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Das Massengrab der Schlacht von Wittstock »Köpenicker Blutwoche ...

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<strong>Das</strong> <strong>Massengrab</strong> <strong>von</strong> <strong>Wittstock</strong><br />

5Der Verlauf einer Kerbe im Schädelknochen lässt einen Hieb <strong>von</strong> oben erkennen.<br />

Somit stand hier vermutlich ein Infanterist einem Reiter gegenüber.<br />

Foto: D. Sommer, Grafik: O. Blum/R. Opitz, alle BLDAM<br />

zu bestimmen und Tathergänge zu rekonstruieren.<br />

Um die Untersuchungen<br />

zu verifizieren, wurden zudem Versuche<br />

mit zeitgenössischem Kriegswerkzeug<br />

aus einer privaten Sammlung<br />

vorgenommen. Durch den direkten<br />

Vergleich konnten die schmalen Einschnitte<br />

o<strong>der</strong> tiefen Kerben einer bestimmten<br />

Hiebverletzung, einem<br />

Schwert, Säbel o<strong>der</strong> einer Hellebarde<br />

zugewiesen werden. Die Bestimmung<br />

<strong>der</strong> tödlichen Schusswaffe war dadurch<br />

ebenfalls möglich.<br />

An 22 <strong>der</strong> 80 erhaltenen Schädel fanden<br />

sich unverheilte Verletzungen,<br />

überwiegend Hiebspuren. Im Durchschnitt<br />

waren es zwei Verletzungen, jedoch<br />

konnten es mitunter deutlich mehr<br />

sein. Auch an den Körpern wurden<br />

zahlreiche Blessuren und schwere Schäden<br />

diagnostiziert: Jedes dritte Skelett<br />

zeigte Spuren des Kampfgeschehens.<br />

So erlitt einer <strong>der</strong> jüngsten Soldaten, ein<br />

17 bis 20 Jahre alter Finne, während <strong>der</strong><br />

<strong>Schlacht</strong> fünf Hiebverletzungen am<br />

Kopf. Vier Hiebe haben den Knochen<br />

nur oberflächlich verletzt. Die entstandenen<br />

Kerben verlaufen in unterschiedlichen<br />

Richtungen und überkreuzen<br />

sich teilweise. Sie lassen auf heftiges<br />

Kampfgeschehen mit abgewehrten Angriffen<br />

schließen. <strong>Das</strong> trapezförmige<br />

Loch an <strong>der</strong> rechten Schädelseite resultierte<br />

aus dem wuchtigen Schlag mit einer<br />

Hellebarde, <strong>der</strong> <strong>von</strong> hinten kam. Die<br />

beim Aufprall nach rechts abgelenkte<br />

Schneide sprengte ein großes Knochenstück<br />

ab. Die offene Hirnverletzung<br />

führte sofort zur Bewusstlosigkeit und<br />

anschließend zum Tod. Mit solchen<br />

Analysen können »Täter-Opfer-Modelle«<br />

erstellt und <strong>der</strong> Ablauf einzelner<br />

Kampfszenen rekonstruiert werden.<br />

Zwischen den Skeletten im Grab lagen<br />

24 Bleikugeln. Es handelt sich<br />

überwiegend um Projektile aus Reiterpistolen,<br />

vereinzelt auch aus Luntenschlossmusketen.<br />

Sie fanden sich<br />

hauptsächlich im Bereich des Beckens<br />

und des rechten Oberarms <strong>der</strong> Toten.<br />

Die Ursache hierfür liegt im zumeist<br />

rechtshändigen Führen <strong>der</strong> Hieb- und<br />

Stichwaffen, bei dem die rechte vorgeschobene<br />

Körperhälfte zur bevorzugten<br />

Zielfläche wird. Die Toten mit<br />

Bauchschüssen hatten vermutlich als<br />

Infanteristen gedient, die durch ihren<br />

kurzen Brustharnisch nur unzureichend<br />

geschützt waren. Auffällig sind<br />

acht Durchschüsse, da<strong>von</strong> fünf im Bereich<br />

<strong>der</strong> Kniekehle. Bei diesen Männern<br />

hat es sich um Reiter gehandelt,<br />

die vermutlich ebenfalls durch Kavalleristen<br />

mittels aus nächster Nähe abgefeuerter<br />

Pistolenschüsse verwundet<br />

worden waren.<br />

Die Herkunft <strong>der</strong> Söldner ließ sich<br />

durch archäometrische Analyen des<br />

Zahnschmelzes bestimmen. Etwa ein<br />

Viertel <strong>der</strong> toten Soldaten konnte mit<br />

Bestimmtheit <strong>der</strong> schwedischen Armee<br />

zugewiesen werden: Elf Männer<br />

stammten sicher aus Schottland, zwei<br />

sind im südlichen Schweden und drei<br />

im südlichen Finnland aufgewachsen.<br />

Sechs Männer kamen aus dem damals<br />

zu Schweden gehörenden Lettland. 33<br />

weitere Söldner könnten ebenfalls aus<br />

Schottland gestammt haben, doch ist<br />

aufgrund <strong>von</strong> Überschneidungen mit<br />

an<strong>der</strong>en Herkunftsgebieten keine<br />

exakte Angabe möglich. Ihre Analysewerte<br />

und die <strong>der</strong> zahlreichen »Mitteleuropäer«<br />

lassen sich mehreren möglichen<br />

Herkunftsgebieten zuweisen,<br />

sodass viele Gegenden des Deutschen<br />

Reiches und die meisten in den historischen<br />

Quellen genannten Gebiete infrage<br />

kommen. Selbst in Italien o<strong>der</strong><br />

Spanien geworbene Söldner könnten<br />

unter den Toten im Grab sein – wenn,<br />

dann gehörten sie sicherlich zur kaiserlichen<br />

o<strong>der</strong> sächsischen Partei. Dieses<br />

Untersuchungsergebnis ermöglicht es<br />

nicht nur, die für den Dreißigjährigen<br />

Krieg typischen Vielvölkerarmeen näher<br />

zu beschreiben, son<strong>der</strong>n es kann<br />

auch <strong>der</strong> Schluss gezogen werden, dass<br />

Freund und Feind im selben Grab bestattet<br />

wurden: Im Angesicht des Todes<br />

waren die ehemaligen Gegner gleich.<br />

Eine weitere biochemische Analyseserie,<br />

nämlich die <strong>der</strong> stabilen Isotope<br />

<strong>von</strong> Kohlenstoff und Stickstoff in den<br />

Knochen, belegte zudem einen regelmäßigen<br />

Konsum <strong>von</strong> tierischem Eiweiß.<br />

Die <strong>Wittstock</strong>er Söldner haben<br />

ausreichend Milch, Milchprodukte wie<br />

beispielsweise Käse und Eier sowie<br />

Fleisch zu sich genommen. Diese Nahrung<br />

dürfte wohl jeweils vor Ort auf<br />

Kosten <strong>der</strong> deutlich schlechter versorgten<br />

Landbevölkerung beschafft<br />

worden sein. Durch diese Untersuchungen<br />

können allerdings keine akuten<br />

Hungersnöte o<strong>der</strong> eine Unterversorgung<br />

festgestellt werden. Lediglich<br />

die langfristige, durchschnittliche Ernährung<br />

lässt sich damit belegen.<br />

Für die Analyse des Erbguts <strong>von</strong><br />

längst verstorbenen Menschen eignen<br />

sich Zähne beson<strong>der</strong>s gut, da sich die<br />

Gene hier über viele hun<strong>der</strong>t Jahre erhalten<br />

können. Ziel <strong>der</strong> Genanalysen<br />

war es, Informationen zum Aussehen<br />

<strong>von</strong> zwei Söldnern zu erlangen. Lei<strong>der</strong><br />

war die DNA in diesen Zähnen jedoch<br />

zu schlecht erhalten, sodass konkrete<br />

Hinweise auf die Augen- o<strong>der</strong> Haarfarbe<br />

<strong>der</strong> Männer ausblieben.<br />

An ausgewählten Skelettelementen<br />

wurden radiologische Untersuchungen<br />

durchgeführt. Im Röntgenbild werden<br />

Knochenverän<strong>der</strong>ungen und Erkrankungen<br />

sichtbar, die <strong>von</strong> außen nicht<br />

zu erkennen sind. Hier handelt es sich<br />

einerseits um Verletzungen wie Knochenbrüche<br />

o<strong>der</strong> durch Schüsse. Erst<br />

so wird die zerstörerische Wucht <strong>der</strong><br />

aus Musketen abgefeuerten Bleikugeln<br />

sichtbar: Im Röntgenbild zeigen sich<br />

die aufgeplatzten Projektile und somit<br />

über größere Bereiche gestreuten Bleipartikel<br />

als Anhäufungen zahlreicher<br />

heller Punkte. An<strong>der</strong>erseits werden<br />

auch ansonsten unsichtbare Verän<strong>der</strong>ungen,<br />

wie beispielsweise auf Wachstumsstörungen<br />

in <strong>der</strong> Kindheit zurück­<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2013

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