablehnt.<br />
Die Darstellung <strong>der</strong> SS-Angehörigen<br />
ist im Gegensatz zu den Luftwaffensoldaten<br />
durchweg negativ. Als Harras<br />
auf eigene Faust nach den Ursachen<br />
<strong>der</strong> Unfälle forscht, entdeckt er, dass<br />
sein Assistent und Freund O<strong>der</strong>bruch<br />
Konstruktionsfehler verschwiegen hat.<br />
Um ihn zu schützen und auch seinen<br />
Pakt mit dem »Teufel« zu beenden,<br />
wählt Harras den Freitod mit einem<br />
defekten Flugzeug. Dieser Selbstmord<br />
ist auch eine Parallele zu Ernst Udet,<br />
<strong>der</strong> sich nach offensichtlicher Fehlplanung<br />
in <strong>der</strong> Aufrüstung <strong>der</strong> Luftwaffe<br />
und exzessivem Drogenkonsum erschossen<br />
hatte. Um das positive Bild in<br />
<strong>der</strong> Öffentlichkeit nicht zu schädigen,<br />
gab das NS-Regime einen Flugunfall<br />
als Todesursache vor, was schließlich<br />
in den Film »Des Teufels General« Eingang<br />
fand. Schlussendlich fühlt sich<br />
Harras selbst als <strong>der</strong> Schuldige, obwohl<br />
O<strong>der</strong>bruch von den technischen Problemen<br />
wusste. An<strong>der</strong>s als im Theaterstück<br />
nimmt O<strong>der</strong>bruch aber den Tod<br />
von Kameraden nicht in Kauf. Dadurch<br />
wird nur die Kriegführung selbst behin<strong>der</strong>t<br />
und die Figur wirkt für den<br />
Zuschauer dennoch positiv. Passiven<br />
Wi<strong>der</strong>stand zu leisten, erscheint in diesem<br />
Fall durchaus legitim und nachvollziehbar.<br />
Aber <strong>der</strong> Tod von Harras<br />
ist auch ein Zeichen <strong>der</strong> eigenen Hilflosigkeit<br />
gegenüber dem allmächtigen<br />
Regime.<br />
War Harras in »Des Teufels General«<br />
also eher ein Märtyrer, so sind die<br />
Hauptdarsteller in »Die Brücke«<br />
schlussendlich Opfer. Der Film ist somit<br />
in vielerlei Hinsicht bedeutend.<br />
Wickis Werk beendete 1959 die »Kriegsfilmwelle«<br />
und war sowohl an <strong>der</strong><br />
Kasse als auch bei <strong>der</strong> Filmkritik erfolgreich.<br />
Einzig das Prädikat »Antikriegsfilm«<br />
sorgte für Diskussionen.<br />
Im Film werden gegen Ende des<br />
Krieges an <strong>der</strong> Westfront sieben Schüler<br />
noch zum Dienst in <strong>der</strong> Wehrmacht<br />
eingezogen. Die Jungen sind begeistert,<br />
ihre Familien und ihr Lehrer sind entsetzt.<br />
Nach <strong>der</strong> ersten Hälfte des Films<br />
finden die Schüler mit unterschiedlichem<br />
Hintergrund im Rahmen einer<br />
kleinen Kampfgemeinschaft zueinan<strong>der</strong>.<br />
Nach einer sehr kurzen Grundausbildung<br />
erfolgt <strong>der</strong> erste Einsatz. Amerikanische<br />
Truppen sollen durch das<br />
Bataillon <strong>der</strong> Jungen bekämpft werden.<br />
Auf Wunsch ihres Lehrers teilt <strong>der</strong><br />
Kommandeur die Gruppe an einer zur<br />
Sprengung vorgesehenen Brücke ein.<br />
Der eingeteilte, erfahrene Gruppenführer<br />
soll den Jungen rechtzeitig den<br />
Rückzug befehlen. Von <strong>der</strong> Sprengung<br />
wissen sie nichts, sodass nach <strong>der</strong> Erschießung<br />
des Gruppenführers durch<br />
eine Streife <strong>der</strong> Feldgendarmerie <strong>der</strong><br />
Auftrag klar erscheint. Sie halten die<br />
Brücke in ihrem Heimatort. Als die ersten<br />
US-Amerikaner die Brücke erreichen<br />
und die ersten jungen Kameraden<br />
fallen, ist auch die romantische Vorstellung<br />
vom Krieg vorbei. Mit dem<br />
Ende des Kampfes kommt die Erkenntnis,<br />
dass die Brücke von Anfang an gesprengt<br />
werden sollte. Nur einer <strong>der</strong><br />
Jungen überlebt und versteht die Welt<br />
nicht mehr. Die Darstellung des Krieges<br />
in »Die Brücke« brach mit westdeutscher<br />
Filmtradition. Viele Sequenzen<br />
zeigen den Krieg ungeschminkt und<br />
nüchtern hart. Der »heldenhafte« und<br />
auch erfolgreiche Kampf <strong>der</strong> Jungen an<br />
<strong>der</strong> Brücke schreckte in seiner Sinnlosigkeit<br />
ab. Bei den jugendlichen Zuschauern<br />
des Jahres 1959 schuf er<br />
5Illustrierte Film-Bühne zum Film »Des<br />
Teufels General« (Helmut Käutner,<br />
1955) mit Curd Jürgens als Generalluftzeugmeister<br />
Harras.<br />
Verlag für Filmschriften Hebertshausen<br />
jedoch auch Identifikation mit <strong>der</strong> vermeintlichen<br />
Heldenhaftigkeit. Die Wirkung<br />
als Antikriegsfilm bleibt trotz<br />
anerkannter Zustimmung und <strong>der</strong> Absicht<br />
des Regisseurs bis heute umstritten.<br />
In einem Punkt bleibt auch »Die<br />
Brücke« ein Produkt <strong>der</strong> 1950er Jahre:<br />
in <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Hilflosigkeit des<br />
Einzelnen gegenüber seinem Schicksal<br />
im Krieg.<br />
Propaganda für die »Wie<strong>der</strong>bewaffnung«?<br />
Wie bei allen Kriegsfilmen in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
stand die Unterhaltung<br />
bzw. <strong>der</strong> Absatz im Vor<strong>der</strong>grund. Die<br />
Darstellung des Krieges und <strong>der</strong> Soldaten<br />
war daher nicht zur Steigerung<br />
des Wehrwillens bestimmt. Vielmehr<br />
sollten bereits populäre Motive aus <strong>der</strong><br />
Kriegsliteratur aufgriffen werden, die<br />
deutlich im Sinne des Zuschauers o<strong>der</strong><br />
Lesers waren. Dazu gehörte auch die<br />
Vorstellung, dass nicht alle Deutschen,<br />
vor allem nicht <strong>der</strong> durchschnittliche<br />
Wehrmachtsoldat, eine Schuld am<br />
Krieg o<strong>der</strong> an Kriegsverbrechen hatten.<br />
Die geschichtliche Aufarbeitung<br />
<strong>der</strong> Verstrickungen im »Dritten Reich«<br />
begann verstärkt erst in den 1960ern.<br />
Bis dahin wollte vor allem <strong>der</strong> Kinobesucher<br />
nichts von Verfehlungen <strong>der</strong><br />
Wehrmacht wissen. Nostalgie und<br />
Identifikation mit den Figuren standen<br />
im Vor<strong>der</strong>grund und kamen an <strong>der</strong><br />
Kinokasse in <strong>der</strong> Bundesrepublik auch<br />
besser an. Darum fanden mit Ausnahme<br />
von »Die Brücke« die westdeutschen<br />
und österreichischen Kriegsfilme<br />
im europäischen Ausland keinen Anklang.<br />
Für die allermeisten bundesdeutschen<br />
o<strong>der</strong> österreichischen Kinogeher<br />
<strong>der</strong> 1950er Jahre hingegen war<br />
<strong>der</strong> »deutsche Landser« des Films genau<br />
so dargestellt, wie sie ihn auch sehen<br />
wollten.<br />
Literaturtipps<br />
Benjamin Pommer<br />
Bernhard Chiari /Matthias Rogg / Wolfgang Schmidt (Hg.),<br />
Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Im Auftrag<br />
des Militärgeschichtlichen <strong>Forschungsamt</strong>es, München<br />
2003 (= Beiträge zur Militärgeschichte, 59).<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />
21
Service<br />
Das historische Stichwort<br />
Israels Vergeltungsschlag<br />
in Qibya 1953<br />
Sie waren in Panik geflohen o<strong>der</strong><br />
von Israel gewaltsam vertrieben<br />
worden; an<strong>der</strong>e gingen freiwillig,<br />
um den vorrückenden arabischen Armeen<br />
nicht im Wege zu stehen: Hun<strong>der</strong>ttausende<br />
palästinensische Araber<br />
hatten ihre Heimat verlassen, seit die<br />
Vollversammlung <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />
im November 1947 den Beschluss<br />
vorgelegt hatte, das Land Palästina zu<br />
teilen und dort je einen jüdischen und<br />
einen arabischen Staat zu errichten.<br />
Während die Menschen in Tel Aviv<br />
jubelten, weigerte sich die arabische<br />
Seite, das UN-Votum anzuerkennen.<br />
Schnell kam es zu bewaffneten Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
zwischen den jüdischen<br />
Untergrundorganisationen und<br />
den Arabern Palästinas, die nach <strong>der</strong><br />
offiziellen Gründung des Staates Israel<br />
am 14. Mai 1948 in einen offenen Krieg<br />
mündeten. Die Streitkräfte aller vier<br />
arabischen Nachbarstaaten sowie die<br />
des Irak hatten sich aufgemacht, um<br />
die Juden das Fürchten zu lehren. Binnen<br />
weniger Tage sollte es um den<br />
neuen Staat geschehen sein.<br />
Doch die Offensive scheiterte. Israel<br />
konnte den Krieg für sich entscheiden.<br />
Als die Waffen Mitte Juli 1949 schwiegen,<br />
wurden 77 Prozent des bisherigen<br />
britischen Mandatsgebietes Palästina<br />
von den israelischen Streitkräften kontrolliert.<br />
Lediglich 160 000 Palästinenser<br />
verblieben in ihrer angestammten<br />
Heimat.<br />
Der größte Teil <strong>der</strong> arabischen Bevölkerung,<br />
750 000 Menschen, hatte das<br />
Land verlassen. Viele lebten nun in<br />
Flüchtlingslagern in Syrien und im Libanon<br />
o<strong>der</strong> hatten im ägyptisch verwalteten<br />
Gazastreifen und im von Jordanien<br />
besetzten und 1950 annektierten<br />
Westjordanland Zuflucht gefunden.<br />
Abgesehen von begrenzten<br />
Familienzusammenführungen, lehnte<br />
Israel eine massenhafte Rückkehr <strong>der</strong><br />
Flüchtlinge ab. Die Juden wären schnell<br />
zur Min<strong>der</strong>heit im eigenen Staat geworden.<br />
5Ariel Sharon (Mitte) als junger Offizier, 1956.<br />
In Israel nahm man zunächst an, dass<br />
die palästinensischen Araber zügig<br />
und dauerhaft in den Nachbarlän<strong>der</strong>n<br />
angesiedelt werden würden. Diese Annahme<br />
erwies sich allerdings als ebenso<br />
verfehlt wie die vage Hoffnung, die<br />
Waffenstillstandslinien des vergangenen<br />
Krieges könnten zur Grundlage<br />
eines künftigen Friedens werden.<br />
Aus Sicht <strong>der</strong> Araber legte <strong>der</strong> neue<br />
Grenzverlauf demütigendes Zeugnis<br />
ihrer militärischen Nie<strong>der</strong>lage ab und<br />
verstärkte zugleich das Misstrauen,<br />
das sie dem jüdischen Staat und dessen<br />
ullstein bild – AP<br />
22 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
Aufbauleistungen entgegenbrachten.<br />
Zumindest verbal hielten sie an ihrer<br />
Absicht fest, Israel zu vernichten – und<br />
damit auch die baldige Rückkehr aller<br />
geflohenen Palästinenser zu ermöglichen.<br />
Viele Palästinenser indes versuchten,<br />
schon jetzt zu ihrem Grund und Boden<br />
zurückzukehren. Keiner <strong>der</strong> Exilanten<br />
war bereit, Flucht und Vertreibung als<br />
irreversible Kriegsfolge zu akzeptieren.<br />
Im Schutz <strong>der</strong> Dunkelheit überschritten<br />
sie die Grüne Linie zu Israel,<br />
also die faktische Außengrenze des jüdischen<br />
Staates, die 1949 im entsprechenden<br />
Farbton in den Waffenstillstandsabkommen<br />
eingezeichnet worden<br />
war.<br />
Längst gelang es nicht nur jenen Palästinensern,<br />
die zu ihren verlassenen<br />
Fel<strong>der</strong>n und Verwandten zurückkehren<br />
wollten, israelisches Territorium zu<br />
betreten. Immer mehr kriminelle Banden<br />
drangen ins Grenzgebiet ein,<br />
raubten und mordeten und versetzten<br />
die jüdischen Dörfer in Angst und<br />
Schrecken.<br />
Vergebens versuchte Israel, <strong>der</strong><br />
Grenzübergriffe Herr zu werden, obwohl<br />
seine Truppen Sprengsätze legten<br />
und »auf alles feuerten, was sich bewegte«,<br />
wie <strong>der</strong> israelische Historiker<br />
Benny Morris erklärt. 1000 Infiltranten<br />
wurden allein im Jahr 1949 getötet, darunter<br />
viele Unbewaffnete, Frauen und<br />
Kin<strong>der</strong>. Das führte nicht etwa zum<br />
Rückgang <strong>der</strong> Infiltration, son<strong>der</strong>n zur<br />
Ausweitung <strong>der</strong> Gewalt.<br />
Auch die Vergeltungsschläge, die<br />
kleine Einheiten <strong>der</strong> israelischen Infanterie<br />
im Westjordanland und im Gazastreifen<br />
durchführten, zeitigten nicht<br />
den gewünschten Erfolg. Selbst die<br />
Vororte Tel Avivs waren vor arabischen<br />
Attentätern nicht mehr sicher – auch<br />
nicht das Städtchen Yehud. In <strong>der</strong><br />
Nacht zum 13. Oktober 1953 warf eine<br />
Gruppe arabischer Freischärler eine<br />
Handgranate in ein willkürlich gewähltes<br />
Haus und tötete eine Israelin<br />
und zwei ihrer Kin<strong>der</strong> im Schlaf. Ein<br />
halbes Dutzend Attentate ähnlichen<br />
Musters hatte es in den Vormonaten<br />
gegeben, die Zahl <strong>der</strong> Opfer, die Israel<br />
seit 1949 zu beklagen hatte, ging in die<br />
Hun<strong>der</strong>te.<br />
Um den Arabern »eine Lektion zu erteilen«,<br />
sprachen sich Ministerpräsident<br />
David Ben Gurion, <strong>der</strong> amtierende<br />
Verteidigungsminister Pinchas<br />
Lavon, Generalstabschef Mordechai<br />
Makleff sowie sein leiten<strong>der</strong> Operationsoffizier,<br />
Moshe Dayan, für einen<br />
Vergeltungsschlag im jordanischen<br />
Qibya aus. Israels Nachrichtendienst<br />
hatte diesen Ort wie<strong>der</strong>holt als »Terrorbasis«<br />
palästinensischer Araber ausgemacht.<br />
Mit <strong>der</strong> Mission beauftragt wurde<br />
die »Yechida 101«, eine Eliteeinheit <strong>der</strong><br />
israelischen Armee, die im Sommer<br />
1953 eigens für <strong>der</strong>artige Kommandounternehmen<br />
aufgestellt worden war.<br />
Ihr Befehlshaber, <strong>der</strong> spätere israelische<br />
Ministerpräsident Ariel Sharon,<br />
damals 25 Jahre alt und im Range eines<br />
Majors, hatte die 50 Mann starke<br />
Truppe zusammengestellt, einem harten<br />
Training unterworfen und für den<br />
Kampf hinter den feindlichen Linien<br />
ausgebildet.<br />
Der Auftrag <strong>der</strong> Einheit 101 war klar<br />
definiert: Begrenzte militärische Bestrafungen<br />
sollten die Freischärler sowie<br />
jene arabischen Staaten, <strong>der</strong>en<br />
Staatsgebiet ihnen als Stützpunkt<br />
diente, abschrecken, den Terror gegen<br />
Israel aktiv auszuführen bzw. passiv<br />
zu dulden. Am 14. Oktober 1953 habe<br />
das konkret bedeutet, so die Recherchen<br />
von Morris, »das Dorf anzugreifen<br />
und zeitweilig zu besetzen, Häuser<br />
zu demolieren und <strong>der</strong>en Bewohnern<br />
Schaden zuzufügen«, wobei <strong>der</strong> ursprüngliche<br />
Befehl des Generalstabes<br />
dahingehend verän<strong>der</strong>t wurde, dass er<br />
nunmehr »maximale Tötung« verlangte.<br />
»Die Jordanier müssen begreifen«,<br />
notierte Sharon, »dass jüdisches Blut<br />
nicht länger ungestraft vergossen werden<br />
könne«. Bewaffnet mit über einer<br />
halben Tonne Sprengstoff und unterstützt<br />
von einer Kompanie Fallschirmjäger,<br />
machten sich Sharon und seine<br />
Soldaten auf den Weg. Sie schalteten<br />
die jordanischen Sicherheitskräfte aus<br />
und vertrieben die Einwohner Qibyas<br />
aus ihrem Dorf. Bis zum Morgengrauen<br />
des 15. Oktober legten die Truppen<br />
45 Häuser, eine Schule sowie eine<br />
Moschee in Schutt und Asche.<br />
Als die Bewohner zurückkehrten, bot<br />
sich ihnen ein Bild des Grauens. Mehr<br />
als 40 Zivilisten waren von den israelischen<br />
Truppen regelrecht massakriert<br />
worden. Alte, Frauen und Kin<strong>der</strong> hatten<br />
sich in den Speichern und Kellern<br />
versteckt und wurden dann in den<br />
Trümmern ihrer Häuser lebendig begraben,<br />
von Gewehrsalven getötet o<strong>der</strong><br />
offenbar gewaltsam daran gehin<strong>der</strong>t,<br />
die Häuser rechtzeitig zu verlassen.<br />
Die ganze arabische Welt trug Trauer.<br />
Die Muslimbru<strong>der</strong>schaft sann auf blutige<br />
Rache, die internationale Öffentlichkeit<br />
reagierte schockiert. Auch den<br />
USA platzte <strong>der</strong> Kragen: Washington<br />
hielt die zugesagten Hilfszahlungen<br />
zurück. Am 24. November wurde <strong>der</strong><br />
israelische Vergeltungsschlag schließlich<br />
vom UN-Sicherheitsrat verurteilt.<br />
Dennoch zeigte sich Ben Gurion zuversichtlich.<br />
Im Gespräch mit Sharon<br />
meinte er, nicht die internationale Reaktion<br />
sei entscheidend. Vielmehr<br />
komme es darauf an, wie <strong>der</strong> Vergeltungsschlag<br />
in <strong>der</strong> Region, im Nahen<br />
Osten, interpretiert werden würde.<br />
Tatsächlich verstärkte Jordanien seine<br />
Kräfte entlang <strong>der</strong> Grenze, was zumindest<br />
zeitweilig zu einem Rückgang <strong>der</strong><br />
Palästinenserinfiltration führte; die Angriffe<br />
vom Gazastreifen aus hielten dagegen<br />
an.<br />
So reagierte Israel auch fortgesetzt<br />
mit harter Hand, wobei sich die Vergeltungsschläge<br />
nach <strong>der</strong> Tragödie von<br />
Qibya fast ausschließlich gegen feindliche<br />
militärische Einrichtungen und<br />
Truppen richteten. Solche Angriffe erfor<strong>der</strong>ten<br />
allerdings deutlich größere<br />
israelische Truppenstärken und mehr<br />
Waffen als bisher, stellten eine erneute<br />
Demütigung <strong>der</strong> arabischen Staaten<br />
dar und kosteten auf beiden Seiten eine<br />
steigende Zahl von Soldaten das Leben.<br />
Die arabischen Staaten forcierten<br />
daraufhin die Aufrüstung ihrer Streitkräfte,<br />
und insbeson<strong>der</strong>e Ägypten betrieb<br />
eine gezielte Politik <strong>der</strong> Nadelstiche<br />
gegen Israel: Mehr und mehr<br />
palästinensische Kämpfer wurden bewaffnet<br />
und zu Anschlägen über die<br />
Grenze geschickt. Dies und die Tatsache,<br />
dass die Araber dem jüdischen<br />
Staat weiterhin das Existenzrecht verwehrten,<br />
nährten in Israel die Angst<br />
vor einer bevorstehenden »zweiten<br />
Runde«.<br />
Während <strong>der</strong> Nahe Osten auf einen<br />
neuen Waffengang zusteuerte, pochten<br />
die palästinensischen Flüchtlinge<br />
weiterhin auf ein »Recht auf Rückkehr«<br />
ins israelische Kernland. Noch heute<br />
leben viele Palästinenser in jenen Lagern,<br />
die einst als kurzfristiges Provisorium<br />
errichtet worden waren.<br />
Pedi D. Lehmann<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />
23
Service<br />
Neue Medien<br />
Panzergrenadiere<br />
Dossier »Der Erste Weltkrieg«<br />
http://www.bpb.de/geschichte/deutschegeschichte/ersterweltkrieg/<br />
Nicht nur in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Forschung, <strong>der</strong> musealen und publizistischen<br />
Öffentlichkeit wird <strong>der</strong><br />
Erste Weltkrieg in den kommenden<br />
Jahren dominierendes Thema sein.<br />
Auch in <strong>der</strong> historischen (Weiter-)Bildung<br />
belegen die zahlreichen Initiativen,<br />
dass den Ereignissen <strong>der</strong> Jahre<br />
1914 bis 1918 zumindest zwischenzeitlich<br />
eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt<br />
werden wird. Pünktlich dazu<br />
veröffentlichte die Bundeszentrale für<br />
politische Bildung ein umfangreiches<br />
Dossier zur Geschichte des Ersten<br />
Weltkriegs. Unterglie<strong>der</strong>t ist das Dossier<br />
in elf Themenbereiche, die sich den<br />
Ursprüngen, dem Verlauf und einzelnen<br />
Aspekten widmen. Der Fokus ist<br />
dabei nicht allein auf die Kriegsgesellschaft<br />
ausgerichtet, son<strong>der</strong>n es finden<br />
sich auch Beiträge zu Strategie, Waffen<br />
und soldatischer Kriegserfahrung. Angereichert<br />
werden die Themenblöcke<br />
mit Quellenauszügen, Karten und Tondokumenten<br />
aus dem Deutschen Rundfunkarchiv.<br />
Das Spektrum reicht von<br />
Fotografien und Reden, Auszügen aus<br />
militärischen Richtlinien und Plakaten<br />
bis zu Zeitungsartikeln und Beiträgen<br />
aus <strong>der</strong> geschichtswissenschaftlichen<br />
Forschung. Lei<strong>der</strong> sind gerade die Bilddokumente<br />
nicht immer ausreichend<br />
belegt, auch die Anzahl <strong>der</strong> Beigaben<br />
könnte für ein Dossier umfangreicher sein.<br />
Die breit gefächerte Themenwahl eignet<br />
sich dennoch bestens zum Einstieg<br />
für Lehrende und Lernende, zumal Literaturhinweise<br />
zur Vertiefung einladen.<br />
Als Autoren zeichnen sich Wolfgang<br />
Kruse und Bernd Ulrich verantwortlich.<br />
fh<br />
www.FKPG.de<br />
Wer beim Besuch des Internetauftrittes<br />
<strong>der</strong> Truppengattung ausschließlich<br />
eine »grüne Nabelschau«<br />
erwartet, wird angenehm überrascht.<br />
Die angebotenen Artikel sind thematisch<br />
weit gefächert, beschäftigen sich<br />
mit Einsatzerfahrungen und aktuellen<br />
Fragen <strong>der</strong> Reservistenarbeit. Auf <strong>der</strong><br />
Startseite bestärken Links zu den Diensten<br />
von »Morgenlage«, »Augen geradeaus«<br />
und »Nachrichten aus dem<br />
Heer« (entspricht dem Internetauftritt<br />
Heer) den Eindruck, dass <strong>der</strong> »Freundeskreis«<br />
nicht nur <strong>der</strong> administrierten<br />
Meinung Raum gibt. So ist <strong>der</strong> Besucher<br />
am Puls <strong>der</strong> Zeit und bekommt<br />
Appetit auf mehr.<br />
Die auf <strong>der</strong> zweiten Ebene <strong>der</strong> Seite<br />
angebotenen Rubriken können allerdings<br />
<strong>der</strong>zeit hohe Erwartungen noch<br />
nicht erfüllen. Unter dem Menüpunkt<br />
»Informationen« sind einige Beiträge<br />
zur Panzergrenadiertruppe vorhanden,<br />
dieser und die weiteren Themenfel<strong>der</strong><br />
wie Sicherheitspolitik und Einsatz<br />
werden nach und nach befüllt.<br />
Dabei greifen die Macher <strong>der</strong> Website<br />
auch auf bereits bestehende Inhalte aus<br />
Zeitschriften zurück, etwa aus »Der<br />
Panzergrenadier«, aus »Soldat und<br />
Technik«, und auf offizielles Schrifttum<br />
des Bundesministeriums <strong>der</strong> Verteidigung,<br />
so beispielsweise beim Themenfeld<br />
Neuausrichtung des Heeres.<br />
Informationen über den »Verein«<br />
(d.h. den »Freundeskreis«) sind leicht<br />
verständlich und attraktiv präsentiert.<br />
Kernpunkt stellt das Werben um neue<br />
Mitglie<strong>der</strong> da. Der Monatsbeitrag von<br />
zurzeit 2,67 Euro – und damit etwas<br />
mehr als bei vergleichbaren »Freundeskreisen«<br />
<strong>der</strong> Panzertruppe o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Heeresaufklärer – gewährt dem Nutzer<br />
den Zugriff auf den Button »Netzwerk«.<br />
Hier kann nach Kameraden,<br />
freien Stellenangeboten o<strong>der</strong> gemeinsamen<br />
Erlebnissen geforscht werden.<br />
Ebenfalls erfährt <strong>der</strong> Nutzer Wissenswertes<br />
über Medien <strong>der</strong> Selbstdarstellung,<br />
Kommunikation und Traditionspflege<br />
wie die Vereinszeitschrift »Der<br />
Panzergrenadier« o<strong>der</strong> die vom »Freundeskreis«<br />
herausgegebene Chronik<br />
»Panzergrenadiere. Eine Truppengattung<br />
im Spiegel ihrer Geschichte«<br />
(3. überarb. Aufl., Munster 2012). »Bataillone«<br />
ist ein weiterer Bereich betitelt.<br />
Er befindet sich noch im Aufbau,<br />
von einigen Einheiten bzw. Einrichtungen<br />
sind bereits umfassende Informationen<br />
eingestellt, etwa vom Panzergrenadierbataillon<br />
112 o<strong>der</strong> vom<br />
Ausbildungszentrum Munster, bei an<strong>der</strong>en<br />
bedarf es noch <strong>der</strong> Ergänzung.<br />
Insgesamt stellt <strong>der</strong> Internetauftritt<br />
einen gelungenen Ansatz dar, eine<br />
Kommunikationsplattform <strong>der</strong> Panzergrenadiertruppe<br />
mit Informationen<br />
zur Neuausrichtung <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
und zu gesamtgesellschaftlichen Diskussionen<br />
über verteidigungspolitische<br />
Inhalte zu verknüpfen. Ehrenamtliche<br />
Webredaktionen stehen vor<br />
<strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung, geeignete Beiträge<br />
beibringen zu müssen: Im Fall<br />
des »Freundeskreises« sind insbeson<strong>der</strong>e<br />
die Angehörigen <strong>der</strong> Truppengattung<br />
gefor<strong>der</strong>t, sich verstärkt einzubringen<br />
(zuletzt geöffnet am 17.10.2013).<br />
Richard Wagner<br />
www.gottesgarten-bamberg.de<br />
Weihnachten, Ostern und Pfingsten<br />
kennt hierzulande je<strong>der</strong>.<br />
Was aber sind die Gegenstücke in <strong>der</strong><br />
muslimischen und jüdischen Religion?<br />
Welche Feste, Feiertage und Riten werden<br />
dort gepflegt? Der muslimische<br />
Fastenmonat (Ramadan) und das jüdische<br />
Lichterfest (Chanukka) sind<br />
vielleicht noch im Bewusstsein so mancher<br />
verankert, aber sehr viel mehr ist<br />
vermutlich nicht bekannt.<br />
Der »Gottesgarten <strong>der</strong> Religionen –<br />
Das Paradies Berühren« in Bamberg<br />
gibt die Antwort. Er entstand anlässlich<br />
<strong>der</strong> Bayerischen Landesgartenschau<br />
2012 und existiert in <strong>der</strong> fränkischen<br />
Erzbischofsstadt sowie im Internet<br />
weiter. Nicht weniger als vier<br />
Bamberger Institutionen waren dabei<br />
24<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
unter einen Hut zu bringen: das katholische<br />
Erzbistum, das Evangelisch-Lutherische<br />
Dekanat, die Türkisch-Islamische<br />
Gemeinde und die Israelitische<br />
Kultusgemeinde. Im vorliegenden Fall<br />
verdarben viele Köche gerade nicht<br />
den Brei, son<strong>der</strong>n sie würzten ihn anregend.<br />
Die Benutzer <strong>der</strong> Website erfahren<br />
Wissenswertes aus drei Weltreligionen,<br />
<strong>der</strong>en Fundamente, Feste und<br />
Beson<strong>der</strong>heiten in Form einer hervorragenden<br />
Synopse zusammengetragen<br />
worden sind. Entsprechende Links zu<br />
den beteiligten Glaubensgemeinschaften<br />
ergänzen das Angebot und<br />
machen eine kurzweilige Bildungsreise<br />
zu unterschiedlichen Glaubensrichtungen<br />
möglich. Eines haben alle drei<br />
Schriftreligionen gemeinsam: den Garten<br />
Eden. Der ist zwar hier nur virtuell<br />
zu finden, es handelt sich aber um einen<br />
wertvollen Beitrag zum gegenseitigen<br />
Verständnis.<br />
hp<br />
Audioguide Diaries 14-18<br />
http://memoire.pas-de-calais.<br />
com/index.php/en/links.html<br />
Den Spuren des jungen britischen<br />
Krankenträgers Andrew Naylor<br />
kann folgen, wer in Besitz eines Smartphones<br />
und des Audioguides »Diaries<br />
14–18« ist. In 40 einzelnen Tagebucheinträgen<br />
schil<strong>der</strong>t Naylor seine Erlebnisse<br />
und Eindrücke von zehn zentralen<br />
Orten an <strong>der</strong> Westfront zwischen<br />
1914 und 1918: Mont-Saint-Eloi, Vimy,<br />
Arras (Pas-de-Calais), Lijssenthoek<br />
(Westhoek), Fromelles (Nord), Notre-<br />
Dame-de-Lorette, Beaumont-Hamel<br />
(Somme) und Chemin des Dames<br />
(Aisne).<br />
Die sehr aufwendig gestaltete App<br />
zeichnet mit Hilfe neuester technologischer<br />
Möglichkeiten, Archivbil<strong>der</strong>n,<br />
Filmsequenzen und Animationen ein<br />
Abbild des Krieges und vom Leben in<br />
den Schützengräben. Die einzeln abrufbaren<br />
Sequenzen werden immer<br />
mit einem Eintrag aus Naylors Tagebuch<br />
begonnen und dann durch weitere<br />
Schil<strong>der</strong>ungen an<strong>der</strong>er in den<br />
Krieg involvierter Personen, Hintergrundinformationen<br />
zu den jeweiligen<br />
neue<br />
Zeina und ihr Bru<strong>der</strong> warten auf ihre<br />
Orten und touristischen Tipps ergänzt.<br />
Mit Hilfe <strong>der</strong> integrierten Geo-Daten,<br />
die das Ortungssystem des Smartphones<br />
nutzen, können interessierte<br />
Nutzerinnen und Nutzer die Wege an<br />
<strong>der</strong> ehemaligen Westfront selbst abgehen<br />
und wichtige Sehenswürdigkeiten<br />
entdecken. Abwechslungsreiche und<br />
nützliche Ergänzungen stellen zusätzliche<br />
Ausflugsziele, Wan<strong>der</strong>wege und<br />
Links zu weiteren relevanten Webseiten<br />
dar. Die Nutzung <strong>der</strong> GPS-Daten<br />
führt allerdings zu einer drastisch verringerten<br />
Lebensdauer des Akkus und<br />
kann zu weiteren Kosten bei <strong>der</strong> Nutzung<br />
des Smartphones o<strong>der</strong> Tablets im<br />
Ausland führen. Die Offline-Version<br />
benötigt hingegen keine Internet-Verbindung<br />
und kann vor Reisebeginn in<br />
vier Sprachen aus dem Applestore o<strong>der</strong><br />
Androidmarket kostenlos heruntergeladen<br />
werden.<br />
Die Entwicklung des Audioguides<br />
wurde im Rahmen des Projektes »Memory<br />
of the Great War« geför<strong>der</strong>t. Dort<br />
haben sich 20 Partnerorganisationen<br />
und Verbände <strong>der</strong> französischen Regionen<br />
Aisne, Pas-de-Calais, Somme,<br />
Nord und <strong>der</strong> belgischen Provinz Westflan<strong>der</strong>n<br />
zusammengeschlossen, um<br />
ein grenzübergreifendes Netzwerk für<br />
überregionale touristische Strukturen<br />
zu entwickeln, zu för<strong>der</strong>n und nachhaltig<br />
zu stärken.<br />
Markus Pede<br />
!<br />
Comics & Graphic Novels<br />
Alltag im libanesischen<br />
Bürgerkrieg<br />
Zeina Abirached, Das Spiel <strong>der</strong> Schwalben,<br />
München 2013. ISBN 978-3-<br />
939080-770-0; 182 S., 19,95 Euro.<br />
Abirached wuchs in den 1980er Jahren<br />
in Beirut auf, <strong>der</strong> vom libanesischen<br />
Bürgerkrieg zerrissenen Stadt.<br />
Von 1975 bis 1990 bekämpften sich<br />
christliche und muslimische Gruppen,<br />
über 150 000 Zivilisten starben.<br />
Nun erzählt die Graphikerin in ihrem<br />
Debütwerk von ihrer Kindheit,<br />
von ihrer Familie, vom Leben und<br />
Überleben, von Angst und Hoffnung<br />
in Zeiten des Krieges. Schon 2007 erschien<br />
»Le Jeux des Hirondelles« auf<br />
Französisch und nun liegt das Werk<br />
endlich auch in deutscher Übersetzung<br />
vor. Abirached entführt ihre Leserinnen<br />
und Leser in das Jahr 1984, in<br />
das Haus in <strong>der</strong> Rue Youssef Semaani,<br />
direkt am Rand <strong>der</strong> Demarkationslinie.<br />
Eltern, die noch bei <strong>der</strong> Großmutter<br />
sind und schon längst wie<strong>der</strong> zu Hause<br />
sein sollten. Die Routine des Kriegsalltags<br />
treibt die Nachbarn in die Diele<br />
<strong>der</strong> Familie Abirached, dem sichersten<br />
Ort im Haus: Anhala, die gute Seele<br />
<strong>der</strong> Notgemeinschaft, Chucri, den<br />
Sohn <strong>der</strong> Hausmeisterin, <strong>der</strong> sich um<br />
Benzin und Strom kümmert, Ernest,<br />
<strong>der</strong> traurig »Cyrano de Bergerac« rezitiert,<br />
Khaled und Linda, das schicke<br />
Ehepaar aus dem vierten Stock und die<br />
werdenden Eltern Farah und Ramzi,<br />
die ihre Flucht vorbereiten. Nur die<br />
Eltern kommen nicht. Die Zeit des Wartens<br />
wird mit den Geschichten des Alltags<br />
im Krieg gefüllt.<br />
Der Umgang Abiracheds mit Zeichnung<br />
und Sprache ist spielerisch, <strong>der</strong><br />
Stil minimalistisch, schwarze Flächen<br />
dominieren die Seiten. Geprägt wurde<br />
Abirached durch ihren Beruf als Werbezeichnerin<br />
und durch die französische<br />
Comicschule, wie auch Marjane<br />
Satrapi, an <strong>der</strong>en »Persepolis« das<br />
Buch erinnert. Wo Satrapi aber ihr Leben<br />
in epischer Breite zeichnet, begleitet<br />
Abirached ihre Figuren nur für einen<br />
Augenblick, erzählt dennoch so<br />
viel über ihr Leben zwischen den Barrikaden,<br />
mitten in Chaos, Gewalt und<br />
Zerstörung. Ein absolutes Muss.<br />
fh<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />
25
Service<br />
Lesetipp<br />
Kleiner Krieg<br />
Sogenannte asymmetrische Konflikte<br />
tauchten scheinbar urplötzlich aus<br />
dem Nichts auf und galten gar als<br />
»neue Kriege«. Beatrice Heuser greift<br />
in lesbarer Weise bis in die Antike zurück,<br />
um klar zu machen, dass sich<br />
hauptsächlich die Begriffe geän<strong>der</strong>t haben,<br />
<strong>der</strong> »Kleine Krieg« selbst aber uralt<br />
ist. Voraussetzung ist natürlich <strong>der</strong><br />
genaue und sachkundige historische<br />
Blick. Sie geht ihr Thema in zwei großen<br />
Teilen an: »Partisanen und Aufständische«<br />
sowie »Bekämpfung von<br />
Aufständen«. Hierbei stellt sie die Eingangsfrage<br />
»Son<strong>der</strong>einheiten o<strong>der</strong><br />
Rebellen?«, um sich mittels vieler historischer<br />
Beispiele den Themen »Aufstände<br />
und Volkskriege« und »Aufständische,<br />
Gesellschaft und Kriegsziele«<br />
zuzuwenden. Der Kapiteltitel<br />
»Der Löwe im Kampf gegen die Mücken«<br />
entstammt Aesops Fabeln und<br />
macht die Problematik <strong>der</strong> Gewinnbarkeit<br />
von kleinen Kriegen sowie <strong>der</strong> verwendeten<br />
militärischen Mittel deutlich.<br />
Der umfangreiche Abschnitt »Unterdrückung«<br />
beinhaltet Exkurse zu<br />
Genozid, zu ethnischer Säuberung und<br />
am deutschen sowie sowjetischen Beispiel<br />
zu totalitärer Aufstandsbekämpfung.<br />
Beson<strong>der</strong>s beim Partisanenkrieg<br />
ist das Thema »Kampf um Herz und<br />
Verstand <strong>der</strong> Bevölkerung« (6. Kapitel)<br />
von großer Bedeutung, was in den<br />
»Schlussbetrachtungen: Die Praxis und<br />
ihre Probleme« noch einmal aufgenommen<br />
wird. Dass gerade bei Kleinen<br />
Kriegen alles mit allem irgendwie<br />
zusammenhängt, ist sicher keine neue<br />
Einsicht. Die in diesem Buch erfolgte<br />
Benennung <strong>der</strong> einzelnen Faktoren Bevölkerung,<br />
Aufständische, Kriegsziele,<br />
Streitkräfte, unterschiedslose Gewalt<br />
und vor allen Dingen jedoch ihr aufgezeigtes<br />
vielschichtiges Wechselspiel<br />
findet die Leserschaft an<strong>der</strong>swo nicht.<br />
hp<br />
Beatrice Heuser, Rebellen<br />
– Partisanen – Guerilleros.<br />
Asymmetrische<br />
Kriege von <strong>der</strong> Antike bis<br />
heute, Pa<strong>der</strong>born [u.a.]<br />
2013. ISBN 978-3-506-<br />
77605-1; 307 S.,<br />
34,90 Euro<br />
Arabische Welt<br />
Der Orient ist hierzulande in den<br />
Medien u.a. durch den »Arabischen<br />
Frühling«, aber auch durch militärische<br />
Einsätze <strong>der</strong> deutschen Bundeswehr<br />
im Nahen Osten allgegenwärtig.<br />
Umso wichtiger ist es, sich auch mit<br />
<strong>der</strong> Geschichte des Nahen Ostens, mit<br />
den arabischen Län<strong>der</strong>n, <strong>der</strong> dortigen<br />
Bevölkerung und ihrer Kultur auseinan<strong>der</strong>zusetzen,<br />
um diese zu verstehen.<br />
Dem Diplomaten und studierten Orientalisten<br />
Alfred Schlicht ist es mit seiner<br />
»Geschichte <strong>der</strong> arabischen Welt«<br />
gelungen, knapp 3000 Jahre auf nur<br />
400 Seiten zusammenzufassen. Das Beson<strong>der</strong>e<br />
bei Schlicht ist, dass er betont<br />
keine Geschichte des Islam schreiben<br />
will. Er versucht, die Religion nicht in<br />
Alfred Schlicht, Geschichte<br />
<strong>der</strong> arabischen Welt,<br />
Stuttgart 2013. ISBN 978-<br />
3-15-010916-8; 400 S.,<br />
22,95 Euro<br />
den Vor<strong>der</strong>grund zu stellen. Zwar beschreibt<br />
er die Entstehung und Ausbreitung<br />
des Islam, widmet ihm ein<br />
ganzes Kapitel und stellt auch dessen<br />
Bedeutung in <strong>der</strong> Geschichte heraus,<br />
betont aber gleichzeitig auch die des<br />
Christen- und Judentums in <strong>der</strong> arabischen<br />
Welt.<br />
Schlicht geht chronologisch vor, beginnt<br />
mit dem vorislamischen Arabien<br />
und endet mit dem »Arabischen Frühling«.<br />
Seine Unterkapitel sind jedoch<br />
regional unterteilt. Beson<strong>der</strong>s herausgestellt<br />
werden die Bedeutung Europas<br />
für den Orient und die sich zunehmend<br />
verschiebende Machtkonstellation<br />
zwischen arabischer und europäischer<br />
Welt. Das Verhältnis des Nahen<br />
zu dem Fernen Osten wird lediglich<br />
unter dem Aspekt <strong>der</strong> europäischen<br />
Einmischung und Machtzunahme betrachtet.<br />
Der europäische Blickwinkel<br />
überwiegt in Schlichts Betrachtung.<br />
Dennoch ist es ihm gelungen, die komplexe<br />
arabische Welt sehr verständlich<br />
und informativ darzustellen, ohne weit<br />
ausholen zu müssen.<br />
Antonia v. Randow<br />
Mecklenburger Militär<br />
Militärgeschichte war in Deutschland<br />
lange preußisch dominiert.<br />
Dann kamen Österreich, Bayern, Sachsen<br />
und Württemberg. Mecklenburg,<br />
von dem es scherzhaft hieß, man solle<br />
beim Weltuntergang dorthin reisen, da<br />
dies dort erst 50 Jahre später geschehe,<br />
rangierte lange Zeit eher unter »ferner<br />
liefen«. Die beiden anzuzeigenden<br />
Bände aus <strong>der</strong> Reihe »Schriften zur Geschichte<br />
Mecklenburgs« wollen dies<br />
än<strong>der</strong>n, was ihnen erstens eindrucksvoll<br />
gelingt und zweitens deutlich<br />
macht, wie fruchtbar <strong>der</strong> detaillierte<br />
Blick auf die eher kleineren Staaten<br />
sein kann. Der im Hauptteil zwar eher<br />
rein chronologische Bericht über die<br />
Einsätze <strong>der</strong> Soldaten <strong>der</strong> Mecklenburger<br />
Teilherzogtümer in den Napoleonischen<br />
Kriegen besticht durch Uniformdarstellungen<br />
sowie durch einen<br />
umfangreichen Anhang. Zu diesem gehören<br />
Marsch- und Schlachtordnungen<br />
sowie Personenlisten <strong>der</strong> Regimenter<br />
und eine ganze Reihe von Kurzbiographien.<br />
Eher historisch problemorientiert<br />
ist <strong>der</strong> Band über die Jahre 1848/49<br />
ausgefallen. Hier wird zunächst ein<br />
Überblick über die Mecklenburger<br />
Truppen in <strong>der</strong> Kontingentarmee des<br />
Deutschen Bundes geboten. Es folgt<br />
eine Darstellung <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Verbände<br />
im Kampf gegen den äußeren<br />
Feind Dänemark und gegen den inneren<br />
Feind <strong>der</strong> Revolution.<br />
Im Bereich <strong>der</strong> Mecklenburgischen<br />
(Militär-)Geschichte tut sich also Einiges<br />
und wer beim Weltuntergang wirklich<br />
verreisen will, <strong>der</strong> sollte sich vielleicht<br />
ein an<strong>der</strong>es Ziel suchen.<br />
hp<br />
Klaus-Ulrich Keubke und Uwe<br />
Poblenz, Die Mecklenburger in<br />
den Napoleonischen Kriegen<br />
1806-1815, Schwerin 2011<br />
(= Schriften zur Geschichte<br />
Mecklenburgs, 26). ISBN 978-<br />
3-00-034517-3; 198 S.,<br />
20,00 Euro<br />
Klaus-Ulrich Keubke und Ralf<br />
Mumm, Mecklenburger Truppen<br />
in Schleswig-Holstein, in<br />
Baden und bei inneren Unruhen<br />
im eigenen Lande<br />
1848/49, Schwerin 2012 (=<br />
Schriften zur Geschichte<br />
Mecklenburgs 28). ISBN 978-3-<br />
00-039733-2; 194 S., 20,00 Euro<br />
26 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
Memoiren 1938–1945<br />
Der größte Feind des Historikers ist<br />
<strong>der</strong> Zeitzeuge. Was passiert, wenn<br />
<strong>der</strong> Historiker selbst aus seinem Leben<br />
berichtet: Wird er sein eigener Feind?<br />
Die Antwort lautet: nein.<br />
Christoph Allmayer-Beck, langjähriger<br />
Direktor des Heeresgeschichtlichen<br />
Museums, Präsident <strong>der</strong> Österreichischen<br />
Kommission für Militärgeschichte,<br />
Verfasser einschlägiger historischer<br />
Standardwerke und Offizier,<br />
war in puncto Militär familiär vorbelastet,<br />
meldete sich nach seiner Matura<br />
1936 zur Artillerie, durchlief die Offizierausbildung<br />
des Österreichischen<br />
Bundesheeres und wurde nach dem<br />
»Anschluss« 1938 in die Wehrmacht<br />
übernommen. Dies bedeutete für den<br />
1918 in Baden bei Wien geborenen All<br />
Johann Christoph<br />
Allmayer-Beck, »Herr<br />
Oberleitnant, det<br />
lohnt doch nicht!«<br />
Kriegserinnerungen<br />
an die Jahre 1938 bis<br />
1945. Hrsg. von<br />
Erwin A. Schmidl,<br />
Wien [u.a.] 2013.<br />
ISBN 978-3-205-<br />
78891-1; 559 S.,<br />
39,00 Euro<br />
mayer-Beck die Versetzung ins ferne<br />
Ostpreußen. Den Krieg selbst erlebte er<br />
in verschiedenen Funktionen an <strong>der</strong><br />
Front und im »partisanendurchtränkten«<br />
Hinterland auf Kriegsschauplätzen<br />
in Polen, Frankreich und <strong>der</strong><br />
Sowjetunion. Das Kriegsende erlebte<br />
er in Österreich und musste sich mit 27<br />
Jahren völlig neu orientieren. Dies war<br />
nicht ungewöhnlich, galt für Millionen<br />
an<strong>der</strong>e auch und ebenso haben viele<br />
Hun<strong>der</strong>te ihre Kriegserinnerungen<br />
aufgeschrieben. Selten jedoch sind Memoiren<br />
so sorgfältig herausgegeben<br />
worden. Dies beginnt mit einem umfangreichen<br />
Glossar zu deutsch-österreichischen<br />
Militärfachbegriffen und<br />
endet mit einem Personen- und Ortsregister.<br />
Das im Titel verwendete Zitat<br />
bezieht sich auf einen schwer verwundeten<br />
Rotarmisten, dem nach Aussage<br />
eines Soldaten ohnehin nicht mehr zu<br />
helfen war. Dies war Allmayer-Becks<br />
Schlüsselerlebnis beim Nachdenken<br />
über Sinn und Unsinn des Krieges.<br />
hp<br />
Überwachung Bundesrepublik<br />
Noch vor wenigen Monaten wäre<br />
das Thema Post- und Telefonüberwachung<br />
wohl ausschließlich mit <strong>der</strong><br />
DDR und <strong>der</strong> dortigen Staatssicherheit<br />
in Verbindung gebracht worden. Seit<br />
den Enthüllungen des ehemaligen US-<br />
Geheimdienstmitarbeiters Edward<br />
Snowden debattiert eine erstaunte und<br />
erschrockene Öffentlichkeit die heutige<br />
Überwachungspraxis. Foschepoths<br />
bis vor Kurzem von den großen Medien<br />
weitgehend ignorierte Forschungsleistung<br />
(eine Ausnahme machte dankenswerterweise<br />
Franziska Augstein<br />
in <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung bereits<br />
im November 2012) erfährt so eine<br />
auch vom Autor ungeahnte Aktualität<br />
und endlich die verdiente Aufmerksamkeit.<br />
Der Freiburger Historiker erstritt sich<br />
erstmals die Einsicht in bislang als vertraulich<br />
o<strong>der</strong> geheim eingestufte Dokumente<br />
und stieß auf ein ungeahntes<br />
Ausmaß an flächendecken<strong>der</strong> Überwachung<br />
durch alliierte (und deutsche)<br />
Dienste. Nicht nur die DDR, auch die<br />
alte Bundesrepublik war ein »straff organisierter<br />
und effizient arbeiten<strong>der</strong><br />
Überwachungsstaat«, so das erschreckende<br />
Resümee seines Buches. Foschepoths<br />
eher am Rande und vorsichtig<br />
formulierter Hinweis, dass die amerikanischen,<br />
britischen und französischen<br />
Son<strong>der</strong>echte zur Überwachung<br />
in Deutschland bis heute unverän<strong>der</strong>t<br />
gelten, hat inzwischen eine gänzlich<br />
an<strong>der</strong>e Dimension bekommen.<br />
Allen Amtsträgern, die jetzt noch immer<br />
behaupten, nie etwas von <strong>der</strong><br />
Überwachung durch amerikanische<br />
(und an<strong>der</strong>e) Dienste gehört zu haben,<br />
sei Foschepoths Buch als Auffrischung<br />
ihrer Erinnerungen empfohlen.<br />
Klaus Storkmann<br />
Josef Foschepoth,<br />
Überwachtes<br />
Deutschland. Postund<br />
Telefonüberwachung<br />
in <strong>der</strong> alten<br />
Bundesrepublik,<br />
Göttingen 2012. ISBN<br />
9783525300411;<br />
377 S., 34,90 Euro<br />
Nationale Volksarmee<br />
Die Kombination »Militär« und »Erholung«<br />
klingt zunächst wie ein<br />
»schwarzer Schimmel«. Udo Beßer<br />
schaut genauer hin und entdeckt in <strong>der</strong><br />
DDR und ihrer Nationalen Volksarmee<br />
(NVA) auf dem weißen Tier zumindest<br />
schwarze Flecke. In <strong>der</strong> NVA herrschten<br />
sowohl an Wochenenden als auch an<br />
Feiertagen hohe Bereitschaftsstufen. 85<br />
Prozent <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Masse unweit <strong>der</strong><br />
entlegenen Kasernen wohnenden Armeeangehörigen<br />
hatten anwesend zu<br />
sein. Ergo musste man ihnen auch Freizeitmöglichkeiten<br />
bieten. Zudem war<br />
es in <strong>der</strong> von Staat und SED kontrollierten<br />
Gesellschaft nicht von Nachteil,<br />
wenn Soldaten und ihre Angehörigen<br />
in armeeeigenen Freizeiteinrichtungen<br />
ihren Urlaub bzw. ihre Ferien ver<br />
Udo Beßer, Das<br />
Militärerholungswesen<br />
in <strong>der</strong> DDR.<br />
Erholungsheime,<br />
Ferienlager, Kureinrichtungen,<br />
Berlin<br />
2012. ISBN: 978-3-<br />
942477-30-7; 189 S.,<br />
19,95 Euro<br />
brachten. Beßer skizziert die Anfänge<br />
in den 1970er Jahren und stellt die Rahmenbedingungen<br />
von Urlaubsgewährung<br />
im In- und Ausland dar. Dabei<br />
geht er sehr detailliert auf Strukturen,<br />
Unterbringung, Verpflegung, Ausstattung<br />
und Preise ein. Das Herzstück des<br />
Buches macht jedoch die Spurensuche<br />
nach den diversen Erholungsheimen<br />
aus. Dazu gehörten u.a. die Erholungsheimgruppen<br />
Oberwiesenthal, Johanngeorgenstadt,<br />
Waldbärenburg und Geising<br />
im Erzgebirge, Frauenwald im<br />
Thüringer Wald, Wernigerode im Harz,<br />
Boitzenburg in <strong>der</strong> Uckermark, Grünheide<br />
und Bad Saarow in <strong>der</strong> Mark<br />
Brandenburg, Ückeritz auf Usedom<br />
und Göhren sowie Prora auf Rügen.<br />
Hinzu kamen die Kurheime Benneckenstein<br />
im Harz sowie Bad Elster<br />
und Bad Brambach im Vogtland. Last<br />
not least gab es sogar Kin<strong>der</strong>ferienlager<br />
in Prora auf Rügen, in Karlshagen<br />
auf Usedom und in Bärenstein im Erzgebirge.<br />
hp<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />
27
Service<br />
Die historische Quelle<br />
Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv<br />
Das »Bonner Friedensforum« und die Friedensbewegung<br />
Am Anfang <strong>der</strong> kleinen Recherche stand ein Anruf aus<br />
<strong>der</strong> Robert-Schuman-Kaserne in Müllheim. Dort waren<br />
beim Aufräumen in einem Lagerraum alte Plakate<br />
»<strong>der</strong> Friedensbewegung« gefunden worden. Herausgeber<br />
<strong>der</strong> Plakate sei ein »Bonner Friedensforum e.V.« Die<br />
Deutsch-Französische Brigade fragte Anfang 2013 beim<br />
Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, an, ob daran Interesse<br />
bestünde. Alte Plakate <strong>der</strong> Friedensbewegung in einer<br />
Kaserne? Das weckte natürlich Interesse. Der Blick<br />
auf den Müllheimer Fund zeigte schnell, dass es sich keineswegs<br />
um Plakate <strong>der</strong> Friedensbewegung handelte. Im<br />
Gegenteil: Unter einem wenig sympathischen Foto <strong>der</strong><br />
sowjetischen Partei- und Armeeführung (zu sehen sind<br />
u.a. Außenminister Andrei Gromyko, Staats- und Parteichef<br />
Leonid Breschnew und Verteidigungsminister<br />
Marschall Dmitri Ustinow sowie <strong>der</strong> polnische Staatsund<br />
Armeechef General Wojciech Jaruzelski) findet sich<br />
die Auffor<strong>der</strong>ung, bei <strong>der</strong> westdeutschen Friedensbewegung<br />
mitzumachen, denn: »Die Sowjetunion braucht<br />
Dich!« Ein an<strong>der</strong>es Plakat zeigte ein sowjetisches Manöver<br />
und einen Sowjetstern mit Krallen: » Unser Preis: Ihre<br />
Freiheit. Unsere Devise: Es gibt viel zu erobern. Packen<br />
wir´s an.«<br />
Plakatsammlung Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv<br />
Derlei Plakate passten kaum zur Friedensbewegung. In<br />
den 1980er Jahren erlebte die Bundesrepublik wie auch<br />
an<strong>der</strong>e westeuropäische Staaten starke Proteste gegen die<br />
Politik <strong>der</strong> Auf- bzw. Nachrüstung. Die Demonstrationen<br />
richteten sich ganz allgemein gegen die Stationierung<br />
neuer Atomwaffen in Europa, in Ost und West. Konkreter<br />
Anlass und damit auch Hauptauslöser <strong>der</strong> Proteste war<br />
aber die mit dem NATO-Doppelbeschluss verbundene<br />
Stationierung neuer amerikanischer atomar bestückter<br />
Marschflugkörper (Cruise Missiles) und Mittelstreckenraketen<br />
des Typs Pershing II in <strong>der</strong> Bundesrepublik und<br />
in an<strong>der</strong>en NATO-Staaten. Im Oktober 1981 demonstrierten<br />
300 000 Menschen im Bonner Hofgarten. Den »Krefel<strong>der</strong><br />
Appell« gegen diese neuen Waffen unterzeichneten<br />
zwischen 1980 und 1983 über vier Millionen Menschen.<br />
Allein am 22. Oktober 1983 schlossen sich in <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik 1,3 Mio. Menschen den Demonstrationen<br />
an, davon 500 000 wie<strong>der</strong>um im Bonner Hofgarten.<br />
Friedensaktivisten bildeten eine geschlossene Menschenkette<br />
zwischen Stuttgart und Neu-Ulm, einem <strong>der</strong> Raketenstandorte.<br />
Um ein Gegengewicht zur wachsenden Protestbewegung<br />
zu schaffen, entstanden Gruppen und<br />
Kreise wie das »Bonner Friedensforum«. Unter diesem irreführenden<br />
Namen starteten einige Bonner eine Art Gegenpropaganda<br />
und nutzten dabei – wie das Müllheimer<br />
Plakat zeigt – die Schwachstelle <strong>der</strong> Friedensbewegung:<br />
Deren oftmals einseitige Kritik an NATO und USA trugen<br />
ihr Vorwürfe ein, sich nicht ausreichend von <strong>der</strong> Sowjetunion<br />
und dem »Osten« abzugrenzen, ja sogar <strong>der</strong> Ostpropaganda<br />
in die Hände zu spielen. Ein »Friedensforum«-Aufkleber<br />
formulierte: »Lieber ´ne Pershing im<br />
Garten als ´ne SS-20 auf´s Dach«. Eine Sammlung <strong>der</strong><br />
vom »Bonner Friedensforum« herausgegebenen Plakate<br />
ist unter <strong>der</strong> Inventarnummer Do2 2003/1082 im Deutschen<br />
Historischen Museum Berlin archiviert. Hinweise<br />
auf die politische Ausrichtung des »Bonner Friedensforums«<br />
geben auch Recherchen zu dessen Mitglie<strong>der</strong>n:<br />
Geschäftsführer war Dietrich Kantel, bis 2002 für die<br />
CDU Mitglied des Stadtrates Bonn. Der <strong>der</strong>zeitige Berliner<br />
Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) war während<br />
seines Studiums in Bonn in den frühen 1980er Jahren im<br />
dortigen »Friedensforum« aktiv, u.a. als Autor und Herausgeber<br />
von Publikationen. Aber auch für den Bundestagsabgeordneten<br />
Harald Weinberg (Die Linke) gibt dessen<br />
offizielle Biografie an, er habe 1980 im »Bonner Friedensforum«<br />
mitgearbeitet.<br />
Klaus Storkmann<br />
3Lagerraumfund in <strong>der</strong> Müllheimer Kaserne: Plakat des<br />
»Bonner Friedensforums«.<br />
28<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
Geschichte kompakt<br />
Herbst/Winter 1913 8./9. November 1923<br />
IAM/akg<br />
Die Zabern-Affäre<br />
»Immer feste druff«, telegrafiert Kronpinz Wilhelm Ende<br />
1913 den Kommandeuren <strong>der</strong> Besatzungstruppen im Elsass.<br />
Diese hatten friedliche Demonstrationen gegen militärische<br />
Willkür und für mehr Selbstbestimmung mit dem Ausrufen<br />
des Belagerungszustandes beantwortet.<br />
Das 1871 annektierte Elsass-Lothringen wurde zivil wie<br />
militärisch preußisch-deutsch verwaltet. Dem Wunsch nach<br />
Selbstverwaltung begegneten Beamte und Soldaten mit (kolonial)herrischem<br />
Auftreten. Am 28. Oktober 1913 empfahl<br />
<strong>der</strong> in Zabern (frz. Saverne) stationierte 20-jährige Leutnant<br />
Günter Freiherr von Forstner seinen Rekruten, sie sollten<br />
sich von den »Wackes« – ein abschätziger, streng verbotener<br />
Begriff für Elsässer – nichts gefallen lassen: »Und wenn<br />
Sie dabei so einen Wackes über den Haufen stechen, so<br />
schadet es nichts. Sie bekommen dann von mir noch zehn<br />
Mark Belohnung.« Die elsässische Presse veröffentlichte<br />
diesen Satz, was zu erneuten Protesten führte. Die äußerst<br />
milde Bestrafung des Leutnants wurde zudem vor <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
geheim gehalten, um die »Ehre des Militärs« zu<br />
wahren. Die Demonstrationen hielten an; die deutschen<br />
Truppen vor Ort reagierten mit Willkürakten und rechtswidrigen<br />
Verhaftungen.<br />
Der inzwischen berüchtigte Leutnant von Forstner ließ<br />
seinen Worten Taten folgen, indem er den Spott eines halbseitig<br />
gelähmten Schustergesellen mit einem Säbelhieb auf<br />
dessen Kopf beantwortete. Gegen die hierfür verhängte<br />
Strafe legte er Berufung ein. Das Oberkriegsgericht sprach<br />
ihn frei: Der Leutnant habe in Notwehr gehandelt.<br />
Die Affäre führte zu einer weiteren Verschlechterung im<br />
Verhältnis von Besatzern und Bevölkerung. Auch schadete<br />
sie dem Ansehen des Deutschen Reiches und Kaiser Wilhelms<br />
II., <strong>der</strong> angesichts des Fehlverhaltens »seiner« Offiziere<br />
zum wie<strong>der</strong>holten Male Mangel an politischem und<br />
diplomatischem Geschick zeigte. Der Kaiser stellte sich demonstrativ<br />
vor sein Militär; Kritik wurde nicht geduldet.<br />
Schließlich geriet die Affäre zum Skandal.<br />
Im In- und Ausland sorgten die Vorfälle für Bestürzung<br />
und hitzige Debatten, von »Säbelherrschaft« war die Rede.<br />
Heinrich Mann und Kurt Tucholsky verarbeiteten die Affäre<br />
literarisch, teils mit beißendem Spott. Und Theodor Heuss<br />
meinte: »Zabern ist nur ein Symptom«; ein Symptom für<br />
eine grundlegende Problematik, die sich aus <strong>der</strong> glorifizierten<br />
Vormachtstellung des preußisch-deutschen Militärs<br />
in Staat und Gesellschaft ergab.<br />
Alexan<strong>der</strong> Querengässer<br />
3»Simplicissimus«, November<br />
1913: Die Karikatur anässlich<br />
<strong>der</strong> Zabern-Affäre zeigt einen<br />
deutschen Soldaten in<br />
Leutnantsuniform als Schreckfigur<br />
für die Bevölkerung<br />
Elsass-Lothringens.<br />
Hitler-Ludendorff-Putsch<br />
Das Jahr 1923 ging als »Krisenjahr« in die Geschichte <strong>der</strong><br />
Weimarer Republik ein: Neben <strong>der</strong> Ruhrbesetzung und <strong>der</strong><br />
Hyperinflation standen die politischen Entwicklungen in<br />
Bayern im Mittelpunkt, wo seit September 1923 ein rechtskonservatives<br />
»Triumvirat« mit diktatorischen Vollmachten<br />
regierte.<br />
Der Freistaat war nach Kriegsende zum Sammelbecken<br />
rechtsradikal orientierter Gruppen und Parteien geworden.<br />
Eine von ihnen war die 1920 gegründete Nationalsozialistische<br />
Deutsche Arbeiterpartei, die sich mit einer eigenen<br />
Parteizeitung und <strong>der</strong> SA rasch als führende rechte Kraft in<br />
Bayern etablierte. 1923 hatte die Partei bereits 55 000 Mitglie<strong>der</strong>,<br />
die sich zumeist aus ehemaligen Soldaten und Freikorpsleuten<br />
rekrutierten. Ihr Aushängeschild war Adolf<br />
Hitler, <strong>der</strong> sich einen Namen als Wirtshaus- sowie Volksredner<br />
gemacht hatte und nach dem »Marsch auf Rom«<br />
1922 als deutscher Mussolini gehandelt wurde. Eben diesem<br />
Vorbild wollten er und seine Partei im November 1923<br />
folgen und den rechtsrevolutionären Umbruch im Deutschen<br />
Reich herbeiführen. Als Mitstreiter gewannen sie<br />
General a.D. Erich Ludendorff. Der ehemalige Generalquartiermeister<br />
<strong>der</strong> 3. Obersten Heeresleitung war in den<br />
Nachkriegsjahren zur »Galionsfigur« <strong>der</strong> radikalen Rechten<br />
geworden und sollte <strong>der</strong> jungen nationalsozialistischen<br />
Bewegung die Unterstützung aus dem rechtskonservativen<br />
Lager sichern.<br />
Am Abend des 8. November 1923 umstellte die SA den<br />
Münchner Bürgerbräukeller, in dem die bayerische Regierung<br />
eine Versammlung abhielt. Hitler und Ludendorff<br />
proklamierten das Programm <strong>der</strong> »nationalen Revolution«<br />
und überredeten die bayerische Regierung scheinbar erfolgreich<br />
zur Teilnahme am »Marsch auf Berlin«. Doch<br />
diese traf noch in <strong>der</strong> Nacht Maßnahmen zur Beendigung<br />
des Umsturzversuches: Am Morgen des 9. Novembers stießen<br />
die Putschisten an <strong>der</strong> Feldherrenhalle auf die bayerische<br />
Landespolizei. Der Marsch war beendet, bevor er<br />
richtig begonnen hatte. Im Getümmel kam es zu Schusswechseln,<br />
16 Demonstranten und drei Polizisten kamen dabei<br />
ums Leben.<br />
Die NSDAP wurde danach kurzzeitig verboten und die<br />
Anführer des Hochverrates angeklagt. Hitler erhielt fünf<br />
Jahre Festungshaft, von denen er allerdings nur neun Monate<br />
verbüßen musste. Ludendorff<br />
wurde ganz frei gesprochen. Die<br />
getöteten Putschisten wurden<br />
fortan als »Blutzeugen <strong>der</strong> Bewegung«<br />
in jährlichen Gedenkfeiern<br />
verehrt, <strong>der</strong> gescheiterte Putschversuch<br />
fand als »Bluttaufe« Eingang<br />
in den NS-Mythos.<br />
Frie<strong>der</strong>ike Höhn<br />
BArch, Plak 002-009-035<br />
3Plakat zur »nationalen Revolution«<br />
vom 9. November 1923.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013 29
Service<br />
Ausstellungen<br />
• Berlin<br />
Von G.I. Blues zu G.I.<br />
Disco.<br />
Der »American Way of<br />
Music« in Deutschland<br />
Alliiertenmuseum<br />
Clayallee 135 – Outpost<br />
14195 Berlin<br />
Tel.: 0 30 / 81 81 99 0<br />
www.alliiertenmuseum.de<br />
bis 27. April 2014<br />
Donnerstag bis Dienstag<br />
10 bis 18 Uhr<br />
Eintritt: frei<br />
Zerstörte Vielfalt.<br />
Berlin 1933–1938<br />
Deutsches Historisches<br />
Museum<br />
Unter den Linden 2<br />
10117 Berlin<br />
Tel.: 0 30 / 20 30 40<br />
www.dhm.de<br />
bis 10. November 2013<br />
täglich 10 bis 18 Uhr<br />
Eintritt: 8,00 Euro<br />
(unter 18 Jahren frei)<br />
1813 – auf dem<br />
Schlachtfeld bei<br />
Leipzig.<br />
Ein Rundgang durch<br />
das Gemälde »Siegesmeldung«<br />
von Johann<br />
Peter Krafft<br />
Deutsches Historisches<br />
Museum<br />
Unter den Linden 2<br />
10117 Berlin<br />
Tel.: 0 30 / 20 30 40<br />
www.dhm.de<br />
bis 15. Dezember 2013<br />
täglich 10 bis 18 Uhr<br />
Eintritt: 8,00 Euro<br />
(unter 18 Jahren frei)<br />
Gedenkstätte<br />
»Köpenicker Blutwoche<br />
Juni 1933«<br />
Puchanstr. 12<br />
12555 Berlin<br />
Tel.: 0 30 / 65 71 46 7<br />
www.gedenkstaettekoepenicker-blutwoche.org<br />
Dauerausstellung<br />
Donnerstag 10 bis 18 Uhr<br />
Eintritt frei<br />
Privilegierte Lager?<br />
Westalliierte Flieger in<br />
deutscher Kriegsgefangenschaft<br />
während<br />
des Zweiten Weltkrieges<br />
Militärhistorisches Museum<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr<br />
Flugplatz Berlin-Gatow<br />
Besuchereingang:<br />
Am Flugplatz Gatow 33<br />
14089 Berlin<br />
Tel.: 0 30 /36 87 26 08<br />
www.luftwaffenmuseum.<br />
com<br />
bis 28. September 2014<br />
Dienstag bis Sonntag<br />
10 bis 18 Uhr<br />
Eintritt: frei<br />
• Dresden<br />
Blutige Romantik – 200<br />
Jahre Befreiungskriege<br />
Militärhistorisches Museum<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr<br />
Olbrichtplatz 2<br />
01099 Dresden<br />
Tel.: 03 51 / 82 32 85 1<br />
www.1636.de<br />
bis Januar 2014<br />
Montag 10 bis 21 Uhr<br />
Donnerstag bis Dienstag<br />
10 bis 18 Uhr<br />
Eintritt: 5,00 Euro<br />
ermäßigt: 3,00 Euro<br />
(für Bundeswehr-Angehörige<br />
Eintritt frei)<br />
• Leipzig<br />
Helden nach Maß. 200<br />
Jahre Völkerschlacht<br />
Stadtgeschichtliches<br />
Museum<br />
Böttchergäßchen 3<br />
04109 Leipzig<br />
Tel.: 03 41 / 9 65 13 0<br />
www.stadtgeschichtlichesmuseum-leipzig.de<br />
bis 5. Januar 2014<br />
Dienstag bis Sonntag,<br />
Feiertage<br />
10 bis 18 Uhr<br />
Eintritt: 3,00 Euro<br />
ermäßigt: 2,00 Euro<br />
(unter 18 Jahren frei)<br />
• Ludwigsburg<br />
Vom Ehrenzeichen zum<br />
Symbol.<br />
Das Eiserne Kreuz und<br />
seine 200jährige Geschichte.<br />
Garnisonmuseum Ludwigsburg<br />
Im Asperger Torhaus<br />
Asperger Str. 52<br />
71634 Ludwigsburg<br />
Tel.: 0 71 41 / 91 02 41 2<br />
www.garnisonmuseumludwigsburg.de<br />
bis 26. Januar 2014<br />
Mittwoch 15 bis 18 Uhr<br />
Sonntag 13 bis 17 Uhr<br />
Eintritt: 2,00 Euro<br />
ermäßigt: 1,00 Euro<br />
• Nordholz<br />
Frühe Raketenentwicklung<br />
bis zur Mondlandung<br />
Aeronauticum –<br />
Deutsches Luftschiffund<br />
Marinefliegermuseum<br />
Peter-Strasser-Platz 3<br />
27637 Nordholz<br />
Tel.: 0 47 41 / 18 19-0<br />
www.aeronauticum.de<br />
bis 21. Dezember 2013<br />
täglich 10 bis 18 Uhr<br />
Eintritt: 7,50 Euro<br />
ermäßigt: 3,00 Euro<br />
• Nürnberg<br />
Zwischen den Zeilen?<br />
Zeitungspresse als NS-<br />
Machtinstrument<br />
Dokumentationszentrum<br />
Reichsparteitagsgelände<br />
Bayernstraße 110<br />
90478 Nürnberg<br />
Tel.: 09 11 / 23 15 66 6<br />
www.museen.nuernberg.<br />
de/dokuzentrum<br />
29. November 2013<br />
bis 27. April 2014<br />
Montag bis Freitag<br />
9 bis 18 Uhr<br />
Samstag und Sonntag<br />
10 bis 18 Uhr<br />
Eintritt: 5,00 Euro<br />
ermäßigt: 3,00 Euro<br />
Heft 4/2013<br />
Militärgeschichte<br />
Zeitschrift für historische Bildung<br />
Vorschau<br />
Zu Beginn des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts erschütterten<br />
zwei große Kriege Europa und die<br />
Welt: <strong>der</strong> Spanische Erbfolgekrieg und<br />
<strong>der</strong> Große Nordische Krieg. Eine <strong>der</strong><br />
größten diplomatischen Leistungen bestand<br />
darin, diese beiden Konflikte auseinan<strong>der</strong>zuhalten.<br />
Die Rolle <strong>der</strong> Diplomaten<br />
schlug 1714 beim Frieden von<br />
Rastatt. Er beendete zumindest den Streit<br />
um die spanische Thronfolge zwischen<br />
den Häusern Habsburg, Bourbon, Wittelsbach<br />
und Stuart. Spanien beherrschte<br />
damals ein Weltreich. Josef Johannes<br />
Schmid erzählt vom Konflikt und seinem<br />
Ende.<br />
Weltumspannend war <strong>der</strong> Erste Weltkrieg<br />
ebenfalls, erstmals wurde im großen<br />
Stil zu Wasser, zu Lande und in <strong>der</strong><br />
Luft gekämpft. Sebastian Rosenboom berichtet<br />
von <strong>der</strong> Kriegführung in <strong>der</strong> dritten<br />
Dimension. Seinen Schwerpunkt legt<br />
er hier auf die Ostfront, die allzulange<br />
im Schatten von Verdun, <strong>der</strong> Somme und<br />
<strong>der</strong> deutsch-britischen Luftduelle stand.<br />
Er erzählt vom Einsatz <strong>der</strong> Fliegertruppe<br />
des deutschen Kaiserreiches in Russland<br />
sowie von den Problemen des Raumes,<br />
die die Weiten des Zarenreiches mit sich<br />
brachten.<br />
Kriege wurde zu allen Zeiten mit Waffen<br />
bzw. mit Waffensystemen ausgefochten,<br />
die bekanntlich viel Geld kosten. Erstaunlicherweise<br />
steht in den Publikationen<br />
die Rüstungsgüterbeschaffung gegenüber<br />
dem Waffeneinsatz zumeist im<br />
Hintergrund. Dieter H. Kollmer widmet<br />
sich in seinem Beitrag daher <strong>der</strong> westdeutschen<br />
Rüstungsindustrie und <strong>der</strong><br />
Beschaffung von Waffensystemen in <strong>der</strong><br />
frühen Bundeswehr.<br />
Klaus Storkmann schließlich bearbeitet<br />
ebenfalls ein Thema aus <strong>der</strong> Bundeswehrgeschichte.<br />
Er stellt den Verlauf <strong>der</strong><br />
»Kießling-Affäre« vor 30 Jahren dar.<br />
hp<br />
30<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013
Militärgeschichte im Bild<br />
150 Jahre Befreiungshalle Kelheim<br />
Anlässlich des einhun<strong>der</strong>tsten Jahrestages<br />
<strong>der</strong> Völkerschlacht bei<br />
Leipzig besuchten Kaiser Wilhelm II.<br />
und <strong>der</strong> bayerische Prinzregent Ludwig<br />
am 25. August 1913 die Befreiungshalle<br />
in Kelheim. Anschließend nahmen sie<br />
gemeinsam die Parade <strong>der</strong> angetretenen<br />
Formationen <strong>der</strong> bayerischen<br />
Armee ab und demonstrierten damit<br />
Einigkeit. Dies war ganz im Sinne <strong>der</strong><br />
schwarz-gelben Inschrift aus Siena-<br />
Marmor, die im Zentrum des Bodens<br />
<strong>der</strong> Befreiungshalle steht: »Moechten<br />
die Teutschen nie vergessen, was den<br />
Befreiungskampf nothwendig machte<br />
und wodurch sie gesiegt«. Auftraggeber<br />
und Finanzier war <strong>der</strong> bayerische<br />
König Ludwig I. (1825–1848). Sein monumentales<br />
Bauwerk auf dem Michelsberg<br />
oberhalb <strong>der</strong> Donau soll an den<br />
gemeinsamen Sieg <strong>der</strong> deutschen Staaten<br />
und ihrer Verbündeten über die<br />
französische Armee in <strong>der</strong> Völkerschlacht<br />
bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober<br />
1813 erinnern. Der militärische<br />
Erfolg und das damit einhergehende<br />
Ende <strong>der</strong> napoleonischen Besatzungsherrschaft<br />
in Deutschland waren ein<br />
einschneidendes historisches Ereignis,<br />
das die deutschen Territorialstaaten<br />
sich politisch wie<strong>der</strong> annähern ließ. Indem<br />
<strong>der</strong> bayerische Monarch das gemeinsame<br />
Siegeserlebnis betonte,<br />
brachte er seinem Wunsch nach einer<br />
erneuten politischen Einheit Deutschlands<br />
zum Ausdruck.<br />
5Innere Ansicht <strong>der</strong> Befreiungshalle.<br />
Lithographie (1897) nach Leo von Klenze.<br />
bpk/Bayerische Staatsbibliothek<br />
So kam es, dass am 18. Oktober 1842<br />
<strong>der</strong> Grundstein gelegt wurde. (Das Datum<br />
ist Ausdruck <strong>der</strong> geschichtsträchtigen<br />
Symbolik um die in <strong>der</strong> Gebäudearchitektur<br />
omnipräsente Zahl 18,<br />
die die Verbindung zur Völkerschlacht<br />
herstellen soll.) Der Bauplatz war dabei<br />
bewusst gewählt. Der felsige Michelsberg<br />
bei Kelheim, südwestlich<br />
von Regensburg gelegen und 126 Meter<br />
über dem Donauspiegel aufragend,<br />
bot die angemessene topografische<br />
Lage für ein monumentales Nationaldenkmal.<br />
Auch in <strong>der</strong> klassizistischen Architektur<br />
<strong>der</strong> Gedenkstätte wird <strong>der</strong> Bezug<br />
zum Befreiungskampf gegen Napoleon<br />
mehrfach deutlich. Die Halle ist ein<br />
rundliches Polygon mit einem dreistufigen<br />
Sockelbau. Über dem gewaltigen<br />
Hauptportal prangt die Widmungsinschrift<br />
in eisernen Großbuchstaben:<br />
»Den Teutschen Befreiungskämpfern /<br />
Ludwig I. / König von Bayern«.<br />
Die Außenfassade wird eingerahmt<br />
von 18 Stützpfeilern, die gleichzeitig<br />
als Podest für jeweils eine überlebensgroße<br />
Kalksteinfigur dienen – jede <strong>der</strong><br />
sogenannten Kolossalstatuen repräsentiert<br />
als Allegorie einen <strong>der</strong> am Befreiungskrieg<br />
beteiligten deutschen<br />
Stämme. Und selbst das kegelförmige<br />
Kupferdach wird eingerahmt von 18<br />
mit Helm, Harnisch und Armschild<br />
»bewaffneten« Steinbüsten, die an <strong>der</strong><br />
Übergangsstelle von Dach und Außenmauer<br />
an die Kolossalstatuen anknüpfen<br />
und die Fassade nach oben hin abschließen.<br />
Auch das imposante Gebäudeinnere<br />
<strong>der</strong> Halle führt dem Besucher vor Augen,<br />
dass die Erinnerung an den Befreiungskampf<br />
im Mittelpunkt <strong>der</strong> architektonischen<br />
Gestaltung steht. Das in<br />
mehreren Farben gehaltene Bodenmosaik<br />
aus Marmor umschließt im<br />
Zentrum die von Ludwig selbst entworfene<br />
Inschrift. Der Innenraum wird<br />
zudem umrahmt von einem kreisförmigen<br />
Sockel, auf dem 34 sich gegenseitig<br />
die Hände haltende Viktorien<br />
platziert sind. Diese aus weißem<br />
Schlan<strong>der</strong>s- und Carrara-Marmor gefertigten<br />
Siegesgöttinnen stehen dabei<br />
wie<strong>der</strong> allegorisch für die deutschen<br />
Staaten zur Zeit <strong>der</strong> Erbauung <strong>der</strong> Befreiungshalle.<br />
Auf den Bronzeschil<strong>der</strong>n<br />
dazwischen sind die Ortsnamen<br />
<strong>der</strong> siegreichen Schlachten <strong>der</strong> Verbündeten<br />
aus den Befreiungskriegen eingraviert<br />
– die meisten davon wurden<br />
im Herbst 1813 ausgetragen. Lässt man<br />
den Blick von den Viktorien über die<br />
Marmorstichbögen – natürlich wie<strong>der</strong>um<br />
18 – die Wand hinauf schweifen,<br />
so stößt man auf die Feldherrentafeln,<br />
die wie ein Schriftband rundum verlaufen.<br />
Darin geehrt werden die Namen<br />
<strong>der</strong> bedeutendsten alliierten Truppenkommandeure,<br />
die sich im Kampf<br />
gegen Napoleon Ruhm erwarben. Weiter<br />
oben, wo die Rundwand in die verzierte<br />
Gewölbekuppel übergeht, sind<br />
schließlich die vergoldeten Namen <strong>der</strong><br />
eroberten Festungen auf Stuckmarmor<br />
verewigt.<br />
Als die Befreiungshalle schließlich<br />
1863, genau 50 Jahre nach <strong>der</strong> Völkerschlacht,<br />
in einer feierlichen Festveranstaltung<br />
eingeweiht wurde, war<br />
Ludwig, <strong>der</strong> im Revolutionsjahr 1848<br />
zugunsten seines Sohnes Maximilian<br />
II. abgedankt hatte, bereits nicht mehr<br />
Staatsoberhaupt. Und auch <strong>der</strong> Architekt<br />
Friedrich von Gärtner hatte bereits<br />
schon vor Vollendung des Projekts das<br />
Zeitliche gesegnet, sodass sein Nachfolger<br />
(und Konkurrent) Leo von<br />
Klenze mit <strong>der</strong> Weiterführung und<br />
Vollendung beauftragt wurde. Nichtsdestoweniger,<br />
in einer Traditionslinie<br />
zusammen mit <strong>der</strong> Walhalla, dem<br />
«Geisteshimmel <strong>der</strong> Germanen» (Jörg<br />
Traeger) und <strong>der</strong> Bayerischen Ruhmeshalle<br />
in München stehend, zählt die<br />
Befreiungshalle Kelheim sicherlich zu<br />
den wichtigsten Bauvorhaben König<br />
Ludwigs. Fertiggestellt noch vor ihrem<br />
deutlich größeren Pendant, dem Leipziger<br />
Völkerschlachtdenkmal (Einweihung<br />
1913), in <strong>der</strong>en Schatten das bayerische<br />
Nationaldenkmal oftmals zu<br />
Unrecht steht, verkörpert sie ein im<br />
kollektiven, antinapoleonischen Kampf<br />
generiertes Nationalbewusstsein <strong>der</strong><br />
deutschen Völker und Stämme und ist<br />
somit gleichzeitig Appell und Mahnung<br />
an ein neues Gefühl <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Einheit und Eintracht.<br />
Tobias Graef<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />
31
Neue Publikation des ZMSBw<br />
Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Der<br />
deutsche Aufmarsch in ein kriegerisches<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t. Im Auftrag des ZMSBw hrsg.<br />
von Markus Pöhlmann, Harald Potempa<br />
und Thomas Vogel, München: Bucher<br />
Verlag 2014, 384 S., 45,00 Euro<br />
ISBN 978-3-7658-2033-5<br />
100 Jahre sind seit dem Beginn des<br />
Ersten Weltkriegs vergangen. Zeit für<br />
eine Analyse. Experten vom Zentrum für<br />
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr (ZMSBw) liefern eine<br />
fundierte und eingängige Darstellung <strong>der</strong><br />
deutschen Armee im Ersten Weltkrieg.<br />
Durch das Zusammenspiel von Texten,<br />
Karten, Grafiken und Abbildungen<br />
entsteht ein einzigartiger Überblick zur<br />
Urkatastrophe des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />
Abonnement<br />
Jahresabonnement: 14,00 Euro<br />
inkl. MwSt. und Versandkosten<br />
(innerhalb Deutschlands,<br />
Auslandsabonnementpreise auf<br />
Anfrage)<br />
Kündigungsfrist: 6 Wochen zum<br />
Ende des Bezugszeitraumes.<br />
• Reichhaltiges und seltenes Bildmaterial u.a. des<br />
Militärhistorischen Museums sowie des Bundesarchivs<br />
• Alle Karten wurden neu gezeichnet: plastische<br />
Darstellung <strong>der</strong> zentralen Schlachten und militärischen<br />
Operationen<br />
Kontakt zum Bezug <strong>der</strong> Zeitschrift:<br />
Zentrum für Militärgeschichte und<br />
Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
z.Hd. Frau Christine Mauersberger<br />
Postfach 60 11 22, 14471 Potsdam<br />
Tel.: 0331/9714 599, Fax: 0331/9714 509<br />
Mail: ChristineMauersberger@bundeswehr.org<br />
Die Betreuung des Abonnements erfolgt über die Firma<br />
SKN Druck und Verlag, Stellmacher Straße 14, 26506 Norden,<br />
die sich mit den Interessenten in Verbindung setzen wird.<br />
www.zmsbw.de<br />
www.mgfa.de