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Heft 3/2013<br />

<br />

<br />

<br />

C 21234 ISSN 0940 - 4163<br />

Militärgeschichte im Bild: Kaiser Wilhelm II. und Prinzregent Ludwig von Bayern vor <strong>der</strong> Befreiungshalle in Kelheim, August 1913.<br />

Völkerschlacht bei Leipzig<br />

Dreibund-Marinekonvention 1913<br />

1862: Indianeraufstand in Minnesota<br />

Soldatenbild im Film <strong>der</strong> 1950er Jahre


Impressum<br />

Editorial<br />

Militärgeschichte<br />

Zeitschrift für historische Bildung<br />

Herausgegeben<br />

vom Zentrum für Militärgeschichte und<br />

Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr<br />

durch Oberst Dr. Hans-Hubertus Mack und<br />

Oberstleutnant Dr. Sven Lange (V.i.S.d.P.)<br />

Produktionsredakteur <strong>der</strong> aktuellen<br />

Ausgabe:<br />

Oberstleutnant Dr. Harald Potempa<br />

Redaktion:<br />

Oberleutnant Ariane Aust M.A. (aau)<br />

Frie<strong>der</strong>ike Höhn B.A. (fh)<br />

Major Jochen Maurer M.A. (jm), korresp. Mitglied<br />

Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)<br />

Hauptmann Ines Schöbel M.A. (is)<br />

Mag. phil. Michael Thomae (mt)<br />

Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig<br />

Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić<br />

Layout/Grafik:<br />

Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang<br />

Anschrift <strong>der</strong> Redaktion:<br />

Redaktion »Militärgeschichte«<br />

Zentrum für Militärgeschichte und<br />

Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr<br />

Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam<br />

E-Mail: ZMSBwRedaktionMilGeschichte@<br />

bundeswehr.org<br />

Homepage: www.zmsbw.de<br />

Manuskripte für die Militärgeschichte werden<br />

an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch<br />

Annahme eines Manuskriptes erwirkt <strong>der</strong> Herausgeber<br />

auch das Recht zur Veröffentlichung,<br />

Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung erfolgt<br />

jeweils nach Veröffentlichung. Die Redaktion<br />

behält sich Än<strong>der</strong>ungen von Beiträgen vor.<br />

Die Wie<strong>der</strong>gabe in Druckwerken o<strong>der</strong> Neuen<br />

Medien, auch auszugsweise, an<strong>der</strong>weitige Vervielfältigung<br />

sowie Übersetzung sind nur nach<br />

vorheriger schriftlicher Zustimmung erlaubt. Die<br />

Redaktion übernimmt keine Verantwortung für<br />

die Inhalte von in dieser Zeitschrift genannten<br />

Webseiten und <strong>der</strong>en Unterseiten.<br />

Für das Jahresabonnement gilt aktuell ein Preis<br />

von 14,00 Euro inklusive Versandkosten (innerhalb<br />

Deutschlands). Die Hefte erscheinen in <strong>der</strong><br />

Regel jeweils zum Ende eines Quartals. Die Kündigungsfrist<br />

beträgt sechs Wochen zum Ende des<br />

Bezugszeitraumes. Ihre Bestellung richten Sie<br />

bitte an:<br />

SKN Druck und Verlag GmbH & Co.,<br />

Stellmacherstraße 14, 26506 Norden,<br />

E-Mail: info@skn.info<br />

© 2013 für alle Beiträge beim<br />

Zentrum für Militärgeschichte und<br />

Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr (ZMSBw)<br />

Druck:<br />

SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden<br />

ISSN 0940-4163<br />

Im Oktober vor 200 Jahren wurde bei<br />

Leipzig eine dreitägige äußerst blutige<br />

Schlacht geschlagen, die den Beinamen<br />

»Völkerschlacht« erhielt. Martin Hofbauer<br />

und Martin Rink erzählen sowohl<br />

von dem Waffengang, seinen Voraussetzungen,<br />

Ursachen als auch von den<br />

Folgen. Die Erinnerung an Leipzig 1813<br />

führte zu einer Fülle von Denkmalen,<br />

so etwa 1863, also 50 Jahre nach dem<br />

Geschehen, zur Einweihung <strong>der</strong> Befreiungshalle in Kehlheim (siehe Titelbild)<br />

sowie zur Errichtung des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig vor 100<br />

Jahren.<br />

Ebenfalls 1913 erfolgte <strong>der</strong> Abschluss <strong>der</strong> sogenannten Dreibund-Marinekonvention.<br />

Rüdiger Schiel und Lars Zacharias stellen die militärpolitischen<br />

Hintergrümde und die intensiven Überlegungen <strong>der</strong> beteiligten drei Mächte<br />

vor. Zwar ist die maritime Aufrüstung vor dem Ersten Weltkrieg in Bezug<br />

auf das deutsch-britische Flottenwettrüsten hinlänglich bekannt. Eher am<br />

Rande hingegen wird die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Flotten Deutschlands, Österreich-Ungarns<br />

und Italiens im Mittelmeer wahrgenommen. Dieser Seeweg<br />

war für die Entente äußerst wichtig: Der Weg über den Suezkanal und Gibraltar<br />

stellte die Lebensa<strong>der</strong> des britischen Empire dar, gleichzeitig verliefen im<br />

Mittelmeer die Verbindungswege zwischen <strong>der</strong> Republik Frankreich und<br />

ihren nordafrikanischen Kolonien. Daher kam es vor 100 Jahren zu intensiven<br />

Überlegungen <strong>der</strong> Mittelmächte, die zur Dreibund-Marinekonvention<br />

führten.<br />

Gut drei Jahrzehnte später waren beide Weltkriege für Deutschland verloren<br />

und die Filmindustrie des jungen Westdeutschlands begann sich dem<br />

Thema Krieg und Militär im Allgemeinen und den Soldaten im Beson<strong>der</strong>en<br />

zu widmen. Benjamin Pommer berichtet davon, welche Bil<strong>der</strong> von Krieg und<br />

Militär sowie <strong>der</strong> Soldaten die ersten Nachkriegsfilme gezeigt haben.<br />

Auch ein in Deutschland eher unbekanntes Massaker an den Siedlern von<br />

Neu-Ulm in Minnesota im Jahre 1862 schaffte es über 100 Jahre später in<br />

einen Film, nämlich in den zweiten Teil von »Winnetou«. Holger Bütow stellt<br />

in seinem Artikel die deutsche Besiedelung Minnesotas im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />

die Konflikte mit den Indianern und die Vergeltung <strong>der</strong> Weißen mitten im<br />

Bürgerkrieg vor. Neu-Ulm in Minnesota ist bis zum heutigen Tage für seine<br />

verkleinerte Kopie des Hermannsdenkmals bekannt, für die das Original in<br />

Detmold Pate stand. Jenes wurde 1875 zum Gedenken an die Schlacht im<br />

Teutoburger Wald 9 n.Chr. eingeweiht, darin wurden auch zeitgenössische<br />

Bezüge auf die Reichsgründung 1871 sowie auf die Befreiungskriege 1813 bis<br />

1815 aufgenommen.<br />

Ein Wort in eigener Sache: Die Redaktion heißt Frau Oberleutnant Ariane<br />

Aust M.A. herzlich in ihren Reihen willkommen.<br />

Ich wünsche Ihnen eine gewinnbringende Lektüre dieses Heftes.<br />

Dr. Harald Potempa<br />

Oberstleutnant


Die Völkerschlacht bei Leipzig.<br />

Verläufe, Folgen, Bedeutungen<br />

1813 – 1913 – 2013<br />

Oberstleutnant i.G. Dr. Martin Hofbauer,<br />

geb. 1969 in Passau, Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

in <strong>der</strong> Abteilung Einsatz des ZMSBw<br />

Oberstleutnant d.R. Dr. Martin Rink, geb. 1966<br />

in Kaufbeuren, Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

in <strong>der</strong> Abteilung Einsatz des ZMSBw<br />

4<br />

Inhalt<br />

Service<br />

Das historische Stichwort:<br />

Israels Vergeltungsschlag<br />

in Qibya 1953 22<br />

Neue Medien 24<br />

Lesetipp 26<br />

Die historische Quelle 28<br />

Geschichte kompakt 29<br />

Ausstellungen 30<br />

Die Dreibund-Marinekonvention<br />

von 1913 und die<br />

deutsche Marinestrategie<br />

Fregattenkapitän Dr. Rüdiger Schiel, geb. 1971<br />

in München, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in<br />

<strong>der</strong> Abteilung Einsatz des ZMSBw<br />

10<br />

Militärgeschichte<br />

im Bild<br />

150 Jahre Befreiungshalle<br />

Kelheim 31<br />

Major Lars Zacharias M.A., geb. in 1976<br />

in Karl-Marx-Stadt, S5 Stabsoffizier und Leiter<br />

Unterstützungszelle CIMIC, Panzergrenadierbrigade<br />

37, Frankenberg/Sa.<br />

Indianeraufstand in<br />

Minnesota 1862<br />

Holger Bütow M.A., geb. 1963 in Rehrhof<br />

(Kreis Lüneburg), freier Historiker<br />

14<br />

Kaiser Wilhelm II. und Prinzregent Ludwig<br />

von Bayern anlässlich <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>tfeier<br />

<strong>der</strong> Völkerschlacht bei Leipzig<br />

an <strong>der</strong> Befreiungshalle in Kelheim an <strong>der</strong><br />

Donau am 25. August 1913. Foto: bpk<br />

»So war <strong>der</strong> deutsche Landser?«<br />

Das Bild deutscher Soldaten<br />

in westdeutschen Kinofilmen <strong>der</strong><br />

1950er Jahre<br />

Hauptmann Benjamin Pommer M.A., geb.<br />

1982 in Bochum, Kompaniechef beim Führungsunterstützungsbataillon<br />

281 in Gerolstein<br />

18<br />

Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />

Antonia v. Randow B.A. (Potsdam);<br />

Tobias Graef, Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte<br />

(Regensburg);<br />

Major Dr. Klaus Storkmann, Arbeitsgruppe<br />

ZMSBw im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv<br />

(Freiburg i.Br.);<br />

Alexan<strong>der</strong> Querengässer M.A. (Berlin);<br />

Dipl. Pol. Markus Pede (Potsdam);<br />

Pedi D.Lehmann.


Völkerschlacht bei Leipzig<br />

Verläufe, Folgen, Bedeutungen 1813 – 1913 – 2013<br />

Die Völkerschlacht bei Leipzig<br />

akg-images<br />

5Kampf vor dem Grimmaischen Tor in Leipzig, 19. Oktober 1813. Das 1. ostpreußische Landwehrbataillon unter Major Karl<br />

Friedrich Friccus erstürmt die französische Stellung. Gemäle von Ernst Wilhelm Straßberger, 1820.<br />

An drei Tagen im Oktober 1813<br />

kämpften bei Leipzig rund eine<br />

halbe Million Soldaten aus<br />

buchstäblich ganz Europa. Es war die<br />

bis dahin größte Schlacht <strong>der</strong> Weltgeschichte.<br />

Eine <strong>der</strong>artige Zusammenfassung<br />

von Soldaten hatte es zuvor nicht<br />

gegeben. Unter dem Aspekt <strong>der</strong> Mobilisierung<br />

von personellen, materiellen,<br />

politischen und »moralischen« Ressourcen<br />

stellt die Völkerschlacht einen<br />

Höhepunkt militärischer Leistungsfähigkeit<br />

dar. Einen entsprechenden Tiefpunkt<br />

hingegen boten die menschlichen<br />

Verluste: Rund 100 000 Soldaten<br />

starben auf dem Schlachtfeld vor Leipzig,<br />

waren versprengt o<strong>der</strong> verwundet;<br />

und von den Verwundeten starben erschreckend<br />

viele infolge <strong>der</strong> grassierenden<br />

Infektionskrankheiten und <strong>der</strong><br />

medizinischen Mangelversorgung.<br />

«Leipzig 1813« wurde rasch zu einem<br />

deutschen Erinnerungsort. Neben dem<br />

Schlachtgeschehen selbst erlangten die<br />

kollektiven Deutungsmuster schnell<br />

eine eigene Bedeutung. An die militärischen<br />

Ereignisse knüpften sich Erfahrungen,<br />

Erinnerungen, politische und<br />

gesellschaftliche Deutungsansprüche.<br />

Zudem handelt es sich hier um eine europäische<br />

Geschichte. Warum sonst<br />

wäre das Ereignis eine »Völker-Schlacht«<br />

genannt worden?<br />

Aus <strong>der</strong> später verallgemeinerten<br />

preußisch-deutschen Perspektive entschied<br />

die Völkerschlacht bei Leipzig<br />

die »Befreiungskriege« o<strong>der</strong> »Freiheitskriege«.<br />

Meistens tritt dabei in den<br />

Hintergrund, dass diese Kriege nur<br />

einen Teilaspekt des europaweiten,<br />

stellenweise sogar globalen Konflikts<br />

bildeten, <strong>der</strong> als »Sechster Koalitionskrieg«<br />

von Juni 1812 bis April 1814 von<br />

<strong>der</strong> spanisch-portugiesischen Grenze<br />

bis nach Moskau reichte und <strong>der</strong> in Paris<br />

endete. Im Frühjahr und im Herbst<br />

1813 befand sich das Zentrum dieser<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen in <strong>der</strong> Mitte<br />

Deutschlands. Dass in <strong>der</strong> deutschsprachigen<br />

Literatur weniger vom<br />

»Sechsten Koalitionskrieg«, son<strong>der</strong>n<br />

von den »Befreiungskriegen« o<strong>der</strong><br />

»Freiheitskriegen« die Rede ist, zeigt,<br />

wie die Erzählstränge von Publizistik<br />

und Geschichtswissenschaft lange nationalen<br />

Bahnen folgten und oft nach<br />

wie vor folgen: Immerhin hatte <strong>der</strong><br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


Russlandfeldzug Napoleons mit Preußen<br />

und Österreich als Koalitionspartner<br />

begonnen.<br />

Das Ausmaß <strong>der</strong> Leipziger Schlacht<br />

sprengte bisher bekannte taktisch-operative<br />

Dimensionen. Das Kräftegewicht<br />

war am ersten Tag <strong>der</strong> Schlacht in etwa<br />

ausgewogen. Rund 190 000 Soldaten<br />

<strong>der</strong> Truppen Napoleons standen gegen<br />

205 000 Koalitionssoldaten. Wie bei an<strong>der</strong>en<br />

Schlachten dieser Zeit war die<br />

fortwährende Verstärkung durch neue<br />

Kräfte ein wesentliches Kennzeichen:<br />

Am Ende des dritten Schlachttages gaben<br />

die »schwedische« Nordarmee sowie<br />

die russische Reservearmee den<br />

zahlenmäßigen Ausschlag für den Sieg<br />

<strong>der</strong> Verbündeten. Die Vielfalt <strong>der</strong> an<br />

<strong>der</strong> Schlacht beteiligten Akteure weist<br />

auf die Vielzahl <strong>der</strong> miteinan<strong>der</strong> abzustimmenden<br />

Interessen. Das galt sogar<br />

für die weitgehend nach einheitlichem<br />

System organisierten napoleonischen<br />

Armeen, umso mehr aber für die verbündeten<br />

Truppen <strong>der</strong> Alliierten. Die<br />

antinapoleonische Koalition vereinte<br />

höchst unterschiedliche Mitspieler; das<br />

aber war <strong>der</strong> Preis für ihr Zustandekommen.<br />

Kampf um die europäische<br />

Ordnung<br />

In <strong>der</strong> Völkerschlacht bei Leipzig<br />

verdichtete sich <strong>der</strong> Kampf um die europäische<br />

Ordnung. Der seit 1799 von<br />

Napoleon Bonaparte geformte Verwaltungs-<br />

und Wirtschaftsraum umfasste<br />

zuletzt fast ganz Kontinentaleuropa.<br />

Als selbstinszenierter Retter stabilisierte<br />

Bonaparte im Zweiten Koalitionskrieg<br />

bis 1801 ein Herrschafts- und Einflussgebiet<br />

über (Nord-)Italien, die Nie<strong>der</strong>lande<br />

(heutige Benelux-Staaten) sowie<br />

West- und Süddeutschland. Er krönte<br />

sich am 2. Dezember 1804 zu Napoleon<br />

I., dem Kaiser <strong>der</strong> Franzosen, festigte<br />

sein Reich im Dritten Koalitionskrieg<br />

genau ein Jahr später bei Austerlitz gegen<br />

die russische und die österreichische<br />

Armee und setzte sich gegen<br />

Preußen und dann Russland im Vierten<br />

Koalitionskrieg von 1806/07 durch. Die<br />

Ergebnisse waren ein imperiales<br />

Gebilde mit den Rheinbundstaaten als<br />

militärischem Puffer, die Halbierung<br />

Preußens und die Schwächung Österreichs,<br />

das 1809 im Fünften Koalitionskrieg<br />

vergeblich und ein letztes Mal auf<br />

die deutsche, »nationale« Karte setzte.<br />

5Karikatur auf Napoleons Nie<strong>der</strong>lage bei Leipzig und die Zehntausende von Toten.<br />

Radierung, um 1913.<br />

Die von Napoleon 1806 in Berlin<br />

verfügte Kontinentalsperre, die Wirtschaftsblockade<br />

gegen britische Waren,<br />

veranlasste im Jahr 1807 die napoleonische<br />

Besetzung Portugals und Spaniens.<br />

Hieraus entwickelte sich ein Jahr<br />

später <strong>der</strong> Spanische Krieg, <strong>der</strong> zugleich<br />

ein Staaten-, Bürger- und Guerillakrieg<br />

war. Die Kontinentalsperre bewog<br />

Napoleon zwischen 1810 und 1812<br />

zur direkten Einverleibung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande<br />

sowie West- und Norddeutschlands.<br />

1813 reichte das französische<br />

Staatsgebiet von Rom über Dalmatien<br />

bis Lübeck, von Katalonien bis zur Exklave<br />

<strong>der</strong> Festung Erfurt. Die Kontinentalsperre<br />

bzw. <strong>der</strong>en Nichteinhaltung<br />

durch das Zarenreich war letztlich Anlass<br />

für den Russlandfeldzug, <strong>der</strong> im<br />

Juni 1812 begann und bis November<br />

des Jahres die Grande Armée und mit<br />

ihr eine halbe Million Soldaten so gut<br />

wie vernichtete.<br />

Der Frühjahrsfeldzug<br />

Am 30. Dezember 1812 leitete die Konvention<br />

von Tauroggen die Wende<br />

Preußens vom lauen Verbündeten Napoleons<br />

zur vorübergehend neutralisierten<br />

Macht ein. Zwei Monate später<br />

trat <strong>der</strong> noch zögernde preußische König<br />

Friedrich Wilhelm III. an die Seite<br />

Russlands – als Juniorpartner. Während<br />

dieser in Breslau am 16. März<br />

1813 Frankreich den Krieg erklärte und<br />

am Folgetag seinen berühmten Aufruf<br />

»An Mein Volk« erließ, erreichten<br />

Streifkorps russischer Kosaken und<br />

deutscher Exilverbände zwei Tage später<br />

Hamburg. Mit Eintreffen <strong>der</strong> von<br />

Napoleon eilig zusammengerafften<br />

neuen Grande Armée – einschließlich<br />

<strong>der</strong> deutschen Rheinbundtruppen sowie<br />

italienischer und polnischer Verbände<br />

– erfolgten die großen Gefechte<br />

um Sachsen im Mai. Am 2. Mai 1813<br />

wurde die Schlacht von Groß-Görschen<br />

geschlagen. Obwohl die Verbündeten<br />

mit unterlegenen Kräften den<br />

französischen und Rheinbundtruppen<br />

größere Verluste zufügten, als sie selbst<br />

erlitten, wich das preußisch-russische<br />

Heer geordnet in die Lausitz aus. Dies<br />

bedeutete für Napoleon einen Sieg. Die<br />

Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Verbündeten in <strong>der</strong><br />

Schlacht bei Bautzen am 21. und 22.<br />

Mai 1813 brachte schließlich die Entscheidung<br />

des Frühjahrsfeldzuges. Die<br />

Alliierten zogen sich nach Schlesien zurück.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> für beide Parteien<br />

erschöpfenden Kämpfe begann am<br />

4. Juni ein Waffenstillstand, <strong>der</strong> nach<br />

Verlängerung am 16. August endete.<br />

Der Herbstfeldzug<br />

Nach Ablauf des Waffenstillstandes<br />

am 17. August 1813 trat Österreich auf<br />

die Seite <strong>der</strong> Verbündeten. Die 256 000<br />

Soldaten <strong>der</strong> österreichisch-russischpreußischen<br />

Hauptarmee (o<strong>der</strong> Böhmischen<br />

Armee) befanden sich unter<br />

dem österreichischen General Karl Philipp<br />

Fürst zu Schwarzenberg im Süden.<br />

Im Osten standen die 104 000 Sol­<br />

bpk / Kunstbibliothek, SMB / Knud Petersen<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


Völkerschlacht bei Leipzig<br />

daten <strong>der</strong> russisch-preußischen Schlesischen<br />

Armee unter dem Befehl des<br />

preußischen Generals Gerhard Leberecht<br />

von Blücher. Die Nordarmee mit<br />

ihren 127 000 Mann befand sich in<br />

Brandenburg und Mecklenburg. Neben<br />

russischen und schwedischen<br />

Truppen bestand sie zu über 50 Prozent<br />

aus Preußen. Ihr Befehlshaber<br />

Jean-Baptiste Bernadotte war ein<br />

früherer Revolutionsgeneral und Konkurrent,<br />

dann Marschall Napoleons,<br />

<strong>der</strong> nun als schwedischer Kronprinz<br />

im Lager <strong>der</strong> Gegner stand. Napoleon<br />

verfügte insgesamt über 313 000 Soldaten<br />

in <strong>der</strong> Mitte Deutschlands. Der<br />

Operationsplan <strong>der</strong> Koalition sah vor,<br />

den Hauptkräften Napoleons zunächst<br />

auszuweichen und seine einzelnen Armeekorps<br />

mit überlegenen Truppen zu<br />

schlagen, um dann einen gemeinsamen<br />

Hauptstoß gegen seinen Schwerpunkt<br />

zu führen. Trotz mancher Koordinationsschwierigkeiten<br />

gelang <strong>der</strong> Koalition<br />

genau dies bei Leipzig.<br />

Am 26. August warf die Schlesische<br />

Armee in <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Katzbach<br />

die Truppen des Marschalls Jacques<br />

Macdonald in Nie<strong>der</strong>schlesien zurück.<br />

Zur selben Zeit errang Napoleons<br />

Hauptarmee bei Dresden über die<br />

überlegene, aber zögerlich eingesetzte<br />

Böhmische Armee <strong>der</strong> Koalition einen<br />

deutlichen Sieg. Ein nachhaltiger französischer<br />

Sieg wurde allerdings durch<br />

Erfolge <strong>der</strong> Alliierten vereitelt. Hierzu<br />

zählte vor allem die Vernichtung des<br />

französischen Korps Vandammes<br />

durch russische und preußische Truppen<br />

bei den nordböhmischen Orten<br />

Kulm und Nollendorf. Im Norden<br />

stoppten Truppen <strong>der</strong> Nordarmee den<br />

Vormarsch französischer Truppen auf<br />

Berlin. Deren preußische Kräfte ließen<br />

sich – mehr eigenmächtig als auf Befehl<br />

ihres Oberbefehlshabers – bei<br />

Großbeeren am 23. August südlich und<br />

bei Hagelberg am 26. August westlich<br />

vor Berlin auf äußerst erfolgreiche Gefechte<br />

ein. Mit <strong>der</strong> Schlacht von Dennewitz<br />

am 6. September 1813 brachten<br />

die preußischen Truppen den französisch-rheinbündischen<br />

Kräften des<br />

Marschalls Michel Ney eine so gravierende<br />

Nie<strong>der</strong>lage bei, dass diesem jedes<br />

weitere Vordringen gegen Berlin<br />

verwehrt blieb. Nach einem Monat des<br />

Abwartens erzwang <strong>der</strong> preußische<br />

General Ludwig Yorck am 3. Oktober<br />

im Gefecht bei Wartenburg den Elbübergang<br />

<strong>der</strong> Schlesischen Armee<br />

unter Blücher. Dies veranlasste die<br />

Nordarmee zum Folgen. Die dadurch<br />

erreichte großräumige Einkreisung <strong>der</strong><br />

Truppen Napoleons durch alle drei alliierten<br />

Armeen entwickelte sich zur<br />

Völkerschlacht.<br />

Die Völkerschlacht<br />

Die eigentliche Schlacht von Leipzig<br />

vom 16. bis 19. Oktober glie<strong>der</strong>te sich<br />

in verschiedene Teilschlachten; vorbereitet<br />

wurde sie durch ein großes Reitergefecht<br />

bei Liebertwolkwitz am<br />

14. Oktober südlich <strong>der</strong> Stadt, das die<br />

größten Kavallerieattacken <strong>der</strong> napoleonischen<br />

Zeit überhaupt beinhaltete.<br />

Die bei<strong>der</strong>seitigen Truppenverstärkungen<br />

südlich von Leipzig leiteten<br />

zwei Tage später die eigentliche<br />

Schlacht ein. Auf dem südlichen<br />

Hauptschauplatz zwischen den Dörfern<br />

Markkleeberg, Wachau und Liebertwolkwitz<br />

befanden sich am Ende<br />

des Tages, trotz großer Verluste, beide<br />

Parteien wie<strong>der</strong> in ihren Ausgangspositionen.<br />

Zugleich war <strong>der</strong> Versuch<br />

eines österreichischen Armeekorps<br />

misslungen, im Westen über die Gewässerläufe<br />

<strong>der</strong> Pleiße durch dichte<br />

Auenwäl<strong>der</strong> in die tiefe rechte Flanke<br />

<strong>der</strong> napoleonischen Truppen zu stoßen.<br />

Während <strong>der</strong> Schwerpunkt <strong>der</strong><br />

Schlacht im Süden lag, führte das Eintreffen<br />

<strong>der</strong> Schlesischen Armee Blüchers<br />

nördlich von Leipzig zu einer<br />

weiteren Teilschlacht bei Möckern.<br />

Diese Kämpfe banden die Kräfte, die<br />

Napoleon für seinen geplanten Entscheidungsstoß<br />

im Süden fehlten. Am<br />

17. Oktober fanden nur kleinere Geplänkel<br />

mit geringer Intensität statt.<br />

Der 18. Oktober brachte die Entscheidung.<br />

Die napoleonischen Truppen<br />

wurden nun in einem Ring um Leipzig<br />

zurückgenommen. Während <strong>der</strong><br />

Schwerpunkt <strong>der</strong> Kämpfe zunächst<br />

weiterhin im Süden lag, wurde die<br />

Schlacht durch das Eintreffen <strong>der</strong> russischen<br />

Reservearmee von Osten sowie<br />

<strong>der</strong> Nordarmee Bernadottes im Nordosten<br />

entschieden. Am selben Abend<br />

ordnete Napoleon das Ausweichen seiner<br />

Truppen aus <strong>der</strong> Stadt an. Am<br />

19. Oktober gelang es weniger als <strong>der</strong><br />

Hälfte seiner Truppen, die Stadt nach<br />

Westen zu verlassen; nachdem die einzige<br />

Brücke über die Elster zu früh gesprengt<br />

worden war, blieben etwa 30 000<br />

seiner Soldaten in <strong>der</strong> Stadt abgeschnitten.<br />

Die Kämpfe, die an diesem Tag<br />

auch Leipzig selbst erreicht hatten,<br />

endeten am frühen Nachmittag. Auf<br />

dem Alten Markt erfolgte eine Siegesparade<br />

vor den drei bei <strong>der</strong> Schlacht anwesenden<br />

Monarchen – dem russischen<br />

Zaren, dem österreichischen Kaiser<br />

Franz I. (gleichzeitig Napoleons Schwiegervater)<br />

sowie dem preußischen König<br />

Friedrich Wilhelm III.<br />

Während zuletzt einige sächsische<br />

Truppen auf dem Schlachtfeld die Seiten<br />

gewechselt hatten, geriet ihr Napoleon<br />

treuer König Friedrich August I.<br />

in preußische Kriegsgefangenschaft.<br />

Für die Masse <strong>der</strong> Rheinbundfürsten<br />

war Leipzig das Signal, sich vom napoleonischen<br />

Frankreich abzuwenden –<br />

gegen Zusage <strong>der</strong> territorialen Unversehrtheit<br />

ihrer Län<strong>der</strong>. Indem sie sich<br />

<strong>der</strong> Koalition anschlossen, vollzogen<br />

sie letztlich nur das nach, was Preußen<br />

zu Jahresbeginn und Österreich im<br />

Sommer des Jahres 1813 vorgemacht<br />

hatten.<br />

Folgen und Bedeutungen<br />

Die Völkerschlacht bietet vor dem Hintergrund<br />

ihrer Auswirkungen und <strong>der</strong><br />

Vielzahl <strong>der</strong> beteiligten Akteure die<br />

Möglichkeit, sich nicht nur auf die Ereignisse<br />

selbst im Oktober 1813 zu konzentrieren,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem die Folgen<br />

und Bedeutungen in den Vor<strong>der</strong>grund<br />

zu stellen; in militärischer wie<br />

auch in politischer und kultureller Hinsicht.<br />

Dies gilt ganz beson<strong>der</strong>s für<br />

»Deutschland« und »die Deutschen«.<br />

Die Deutungsmuster waren dabei sehr<br />

unterschiedlich. Die bald nach <strong>der</strong> Völkerschlacht<br />

einsetzenden Erzählungen<br />

vom »Befreiungskrieg« betonten die<br />

Rolle des preußischen Königs. Hier ging<br />

es unter verschiedenen Vorzeichen um<br />

die Befreiung von <strong>der</strong> napoleonischen<br />

Fremdherrschaft. Eine an<strong>der</strong>s gelagerte<br />

Sichtweise betonte den Kampf um die<br />

politische Freiheit im Land und sprach<br />

daher vom »Freiheitskrieg«. Dieser Begriff<br />

rückte die Rolle des – in <strong>der</strong> Tat nur<br />

sehr zögerlichen – Preußenkönigs in<br />

den Hintergrund. Im Zeitalter <strong>der</strong><br />

Monarchie war das politisch wenig korrekt,<br />

bot aber Anknüpfungspunkte für<br />

eine spätere liberale o<strong>der</strong> demokratische<br />

Deutungsweise.<br />

In globaler Perspektive fügt sich<br />

»Leipzig 1813« in den großen Konflikt<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


zwischen Frankreich und Großbritannien<br />

ein, <strong>der</strong> zwischen dem Siebenjährigen<br />

Krieg (1755/56-1763) und den<br />

Napoleonischen Kriegen (1792-1815)<br />

ausgefochten wurde. Es war genau die<br />

Phase, in <strong>der</strong> sich die taktisch-operative<br />

Überlegenheit europäischer Armeen gegenüber<br />

nichteuropäischen Armeen<br />

klar herausbildete. Denn die europäische<br />

Konkurrenz erzeugte umfassende<br />

Innovationen bei <strong>der</strong> Kriegführung und<br />

<strong>der</strong> Mobilisierung von Armeen.<br />

Der britisch-französische Gegensatz<br />

führte zur Kontinentalsperre. Diese<br />

wie<strong>der</strong>um war <strong>der</strong> wirtschaftliche Ausfluss<br />

einer kontinentaleuropäischen,<br />

politisch-gesellschaftlichen «imperialen«<br />

Herrschaftsordnung. Mit <strong>der</strong><br />

Einverleibung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande ins<br />

französische Staatsgebiet wurden auch<br />

die holländische Siedlungskolonie<br />

Kapstadt und Handelsstützpunkte in<br />

Ostindien (Indonesien) in den französisch-britischen<br />

Gegensatz hineingezogen<br />

– zugunsten <strong>der</strong> britischen Marine.<br />

Die Kontinentalsperre verwandelte<br />

nicht nur Spanien und Portugal von<br />

Verbündeten Frankreichs zu dessen<br />

Kriegsgegnern, son<strong>der</strong>n koppelte ab<br />

1808 die iberischen Kolonien Lateinamerikas<br />

von ihren europäischen »Mutterlän<strong>der</strong>n«<br />

ab; die spanische Flotte<br />

war 1805 an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> französischen<br />

bei Trafalgar versenkt worden. Während<br />

Frankreich in <strong>der</strong> Karibik und in<br />

Nordamerika als antibritisches Gegengewicht<br />

ausgefallen war, wurden die<br />

jungen Vereinigten Staaten von<br />

Amerika in das internationale Konfliktgeschehen<br />

hineingezogen. Mit den<br />

Napoleonischen Kriegen mittelbar in<br />

Zusammenhang stehen auch <strong>der</strong> Britisch-Amerikanische<br />

Krieg von 1812<br />

und die letzte Phase im »Sechzigjährigen<br />

Krieg« <strong>der</strong> Vereinigten Staaten<br />

gegen die indianischen Völker an den<br />

Großen Seen Nordamerikas. Dasselbe<br />

gilt für die Kriege <strong>der</strong> britischen Ostindienkompanie<br />

gegen die indischen<br />

Marathen-Staaten und das Reich Mysore,<br />

wo Frankreich ebenfalls als Gegenspieler<br />

ausfiel, aber dennoch als<br />

Sündenbock zur Rechtfertigung britischer<br />

Interventionen taugte.<br />

Diese globalen Bezüge erklären die<br />

Rolle Großbritanniens, das bei Leipzig<br />

selbst kaum, in <strong>der</strong> folgenden Europapolitik<br />

jedoch sehr präsent war. Neben<br />

<strong>der</strong> Lieferung von 100 000 Gewehren<br />

an die russische Armee und <strong>der</strong> Zahlung<br />

beträchtlicher Subsidien an die<br />

Koalition fokussierte sich <strong>der</strong> britische<br />

Kriegseinsatz auf die Iberische Halbinsel,<br />

wo Hun<strong>der</strong>ttausende von Soldaten<br />

aus dem napoleonischen Machtbereich<br />

gebunden waren. Ähnliches gilt für die<br />

Rolle Schwedens, das mit Unterstützung<br />

Russlands Kompensation für das<br />

an das Zarenreich abgetretene Finnland<br />

in Norwegen suchte. Dieses wie<strong>der</strong>um<br />

gehörte zum Herrschaftsbereich Dänemarks,<br />

das zudem über das Herzogtum<br />

Holstein gebot und mit Frankreich verbündet<br />

war. Auch weil er diesen Nebenkriegsschauplatz<br />

im Auge behielt, erreichte<br />

Bernadottes Nordarmee erst am<br />

dritten Tag das Leipziger Schlachtfeld.<br />

Die napoleonische Epoche wird auch<br />

als »Sattelzeit« o<strong>der</strong> «Achsenzeit« bezeichnet,<br />

die bis heute die Geschichtsbücher<br />

strukturiert. »Leipzig 1813«<br />

steht inmitten dieses Epochenbruchs.<br />

Diese Epochenverortung ist aber zu<br />

hinterfragen; denn die Richtung des<br />

damals so gedachten und empfundenen<br />

Fortschritts ist 200 Jahre nach<br />

dem Ereignis nicht mehr klar. Die seit<br />

<strong>der</strong> Epoche Napoleons vollendeten<br />

Schritte einer militärischen »Professionalisierung«<br />

überkreuzten sich für die<br />

kommenden rund 150 Jahre mit dem<br />

Konzept vom »Volksheer«. Auch hier<br />

wandeln sich nun die Perspektiven.<br />

Das faktische Ende <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Wehrpflicht in Deutschland wie in weiten<br />

Teilen Europas um das Jahr 2000<br />

legt eine Neubewertung <strong>der</strong> Wehrform<br />

nahe, <strong>der</strong>en Vorzüge über zwei Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

hinweg von breiten gesell­<br />

ullstein bild - ddp<br />

5Historische Nachstellung <strong>der</strong> Völkerschlacht bei Leipzig in Liebertwolkwitz, 2001. Die Darsteller verkörpern Grenadiere <strong>der</strong> französischen<br />

Leibgarde Napoleons.<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


Völkerschlacht bei Leipzig<br />

schaftlich relevanten Gruppen hervorgehoben<br />

worden sind. Die Abkehr<br />

hiervon ist selbst wie<strong>der</strong>um Folge des<br />

Epochenumbruchs um 1990. Insofern<br />

bietet die Perspektive von »1813« über<br />

»1913« zum eigenen Standpunkt<br />

»2013« eine Vergleichsfolie, die sich<br />

weit über die militärische Geschichte<br />

hinaus erstreckt.<br />

Dieser Abriss weist auf die erfor<strong>der</strong>liche<br />

»Betrachtung <strong>der</strong> Betrachter«.<br />

Und »Leizpig 1813« liefert reichlich<br />

Anschauungsmaterial für diverse<br />

Betrachtungsstandpunkte in ihren jeweiligen<br />

Zeiten. Die Ereignisse vom<br />

Oktober 1813 selbst wurden im Lauf<br />

von 200 Jahren durch Literaten, Erinnerungspolitiker<br />

und Historiker mehrfach<br />

überformt. Die »Verläufe« sind<br />

von den »Erfahrungen«, von den »Folgen«<br />

und »Bedeutungen« kaum zu<br />

trennen. Sowohl die diversen »nationalen«<br />

Konnotationen als auch die unterschiedlichen<br />

zeitlichen Ebenen in<br />

<strong>der</strong> 200-jährigen Bewertung zwischen<br />

1813 und 2013 machen die Leipziger<br />

Völkerschlacht zum »Erinnerungsort«,<br />

und zwar in regionaler, in nationaler<br />

wie in europäischer Hinsicht.<br />

sollten die »Kriegsleute und alle waffenfähige[n]<br />

Männer […] im feierlichem<br />

Aufzuge« erscheinen, die Veteranen<br />

von 1813/14 geehrt sowie Ehrengastmahle<br />

für die »verwundeten und<br />

verkrüppelten Krieger dieser Jahre«<br />

gegeben werden. Außerhalb <strong>der</strong> Stadt,<br />

»wo so viel Blut floß«, for<strong>der</strong>te Arndt<br />

die Errichtung eines monumentalen<br />

Denkmals von ca. 60 Meter Höhe, »wobei<br />

die Kunst keine Aeffereien anbringen«<br />

solle. Arndt schlug ein »kolossales<br />

aus Eisen gegossenes« Kreuz mit<br />

großer vergoldeter Kugel vor. Um<br />

dieses Denkmal herum sollten 15 Morgen<br />

»für ein geheiligtes Land erklärt«<br />

und mit Eichen bepflanzt werden. Mit<br />

seiner For<strong>der</strong>ung nach einem Denkmal<br />

propagierte Arndt eine Idee, die tatsächlich<br />

in ähnlicher Weise realisiert<br />

wurde, allerdings erst 100 Jahre nach<br />

<strong>der</strong> Völkerschlacht – und 30 Meter höher.<br />

Arndts Denkmalidee verfolgte<br />

letztlich das Ziel, die noch »heißen« Ereignisse<br />

von Krieg und Schlacht in die<br />

»kalte« Form alltäglicher Erinnerung zu<br />

überführen. Als gemeinsamer Platz sollte<br />

das Denkmal den Ort für Gedenkveranstaltungen<br />

bieten und so für die Selbstvergewisserung<br />

einer »nationalen« Gemeinschaft<br />

dienen – mit religiösen Formen.<br />

Die Ausformung des Nationalgefühls<br />

zu einer Art Ersatzreligion kennzeichnet<br />

den Gesamttrend im 19. Jahr­<br />

ullstein bild - Conrad Huenich<br />

Leipzig und sein Denkmal<br />

Ein Jahr nach <strong>der</strong> Schlacht, im Jahr<br />

1814, veröffentlichte Ernst Moritz<br />

Arndt »Ein Wort über die Feier <strong>der</strong><br />

Leipziger Schlacht«. Nicht nur von seiner<br />

Diktion her war die Schrift im Stil<br />

einer Predigt gehalten. Auch inhaltlich<br />

verband Arndt die Völkerschlacht als<br />

Werk Gottes im Sinne von Sühne und<br />

Erlösung: »Da griff Gott <strong>der</strong> Herr, <strong>der</strong><br />

wegen unserer Sünden lange geschwiegen<br />

hatte, mit seinem allmächtigen<br />

Arm darein, er erweckte den Geist <strong>der</strong><br />

Völker und Herrscher, beseelte die<br />

Heere mit seiner Zuversicht, und zerschmetterte<br />

den wilden Tyrannen und<br />

seine gräulichen Räuberhorden.« Mit<br />

dem Ende <strong>der</strong> napoleonischen »Fremdherrschaft«<br />

sah Arndt »in Europa die<br />

Weltordnung <strong>der</strong> Gerechtigkeit« wie<strong>der</strong>hergestellt<br />

– auf »dass wir wie<strong>der</strong><br />

ein ganzes Volk werden können«. Als<br />

»ein starkes und mächtiges Bindungsmittel<br />

aller Teutschen in ächter und<br />

alter teutscher Brü<strong>der</strong>lichkeit und Redlichkeit«<br />

for<strong>der</strong>te Arndt die Einrichtung<br />

eines deutschen Nationalfeiertages für<br />

den Abend des 18. und den ganzen<br />

19. Oktober. Im Rahmen dieser Feier<br />

5Einweihungsfeier des Völkerschlachtdenkmals am 18. Oktober 1913.<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


5»Leipzig 1813 – In den Wirren <strong>der</strong> Völkerschlacht«: Das 360-Grad-Panorama des<br />

Künstlers Yadegar Asisi zeigt seit August 2013 die Folgen <strong>der</strong> Völkerschlacht für die<br />

Stadt Leipzig des Jahres 1813. Das 3500 qm große Rundbild vermittelt den Eindruck,<br />

als würde man dem Geschehen tatsächlich beiwohnen.<br />

hun<strong>der</strong>t. Daher gilt dieses gemeinhin<br />

als Zeitalter <strong>der</strong> Nationalbewegungen<br />

und <strong>der</strong> Nationalstaaten. Erst die Eliten<br />

aus <strong>der</strong> Schicht des aufstrebenden<br />

Bürgertums, dann breitere Bevölkerungsschichten<br />

maßen dem »Volk« als<br />

Kern des Nationalen eine beson<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung zu. Dabei lässt das Wort<br />

»Volk« unterschiedliche, historisch bedingte<br />

Auslegungen zu. In <strong>der</strong> frühen<br />

Neuzeit bezogen sich »Vol(c)k« o<strong>der</strong><br />

auch »Heervolk« und »Kriegsvolk« auf<br />

die ins Feld ziehende bewaffnete<br />

Macht. Zusammen mit den mitziehenden<br />

Händlern, Fuhrknechten, aber<br />

auch Frauen und Kin<strong>der</strong>n bildete es<br />

einen komplexen und mobilen Sozialkörper.<br />

Dies än<strong>der</strong>te sich seit <strong>der</strong> Französischen<br />

Revolution von 1789 mit<br />

dem dort propagierten und dann unter<br />

Napoleon Bonaparte perfektionierten<br />

Massenheer. Nun trat, zumindest theoretisch,<br />

das gesamte Volk unter die<br />

Waffen. Damit einher ging die Verknüpfung<br />

von »Massenheer« und<br />

Nation, die Heere wurden sozusagen<br />

»nationalisiert«. Von nun an wurden<br />

die Streitkräfte als wesentlicher Ausdruck<br />

einer Nation wahrgenommen<br />

und mit <strong>der</strong> Wehrpflicht eine »demokratische«<br />

Idee verbunden. Oft wich<br />

die alltägliche Realität von den hehren<br />

Zielen <strong>der</strong> patriotischen Aufrufe ab.<br />

Faktisch führte die Wehrpflicht zu teils<br />

gewaltsamen Wi<strong>der</strong>ständen, zu Fluchto<strong>der</strong><br />

Ausweichbewegungen, selbst zu<br />

taktisch motivierten Eheschließungen<br />

junger Männer mit deutlich älteren<br />

Frauen (denn Verheiratete blieben ausgenommen).<br />

Historikerinnen und Historiker<br />

untersuchen daher heute nicht<br />

nur den Ablauf konkreter historischer<br />

Ereignisse, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong>en Folgen<br />

und Bedeutungen. Dabei unterliegt die<br />

jeweilige Bewertung oftmals einem<br />

zeitbedingten Wandel; etablierte, vielen<br />

lieb gewonnene Auffassungen<br />

werden so fortwährend in ein neues<br />

Licht gestellt. Dies trifft auch auf die<br />

»Befreiungs-« o<strong>der</strong> »Freiheitskriege«<br />

im Allgemeinen wie auf die Völkerschlacht<br />

im Beson<strong>der</strong>en zu.<br />

Die Wirkung <strong>der</strong> napoleonischen<br />

Zeit auf die Deutschen war vielfältig<br />

und mehrdeutig: Im Rheinland, das<br />

ohnehin seit 1800 staatsrechtlich zu<br />

Frankreich gehörte, war die französische<br />

Herrschaft vielfach anerkannt.<br />

Im militärisch und moralisch nie<strong>der</strong>geworfenen<br />

Preußen hingegen, das zudem<br />

enorme materielle Besatzungslasten<br />

zu tragen hatte, entstand ein<br />

Nährboden für einen Franzosenhass,<br />

den die preußisch-patriotische Propaganda<br />

von 1813 gezielt aufgriff. Abgesehen<br />

vom Dauereinsatz ihrer Armeen<br />

in Spanien o<strong>der</strong> Russland, profitierten<br />

die Rheinbundstaaten durchaus von<br />

Napoleon.<br />

Indessen verankerte die Neuordnung<br />

Deutschlands auf dem Wiener Kongress<br />

1815 viele Kennzeichen <strong>der</strong> im<br />

Zeitalter von Revolution und Napoleon<br />

umgeformten Staatsgewalt: Die<br />

dort geschaffenen Grenzen zeigen sich<br />

heute noch in <strong>der</strong> Gestalt mancher<br />

Bundeslän<strong>der</strong>. Und die Staatsgewalt<br />

etablierte sich in <strong>der</strong> Fläche – wie im<br />

Zeitalter Napoleons mittels Steuern,<br />

Bürokratie und Wehrpflicht. Was<br />

Frankreich Mitte 1813 bei Annahme<br />

des angebotenen Waffenstillstands<br />

hätte behalten können, verlor es bei<br />

Leipzig und im anschließenden Feldzug<br />

<strong>der</strong> Koalitionsheere nach Paris.<br />

Wäre Napoleons Kalkül vom 16. Oktober<br />

1813 aufgegangen, im Süden Leipzigs<br />

die Hauptarmee <strong>der</strong> Koalition erst<br />

in <strong>der</strong> Flanke zu binden, dann im Zentrum<br />

durch den Angriff seiner Garde<br />

und <strong>der</strong> Reserve zu durchstoßen, wäre<br />

die Landkarte Deutschlands heute womöglich<br />

eine an<strong>der</strong>e.<br />

Gerade auch deshalb sahen die<br />

folgenden eineinhalb Jahrhun<strong>der</strong>te so<br />

viele nationale Gedenkfeiern in Deutschland.<br />

Dies wie<strong>der</strong>um führte nach 1945<br />

zu unterschiedlichen Erinnerungssträngen<br />

in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />

und in <strong>der</strong> DDR. Während letztere im<br />

Zeichen des Kalten Krieges die deutschrussische<br />

Waffenbrü<strong>der</strong>schaft beschwor,<br />

rückten in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

die Themenfel<strong>der</strong> Krieg und patriotisches<br />

Gedenken mit dem Generationenwandel<br />

um 1970 zunehmend aus<br />

dem Blickfeld. Das Thema »Leipzig«<br />

verweist daher auch auf unterschiedliche<br />

Erinnerungskulturen in Preußen,<br />

Bayern und im Rheinland, in »Ost«<br />

und »West«.<br />

Angesichts <strong>der</strong> rund 100 000 Opfer<br />

<strong>der</strong> Völkerschlacht stellt sich die Frage,<br />

wie heute eines solchen Jahrestages angemessen<br />

gedacht werden kann. Der<br />

vom Freistaat Sachsen und <strong>der</strong> Stadt<br />

Leipzig initiierte Veranstaltungszyklus<br />

»Leipzig 1813 – 1913 – 2013. Eine europäische<br />

Geschichte« verfolgt daher das<br />

Anliegen, die Stätte des Krieges zu<br />

einem Ort <strong>der</strong> Begegnung umzuwidmen.<br />

Das bedeutet eine erneute Umdeutung<br />

dieses Erinnerungsortes im<br />

Sinne <strong>der</strong> Gegenwart. Gleichzeitig<br />

kommt so die europäische Perspektive<br />

an den Ort einer Vielvölkerschlacht zurück.<br />

Martin Hofbauer und Martin Rink<br />

Literaturtipps<br />

Hans-Ulrich Thamer, Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas<br />

Kampf gegen Napoleon, München 2013.<br />

Karl-Heinz Lutz / Martin Rink / Marcus von Salisch (Hg.),<br />

Reform - Reorganisation - Transformation. Zum Wandel<br />

in deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen<br />

bis zur Transformation <strong>der</strong> Bundeswehr. Im<br />

Auftrag des Militärgeschichtlichen <strong>Forschungsamt</strong>es,<br />

München 2010.<br />

Dominic Lieven, Russland gegen Napoleon. Die Schlacht<br />

um Europa, München 2011.<br />

picture alliance / AP images<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


Dreibund-Marinekonvention 1913<br />

bpk<br />

5Generaloberst Helmuth Johannes Ludwig von Moltke (1848–1916), von 1906 bis 1914 Chef des Großen Generalstabes (um 1912).<br />

Die Dreibund-Marinekonvention<br />

von 1913 und die<br />

deutsche Marinestrategie<br />

Der Chef des deutschen Generalstabes<br />

Helmuth von Moltke (d.J.)<br />

schrieb am 2. Januar 1913 an seinen<br />

österreichisch-ungarischen Amtskollegen<br />

Franz Conrad von Hötzendorf:<br />

»Die englischen Seestreitkräfte werden<br />

mit ihren Hauptteilen in <strong>der</strong> Nordsee<br />

[durch die deutsche Hochseeflotte]<br />

gebunden sein […] einer gemeinsamen<br />

österreichisch-italienischen Flottenaktion<br />

[würde es] nach meiner Ansicht<br />

nicht schwer werden, die Herrschaft zur<br />

See im Mittelmeer zu gewinnen […]<br />

Dies würde für Deutschland […] den<br />

Vorteil haben, dass Frankreich daran<br />

verhin<strong>der</strong>t wird, sein XIX. Armeekorps<br />

aus Algier und die in Marokko stehenden<br />

[…] zwei Armeekorps herüberzuschaffen<br />

und gegen Deutschland einzusetzen<br />

[…] Trägt Österreich […] dazu<br />

bei […] eine möglichst schnelle Entscheidung<br />

<strong>der</strong> Kämpfe an seiner Westgrenze<br />

zu ermöglichen, so wird ihm dies durch<br />

die Möglichkeit einer beschleunigten<br />

Überführung deutscher Truppen nach<br />

dem Osten zugute kommen.«<br />

Moltke wies damit auf die die strategische<br />

Wechselwirkung <strong>der</strong> künftigen<br />

Kriegsschauplätze im Westen (Deutschland<br />

– Frankreich), in <strong>der</strong> Nordsee<br />

(Deutschland – Großbritannien), im Mittelmeer<br />

(Frankreich – Italien/Österreich-<br />

Ungarn) und im Osten (Deutschland/<br />

Österreich-Ungarn – Russland) hin.<br />

Conrad erwi<strong>der</strong>te auf die Ideen am 9. Januar<br />

1913, dass »sich dieselben ganz mit<br />

den meinigen decken«.<br />

Am 23. Juni 1913 schlossen Deutschland,<br />

Italien und Österreich-Ungarn die<br />

zweite Dreibund-Marinekonvention,<br />

die am 1. November 1913 offiziell in<br />

Kraft trat. Pikanterweise kam die Anregung<br />

zu einem neuerlichen maritimen<br />

Verhandlungsvorstoß vom Chef des italienischen<br />

Generalstabes, also ausgerechnet<br />

von demjenigen Bündnispartner,<br />

dessen Nichtbeteiligung am an<strong>der</strong>thalb<br />

Jahre später eintretenden Ernstfall<br />

alle diesbezüglichen Planungen ad absurdum<br />

führte. Auch wenn die Konvention<br />

damit nie in die Tat umgesetzt<br />

wurde und in <strong>der</strong> Strategiediskussion<br />

um die Kaiserliche Marine bislang<br />

kaum Beachtung fand, markiert sie am<br />

Vorabend des Ersten Weltkrieges auf<br />

maritimem Gebiet den Sprung des<br />

10 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


5General <strong>der</strong> Infanterie Franz Xaver Josef<br />

Freiherr Conrad von Hötzendorf (1852–<br />

1925), seit 1906 Chef des österreichischungarischen<br />

Generalstabes (um 1915).<br />

Dreibundes von einer losen Interessengemeinschaft<br />

zum »echten« Militärbündnis<br />

mo<strong>der</strong>ner Prägung und verdient<br />

daher auch nach 100 Jahren eine<br />

nähere Betrachtung.<br />

Die Rolle <strong>der</strong> deutschen<br />

Schlachtflotte<br />

Staatssekretär im Reichmarineamt Alfred<br />

von Tirpitz schuf ab 1897 die gesetzlichen<br />

und finanziellen Rahmenbedingungen<br />

für eine Flottenrüstung großen<br />

Stils und konnte diese bis zum Ersten<br />

Weltkrieg aufrechterhalten. Im<br />

Ergebnis verfügte das Deutsche Reich<br />

1914 über die zweitstärkste Flotte <strong>der</strong><br />

Welt. Bei <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Schiffe rangierte<br />

sie gleich hinter Großbritannien und<br />

knapp vor den USA. Ihre strategische<br />

bpk<br />

Denk- und Ausrichtung war ganz auf<br />

eine entscheidende Seeschlacht gegen<br />

die britische Royal Navy fixiert mit<br />

dem Ziel, »ihre höchste Kriegsleistung<br />

zwischen Helgoland und <strong>der</strong> Themse<br />

[zu] entfalten«, so Tirpitz im Jahre<br />

1897. Völlig unbeantwortet blieb jedoch<br />

die Frage, was denn mit dieser<br />

Seeschlacht eigentlich erreicht werden<br />

sollte. Auch im Falle eines deutschen<br />

Sieges würden die britischen Seeverbindungen<br />

vor allem im Atlantik auf<br />

Grund des durch die Kohlekapazität<br />

begrenzten Fahrbereichs <strong>der</strong> deutschen<br />

Schiffe und durch das weitgehende<br />

Fehlen von überseeischen Stützpunkten<br />

nicht nachhaltig gefährdet. Über<br />

die Rolle in <strong>der</strong> Nordsee hinaus blieb<br />

<strong>der</strong> Tirpitzflotte die Fähigkeit zur Projektion<br />

von Seemacht über weite Entfernungn<br />

im Ansatz verwehrt.<br />

Damit stellt sich die grundsätzliche<br />

Frage nach <strong>der</strong> Sinnhaftigkeit einer<br />

Schlachtflotte für das Deutsche Reich.<br />

Folgt man dieser Überlegung konsequent,<br />

dann kann ein Einsatz <strong>der</strong> Tirpitzflotte<br />

in einem Konflikt eigentlich<br />

gar nicht vorgesehen gewesen sein. Allein<br />

die Drohung einer auch für den<br />

potenziellen Gegner Großbritannien<br />

verlustreichen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

sollte die britische Regierung von einer<br />

Beteiligung an einem großen Konflikt<br />

abschrecken. Diese als »Risikotheorie«<br />

bezeichnete Doktrin von Tirpitz weist<br />

<strong>der</strong> Flotte die Rolle eines strategischen<br />

Abschreckungsinstruments zu, das<br />

zwar glaubhaft sein muss, um wirksam<br />

zu sein, jedoch mit Beginn des<br />

Konflikts versagt hat. Insofern ist das<br />

5Generalleutnant Alberto Pollio (1852–1914, 3. v.r.), von 1906 bis 1914 Generalstabschef<br />

des italienischen Heeres, beim Kaisermanöver im September 1913 in Schlesien.<br />

bpk, Oscar Tellgmann<br />

Fehlen eines »sinnvollen« Einsatzkonzeptes<br />

für den Ernstfall kein entscheiden<strong>der</strong><br />

Mangel, da Funktion und Wirkung<br />

primär politischer Natur waren.<br />

Die Schlachtflotte war quasi <strong>der</strong> »Droh-<br />

Hebel« für die weltumspannende<br />

Durchsetzung deutscher Interessen gegen<br />

potenzielle Rivalen in Europa und<br />

richtete sich vor allem gegen Großbritannien.<br />

Diese spezifische deutsche<br />

Adaption <strong>der</strong> Begriffe Flotte und Seemacht<br />

findet seinen Ausdruck auch in<br />

<strong>der</strong> weitgehenden Marginalisierung<br />

des für die Einsatzplanung originär zuständigen<br />

Admiralstabs, dessen Einfluss<br />

auf Schiffbau und strategische<br />

Planung im Gegensatz zum eigentlich<br />

rein administrativen Reichsmarineamt<br />

kaum ins Gewicht fiel. Vor diesem Hintergrund<br />

verwun<strong>der</strong>t es nicht, dass<br />

sich <strong>der</strong> Chef des Generalstabes Gedanken<br />

über strategische Einsatzoptionen<br />

<strong>der</strong> Marine machte, während sich<br />

die deutsche Admiralität weitgehend<br />

auf taktische Gefechtsausbildung für<br />

die geplante große Seeschlacht in <strong>der</strong><br />

Nordsee beschränkte.<br />

Die Marinekonvention von 1900<br />

Die Bereitschaft Italiens zur Kooperation<br />

hatte ihre Ursache in Befürchtungen<br />

vor alliierten Landungsoperationen<br />

an <strong>der</strong> italienischen Westküste.<br />

Dass diese nicht aus <strong>der</strong> Luft gegriffen<br />

und die Ententemächte dazu durchaus<br />

in <strong>der</strong> Lage waren, zeigte später die alliierte<br />

Landungsoperation in Gallipoli<br />

(Türkei) 1915. Die italienische Marine<br />

allein war zu schwach, um dieses Risiko<br />

zu minimieren, und die italienische<br />

Armee konnte auch nicht jeden<br />

Küstenkilometer verteidigen. Daher<br />

initiierte Italien aus eigenen Sicherheitserwägungen<br />

heraus bereits um<br />

die Jahrhun<strong>der</strong>twende Verhandlungen<br />

über eine maritime Kooperation im<br />

Mittelmeer. Diese mündeten am 6. Juni<br />

1900 in die erste Dreibund-Marinekonvention.<br />

Die Konvention beinhaltete eine allgemeine<br />

Abgrenzung <strong>der</strong> Operationsgebiete<br />

(Deutschland: Ost- und Nordsee,<br />

Atlantik; Italien: westliches Mittelmeer;<br />

Österreich-Ungarn: Adria und<br />

östliches Mittelmeer), Regelungen zum<br />

Grad <strong>der</strong> Zusammenarbeit in Friedenszeiten,<br />

zum Oberbefehl und zur Sicherstellung<br />

<strong>der</strong> Kommunikation (Signalabkommen)<br />

sowie die gegenseitige<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />

11


Dreibund-Marinekonvention 1913<br />

5Kaiser Wilhelm II. und die Admirale<br />

Alfred von Tirpitz und Henning von<br />

Holtzendorff an Bord <strong>der</strong> Kaiserjacht<br />

»Hohenzollern« anlässlich <strong>der</strong> Kieler<br />

Woche 1910.<br />

bpk/Th. Jürgensen<br />

Nutzung von Hafenanlagen. Damit<br />

unterschied sich diese Marinekonvention<br />

kaum von an<strong>der</strong>en Militärkonventionen<br />

<strong>der</strong> damaligen Zeit und trug<br />

dem Wunsch <strong>der</strong> Bündnispartner nach<br />

individueller operativer Freiheit Rechnung.<br />

Weitergehende Vorschläge Italiens<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Abstimmung und<br />

Festlegung von Operationszielen und<br />

Angriffsobjekten scheiterten an den<br />

Ressentiments <strong>der</strong> deutschen und österreichisch-ungarischen<br />

Chefs <strong>der</strong> General-<br />

und Admiralstäbe, die bei zu<br />

großer Offenheit einen Verrat italienischer<br />

Militärs an Frankreich und<br />

Großbritannien befürchteten. Letztendlich<br />

reichte Italien eine Rückendeckung<br />

durch Österreich-Ungarn in <strong>der</strong><br />

Adria zwar als Minimalkonsens, <strong>der</strong><br />

erneute Verhandlungsvorstoß 1912<br />

zeigt aber die Vitalität des italienischen<br />

Sicherheitsbedürfnisses in diesem<br />

Punkt. Es bleibt zu hinterfragen, inwieweit<br />

die fehlende maritime Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> italienischen Interessen die<br />

Hinwendung Italiens zu Frankreich ab<br />

1903 mit beeinflusst hat.<br />

Auch die ablehnende Haltung <strong>der</strong><br />

deutschen Spitzenmilitärs bleibt zu<br />

hinterfragen. Die Ursache für die mangelnde<br />

Kooperationsbereitschaft ist<br />

letztlich wohl in <strong>der</strong> inneren Verfasstheit<br />

des Dreibundes zu suchen, die<br />

durch gegenseitige Rivalitäten und<br />

latente Konfrontationen vorwiegend<br />

zwischen Österreich-Ungarn und Italien<br />

geprägt war. Vor allem in <strong>der</strong> Balkanpolitik<br />

traten Verwerfungen immer<br />

stärker hervor. Diese erste Marinekonvention<br />

konnte nicht und sollte wohl<br />

auch nicht politische Differenzen überbrücken,<br />

son<strong>der</strong>n lediglich ein Mindestmaß<br />

an Kooperation für den Fall<br />

eines europäischen Konfliktes ermöglichen,<br />

ohne den Dreibundpartnern zu<br />

weitgehende Einschränkungen ihrer<br />

individuellen operativen Freiheit aufzunötigen.<br />

Gepaart mit <strong>der</strong> Angst vor<br />

Verrat war in dieser Situation das Denken<br />

und Handeln <strong>der</strong> deutschen und<br />

österreichisch-ungarischen Marineführung<br />

ganz auf die jeweilige »nationale«<br />

strategisch-operative Doktrin ausgerichtet.<br />

Der berühmte Blick über den<br />

eigenen Tellerrand hinaus fand im Jahr<br />

1900 jedenfalls nicht statt.<br />

Die Marinekonvention von 1913<br />

Legt man das eingangs zitierte Schreiben<br />

Moltkes an seinen Amtskollegen<br />

Conrad zugrunde, schien sich diese Situation<br />

zu Beginn des Jahres 1913 komplett<br />

gewandelt zu haben. Durch die<br />

Integration Großbritanniens in das<br />

Bündnissystem <strong>der</strong> Entente ab 1904 erscheint<br />

ein strategisches Interesse vor<br />

allem des Deutschen Reiches an einer<br />

in eine Gesamtkriegskonzeption eingebetteten<br />

Seekriegsplanung nur logisch.<br />

Gerade das Deutsche Reich konnte vor<br />

dem Hintergrund des Schlieffenplans<br />

von einer maritimen Kooperation im<br />

Mittelmeer erheblich profitieren. Die<br />

Bindung <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong> britischen<br />

Flotte in <strong>der</strong> Nordsee eröffnete den<br />

vereinigten Seestreitkräften des Dreibundes<br />

im Mittelmeer eine reale<br />

Chance, die Kräfteverteilung im Sinne<br />

eines gesamtstrategischen Ansatzes<br />

nachhaltig zu beeinflussen. Weitgehend<br />

folgenlose Gedanken zur Einbeziehung<br />

<strong>der</strong> k.u.k. Kriegsmarine in die<br />

deutschen Operationen gegen Großbritannien<br />

hatte man sich in Berlin<br />

schon 1909 und 1911 gemacht. Ein Jahr<br />

später dachte man auch in Wien um<br />

und sah die k.u.k. Kriegsmarine nun<br />

an <strong>der</strong> deutschen Seite gegen die Entente,<br />

statt dass sie allein in <strong>der</strong> Adria<br />

operierte. Ab Mitte Juni 1912 wurden<br />

von deutscher Seite dann die Seestreitkräfte<br />

bei<strong>der</strong> Bündnispartner im Mittelmeer<br />

eingeplant und eine weitere<br />

Marinekonvention <strong>der</strong> drei Mächte gefor<strong>der</strong>t.<br />

Letzter Auslöser war dann<br />

aber eine erneute Initiative Italiens, um<br />

entsprechenden Verhandlungen zu initiieren.<br />

Wie ernsthaft man vor allem<br />

den deutschen Generalstabschef<br />

Moltke »ins Boot« zu holen versuchte,<br />

zeigt die Tatsache, dass die italienische<br />

Flotte in den Frühjahrsmanövern 1913<br />

explizit das Abfangen eines simulierten<br />

französischen Truppentransports von<br />

Nordafrika nach Toulon durchspielte.<br />

Moltkes Einfluss würde auch in Wien<br />

Wirkung zeigen, so das – letztlich erfolgreiche<br />

– italienische Kalkül.<br />

Die entscheidende Neuerung gegenüber<br />

<strong>der</strong> Marinekonvention von 1900<br />

war die Betrachtung des Mittelmeeres<br />

als ein Operationsgebiet. Die Vereinigung<br />

aller, auch außerhalb des Mittelmeeres<br />

in erreichbarer Nähe befindlichen<br />

Seestreitkräfte unter einem bereits<br />

zu Friedenszeiten festgelegten<br />

Oberbefehlshaber (k.u.k. Admiral Anton<br />

Haus) wurde als operative Grundmaxime<br />

festgeschrieben. Ersatzweise<br />

sollte <strong>der</strong> ranghöchste Offizier vor Ort<br />

das Kommando übernehmen. Die Rahmenbestimmungen<br />

über Signalwesen<br />

und gegenseitige Hafennutzung wurden<br />

hingegen nahezu unverän<strong>der</strong>t aus<br />

<strong>der</strong> Konvention von 1900 übernommen.<br />

Neu und innovativ war jedoch,<br />

dass in einem Zusatzabkommen ein<br />

gemeinsamer Operationsplan bereits<br />

zu Friedenszeiten festgelegt wurde.<br />

Dieser sah die Vereinigung fast aller<br />

Seestreitkräfte in süditalienischen Häfen<br />

vor, um danach die französische<br />

Flotte anzugreifen und nie<strong>der</strong>zukämpfen.<br />

Damit sollte die Seeherrschaft im<br />

Mittelmeer aktiv errungen werden (so<br />

§ 5 des Zusatzabkommens), um in erster<br />

Priorität mögliche Landungsoperationen<br />

an <strong>der</strong> italienischen Küste zu<br />

verhin<strong>der</strong>n. Zur kommunikationstechnischen<br />

Umsetzung dieser weitreichen<strong>der</strong>en<br />

Aufgaben wurde ein neues<br />

Signalbuch entworfen.<br />

Italien hatte sich also mit seiner ursprünglichen<br />

Absicht, <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>kämpfung<br />

<strong>der</strong> französischen Flotte,<br />

weitgehend durchgesetzt. Die Unterbindung<br />

französischer Truppentransporte<br />

aus Nordafrika hatte für den<br />

Kern <strong>der</strong> gemeinsamen Flotte nur<br />

nachrangige Priorität. Diese Aufgabe<br />

sollte durch die deutsche Mittelmeer­<br />

12 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


5Vizeadmiral Wilhelm Souchon<br />

(1864–1946) im Jahre 1914.<br />

division, unterstützt durch leichte Seestreitkräfte<br />

und Hilfskreuzer <strong>der</strong> beiden<br />

Verbündeten, übernommen werden<br />

(explizit dazu § 8 des Zusatzabkommens).<br />

Aus gesamtstrategischer<br />

Sicht ist diese operative Entscheidung<br />

als nicht gerade ideal zu bewerten.<br />

Durch die für die geplante Seeschlacht<br />

zur Vernichtung <strong>der</strong> französischen<br />

Flotte notwendige Konzentration des<br />

Gros <strong>der</strong> verfügbaren Flottenkräfte<br />

aufseiten <strong>der</strong> Mittelmächte blieb <strong>der</strong><br />

französischen Führung genügend<br />

Raum und Zeit, das algerische XIX. Armeekorps<br />

nach Frankreich zu verschiffen,<br />

wie sich 1914 zeigen sollte. Zu <strong>der</strong>en<br />

Unterbindung wäre bei Kriegsbeginn<br />

eine mit allen Mitteln durchgeführte<br />

effektive Blockade <strong>der</strong><br />

nordafrikanischen Küste unter Nutzung<br />

des gesamten im Mittelmeer verfügbaren<br />

Potenzials <strong>der</strong> Mittelmächte<br />

notwendig und wohl auch effektiver<br />

gewesen als eine Seeschlacht.<br />

Welche Wirksamkeit ein sofortiger<br />

Angriff auf die Truppentransporte entfalten<br />

konnte, zeigte am 4. August 1914<br />

<strong>der</strong> Beschuss von Philippeville und<br />

Bône durch die deutsche Mittelmeerdivision<br />

unter ihrem Kommandeur Konteradmiral<br />

Wilhelm Souchon gemäß<br />

seiner auf <strong>der</strong> Dreibundmarinekonvention<br />

basierenden Einsatzbefehlen. Der<br />

französische Oberbefehlshaber Admiral<br />

Augustin Boué de Lapeyrére untersagte<br />

daraufhin weitere einzelfahrende<br />

Truppentransporte und ordnete die Bildung<br />

von Geleitzügen an. Damit boten<br />

sich einerseits sofort lohnende Ziele für<br />

weitere Angriffe, an<strong>der</strong>erseits wäre<br />

durch die Unterbrechung des französischen<br />

Truppennachschubs vor allem<br />

Zeit für den deutschen Krieg an <strong>der</strong><br />

Westfront gewonnen worden. Dieser<br />

Zeitgewinn wäre für die deutsche Westoffensive<br />

allerdings ein Erfolg von strategischer<br />

Dimension gewesen, <strong>der</strong> auch<br />

das Risiko einer möglichen taktischen<br />

Nie<strong>der</strong>lage für einzelne Flotteneinheiten<br />

<strong>der</strong> Mittelmächte gerechtfertigt<br />

hätte, wären sie auf überlegene französische<br />

Kräfte getroffen. Diese kurzzeitig<br />

bestehende Möglichkeit verstrich<br />

1914 jedoch ungenutzt.<br />

Insgesamt scheint das Denkschema<br />

von Seeherrschaft durch Seeschlacht<br />

wohl neben <strong>der</strong> Angst vor einer alliierten<br />

Landung an <strong>der</strong> italienischen Küste<br />

zu tief in den Köpfen <strong>der</strong> Entscheidungsträger<br />

<strong>der</strong> Mittelmächte verwurzelt<br />

gewesen zu sein, um mit den damit<br />

verbundenen operativen Maximen<br />

zu brechen. Bezeichnen<strong>der</strong>weise verhielt<br />

sich die französische Seite nicht<br />

an<strong>der</strong>s. Während man im Marineministerium<br />

dem Schutz <strong>der</strong> Truppentransporte<br />

Priorität zumaß, wollte Admiral<br />

Lapeyrére offensiv gegen feindliche<br />

Flottenverbände vorgehen und plante<br />

keine Alternative dazu.<br />

Bündnispolitisch erfolgte mit <strong>der</strong> Marinekonvention<br />

von 1913 am Vorabend<br />

des Ersten Weltkrieges ein erheblicher<br />

Mo<strong>der</strong>nisierungsschub für den Dreibund<br />

in Richtung eines mo<strong>der</strong>nen multinationalen<br />

Militärbündnisses. Eine<br />

gemeinsame Operationsplanung unter<br />

einheitlichem Oberbefehl im Mittelmeer<br />

bot die Chance, das maritime<br />

Kräfteverhältnis und damit die gesamtstrategische<br />

Lage nachhaltig zu beeinflussen.<br />

Dies erkannten auch die führenden<br />

Militärs <strong>der</strong> Dreibundmächte,<br />

wenngleich die gewählte operative<br />

Ausrichtung fraglich war und die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> politischen Lage kaum<br />

ein Jahr später alle Planungen obsolet<br />

machen sollte. Ein grundsätzliches Problem<br />

blieb jedoch die Tatsache, dass die<br />

Verbindlichkeit aller Planungen lediglich<br />

auf <strong>der</strong> Grundlage persönlicher Beziehungen<br />

einzelner militärischer Führungspersönlichkeiten<br />

basierte, jedoch<br />

ein grundsätzlicher Konsens <strong>der</strong> staatstragenden<br />

Eliten für den Dreibund vor<br />

allem in Italien und Österreich-Ungarn<br />

fehlte. Weitgehend unbeachtet blieb in<br />

diesem Zusammenhang die Notwendigkeit,<br />

die gemeinsamen Operationen<br />

zu üben. Manöver in Friedenszeiten<br />

waren nicht vorgesehen. Lediglich erste<br />

Versuche zur praktischen Erprobung<br />

des neu erstellten Signalbuches wurden<br />

kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />

angedacht, aber aus Gründen<br />

<strong>der</strong> Geheimhaltung trotz aller Nützlichkeitserwägungen<br />

nicht weiterverfolgt.<br />

Als das Deutsche Reich 1914 am<br />

1. August Russland und am 3. August<br />

Frankreich den Krieg erklärte, war die<br />

italienische Regierung unter Hinweis<br />

auf die defensive Natur des Dreibundes<br />

(Beistand im Falle eines nichtprovozierten<br />

Angriffs auf einen Bündnispartner!)<br />

nicht bereit, den Mittelmächten<br />

in den Krieg zu folgen. Auch die<br />

antiösterreichischen Ressentiments in<br />

<strong>der</strong> italienischen Bevölkerung ließen<br />

einen Kriegseintritt an <strong>der</strong> Seite Österreich-Ungarns<br />

äußerst schwierig erscheinen,<br />

selbst wenn die politische<br />

Führung Italiens ihn gewollt hätte.<br />

Durch die Nichtteilnahme Italiens waren<br />

jedoch sämtliche Vereinbarungen<br />

und strategischen Gedankenspiele <strong>der</strong><br />

Vorkriegszeit Makulatur geworden.<br />

Die Dreibund-Marinekonvention von<br />

1913 bleibt trotz alledem ein beachtenswertes<br />

Dokument. Denn es ist zwar in<br />

seiner Zeit verhaftet, markiert jedoch<br />

erste Schritte auf dem langen Weg zur<br />

Kooperation mo<strong>der</strong>ner multinationaler<br />

Bündnissysteme, wie sie heute beispielsweise<br />

in den ständigen maritimen<br />

Einsatzverbänden <strong>der</strong> NATO<br />

(Standing NATO Maritime Groups)<br />

Realität geworden ist.<br />

Lars Zacharias und Rüdiger Schiel<br />

Literaturtipps<br />

Holger Afflerbach, Der Dreibund. Europäische Großmachtund<br />

Allianzpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, Wien, Köln, Weimar<br />

2002.<br />

Patrick J. Kelly, Tirpitz and the Imperial German Navy, Bloomington,<br />

IN 2011.<br />

Rüdiger Schiel, Die Beziehungen zwischen <strong>der</strong> deutschen kaiserlichen<br />

Marine und <strong>der</strong> österreichisch-ungarischen k.u.k.<br />

Kriegsmarine 1871-1914, Diss., München 2006 (Mikroform).<br />

bpk/Geheimes Staatsarchiv, SPK/Bildstelle GStA PK, Fotograf F. Uhrbans<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />

13


Minnesota 1862<br />

Stiftung Deutsche Kinemathek für Film und Fernsehen/Gert Viktor Krau<br />

5Leutnant Merrill (Mario Girotti) und seine Frau Ribanna (Karin Dor) gefesselt von Banditen. Szenenfoto aus »Winnetou II«.<br />

Indianeraufstand in<br />

Minnesota 1862<br />

In dem Film »Winnetou II« will <strong>der</strong><br />

Leutnant <strong>der</strong> US-Kavallerie Robert<br />

Merrill zur Rettung des Friedens die<br />

Häuptlingstochter des Stammes <strong>der</strong><br />

Assiniboine, Ribana, heiraten. Sein Vater,<br />

Oberst J.F. Merril, aber ist dagegen.<br />

Er misstraut den Indianern und zitiert<br />

mehrfach das schreckliche Massaker<br />

an den »friedlichen Siedlern« von Neu-<br />

Ulm herbei. Was war dort geschehen?<br />

Wie konnte dieses Ereignis seinen Eingang<br />

in die Karl-May-Verfilmung aus<br />

dem Jahre 1964 finden?<br />

USA 1862: Größte Massenhinrichtung<br />

Der Vormittag des 26. Dezembers 1862<br />

war in Minnesota ungewöhnlich mild<br />

und sonnig. Mehr als 4000 Menschen<br />

versammelten sich auf dem schneematschigen<br />

Townsquare von Mankato,<br />

um einem beson<strong>der</strong>en Ereignis beizuwohnen.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Bestimmungen<br />

des Kriegsrechts waren die Saloons bereits<br />

vor 48 Stunden geschlossen worden,<br />

wollte man doch, dass alles ohne<br />

alle Störungen und öffentlichen Aufruhr<br />

vonstatten ging.<br />

Im Zentrum des Platzes traten 1400<br />

Mann des 3. Minnesota-Regiments im<br />

Karree an. Hinter ihnen befand sich<br />

eine zwei Meter hohe hölzerne Plattform,<br />

an <strong>der</strong>en vier Seiten 38 Galgen<br />

standen. Viele <strong>der</strong> Zuschauer zeigten<br />

sich enttäuscht über die geringe Anzahl<br />

<strong>der</strong> Galgen, denn sie hatten gehofft,<br />

alle 303 zum Tode verurteilten<br />

Indianer hängen zu sehen. Durch Einspruch<br />

von Präsident Lincoln war die<br />

Zahl jedoch auf 39 begrenzt worden,<br />

wobei einer <strong>der</strong> Verurteilten erst am<br />

Tage zuvor amnestiert worden war.<br />

Kurz vor 10 Uhr erschien eine Abteilung<br />

Soldaten im Gefängnis neben <strong>der</strong><br />

Hinrichtungsstätte. Pater Augustin Ravoux<br />

verlas ein Gebet auf Französisch<br />

und Dakota, denn viele <strong>der</strong> Verurteilten<br />

waren katholische Christen. Durch<br />

ein Spalier von Soldaten gelangten die<br />

Delinquenten auf das Schafott. Sie<br />

stimmten das Totenlied <strong>der</strong> Dakota an.<br />

Der Gesang brach in dem Moment ab,<br />

als ihnen weiße Schädelkappen angelegt<br />

wurden. Mit Trommelschlägen begann<br />

die Exekution. Klappen und Menschenleiber<br />

fielen in die Tiefe und ein<br />

lautes Raunen ging durch die Menge<br />

Der Leitartikler <strong>der</strong> »St. Paul Pioneer<br />

Press« jubelte einige Tage später über<br />

»Amerikas größte Massenexekution.«<br />

Sie beendete den für die USA verlustreichsten<br />

Indianerkrieg ostwärts des<br />

Mississippi, <strong>der</strong> seinerseits zu weiteren<br />

Feldzügen <strong>der</strong> U.S. Army auf den Prärien<br />

des amerikanischen Westen führte.<br />

Die Hinrichtungen von Mankato waren<br />

das Ergebnis eines scheinbar unvermeidlichen<br />

»Clash of Cultures«, <strong>der</strong><br />

bei genauerer Betrachtung hätte<br />

vermieden werden können. Zu den<br />

Protagonisten des Konfliktes gehörten<br />

Deutsche, die sich seit den Tagen Friedrich<br />

Gerstäckers und Karl Mays gerne<br />

eine beson<strong>der</strong>e Affinität zu den Ureinwohnern<br />

Nordamerikas bescheinigten.<br />

Der berühmt gewordene Vertrag <strong>der</strong><br />

Deutschen von Fre<strong>der</strong>icksburg/Texas<br />

mit dem Volk <strong>der</strong> Comanchen aus dem<br />

Jahr 1847, auf dem viele dieser Vorstellungen<br />

beruhten, war indes nur ein sin­<br />

14 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


guläres Ereignis. Im Minnesota <strong>der</strong><br />

1850er und 1860er Jahre verhielten sich<br />

die deutschen Ansiedler nicht an<strong>der</strong>s<br />

als die Mehrheit <strong>der</strong> angloamerikanischen<br />

Grenzbevölkerung, für die<br />

eine Politik des »Vertreibens o<strong>der</strong> Ausrottens«<br />

gültige Maxime war.<br />

Deutsche Siedler in Minnesota<br />

Die deutsche Besiedlung Minnesotas<br />

fiel in die Zeit nach <strong>der</strong> schweren Wirtschaftskrise<br />

<strong>der</strong> 1840er Jahre und <strong>der</strong><br />

gescheiterten Revolution von 1848/49.<br />

Hun<strong>der</strong>ttausende Deutsche wan<strong>der</strong>ten<br />

in die USA aus. Ihre Hauptziele waren<br />

das Ohiotal und das Gebiet entlang <strong>der</strong><br />

Großen Seen mit seinen wachsenden<br />

Industriestädten: Cleveland, Cincinnati<br />

und Chicago. Für künftige Farmer<br />

war indes Minnesota beson<strong>der</strong>s interessant.<br />

Nach Verträgen mit den Dakota,<br />

Chippewa und Winnebago wurde<br />

<strong>der</strong> größte Teil des Staatsgebietes in<br />

den Jahren 1837 bis 1858 zur Besiedlung<br />

freigegeben. Hinzu kamen günstige<br />

Bodenpreise, eine gute Infrastruktur<br />

dank des Mississippi sowie die<br />

große Entfernung zu den Sklavenstaaten.<br />

Viele deutsche Ex-Bürger Missouris<br />

und von Kansas zogen nun<br />

nordwärts, um nicht in die teils gewalttätigen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen zwischen<br />

den Gegnern und den Befürwortern<br />

<strong>der</strong> Sklaverei zu geraten. Der Bürgerkrieg<br />

warf seine Schatten bereits voraus.<br />

Religiöse Gründe spielten <strong>der</strong>weil<br />

bei <strong>der</strong> Ansiedlung in Stearns County<br />

in Zentral-Minnesota eine Rolle. In<br />

einem Artikel <strong>der</strong> in Cincinnati erscheinenden<br />

katholischen Wochenschrift<br />

»Der Wahrheitsfreund« vom 1. März<br />

1854 wandte sich Pater Franz Xaver<br />

Pierz an »Deutsche, die in überbevölkerten<br />

Städten leben und im Umgang<br />

mit Amerikanern und Protestanten zu<br />

sehr anglisiert würden«. Er versprach<br />

den Lesern eine Heimat, in <strong>der</strong> sie ihren<br />

Glauben frei vom herrschenden<br />

Anti-Katholizismus leben könnten,<br />

warnte aber davor, »irgendwelche Freidenker,<br />

rote Republikaner, Atheisten<br />

und Agitatoren mit ins Land zu bringen«.<br />

Als ein Ergebnis von Pierz`<br />

»leichter Fe<strong>der</strong>«, so schrieb John Ireland,<br />

Erzbischof von Cincinnati, einige<br />

Jahre später, »kamen Scharen von Siedlern,<br />

tatkräftige Söhne des Rheinlands,<br />

Bayerns und Westfalens, sodass in<br />

5Die Hinrichtung von 38 Sioux-Indianern 1862. Zeitgenössischer Stich.<br />

Stearns County ein neues Deutschland<br />

entstand«.<br />

Ausgerechnet »rote Republikaner«<br />

gründeten Neu-Ulm, Minnesotas bekannteste<br />

deutsche Siedlung. Der<br />

Braunschweiger Studienrat Ferdinand<br />

Beinhorn war im Jahr 1852 nach Amerika<br />

emigriert und wollte irgendwo im<br />

Westen eine deutsche Kolonie gründen.<br />

Gemeinsam mit an<strong>der</strong>en Englisch-Studenten<br />

rief er im August 1853 den<br />

»Chicago Land-Verein« ins Leben, <strong>der</strong><br />

im Juni 1854 rund 800 Mitglie<strong>der</strong><br />

zählte, hauptsächlich Handwerker und<br />

Arbeiter. Er plante eine Genossenschaft,<br />

finanziert durch Mitgliedsbeiträge.<br />

Späher hatten zuvor mehrere Regionen<br />

Michigans und Iowas erkundet,<br />

befanden aber, dass das waldreiche<br />

Gebiet des schiffbaren Minnesota-<br />

River sich am besten zur Ansiedlung<br />

eignete.<br />

Eine Genossenschaft von rund 1300<br />

Turnverein-Mitglie<strong>der</strong>n aus Cincinnati<br />

schloss sich dem Vorhaben an. Nach<br />

den Worten des Vorsitzenden Wilhelm<br />

Pfändtner suchten sie nach einem Platz<br />

für eine deutsche Ansiedlung mit »dem<br />

Verbot <strong>der</strong> Spekulation und Erziehungsmöglichkeiten<br />

für die Kin<strong>der</strong><br />

von Liberalen und Freidenkern«. Die<br />

1817 gegründete Turnerbewegung verband<br />

deutschen Nationalismus und<br />

Antiklerikalismus mit Elementen des<br />

Sozialismus. Durch die zahlreichen<br />

Exilanten <strong>der</strong> 48er-Revolution gewann<br />

die Bewegung in vielen deutsch-amerikanischen<br />

Milieus an Popularität.<br />

Der Traum einer kooperativen, sozialistischen<br />

Ansiedlung erfüllte sich<br />

nicht. Nach dem finanziellen Zusammenbruch<br />

<strong>der</strong> Vereinigung erfolgte<br />

1859 <strong>der</strong>en Auflösung. Die Siedlung<br />

Neu-Ulm indes überlebte. Von ihren<br />

635 Einwohnern waren 1860 nur zwei<br />

Nicht-Deutsche. Auch die Umgebung<br />

wurde zunehmend von Deutschen<br />

besiedelt. Brown County wurde zum<br />

Unwillen <strong>der</strong> benachbarten Angloamerikaner<br />

zu einem teutonisch dominierten<br />

Bezirk. »Es ist traurig zu sagen«,<br />

so eine puritanische Amerikanerin,<br />

dass »eine Klasse von gottlosen<br />

Deutschen als erste hier ihre Heimstätten<br />

errichtet hat [...] Sie haben einen<br />

Tanzsaal gebaut und begehen ihre<br />

Sonnabende mit Trinken und Tanzen«.<br />

Jenseits des Neu-Ulmer Tanzsaales auf<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite des Minnesota-River<br />

lebten die Dakota. Ihr Groll auf die<br />

Deutschen hatte an<strong>der</strong>e Gründe.<br />

Die Dakota<br />

Mitte des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts kamen die<br />

Dakota mit den ersten Europäern in<br />

Berührung: französische Trapper und<br />

Pelzhändler. Diese erkundeten von<br />

Quebec aus die Gebiete westlich <strong>der</strong><br />

Großen Seen, errichteten Handelsposten,<br />

schickten Missionare und gaben<br />

den dortigen Indianern den Namen<br />

»Sioux«, eine Verkürzung des Chippewa-Wortes<br />

»Nadessioux« (»Feind«).<br />

Beide Seiten profitierten: Die Franzosen<br />

erhielten Pelze, die Dakota<br />

Gewehre, mit denen sie ihre Feinde bekämpften:<br />

die Chippewa. Ab 1763<br />

übernahm die britische Hudson Bay<br />

Company die Geschäfte. Für die Dakota<br />

verän<strong>der</strong>te sich wenig, die Waffen<br />

waren nun britische Produkte.<br />

Große Verän<strong>der</strong>ungen hingegen<br />

brachten die neu gegründeten Vereinigten<br />

Staaten von Amerika, die Minnesota<br />

1849 zu ihrem Territorium<br />

erklärten. Gegen die Zahlung von 1,6<br />

Millionen Dollar und jährliche Lebensmittellieferungen<br />

gaben die Dakota<br />

den größten Teil ihres Stammesgebietes<br />

auf. Zwischen 1850 und 1858<br />

wuchs die euroamerikanische Bevölkerung<br />

von 6000 auf über 150 000, denen<br />

lediglich 20 000 Indianer gegenüberstanden,<br />

davon 7000 Dakota. Der Wildbestand<br />

schrumpfte dramatisch, sodass<br />

Public Domain, über Library of Congress: Library of Congress<br />

Prints & Photographs Division, LC-USZ63-193<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />

15


Minnesota 1862<br />

Public Domain, über Library of Congress: Library of Congress,<br />

Prints & Photographs Division, LC-USZ61-83<br />

5Häuptling Little Crow. Fotografie von<br />

1862.<br />

die Dakota zu Wohlfahrtsempfängern<br />

wurden. In den Reservaten Redwood<br />

und Upper Sioux begannen Regierungsbeamte<br />

und Missionare die heidnischen<br />

Nomaden zu christlichen<br />

Farmern zu erziehen. Der größte Teil<br />

des versprochenen Geldes verschwand<br />

in den Taschen von Händlern und korrupten<br />

Regierungsbeamten. Hungernde<br />

und bettelnde Dakota gehörten<br />

Anfang <strong>der</strong> 1860er Jahre zum alltäglichen<br />

Bild in Süd-Minnesota. Henry<br />

M. Whipple, Missionar und Bischof<br />

<strong>der</strong> Episkopal-kirche von Minnesota,<br />

warnte Lincolns Amtsvorgänger James<br />

Buchanan davor, dass »eine Nation,<br />

die Diebstahl sät, Blut ernten wird«.<br />

Die Deutschen in Brown County<br />

hegten indes wenig Sympathie für die<br />

hungernden Indianer. Wenn jene zum<br />

Betteln auftauchten, verjagten die<br />

Deutschen sie in <strong>der</strong> Regel mit Besen,<br />

Mistgabel und unter Flüchen. Einige<br />

<strong>der</strong> länger ansässigen amerikanischen<br />

und franko-kanadischen Siedler kannten<br />

die Kultur <strong>der</strong> Dakota besser, luden<br />

sie zuweilen in ihre Häuser ein und gaben<br />

ihnen Nahrung. Den Deutschen<br />

hingegen war das Prinzip einer auf Gegenseitigkeit<br />

beruhenden Großzügigkeit<br />

unbekannt. Lediglich <strong>der</strong> Alkoholhandel<br />

mit Zentrum in Neu-Ulm führte<br />

zu einer Begegnung <strong>der</strong> beiden Lebenswelten,<br />

was allerdings weitere Verwerfungen<br />

in <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> Dakota<br />

nach sich zog, die die Brown-County-<br />

Deutschen als »iya-sica« (»Schlechtsprecher«)<br />

bezeichneten und somit<br />

außerhalb <strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft<br />

stellten.<br />

Der Konflikt<br />

Am Nachmittag des 17. August 1862<br />

tötete eine Gruppe junger Dakota fünf<br />

Weiße in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Siedlung Acton,<br />

darunter zwei Frauen. Die Tat war<br />

nicht von langer Hand geplant. Einer<br />

<strong>der</strong> jungen Männer war von einem seiner<br />

Gefährten <strong>der</strong> Feigheit bezichtigt<br />

worden, weil er sich zuvor geweigert<br />

hatte, ein paar Hühnereier von einer<br />

Farm zu stehlen. Alle waren hungrig<br />

und hatten zuvor erfolglos nach Wild<br />

gesucht. Um seine Ehre wie<strong>der</strong>herzustellen,<br />

for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Gescholtene seine<br />

Begleiter auf, in das Farmhaus zu gehen<br />

und die Bewohner zu töten.<br />

Die Tat von Acton wurde zur Initialzündung.<br />

Die Häupter <strong>der</strong> Krieger-<br />

Clans billigten den Mord und die jungen<br />

Männer begannen sich mit Tanzen sowie<br />

Pfeifenzeremonien auf einen Kampf<br />

vorzubereiten. Der Zeitpunkt schien beson<strong>der</strong>s<br />

günstig, die Weißen zu vertreiben,<br />

da sich die Nachrichten von den<br />

Nie<strong>der</strong>lagen <strong>der</strong> Nordstaaten verbreitet<br />

hatten. Wi<strong>der</strong> bessere Einsicht fügte<br />

sich Häuptling Little Crow in den Entschluss<br />

zum Krieg. Er lebte in einem<br />

Holzhaus und war Farmer geworden.<br />

Noch am Vormittag hatte er den Gottesdienst<br />

in <strong>der</strong> Episkopalkirche besucht.<br />

Bereits in <strong>der</strong> Nacht brach ein Teil <strong>der</strong><br />

Dakota unter Little Crow nach Norden<br />

auf, um Fort Ridgeley anzugreifen, die<br />

einzige Garnison im Minnesota-Tal.<br />

Wenn es gelänge, die Soldaten zu besiegen,<br />

würden die Siedler fliehen, so das<br />

Kalkül. Vielen erschien ein Kampf mit<br />

dem gutbewaffneten Militär als zu gefährlich.<br />

Während Little Crow gegen<br />

Fort Ridgeley zog, durchkämmten einige<br />

hun<strong>der</strong>t Krieger in kleinen Trupps<br />

das übrige Tal. Alkoholismus, Hunger<br />

und jahrelange Demütigungen entluden<br />

sich in einem Massaker. Die<br />

vereinzelt liegenden Gehöfte und Ansiedlungen<br />

waren leichte Beute für die<br />

Dakota. Siedler, die sich den Indianern<br />

zuvor als gastfreundlich gezeigt hatten,<br />

wurden zum Teil verschont, wie die in<br />

einer deutschen Siedlung lebende Helen<br />

Carrothers. Sie sprach Dakota und<br />

flehte so um ihr sowie ihrer Kin<strong>der</strong> Leben.<br />

Einige retteten sich durch Flucht zu<br />

befreundeten Dakotas. Den verhassten<br />

»iya-sica« gegenüber wurde aber nur<br />

selten Pardon gegeben. »Ich werde den<br />

Deutschen ihre Köpfe abschneiden,<br />

wenn sie noch atmen«, hatte <strong>der</strong> Dakota-Krieger<br />

Shakopee gedroht. Insgesamt<br />

töteten sie zwischen 450 und 800<br />

Siedler: Männer, Frauen und Kin<strong>der</strong>.<br />

Little Crows Angriff auf Fort Ridgeley<br />

hingegen blieb erfolglos. Da die<br />

meisten Ansiedlungen entlang des<br />

Flusses nie<strong>der</strong>gebrannt und geplün<strong>der</strong>t<br />

worden waren, bot Neu-Ulm das<br />

einzig lohnende Ziel: Läden, Warenlager<br />

und Schnapsdestillen. Der Pfälzer<br />

Jakob Nix verfügte als ehemaliger Badener<br />

Freikorpskämpfer über militärische<br />

Erfahrung, wurde daher »Platzkommandant«<br />

und organisierte mit<br />

Sheriff Karl Roos die Verteidigung. Sie<br />

ließen die Häuser am Stadtrand räumen<br />

und beschränkten sich auf den<br />

Schutz <strong>der</strong> Ortsmitte, die mit Barrikaden<br />

befestigt wurde. Ein erster Angriff<br />

konnte am 18. August abgewehrt werden,<br />

wobei fünf Männer <strong>der</strong> Bürgerwehr<br />

und ein 13-jähriges Mädchen<br />

getötet wurden.<br />

Am Morgen des 25. August sammelten<br />

sich 1000 bis 1200 Dakota-Krieger<br />

auf den Anhöhen vor Neu-Ulm, besetzten<br />

die preisgegebenen Gebäude<br />

und drangen in erbittertem Häuser- sowie<br />

Straßenkampf vor. Benachbarte<br />

Bürgerwehren hatten die Verteidiger<br />

verstärkt, unter denen später ein grotesker<br />

Streit entbrannte, wer denn nun<br />

Neu-Ulm gerettet habe. Als sich die<br />

Dakota am Abend zurückzogen, waren<br />

5Das Hermannsdenkmal in Neu-Ulm,<br />

Minnesota.<br />

Public Domain, über Library of Congress:Library of Congress,<br />

Prints & Photographs Division, HABS MINN,8-NEWUL,3--2<br />

16 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


190 Gebäude nie<strong>der</strong>gebrannt und über<br />

hun<strong>der</strong>t Verteidiger getötet worden.<br />

Die gescheiterten Angriffe auf Fort<br />

Ridgeley und Neu-Ulm bedeuteten das<br />

Ende des Aufstands, zumal zusätzliche<br />

Verbände <strong>der</strong> U.S. Army in das Gebiet<br />

verlegt wurden. Die meisten Dakota<br />

flohen in die westlichen Prärien, wo sie<br />

sich den verwandten Lakota anschlossen.<br />

Ein Farmer erschoss im Juni 1863<br />

Little Crow, als dieser zur Ergänzung<br />

seines Reiseproviants wilde Beeren<br />

pflücken wollte. Die übrigen ergaben<br />

sich auf Gnade o<strong>der</strong> Ungnade <strong>der</strong> Armee.<br />

Standgerichte verurteilten 303 Indianer<br />

zum Tode, dies waren beinahe<br />

alle wehrfähigen Männer. Bischof<br />

Whipple und an<strong>der</strong>e Kirchenmänner<br />

appellierten an Präsident Lincoln, <strong>der</strong><br />

eine Prüfung <strong>der</strong> Urteile anordnete.<br />

Aus den 303 wurden 38 Todesurteile.<br />

Die Amnestierten erwarteten mehrjährige<br />

Haftstrafen.<br />

Die Tage <strong>der</strong> Indianer in Minnesota<br />

waren gezählt. Die gefangenen 1300<br />

Frauen, Kin<strong>der</strong> und alten Männer <strong>der</strong><br />

Dakota wurden im Mai 1863 per<br />

Dampfboot in eine alkaliverseuchte<br />

Einöde am Missouri deportiert. Weniger<br />

als 1000 überlebten den ersten Winter.<br />

Gleichzeitig wurden die an dem<br />

Aufstand unbeteiligten Winnebagos<br />

ausgesiedelt. Allein die Chippewa<br />

durften bleiben, da ihre heimischen<br />

Sumpfgebiete im nördlichen Minnesota<br />

keine Siedler anzogen.<br />

Wirkungsgeschichte<br />

Indianerangriffe auf größere Ansiedlungen<br />

waren selten und ließen sich<br />

daher bei<strong>der</strong>seits des Atlantiks sehr<br />

gut in <strong>der</strong> Presse vermarkten. Bereits<br />

am 21. August 1862 veröffentlichte die<br />

»New York Times« eine erste Meldung.<br />

Bald darauf erschienen Berichte über<br />

die Kämpfe bei Fort Ridgeley und Neu-<br />

Ulm. Horace Greely, Herausgeber <strong>der</strong><br />

Wochenschrift »Harpers Weekly«, deutete<br />

den Aufstand als ein »diabolisches<br />

Komplott <strong>der</strong> Sezessionisten«, um Unionstruppen<br />

von den Fronten des Bürgerkrieges<br />

abzuziehen. Der Bürgerkrieg<br />

selbst war das alles dominierende<br />

Pressethema, sodass den Ereignissen<br />

in Minnesota insgesamt nur nachrangige<br />

Aufmerksamkeit zuteil wurde.<br />

Die spektakuläre Massenhinrichtung<br />

in Mankato sorgte noch ein letztes Mal<br />

für Schlagzeilen.<br />

5Die Belagerung von Neu-Ulm 1862. Zeitgenössischer kolorierter Stich.<br />

Die deutschen Medien übernahmen<br />

die Meldungen meist aus britischen<br />

Zeitungen. Im November 1862 erschien<br />

in <strong>der</strong> »Gartenlaube«, <strong>der</strong> auflagestärksten<br />

Zeitschrift, ein mehrseitiger »Original-Bericht«<br />

über »die Zerstörung<br />

<strong>der</strong> deutsch-amerikanischen Siedlung<br />

New-Ulm durch die Indianer«. Autor<br />

war ein unbekannter Augenzeuge mit<br />

den Initialen »R.F.«, <strong>der</strong> seinen Text per<br />

Schiff an die Leipziger Redaktion geschickt<br />

hatte. Angesichts <strong>der</strong> verübten<br />

Gräueltaten for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Verfasser die<br />

Aufstellung einer »Kriegsmacht zum<br />

Ausrottungskriege gegen die Rothäute<br />

[...], unter <strong>der</strong>en Schutze allein das <strong>der</strong><br />

Kultur verloren gegangene Land wie<strong>der</strong><br />

erobert werden kann«. Vermutlich<br />

hat Karl May, selbst Autor für die »Gartenlaube«,<br />

den Text gekannt und den<br />

Namen Neu-Ulm in »Winnetou 2« verwendet,<br />

ohne jedoch auf Details zu<br />

achten. Der Drehbuchautor Harald G.<br />

Petersson griff die Neu-Ulm-Erwähnung<br />

auf und gab ihr 1964 dramaturgische<br />

Bedeutung. Die wirkungsmächtigste<br />

literarische Verarbeitung <strong>der</strong><br />

Schlacht stammt von einem US-Autor.<br />

In seinem 1970 erschienenen Welterfolg<br />

»Begrabt mein Herz an <strong>der</strong> Biegung<br />

des Flusses« behandelt Dee Brown in<br />

Kapitel 2 den Sioux-Aufstand in Minnesota.<br />

Helden sind hier allerdings nicht<br />

die Weißen, son<strong>der</strong>n die Indianer.<br />

Neu-Ulm selbst entwickelte sich <strong>der</strong>weil<br />

zu einem blühenden Gemeinwesen.<br />

Im Oktober 1897 kamen über<br />

10 000 Deutsch-Amerikaner in die<br />

Stadt, um die feierliche Einweihung<br />

eines Hermansdenkmals zu begehen.<br />

Es war etwas kleiner als das 1876 bei<br />

Detmold errichtete Vorbild, das den<br />

Sieg <strong>der</strong> Germanen im Jahre 9 n.Chr.<br />

über drei römische Legionen verherrlichte.<br />

»Mag dieses Denkmal spätere Generationen<br />

daran erinnern«, so Festredner<br />

Julius Schütze, »dass es von<br />

Männern errichtet wurde, die sowohl<br />

dem Land ihrer Geburt als auch dem<br />

Vaterland ihrer Wahl die Treue hielten.«<br />

Die doppelte Loyalität wurde alsbald<br />

auf eine harte Probe gestellt. Im Zeitalter<br />

<strong>der</strong> Weltkriege wurden die Deutsch-<br />

Amerikaner zu Amerikanern ohne Bindestrich;<br />

»Hermann the German«, so<br />

die populäre Bezeichnung für das<br />

Denkmal, diente als Zielscheibe für<br />

Schusswaffen jeglichen Kalibers.<br />

Mittlerweile erlebt das deutsche Erbe<br />

wie<strong>der</strong> eine kleine Renaissance. Im<br />

Jahre 2000 wurde das Hermann<br />

Heights Monument, so <strong>der</strong> offizielle<br />

Name, in die Liste <strong>der</strong> nationalen Monumente<br />

<strong>der</strong> Vereinigten Staaten aufgenommen.<br />

Deutsche Gemütlichkeit<br />

hat wie<strong>der</strong> Konjunktur und unter<br />

»www.germanshavemorefun.com«<br />

erfährt man den Termin für das Neu-<br />

Ulmer Oktoberfest. Auch Indianern ist<br />

<strong>der</strong> Besuch gestattet.<br />

Literaturtipps<br />

Holger Bütow<br />

Don Heinrich Tolzmann (Hrsg.), Memories of the Battle of<br />

New Ulm. Personal Accounts of the Sioux Uprising. L.A.<br />

Fritzsche´s History of Brown County, Minnesota (1916),<br />

Westminster, CO 2007.<br />

Gary Clayton An<strong>der</strong>son, Kinsmen of Another Kind. Dakota-<br />

White Relations in the Upper Mississipi Valley, 1650-1862,<br />

St. Paul, MN 1997.<br />

Kenneth Carley, The Dakota War of 1862, St. Paul, MN<br />

1976.<br />

Public Domain, über Library of Congress: Library<br />

of Congress, Prints & Photographs Division, LC-USZC4-2995<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />

17


Kriegsfilme <strong>der</strong> 1950er Jahre<br />

Stiftung Deutsche Kinemathek Museum für Film und Fernsehen<br />

»So war <strong>der</strong> Landser?«<br />

Das Bild deutscher Soldaten in westdeutschen<br />

Kinofilmen <strong>der</strong> 1950er Jahre<br />

5»Rommel – Der Wüstenfuchs« (Henry Hathaway, 1951) mit James Mason in <strong>der</strong><br />

Hauptrolle.<br />

Nach <strong>der</strong> Ära <strong>der</strong> »Trümmerfilme«<br />

(1945–1949) mit ihren<br />

kritischen Anspielungen auf<br />

die Zeit des Nationalsozialismus begann<br />

das neue Jahrzehnt auch mit<br />

neuen filmischen Trends. Die entbehrungsreiche<br />

Zeit des Wie<strong>der</strong>aufbaus<br />

und die deutsche Verantwortung für<br />

den Aufstieg Hitlers fanden sich nicht<br />

mehr in den Filmen <strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />

Im Jahre 1951 kam <strong>der</strong> US-amerikanische<br />

Film »Rommel – Der Wüstenfuchs«<br />

(engl. »The Desert Fox«) auch in<br />

die westdeutschen Kinos und wurde<br />

zum Kassenschlager. Deutsche Soldaten<br />

wurden erstmals positiv dargestellt,<br />

was den Publikumsgeschmack<br />

traf. Der Zuschauer sah einen Kriegsfilm<br />

über Generalfeldmarschall Erwin<br />

Rommel, <strong>der</strong> die deutschen Soldaten<br />

als ritterliche Kämpfer und Opfer ihrer<br />

politischen Führung darstellte. Die<br />

Wie<strong>der</strong>herstellung deutscher »Soldatenehre«<br />

war aber nicht nur Ausdruck<br />

des zunehmenden Interesses im Westen<br />

an einem deutschen Militärbeitrag,<br />

son<strong>der</strong>n auch eine Strategie, um auf<br />

dem westdeutschen Markt erfolgreich<br />

US-amerikanische Filme abzusetzen.<br />

Dieser Erfolg rief nun die westdeutsche<br />

Filmindustrie auf den Plan, die<br />

versuchte, bereits gut eingeführte<br />

Kriegsliteratur zu verfilmen.<br />

Die Bundesrepublik Deutschland<br />

ab 1950<br />

Zwar lag 1949 <strong>der</strong> Krieg schon vier<br />

Jahre zurück. Er wirkte aber, neben <strong>der</strong><br />

außenpolitischen Isolation, innerhalb<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft selbst nach. An<strong>der</strong>s als<br />

die Westalliierten, ließ die sowjetische<br />

Führung die »letzten Zehntausend«<br />

<strong>der</strong> Millionen deutschen Kriegsgefangenen<br />

1956 erst nach langen Verhandlungen<br />

nach Westdeutschland zurückkehren.<br />

Fast zeitgleich bestimmte seit<br />

Beginn des Koreakrieges das Thema<br />

»Wie<strong>der</strong>bewaffnung« die Tagespolitik.<br />

Der Wi<strong>der</strong>stand in den Medien und<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung gegen neue westdeutsche<br />

Streitktkräfte war groß. Ironischerweise<br />

erfolgte 1955 die Gründung <strong>der</strong><br />

Bundeswehr fast genau auf dem Scheitelpunkt<br />

<strong>der</strong> westdeutschen »Kriegsfilmwelle«.<br />

Dies nährte Verschwörungstheorien<br />

über das Verhältnis von<br />

Politik und Filmindustrie. Letztere<br />

profitierte aber eher vom Wirtschaftsaufschwung,<br />

da <strong>der</strong> Bundesbürger zunehmend<br />

über mehr Geld für Freizeitaktivitäten<br />

verfügte. Auch <strong>der</strong> Bund<br />

und die Län<strong>der</strong> gaben mehr Haushaltsmittel<br />

für die Filmför<strong>der</strong>ung aus.<br />

Hinzu kam die personelle Kontinuität<br />

zwischen »Drittem Reich« und <strong>der</strong> jungen<br />

Bundesrepublik Deutschland, die<br />

sich durch alle Bereiche zog, die Filmindustrie<br />

eingeschlossen. Die »Entnazifizierung«,<br />

das heißt die Entfernung<br />

von nationalsozialistischem Personal<br />

aus Politik, Gesellschaft, Verwaltung<br />

und Wirtschaft, sowie die Kriegsverbrecherprozesse<br />

erreichten zwischen<br />

1945 und 1950 ihren Höhepunkt. Danach<br />

sank das Interesse <strong>der</strong> Bevölke­<br />

18 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


5Bundespräsident Theodor Heuss zusammen<br />

mit Rückkehrern aus <strong>der</strong><br />

Kriegsgefangenschaft am Grenzübergang<br />

Friedland (1955).<br />

rung in Westdeutschland an dieser<br />

Thematik merklich. Insgesamt gesehen<br />

wirkten wesentliche Strukturbedingungen<br />

<strong>der</strong> Alltags- und Unterhaltungskultur<br />

aus <strong>der</strong> Zeit vor 1945 auch<br />

in <strong>der</strong> jungen Bundesrepublik unterschwellig<br />

fort. Dies betraf zweifelsohne<br />

auch das Kino. Darunter fielen ebenso<br />

die Filmschaffenden – zum Teil auch<br />

populäre Regisseure, Schauspieler und<br />

Autoren – und die Gestaltung <strong>der</strong><br />

Filme selbst.<br />

Faszination Kriegsfilm<br />

inhaltliche Gestaltung <strong>der</strong> Filme zurückzuführen.<br />

Eine genaue Analyse<br />

<strong>der</strong> bundesrepublikanischen Kinobesucher<br />

bezogen auf Alter, Geschlecht,<br />

Beruf usw. ist wegen fehlen<strong>der</strong> Datensätze<br />

nicht mehr möglich. Einzig die<br />

Besucherzahlen und die öffentliche Resonanz<br />

in den Medien lassen vermuten,<br />

wie ein Kriegsfilm beim Publikum<br />

ankam. Der kommerzielle Erfolg von<br />

»Rommel – Der Wüstenfuchs« erhärtete<br />

die Annahme <strong>der</strong> Filmschaffenden,<br />

dass ein bestimmtes Bild des<br />

»Landsers« zum Erfolg führte. Zum<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> Uraufführung war Rommels<br />

erzwungener Selbstmord im Zusammenhang<br />

mit seiner Mitwisserschaft<br />

am militärischen Wi<strong>der</strong>stand<br />

<strong>der</strong> westdeutschen Bevölkerung nur<br />

teilweise bekannt. Vielmehr hatte das<br />

von <strong>der</strong> NS-Propaganda gezeichnete<br />

Bild des Generalfeldmarschalls als<br />

Held des Afrikafeldzugs weiterhin Bestand.<br />

In diese Sichtweise passten we<strong>der</strong><br />

ein Erwin Rommel, <strong>der</strong> anfangs als<br />

glühen<strong>der</strong> Verehrer Adolf Hitlers galt,<br />

noch ein Wi<strong>der</strong>ständler gegen das Regime.<br />

Aus Sicht <strong>der</strong> Filmschaffenden<br />

versprach also das öffentliche, positive<br />

Bild Rommels mehr Aussicht auf Erfolg<br />

als die historisch-kritische Aufarbeitung<br />

seiner Rolle im »Dritten Reich«.<br />

Hinzu kam die Tatsache, dass im Zweiten<br />

Weltkrieg weit über zehn Millionen<br />

Deutsche Dienst in <strong>der</strong> Wehrmacht leisteten<br />

und bis 1968 noch etwa 37 Prozent<br />

<strong>der</strong> männlichen Westdeutschen<br />

Kriegsteilnehmer waren. Diese große<br />

Zuschauergruppe hatte mutmaßlich<br />

eine hohe Erwartungshaltung an die<br />

Gestaltung <strong>der</strong> Kriegsfilme und ihrer<br />

Figuren. Insgesamt waren jene Kinofilme<br />

an <strong>der</strong> Kinokasse erfolgreich, die<br />

den Soldaten – egal welchen Dienstgrad<br />

er bekleidete – als Opfer <strong>der</strong> Umstände<br />

des Krieges darstellten. Wenn<br />

<strong>der</strong> Offizier denn schon als Angehöriullstein<br />

bild<br />

Seitdem das Medium Film und das<br />

Kino eine zunächst konkurrenzlose<br />

Bindung eingegangen waren, fanden<br />

sich auch in Deutschland regelmäßig<br />

Kriegsfilme in den Lichtspielhäusern.<br />

In <strong>der</strong> Weimarer Republik wurden<br />

Filme über den Ersten Weltkrieg gezeigt.<br />

Diese Tendenz setzte sich nach<br />

1933 fort. So wurde nach 1939 in deutschen<br />

Filmen das aktuelle Kriegsgeschehen<br />

verarbeitet (z.B. »Wunschkonzert«,<br />

1940, und »Die große Liebe«,<br />

1942). Im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t wird <strong>der</strong><br />

Kriegsfilm als Genre – an<strong>der</strong>s als in<br />

den 1950er Jahren und davor – fast unangefochten<br />

durch US-amerikanische<br />

Produktionen dominiert. Jedoch ist<br />

den Kriegsfilmen nach weitläufiger<br />

Meinung heute wie gestern eines gemeinsam:<br />

die Darstellung eines historischen<br />

Krieges des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />

Der kommerziell erfolgreiche Kriegsfilm<br />

zeigt aber nicht nur den Waffengang<br />

an sich, son<strong>der</strong>n vor allem die<br />

von ihm Betroffenen. Spielfilme erzählen<br />

eine Geschichte, für die die militärische<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung den Rahmen<br />

bildet. Somit können vor allem<br />

Liebesgeschichten im Krieg geeignet<br />

sein, den breiten Geschmack des Publikums<br />

zu treffen. Je stärker das Frontgeschehen<br />

die handelnden Personen beeinflusst,<br />

desto höher ist die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass sich <strong>der</strong> Zuschauer<br />

auf den Film einlässt. Realismus <strong>der</strong><br />

Darstellung und Emotionen <strong>der</strong> Darsteller<br />

gehen Hand in Hand. Das Prinzip<br />

funktionierte sowohl bei »Die große<br />

Liebe« (1942) als auch bei »Pearl Harbor«<br />

(2001). Problematisch für das Verhältnis<br />

von Kinobesuchern zum Kriegsfilm<br />

wird <strong>der</strong> Inhalt dann, wenn Erwartungshaltung<br />

und Abbildung des<br />

Krieges voneinan<strong>der</strong> abweichen. Ein<br />

Film mit kritischem Unterton o<strong>der</strong> neuesten<br />

historischen Erkenntnissen muss<br />

nicht zwingend beim Publikum im jeweiligen<br />

zeitlichen Kontext ankommen.<br />

Wie konnten dann ausgerechnet<br />

die Kriegsfilme in den 1950er Jahren<br />

<strong>der</strong>maßen kommerziell erfolgreich<br />

sein? Zu diesem Zeitpunkt ging in <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik Deutschland je<strong>der</strong><br />

Bürger im Durchschnitt 16 Mal pro<br />

Jahr ins Kino. Der Bundesbürger betrat<br />

aber nicht nur eines <strong>der</strong> vielen Lichtspielhäuser,<br />

um sich mittels Vor- bzw.<br />

Kulturfilm zu informieren. Er wollte<br />

vielmehr das bekommen, was <strong>der</strong> heutige<br />

Kinobesucher auch sucht: Unterhaltung<br />

o<strong>der</strong> Ablenkung. In diesem<br />

Zusammenhang stellt sich aber die<br />

Frage, wie Kriegsfilm und Unterhaltung<br />

zusammen passen. Im westdeutschen<br />

Kino <strong>der</strong> 1950er Jahre gehörte<br />

neben dem Heimatfilm (»Grün ist die<br />

Heide«, 1951) und dem Musikfilm<br />

(»Große Star-Parade«, 1954) gerade <strong>der</strong><br />

Kriegsfilm zu den wohl beliebtesten<br />

Genres. Was aus heutiger Warte merkwürdig<br />

erscheint, war aus Sicht <strong>der</strong><br />

Bundesbürger anno 1950 halbwegs<br />

normal. Eine Welle von 225 (!) Kriegsfilmen<br />

überschwemmte den bundesrepublikanischen<br />

Markt von 1948 bis<br />

1959. Davon stammten etwa 50 Filme<br />

aus deutschsprachiger Produktion. An<strong>der</strong>s<br />

als heute bestimmten damals u.a.<br />

diese Filme über deutsche Kriegsgeschichte<br />

maßgeblich die Höhe <strong>der</strong> Einspielergebnisse.<br />

Erfolgsmodelle des Kriegsfilms<br />

Der regelmäßig große Zuschauerandrang<br />

bei Kriegsfilmen in den 1950er<br />

Jahren ist konsequenterweise auf die<br />

Verlag für Filmschriften Hebertshausen<br />

5Theater- und Kinosaal (1950).<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />

19


Kriegsfilme <strong>der</strong> 1950er Jahre<br />

ger des militärischen Wi<strong>der</strong>standes<br />

gezeigt werden musste, dann hauptsächlich,<br />

um sich vom NS-Regime abzusetzen,<br />

sein Gewissen zu wahren<br />

und die Leiden seiner Männer bzw. <strong>der</strong><br />

Bevölkerung beenden zu wollen. Die<br />

Wehrmacht galt auch und gerade im<br />

anglo-amerikanischen Ausland als ritterlicher<br />

Gegner im Gegensatz zur<br />

Waffen-SS o<strong>der</strong> zu Organisationen <strong>der</strong><br />

NSDAP. Dieses Motiv <strong>der</strong> scharfen Abgrenzung<br />

von Täter und Opfer bzw.<br />

Gut und Böse erleichterte die Identifizierung<br />

des Zuschauers mit den<br />

handelnden Personen im Film. In Verbindung<br />

mit dem Prädikat des »Antikriegsfilms«<br />

war zusätzlich die Absicht<br />

einer Relativierung von Schuld erkennbar.<br />

Somit konnte <strong>der</strong> Kriegsfilm auch<br />

halbwegs unbedenklich von <strong>der</strong> »Freiwilligen<br />

Selbstkontrolle <strong>der</strong> Filmwirtschaft«<br />

(FSK) eingestuft werden. Die<br />

FSK wollte so eine propagandistische<br />

Wirkung <strong>der</strong> Filme in Form einer Militarisierung<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft verhin<strong>der</strong>n.<br />

Für die Filmindustrie war das<br />

nicht unwichtig, da eine höhere Altersfreigabe<br />

immer auch den Kreis <strong>der</strong> potenziellen<br />

Kinobesucher einschränkte.<br />

Soldaten- und Heldentum<br />

Die Kriegsfilme »08/15« (Paul May,<br />

1954) und »Der Stern von Afrika« (Alfred<br />

Weidenmann, 1957) gehörten mit<br />

Abstand zu den erfolgreichsten <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik. Sie konnten inhaltlich<br />

überzeugen und auch an den Kinokassen<br />

die Erwartungen erfüllen. »08/15«<br />

basierte auf dem Roman von Hans<br />

Hellmut Kirst, in dem er zum Teil eigene<br />

Erfahrungen als Soldat verarbeitete<br />

und sein Werben gegen eine Wie<strong>der</strong>bewaffnung<br />

zum Ausdruck brachte.<br />

Der Film war nicht nur <strong>der</strong> erfolgreichste<br />

Kriegsfilm in <strong>der</strong> Bundesrepublik,<br />

son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> kommerziell erfolgreichste<br />

Kinofilm des Jahres 1955.<br />

Der Film spielt in <strong>der</strong> Kaserne einer Artillerieabteilung<br />

im Jahre 1939 kurz vor<br />

dem deutschen Angriff auf Polen. Handelnde<br />

Personen sind <strong>der</strong> Gefreite<br />

Asch, <strong>der</strong> Obergefreite Kowalski und<br />

<strong>der</strong> Kanonier Vierbein auf <strong>der</strong> einen,<br />

sowie <strong>der</strong> Hauptwachtmeister Schulz,<br />

<strong>der</strong> Wachtmeister Platzek und <strong>der</strong> Unteroffizier<br />

Lindenberg auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite. Die Handlung dreht sich hauptsächlich<br />

um den zum Teil als sinnlos<br />

empfundenen Dienstalltag und das<br />

Verhalten <strong>der</strong> Vorgesetzten gegenüber<br />

den Untergebenen. Auffällig ist das distanzierte<br />

Verhältnis aller Charaktere<br />

zum Nationalsozialismus, das sich unter<br />

an<strong>der</strong>em im kritischen Unterton <strong>der</strong><br />

Vorgesetzten äußert. Gerade das bewusste<br />

Abwenden des Kommandeurs<br />

von einem Hitler-Portrait vermittelt<br />

symbolisch eine Distanz zum NS-Regime.<br />

Auch wenn <strong>der</strong> Krieg zunächst<br />

nur als drohende Vorahnung im Film<br />

und gegen Ende in einer Radioansprache<br />

Erwähnung findet, so ist er für alle<br />

Beteiligten mehr o<strong>der</strong> weniger präsent.<br />

Insgesamt war es ein eher unpolitischer<br />

Film mit seichter, komödiantischer Unterhaltung<br />

und einem hohen Identifikationspotenzial<br />

für den Zuschauer.<br />

Die Ereignisse im Film hätten trotz<br />

Übertreibungen in vielen deutschen<br />

Kasernen stattfinden können und bedienten<br />

»vielmehr geschickt die Unterhaltungserwartung<br />

des Publikums«<br />

(Lexikon des internationalen Films).<br />

Eine ähnliche Gestaltung zeichnet<br />

den Kriegsfilm »Der Stern von Afrika«<br />

über den Jagdflieger Hans-Joachim<br />

Marseille aus. Der Film von Alfred<br />

Weidenmann, <strong>der</strong> bereits 1944 im Dritten<br />

Reich mit »Junge Adler« einen Fliegerfilm<br />

produziert hatte, stellt die Karriere<br />

Marseilles als Jagdflieger bis zum<br />

Einsatz beim Afrika-Korps dar. Trotz<br />

ständiger Präsenz des Krieges erzeugt<br />

<strong>der</strong> Film eine positive Grundstimmung,<br />

die sowohl auf Marseilles Spaß<br />

am Fliegen als auch auf relativ gute<br />

Spezialeffekte aufbaut. Hier entstand<br />

gerade für den jungen Zuschauer eine<br />

starke Identifikationsfigur. Auch wenn<br />

Marseille die Folgen seiner Kriegsbelastung<br />

bereits früh im Film spürt, sind<br />

für ihn Konsequenzen o<strong>der</strong> Zweifel am<br />

Krieg undenkbar. Ebenfalls auffällig<br />

ist, dass we<strong>der</strong> ungeschminkte Bil<strong>der</strong><br />

des Krieges noch <strong>der</strong> eigentliche<br />

Kriegsgegner – mit einer Ausnahme –<br />

gezeigt werden. Dieser Umstand führte<br />

zu öffentlicher Kritik, da <strong>der</strong> Film mit<br />

dem ein Jahr zuvor eingeleiteten Aufbau<br />

<strong>der</strong> bundesdeutschen Luftwaffe<br />

auf den Markt kam. Aber auch wenn<br />

das neu gegründete Verteidigungsministerium<br />

die Kreditanstalt bei <strong>der</strong> Vergabe<br />

von Mitteln zur Filmför<strong>der</strong>ung<br />

beriet, wurden im Drehbuch von »Der<br />

Stern von Afrika« keine wesentlichen<br />

Än<strong>der</strong>ungswünsche <strong>der</strong> Experten berücksichtigt.<br />

Damit blieb eine För<strong>der</strong>ung<br />

aus und auch die FSK äußerte<br />

Kritik am Inhalt des Films. Somit war<br />

die positive Darstellung <strong>der</strong> Fliegerei<br />

sicherlich ein willkommener Nebeneffekt<br />

für die junge Bundeswehr, aber da<br />

<strong>der</strong> Inhalt nicht vollständig den Wünschen<br />

des Ministeriums entsprach,<br />

konnte von einer gezielten Steigerung<br />

<strong>der</strong> Wehrfähigkeit hier keine Rede<br />

sein.<br />

Antiheld und Antikrieg<br />

An<strong>der</strong>s als bei den bereits erwähnten<br />

Filmen, konnten auch durchaus kritische<br />

Filme das Publikum überzeugen.<br />

Die Kritik o<strong>der</strong> Ernsthaftigkeit des<br />

Inhalts bezog sich aber bei »Des Teufels<br />

General« (Helmut Käutner, 1955)<br />

und »Die Brücke« (Bernard Wicki,<br />

1959) nicht auf die Verstrickung mit<br />

dem NS-Regime. Beide Filme zeichnete<br />

eher ein schon fast melancholischer<br />

Unterton aus, <strong>der</strong> die vermeintliche<br />

Hilflosigkeit <strong>der</strong> Akteure untermalte.<br />

Der Roman »Die Brücke« von Manfred<br />

Gregor sowie das Theaterstück von<br />

Carl Zuckmayer bildeten die erfolgreichen<br />

Filmvorlagen. »Des Teufels General«<br />

zeigt das Wirken des Generalluftzeugmeisters<br />

Jürgen Harras (eine<br />

Anspielung auf den Jagdflieger Ernst<br />

Udet) in Berlin im November 1941.<br />

Sein Leben ist geprägt durch einen aus­<br />

5Illustrierte Film-Bühne Nr. 3834 zum<br />

Film »Der Stern von Afrika« (Alfred<br />

Weidenmann, 1957). Diese Zeitschrift<br />

wurde von 1946 bis 1969 als Programmbegleitheft<br />

für Kinofilme verkauft.<br />

Verlag für Filmschriften Hebertshausen<br />

20 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


schweifenden Lebensstil und die Probleme<br />

bei <strong>der</strong> von ihm verantworteten<br />

Luftrüstung. Fehlerhafte Konstruktionen<br />

an Bombern <strong>der</strong> Luftwaffe rufen<br />

den Sicherheitsdienst <strong>der</strong> SS auf den<br />

Plan. Der Chefermittler, SS-Gruppenführer<br />

Schmidt-Lausitz, versucht zunächst,<br />

Harras zur Zusammenarbeit zu<br />

bewegen, was dieser schroff ablehnt.<br />

Die Darstellung <strong>der</strong> SS-Angehörigen<br />

ist im Gegensatz zu den Luftwaffensoldaten<br />

durchweg negativ. Als Harras<br />

auf eigene Faust nach den Ursachen<br />

<strong>der</strong> Unfälle forscht, entdeckt er, dass<br />

sein Assistent und Freund O<strong>der</strong>bruch<br />

Konstruktionsfehler verschwiegen hat.<br />

Um ihn zu schützen und auch seinen<br />

Pakt mit dem »Teufel« zu beenden,<br />

wählt Harras den Freitod mit einem<br />

defekten Flugzeug. Dieser Selbstmord<br />

ist auch eine Parallele zu Ernst Udet,<br />

<strong>der</strong> sich nach offensichtlicher Fehlplanung<br />

in <strong>der</strong> Aufrüstung <strong>der</strong> Luftwaffe<br />

und exzessivem Drogenkonsum erschossen<br />

hatte. Um das positive Bild in<br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeit nicht zu schädigen,<br />

gab das NS-Regime einen Flugunfall<br />

als Todesursache vor, was schließlich<br />

in den Film »Des Teufels General« Eingang<br />

fand. Schlussendlich fühlt sich<br />

Harras selbst als <strong>der</strong> Schuldige, obwohl<br />

O<strong>der</strong>bruch von den technischen Problemen<br />

wusste. An<strong>der</strong>s als im Theaterstück<br />

nimmt O<strong>der</strong>bruch aber den Tod<br />

von Kameraden nicht in Kauf. Dadurch<br />

wird nur die Kriegführung selbst behin<strong>der</strong>t<br />

und die Figur wirkt für den<br />

Zuschauer dennoch positiv. Passiven<br />

Wi<strong>der</strong>stand zu leisten, erscheint in diesem<br />

Fall durchaus legitim und nachvollziehbar.<br />

Aber <strong>der</strong> Tod von Harras<br />

ist auch ein Zeichen <strong>der</strong> eigenen Hilflosigkeit<br />

gegenüber dem allmächtigen<br />

Regime.<br />

War Harras in »Des Teufels General«<br />

also eher ein Märtyrer, so sind die<br />

Hauptdarsteller in »Die Brücke«<br />

schlussendlich Opfer. Der Film ist somit<br />

in vielerlei Hinsicht bedeutend.<br />

Wickis Werk beendete 1959 die »Kriegsfilmwelle«<br />

und war sowohl an <strong>der</strong><br />

Kasse als auch bei <strong>der</strong> Filmkritik erfolgreich.<br />

Einzig das Prädikat »Antikriegsfilm«<br />

sorgte für Diskussionen.<br />

Im Film werden gegen Ende des<br />

Krieges an <strong>der</strong> Westfront sieben Schüler<br />

noch zum Dienst in <strong>der</strong> Wehrmacht<br />

eingezogen. Die Jungen sind begeistert,<br />

ihre Familien und ihr Lehrer sind entsetzt.<br />

Nach <strong>der</strong> ersten Hälfte des Films<br />

finden die Schüler mit unterschiedlichem<br />

Hintergrund im Rahmen einer<br />

kleinen Kampfgemeinschaft zueinan<strong>der</strong>.<br />

Nach einer sehr kurzen Grundausbildung<br />

erfolgt <strong>der</strong> erste Einsatz. Amerikanische<br />

Truppen sollen durch das<br />

Bataillon <strong>der</strong> Jungen bekämpft werden.<br />

Auf Wunsch ihres Lehrers teilt <strong>der</strong><br />

Kommandeur die Gruppe an einer zur<br />

Sprengung vorgesehenen Brücke ein.<br />

Der eingeteilte, erfahrene Gruppenführer<br />

soll den Jungen rechtzeitig den<br />

Rückzug befehlen. Von <strong>der</strong> Sprengung<br />

wissen sie nichts, sodass nach <strong>der</strong> Erschießung<br />

des Gruppenführers durch<br />

eine Streife <strong>der</strong> Feldgendarmerie <strong>der</strong><br />

Auftrag klar erscheint. Sie halten die<br />

Brücke in ihrem Heimatort. Als die ersten<br />

US-Amerikaner die Brücke erreichen<br />

und die ersten jungen Kameraden<br />

fallen, ist auch die romantische Vorstellung<br />

vom Krieg vorbei. Mit dem<br />

Ende des Kampfes kommt die Erkenntnis,<br />

dass die Brücke von Anfang an gesprengt<br />

werden sollte. Nur einer <strong>der</strong><br />

Jungen überlebt und versteht die Welt<br />

nicht mehr. Die Darstellung des Krieges<br />

in »Die Brücke« brach mit westdeutscher<br />

Filmtradition. Viele Sequenzen<br />

zeigen den Krieg ungeschminkt und<br />

nüchtern hart. Der »heldenhafte« und<br />

auch erfolgreiche Kampf <strong>der</strong> Jungen an<br />

<strong>der</strong> Brücke schreckte in seiner Sinnlosigkeit<br />

ab. Bei den jugendlichen Zuschauern<br />

des Jahres 1959 schuf er<br />

5Illustrierte Film-Bühne zum Film »Des<br />

Teufels General« (Helmut Käutner,<br />

1955) mit Curd Jürgens als Generalluftzeugmeister<br />

Harras.<br />

Verlag für Filmschriften Hebertshausen<br />

jedoch auch Identifikation mit <strong>der</strong> vermeintlichen<br />

Heldenhaftigkeit. Die Wirkung<br />

als Antikriegsfilm bleibt trotz<br />

anerkannter Zustimmung und <strong>der</strong> Absicht<br />

des Regisseurs bis heute umstritten.<br />

In einem Punkt bleibt auch »Die<br />

Brücke« ein Produkt <strong>der</strong> 1950er Jahre:<br />

in <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Hilflosigkeit des<br />

Einzelnen gegenüber seinem Schicksal<br />

im Krieg.<br />

Propaganda für die »Wie<strong>der</strong>bewaffnung«?<br />

Wie bei allen Kriegsfilmen in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

stand die Unterhaltung<br />

bzw. <strong>der</strong> Absatz im Vor<strong>der</strong>grund. Die<br />

Darstellung des Krieges und <strong>der</strong> Soldaten<br />

war daher nicht zur Steigerung<br />

des Wehrwillens bestimmt. Vielmehr<br />

sollten bereits populäre Motive aus <strong>der</strong><br />

Kriegsliteratur aufgriffen werden, die<br />

deutlich im Sinne des Zuschauers o<strong>der</strong><br />

Lesers waren. Dazu gehörte auch die<br />

Vorstellung, dass nicht alle Deutschen,<br />

vor allem nicht <strong>der</strong> durchschnittliche<br />

Wehrmachtsoldat, eine Schuld am<br />

Krieg o<strong>der</strong> an Kriegsverbrechen hatten.<br />

Die geschichtliche Aufarbeitung<br />

<strong>der</strong> Verstrickungen im »Dritten Reich«<br />

begann verstärkt erst in den 1960ern.<br />

Bis dahin wollte vor allem <strong>der</strong> Kinobesucher<br />

nichts von Verfehlungen <strong>der</strong><br />

Wehrmacht wissen. Nostalgie und<br />

Identifikation mit den Figuren standen<br />

im Vor<strong>der</strong>grund und kamen an <strong>der</strong><br />

Kinokasse in <strong>der</strong> Bundesrepublik auch<br />

besser an. Darum fanden mit Ausnahme<br />

von »Die Brücke« die westdeutschen<br />

und österreichischen Kriegsfilme<br />

im europäischen Ausland keinen Anklang.<br />

Für die allermeisten bundesdeutschen<br />

o<strong>der</strong> österreichischen Kinogeher<br />

<strong>der</strong> 1950er Jahre hingegen war<br />

<strong>der</strong> »deutsche Landser« des Films genau<br />

so dargestellt, wie sie ihn auch sehen<br />

wollten.<br />

Literaturtipps<br />

Benjamin Pommer<br />

Bernhard Chiari /Matthias Rogg / Wolfgang Schmidt (Hg.),<br />

Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Im Auftrag<br />

des Militärgeschichtlichen <strong>Forschungsamt</strong>es, München<br />

2003 (= Beiträge zur Militärgeschichte, 59).<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />

21


Service<br />

Das historische Stichwort<br />

Israels Vergeltungsschlag<br />

in Qibya 1953<br />

Sie waren in Panik geflohen o<strong>der</strong><br />

von Israel gewaltsam vertrieben<br />

worden; an<strong>der</strong>e gingen freiwillig,<br />

um den vorrückenden arabischen Armeen<br />

nicht im Wege zu stehen: Hun<strong>der</strong>ttausende<br />

palästinensische Araber<br />

hatten ihre Heimat verlassen, seit die<br />

Vollversammlung <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

im November 1947 den Beschluss<br />

vorgelegt hatte, das Land Palästina zu<br />

teilen und dort je einen jüdischen und<br />

einen arabischen Staat zu errichten.<br />

Während die Menschen in Tel Aviv<br />

jubelten, weigerte sich die arabische<br />

Seite, das UN-Votum anzuerkennen.<br />

Schnell kam es zu bewaffneten Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

zwischen den jüdischen<br />

Untergrundorganisationen und<br />

den Arabern Palästinas, die nach <strong>der</strong><br />

offiziellen Gründung des Staates Israel<br />

am 14. Mai 1948 in einen offenen Krieg<br />

mündeten. Die Streitkräfte aller vier<br />

arabischen Nachbarstaaten sowie die<br />

des Irak hatten sich aufgemacht, um<br />

die Juden das Fürchten zu lehren. Binnen<br />

weniger Tage sollte es um den<br />

neuen Staat geschehen sein.<br />

Doch die Offensive scheiterte. Israel<br />

konnte den Krieg für sich entscheiden.<br />

Als die Waffen Mitte Juli 1949 schwiegen,<br />

wurden 77 Prozent des bisherigen<br />

britischen Mandatsgebietes Palästina<br />

von den israelischen Streitkräften kontrolliert.<br />

Lediglich 160 000 Palästinenser<br />

verblieben in ihrer angestammten<br />

Heimat.<br />

Der größte Teil <strong>der</strong> arabischen Bevölkerung,<br />

750 000 Menschen, hatte das<br />

Land verlassen. Viele lebten nun in<br />

Flüchtlingslagern in Syrien und im Libanon<br />

o<strong>der</strong> hatten im ägyptisch verwalteten<br />

Gazastreifen und im von Jordanien<br />

besetzten und 1950 annektierten<br />

Westjordanland Zuflucht gefunden.<br />

Abgesehen von begrenzten<br />

Familienzusammenführungen, lehnte<br />

Israel eine massenhafte Rückkehr <strong>der</strong><br />

Flüchtlinge ab. Die Juden wären schnell<br />

zur Min<strong>der</strong>heit im eigenen Staat geworden.<br />

5Ariel Sharon (Mitte) als junger Offizier, 1956.<br />

In Israel nahm man zunächst an, dass<br />

die palästinensischen Araber zügig<br />

und dauerhaft in den Nachbarlän<strong>der</strong>n<br />

angesiedelt werden würden. Diese Annahme<br />

erwies sich allerdings als ebenso<br />

verfehlt wie die vage Hoffnung, die<br />

Waffenstillstandslinien des vergangenen<br />

Krieges könnten zur Grundlage<br />

eines künftigen Friedens werden.<br />

Aus Sicht <strong>der</strong> Araber legte <strong>der</strong> neue<br />

Grenzverlauf demütigendes Zeugnis<br />

ihrer militärischen Nie<strong>der</strong>lage ab und<br />

verstärkte zugleich das Misstrauen,<br />

das sie dem jüdischen Staat und dessen<br />

ullstein bild – AP<br />

22 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


Aufbauleistungen entgegenbrachten.<br />

Zumindest verbal hielten sie an ihrer<br />

Absicht fest, Israel zu vernichten – und<br />

damit auch die baldige Rückkehr aller<br />

geflohenen Palästinenser zu ermöglichen.<br />

Viele Palästinenser indes versuchten,<br />

schon jetzt zu ihrem Grund und Boden<br />

zurückzukehren. Keiner <strong>der</strong> Exilanten<br />

war bereit, Flucht und Vertreibung als<br />

irreversible Kriegsfolge zu akzeptieren.<br />

Im Schutz <strong>der</strong> Dunkelheit überschritten<br />

sie die Grüne Linie zu Israel,<br />

also die faktische Außengrenze des jüdischen<br />

Staates, die 1949 im entsprechenden<br />

Farbton in den Waffenstillstandsabkommen<br />

eingezeichnet worden<br />

war.<br />

Längst gelang es nicht nur jenen Palästinensern,<br />

die zu ihren verlassenen<br />

Fel<strong>der</strong>n und Verwandten zurückkehren<br />

wollten, israelisches Territorium zu<br />

betreten. Immer mehr kriminelle Banden<br />

drangen ins Grenzgebiet ein,<br />

raubten und mordeten und versetzten<br />

die jüdischen Dörfer in Angst und<br />

Schrecken.<br />

Vergebens versuchte Israel, <strong>der</strong><br />

Grenzübergriffe Herr zu werden, obwohl<br />

seine Truppen Sprengsätze legten<br />

und »auf alles feuerten, was sich bewegte«,<br />

wie <strong>der</strong> israelische Historiker<br />

Benny Morris erklärt. 1000 Infiltranten<br />

wurden allein im Jahr 1949 getötet, darunter<br />

viele Unbewaffnete, Frauen und<br />

Kin<strong>der</strong>. Das führte nicht etwa zum<br />

Rückgang <strong>der</strong> Infiltration, son<strong>der</strong>n zur<br />

Ausweitung <strong>der</strong> Gewalt.<br />

Auch die Vergeltungsschläge, die<br />

kleine Einheiten <strong>der</strong> israelischen Infanterie<br />

im Westjordanland und im Gazastreifen<br />

durchführten, zeitigten nicht<br />

den gewünschten Erfolg. Selbst die<br />

Vororte Tel Avivs waren vor arabischen<br />

Attentätern nicht mehr sicher – auch<br />

nicht das Städtchen Yehud. In <strong>der</strong><br />

Nacht zum 13. Oktober 1953 warf eine<br />

Gruppe arabischer Freischärler eine<br />

Handgranate in ein willkürlich gewähltes<br />

Haus und tötete eine Israelin<br />

und zwei ihrer Kin<strong>der</strong> im Schlaf. Ein<br />

halbes Dutzend Attentate ähnlichen<br />

Musters hatte es in den Vormonaten<br />

gegeben, die Zahl <strong>der</strong> Opfer, die Israel<br />

seit 1949 zu beklagen hatte, ging in die<br />

Hun<strong>der</strong>te.<br />

Um den Arabern »eine Lektion zu erteilen«,<br />

sprachen sich Ministerpräsident<br />

David Ben Gurion, <strong>der</strong> amtierende<br />

Verteidigungsminister Pinchas<br />

Lavon, Generalstabschef Mordechai<br />

Makleff sowie sein leiten<strong>der</strong> Operationsoffizier,<br />

Moshe Dayan, für einen<br />

Vergeltungsschlag im jordanischen<br />

Qibya aus. Israels Nachrichtendienst<br />

hatte diesen Ort wie<strong>der</strong>holt als »Terrorbasis«<br />

palästinensischer Araber ausgemacht.<br />

Mit <strong>der</strong> Mission beauftragt wurde<br />

die »Yechida 101«, eine Eliteeinheit <strong>der</strong><br />

israelischen Armee, die im Sommer<br />

1953 eigens für <strong>der</strong>artige Kommandounternehmen<br />

aufgestellt worden war.<br />

Ihr Befehlshaber, <strong>der</strong> spätere israelische<br />

Ministerpräsident Ariel Sharon,<br />

damals 25 Jahre alt und im Range eines<br />

Majors, hatte die 50 Mann starke<br />

Truppe zusammengestellt, einem harten<br />

Training unterworfen und für den<br />

Kampf hinter den feindlichen Linien<br />

ausgebildet.<br />

Der Auftrag <strong>der</strong> Einheit 101 war klar<br />

definiert: Begrenzte militärische Bestrafungen<br />

sollten die Freischärler sowie<br />

jene arabischen Staaten, <strong>der</strong>en<br />

Staatsgebiet ihnen als Stützpunkt<br />

diente, abschrecken, den Terror gegen<br />

Israel aktiv auszuführen bzw. passiv<br />

zu dulden. Am 14. Oktober 1953 habe<br />

das konkret bedeutet, so die Recherchen<br />

von Morris, »das Dorf anzugreifen<br />

und zeitweilig zu besetzen, Häuser<br />

zu demolieren und <strong>der</strong>en Bewohnern<br />

Schaden zuzufügen«, wobei <strong>der</strong> ursprüngliche<br />

Befehl des Generalstabes<br />

dahingehend verän<strong>der</strong>t wurde, dass er<br />

nunmehr »maximale Tötung« verlangte.<br />

»Die Jordanier müssen begreifen«,<br />

notierte Sharon, »dass jüdisches Blut<br />

nicht länger ungestraft vergossen werden<br />

könne«. Bewaffnet mit über einer<br />

halben Tonne Sprengstoff und unterstützt<br />

von einer Kompanie Fallschirmjäger,<br />

machten sich Sharon und seine<br />

Soldaten auf den Weg. Sie schalteten<br />

die jordanischen Sicherheitskräfte aus<br />

und vertrieben die Einwohner Qibyas<br />

aus ihrem Dorf. Bis zum Morgengrauen<br />

des 15. Oktober legten die Truppen<br />

45 Häuser, eine Schule sowie eine<br />

Moschee in Schutt und Asche.<br />

Als die Bewohner zurückkehrten, bot<br />

sich ihnen ein Bild des Grauens. Mehr<br />

als 40 Zivilisten waren von den israelischen<br />

Truppen regelrecht massakriert<br />

worden. Alte, Frauen und Kin<strong>der</strong> hatten<br />

sich in den Speichern und Kellern<br />

versteckt und wurden dann in den<br />

Trümmern ihrer Häuser lebendig begraben,<br />

von Gewehrsalven getötet o<strong>der</strong><br />

offenbar gewaltsam daran gehin<strong>der</strong>t,<br />

die Häuser rechtzeitig zu verlassen.<br />

Die ganze arabische Welt trug Trauer.<br />

Die Muslimbru<strong>der</strong>schaft sann auf blutige<br />

Rache, die internationale Öffentlichkeit<br />

reagierte schockiert. Auch den<br />

USA platzte <strong>der</strong> Kragen: Washington<br />

hielt die zugesagten Hilfszahlungen<br />

zurück. Am 24. November wurde <strong>der</strong><br />

israelische Vergeltungsschlag schließlich<br />

vom UN-Sicherheitsrat verurteilt.<br />

Dennoch zeigte sich Ben Gurion zuversichtlich.<br />

Im Gespräch mit Sharon<br />

meinte er, nicht die internationale Reaktion<br />

sei entscheidend. Vielmehr<br />

komme es darauf an, wie <strong>der</strong> Vergeltungsschlag<br />

in <strong>der</strong> Region, im Nahen<br />

Osten, interpretiert werden würde.<br />

Tatsächlich verstärkte Jordanien seine<br />

Kräfte entlang <strong>der</strong> Grenze, was zumindest<br />

zeitweilig zu einem Rückgang <strong>der</strong><br />

Palästinenserinfiltration führte; die Angriffe<br />

vom Gazastreifen aus hielten dagegen<br />

an.<br />

So reagierte Israel auch fortgesetzt<br />

mit harter Hand, wobei sich die Vergeltungsschläge<br />

nach <strong>der</strong> Tragödie von<br />

Qibya fast ausschließlich gegen feindliche<br />

militärische Einrichtungen und<br />

Truppen richteten. Solche Angriffe erfor<strong>der</strong>ten<br />

allerdings deutlich größere<br />

israelische Truppenstärken und mehr<br />

Waffen als bisher, stellten eine erneute<br />

Demütigung <strong>der</strong> arabischen Staaten<br />

dar und kosteten auf beiden Seiten eine<br />

steigende Zahl von Soldaten das Leben.<br />

Die arabischen Staaten forcierten<br />

daraufhin die Aufrüstung ihrer Streitkräfte,<br />

und insbeson<strong>der</strong>e Ägypten betrieb<br />

eine gezielte Politik <strong>der</strong> Nadelstiche<br />

gegen Israel: Mehr und mehr<br />

palästinensische Kämpfer wurden bewaffnet<br />

und zu Anschlägen über die<br />

Grenze geschickt. Dies und die Tatsache,<br />

dass die Araber dem jüdischen<br />

Staat weiterhin das Existenzrecht verwehrten,<br />

nährten in Israel die Angst<br />

vor einer bevorstehenden »zweiten<br />

Runde«.<br />

Während <strong>der</strong> Nahe Osten auf einen<br />

neuen Waffengang zusteuerte, pochten<br />

die palästinensischen Flüchtlinge<br />

weiterhin auf ein »Recht auf Rückkehr«<br />

ins israelische Kernland. Noch heute<br />

leben viele Palästinenser in jenen Lagern,<br />

die einst als kurzfristiges Provisorium<br />

errichtet worden waren.<br />

Pedi D. Lehmann<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />

23


Service<br />

Neue Medien<br />

Panzergrenadiere<br />

Dossier »Der Erste Weltkrieg«<br />

http://www.bpb.de/geschichte/deutschegeschichte/ersterweltkrieg/<br />

Nicht nur in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Forschung, <strong>der</strong> musealen und publizistischen<br />

Öffentlichkeit wird <strong>der</strong><br />

Erste Weltkrieg in den kommenden<br />

Jahren dominierendes Thema sein.<br />

Auch in <strong>der</strong> historischen (Weiter-)Bildung<br />

belegen die zahlreichen Initiativen,<br />

dass den Ereignissen <strong>der</strong> Jahre<br />

1914 bis 1918 zumindest zwischenzeitlich<br />

eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt<br />

werden wird. Pünktlich dazu<br />

veröffentlichte die Bundeszentrale für<br />

politische Bildung ein umfangreiches<br />

Dossier zur Geschichte des Ersten<br />

Weltkriegs. Unterglie<strong>der</strong>t ist das Dossier<br />

in elf Themenbereiche, die sich den<br />

Ursprüngen, dem Verlauf und einzelnen<br />

Aspekten widmen. Der Fokus ist<br />

dabei nicht allein auf die Kriegsgesellschaft<br />

ausgerichtet, son<strong>der</strong>n es finden<br />

sich auch Beiträge zu Strategie, Waffen<br />

und soldatischer Kriegserfahrung. Angereichert<br />

werden die Themenblöcke<br />

mit Quellenauszügen, Karten und Tondokumenten<br />

aus dem Deutschen Rundfunkarchiv.<br />

Das Spektrum reicht von<br />

Fotografien und Reden, Auszügen aus<br />

militärischen Richtlinien und Plakaten<br />

bis zu Zeitungsartikeln und Beiträgen<br />

aus <strong>der</strong> geschichtswissenschaftlichen<br />

Forschung. Lei<strong>der</strong> sind gerade die Bilddokumente<br />

nicht immer ausreichend<br />

belegt, auch die Anzahl <strong>der</strong> Beigaben<br />

könnte für ein Dossier umfangreicher sein.<br />

Die breit gefächerte Themenwahl eignet<br />

sich dennoch bestens zum Einstieg<br />

für Lehrende und Lernende, zumal Literaturhinweise<br />

zur Vertiefung einladen.<br />

Als Autoren zeichnen sich Wolfgang<br />

Kruse und Bernd Ulrich verantwortlich.<br />

fh<br />

www.FKPG.de<br />

Wer beim Besuch des Internetauftrittes<br />

<strong>der</strong> Truppengattung ausschließlich<br />

eine »grüne Nabelschau«<br />

erwartet, wird angenehm überrascht.<br />

Die angebotenen Artikel sind thematisch<br />

weit gefächert, beschäftigen sich<br />

mit Einsatzerfahrungen und aktuellen<br />

Fragen <strong>der</strong> Reservistenarbeit. Auf <strong>der</strong><br />

Startseite bestärken Links zu den Diensten<br />

von »Morgenlage«, »Augen geradeaus«<br />

und »Nachrichten aus dem<br />

Heer« (entspricht dem Internetauftritt<br />

Heer) den Eindruck, dass <strong>der</strong> »Freundeskreis«<br />

nicht nur <strong>der</strong> administrierten<br />

Meinung Raum gibt. So ist <strong>der</strong> Besucher<br />

am Puls <strong>der</strong> Zeit und bekommt<br />

Appetit auf mehr.<br />

Die auf <strong>der</strong> zweiten Ebene <strong>der</strong> Seite<br />

angebotenen Rubriken können allerdings<br />

<strong>der</strong>zeit hohe Erwartungen noch<br />

nicht erfüllen. Unter dem Menüpunkt<br />

»Informationen« sind einige Beiträge<br />

zur Panzergrenadiertruppe vorhanden,<br />

dieser und die weiteren Themenfel<strong>der</strong><br />

wie Sicherheitspolitik und Einsatz<br />

werden nach und nach befüllt.<br />

Dabei greifen die Macher <strong>der</strong> Website<br />

auch auf bereits bestehende Inhalte aus<br />

Zeitschriften zurück, etwa aus »Der<br />

Panzergrenadier«, aus »Soldat und<br />

Technik«, und auf offizielles Schrifttum<br />

des Bundesministeriums <strong>der</strong> Verteidigung,<br />

so beispielsweise beim Themenfeld<br />

Neuausrichtung des Heeres.<br />

Informationen über den »Verein«<br />

(d.h. den »Freundeskreis«) sind leicht<br />

verständlich und attraktiv präsentiert.<br />

Kernpunkt stellt das Werben um neue<br />

Mitglie<strong>der</strong> da. Der Monatsbeitrag von<br />

zurzeit 2,67 Euro – und damit etwas<br />

mehr als bei vergleichbaren »Freundeskreisen«<br />

<strong>der</strong> Panzertruppe o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Heeresaufklärer – gewährt dem Nutzer<br />

den Zugriff auf den Button »Netzwerk«.<br />

Hier kann nach Kameraden,<br />

freien Stellenangeboten o<strong>der</strong> gemeinsamen<br />

Erlebnissen geforscht werden.<br />

Ebenfalls erfährt <strong>der</strong> Nutzer Wissenswertes<br />

über Medien <strong>der</strong> Selbstdarstellung,<br />

Kommunikation und Traditionspflege<br />

wie die Vereinszeitschrift »Der<br />

Panzergrenadier« o<strong>der</strong> die vom »Freundeskreis«<br />

herausgegebene Chronik<br />

»Panzergrenadiere. Eine Truppengattung<br />

im Spiegel ihrer Geschichte«<br />

(3. überarb. Aufl., Munster 2012). »Bataillone«<br />

ist ein weiterer Bereich betitelt.<br />

Er befindet sich noch im Aufbau,<br />

von einigen Einheiten bzw. Einrichtungen<br />

sind bereits umfassende Informationen<br />

eingestellt, etwa vom Panzergrenadierbataillon<br />

112 o<strong>der</strong> vom<br />

Ausbildungszentrum Munster, bei an<strong>der</strong>en<br />

bedarf es noch <strong>der</strong> Ergänzung.<br />

Insgesamt stellt <strong>der</strong> Internetauftritt<br />

einen gelungenen Ansatz dar, eine<br />

Kommunikationsplattform <strong>der</strong> Panzergrenadiertruppe<br />

mit Informationen<br />

zur Neuausrichtung <strong>der</strong> Bundeswehr<br />

und zu gesamtgesellschaftlichen Diskussionen<br />

über verteidigungspolitische<br />

Inhalte zu verknüpfen. Ehrenamtliche<br />

Webredaktionen stehen vor<br />

<strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung, geeignete Beiträge<br />

beibringen zu müssen: Im Fall<br />

des »Freundeskreises« sind insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Angehörigen <strong>der</strong> Truppengattung<br />

gefor<strong>der</strong>t, sich verstärkt einzubringen<br />

(zuletzt geöffnet am 17.10.2013).<br />

Richard Wagner<br />

www.gottesgarten-bamberg.de<br />

Weihnachten, Ostern und Pfingsten<br />

kennt hierzulande je<strong>der</strong>.<br />

Was aber sind die Gegenstücke in <strong>der</strong><br />

muslimischen und jüdischen Religion?<br />

Welche Feste, Feiertage und Riten werden<br />

dort gepflegt? Der muslimische<br />

Fastenmonat (Ramadan) und das jüdische<br />

Lichterfest (Chanukka) sind<br />

vielleicht noch im Bewusstsein so mancher<br />

verankert, aber sehr viel mehr ist<br />

vermutlich nicht bekannt.<br />

Der »Gottesgarten <strong>der</strong> Religionen –<br />

Das Paradies Berühren« in Bamberg<br />

gibt die Antwort. Er entstand anlässlich<br />

<strong>der</strong> Bayerischen Landesgartenschau<br />

2012 und existiert in <strong>der</strong> fränkischen<br />

Erzbischofsstadt sowie im Internet<br />

weiter. Nicht weniger als vier<br />

Bamberger Institutionen waren dabei<br />

24<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


unter einen Hut zu bringen: das katholische<br />

Erzbistum, das Evangelisch-Lutherische<br />

Dekanat, die Türkisch-Islamische<br />

Gemeinde und die Israelitische<br />

Kultusgemeinde. Im vorliegenden Fall<br />

verdarben viele Köche gerade nicht<br />

den Brei, son<strong>der</strong>n sie würzten ihn anregend.<br />

Die Benutzer <strong>der</strong> Website erfahren<br />

Wissenswertes aus drei Weltreligionen,<br />

<strong>der</strong>en Fundamente, Feste und<br />

Beson<strong>der</strong>heiten in Form einer hervorragenden<br />

Synopse zusammengetragen<br />

worden sind. Entsprechende Links zu<br />

den beteiligten Glaubensgemeinschaften<br />

ergänzen das Angebot und<br />

machen eine kurzweilige Bildungsreise<br />

zu unterschiedlichen Glaubensrichtungen<br />

möglich. Eines haben alle drei<br />

Schriftreligionen gemeinsam: den Garten<br />

Eden. Der ist zwar hier nur virtuell<br />

zu finden, es handelt sich aber um einen<br />

wertvollen Beitrag zum gegenseitigen<br />

Verständnis.<br />

hp<br />

Audioguide Diaries 14-18<br />

http://memoire.pas-de-calais.<br />

com/index.php/en/links.html<br />

Den Spuren des jungen britischen<br />

Krankenträgers Andrew Naylor<br />

kann folgen, wer in Besitz eines Smartphones<br />

und des Audioguides »Diaries<br />

14–18« ist. In 40 einzelnen Tagebucheinträgen<br />

schil<strong>der</strong>t Naylor seine Erlebnisse<br />

und Eindrücke von zehn zentralen<br />

Orten an <strong>der</strong> Westfront zwischen<br />

1914 und 1918: Mont-Saint-Eloi, Vimy,<br />

Arras (Pas-de-Calais), Lijssenthoek<br />

(Westhoek), Fromelles (Nord), Notre-<br />

Dame-de-Lorette, Beaumont-Hamel<br />

(Somme) und Chemin des Dames<br />

(Aisne).<br />

Die sehr aufwendig gestaltete App<br />

zeichnet mit Hilfe neuester technologischer<br />

Möglichkeiten, Archivbil<strong>der</strong>n,<br />

Filmsequenzen und Animationen ein<br />

Abbild des Krieges und vom Leben in<br />

den Schützengräben. Die einzeln abrufbaren<br />

Sequenzen werden immer<br />

mit einem Eintrag aus Naylors Tagebuch<br />

begonnen und dann durch weitere<br />

Schil<strong>der</strong>ungen an<strong>der</strong>er in den<br />

Krieg involvierter Personen, Hintergrundinformationen<br />

zu den jeweiligen<br />

neue<br />

Zeina und ihr Bru<strong>der</strong> warten auf ihre<br />

Orten und touristischen Tipps ergänzt.<br />

Mit Hilfe <strong>der</strong> integrierten Geo-Daten,<br />

die das Ortungssystem des Smartphones<br />

nutzen, können interessierte<br />

Nutzerinnen und Nutzer die Wege an<br />

<strong>der</strong> ehemaligen Westfront selbst abgehen<br />

und wichtige Sehenswürdigkeiten<br />

entdecken. Abwechslungsreiche und<br />

nützliche Ergänzungen stellen zusätzliche<br />

Ausflugsziele, Wan<strong>der</strong>wege und<br />

Links zu weiteren relevanten Webseiten<br />

dar. Die Nutzung <strong>der</strong> GPS-Daten<br />

führt allerdings zu einer drastisch verringerten<br />

Lebensdauer des Akkus und<br />

kann zu weiteren Kosten bei <strong>der</strong> Nutzung<br />

des Smartphones o<strong>der</strong> Tablets im<br />

Ausland führen. Die Offline-Version<br />

benötigt hingegen keine Internet-Verbindung<br />

und kann vor Reisebeginn in<br />

vier Sprachen aus dem Applestore o<strong>der</strong><br />

Androidmarket kostenlos heruntergeladen<br />

werden.<br />

Die Entwicklung des Audioguides<br />

wurde im Rahmen des Projektes »Memory<br />

of the Great War« geför<strong>der</strong>t. Dort<br />

haben sich 20 Partnerorganisationen<br />

und Verbände <strong>der</strong> französischen Regionen<br />

Aisne, Pas-de-Calais, Somme,<br />

Nord und <strong>der</strong> belgischen Provinz Westflan<strong>der</strong>n<br />

zusammengeschlossen, um<br />

ein grenzübergreifendes Netzwerk für<br />

überregionale touristische Strukturen<br />

zu entwickeln, zu för<strong>der</strong>n und nachhaltig<br />

zu stärken.<br />

Markus Pede<br />

!<br />

Comics & Graphic Novels<br />

Alltag im libanesischen<br />

Bürgerkrieg<br />

Zeina Abirached, Das Spiel <strong>der</strong> Schwalben,<br />

München 2013. ISBN 978-3-<br />

939080-770-0; 182 S., 19,95 Euro.<br />

Abirached wuchs in den 1980er Jahren<br />

in Beirut auf, <strong>der</strong> vom libanesischen<br />

Bürgerkrieg zerrissenen Stadt.<br />

Von 1975 bis 1990 bekämpften sich<br />

christliche und muslimische Gruppen,<br />

über 150 000 Zivilisten starben.<br />

Nun erzählt die Graphikerin in ihrem<br />

Debütwerk von ihrer Kindheit,<br />

von ihrer Familie, vom Leben und<br />

Überleben, von Angst und Hoffnung<br />

in Zeiten des Krieges. Schon 2007 erschien<br />

»Le Jeux des Hirondelles« auf<br />

Französisch und nun liegt das Werk<br />

endlich auch in deutscher Übersetzung<br />

vor. Abirached entführt ihre Leserinnen<br />

und Leser in das Jahr 1984, in<br />

das Haus in <strong>der</strong> Rue Youssef Semaani,<br />

direkt am Rand <strong>der</strong> Demarkationslinie.<br />

Eltern, die noch bei <strong>der</strong> Großmutter<br />

sind und schon längst wie<strong>der</strong> zu Hause<br />

sein sollten. Die Routine des Kriegsalltags<br />

treibt die Nachbarn in die Diele<br />

<strong>der</strong> Familie Abirached, dem sichersten<br />

Ort im Haus: Anhala, die gute Seele<br />

<strong>der</strong> Notgemeinschaft, Chucri, den<br />

Sohn <strong>der</strong> Hausmeisterin, <strong>der</strong> sich um<br />

Benzin und Strom kümmert, Ernest,<br />

<strong>der</strong> traurig »Cyrano de Bergerac« rezitiert,<br />

Khaled und Linda, das schicke<br />

Ehepaar aus dem vierten Stock und die<br />

werdenden Eltern Farah und Ramzi,<br />

die ihre Flucht vorbereiten. Nur die<br />

Eltern kommen nicht. Die Zeit des Wartens<br />

wird mit den Geschichten des Alltags<br />

im Krieg gefüllt.<br />

Der Umgang Abiracheds mit Zeichnung<br />

und Sprache ist spielerisch, <strong>der</strong><br />

Stil minimalistisch, schwarze Flächen<br />

dominieren die Seiten. Geprägt wurde<br />

Abirached durch ihren Beruf als Werbezeichnerin<br />

und durch die französische<br />

Comicschule, wie auch Marjane<br />

Satrapi, an <strong>der</strong>en »Persepolis« das<br />

Buch erinnert. Wo Satrapi aber ihr Leben<br />

in epischer Breite zeichnet, begleitet<br />

Abirached ihre Figuren nur für einen<br />

Augenblick, erzählt dennoch so<br />

viel über ihr Leben zwischen den Barrikaden,<br />

mitten in Chaos, Gewalt und<br />

Zerstörung. Ein absolutes Muss.<br />

fh<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />

25


Service<br />

Lesetipp<br />

Kleiner Krieg<br />

Sogenannte asymmetrische Konflikte<br />

tauchten scheinbar urplötzlich aus<br />

dem Nichts auf und galten gar als<br />

»neue Kriege«. Beatrice Heuser greift<br />

in lesbarer Weise bis in die Antike zurück,<br />

um klar zu machen, dass sich<br />

hauptsächlich die Begriffe geän<strong>der</strong>t haben,<br />

<strong>der</strong> »Kleine Krieg« selbst aber uralt<br />

ist. Voraussetzung ist natürlich <strong>der</strong><br />

genaue und sachkundige historische<br />

Blick. Sie geht ihr Thema in zwei großen<br />

Teilen an: »Partisanen und Aufständische«<br />

sowie »Bekämpfung von<br />

Aufständen«. Hierbei stellt sie die Eingangsfrage<br />

»Son<strong>der</strong>einheiten o<strong>der</strong><br />

Rebellen?«, um sich mittels vieler historischer<br />

Beispiele den Themen »Aufstände<br />

und Volkskriege« und »Aufständische,<br />

Gesellschaft und Kriegsziele«<br />

zuzuwenden. Der Kapiteltitel<br />

»Der Löwe im Kampf gegen die Mücken«<br />

entstammt Aesops Fabeln und<br />

macht die Problematik <strong>der</strong> Gewinnbarkeit<br />

von kleinen Kriegen sowie <strong>der</strong> verwendeten<br />

militärischen Mittel deutlich.<br />

Der umfangreiche Abschnitt »Unterdrückung«<br />

beinhaltet Exkurse zu<br />

Genozid, zu ethnischer Säuberung und<br />

am deutschen sowie sowjetischen Beispiel<br />

zu totalitärer Aufstandsbekämpfung.<br />

Beson<strong>der</strong>s beim Partisanenkrieg<br />

ist das Thema »Kampf um Herz und<br />

Verstand <strong>der</strong> Bevölkerung« (6. Kapitel)<br />

von großer Bedeutung, was in den<br />

»Schlussbetrachtungen: Die Praxis und<br />

ihre Probleme« noch einmal aufgenommen<br />

wird. Dass gerade bei Kleinen<br />

Kriegen alles mit allem irgendwie<br />

zusammenhängt, ist sicher keine neue<br />

Einsicht. Die in diesem Buch erfolgte<br />

Benennung <strong>der</strong> einzelnen Faktoren Bevölkerung,<br />

Aufständische, Kriegsziele,<br />

Streitkräfte, unterschiedslose Gewalt<br />

und vor allen Dingen jedoch ihr aufgezeigtes<br />

vielschichtiges Wechselspiel<br />

findet die Leserschaft an<strong>der</strong>swo nicht.<br />

hp<br />

Beatrice Heuser, Rebellen<br />

– Partisanen – Guerilleros.<br />

Asymmetrische<br />

Kriege von <strong>der</strong> Antike bis<br />

heute, Pa<strong>der</strong>born [u.a.]<br />

2013. ISBN 978-3-506-<br />

77605-1; 307 S.,<br />

34,90 Euro<br />

Arabische Welt<br />

Der Orient ist hierzulande in den<br />

Medien u.a. durch den »Arabischen<br />

Frühling«, aber auch durch militärische<br />

Einsätze <strong>der</strong> deutschen Bundeswehr<br />

im Nahen Osten allgegenwärtig.<br />

Umso wichtiger ist es, sich auch mit<br />

<strong>der</strong> Geschichte des Nahen Ostens, mit<br />

den arabischen Län<strong>der</strong>n, <strong>der</strong> dortigen<br />

Bevölkerung und ihrer Kultur auseinan<strong>der</strong>zusetzen,<br />

um diese zu verstehen.<br />

Dem Diplomaten und studierten Orientalisten<br />

Alfred Schlicht ist es mit seiner<br />

»Geschichte <strong>der</strong> arabischen Welt«<br />

gelungen, knapp 3000 Jahre auf nur<br />

400 Seiten zusammenzufassen. Das Beson<strong>der</strong>e<br />

bei Schlicht ist, dass er betont<br />

keine Geschichte des Islam schreiben<br />

will. Er versucht, die Religion nicht in<br />

Alfred Schlicht, Geschichte<br />

<strong>der</strong> arabischen Welt,<br />

Stuttgart 2013. ISBN 978-<br />

3-15-010916-8; 400 S.,<br />

22,95 Euro<br />

den Vor<strong>der</strong>grund zu stellen. Zwar beschreibt<br />

er die Entstehung und Ausbreitung<br />

des Islam, widmet ihm ein<br />

ganzes Kapitel und stellt auch dessen<br />

Bedeutung in <strong>der</strong> Geschichte heraus,<br />

betont aber gleichzeitig auch die des<br />

Christen- und Judentums in <strong>der</strong> arabischen<br />

Welt.<br />

Schlicht geht chronologisch vor, beginnt<br />

mit dem vorislamischen Arabien<br />

und endet mit dem »Arabischen Frühling«.<br />

Seine Unterkapitel sind jedoch<br />

regional unterteilt. Beson<strong>der</strong>s herausgestellt<br />

werden die Bedeutung Europas<br />

für den Orient und die sich zunehmend<br />

verschiebende Machtkonstellation<br />

zwischen arabischer und europäischer<br />

Welt. Das Verhältnis des Nahen<br />

zu dem Fernen Osten wird lediglich<br />

unter dem Aspekt <strong>der</strong> europäischen<br />

Einmischung und Machtzunahme betrachtet.<br />

Der europäische Blickwinkel<br />

überwiegt in Schlichts Betrachtung.<br />

Dennoch ist es ihm gelungen, die komplexe<br />

arabische Welt sehr verständlich<br />

und informativ darzustellen, ohne weit<br />

ausholen zu müssen.<br />

Antonia v. Randow<br />

Mecklenburger Militär<br />

Militärgeschichte war in Deutschland<br />

lange preußisch dominiert.<br />

Dann kamen Österreich, Bayern, Sachsen<br />

und Württemberg. Mecklenburg,<br />

von dem es scherzhaft hieß, man solle<br />

beim Weltuntergang dorthin reisen, da<br />

dies dort erst 50 Jahre später geschehe,<br />

rangierte lange Zeit eher unter »ferner<br />

liefen«. Die beiden anzuzeigenden<br />

Bände aus <strong>der</strong> Reihe »Schriften zur Geschichte<br />

Mecklenburgs« wollen dies<br />

än<strong>der</strong>n, was ihnen erstens eindrucksvoll<br />

gelingt und zweitens deutlich<br />

macht, wie fruchtbar <strong>der</strong> detaillierte<br />

Blick auf die eher kleineren Staaten<br />

sein kann. Der im Hauptteil zwar eher<br />

rein chronologische Bericht über die<br />

Einsätze <strong>der</strong> Soldaten <strong>der</strong> Mecklenburger<br />

Teilherzogtümer in den Napoleonischen<br />

Kriegen besticht durch Uniformdarstellungen<br />

sowie durch einen<br />

umfangreichen Anhang. Zu diesem gehören<br />

Marsch- und Schlachtordnungen<br />

sowie Personenlisten <strong>der</strong> Regimenter<br />

und eine ganze Reihe von Kurzbiographien.<br />

Eher historisch problemorientiert<br />

ist <strong>der</strong> Band über die Jahre 1848/49<br />

ausgefallen. Hier wird zunächst ein<br />

Überblick über die Mecklenburger<br />

Truppen in <strong>der</strong> Kontingentarmee des<br />

Deutschen Bundes geboten. Es folgt<br />

eine Darstellung <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Verbände<br />

im Kampf gegen den äußeren<br />

Feind Dänemark und gegen den inneren<br />

Feind <strong>der</strong> Revolution.<br />

Im Bereich <strong>der</strong> Mecklenburgischen<br />

(Militär-)Geschichte tut sich also Einiges<br />

und wer beim Weltuntergang wirklich<br />

verreisen will, <strong>der</strong> sollte sich vielleicht<br />

ein an<strong>der</strong>es Ziel suchen.<br />

hp<br />

Klaus-Ulrich Keubke und Uwe<br />

Poblenz, Die Mecklenburger in<br />

den Napoleonischen Kriegen<br />

1806-1815, Schwerin 2011<br />

(= Schriften zur Geschichte<br />

Mecklenburgs, 26). ISBN 978-<br />

3-00-034517-3; 198 S.,<br />

20,00 Euro<br />

Klaus-Ulrich Keubke und Ralf<br />

Mumm, Mecklenburger Truppen<br />

in Schleswig-Holstein, in<br />

Baden und bei inneren Unruhen<br />

im eigenen Lande<br />

1848/49, Schwerin 2012 (=<br />

Schriften zur Geschichte<br />

Mecklenburgs 28). ISBN 978-3-<br />

00-039733-2; 194 S., 20,00 Euro<br />

26 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


Memoiren 1938–1945<br />

Der größte Feind des Historikers ist<br />

<strong>der</strong> Zeitzeuge. Was passiert, wenn<br />

<strong>der</strong> Historiker selbst aus seinem Leben<br />

berichtet: Wird er sein eigener Feind?<br />

Die Antwort lautet: nein.<br />

Christoph Allmayer-Beck, langjähriger<br />

Direktor des Heeresgeschichtlichen<br />

Museums, Präsident <strong>der</strong> Österreichischen<br />

Kommission für Militärgeschichte,<br />

Verfasser einschlägiger historischer<br />

Standardwerke und Offizier,<br />

war in puncto Militär familiär vorbelastet,<br />

meldete sich nach seiner Matura<br />

1936 zur Artillerie, durchlief die Offizierausbildung<br />

des Österreichischen<br />

Bundesheeres und wurde nach dem<br />

»Anschluss« 1938 in die Wehrmacht<br />

übernommen. Dies bedeutete für den<br />

1918 in Baden bei Wien geborenen All­<br />

Johann Christoph<br />

Allmayer-Beck, »Herr<br />

Oberleitnant, det<br />

lohnt doch nicht!«<br />

Kriegserinnerungen<br />

an die Jahre 1938 bis<br />

1945. Hrsg. von<br />

Erwin A. Schmidl,<br />

Wien [u.a.] 2013.<br />

ISBN 978-3-205-<br />

78891-1; 559 S.,<br />

39,00 Euro<br />

mayer-Beck die Versetzung ins ferne<br />

Ostpreußen. Den Krieg selbst erlebte er<br />

in verschiedenen Funktionen an <strong>der</strong><br />

Front und im »partisanendurchtränkten«<br />

Hinterland auf Kriegsschauplätzen<br />

in Polen, Frankreich und <strong>der</strong><br />

Sowjetunion. Das Kriegsende erlebte<br />

er in Österreich und musste sich mit 27<br />

Jahren völlig neu orientieren. Dies war<br />

nicht ungewöhnlich, galt für Millionen<br />

an<strong>der</strong>e auch und ebenso haben viele<br />

Hun<strong>der</strong>te ihre Kriegserinnerungen<br />

aufgeschrieben. Selten jedoch sind Memoiren<br />

so sorgfältig herausgegeben<br />

worden. Dies beginnt mit einem umfangreichen<br />

Glossar zu deutsch-österreichischen<br />

Militärfachbegriffen und<br />

endet mit einem Personen- und Ortsregister.<br />

Das im Titel verwendete Zitat<br />

bezieht sich auf einen schwer verwundeten<br />

Rotarmisten, dem nach Aussage<br />

eines Soldaten ohnehin nicht mehr zu<br />

helfen war. Dies war Allmayer-Becks<br />

Schlüsselerlebnis beim Nachdenken<br />

über Sinn und Unsinn des Krieges.<br />

hp<br />

Überwachung Bundesrepublik<br />

Noch vor wenigen Monaten wäre<br />

das Thema Post- und Telefonüberwachung<br />

wohl ausschließlich mit <strong>der</strong><br />

DDR und <strong>der</strong> dortigen Staatssicherheit<br />

in Verbindung gebracht worden. Seit<br />

den Enthüllungen des ehemaligen US-<br />

Geheimdienstmitarbeiters Edward<br />

Snowden debattiert eine erstaunte und<br />

erschrockene Öffentlichkeit die heutige<br />

Überwachungspraxis. Foschepoths<br />

bis vor Kurzem von den großen Medien<br />

weitgehend ignorierte Forschungsleistung<br />

(eine Ausnahme machte dankenswerterweise<br />

Franziska Augstein<br />

in <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung bereits<br />

im November 2012) erfährt so eine<br />

auch vom Autor ungeahnte Aktualität<br />

und endlich die verdiente Aufmerksamkeit.<br />

Der Freiburger Historiker erstritt sich<br />

erstmals die Einsicht in bislang als vertraulich<br />

o<strong>der</strong> geheim eingestufte Dokumente<br />

und stieß auf ein ungeahntes<br />

Ausmaß an flächendecken<strong>der</strong> Überwachung<br />

durch alliierte (und deutsche)<br />

Dienste. Nicht nur die DDR, auch die<br />

alte Bundesrepublik war ein »straff organisierter<br />

und effizient arbeiten<strong>der</strong><br />

Überwachungsstaat«, so das erschreckende<br />

Resümee seines Buches. Foschepoths<br />

eher am Rande und vorsichtig<br />

formulierter Hinweis, dass die amerikanischen,<br />

britischen und französischen<br />

Son<strong>der</strong>echte zur Überwachung<br />

in Deutschland bis heute unverän<strong>der</strong>t<br />

gelten, hat inzwischen eine gänzlich<br />

an<strong>der</strong>e Dimension bekommen.<br />

Allen Amtsträgern, die jetzt noch immer<br />

behaupten, nie etwas von <strong>der</strong><br />

Überwachung durch amerikanische<br />

(und an<strong>der</strong>e) Dienste gehört zu haben,<br />

sei Foschepoths Buch als Auffrischung<br />

ihrer Erinnerungen empfohlen.<br />

Klaus Storkmann<br />

Josef Foschepoth,<br />

Überwachtes<br />

Deutschland. Postund<br />

Telefonüberwachung<br />

in <strong>der</strong> alten<br />

Bundesrepublik,<br />

Göttingen 2012. ISBN<br />

9783525300411;<br />

377 S., 34,90 Euro<br />

Nationale Volksarmee<br />

Die Kombination »Militär« und »Erholung«<br />

klingt zunächst wie ein<br />

»schwarzer Schimmel«. Udo Beßer<br />

schaut genauer hin und entdeckt in <strong>der</strong><br />

DDR und ihrer Nationalen Volksarmee<br />

(NVA) auf dem weißen Tier zumindest<br />

schwarze Flecke. In <strong>der</strong> NVA herrschten<br />

sowohl an Wochenenden als auch an<br />

Feiertagen hohe Bereitschaftsstufen. 85<br />

Prozent <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Masse unweit <strong>der</strong><br />

entlegenen Kasernen wohnenden Armeeangehörigen<br />

hatten anwesend zu<br />

sein. Ergo musste man ihnen auch Freizeitmöglichkeiten<br />

bieten. Zudem war<br />

es in <strong>der</strong> von Staat und SED kontrollierten<br />

Gesellschaft nicht von Nachteil,<br />

wenn Soldaten und ihre Angehörigen<br />

in armeeeigenen Freizeiteinrichtungen<br />

ihren Urlaub bzw. ihre Ferien ver­<br />

Udo Beßer, Das<br />

Militärerholungswesen<br />

in <strong>der</strong> DDR.<br />

Erholungsheime,<br />

Ferienlager, Kureinrichtungen,<br />

Berlin<br />

2012. ISBN: 978-3-<br />

942477-30-7; 189 S.,<br />

19,95 Euro<br />

brachten. Beßer skizziert die Anfänge<br />

in den 1970er Jahren und stellt die Rahmenbedingungen<br />

von Urlaubsgewährung<br />

im In- und Ausland dar. Dabei<br />

geht er sehr detailliert auf Strukturen,<br />

Unterbringung, Verpflegung, Ausstattung<br />

und Preise ein. Das Herzstück des<br />

Buches macht jedoch die Spurensuche<br />

nach den diversen Erholungsheimen<br />

aus. Dazu gehörten u.a. die Erholungsheimgruppen<br />

Oberwiesenthal, Johanngeorgenstadt,<br />

Waldbärenburg und Geising<br />

im Erzgebirge, Frauenwald im<br />

Thüringer Wald, Wernigerode im Harz,<br />

Boitzenburg in <strong>der</strong> Uckermark, Grünheide<br />

und Bad Saarow in <strong>der</strong> Mark<br />

Brandenburg, Ückeritz auf Usedom<br />

und Göhren sowie Prora auf Rügen.<br />

Hinzu kamen die Kurheime Benneckenstein<br />

im Harz sowie Bad Elster<br />

und Bad Brambach im Vogtland. Last<br />

not least gab es sogar Kin<strong>der</strong>ferienlager<br />

in Prora auf Rügen, in Karlshagen<br />

auf Usedom und in Bärenstein im Erzgebirge.<br />

hp<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />

27


Service<br />

Die historische Quelle<br />

Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv<br />

Das »Bonner Friedensforum« und die Friedensbewegung<br />

Am Anfang <strong>der</strong> kleinen Recherche stand ein Anruf aus<br />

<strong>der</strong> Robert-Schuman-Kaserne in Müllheim. Dort waren<br />

beim Aufräumen in einem Lagerraum alte Plakate<br />

»<strong>der</strong> Friedensbewegung« gefunden worden. Herausgeber<br />

<strong>der</strong> Plakate sei ein »Bonner Friedensforum e.V.« Die<br />

Deutsch-Französische Brigade fragte Anfang 2013 beim<br />

Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, an, ob daran Interesse<br />

bestünde. Alte Plakate <strong>der</strong> Friedensbewegung in einer<br />

Kaserne? Das weckte natürlich Interesse. Der Blick<br />

auf den Müllheimer Fund zeigte schnell, dass es sich keineswegs<br />

um Plakate <strong>der</strong> Friedensbewegung handelte. Im<br />

Gegenteil: Unter einem wenig sympathischen Foto <strong>der</strong><br />

sowjetischen Partei- und Armeeführung (zu sehen sind<br />

u.a. Außenminister Andrei Gromyko, Staats- und Parteichef<br />

Leonid Breschnew und Verteidigungsminister<br />

Marschall Dmitri Ustinow sowie <strong>der</strong> polnische Staatsund<br />

Armeechef General Wojciech Jaruzelski) findet sich<br />

die Auffor<strong>der</strong>ung, bei <strong>der</strong> westdeutschen Friedensbewegung<br />

mitzumachen, denn: »Die Sowjetunion braucht<br />

Dich!« Ein an<strong>der</strong>es Plakat zeigte ein sowjetisches Manöver<br />

und einen Sowjetstern mit Krallen: » Unser Preis: Ihre<br />

Freiheit. Unsere Devise: Es gibt viel zu erobern. Packen<br />

wir´s an.«<br />

Plakatsammlung Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv<br />

Derlei Plakate passten kaum zur Friedensbewegung. In<br />

den 1980er Jahren erlebte die Bundesrepublik wie auch<br />

an<strong>der</strong>e westeuropäische Staaten starke Proteste gegen die<br />

Politik <strong>der</strong> Auf- bzw. Nachrüstung. Die Demonstrationen<br />

richteten sich ganz allgemein gegen die Stationierung<br />

neuer Atomwaffen in Europa, in Ost und West. Konkreter<br />

Anlass und damit auch Hauptauslöser <strong>der</strong> Proteste war<br />

aber die mit dem NATO-Doppelbeschluss verbundene<br />

Stationierung neuer amerikanischer atomar bestückter<br />

Marschflugkörper (Cruise Missiles) und Mittelstreckenraketen<br />

des Typs Pershing II in <strong>der</strong> Bundesrepublik und<br />

in an<strong>der</strong>en NATO-Staaten. Im Oktober 1981 demonstrierten<br />

300 000 Menschen im Bonner Hofgarten. Den »Krefel<strong>der</strong><br />

Appell« gegen diese neuen Waffen unterzeichneten<br />

zwischen 1980 und 1983 über vier Millionen Menschen.<br />

Allein am 22. Oktober 1983 schlossen sich in <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik 1,3 Mio. Menschen den Demonstrationen<br />

an, davon 500 000 wie<strong>der</strong>um im Bonner Hofgarten.<br />

Friedensaktivisten bildeten eine geschlossene Menschenkette<br />

zwischen Stuttgart und Neu-Ulm, einem <strong>der</strong> Raketenstandorte.<br />

Um ein Gegengewicht zur wachsenden Protestbewegung<br />

zu schaffen, entstanden Gruppen und<br />

Kreise wie das »Bonner Friedensforum«. Unter diesem irreführenden<br />

Namen starteten einige Bonner eine Art Gegenpropaganda<br />

und nutzten dabei – wie das Müllheimer<br />

Plakat zeigt – die Schwachstelle <strong>der</strong> Friedensbewegung:<br />

Deren oftmals einseitige Kritik an NATO und USA trugen<br />

ihr Vorwürfe ein, sich nicht ausreichend von <strong>der</strong> Sowjetunion<br />

und dem »Osten« abzugrenzen, ja sogar <strong>der</strong> Ostpropaganda<br />

in die Hände zu spielen. Ein »Friedensforum«-Aufkleber<br />

formulierte: »Lieber ´ne Pershing im<br />

Garten als ´ne SS-20 auf´s Dach«. Eine Sammlung <strong>der</strong><br />

vom »Bonner Friedensforum« herausgegebenen Plakate<br />

ist unter <strong>der</strong> Inventarnummer Do2 2003/1082 im Deutschen<br />

Historischen Museum Berlin archiviert. Hinweise<br />

auf die politische Ausrichtung des »Bonner Friedensforums«<br />

geben auch Recherchen zu dessen Mitglie<strong>der</strong>n:<br />

Geschäftsführer war Dietrich Kantel, bis 2002 für die<br />

CDU Mitglied des Stadtrates Bonn. Der <strong>der</strong>zeitige Berliner<br />

Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) war während<br />

seines Studiums in Bonn in den frühen 1980er Jahren im<br />

dortigen »Friedensforum« aktiv, u.a. als Autor und Herausgeber<br />

von Publikationen. Aber auch für den Bundestagsabgeordneten<br />

Harald Weinberg (Die Linke) gibt dessen<br />

offizielle Biografie an, er habe 1980 im »Bonner Friedensforum«<br />

mitgearbeitet.<br />

Klaus Storkmann<br />

3Lagerraumfund in <strong>der</strong> Müllheimer Kaserne: Plakat des<br />

»Bonner Friedensforums«.<br />

28<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


Geschichte kompakt<br />

Herbst/Winter 1913 8./9. November 1923<br />

IAM/akg<br />

Die Zabern-Affäre<br />

»Immer feste druff«, telegrafiert Kronpinz Wilhelm Ende<br />

1913 den Kommandeuren <strong>der</strong> Besatzungstruppen im Elsass.<br />

Diese hatten friedliche Demonstrationen gegen militärische<br />

Willkür und für mehr Selbstbestimmung mit dem Ausrufen<br />

des Belagerungszustandes beantwortet.<br />

Das 1871 annektierte Elsass-Lothringen wurde zivil wie<br />

militärisch preußisch-deutsch verwaltet. Dem Wunsch nach<br />

Selbstverwaltung begegneten Beamte und Soldaten mit (kolonial)herrischem<br />

Auftreten. Am 28. Oktober 1913 empfahl<br />

<strong>der</strong> in Zabern (frz. Saverne) stationierte 20-jährige Leutnant<br />

Günter Freiherr von Forstner seinen Rekruten, sie sollten<br />

sich von den »Wackes« – ein abschätziger, streng verbotener<br />

Begriff für Elsässer – nichts gefallen lassen: »Und wenn<br />

Sie dabei so einen Wackes über den Haufen stechen, so<br />

schadet es nichts. Sie bekommen dann von mir noch zehn<br />

Mark Belohnung.« Die elsässische Presse veröffentlichte<br />

diesen Satz, was zu erneuten Protesten führte. Die äußerst<br />

milde Bestrafung des Leutnants wurde zudem vor <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

geheim gehalten, um die »Ehre des Militärs« zu<br />

wahren. Die Demonstrationen hielten an; die deutschen<br />

Truppen vor Ort reagierten mit Willkürakten und rechtswidrigen<br />

Verhaftungen.<br />

Der inzwischen berüchtigte Leutnant von Forstner ließ<br />

seinen Worten Taten folgen, indem er den Spott eines halbseitig<br />

gelähmten Schustergesellen mit einem Säbelhieb auf<br />

dessen Kopf beantwortete. Gegen die hierfür verhängte<br />

Strafe legte er Berufung ein. Das Oberkriegsgericht sprach<br />

ihn frei: Der Leutnant habe in Notwehr gehandelt.<br />

Die Affäre führte zu einer weiteren Verschlechterung im<br />

Verhältnis von Besatzern und Bevölkerung. Auch schadete<br />

sie dem Ansehen des Deutschen Reiches und Kaiser Wilhelms<br />

II., <strong>der</strong> angesichts des Fehlverhaltens »seiner« Offiziere<br />

zum wie<strong>der</strong>holten Male Mangel an politischem und<br />

diplomatischem Geschick zeigte. Der Kaiser stellte sich demonstrativ<br />

vor sein Militär; Kritik wurde nicht geduldet.<br />

Schließlich geriet die Affäre zum Skandal.<br />

Im In- und Ausland sorgten die Vorfälle für Bestürzung<br />

und hitzige Debatten, von »Säbelherrschaft« war die Rede.<br />

Heinrich Mann und Kurt Tucholsky verarbeiteten die Affäre<br />

literarisch, teils mit beißendem Spott. Und Theodor Heuss<br />

meinte: »Zabern ist nur ein Symptom«; ein Symptom für<br />

eine grundlegende Problematik, die sich aus <strong>der</strong> glorifizierten<br />

Vormachtstellung des preußisch-deutschen Militärs<br />

in Staat und Gesellschaft ergab.<br />

Alexan<strong>der</strong> Querengässer<br />

3»Simplicissimus«, November<br />

1913: Die Karikatur anässlich<br />

<strong>der</strong> Zabern-Affäre zeigt einen<br />

deutschen Soldaten in<br />

Leutnantsuniform als Schreckfigur<br />

für die Bevölkerung<br />

Elsass-Lothringens.<br />

Hitler-Ludendorff-Putsch<br />

Das Jahr 1923 ging als »Krisenjahr« in die Geschichte <strong>der</strong><br />

Weimarer Republik ein: Neben <strong>der</strong> Ruhrbesetzung und <strong>der</strong><br />

Hyperinflation standen die politischen Entwicklungen in<br />

Bayern im Mittelpunkt, wo seit September 1923 ein rechtskonservatives<br />

»Triumvirat« mit diktatorischen Vollmachten<br />

regierte.<br />

Der Freistaat war nach Kriegsende zum Sammelbecken<br />

rechtsradikal orientierter Gruppen und Parteien geworden.<br />

Eine von ihnen war die 1920 gegründete Nationalsozialistische<br />

Deutsche Arbeiterpartei, die sich mit einer eigenen<br />

Parteizeitung und <strong>der</strong> SA rasch als führende rechte Kraft in<br />

Bayern etablierte. 1923 hatte die Partei bereits 55 000 Mitglie<strong>der</strong>,<br />

die sich zumeist aus ehemaligen Soldaten und Freikorpsleuten<br />

rekrutierten. Ihr Aushängeschild war Adolf<br />

Hitler, <strong>der</strong> sich einen Namen als Wirtshaus- sowie Volksredner<br />

gemacht hatte und nach dem »Marsch auf Rom«<br />

1922 als deutscher Mussolini gehandelt wurde. Eben diesem<br />

Vorbild wollten er und seine Partei im November 1923<br />

folgen und den rechtsrevolutionären Umbruch im Deutschen<br />

Reich herbeiführen. Als Mitstreiter gewannen sie<br />

General a.D. Erich Ludendorff. Der ehemalige Generalquartiermeister<br />

<strong>der</strong> 3. Obersten Heeresleitung war in den<br />

Nachkriegsjahren zur »Galionsfigur« <strong>der</strong> radikalen Rechten<br />

geworden und sollte <strong>der</strong> jungen nationalsozialistischen<br />

Bewegung die Unterstützung aus dem rechtskonservativen<br />

Lager sichern.<br />

Am Abend des 8. November 1923 umstellte die SA den<br />

Münchner Bürgerbräukeller, in dem die bayerische Regierung<br />

eine Versammlung abhielt. Hitler und Ludendorff<br />

proklamierten das Programm <strong>der</strong> »nationalen Revolution«<br />

und überredeten die bayerische Regierung scheinbar erfolgreich<br />

zur Teilnahme am »Marsch auf Berlin«. Doch<br />

diese traf noch in <strong>der</strong> Nacht Maßnahmen zur Beendigung<br />

des Umsturzversuches: Am Morgen des 9. Novembers stießen<br />

die Putschisten an <strong>der</strong> Feldherrenhalle auf die bayerische<br />

Landespolizei. Der Marsch war beendet, bevor er<br />

richtig begonnen hatte. Im Getümmel kam es zu Schusswechseln,<br />

16 Demonstranten und drei Polizisten kamen dabei<br />

ums Leben.<br />

Die NSDAP wurde danach kurzzeitig verboten und die<br />

Anführer des Hochverrates angeklagt. Hitler erhielt fünf<br />

Jahre Festungshaft, von denen er allerdings nur neun Monate<br />

verbüßen musste. Ludendorff<br />

wurde ganz frei gesprochen. Die<br />

getöteten Putschisten wurden<br />

fortan als »Blutzeugen <strong>der</strong> Bewegung«<br />

in jährlichen Gedenkfeiern<br />

verehrt, <strong>der</strong> gescheiterte Putschversuch<br />

fand als »Bluttaufe« Eingang<br />

in den NS-Mythos.<br />

Frie<strong>der</strong>ike Höhn<br />

BArch, Plak 002-009-035<br />

3Plakat zur »nationalen Revolution«<br />

vom 9. November 1923.<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013 29


Service<br />

Ausstellungen<br />

• Berlin<br />

Von G.I. Blues zu G.I.<br />

Disco.<br />

Der »American Way of<br />

Music« in Deutschland<br />

Alliiertenmuseum<br />

Clayallee 135 – Outpost<br />

14195 Berlin<br />

Tel.: 0 30 / 81 81 99 0<br />

www.alliiertenmuseum.de<br />

bis 27. April 2014<br />

Donnerstag bis Dienstag<br />

10 bis 18 Uhr<br />

Eintritt: frei<br />

Zerstörte Vielfalt.<br />

Berlin 1933–1938<br />

Deutsches Historisches<br />

Museum<br />

Unter den Linden 2<br />

10117 Berlin<br />

Tel.: 0 30 / 20 30 40<br />

www.dhm.de<br />

bis 10. November 2013<br />

täglich 10 bis 18 Uhr<br />

Eintritt: 8,00 Euro<br />

(unter 18 Jahren frei)<br />

1813 – auf dem<br />

Schlachtfeld bei<br />

Leipzig.<br />

Ein Rundgang durch<br />

das Gemälde »Siegesmeldung«<br />

von Johann<br />

Peter Krafft<br />

Deutsches Historisches<br />

Museum<br />

Unter den Linden 2<br />

10117 Berlin<br />

Tel.: 0 30 / 20 30 40<br />

www.dhm.de<br />

bis 15. Dezember 2013<br />

täglich 10 bis 18 Uhr<br />

Eintritt: 8,00 Euro<br />

(unter 18 Jahren frei)<br />

Gedenkstätte<br />

»Köpenicker Blutwoche<br />

Juni 1933«<br />

Puchanstr. 12<br />

12555 Berlin<br />

Tel.: 0 30 / 65 71 46 7<br />

www.gedenkstaettekoepenicker-blutwoche.org<br />

Dauerausstellung<br />

Donnerstag 10 bis 18 Uhr<br />

Eintritt frei<br />

Privilegierte Lager?<br />

Westalliierte Flieger in<br />

deutscher Kriegsgefangenschaft<br />

während<br />

des Zweiten Weltkrieges<br />

Militärhistorisches Museum<br />

<strong>der</strong> Bundeswehr<br />

Flugplatz Berlin-Gatow<br />

Besuchereingang:<br />

Am Flugplatz Gatow 33<br />

14089 Berlin<br />

Tel.: 0 30 /36 87 26 08<br />

www.luftwaffenmuseum.<br />

com<br />

bis 28. September 2014<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

10 bis 18 Uhr<br />

Eintritt: frei<br />

• Dresden<br />

Blutige Romantik – 200<br />

Jahre Befreiungskriege<br />

Militärhistorisches Museum<br />

<strong>der</strong> Bundeswehr<br />

Olbrichtplatz 2<br />

01099 Dresden<br />

Tel.: 03 51 / 82 32 85 1<br />

www.1636.de<br />

bis Januar 2014<br />

Montag 10 bis 21 Uhr<br />

Donnerstag bis Dienstag<br />

10 bis 18 Uhr<br />

Eintritt: 5,00 Euro<br />

ermäßigt: 3,00 Euro<br />

(für Bundeswehr-Angehörige<br />

Eintritt frei)<br />

• Leipzig<br />

Helden nach Maß. 200<br />

Jahre Völkerschlacht<br />

Stadtgeschichtliches<br />

Museum<br />

Böttchergäßchen 3<br />

04109 Leipzig<br />

Tel.: 03 41 / 9 65 13 0<br />

www.stadtgeschichtlichesmuseum-leipzig.de<br />

bis 5. Januar 2014<br />

Dienstag bis Sonntag,<br />

Feiertage<br />

10 bis 18 Uhr<br />

Eintritt: 3,00 Euro<br />

ermäßigt: 2,00 Euro<br />

(unter 18 Jahren frei)<br />

• Ludwigsburg<br />

Vom Ehrenzeichen zum<br />

Symbol.<br />

Das Eiserne Kreuz und<br />

seine 200jährige Geschichte.<br />

Garnisonmuseum Ludwigsburg<br />

Im Asperger Torhaus<br />

Asperger Str. 52<br />

71634 Ludwigsburg<br />

Tel.: 0 71 41 / 91 02 41 2<br />

www.garnisonmuseumludwigsburg.de<br />

bis 26. Januar 2014<br />

Mittwoch 15 bis 18 Uhr<br />

Sonntag 13 bis 17 Uhr<br />

Eintritt: 2,00 Euro<br />

ermäßigt: 1,00 Euro<br />

• Nordholz<br />

Frühe Raketenentwicklung<br />

bis zur Mondlandung<br />

Aeronauticum –<br />

Deutsches Luftschiffund<br />

Marinefliegermuseum<br />

Peter-Strasser-Platz 3<br />

27637 Nordholz<br />

Tel.: 0 47 41 / 18 19-0<br />

www.aeronauticum.de<br />

bis 21. Dezember 2013<br />

täglich 10 bis 18 Uhr<br />

Eintritt: 7,50 Euro<br />

ermäßigt: 3,00 Euro<br />

• Nürnberg<br />

Zwischen den Zeilen?<br />

Zeitungspresse als NS-<br />

Machtinstrument<br />

Dokumentationszentrum<br />

Reichsparteitagsgelände<br />

Bayernstraße 110<br />

90478 Nürnberg<br />

Tel.: 09 11 / 23 15 66 6<br />

www.museen.nuernberg.<br />

de/dokuzentrum<br />

29. November 2013<br />

bis 27. April 2014<br />

Montag bis Freitag<br />

9 bis 18 Uhr<br />

Samstag und Sonntag<br />

10 bis 18 Uhr<br />

Eintritt: 5,00 Euro<br />

ermäßigt: 3,00 Euro<br />

Heft 4/2013<br />

Militärgeschichte<br />

Zeitschrift für historische Bildung<br />

Vorschau<br />

Zu Beginn des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts erschütterten<br />

zwei große Kriege Europa und die<br />

Welt: <strong>der</strong> Spanische Erbfolgekrieg und<br />

<strong>der</strong> Große Nordische Krieg. Eine <strong>der</strong><br />

größten diplomatischen Leistungen bestand<br />

darin, diese beiden Konflikte auseinan<strong>der</strong>zuhalten.<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Diplomaten<br />

schlug 1714 beim Frieden von<br />

Rastatt. Er beendete zumindest den Streit<br />

um die spanische Thronfolge zwischen<br />

den Häusern Habsburg, Bourbon, Wittelsbach<br />

und Stuart. Spanien beherrschte<br />

damals ein Weltreich. Josef Johannes<br />

Schmid erzählt vom Konflikt und seinem<br />

Ende.<br />

Weltumspannend war <strong>der</strong> Erste Weltkrieg<br />

ebenfalls, erstmals wurde im großen<br />

Stil zu Wasser, zu Lande und in <strong>der</strong><br />

Luft gekämpft. Sebastian Rosenboom berichtet<br />

von <strong>der</strong> Kriegführung in <strong>der</strong> dritten<br />

Dimension. Seinen Schwerpunkt legt<br />

er hier auf die Ostfront, die allzulange<br />

im Schatten von Verdun, <strong>der</strong> Somme und<br />

<strong>der</strong> deutsch-britischen Luftduelle stand.<br />

Er erzählt vom Einsatz <strong>der</strong> Fliegertruppe<br />

des deutschen Kaiserreiches in Russland<br />

sowie von den Problemen des Raumes,<br />

die die Weiten des Zarenreiches mit sich<br />

brachten.<br />

Kriege wurde zu allen Zeiten mit Waffen<br />

bzw. mit Waffensystemen ausgefochten,<br />

die bekanntlich viel Geld kosten. Erstaunlicherweise<br />

steht in den Publikationen<br />

die Rüstungsgüterbeschaffung gegenüber<br />

dem Waffeneinsatz zumeist im<br />

Hintergrund. Dieter H. Kollmer widmet<br />

sich in seinem Beitrag daher <strong>der</strong> westdeutschen<br />

Rüstungsindustrie und <strong>der</strong><br />

Beschaffung von Waffensystemen in <strong>der</strong><br />

frühen Bundeswehr.<br />

Klaus Storkmann schließlich bearbeitet<br />

ebenfalls ein Thema aus <strong>der</strong> Bundeswehrgeschichte.<br />

Er stellt den Verlauf <strong>der</strong><br />

»Kießling-Affäre« vor 30 Jahren dar.<br />

hp<br />

30<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013


Militärgeschichte im Bild<br />

150 Jahre Befreiungshalle Kelheim<br />

Anlässlich des einhun<strong>der</strong>tsten Jahrestages<br />

<strong>der</strong> Völkerschlacht bei<br />

Leipzig besuchten Kaiser Wilhelm II.<br />

und <strong>der</strong> bayerische Prinzregent Ludwig<br />

am 25. August 1913 die Befreiungshalle<br />

in Kelheim. Anschließend nahmen sie<br />

gemeinsam die Parade <strong>der</strong> angetretenen<br />

Formationen <strong>der</strong> bayerischen<br />

Armee ab und demonstrierten damit<br />

Einigkeit. Dies war ganz im Sinne <strong>der</strong><br />

schwarz-gelben Inschrift aus Siena-<br />

Marmor, die im Zentrum des Bodens<br />

<strong>der</strong> Befreiungshalle steht: »Moechten<br />

die Teutschen nie vergessen, was den<br />

Befreiungskampf nothwendig machte<br />

und wodurch sie gesiegt«. Auftraggeber<br />

und Finanzier war <strong>der</strong> bayerische<br />

König Ludwig I. (1825–1848). Sein monumentales<br />

Bauwerk auf dem Michelsberg<br />

oberhalb <strong>der</strong> Donau soll an den<br />

gemeinsamen Sieg <strong>der</strong> deutschen Staaten<br />

und ihrer Verbündeten über die<br />

französische Armee in <strong>der</strong> Völkerschlacht<br />

bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober<br />

1813 erinnern. Der militärische<br />

Erfolg und das damit einhergehende<br />

Ende <strong>der</strong> napoleonischen Besatzungsherrschaft<br />

in Deutschland waren ein<br />

einschneidendes historisches Ereignis,<br />

das die deutschen Territorialstaaten<br />

sich politisch wie<strong>der</strong> annähern ließ. Indem<br />

<strong>der</strong> bayerische Monarch das gemeinsame<br />

Siegeserlebnis betonte,<br />

brachte er seinem Wunsch nach einer<br />

erneuten politischen Einheit Deutschlands<br />

zum Ausdruck.<br />

5Innere Ansicht <strong>der</strong> Befreiungshalle.<br />

Lithographie (1897) nach Leo von Klenze.<br />

bpk/Bayerische Staatsbibliothek<br />

So kam es, dass am 18. Oktober 1842<br />

<strong>der</strong> Grundstein gelegt wurde. (Das Datum<br />

ist Ausdruck <strong>der</strong> geschichtsträchtigen<br />

Symbolik um die in <strong>der</strong> Gebäudearchitektur<br />

omnipräsente Zahl 18,<br />

die die Verbindung zur Völkerschlacht<br />

herstellen soll.) Der Bauplatz war dabei<br />

bewusst gewählt. Der felsige Michelsberg<br />

bei Kelheim, südwestlich<br />

von Regensburg gelegen und 126 Meter<br />

über dem Donauspiegel aufragend,<br />

bot die angemessene topografische<br />

Lage für ein monumentales Nationaldenkmal.<br />

Auch in <strong>der</strong> klassizistischen Architektur<br />

<strong>der</strong> Gedenkstätte wird <strong>der</strong> Bezug<br />

zum Befreiungskampf gegen Napoleon<br />

mehrfach deutlich. Die Halle ist ein<br />

rundliches Polygon mit einem dreistufigen<br />

Sockelbau. Über dem gewaltigen<br />

Hauptportal prangt die Widmungsinschrift<br />

in eisernen Großbuchstaben:<br />

»Den Teutschen Befreiungskämpfern /<br />

Ludwig I. / König von Bayern«.<br />

Die Außenfassade wird eingerahmt<br />

von 18 Stützpfeilern, die gleichzeitig<br />

als Podest für jeweils eine überlebensgroße<br />

Kalksteinfigur dienen – jede <strong>der</strong><br />

sogenannten Kolossalstatuen repräsentiert<br />

als Allegorie einen <strong>der</strong> am Befreiungskrieg<br />

beteiligten deutschen<br />

Stämme. Und selbst das kegelförmige<br />

Kupferdach wird eingerahmt von 18<br />

mit Helm, Harnisch und Armschild<br />

»bewaffneten« Steinbüsten, die an <strong>der</strong><br />

Übergangsstelle von Dach und Außenmauer<br />

an die Kolossalstatuen anknüpfen<br />

und die Fassade nach oben hin abschließen.<br />

Auch das imposante Gebäudeinnere<br />

<strong>der</strong> Halle führt dem Besucher vor Augen,<br />

dass die Erinnerung an den Befreiungskampf<br />

im Mittelpunkt <strong>der</strong> architektonischen<br />

Gestaltung steht. Das in<br />

mehreren Farben gehaltene Bodenmosaik<br />

aus Marmor umschließt im<br />

Zentrum die von Ludwig selbst entworfene<br />

Inschrift. Der Innenraum wird<br />

zudem umrahmt von einem kreisförmigen<br />

Sockel, auf dem 34 sich gegenseitig<br />

die Hände haltende Viktorien<br />

platziert sind. Diese aus weißem<br />

Schlan<strong>der</strong>s- und Carrara-Marmor gefertigten<br />

Siegesgöttinnen stehen dabei<br />

wie<strong>der</strong> allegorisch für die deutschen<br />

Staaten zur Zeit <strong>der</strong> Erbauung <strong>der</strong> Befreiungshalle.<br />

Auf den Bronzeschil<strong>der</strong>n<br />

dazwischen sind die Ortsnamen<br />

<strong>der</strong> siegreichen Schlachten <strong>der</strong> Verbündeten<br />

aus den Befreiungskriegen eingraviert<br />

– die meisten davon wurden<br />

im Herbst 1813 ausgetragen. Lässt man<br />

den Blick von den Viktorien über die<br />

Marmorstichbögen – natürlich wie<strong>der</strong>um<br />

18 – die Wand hinauf schweifen,<br />

so stößt man auf die Feldherrentafeln,<br />

die wie ein Schriftband rundum verlaufen.<br />

Darin geehrt werden die Namen<br />

<strong>der</strong> bedeutendsten alliierten Truppenkommandeure,<br />

die sich im Kampf<br />

gegen Napoleon Ruhm erwarben. Weiter<br />

oben, wo die Rundwand in die verzierte<br />

Gewölbekuppel übergeht, sind<br />

schließlich die vergoldeten Namen <strong>der</strong><br />

eroberten Festungen auf Stuckmarmor<br />

verewigt.<br />

Als die Befreiungshalle schließlich<br />

1863, genau 50 Jahre nach <strong>der</strong> Völkerschlacht,<br />

in einer feierlichen Festveranstaltung<br />

eingeweiht wurde, war<br />

Ludwig, <strong>der</strong> im Revolutionsjahr 1848<br />

zugunsten seines Sohnes Maximilian<br />

II. abgedankt hatte, bereits nicht mehr<br />

Staatsoberhaupt. Und auch <strong>der</strong> Architekt<br />

Friedrich von Gärtner hatte bereits<br />

schon vor Vollendung des Projekts das<br />

Zeitliche gesegnet, sodass sein Nachfolger<br />

(und Konkurrent) Leo von<br />

Klenze mit <strong>der</strong> Weiterführung und<br />

Vollendung beauftragt wurde. Nichtsdestoweniger,<br />

in einer Traditionslinie<br />

zusammen mit <strong>der</strong> Walhalla, dem<br />

«Geisteshimmel <strong>der</strong> Germanen» (Jörg<br />

Traeger) und <strong>der</strong> Bayerischen Ruhmeshalle<br />

in München stehend, zählt die<br />

Befreiungshalle Kelheim sicherlich zu<br />

den wichtigsten Bauvorhaben König<br />

Ludwigs. Fertiggestellt noch vor ihrem<br />

deutlich größeren Pendant, dem Leipziger<br />

Völkerschlachtdenkmal (Einweihung<br />

1913), in <strong>der</strong>en Schatten das bayerische<br />

Nationaldenkmal oftmals zu<br />

Unrecht steht, verkörpert sie ein im<br />

kollektiven, antinapoleonischen Kampf<br />

generiertes Nationalbewusstsein <strong>der</strong><br />

deutschen Völker und Stämme und ist<br />

somit gleichzeitig Appell und Mahnung<br />

an ein neues Gefühl <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Einheit und Eintracht.<br />

Tobias Graef<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2013<br />

31


Neue Publikation des ZMSBw<br />

Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Der<br />

deutsche Aufmarsch in ein kriegerisches<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t. Im Auftrag des ZMSBw hrsg.<br />

von Markus Pöhlmann, Harald Potempa<br />

und Thomas Vogel, München: Bucher<br />

Verlag 2014, 384 S., 45,00 Euro<br />

ISBN 978-3-7658-2033-5<br />

100 Jahre sind seit dem Beginn des<br />

Ersten Weltkriegs vergangen. Zeit für<br />

eine Analyse. Experten vom Zentrum für<br />

Militärgeschichte und Sozialwissenschaften<br />

<strong>der</strong> Bundeswehr (ZMSBw) liefern eine<br />

fundierte und eingängige Darstellung <strong>der</strong><br />

deutschen Armee im Ersten Weltkrieg.<br />

Durch das Zusammenspiel von Texten,<br />

Karten, Grafiken und Abbildungen<br />

entsteht ein einzigartiger Überblick zur<br />

Urkatastrophe des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />

Abonnement<br />

Jahresabonnement: 14,00 Euro<br />

inkl. MwSt. und Versandkosten<br />

(innerhalb Deutschlands,<br />

Auslandsabonnementpreise auf<br />

Anfrage)<br />

Kündigungsfrist: 6 Wochen zum<br />

Ende des Bezugszeitraumes.<br />

• Reichhaltiges und seltenes Bildmaterial u.a. des<br />

Militärhistorischen Museums sowie des Bundesarchivs<br />

• Alle Karten wurden neu gezeichnet: plastische<br />

Darstellung <strong>der</strong> zentralen Schlachten und militärischen<br />

Operationen<br />

Kontakt zum Bezug <strong>der</strong> Zeitschrift:<br />

Zentrum für Militärgeschichte und<br />

Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr<br />

z.Hd. Frau Christine Mauersberger<br />

Postfach 60 11 22, 14471 Potsdam<br />

Tel.: 0331/9714 599, Fax: 0331/9714 509<br />

Mail: ChristineMauersberger@bundeswehr.org<br />

Die Betreuung des Abonnements erfolgt über die Firma<br />

SKN Druck und Verlag, Stellmacher Straße 14, 26506 Norden,<br />

die sich mit den Interessenten in Verbindung setzen wird.<br />

www.zmsbw.de<br />

www.mgfa.de

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