Im Fokus: Corporate Governance - PwC
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Disclose<br />
<strong>Im</strong> <strong>Fokus</strong>: <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
Juni 2013<br />
Aktuelles aus<br />
Rechnungslegung<br />
und Revision
Herausgeber: PricewaterhouseCoopers AG, Geschäftsbereich Wirtschaftsprüfung, Birchstrasse 160, 8050 Zürich<br />
Konzept, Redaktion und Gestaltung: PricewaterhouseCoopers AG, Zürich<br />
Redaktion: Graf Moll & Partner, <strong>Corporate</strong> Publishing GmbH, Zürich<br />
Druck: Stämpfli Publikationen AG<br />
Disclose – Aktuelles aus Rechnungslegung und Revision (www.pwc.ch/disclose)<br />
Erscheint zweimal jährlich in deutscher und französischer Sprache mit einer Auflage von 14’000 Exemplaren.<br />
Bestellungen von Gratisabonnementen und Adressänderungen: anja.brun@ch.pwc.com<br />
© 2013 <strong>PwC</strong>. All rights reserved. “<strong>PwC</strong>” refers to PricewaterhouseCoopers AG, which is a member firm<br />
of PricewaterhouseCoopers International Limited, each member firm of which is a separate legal entity.
Peter Ochsner<br />
Leiter Wirtschafts prüfung Schweiz<br />
peter.ochsner@ch.pwc.com<br />
<strong>Im</strong> März dieses Jahres hat die Schweizer Bevölkerung<br />
nicht über «Abzockerei» abgestimmt, sondern vielmehr<br />
über Teilaspekte der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> in börsenkotierten<br />
Unternehmen. Sobald der Gesetzgeber die<br />
24 Punkte der «Minder-Initiative» dem Wortlaut oder dem<br />
Sinne nach in der Verfassung verankert und die Aktienrechtsreform<br />
in deren Geiste verabschiedet hat, wird sich<br />
die Machtbalance – zumindest formal – verschieben. Ob<br />
die Generalversammlung ihre vermehrte Entscheidungsbefugnis<br />
auch effektiv wahrnehmen kann und will, wird<br />
sich erst nach ein paar Jahren Erfahrung beurteilen<br />
lassen. Einige Befürchtungen aber dürften sich bewahrheiten:<br />
Die Erwartungen der Öffentlichkeit an moderatere<br />
Vergütungen in den Chefetagen werden sich kaum<br />
erfüllen. Das Beziehungsgefüge zwischen den Organen<br />
der Aktiengesellschaft aber wird durcheinandergeraten.<br />
Die Machtbalance zwischen Generalversammlung,<br />
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung muss neu gefunden<br />
werden.<br />
« Ethik wird in<br />
Zukunft eine<br />
noch wichtigere<br />
Komponente<br />
der <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> sein.»<br />
Die klare Abgrenzung der Einflussbereiche und die Ausgestaltung der Kompetenzen<br />
für die einzelnen Organe sind ein konstituierendes Element für eine gute<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>. Damit die Checks & Balances im Unternehmen aber<br />
tatsächlich funktionieren, sind Interaktion und Kommunikation unverzichtbar. Für<br />
die externe Revision hat sich in den letzten Jahren das Audit Committee als einer<br />
der wichtigsten Ansprechpartner herauskristallisiert. Verwaltungsratsausschüsse<br />
sind zwar – ausser in der stark regulierten Finanzbranche – rechtlich nicht<br />
vorgeschrieben, setzen sich aber in der Praxis mehr und mehr durch. Eine gute<br />
<strong>Governance</strong> ohne Kommunikation zwischen einem qualifizierten Prüfungsausschuss<br />
und der unabhängigen Revisionsstelle ist bei grossen Unternehmen kaum<br />
mehr denkbar.<br />
Für den Prüfer sind indes nicht nur Gesetze massgebend. Hinzu kommen die<br />
nationalen und die internationalen Prüfungsstandards als unumstössliche<br />
Leitplanken für die Prüfungshandlungen und die Interaktion mit anderen Organen<br />
des zu prüfenden Unternehmens. Die Treuhand-Kammer als berufsständische<br />
Organisation der Wirtschaftsprüfer hat gerade die Schweizer Prüfungsstandards<br />
(PS) an die überarbeiteten «International Standards on Auditing», die sogenannten<br />
Carified ISA, angepasst. Der neue PS 260 macht klare Vorgaben zur «Kommunikation<br />
mit den für die Überwachung Verantwortlichen».<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> steht im engeren Sinne für die Führungs- und Überwachungsstrukturen<br />
eines Unternehmens. Der Begriff kann und sollte aber durchaus<br />
weiter gefasst werden. Die Schnittstellen zwischen <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>,<br />
Unternehmenskultur, Compliance und ethischem Verhalten umreissen sensible<br />
Felder der Firmenpolitik. Sie sind entscheidend für die Wahrnehmung und damit<br />
für die Reputation eines Unternehmens. Emotionen wecken heute vor allem<br />
Themen, die sich um verantwortungsbewusste Produktion über die gesamte<br />
Wertschöpfungskette hinweg und um die Gewinnbesteuerung drehen. Die<br />
Öffentlichkeit verlangt nicht nur legale Konstruktionen, sondern fordert deren<br />
Legitimität ein.<br />
Vielen Unternehmen ist dies durchaus bewusst. Am letzten Audit Committee<br />
Forum von <strong>PwC</strong> wurde unter anderem die Frage diskutiert, wie das Audit Committee<br />
mit der Compliance im Steuerbereich umgeht. Die Teilnehmer bezogen zu<br />
einem skalierten Beurteilungsraster zur Steuerstrategie ihres Unternehmens<br />
Stellung. Ich persönlich war überrascht und erfreut, wie engagiert die Verwaltungsräte<br />
auf diese Thematik eingegangen sind. Es bedarf keiner prophetischen<br />
Fähigkeit, um vorauszusagen, dass Ethik in Zukunft eine noch wichtigere Komponente<br />
der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> wird.<br />
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.<br />
Juni 2013 Disclose 3
<strong>Im</strong> <strong>Fokus</strong>:<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
Inhalt<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> – ein Führungssystem mit Checks & Balances von Peter Ochsner 5<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> von Schweizer Aktiengesellschaften – aktuelle Entwicklungen von Lorenz Lipp 8<br />
Relevante <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Bestimmungen für Schweizer Unternehmen von Lorenz Lipp 11<br />
Die externe Revision im Beziehungsdreieck mit Audit Committee und CFO von Stefan Räbsamen 12<br />
Muss der <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Bericht geprüft werden? von Stefan Räbsamen 15<br />
Interne Revision und <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> von Werner Stebler 16<br />
«Die Unternehmen selbst müssen das öffentliche Vertrauen wiederherstellen»<br />
Interview mit Stephen O’Hearn über <strong>Governance</strong> und Regulierung multinationaler Unternehmen 19<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>: Erfolg und Versagen einer Leitidee Gastbeitrag von Prof. Dr. Peter Böckli 22<br />
6 Themen, 24 Fragen – eine Checkliste zur <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> 27<br />
Update<br />
In der Rubrik Update thematisiert «Disclose» den Entwurf zur Erweiterung der Ethikstandards für Wirtschaftsprüfer, die<br />
ergänzende Fachempfehlung für kotierte Unternehmen, die überarbeiteten Schweizer Prüfungsstandards und das neue<br />
Rahmenwerk zum Integrated Reporting. 29<br />
Leserservice 42<br />
Disclose-<br />
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4<br />
Disclose Juni 2013
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> –<br />
ein Führungssystem<br />
mit Checks & Balances<br />
Was bedeutet <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong>? <strong>Im</strong> Deutschen<br />
lässt sich der Begriff<br />
nur umschreiben:<br />
Es geht um ausgewogene<br />
Führungsstrukturen<br />
und eine funktionierende<br />
Überwachung innerhalb<br />
des Unternehmens.<br />
Eine gute <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> bezieht sich<br />
nicht nur auf Organe<br />
und Prozesse, sondern<br />
spiegelt sich auch in der<br />
Kultur, der Ethik und<br />
den Verhaltensweisen.<br />
Die meistzitierte Definition von <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> ist jene der OECD. Danach<br />
betrifft die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> «das<br />
ganze Geflecht der Beziehungen zwischen<br />
dem Management eines Unternehmens, dem<br />
Aufsichtsorgan, den Aktionären und anderen<br />
Unternehmensbeteiligten (Stakeholder)».<br />
Doch schon beim letzten Halbsatz dieser<br />
Begriffsbestimmung scheiden sich die<br />
Geister. Die puristische Auslegung reduziert<br />
die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> auf die Beziehung<br />
zwischen Unternehmensführung und<br />
Aktionariat. Der Verband der Schweizer<br />
Unternehmen «economiesuisse» stellt auf<br />
eine solch eng gefasste Definition ab, wenn<br />
er <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> als «die Gesamtheit<br />
der auf das Aktionärsinteresse ausgerichteten<br />
Grundsätze» bezeichnet.<br />
Die Forderungen nach <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
wurzeln in der Prinzipal-Agenten-<br />
Problematik, die jeder Kapitalgesellschaft<br />
innewohnt: Die Trennung von Eigentum und<br />
Kontrolle bringt es mit sich, dass die<br />
Eigentümer die Entscheidungskompetenz<br />
und die Verantwortung für die Geschicke<br />
ihres Unternehmens delegieren. Dies birgt<br />
die Gefahr eines «Moral hazard»: Das<br />
Management (als Agent) könnte versucht<br />
sein, seinen Informationsvorsprung<br />
eigennützig und auf Kosten der Aktionäre<br />
(des Prinzipals) auszunutzen. Nach dieser<br />
Sichtweise, die letztlich auf die Neue<br />
Institutionenökonomie von Ronald Coase<br />
(Wirtschaftsnobelpreis 1991) zurückgeht,<br />
resultiert die Notwendigkeit einer guten<br />
<strong>Governance</strong> einzig aus der personellen<br />
Trennung von Geschäftsführung und<br />
Eigentum, einer Konstellation, die vor allem<br />
für Aktiengesellschaften konstituierend ist.<br />
Die weitgefasste Auslegung von <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> hingegen bezieht die Interessen<br />
aller Anspruchsgruppen mit ein und zielt auf<br />
ein ausgewogenes Beziehungsgeflecht<br />
zwischen allen Unternehmensbeteiligten im<br />
gesellschaftlichen Interesse.<br />
Kultur, Ethik und Verhaltensweisen<br />
Als «klassisch» gilt die weit gefasste Definition<br />
von Adrian Cadbury. Der langjährige<br />
Chairman von Cadbury Schweppes, der<br />
zeitweise auch Director der Bank von<br />
England war, leitete zu Beginn der Neunzigerjahre<br />
das «UK Committee on the Financial<br />
Aspects of <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>». Die<br />
Prinzipien des nach ihm benannten «Cadbury<br />
Report» aus dem Jahr 1992 bilden die<br />
Grundlage des «UK <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
Code», den das Financial Reporting Council<br />
herausgibt. Dieser Kodex, der im September<br />
2012 in überarbeiteter Fassung erschien, gilt<br />
als wegweisend.<br />
Der UK-Code umfasst die fünf Bereiche<br />
Führung, Wirksamkeit, Verantwortlichkeit,<br />
Vergütung und Beziehungen zu den<br />
Aktionären. Damit spiegelt er das breite<br />
Themenspektrum der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>;<br />
er verdeutlicht, dass es nicht nur um<br />
Prozesse geht, sondern gerade auch um<br />
Kultur, Ethik und Verhaltensweisen.<br />
Juni 2013 Disclose 5
Die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> ist ein<br />
Pfeiler für die Stabilität des<br />
Wirtschafts- und Finanzsystems.<br />
Peter Ochsner<br />
Leiter Wirtschaftsprüfung Schweiz<br />
peter.ochsner@ch.pwc.com<br />
Vertrauen festigen<br />
Der Bezug zu Kultur und Werten ist wichtig,<br />
denn man kann die Frage, was gute <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> ist, nicht von der Frage<br />
trennen, wem sie zugute kommt. Dies sind<br />
letztlich alle Stakeholder. Zunächst nützen<br />
ausgewogene Führungsstrukturen mit<br />
Checks & Balances dem Unternehmen selbst.<br />
Sie verleihen der Unternehmensführung<br />
Sicherheit, denn sie hat die Gewissheit, dass<br />
die Überwachungsmechanismen funktionieren.<br />
Dies verringert die Gefahr unternehmerischer<br />
Fehlentscheidungen, etwa die<br />
Akquisition nicht werthaltiger Firmen; eine<br />
gute <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> verhindert, dass<br />
sich das Unternehmen in eine strategisch<br />
falsche Richtung entwickelt, sich Fehlleistungen<br />
und Ausreisser erlaubt. Sie geht mit<br />
Reputation einher, festigt also das Vertrauen<br />
von Investoren, Mitarbeitern und Geschäftspartnern,<br />
aber auch der Öffentlichkeit.<br />
Damit sind die weiteren Gruppen der<br />
Nutzniesser bereits genannt: Aktionäre und<br />
Stakeholder. Für Aktionäre sind funktionierende<br />
<strong>Governance</strong>-Strukturen die beste<br />
Möglichkeit, Prinzipal-Agenten-Konflikte zu<br />
vermeiden. Zudem haben die Anteilseigner<br />
wie auch andere Anspruchsgruppen ein<br />
höheres Mass an Sicherheit (wenn auch nie<br />
eine absolute), dass ihr Unternehmen in eine<br />
Richtung gesteuert wird, die auf Dauer<br />
Wachstum und Prosperität verspricht.<br />
Darüber hinaus hat die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
eine gesamtwirtschaftliche Komponente.<br />
Sie ist ein Pfeiler für die Stabilität des<br />
Wirtschafts- und Finanzsystems. Wenn alle<br />
Unternehmen über robuste Rahmenwerke<br />
zur Führung und Kontrolle verfügen,<br />
schaffen sie zugleich eine wichtige Voraussetzung<br />
für eine reibungslose Funktionsweise<br />
der Kapitalmärkte.<br />
Wache Öffentlichkeit<br />
Um die Jahrtausendwende erregte das<br />
Thema <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> weltweit<br />
Aufsehen. Spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche,<br />
vor allen jene des Energiekonzerns<br />
Enron und des Telekommunikationsanbieters<br />
Worldcom, offenbarten ein<br />
eklatantes Versagen von Führung und<br />
Kontrolle. Seither sind die Finanzwelt, die<br />
Regierungen und die Öffentlichkeit für<br />
<strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Fragen sensibilisiert.<br />
Die Skandale lösten eine Regulierungswelle<br />
aus. In den USA wurde 2002 der Sarbanes-<br />
Oxley Act verabschiedet; darin sind unter<br />
anderen Vorschriften zur <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> börsennotierter US-Unternehmen<br />
enthalten.<br />
Auch in der Schweiz reagierten Wirtschaft<br />
und Regulatoren rasch: 2002 veröffentlichte<br />
die «economiesuisse» den Expertenbericht<br />
«<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> in der Schweiz» und<br />
den «Swiss Code of Best Practice for<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>». <strong>Im</strong> gleichen Jahr<br />
trat die «Richtlinie betr. Informationen zur<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>» der Schweizer Börse<br />
in Kraft. Sie verpflichtet alle börsenkotierten<br />
Unternehmen, detaillierte Angaben «über<br />
die Führung und Kontrolle auf oberster<br />
Unternehmensebene» zu machen. Parallel<br />
zur Regulierung kristallisierten sich<br />
gesellschaftliche Instanzen heraus, die sich<br />
einer guten <strong>Governance</strong> verschrieben haben.<br />
In der Schweiz gewannen kritische Aktionärsvertreter<br />
rasant an Einfluss; die Empfehlungen<br />
von Stimmrechtsberatern wie der «Ethos<br />
Stiftung» oder der US-amerikanischen<br />
«Institutional Shareholder Services» (ISS)<br />
finden bei institutionellen Investoren<br />
zunehmend Gehör. Zudem reflektierten<br />
Medien und Öffentlichkeit tatsächliche<br />
oder vermeintliche unternehmerische<br />
Fehlentscheidungen stets auch unter dem<br />
<strong>Governance</strong>-Aspekt.<br />
6<br />
Disclose Juni 2013
Bessere Kontrollsysteme<br />
Hat das alles zu einer besseren <strong>Governance</strong><br />
beigetragen? Vieles deutet darauf hin,<br />
etwa die Zunahme nicht exekutiver Verwaltungsratsmitglieder,<br />
die Einrichtung und<br />
Zusammensetzung von Verwaltungsratsausschüssen,<br />
der Ausbau der internen Kontrolle<br />
oder die Aufmerksamkeit, die heute einer<br />
wirksamen Überwachung zukommt. Doch<br />
mit einem klaren Ja zu antworten, wäre<br />
verfrüht.<br />
Fest steht: Die Regulierung, insbesondere der<br />
Sarbanes-Oxley Act, hat die <strong>Governance</strong><br />
formalisiert. Ein entscheidender Schritt ist<br />
die Vorgabe eines dokumentierten und<br />
getesteten internen Kontrollsystems (IKS)<br />
für die Finanzberichterstattung. Das<br />
Management muss für den Verwaltungsrat<br />
einen Bericht über die Effektivität (und nicht<br />
nur das Vorhandensein) eines IKS erstellen;<br />
das IKS ist zudem Gegenstand der externen<br />
Prüfung. Derartige Vorschriften, die heute<br />
längst nicht nur in den USA gelten, haben<br />
sicher dazu beigetragen, dass Kontrollen<br />
besser funktionieren und die Verlässlichkeit<br />
der Rechnungslegung im Sinne eines<br />
Rechenschaftsberichts der Unternehmen<br />
gestiegen ist.<br />
Die Finanzkrise hat eine erneute Debatte<br />
über gute <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> ausgelöst –<br />
auch wenn die heutige Krise nicht in erster<br />
Linie auf ein Versagen der <strong>Governance</strong> der<br />
Unternehmen zurückgeführt werden kann.<br />
Sie hatte vielfältige Ursachen, von denen an<br />
dieser Stelle nur die leichtfertige Kreditvergabe,<br />
die schier grenzenlose Kreativität bei<br />
der Bündelung von Finanzprodukten und die<br />
Modellgläubigkeit der Verantwortlichen in<br />
den Finanzinstituten genannt sein sollen.<br />
Dennoch können aus der Finanzkrise auch<br />
Lehren für die Gestaltung der <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> gezogen werden. Darauf weist<br />
die OECD in ihrer Publikation «The <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> Lessons from the Financial<br />
Crisis» (2009) hin und verweist insbesondere<br />
auf die Risikomanagement- und Vergütungssysteme.<br />
«Comply or explain»<br />
Auch die Europäische Kommission hat<br />
Initiative ergriffen: 2011 veröffentlichte sie<br />
ein Grünbuch zu einem <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Rahmenwerk,<br />
ein Jahr später folgte<br />
ein Aktionsplan zu einem europäischen<br />
Unternehmensrecht und zur <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong>. Das Grünbuch spricht drei<br />
Themenbereiche an, die der EU-Kommission<br />
zufolge das Herz einer guten <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> ausmachen: leistungsstarke und<br />
effektive Verwaltungsräte, Aktionäre, die<br />
sich für ihr Unternehmen engagieren, sowie<br />
die Art und Weise, in welcher der Grundsatz<br />
des «comply or explain» angewandt wird.<br />
«Comply or explain» – halte dich an die<br />
Vorgaben oder erkläre, weshalb du es nicht<br />
tust – ist als Prinzip in vielen Rahmenwerken<br />
zur <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> verankert. Der<br />
UK <strong>Governance</strong> Code widmet ihm ein ganzes<br />
Kapitel. In der Schweiz orientiert sich die<br />
SIX-Richtlinie ebenfalls an diesem Prinzip,<br />
während der Kodex der «economiesuisse»<br />
nur inhaltliche Empfehlungen, aber ausser<br />
dem Verweis auf die Offenlegungspflichten<br />
der SIX-Richtlinie keine ausführlichen<br />
Bestimmungen zur Transparenz enthält.<br />
In der Praxis erklären die Unternehmen oft<br />
nur unzureichend, weshalb sie einzelne<br />
Richtlinien oder Empfehlungen zur <strong>Governance</strong><br />
nicht einhalten. Eine EU-Studie<br />
(«Study on Monitoring and Enforcement<br />
Practices in <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> in the<br />
Member States»), aber auch ein Blick in<br />
manchen Geschäftsbericht zeigt, dass die<br />
Informationsqualität unzulänglich ist.<br />
Natürlich ist es für Unternehmen, welche die<br />
Empfehlungen der Rahmenwerke nicht<br />
einhalten wollen, oft schwierig und unangenehm,<br />
eine überzeugende Begründung zu<br />
liefern. Doch gerade das Prinzip des «Comply<br />
or explain» ist essenziell, wenn es darum<br />
geht, die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> nicht primär<br />
in Gesetzen, sondern in Rahmenwerken zu<br />
regeln.<br />
Das Gesellschaftsrecht konzentriert sich<br />
darauf, die Verantwortlichkeiten der Organe<br />
zu regeln. Aspekte der <strong>Governance</strong>, die<br />
darüber hinausgehen, sollten nicht formal<br />
reguliert sein. Gerade weil <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> eng an die Unternehmenskultur<br />
und die Verhaltensweisen gekoppelt ist, lässt<br />
sie sich nicht verordnen. <strong>Governance</strong>-Strukturen<br />
erweisen sich als robust, wenn sie auf<br />
die Grösse, die Struktur und die Werte des<br />
Unternehmens zugeschnitten sind; zudem<br />
müssen sie flexibel genug sein, um Anpassungen<br />
an sich ständig ändernde Anforderungen<br />
zu erlauben. Eine gute <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> ist, prägnant ausgedrückt, ein<br />
dynamisches Führungssystem mit Checks &<br />
Balances.<br />
Die «klassische»<br />
Cadbury-Definition<br />
«<strong>Corporate</strong> governance is the<br />
system by which companies are<br />
directed and controlled. Boards<br />
of directors are responsible for the<br />
governance of their companies.<br />
The shareholders’ role in<br />
governance is to appoint the<br />
directors and the auditors and to<br />
satisfy themselves that an<br />
appropriate governance structure is<br />
in place. The responsibilities of the<br />
board include setting the company’s<br />
strategic aims, providing the<br />
leadership to put them into effect,<br />
supervising the management of the<br />
business and reporting to<br />
shareholders on their stewardship.<br />
The board’s actions are subject to<br />
laws, regulations and the<br />
shareholders in general meeting.»<br />
Juni 2013 Disclose 7
Quintessenz: Kennzeichnend für die Aktiengesellschaft in der Schweiz sind die Selbstverwaltung in weitgehender<br />
Gestaltungsfreiheit einerseits und die stark strukturierte interne Funktionsaufteilung andererseits. Jede Regulierung,<br />
die dieses Balancegefüge durcheinanderbringt, sollte sich am Gebot einer nachhaltig angelegten, erfolgreichen<br />
Unternehmensführung orientieren.<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> von<br />
Schweizer Aktiengesellschaften –<br />
aktuelle Entwicklungen<br />
In der Schweiz, aber nicht nur dort, ertönt seit<br />
geraumer Zeit der Ruf nach einer Stärkung der<br />
Aktionärsrechte. Eine Machtverschiebung im<br />
Verhältnis von Anteilseignern und Verwaltungsräten<br />
erscheint auf den ersten Blick sinnvoll; denn ihr Ziel<br />
ist es, den Eigentümern des Unternehmens eine<br />
wirksamere Kontrolle der Unternehmensführung zu<br />
ermöglichen. Genauer betrachtet aber könnte das<br />
austarierte Balancegefüge der Gesellschaftsorgane<br />
aus den Fugen geraten.<br />
Die Organe eines Unternehmens sind von grundlegender<br />
Bedeutung für die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>. Ihre Rechte<br />
und Pflichten sowie die Beziehungen, in denen sie<br />
zueinander stehen, bilden ein Gerüst, um das herum sich<br />
<strong>Governance</strong>-Strukturen errichten lassen. Das Gerüst<br />
ist – differenziert nach Rechtsform – im Gesellschaftsrecht<br />
verankert.<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> ist für alle Unternehmen ein<br />
Thema, unabhängig von der Rechtsform, der Grösse oder<br />
den Eigentumsverhältnissen. Die aktuelle Debatte aber<br />
dreht sich fast ausschliesslich um (börsenkotierte)<br />
Aktiengesellschaften. Daher sei einleitend ein Blick auf<br />
den besonderen Charakter der Aktiengesellschaften<br />
gerichtet: Die Eigentümer einer Aktiengesellschaft sind<br />
die Aktionäre. Doch im Gegensatz zu einem «echten»<br />
Eigentümer, der letztlich für seine Handlungen und<br />
Entscheidungen voll verantwortlich und unter Umständen<br />
auch persönlich haftbar ist, ist der Aktionär gesetzlich<br />
von jeglicher Verantwortung und Haftung befreit.<br />
Der Aktionär ist zu nichts weiter verpflichtet als zur<br />
Einzahlung des gezeichneten Kapitals, und er haftet<br />
nicht für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Art. 680<br />
Abs. 1 OR). Auch ist es nicht zulässig, durch statutarische<br />
Bestimmungen irgendwelche Nebenleistungen des<br />
Aktionärs (beispielsweise eine Treuepflicht gegenüber<br />
der Gesellschaft, an der er beteiligt ist) zu verlangen.<br />
Der Aktionär als «verantwortungsfreier<br />
Eigentümer»<br />
In Anlehnung an Professor Peter Böckli könnte man<br />
daher den Aktionär als «verantwortungsfreien Eigentümer»<br />
bezeichnen (vgl. Peter Böckli, Schweizer Aktienrecht,<br />
4. Auflage, Zürich 2009, § 1, N 152, S. 70). Dies ist<br />
keinesfalls abschätzend gemeint. Vielmehr ist die<br />
Ausgabe von Anteilscheinen (Aktien) ohne weitere<br />
Haftung ein grossartiges Konstrukt, das die Niederländer<br />
zur Finanzierung ihrer Ostindien-Kompanie im Jahre<br />
1602 erstmals herangezogen haben. Die Aktiengesellschaft<br />
hat sich – entgegen den Befürchtungen von Adam<br />
Smith (im Hinblick auf die Trennung von Management<br />
und Eigentum) – zu einer überaus erfolgreichen<br />
Rechtsform entwickelt. Dank ihrer Flexibilität, aber auch<br />
wegen ihrer klaren Organisationsstruktur hat sich die<br />
Aktiengesellschaft in der Schweiz als die dominierende<br />
Rechtsform – geeignet sowohl für KMU als auch für<br />
kotierte Gesellschaften – durchgesetzt. Den unterschiedlichen<br />
Gegebenheiten bei grossen und kleinen Unternehmen<br />
begegnet das Schweizer Recht pragmatisch:<br />
Einerseits betreffen viele Bestimmungen in der Praxis<br />
nur die grösseren Unternehmen (bedingtes Kapital,<br />
institutionelle Stimmrechtsvertretung, Vinkulierungsregime<br />
für kotierte Namenaktien, Zweiteilung der<br />
Exekutive in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung);<br />
andererseits bestehen zahlreiche Erleichterungen für<br />
KMU (so bei der Rechnungslegung, der Revision, der<br />
Konsolidierungspflicht, der Finanzplanung, dem<br />
Lagebericht oder den vereinfachten Anforderungen an<br />
KMU bei Fusion, Spaltung und Umwandlung).<br />
8<br />
Disclose Juni 2013
Obwohl die Aktionäre «verantwortungsfrei» sind, ist die<br />
Stärkung der Aktionärsrechte ein oft formuliertes<br />
Anliegen; auch der Bundesrat verfolgt dieses Ziel explizit<br />
im Rahmen der Aktienrechtsreform. Nach geltendem<br />
Recht manifestieren sich die Mitwirkungsrechte der<br />
Aktionäre primär in der Generalversammlung, dem<br />
obersten Organ der Aktiengesellschaft (Art. 698 OR).<br />
Hier müsste denn auch der Hebel angesetzt werden,<br />
wenn die Aktionärsrechte gestärkt werden sollen. Dabei<br />
kommen der Rechenschaftspflicht des Verwaltungsrates<br />
gegenüber dem obersten Organ und der transparenten<br />
Rechnungslegung an die Aktionäre höchste Bedeutung<br />
zu. Nur eine ungeschönte finanzielle Berichterstattung<br />
ermöglicht dem Aktionär überhaupt, eine Beurteilung<br />
der Leistung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung<br />
vorzunehmen. Auch sollten teilweise noch bestehende<br />
Hürden möglichst tief gelegt werden, wenn es etwa um<br />
die Erfordernisse für die Einberufung einer Generalversammlung,<br />
die Teilnahme-, Traktandierungs-, Informations-<br />
und Auskunftsrechte, die Durchführung einer<br />
Sonderprüfung oder Beschränkungen der Stimmrechtsausübung<br />
geht.<br />
Die Aktionäre sind nicht<br />
verpflichtet, ihre Rechte im<br />
nachhaltigen Interesse des<br />
Unternehmens auszuüben.<br />
Die derzeitige Diskussion aber zielt in eine andere Richtung;<br />
sie dreht sich in erster Linie darum, die (vermeintliche)<br />
Macht der Verwaltungsräte zu beschneiden, indem<br />
die Aktionäre weitreichende Mitspracherechte, etwa bei<br />
der Vergütung oder der Amtsdauer, erhalten. Dabei ist in<br />
Erinnerung zu rufen, dass das Schweizer Aktienrecht<br />
den drei Organen Generalversammlung, Verwaltungsrat<br />
und Revisionsstelle klare Aufgaben und Verantwortlichkeiten<br />
zuteilt. (Zur Rolle der externen Revision im<br />
Rahmen der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> vgl. den Beitrag auf<br />
Seite 12.)<br />
Lorenz Lipp<br />
Partner, Wirtschaftsprüfung<br />
lorenz.lipp@ch.pwc.com<br />
Divergierende Interessenlage<br />
Der Verwaltungsrat nimmt als Gremium zwischen den<br />
Aktionären und der Geschäftsführung eine doppelte<br />
Verpflichtung wahr. Er wird von der Generalversammlung<br />
gewählt und handelt insofern als Treuhänder der<br />
Aktionäre; zugleich obliegt ihm ausdrücklich eine<br />
Treuepflicht gegenüber dem Unternehmen (Art. 717 OR).<br />
Von daher kann sich – zumindest vorübergehend –<br />
eine unterschiedliche Interessenlage ergeben, insbesondere<br />
wenn Aktionäre nur kurzfristige Ziele verfolgen.<br />
Aktionäre sind nicht verpflichtet, ihre Rechte im<br />
(nachhaltigen) Interesse des Unternehmens auszuüben,<br />
sondern dürfen diese eigennützig und ohne Rücksicht<br />
auf andere Stakeholder wahrnehmen. Die divergierende<br />
Interessenlage erfährt eine besondere Brisanz, wenn<br />
man sich vor Augen hält, dass viele Anteilseigner nur<br />
wenige Tage oder – dank des «Machine Trading» – gar<br />
nur Bruchteile von Sekunden in einem Unternehmen<br />
investiert sind.<br />
In Zeiten elektronischer Handelsplattformen dürfte die<br />
Anzahl der langfristig engagierten Aktionäre, die wie der<br />
Verwaltungsrat primär das Wohl der Gesellschaft im<br />
Auge haben, tendenziell abnehmen. Doch selbst, wenn<br />
man sich an diesem Idealbild des traditionellen Aktionärs<br />
orientiert, erscheint eine Ausweitung der Aktionärsrechte<br />
fraglich. Sind die Anteilseigner mit der Leistung<br />
und der Strategie des Verwaltungsrats nicht einverstanden,<br />
haben sie an jeder Generalversammlung die<br />
Möglichkeit, einzelne oder alle Verwaltungsräte<br />
abzuwählen. Zudem steht es ihnen frei, ihre Aktien jederzeit<br />
zu veräussern. Weil dies bei KMU nicht so leicht<br />
möglich ist, erhalten die Rechte zum Schutz der<br />
Juni 2013 Disclose 9
Minderheiten gerade für diese Unternehmen eine<br />
erhöhte Bedeutung. Je enger der Kreis der Aktionäre ist<br />
und je stärker diese wirtschaftlich vom Erfolg des<br />
Unternehmens abhängig sind (was vor allem bei<br />
Familiengesellschaften der Fall ist), desto besser sind<br />
jene Aktionäre, die nicht im Unternehmen in Führungsfunktionen<br />
tätig sind, zu informieren.<br />
Verändern sich die Rechte der Generalversammlung, hat<br />
dies unweigerlich Konsequenzen für die Stellung des<br />
Verwaltungsrats. Als oberstes Leitungs- und Aufsichtsorgan<br />
stehen ihm von Gesetzes wegen wesentliche<br />
Kompetenzen zu; Art. 716a Abs. 1 OR bezeichnet diese<br />
als «unübertragbare und unentziehbare Aufgaben». Eine<br />
dieser Aufgaben ist «die Ernennung und Abberufung der<br />
mit der Geschäftsführung und der Vertretung betrauten<br />
Personen». Wenn nun, wie mit der Annahme der<br />
«Minder-Initiative» beschlossen, die Generalversammlung<br />
bei kotierten Gesellschaften über die Vergütung der<br />
Geschäftsleitung abstimmen soll, wirft dies eine<br />
juristische Frage auf: Wird eine unübertragbare Aufgabe<br />
des Verwaltungsrats beschnitten? Denn in der Praxis ist<br />
es kaum vorstellbar, dass der Verwaltungsrat Geschäftsleitungsmitglieder<br />
bestellen kann, ohne die Kompetenz<br />
zu haben, deren Anstellungskonditionen und damit auch<br />
die Vergütung auszuhandeln. – Auf die Antwort des<br />
Gesetzgebers darf man gespannt sein.<br />
Anforderungsprofile an Verwaltungsräte<br />
Unter <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Aspekten ist eine weitere<br />
Bestimmung des rechtlichen Gerüsts von Bedeutung:<br />
Der Verwaltungsrat hat das Recht, Geschäftsleitungsaufgaben<br />
zu delegieren (was ihn aber in keiner Weise<br />
von der Verantwortung befreit); bei allen grösseren<br />
Aktiengesellschaften macht er davon Gebrauch. Mit der<br />
Geschäfts leitung oder dem Management kommt dann<br />
ein weiteres Gremium ins Spiel. Sobald der Verwaltungsrat<br />
die Geschäftsführung delegiert, obliegt ihm –<br />
abgeleitet aus der Oberaufsicht gemäss Art. 716a Abs. 1<br />
Ziff. 5 OR – eine Überwachungsfunktion für die<br />
Geschäftsleitung.<br />
Oberste Leitung und Überwachung der Gesellschaft –<br />
wer diese Aufgaben gut erfüllen will, muss besonderen<br />
Anforderungen genügen. Die Qualifikation der einzelnen<br />
Verwaltungsräte und die Zusammensetzung des<br />
Gremiums sind denn auch Eckpunkte der <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong>. <strong>Im</strong> Gesetz finden sich nur sehr rudimentäre<br />
Bestimmungen zur Qualifikation, wie etwa die Handlungs-<br />
und Urteilsfähigkeit. Daneben sind Fachkompetenz,<br />
Unabhängigkeit und Führungsstärke unbestritten<br />
die entscheidenden Kriterien für das Anforderungsprofil<br />
eines Verwaltungsrats. Es herrscht auch ein – nicht<br />
kodifizierter – Konsens darüber, dass alle Verwaltungsräte<br />
Grundkenntnisse der Rechnungslegung sowie der<br />
Verändern sich die Rechte der<br />
Generalversammlung, hat dies<br />
Konsequenzen für die Stellung<br />
des Verwaltungsrats.<br />
rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge<br />
haben sollen und zur persönlichen Mitwirkung im<br />
Unternehmen bereit sein müssen. Damit der Verwaltungsrat<br />
gegenüber der Geschäftsführung als ebenbürtiger<br />
Sparringspartner funktionieren kann, sollte er als<br />
Gremium alle wesentlichen Bereiche und Funktionen des<br />
Unternehmens kompetent abdecken.<br />
Was für den Verwaltungsrat als Ganzes gilt, trifft in noch<br />
höherem Masse auf dessen Ausschüsse zu. Eine Personalplanung<br />
für den Verwaltungsrat selbst drängt sich<br />
geradezu auf. Wichtig ist diese vor allem für die Besetzung<br />
des Prüfungs- und des Entschädigungsausschusses,<br />
deren Mitglieder «unabhängig» sein sollten (das heisst,<br />
sie sollten während der letzten Jahre keine Führungsfunktion<br />
im Unternehmen ausgeübt haben) und zudem<br />
vertiefte Kenntnisse im Finanz- und Rechnungswesen<br />
(«financial literacy») aufweisen sollten.<br />
Balancegefüge aufrechterhalten<br />
Kennzeichnend für die Aktiengesellschaft in der Schweiz<br />
sind die Selbstverwaltung in weitgehender Gestaltungsfreiheit<br />
einerseits und die stark strukturierte interne<br />
Funktionsaufteilung andererseits. Jede Regulierung, die<br />
dieses Balancegefüge durcheinanderbringt, sollte sich<br />
am Gebot einer nachhaltig angelegten, erfolgreichen<br />
Unternehmensführung orientieren. Daran ist auch der<br />
postulierte Ausbau der Aktionärsrechte zu messen. Eine<br />
Verstärkung der Einflussmöglichkeiten der Aktionäre<br />
ohne adäquate Ausgleichsmechanismen erscheint<br />
fragwürdig.<br />
Will man – dem Leitgedanken des Aktienrechts folgend –<br />
den Aktionären neben der Liberierungspflicht keine<br />
weiteren Pflichten auferlegen, so könnte man, wie<br />
Professor Peter Forstmoser auf einer Tagung des<br />
Europa-Instituts an der Universität Zürich zur Diskussion<br />
gestellt hat, gewisse Verhaltensweisen belohnen.<br />
Aktionäre, die ihre Anteile längerfristig halten, könnten<br />
beispielsweise in den Genuss einer Vorzugsdividende<br />
oder einer gewichtigeren Stimmkraft kommen.<br />
Ähnliche Gedanken haben sich bereits die Gründer der<br />
niederländischen Ostindien-Kompanie gemacht. Deren<br />
Aktionäre waren zehn Jahre lang an ihre Anlage<br />
gebunden.<br />
10<br />
Disclose Juni 2013
Relevante <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-<br />
Bestimmungen für Schweizer Unternehmen<br />
Das Schweizer Aktienrecht regelt zwar die Kompetenzen<br />
und Verantwortlichkeiten der einzelnen Organe, lässt<br />
dem Verwaltungsrat jedoch einen weiten Gestaltungsspielraum<br />
für die Organisation des Unternehmens.<br />
Bei kotierten Unternehmen verlangt die SIX Swiss Stock<br />
Exchange die Beachtung ihrer «Richtlinie betr. Informationen<br />
zur <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>» (RLCG, mit Anhang).<br />
Diese Richtlinie stützt sich auf das Börsengesetz, wonach<br />
die Börse dafür zu sorgen hat, dass die Investoren<br />
Informationen zur Beurteilung der Qualität der Emittenten<br />
erhalten.<br />
Die Handlungsmaxime des Aktienrechts für den<br />
Verwaltungsrat ist sehr abstrakt. Art. 717 OR verlangt<br />
kurz: «Die Mitglieder des Verwaltungsrates […] müssen<br />
ihre Aufgaben mit aller Sorgfalt und die Interessen der<br />
Gesellschaft in guten Treuen wahren. Sie haben die<br />
Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu<br />
behandeln.» Wegen dieser abstrakten Formulierung<br />
besteht in der Praxis ein Bedürfnis nach Leitlinien zur<br />
Umsetzung. Diesem Bedürfnis ist der Dachverband der<br />
Schweizer Wirtschaft, die economiesuisse, mit den<br />
Empfehlungen des «Swiss Code of Best Practice for<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>» im Jahr 2002 nachgekommen.<br />
Die Leitlinie dieses Kodex ist primär das Interesse der<br />
Aktionäre. Die darin angestrebten Ziele sind ein<br />
ausgewogenes Verhältnis von Führung und Kontrolle, die<br />
Sicherstellung von Entscheidungsfähigkeit und Effizienz<br />
der Unternehmensführung sowie die Transparenz. Es<br />
geht also um die Regeln guter Unternehmensführung<br />
und -kontrolle im Interesse der Aktionäre (und allenfalls<br />
weiterer Stakeholder) und um die Offenlegung solcher<br />
Regeln.<br />
Während für die kotierten Gesellschaften somit anerkannte<br />
Leitlinien zur Verfügung stehen, fehlen solche<br />
Umsetzungshilfen für die in der Schweiz so wichtigen<br />
KMU. Zwar sehen sich KMU teilweise den gleichen<br />
Herausforderungen gegenüber wie kotierte Unternehmen;<br />
es gibt aber auch spezifische Wesensmerkmale<br />
kleiner und mittelgrosser Unternehmen. Verglichen mit<br />
den Publikumsgesellschaften ist der Interessengegensatz<br />
zwischen den Beteiligten, die an der Unternehmensführung<br />
aktiv mitwirken, und denjenigen, die daran nicht<br />
teilhaben, oftmals verschärft. Zudem besteht bei KMU<br />
eine grössere Gefahr, dass andere Interessen als das der<br />
langfristigen Gewinnerzielung verfolgt oder dass<br />
Gesellschafts- und Privatvermögen vermischt werden.<br />
<strong>Im</strong> konkreten Einzelfall sind im Sinne einer guten<br />
Unternehmensführung bei KMU insbesondere folgende<br />
Punkte unter den Beteiligten zu regeln:<br />
• präzise Festlegung der Unternehmensziele und<br />
-strategie sowie eines Zeitplans zu deren Erreichung<br />
beziehungsweise Umsetzung;<br />
• Zusammensetzung der Unternehmensorgane<br />
(Vertretung der Aktionäre im Verwaltungsrat,<br />
Mitwirkung in der Geschäftsleitung, Beizug externer,<br />
unabhängiger Verwaltungsräte);<br />
• Ausschüttungspolitik (angemessene Dividenden);<br />
• Modalitäten für den Aus- und Eintritt von Beteiligten<br />
(Bewertungsverfahren zur Bestimmung des wirklichen<br />
Wertes des Unternehmens, transparente<br />
Rechnungslegung, Vinkulierungsbestimmungen);<br />
• strikte Trennung von Privat- und Unternehmenssphäre.<br />
Auch wenn die meisten und wichtigsten Regeln sich<br />
bereits aus den gesetzlichen Vorschriften ergeben, sind<br />
vertragliche Ergänzungen für den konkreten Einzelfall<br />
in der Regel sinnvoll.<br />
Strengeren Anforderungen unterliegen in der Schweiz<br />
nur Finanzinstitute. Deren <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> hat die<br />
Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA in den<br />
Rundschreiben 2008/24 «Überwachung und interne<br />
Kontrolle bei Banken» und 2008/32 «<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>,<br />
Risikomanagement und Internes Kontrollsystem<br />
bei Versicherern» detailliert geregelt.<br />
Als Gründungsmitglied der OECD hat sich die Schweiz<br />
auch zur Einhaltung der 2004 verabschiedeten OECD-<br />
Grundsätze der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> verpflichtet.<br />
Diese stellen eine anerkannte Richtlinie für die Selbstregulierung<br />
dar und sind primär für die kotierten<br />
Unternehmen konzipiert, können aber auch «ein nützliches<br />
Instrument zur Verbesserung der Unternehmensführung<br />
in nicht börsennotierten Unternehmen»<br />
darstellen. Zudem finden sich bei der OECD eigene<br />
Leitsätze zur <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> in staatseigenen<br />
Unternehmen.<br />
Juni 2013 Disclose 11
Die externe Revision im<br />
Beziehungsdreieck mit Audit<br />
Committee und CFO<br />
Verwaltungsratsausschüsse sind<br />
heute in zahlreichen Schweizer<br />
Unternehmen etabliert. Fragen<br />
der Rechnungslegung und Revision<br />
delegiert der Gesamtverwaltungsrat<br />
– vor allem in börsenkotierten<br />
Unternehmen – meist<br />
an einen Prüfungsausschuss, das<br />
Audit Committee. Die Revisionsstelle<br />
unterhält somit eine Dreiecksbeziehung<br />
mit dem Audit<br />
Committee und dem CFO. Der<br />
Schlüssel für die Funktionsweise<br />
liegt in der Machtbalance und<br />
der Kommunikation.<br />
Die externe Revision ist – neben der Generalversammlung<br />
und dem Verwaltungsrat –<br />
das dritte Organ der Aktiengesellschaft im<br />
rechtlichen Sinne. Das Beziehungsgeflecht<br />
zwischen diesen Organen bestimmt zu<br />
einem grossen Teil die Qualität der <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong>. Das Schweizer Obligationenrecht<br />
(OR) enthält dazu nur rudimentäre<br />
Bestimmungen. Aus der Perspektive des<br />
Wirtschaftsprüfers sind die Berichte der<br />
Revisionsstelle an die Generalversammlung<br />
und den Verwaltungsrat gemäss<br />
Art. 728b OR hervorzuheben.<br />
Den meisten Schweizer Unternehmen dient<br />
der «Swiss Code of Best Practice for <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong>» der «economiesuisse» als<br />
Leitfaden. Dieser Kodex thematisiert auch<br />
die Zusammensetzung und die Aufgabengebiete<br />
von Verwaltungsratsausschüssen und<br />
geht dabei explizit auf den Prüfungsausschuss<br />
(Audit Committee) und den Entschädigungsausschuss<br />
(Compensation Committee)<br />
ein. Rechtlich sind die Ausschüsse nicht<br />
verankert; das Gesetz kennt lediglich eine<br />
Kann-Vorschrift, wonach der Verwaltungsrat<br />
bestimmte Aufgaben «Ausschüssen oder<br />
einzelnen Mitgliedern» übertragen darf<br />
(Art. 716a Abs. 2 OR). In der Praxis aber sind<br />
Verwaltungsratsausschüsse zumindest bei<br />
börsenkotierten Schweizer Unternehmen<br />
Best Practice.<br />
Auch hinsichtlich der <strong>Governance</strong>-Bestimmungen<br />
gilt es, zwischen Industrie und<br />
Handel einerseits sowie dem Finanzsektor<br />
andererseits zu unterscheiden. Grob gesagt,<br />
stehen sich eine nicht oder (durch die<br />
SIX-Richtlinie) nur schwach regulierte und<br />
eine stark regulierte Welt gegenüber. In<br />
letzterer schreibt die Eidgenössische<br />
Finanzmarktaufsicht FINMA etwa vor, dass<br />
Banken, die bestimmte Grössenkriterien<br />
erfüllen, ein Audit Committee haben<br />
müssen. In ihrem Rundschreiben 2008/24<br />
beschreibt die FINMA die Aufgaben des<br />
Prüfungsausschusses und umreisst die<br />
Anforderungen an dessen Mitglieder. In der<br />
anderen, der kaum regulierten Welt<br />
sprechen überzeugende Argumente für die<br />
Einrichtung von Ausschüssen: Damit der<br />
Verwaltungsrat seinen weitreichenden<br />
gesetzlichen Aufgaben in vollem Umfang<br />
nachkommen kann, ist er nahezu gezwungen,<br />
Überwachungsfunktionen etwa auf den<br />
Gebieten der Rechnungslegung und der<br />
Revision an ein spezialisiertes und qualifiziertes<br />
Gremium zu übertragen.<br />
Audit Committee und<br />
Gesamtverwaltungsrat<br />
Diese Delegation hat dazu geführt, dass<br />
das Audit Committee neben dem CFO<br />
(als für die Finanzen verantwortliches<br />
Mitglied der Geschäftsleitung) der wichtigste<br />
Ansprechpartner der Revisionsstelle<br />
ist. Über das Beziehungsdreieck Audit<br />
12<br />
Disclose Juni 2013
Committee – CFO – externe Revision läuft<br />
ein Grossteil der Kommunikation zur<br />
Finanzberichterstattung und zu anderen<br />
prüfungsrelevanten Themen, etwa zum<br />
internen Kontrollsystem (IKS). Damit die<br />
Kommunikation professionell abläuft, muss<br />
der Verwaltungsrat seinen Prüfungsausschuss<br />
mit klaren Kompetenzen ausstatten<br />
und ihm einen eindeutig definierten<br />
Aufgabenbereich zuteilen. Darüber darf der<br />
Prüfer nicht aus dem Auge verlieren, dass der<br />
Gesamtverwaltungsrat nach wie vor das<br />
entscheidende Organ ist – schliesslich trägt<br />
er die Verantwortung für die Erstellung des<br />
Geschäftsberichts. Der Dialog mit dem<br />
Gesamtgremium und dessen Präsidenten<br />
bleibt daher unerlässlich.<br />
Entscheidend ist die Position des Audit<br />
Committee innerhalb des Gesamtverwaltungsrats.<br />
Für die Kompetenzzuteilung<br />
spielen die Unternehmensgrösse beziehungsweise<br />
die Anzahl der Verwaltungsratsmitglieder<br />
und die Branche eine Rolle. Grundsätzlich<br />
gehört es zur Best Practice, dass der<br />
Stefan Räbsamen<br />
Partner, Wirtschaftsprüfung<br />
stefan.raebsamen@ch.pwc.com<br />
Verwaltungsratspräsident kein Mitglied des<br />
Audit Committee ist. Für Banken macht die<br />
FINMA eine klare Vorgabe. In dem bereits<br />
zitierten Rundschreiben 2008/24 heisst es<br />
unmissverständlich: «Der Vorsitzende des<br />
Verwaltungsrats soll dem Audit Committee<br />
nicht angehören. Entscheidet das Institut,<br />
dass dieser dem Audit Committee angehört,<br />
so ist dies im Jahresbericht zu begründen.»<br />
Die Überlegung dahinter zielt auf die<br />
Unabhängigkeit des Audit Committee:<br />
Gehört der Verwaltungsratspräsident dem<br />
Prüfungsausschuss an, besteht die Gefahr,<br />
dass die Verantwortlichkeiten verwischt<br />
werden und die Funktionentrennung<br />
ausgehebelt wird; damit geriete das Machtgefüge<br />
auf der obersten Führungsebene aus<br />
der Balance. Audit Committees können ihrer<br />
Aufgabe nur dann gerecht werden, wenn sie<br />
unabhängig urteilen können – auch innerhalb<br />
des Verwaltungsrats.<br />
Unterschiedlich gestaltet sich die Praxis,<br />
wenn es um die Teilnahme des Verwaltungsratspräsidenten<br />
an den Sitzungen des<br />
Prüfungsausschusses geht. Bei Handels- und<br />
Industrieunternehmen ist dies heute noch<br />
durchaus üblich, bei Finanzinstituten<br />
zumindest nicht explizit untersagt. Eine<br />
verbindliche Regelung für alle Unternehmen<br />
stiesse vielerorts in der Wirtschaft auf<br />
Unverständnis. Letztlich kommt es auf die<br />
Persönlichkeiten an: Mischt sich ein<br />
dominanter Verwaltungsratspräsident<br />
ständig in die Beratungen des Audit<br />
Committee ein, kann dies eine unabhängige<br />
Arbeit beeinträchtigen, zumal wenn der<br />
Vorsitzende des Ausschusses weniger<br />
Durchsetzungsvermögen hat.<br />
Audit Committee und<br />
Revisionsstelle<br />
Abgesehen von dem klar umrissenen<br />
Aufgabenkatalog der FINMA bietet der<br />
«Swiss Code of Best Practice» eine generelle<br />
Leitlinie für das Tätigkeitsfeld des Prüfungsausschusses.<br />
Danach macht sich das Audit<br />
Committee ein Bild von der Wirksamkeit der<br />
externen und der internen Revision sowie<br />
von deren Zusammenwirken. Vielfach ist das<br />
Spektrum jedoch weiter gefasst. Eine<br />
empirische Umfrage, die <strong>PwC</strong> im Jahr 2010<br />
gemeinsam mit der Universität St. Gallen<br />
durchgeführt hat, zeigt: Das Audit Committee<br />
entwickelt sich mehr und mehr zu einem<br />
Audit, Risk & Compliance Committee.<br />
Dies ist einerseits ein Zeichen der Professionalisierung;<br />
andererseits verändert sich mit<br />
der Aufgabenerweiterung auch das Anforderungsprofil<br />
des Gremiums insgesamt und der<br />
einzelnen Mitglieder (insbesondere des<br />
Vorsitzenden). Denn die Qualifikation muss<br />
auf die Aufgabenpalette abgestimmt sein.<br />
In fachlicher Hinsicht sind natürlich vor<br />
allem Wissen zu Rechnungslegung und<br />
Revision erforderlich. Doch je stärker<br />
Prüfungsausschüsse auch für Fragen des<br />
(finanziellen) Risikomanagements und der<br />
Compliance verantwortlich sind, desto mehr<br />
sind auch organisatorische und juristische<br />
Kenntnisse verlangt. Generell sollte der<br />
Verwaltungsrat die Zusammensetzung<br />
seines Prüfungsausschusses regelmässig<br />
hinterfragen. Nur so kann er sichergehen,<br />
dass das Gremium auch im Hinblick auf<br />
strategische Veränderungen oder neue<br />
Rahmenbedingungen den Anforderungen<br />
gerecht wird. Über das Fachwissen hinaus<br />
sollten die Mitglieder des Audit Committee<br />
eine Unabhängigkeit des Denkens und eine<br />
kritische Grundhaltung mitbringen.<br />
Für die Prüfer sind Unabhängigkeit und<br />
kritische Grundhaltung ein rechtlich<br />
kodifiziertes und berufsethisch verankertes<br />
Postulat. Das Audit Committee muss sich auf<br />
die Arbeit der Revisionsstelle verlassen<br />
können. Dies bedeutet auch, dass der<br />
Abschlussprüfer im Dialog mit dem Audit<br />
Committee seine Meinung unmissverständlich<br />
zum Ausdruck bringt. Das Persönlichkeitsprofil<br />
des Prüfers gewinnt auch mit Blick<br />
auf die Beziehung zum Audit Committee<br />
immer mehr an Bedeutung.<br />
Vorgaben der Prüfungsstandards<br />
an die Kommunikation<br />
Was die Häufigkeit der Kommunikation<br />
anbelangt, so sollte die externe Revision an<br />
allen Treffen des Audit Committee teilnehmen;<br />
dies entspricht bei vielen Unternehmen<br />
auch der Praxis. Unverzichtbar ist die<br />
Anwesenheit des Prüfers an der Besprechung<br />
und der Verabschiedung des Prüfungsplans,<br />
der Prüfungsresultate und der zu publizierenden<br />
Jahresrechnung. An diesen Sitzungen<br />
bringt die Revisionsstelle Fakten und<br />
Meinungen ein, denen sich das Audit<br />
Committee nicht verschliessen darf.<br />
Juni 2013 Disclose 13
Die Finanzverantwortlichen und das Prüfungsteam<br />
müssen als Sparringspartner funktionieren, beide Seiten<br />
müssen auf dem neusten Stand der Rechnungslegung<br />
sein, Bilanzierungsansätze hinterfragen und über<br />
schwierige Themen frühzeitig diskutieren.<br />
Der Revisor muss seine Arbeit an den<br />
Prüfungsstandards des Berufsstands<br />
ausrichten. Sowohl die Schweizer Prüfungsstandards<br />
(PS) als auch die International<br />
Standards on Auditing (ISA) legen fest, unter<br />
welchen Umständen und in welcher Form<br />
eine Kommunikation zwischen dem Prüfer<br />
und der Unternehmensleitung erfolgen soll.<br />
Die seit 2010 geltenden «clarified ISA», an<br />
die nun auch die Schweizer PS angepasst<br />
wurden (vgl. Beitrag auf Seite 38), legen<br />
besonderen Wert auf einen echten Informationsaustausch,<br />
eine «two-way communication»,<br />
zwischen dem Prüfer und der<br />
Unternehmensleitung. Laut PS 260 gehört es<br />
auch zur Best Practice, dass «der Prüfungsausschuss<br />
mindestens jährlich ohne<br />
Anwesenheit des Managements mit dem<br />
Abschlussprüfer zusammenkommt».<br />
CFO und externe Revision<br />
Der CFO ist im Beziehungsdreieck Audit<br />
Committee – CFO – externe Revision der<br />
zweite Hauptansprechpartner der Revisionsstelle.<br />
Diese Beziehung ist von vielfältigen<br />
Qualitäten geprägt. Zu erwähnen ist an<br />
erster Stelle die Fachkompetenz. Die<br />
Finanzverantwortlichen und das Prüfungsteam<br />
müssen als Sparringspartner funktionieren,<br />
beide Seiten müssen auf dem neusten<br />
Stand der Rechnungslegung sein, Bilanzierungsansätze<br />
hinterfragen und über<br />
schwierige Themen frühzeitig diskutieren.<br />
Hier sind kritische Denkansätze gefragt. <strong>Im</strong><br />
Regelfall allerdings decken sich die Interessen<br />
von CFO und Revisionsstelle: Es geht<br />
darum, eine korrekte Jahresrechnung zu<br />
erstellen.<br />
Problematisch sind jene Positionen, deren<br />
Bewertung einen Ermessensspielraum<br />
beinhalten, beispielsweise die Werthaltigkeit<br />
von Goodwill oder Rückstellungen. Für<br />
solche Themen gilt: Erstens, sie müssen mit<br />
dem Audit Committee besprochen werden.<br />
Zweitens, die Revisionsstelle bindet Spezialisten<br />
für fachspezifische Fragestellungen,<br />
etwa Bewertungen, in ihr Prüfungsteam ein.<br />
Drittens, bei komplexen Transaktionen<br />
braucht der verantwortliche Abschlussprüfer<br />
eine gewisse Hartnäckigkeit; er muss so<br />
lange nachhaken, bis er die Vorgänge, die<br />
Verbuchung und Abbildung vollständig<br />
verstanden hat und sich damit einverstanden<br />
erklären kann.<br />
<strong>Im</strong> Verhältnis zwischen dem Audit Committee<br />
und dem CFO schliesslich ist zu beachten,<br />
dass keine Spannungsfelder entstehen. Das<br />
Audit Committee sollte als Sparringspartner<br />
des CFO fungieren, ohne in das tägliche<br />
Geschäft einzugreifen. Eine solche Gefahr<br />
spiegelt die Kehrseite der Professionalisierung<br />
des Audit Committee: Je tiefer das<br />
Wissen der Ausschussmitglieder, desto<br />
grösser die Versuchung, sich in operative<br />
Aufgaben einzumischen. Auch unter diesem<br />
Aspekt ist stets das Postulat der Balance im<br />
Beziehungsdreieck zu beachten. Sie erlaubt<br />
eine vertrauensvolle Dreiecksbeziehung, die<br />
von einer offenen Kommunikation und<br />
konstruktiver Arbeit geprägt ist.<br />
14<br />
Disclose Juni 2013
Muss der<br />
<strong>Corporate</strong>-<br />
<strong>Governance</strong>-<br />
Bericht geprüft<br />
werden?<br />
Der Jahresabschluss und die Konzernrechnung basieren auf anerkannten<br />
Rechnungslegungsstandards und vermitteln heute in der Regel einen guten<br />
Einblick in die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Anders als bei der Finanzberichterstattung<br />
lässt das Qualitätsniveau der Angaben zur <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
bisweilen zu wünschen übrig. Es scheint, dass bei einigen Unternehmen<br />
vor allem die Transparenz der Vergütungsberichte der Entwicklung der Finanzberichterstattung<br />
um einiges hinterherhinkt. Dies hat auch die SIX Exchange<br />
Regulation in den vergangenen Jahren immer wieder moniert. Wenn der<br />
Vergütungsbericht künftig der Generalversammlung zur bindenden Abstimmung<br />
vorgelegt wird, muss sich jedes börsenkotierte Unternehmen fragen, ob die<br />
Transparenz des Vergütungssystems und -berichts ausreichend ist.<br />
Aus der Sicht der externen Revision sind diese Berichte durchaus von Bedeutung,<br />
auch wenn sie kein direkter Prüfungsgegenstand sind. Die Prüfungsstandards<br />
(insbes. PS 720 und dessen internationales Pendant ISA 720) verpflichten den<br />
Revisor, darauf zu achten, dass die finanziellen und nichtfinanziellen Informationen<br />
in anderen Teilen des Geschäftsberichts (also ausserhalb des Abschlusses und<br />
des dazu erteilten Vermerks des Abschlussprüfers) mit den Angaben in der<br />
Jahres- und der Konzernrechnung konsistent sind. Stellt der Prüfer «wesentliche<br />
Unstimmigkeiten» zwischen diesen «sonstigen Informationen» und der Finanzberichterstattung<br />
fest, muss er nach PS 720 entscheiden, ob Berichtigungen<br />
vorgenommen werden müssen. ISA 720, der momentan überarbeitet wird, zählt<br />
in der vorgeschlagenen revidierten Fassung den <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Bericht<br />
ausdrücklich zu den «begleitenden Dokumenten», die in den Anwendungsbereich<br />
des Standards fallen.<br />
Besonders relevant ist auch hier wieder der Vergütungsbericht, denn er enthält<br />
Angaben, die einen Bezug zu der entsprechenden Offenlegungspflicht im Anhang<br />
des statutarischen Jahresabschlusses gemäss Art. 663b bis OR haben. Insofern sind<br />
zumindest Teile der <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Berichterstattung ein indirekter<br />
Prüfungsgegenstand.<br />
Innerhalb des Verwaltungsrats sollte der Vergütungsbericht auch dem Audit<br />
Committee vorgelegt werden. Der Prüfungsausschuss sollte den Vergütungsbericht<br />
insbesondere daraufhin untersuchen, ob das Zahlenwerk mit den Angaben<br />
im Jahresabschluss konsistent ist. Ein Austausch zwischen Audit und Compensation<br />
Committee ist umso wichtiger, je stärker die Vergütungsberichte ins Visier<br />
der Aktionäre und der Öffentlichkeit rücken. In zahlreichen Unternehmen<br />
bestehen personelle Verflechtungen zwischen den beiden Ausschüssen; in<br />
einigen fällt der Vergütungsbericht oder gar der gesamte Geschäftsbericht unter<br />
die Kompetenz des Audit Committee.<br />
Ein weiteres Arbeitsfeld für das Audit Committee dürfte künftig das «Integrated<br />
Reporting», die integrierte Berichterstattung, sein (vgl. hierzu den Beitrag auf<br />
Seite 40). «Konsistenz und Vergleichbarkeit» ist eines der sechs Prinzipien, die<br />
dem derzeit diskutierten Rahmenwerk des «International Integrated Reporting<br />
Council» (IIRC) zugrunde liegen. Auch der revidierte ISA 720 nimmt auf diese<br />
Form der Berichterstattung Bezug. Danach fallen integrierte Berichte in den<br />
Anwendungsbereich dieses Prüfungsstandards, wenn sie den geprüften Jahresabschluss<br />
und den Bericht des Prüfers darüber enthalten. Integrierte Berichte<br />
dürften dann auch Gesprächsgegenstand zwischen Audit Committee und<br />
Revisionsstelle sein.<br />
Juni 2013 Disclose 15
Interne Revision und<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
Die interne Revision ist das Auge und das Ohr der Unternehmensführung. Sie unterstützt primär den Verwaltungsrat bei der<br />
Wahrnehmung seiner Überwachungs- und Kontrollaufgaben, sekundär auch das Management. Die interne Revision spielt eine<br />
wichtige Rolle in der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>, wenn die Mitarbeiter der internen Revision kompetent sind sowie unabhängig und<br />
kritisch denken und handeln. Zudem müssen der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung offen kommunizieren.<br />
Die interne Revision ist eine vom<br />
Tagesgeschäft losgelöste<br />
Assurance- und Beratungsfunktion<br />
innerhalb des Unternehmens.<br />
Sie unterstützt die<br />
Unternehmensführung, indem<br />
sie die Organisationsstruktur<br />
und die Geschäftsabläufe<br />
überprüft. Besonderes Augenmerk<br />
richtet sie auf das interne<br />
Kontrollsystem und das<br />
Risikomanagement.<br />
Die Ausgestaltung und die<br />
Aufgaben der internen Revision<br />
sind von Unternehmen zu<br />
Unternehmen verschieden. Ihre<br />
Leitlinien definieren die Firmen<br />
im sogenannten «Internal Audit<br />
Charter», der vom Verwaltungsrat<br />
beziehungsweise vom Audit<br />
Committee genehmigt wird.<br />
Diese Leitlinien enthalten die<br />
Beschreibung des Auftrags: Sie<br />
legen fest, welche Aufgaben die<br />
interne Revision erfüllen soll<br />
und – noch wichtiger – welche<br />
Ziele sie erreichen soll.<br />
Manche Firmen orientieren die<br />
interne Revision bewusst am<br />
Finanzwesen und an der<br />
Compliance. Sie lassen also<br />
ähnliche Aktivitäten durchleuchten,<br />
die auch Prüfungsgegenstand<br />
der externen Revision sind.<br />
Andere Unternehmen lassen die<br />
interne Revision hauptsächlich<br />
im operativen Geschäft tätig<br />
werden. Sie verfolgen damit das<br />
Ziel, Effizienzpotenziale zu<br />
identifizieren sowie Verbesserungen<br />
in den Strukturen oder bei<br />
den Systemen anzustossen. Die<br />
meisten Firmen siedeln die<br />
interne Revision irgendwo in der<br />
Mitte zwischen diesen beiden<br />
Ansätzen an.<br />
Unterschiedliche Themen<br />
und Interessen<br />
Die Frage der Ausgestaltung der<br />
internen Revision hängt nicht<br />
zuletzt von der Bedeutung ab,<br />
die der Verwaltungsrat und das<br />
Management ihr zumessen. <strong>Im</strong><br />
Idealfall ist die interne Revision<br />
direkt dem Verwaltungsratspräsidenten<br />
oder dem Präsidenten<br />
des Audit Committee unterstellt.<br />
Das Management sollte ein<br />
Mitspracherecht bei der<br />
Ausgestaltung erhalten, damit<br />
die interne Revision innerhalb<br />
des Unternehmens eine höhere<br />
Akzeptanz findet. Zu beachten<br />
ist ferner die Rolle der Unternehmenskultur.<br />
Wenn der Verwaltungsrat<br />
und das Management<br />
häufig und offen kommunizieren,<br />
dann kann die interne<br />
Revision im Unternehmensinneren<br />
ihre höchste Wirksamkeit<br />
entfalten.<br />
Die interne Revision unterliegt<br />
keinerlei Restriktionen in Bezug<br />
auf die Prüfungsthemen. Sie<br />
kann einzelne Prozesse wie den<br />
Einkauf, den Verkauf, die<br />
Informatik oder die Innovation<br />
unter die Lupe nehmen, oder sie<br />
kann sich der Analyse und der<br />
Beurteilung der gesamten<br />
Wertschöpfungskette widmen.<br />
Sie kann zudem laufende<br />
Projekte oder gar komplexe<br />
Operationen wie Akquisitionen<br />
überprüfen, um unabhängig und<br />
objektiv festzustellen, wie diese<br />
initiiert und abgewickelt wurden<br />
und ob die gesetzten Ziele<br />
erreicht werden.<br />
Trotz ihrer vielfältigen Einsatzbereiche<br />
im Unternehmen sollte<br />
die interne Revision von den<br />
Mitarbeitern nicht als «Kontrollinstanz»<br />
wahrgenommen<br />
werden; im Sinne einer Best<br />
Practice sollte sie vielmehr als<br />
eine Beratungsinstanz in<br />
Erscheinung treten, die hilft,<br />
Mehrwert für das Unternehmen<br />
zu schaffen.<br />
Die Anspruchsgruppen der<br />
Unternehmen haben in der Regel<br />
unterschiedliche Erwartungen<br />
an die interne Revision. Dies<br />
zeigt die von <strong>PwC</strong> regelmässig<br />
durchgeführte Studie «State of<br />
the internal audit profession».<br />
Es gibt Verwaltungsräte, die<br />
ausgesprochen Complianceorientiert<br />
sind. Sie legen vor<br />
allem auf Regelkonformität der<br />
unternehmerischen Aktivitäten<br />
Wert und möchten von der<br />
internen Revision die Bestätigung<br />
erhalten, dass das IKS und die<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> zuverlässig<br />
funktionieren. Das Management<br />
hingegen erwartet eher,<br />
dass die interne Revision<br />
Potenziale für Effizienzsteigerungen<br />
identifiziert und damit einen<br />
Beitrag zur Schaffung von<br />
Mehrwert leistet. Die Anliegen<br />
der Stakeholder decken sich also<br />
nicht immer. Sie sind jedoch<br />
gleichermassen legitim; deshalb<br />
16<br />
Disclose Juni 2013
Werner Stebler<br />
Partner, Wirtschaftsprüfung<br />
werner.stebler@ch.pwc.com<br />
müssen Verwaltungsrat und<br />
Management im offenen<br />
Gespräch den für das Unternehmen<br />
richtigen Weg suchen und<br />
finden.<br />
Die neueste Ausgabe der Studie<br />
«State of the internal audit<br />
profession» stellt fest, dass sich<br />
die interne Revision in vielen<br />
Unternehmen neuen Themen<br />
widmet. Eines ist das Talentmanagement,<br />
also die Frage, wie<br />
ein Unternehmen die richtigen<br />
Mitarbeiter gewinnen und nach<br />
der internen Ausbildung auch<br />
halten kann. Mit diesem Thema<br />
beschäftigte sich in der Vergangenheit<br />
beinahe ausschliesslich<br />
das Management. In einigen<br />
Branchen wird neuerdings auch<br />
das Knowledge Management zu<br />
einem wichtigen Prüfungsgegenstand<br />
der internen Revision. Ein<br />
drittes neues Thema der internen<br />
Revision ist der Datenschutz<br />
beziehungsweise die Datensicherheit.<br />
Da dieser Bereich gerade in<br />
der jüngsten Vergangenheit<br />
global sehr drängende Probleme<br />
birgt, beschäftigen sich neben der<br />
internen Revision auch andere<br />
Unternehmensinstanzen wie das<br />
Risikomanagement, die Informatik<br />
oder die Rechtsabteilung<br />
damit.<br />
Unabhängigkeit und<br />
Objektivität<br />
Die interne Revision ist nach dem<br />
schweizerischen Obligationenrecht<br />
kein Organ des Unternehmens.<br />
Sie unterstützt den<br />
Verwaltungsrat bei der Wahrnehmung<br />
seiner Aufgaben. Es wäre<br />
falsch, die Aktivitäten der<br />
internen Revision gesetzlich<br />
regeln zu wollen. Der Gesetzgeber<br />
hat sich bislang zurückgehalten;<br />
konkrete regulatorische<br />
Anforderungen bestehen nur für<br />
Finanzinstitute. Auch künftig<br />
sollten die Aufgaben der internen<br />
Revision vorwiegend durch die<br />
Unternehmen selbst festgelegt<br />
werden. Detaillierte regulatorische<br />
Vorschriften würden genau<br />
das zunichtemachen, was die<br />
interne Revision auszeichnet:<br />
ihre vielfältigen Anwendungs-<br />
möglichkeiten, ihre Ausrichtung<br />
auf die je nach Grösse und<br />
Komplexität unterschiedlichen<br />
Bedürfnisse des Unternehmens<br />
und damit ihren Nutzen.<br />
Der Schweizerische Verband für<br />
Interne Revision (SVIR oder IIA<br />
Switzerland) sorgt als nationale<br />
Vertretung des «Institute of<br />
Internal Auditors» (IIA) für eine<br />
laufende Anpassung der<br />
Prüfungsstandards. Interne<br />
Revisoren haben diese Standards<br />
zu beachten. In deren<br />
Zentrum stehen die beiden<br />
wichtigsten Prüfungskriterien<br />
der internen Revision: Unabhängigkeit<br />
und Objektivität. Wenn<br />
diese beiden Kriterien eingehalten<br />
werden, ist die interne<br />
Revision befähigt, eine wichtige<br />
Rolle in der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
zu spielen.<br />
Die beiden wichtigsten<br />
Prüfungskriterien<br />
der internen Revision sind<br />
Unabhängigkeit und<br />
Objektivität.<br />
Unabhängigkeit bedeutet nicht,<br />
dass die interne Revision<br />
organisatorisch unabhängig sein<br />
soll. <strong>Im</strong> Gegensatz zur externen<br />
Revision – die explizit nicht Teil<br />
des Unternehmens sein darf –<br />
soll die interne Revision «nur»<br />
insofern unabhängig sein, als<br />
ihre Mitarbeiter unabhängig<br />
denken und handeln. Objektivität<br />
kann die interne Revision<br />
dann gewährleisten, wenn sie<br />
Interessenkonflikte vermeidet<br />
und ihre Mitarbeiter professionell<br />
arbeiten. Das Unternehmen<br />
hat dafür zu sorgen, dass die<br />
interne Revision über genügend<br />
ausgebildete Revisoren zur<br />
Bewältigung der vom Verwaltungsrat<br />
definierten Aufgaben<br />
verfügt.<br />
Die IIA-Standards werden<br />
laufend überarbeitet mit dem<br />
Ziel, mehr Wirkung zu erzeugen.<br />
So gab es in der Vergangenheit<br />
häufig Soll-Bestimmungen, die<br />
mittlerweile zu Muss-Bestimmungen<br />
umformuliert wurden.<br />
Juni 2013 Disclose 17
Was ist interne Revision?<br />
«Die interne Revision erbringt<br />
unabhängige und objektive<br />
Prüfungs- und Beratungsdienstleistungen,<br />
welche darauf<br />
aus gerichtet sind, Mehrwerte<br />
zu schaffen und die Geschäftsprozesse<br />
zu verbessern. Sie<br />
unterstützt die Organisation<br />
bei der Erreichung ihrer Ziele,<br />
indem sie mit einem systematischen<br />
und zielgerichteten<br />
Ansatz die Effektivität des<br />
Risikomanagements, der<br />
Kontrollen und der Führungsund<br />
Überwachungsprozesse<br />
bewertet und diese verbessern<br />
hilft.»<br />
Definition nach dem Institute of<br />
Internal Auditors<br />
Die Standards schreiben klar vor,<br />
dass der Leiter der internen<br />
Revision sicherstellen muss, dass<br />
es innerhalb der Organisation<br />
einen Prozess zur Qualitätssicherung<br />
gibt. Der Leiter muss<br />
zudem explizit definieren, wie<br />
die interne Revision geplant und<br />
durchgeführt wird und wie die<br />
Berichterstattung und die<br />
Fortschrittskontrolle erfolgen.<br />
Die interne Revision wird in<br />
manchen Firmen zunehmend in<br />
die Arbeiten der externen<br />
Revision einbezogen. Aus Sicht<br />
der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> ist<br />
dieser Trend nicht unproblematisch.<br />
Die Eidgenössische<br />
Revisionsaufsichtsbehörde<br />
(RAB) bezweifelt, dass die<br />
internen Revisoren ausreichend<br />
unabhängig sind, und fordert<br />
deshalb, dass bedeutende<br />
Prüfungshandlungen nur von<br />
der externen Revisionsstelle<br />
durchgeführt werden dürfen.<br />
Falls weniger bedeutende<br />
Prüfungshandlungen von der<br />
internen Revision durchgeführt<br />
werden, so seien sie von der<br />
externen Revisionsstelle<br />
ausreichend zu überwachen und<br />
zu überprüfen.<br />
Die IIA-Standards verlangen,<br />
dass die Unternehmen mindestens<br />
alle fünf Jahre eine<br />
unabhängige Beurteilung der<br />
internen Revision durchführen<br />
lassen. Diese Review muss durch<br />
einen qualifizierten, unabhängigen<br />
Gutachter, der nicht der<br />
Organisation angehört, vorgenommen<br />
werden. Der Auftrag<br />
sollte vom Verwaltungsrat erteilt<br />
werden, damit die Beurteilung<br />
und die Berichterstattung auch<br />
tatsächlich unabhängig und<br />
objektiv erfolgen.<br />
Der Berufsverband ist kein<br />
Aufsichtsgremium, das die<br />
Praxis der internen Revision in<br />
den Unternehmen überwacht.<br />
Die richtige Ausgestaltung und<br />
Durchführung der internen<br />
Revision bleibt in der Verantwortung<br />
des Verwaltungsrates und<br />
des Managements.<br />
Es gibt mehrere Modelle für die<br />
organisatorische Ausgestaltung<br />
der internen Revision innerhalb<br />
des Unternehmens. Das Team<br />
der internen Revision kann<br />
entweder aus Profi-Revisoren<br />
zusammengesetzt werden oder<br />
aus Personen bestehen, die diese<br />
Funktion nur als Teil ihrer<br />
Aufgaben im Unternehmen<br />
beziehungsweise über einen<br />
begrenzten Zeitraum hinweg<br />
ausüben. Die Wahl des Modells<br />
hängt davon ab, welche Ziele das<br />
Unternehmen mit der internen<br />
Revision verfolgt.<br />
Bevor sich ein Unternehmen für<br />
ein bestimmtes Modell der<br />
internen Revision entscheidet,<br />
sollte es veranlassen, dass alle<br />
Abteilungen durchleuchtet<br />
werden, die Assurance-Funktionen<br />
ausüben. Ziel dieser Analyse<br />
muss es sein, die Zusammenarbeit<br />
zwischen Risikomanagement,<br />
IKS, Compliance-Stellen<br />
sowie externer und interner<br />
Revision aufeinander abzustimmen.<br />
Mit der Koordination sollen<br />
Duplikationen von Aktivitäten<br />
vermieden, aber auch Lücken<br />
erkannt werden. Der Verwaltungsrat<br />
erhält ein höheres Mass<br />
an Sicherheit, wenn er davon<br />
ausgehen kann, dass die<br />
Assurance-Aktivitäten aufeinander<br />
abgestimmt sind und die<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> funktioniert.<br />
18<br />
Disclose Juni 2013
Stephen O’Hearn<br />
über <strong>Governance</strong> und<br />
Regulierung multinationaler<br />
Unternehmen<br />
«Die Unternehmen<br />
selbst müssen das<br />
öffentliche Vertrauen<br />
wiederherstellen»<br />
Regeln zur <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> werden<br />
grundsätzlich auf nationaler Ebene erlassen.<br />
Genügt es, wenn sich multinationale<br />
Unternehmen an die Gesetzgebung der<br />
Länder halten, in denen sie operieren, oder<br />
sollte die Regulierung auf einer supranationalen<br />
Ebene stattfinden?<br />
Stephen O’Hearn: Als Erstes möchte ich<br />
hervorheben: Wir leben in einer Zeit, die sich<br />
durch eine erhebliche Zunahme der<br />
Regulierung auszeichnet. Noch nie gab es<br />
einen solchen Druck auf die Unternehmen,<br />
besonders auf jene in der Finanzwirtschaft,<br />
neue Vorschriften einzuhalten. Das lässt sich<br />
in der ganzen Welt beobachten. Tatsächlich<br />
müssen die Finanzinstitute und die multinationalen<br />
Unternehmen das öffentliche<br />
Vertrauen wiedergewinnen, und es ist sehr<br />
wichtig, dass sie dies ernst nehmen.<br />
Persönlich bin ich der Meinung, dass zu viele<br />
Regeln und Regulierungen aufkommen. Was<br />
man hingegen wirklich gerne sähe, wäre<br />
eine gute <strong>Governance</strong>, die sich aus einer<br />
gefestigten Unternehmenskultur und dem<br />
Wunsch, das Richtige zu tun, ergibt und<br />
nicht aus der Notwendigkeit, Vorschriften zu<br />
erfüllen.<br />
Dennoch wird die Diskussion geführt, und es<br />
liegen Vorschläge auf dem Tisch – etwa<br />
seitens der EU –, staatenübergreifende<br />
Rahmenwerke für die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
mit detaillierten Regeln aufzustellen. Halten<br />
Sie solche Vorschläge für nützlich?<br />
Stephen O’Hearn: Meines Erachtens ist die<br />
Einhaltung umfangreicher, komplexer Regelwerke<br />
ein kostspieliges Unterfangen, das die<br />
Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in<br />
bestimmten Jurisdiktionen beeinträchtigt.<br />
Man kann wirklich nur hoffen, dass Regeln<br />
und Regulierungen im Verlauf der Zeit an<br />
Bedeutung verlieren und dass die Kultur des<br />
richtigen Verhaltens an Einfluss gewinnt.<br />
Eine derartige Kultur beeinflusst das<br />
Verhalten viel nachhaltiger als die schwerfällige<br />
Infrastruktur, die sich aus einem komplexen<br />
regulatorischen Umfeld ergibt.<br />
Aber böte ein supranationales Rahmenwerk<br />
den Unternehmen nicht auch die Chance,<br />
weltweit gemeinsame <strong>Governance</strong>-Prinzipien<br />
anzuwenden und über deren Anwendung<br />
transparent zu berichten?<br />
Stephen O’Hearn: Gut geführte Unternehmen<br />
verfolgen generell die Praxis, zumindest<br />
die nationalen Anforderungen überall<br />
einzuhalten. Darüber hinaus setzen sie<br />
ethische Standards und geben ihren<br />
Mitarbeitern in aller Welt Verhaltensweisen<br />
vor, deren Einhaltung sie erwarten und<br />
überwachen. Dies reicht weit über die<br />
Mindestanforderungen nationaler Gesetzgebungen<br />
hinaus. Wenn multinationale<br />
Unternehmen ihre Standards systematisch<br />
anwenden und zudem über ihre Aktivitäten<br />
in den Bereichen <strong>Governance</strong> und Compliance<br />
berichten, dann sollte die Transparenz,<br />
die sie für die Öffentlichkeit schaffen, mehr<br />
als angemessen sein. Geeignet für die<br />
Offenlegung sind beispielsweise die<br />
Prinzipien des Rahmenwerks für Integrated<br />
Reporting, das gerade in der Diskussion ist.<br />
Wie kann ein Unternehmen auf wirksame<br />
Art und Weise gute <strong>Governance</strong>-Strukturen<br />
entlang der gesamten Wertschöpfungskette<br />
einrichten?<br />
Stephen O’Hearn: Nun, grundlegend ist,<br />
dass gute <strong>Governance</strong> für alle Verhaltensweisen<br />
massgebend ist, die das Unternehmen<br />
zeigen will. Insofern beeinflusst die<br />
<strong>Governance</strong> alles Verhalten innerhalb der<br />
Organisation – egal, ob sich dies um die<br />
Wertschöpfungs kette, die Finanzbericht-<br />
Stephen O’Hearn ist Partner bei <strong>PwC</strong> USA und Leiter<br />
Versicherungen des <strong>PwC</strong> Central Cluster, der Europa,<br />
den Nahen Osten und Afrika umfasst.<br />
stephen.ohearn@ch.pwc.com<br />
Juni 2013 Disclose 19
«Man kann nur hoffen, dass Regeln und Regulierungen<br />
im Verlauf der Zeit an Bedeutung verlieren und dass die<br />
Kultur des richtigen Verhaltens an Einfluss gewinnt.»<br />
erstattung, die steuerliche Compliance oder<br />
sonst etwas handelt. Für ein multinationales<br />
Unternehmen gilt dies offenkundig überall<br />
dort, wo es seinen Geschäften nachgeht.<br />
Gute <strong>Governance</strong> bedeutet, dass die<br />
Verhaltensweisen, die man erwartet, auch<br />
verstanden werden und dass der richtige Ton<br />
gesetzt wird. Es muss entsprechende Anreize<br />
geben und integre Personen als Vorbild.<br />
Verantwortlich dafür sind letztlich die<br />
Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat.<br />
Wie lässt sich intern und extern überwachen,<br />
dass in multinationalen Unternehmen die<br />
Politik und die Prinzipien zur <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> beachtet werden?<br />
Stephen O’Hearn: Meine Erfahrung zeigt:<br />
Die Mitarbeiter müssen an Schulungen<br />
teilnehmen; es gibt Erwartungen an diese<br />
Schulungen, und es gibt Bescheinigungen<br />
über die Einhaltung von Verhaltenskodizes,<br />
Richtlinien und Prozessen. All dies zusammen<br />
ist notwendig, um die Art der Unternehmenskultur<br />
durchzusetzen, die das Unternehmen<br />
haben will. Was die interne und<br />
externe Überwachung anbelangt, so haben<br />
die Vereinigten Staaten mit dem Sarbanes-<br />
Oxley Act die Einrichtung von Whistleblower-Hotlines<br />
vorgeschrieben. Der Dodd-<br />
Frank Act, der Tausende von Seiten neuer<br />
Unternehmensregulierung, vor allem für<br />
Finanzinstitute, umfasst, geht noch einen<br />
Schritt weiter: Er sieht die Einrichtung eines<br />
Prämiensystems vor, wonach Whistleblower,<br />
die Fehlverhalten melden, mit einem Teil<br />
allfälliger Strafzahlungen belohnt werden.<br />
Dies hat der Rolle von Whistleblowern eine<br />
völlig neue Dimension verliehen. Ich glaube,<br />
dass sich die Hotlines – ob mit oder ohne<br />
Prämiensystem – als ein sehr wirksames<br />
Mittel erwiesen haben, um schlechtes<br />
Verhalten zu beobachten und darüber zu<br />
berichten. Meine Erfahrung der letzten zehn<br />
Jahre spricht dafür, dass Hotlines generell zu<br />
einem recht effizienten Instrument geworden<br />
sind, um richtige Verhaltensweisen zu<br />
überwachen – auch wenn sie gelegentlich<br />
von Angestellten mit persönlichen Beschwerden<br />
missbraucht werden können, sind solche<br />
Mechanismen nötig, um Fälle von Fehlverhalten<br />
zu identifizieren.<br />
Probleme entstehen, wenn ein westliches<br />
Unternehmen Geschäfte in Afrika oder Asien<br />
tätigt, wo eine völlig andere Kultur herrscht<br />
und andere Standards gelten. Dort kann es<br />
beispielsweise üblich sein, sich innerhalb der<br />
Familie oder anderen Kreisen gegenüber<br />
erkenntlich zu zeigen – etwas, das im Westen<br />
als Korruption ausgelegt wird und das es zu<br />
bekämpfen gilt.<br />
Stephen O’Hearn: Das kann in Afrika oder<br />
Asien eine Herausforderung sein, aber auch<br />
im Nahen Osten. Der Nahe Osten bietet<br />
heute ein prosperierendes Geschäftsumfeld,<br />
und zahlreiche westliche Firmen sind hier<br />
tätig. In vielen Teilen der Welt sind Zahlungen<br />
an Kunden oder Lieferanten Gepflogenheit.<br />
Nach meiner Erfahrung zu urteilen,<br />
vermeiden gut geführte westliche Unternehmen<br />
so etwas jedoch um jeden Preis. Sie<br />
nehmen eher von dem Geschäft Abstand und<br />
schrecken vor sich bietenden Gelegenheiten<br />
zurück, als dass sie ihren Namen und ihre<br />
Reputation riskieren und mit korrupten<br />
Geschäftspraktiken in Verbindung gebracht<br />
werden.<br />
Was ist, wenn man dies von der anderen<br />
Seite her betrachtet? Angenommen, ein<br />
chinesisches Unternehmen investiert mehr<br />
und mehr in die westliche Wirtschaft.<br />
Welche Standards gelten dann?<br />
Stephen O’Hearn: Ich habe während der<br />
vergangenen Jahre viel Zeit in Lateinamerika<br />
verbracht. Das chinesische Engagement<br />
für die Entwicklung der dortigen Infrastruktur<br />
– Versorgung, Strassenbau – ist sehr<br />
bedeutend. In ganz Lateinamerika und<br />
Afrika konnte ich – auch wenn meine<br />
Erfahrungen in Afrika ein paar Jahre<br />
zurückliegen – überall Aktivitäten unter<br />
chinesischer Führung beobachten. Ihre<br />
Investitionstätigkeit in den aufstrebenden<br />
Märkten ist enorm. Ihre Frage ist, welche<br />
Standards herangezogen werden. Ich kann<br />
darauf keine umfassende Antwort geben.<br />
Klar ist aber, dass auch chinesische Unternehmen<br />
zumindest das national anwendbare<br />
Recht einhalten müssen. Wenn sie global<br />
operieren und etwa nennenswerte Geschäfte<br />
in den USA und Grossbritannien machen,<br />
dann müssen sie auch die Antibestechungsvorschriften<br />
dieser Länder respektieren.<br />
Zudem gibt es die Macht der öffentlichen<br />
Meinung. Sie wird dazu führen, dass auch<br />
Unternehmen aus den Schwellenländern<br />
vermehrt auf ihre Reputation achten werden.<br />
20<br />
Disclose Juni 2013
Wäre es vor diesem Hintergrund nicht doch<br />
wünschenswert, einen globalen Kodex für<br />
<strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Praktiken zu<br />
entwickeln?<br />
Stephen O’Hearn: Ich glaube, das ist,<br />
zumindest derzeit, ziemlich unrealistisch.<br />
Noch vor fünf Jahren sah es für mich danach<br />
aus, als würde sich die Welt in Richtung<br />
einer globalen, zumindest weniger regional<br />
ausgerichteten Regulierung entwickeln. Dies<br />
hätte den Unternehmen mehr Kapitalfungibilität<br />
verschafft und ihnen bessere Möglichkeiten<br />
zur grenzüberschreitenden Nutzung<br />
von Ressourcen eröffnet. Heute aber gibt es<br />
eine Tendenz hin zum Nationalen. Die<br />
Regulatoren sind viel mehr damit beschäftigt,<br />
was in ihren eigenen Ländern vorgeht.<br />
Wie erklären Sie diese Verschiebung hin zu<br />
einem nationalen <strong>Fokus</strong>?<br />
Stephen O’Hearn: Ich denke, dies ist eine<br />
Reaktion auf die Finanzkrise. Die Regulatoren<br />
haben das Gefühl, die Marktteilnehmer<br />
in ihrem Land beschützen zu müssen, und<br />
wollen die Regulierung nicht an andere<br />
Behörden abtreten. Dieser Schutzgedanke<br />
nimmt verschiedene Ausprägungen an.<br />
Vieles hat mit der Einstellung der Regulatoren<br />
zum Risikobewusstsein zu tun. Sie<br />
glauben, dass sich ein Versagen der <strong>Governance</strong><br />
in unangemessenen Anreizen und<br />
exzessiver Risikoübernahme manifestiert.<br />
Der Denkweise der Regulatoren zufolge<br />
können sich die grossen Finanzinstitute<br />
nicht selbst regulieren und überwachen;<br />
daher müssten sie es im Interesse der<br />
Marktteilnehmer tun. Bei den Regulatoren<br />
lässt sich daher das Bestreben beobachten,<br />
das Eingehen von Risiken zu begrenzen.<br />
Das Risikomanagement ist auch deshalb<br />
wichtig, weil es mit den internen Strukturen<br />
und dem Vergütungssystem eines Unternehmens<br />
zusammenhängt.<br />
Stephen O’Hearn: Ja, und weil das<br />
Verständnis davon, wie Risiken zu managen<br />
sind, Teil einer guten <strong>Governance</strong> ist. Was es<br />
wirklich braucht, ist eine Umgebung, in der<br />
das richtige Verhalten den Menschen in<br />
Fleisch und Blut übergeht, in der sich die<br />
Mitarbeiter auch dann im gewünschten<br />
Sinne verhalten, wenn keiner hinschaut.<br />
Nicht eine Umgebung, die durch die<br />
Compliance mit Regeln und Regulierung<br />
und durch Überwachung geprägt ist.<br />
Somit sind also Erziehung und Integrität<br />
sowie der Charakter einer Person die<br />
wichtigsten Voraussetzungen für eine gute<br />
<strong>Governance</strong>?<br />
Stephen O’Hearn: Ja, genau. Bei einer<br />
guten <strong>Governance</strong> dreht sich alles um eine<br />
solche Unternehmenskultur und darum,<br />
dass sie innerhalb der gesamten Organisation<br />
gelebt wird. Hierin sehe ich die Hauptverantwortung<br />
des Verwaltungsrats und der<br />
Geschäftsleitung. Dies ist ein viel effektiverer<br />
Weg, um zu den richtigen Verhaltensweisen<br />
zu gelangen, als ein behördlich verordnetes<br />
Regelwerk.<br />
Welche konkreten Schritte sind Ihrer<br />
Meinung nach nötig, um die richtige Kultur<br />
in einem Unternehmen zu verankern?<br />
Stephen O’Hearn: Ein sehr wichtiger Punkt<br />
ist, wie die Performance der Mitarbeiter<br />
gemessen wird. Metriken lenken das<br />
Verhalten. Letztlich, und darum geht es bei<br />
guter <strong>Governance</strong>, müssen die richtigen<br />
Kennzahlen gewählt werden, um Anreize für<br />
das richtige Verhalten zu setzen. Um das<br />
Vertrauen der Öffentlichkeit wiederzugewinnen,<br />
müssen die Unternehmen genau das<br />
angehen: die richtigen Kennzahlen heranziehen<br />
und Anreize für das richtige Verhalten<br />
setzen. Auf diese Weise können sie übertriebene<br />
Risikobereitschaft oder schlichtes<br />
Fehlverhalten vermeiden. Zudem können sie<br />
die Regulatoren davon überzeugen, dass sie<br />
die Dinge unter Kontrolle haben. Sie müssen<br />
dies tun, um die Flut an Regulierungen<br />
einzudämmen – und weil es im ureigenen<br />
Geschäftsinteresse liegt.<br />
Gehen demnach Vertrauensbildung und<br />
wirtschaftliche Lebensfähigkeit Hand in<br />
Hand?<br />
Stephen O’Hearn: Ja, die Rückgewinnung<br />
des öffentlichen Vertrauens hat ganz<br />
offensichtlich einen wirtschaftlichen Nutzen.<br />
Wenn die öffentliche Wahrnehmung eines<br />
Unternehmens positiver wird, liegt der<br />
wirtschaftliche Nutzen in der erhöhten<br />
Marktfähigkeit der Produkte.<br />
Juni 2013 Disclose 21
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>:<br />
Erfolg und Versagen<br />
einer Leitidee<br />
Wenn man sich heute überlegt, in welchen Punkten<br />
die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> zu Erfolgen geführt hat<br />
und wo sie versagt hat, muss man sich nochmals<br />
kurz auf den Kern der methodischen Leitidee der<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> besinnen.<br />
I. <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> – die ursprüngliche Leitidee<br />
Die «<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>» hatte ihre hohe Zeit vor etwas mehr<br />
als zwanzig Jahren in der angelsächsischen Welt – mit der<br />
Veröffentlichung des «Cadbury Report» der Briten («Financial<br />
Aspects of <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>») im Jahre 1992. Diese neuartig<br />
formulierten Grundsätze verbreiteten sich rasch praktisch über<br />
die ganze Welt – nach zehn Jahren Inkubationszeit folgte<br />
bekanntlich auch die Schweiz.<br />
22<br />
Es geht um die Beobachtung, dass die Aktionäre einer Publikumsgesellschaft<br />
– in der angelsächsischen Denkweise als «Principals»<br />
(die Auftraggeber) verstanden – die Führung der Geschäfte einer<br />
Gruppe von Beauftragten, ihren «Agents» (den Managern),<br />
übertragen. Die Manager, die im Interesse ihrer Aktionäre zu<br />
handeln haben, entwickeln nun erfahrungsgemäss ein Eigeninteresse<br />
und tendieren mit der Zeit dazu, diesem den Vorrang<br />
einzuräumen.<br />
Durch die Einführung von spezifischen «checks and balances» an<br />
der Unternehmensspitze, zuerst im inneren Dreieck (Verwaltungsrat<br />
– Management – Revisionsstelle), versucht man, ein ausgewogenes<br />
Verhältnis von Führung und Kontrolle einzurichten und den<br />
Fehlentwicklungen entgegenzuarbeiten. Dabei sollen diese<br />
«checks and balances» als selbstauferlegte Grundsätze ein<br />
Gegenstand der Selbstbestimmung der Publikumsgesellschaften<br />
bleiben, in der Grundidee und als «soft law» ohne neue Zwangsjacken.<br />
Das ist der kraftvolle Kern der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>.<br />
In der Folge wurde der eigentliche Ansatzpunkt der <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> immer mehr verwischt, die Grundsätze wurden<br />
verwässert, bis hin zu inhaltsarmen Allerweltsformeln. Heute<br />
zeigt sich, dass die Leitidee der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> in der<br />
Praxis sowohl grosse Erfolge wie auch eklatante Misserfolge<br />
gezeitigt hat; in mehreren konkreten Ansätzen ist das erkennbar.<br />
Eine kurze Übersicht lässt in der Tat ein disparates Bild erkennen.<br />
Den Anfang sollen die Erfolge machen.<br />
Disclose Juni 2013<br />
II. Erfolge der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
1. Das Bewusstsein der Problematik von «Macht» und «Risiko»<br />
an der Unternehmensspitze ist gestiegen: Gleich vorweg ist<br />
festzustellen, dass die jahrelange Debatte um die Verwirklichung<br />
von <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Ansätzen gegenüber früher einen<br />
gewaltigen Fortschritt gebracht hat, und zwar im Umgang des<br />
Managements und des ganzen Führungskaders mit Macht und<br />
Risiken. Eigentlich war es immer schon offensichtlich, dass die<br />
Aktionäre ihren Beauftragten – den Managern – grosse Macht<br />
verschaffen und ihnen in einem nach Gewinn strebenden<br />
Unternehmen gestatten müssen, erhebliche Risiken einzugehen.<br />
Erst die <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Debatte zeigte aber, wie notwendig<br />
«checks and balances» sind, um Machtmissbräuchen, einer<br />
Selbstbedienungsmentalität und der fatalen Neigung, zulasten<br />
Dritter allzu grosse Risiken einzugehen, entgegenzuwirken.<br />
2. Das Bauchgefühl für die Schädlichkeit von Entscheidungen,<br />
die in einem Interessenkonflikt getroffen werden, ist heute<br />
verbreitet vorhanden: In die Erfolgskategorie gehört auch die<br />
Erkenntnis, dass Interessenkonflikte an der Unternehmensspitze<br />
zu identifizieren und tatkräftig zu bewältigen sind. Fast überall<br />
hat aufgedämmert, dass ein unerkannter oder nicht bewältigter<br />
Interessenkonflikt damit zu Ende zu gehen pflegt, dass der im<br />
Konflikt stehende Verwaltungsrat oder Manager seinem persönlichen<br />
Interesse den Vorrang einräumt und im Ergebnis seinen<br />
Auftraggeber schädigt. Der Grundsatz der Fernhaltung der im<br />
Interessenkonflikt stehenden Personen von der Willensbildung im<br />
Unternehmen (Swiss Code Ziff. 16 und Art. 717a des Entwurfs zur<br />
Änderung des Obligationenrechts vom 21. Dezember 2007) ist<br />
heute unbestritten.<br />
3. Der Leitgedanke einer Kombination von Leitung und Kontrolle<br />
hat sich durchgesetzt: Zu den Erfolgen der <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> zählt eine grosse Zahl von heute durch Selbstregulierung<br />
geradezu flächendeckend befolgten gesunden Grundsätzen,<br />
abgebildet zum Teil auch in Normen des Aktienrechts:<br />
• Grundsatz der Ausgewogenheit von Leitung und Kontrolle,<br />
insbesondere an der Spitze des Unternehmens (Swiss Code<br />
Ziff. 18);<br />
• Trennung der Funktionen von Verwaltungsratspräsident und<br />
CEO als Regelfall (Swiss Code Ziff. 18/2)<br />
• Stärkung der Aufsichtsfunktionen des Verwaltungsrates<br />
(OR 716a Abs. 1);<br />
• zentrale Bedeutung einer durchwegs risikoorientierten<br />
Kontrolle (Swiss Code Ziff. 19; OR 663b Ziff. 12 bzw. 961c<br />
Ziff. 2; OR 728a Abs. 2 ).
Dissertation über das Aktienstimmrecht. Anwalt bei White & Case in<br />
New York und Paris. Habilitation 1975, a.o. Professor 1977 bis 2001. Autor<br />
von Büchern und wissenschaftlichen Artikeln, darunter «Die unentziehbaren<br />
Kernkompetenzen des Verwaltungsrates»; «Revisionsstelle und<br />
Abschlussprüfung nach neuem Recht»; «Schweizer Aktienrecht»<br />
(4. Auflage 2009); «Die Schweizer Verwaltungsräte zwischen Hammer<br />
und Amboss» (2010); «Swiss Code of Best Practice for <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>»<br />
(Initiative und Vorsitz des Redaktionsteams). Schiedsrichter<br />
in internationalen Schiedsgerichten. Verwaltungsrat in Schweizer<br />
Publikumsgesellschaften, zuletzt bis 2008 bei der Nestlé S.A.; Verwaltungsrat<br />
der Manufacture des Montres Rolex S.A. bis heute.<br />
Peter Böckli, Dr. iur., Advokat<br />
Böckli Bodmer & Partner, Basel<br />
em. Professor für Steuer- und Wirtschaftsrecht<br />
der Universität Basel<br />
4. Das Verständnis für die Bedeutung des Internen Kontrollsystems<br />
(mit der internen Revision) und der Compliance hat sich<br />
stark ausgebreitet: Es ist eine oft verdrängte Tatsache, dass bis<br />
zum Erscheinen des «Swiss Code of Best Practice» im April 2002<br />
der Begriff IKS («Internes Kontrollsystem») eher nur in Fachkreisen<br />
bekannt, in der breiteren Unternehmenswelt jedoch, abgesehen<br />
von wohl organisierten Konzernen, weitgehend ein Fremdwort<br />
war. Nicht zuletzt auch dank der <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Bewegung<br />
ist die Compliance ihrerseits – obwohl eigentlich im Gesetz<br />
mit den etwas umständlichen Worten «Oberaufsicht im Hinblick<br />
auf die Befolgung der Gesetze, Statuten, Reglemente und Weisungen»<br />
(OR 716a) schon lange festgehalten – heute ziemlich<br />
ausnahmslos als ein wichtiges Glied der «checks and balances»<br />
erkannt.<br />
5. Die Verwaltungsräte sind heute eindeutig weniger gross,<br />
ausgewogener und nach sachlicheren Kriterien zusammengesetzt<br />
und arbeiten professioneller: In diesem Bereich bleibt<br />
zwar noch einiges zu tun, doch gehören die Verhältnisse, die bis in<br />
die 70er- und 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts vorgeherrscht<br />
hatten – mit 24-köpfigen Verwaltungsräten und obskuren<br />
Auswahlkriterien –, der Wirtschaftsgeschichte an. Die Verbesserung<br />
ist eindeutig; die Verwaltungsräte der Publikumsgesellschaften<br />
sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Ihre Informationsbeschaffung<br />
und die Beschlussverfahren sind professioneller. Zur<br />
besseren Qualität der Arbeit des Verwaltungsrates haben die von<br />
Beginn an im <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Konzept geförderten<br />
Ausschüsse des Verwaltungsrates beigetragen (Swiss Code<br />
Ziff. 21). Vor allem das Audit Committee spielt heute eine so<br />
gewichtige Rolle, dass man sich einen Verwaltungsrat ohne einen<br />
solchen Ausschuss kaum mehr vorstellen kann. Der Vergütungsausschuss<br />
seinerseits wird jetzt für Publikumsgesellschaften durch<br />
den «Minder»-Zusatz zur Bundesverfassung sogar auf höchster<br />
Ebene für obligatorisch erklärt (Art. 95 Abs. 3 Bst. a BV).<br />
III. Misserfolge der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
Neben den unbestreitbaren Erfolgen, die im Bereich der <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> in den letzten zehn Jahren zu verzeichnen waren, hat<br />
die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> doch vor allem in zwei Bereichen nicht<br />
das gebracht, was man ihr zu Beginn noch zugetraut hatte:<br />
• die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> versagte im Umgang mit den<br />
Spitzenvergütungen in den grössten Publikumsgesellschaften;<br />
• die Figur des «unabhängigen Verwaltungsrates» ist ein Konzept,<br />
das in der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> eine geradezu dominante<br />
Rolle spielt; der «unabhängige Verwaltungsrat» hat jedoch<br />
keineswegs gebracht, was man sich von ihm versprochen hatte.<br />
Auf das zweite Thema wird im Rahmen dieses Beitrags nicht<br />
näher eingegangen.<br />
1. Versagen der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> im Umgang mit Spitzenvergütungen<br />
– trotz Teilerfolgen (nämlich mit dem Vergütungsreglement,<br />
dem Vergütungsbericht und der konsultativen<br />
Abstimmung): Eigentlich gehörte die Regelung der Vergütung,<br />
welche den Spitzenmanagern in grossen Gesellschaften<br />
zuerkannt werden soll, von Anfang an (Swiss Code Ziff. 25/26) zu<br />
den Kernbereichen der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>. Es geht darum,<br />
durch geeignete Vorkehrungen zu verhindern, dass die «Agents» –<br />
die Manager, die von den «Principals», den Aktionären, zur<br />
Führung der Geschäfte eingesetzt worden sind – durch Ausnützung<br />
ihrer grossen faktischen Machtstellung und ihres Wissensvorsprungs<br />
zu hohe finanzielle Leistungen aus der Firmenkasse<br />
beziehen.<br />
Die ersten aufsehenerregenden Fälle von zweifelhaften oder<br />
exzessiven Vergütungspraktiken in Schweizer Publikumsgesellschaften<br />
ereigneten sich effektiv schon vor dem Inkrafttreten des<br />
«Swiss Code of Best Practice» (nämlich in den Jahren 2001 und<br />
2002). Aber später ging es recht munter weiter. Es trifft zwar<br />
zu – und ist zweifellos ein Teilerfolg der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> –,<br />
dass mit dem 2007 erlassenen «Anhang I zum Swiss Code»<br />
allmählich das Vergütungsreglement, der Vergütungsbericht und<br />
die konsultative Abstimmung der Aktionäre in den meisten<br />
Publikumsgesellschaften eingeführt wurden (Anhang I, Ziff. 8/9).<br />
Aber das geschah zeitlich viel zu zögerlich, inhaltlich zu wenig<br />
konsequent, und erst in allerjüngster Zeit erfüllen die Vergütungssysteme<br />
und -berichte mehrheitlich die drei Erfordernisse der<br />
Vollständigkeit, Klarheit und Nachvollziehbarkeit.<br />
Juni 2013 Disclose 23
2. Der grosse Groll des Volkes (die Erklärung mit Neidgefühlen<br />
greift zu kurz): In einem Punkt indessen hat die <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong> mit ihren guten Vorsätzen versagt, wenn man das<br />
Verdikt des Schweizer Volkes vom 3. März 2013 nun einmal als<br />
schlichte Tatsache akzeptiert: Die breite Mehrheit des Volkes hat<br />
einen hoheitlichen Zwangseingriff ausgerechnet auf jenem Gebiet<br />
beschlossen, auf dem nach der Grundidee der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
eigentlich der Verwaltungsrat (als Vertreter der Arbeitgeberinteressen)<br />
mit den Spitzenmanagern (als Arbeitnehmern) im<br />
Interesse der «Principals» hart verhandeln und nachvollziehbar<br />
bemessene, auch nach aussen vertretbare und somit sozial<br />
akzeptable Entlöhnungen aushandeln sollte.<br />
Wenn wir an die Frage herantreten, warum das geschehen konnte<br />
und das Volk – aus seiner Sicht – zur politischen Notbremse<br />
glaubte greifen zu müssen, sind zwei Vorbemerkungen nötig:<br />
• Es kann hier nicht um die Diskussion darüber gehen, ob die<br />
konkreten Vorkehrungen, die mit der «Minder»-Initiative<br />
beschlossen wurden und jetzt in Art. 95 Abs. 3 BV stehen,<br />
vernünftig und zielführend sind; das ist eine separate Frage;<br />
• hier handelt es sich darum, von der überwältigenden Tatsache<br />
Kenntnis zu nehmen, dass das Schweizer Volk offensichtlich<br />
die Entwicklung der Vergütungspraktiken in grossen Publikumsgesellschaften<br />
als Versagen der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
empfunden hat. Das Volk hat unter zwei möglichen Massnahmen<br />
gegen diese Praktiken die eindeutig schärfere, den sogar<br />
mit drakonischen Strafandrohungen bestückten Text von<br />
Thomas Minder, mit einer Zweidrittelmehrheit und der<br />
Zustimmung aller Kantone angenommen. In diesem Akt des<br />
Protests lag nicht nur ein Missbehagen über die teils immer<br />
noch zweifelhafte Qualität von Vergütungssystemen und<br />
-berichten, sondern – auch wenn das von manchen bestritten<br />
wird –<br />
zugleich eine Verwerfung der Quantität bestimmter Vergütungen.<br />
Jahresbezüge in astronomischen Millionenzahlen<br />
(obgleich Ausnahmen und statistisch eine einsame Spitze)<br />
blieben dem Volk im Gedächtnis und haben das Ihre zum<br />
Ergebnis des 3. März beigetragen.<br />
Konzentrieren wir uns auf die Frage «Wie konnte es zu Managervergütungen<br />
kommen, die vom Volk auch rein quantitativ schlicht<br />
nicht akzeptiert werden?», so ist zunächst eindeutig, dass die<br />
«Neid»-Theorie das Aufbegehren des Volkes nicht hinreichend zu<br />
erklären vermag. Missgunst mag mitspielen, wie so oft, aber sie<br />
kann niemals die vollständige Erklärung für das Aufwallen des<br />
Protests bieten. Auch steht fest, dass «Minder» keine quantitativen<br />
Beschränkungen für Vergütungen enthält, sondern mit Teilverboten,<br />
organisatorischen Zwängen und Genehmigungsprozessen<br />
arbeitet.<br />
3. Drei Erklärungsansätze<br />
Nun die Hauptfrage: Wie konnte es überhaupt zu den Entlöhnungspraktiken<br />
für Spitzenmanager kommen, die vom Volk<br />
offenbar nicht akzeptiert werden?<br />
Es gibt zwei eindeutig widerlegbare Thesen und einen hier<br />
vorgetragenen Erklärungsversuch.<br />
a) Die Transparenzthese: Eindeutig falsch, jedoch sehr weit<br />
verbreitet ist die These, es sei deshalb zu dem steilen Anstieg<br />
der Managervergütungen gekommen, weil die <strong>Corporate</strong>-<br />
<strong>Governance</strong>-Richtlinie der Schweizer Börse (seit 2003) und das<br />
Aktienrecht (seit 2007) die Offenlegung der Verwaltungsratshonorare<br />
und der Gesamtvergütung der Geschäftsleitung<br />
sowie der höchsten Einzelvergütung verlangen. In Tat und<br />
Wahrheit hat sich der steile Anstieg jedoch, angestossen durch<br />
die Entwicklung in den USA, schon zwischen 1995 und 2002<br />
hinter vorgezogenen Vorhängen abgespielt. Übrigens ist auch die<br />
in der These implizit enthaltene Behauptung, Spitzenmanager<br />
hätten vor 2003 nicht gewusst, auf welchem Niveau die<br />
Entlöhnungspakete ihrer Kollegen in den Konkurrenzfirmen<br />
liegen, ein Ammenmärchen. Das Buschtelefon der Spitzenmanager<br />
funktionierte schon vor 2003 perfekt.<br />
24<br />
Disclose Juni 2013
) Die These «Die Berater sind schuld»: Nicht schlüssig ist auch<br />
eine oft gehörte zweite These, der steile Anstieg der Spitzenvergütungen<br />
zwischen 1995 und 2002 (der danach, weniger steil,<br />
noch weiterging) sei den vorwiegend angelsächsischen<br />
Salärberatungsfirmen anzulasten. Zwar trugen die Interessenkonflikte<br />
und die raffinierte Auswahl von Vergleichszahlen<br />
offensichtlich dazu bei, dass die Verhandlungspartner der<br />
Spitzenmanager – nämlich die Verwaltungsräte als Arbeitgebervertreter<br />
– unter Druck gerieten. Aber warum gaben sie<br />
diesem Druck in so vielen Fällen nach? Darauf bietet auch die<br />
zweite These keine Antwort.<br />
c) Die These einer Asymmetrie am Verhandlungstisch: Diese<br />
Frage führt uns zur dritten These: Der Verwaltungsrat ist in<br />
den Salärverhandlungen mit dem obersten Management<br />
offensichtlich in einer sehr schwierigen Lage. Eigentlich sollte<br />
der Verwaltungsrat – nach der klassischen Doktrin der<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> – in dieser Verhandlung die Seite des<br />
Arbeitgebers vertreten. Er wahrt ja letztlich die Interessen der<br />
Aktionäre, die als «Principals» die Geschäfte nicht selber<br />
führen, sondern diese Aufgabe den «Agents», dem Topmanagement,<br />
anvertrauen. Genau nach dieser Doktrin geht es darum,<br />
die «Principals» davor zu schützen, dass die «Agents» ihre<br />
eigenen Geldinteressen zu stark durchsetzen.<br />
In Tat und Wahrheit hat nun aber der Verwaltungsrat grösste<br />
Schwierigkeiten, gegenüber einem als erfolgreich geltenden<br />
CEO (und einer kleinen Spitzengruppe, zusammengesetzt<br />
etwa aus Chief Financial Officer, Chief Operating Officer und<br />
Chief Risk Officer) die Arbeitgeberinteressen durchzusetzen.<br />
Dem ist nachzugehen.<br />
4. Asymmetrische Verhandlungssituation führt zu asymmetrischen<br />
Verträgen über die Vergütungspakete für Spitzenmanager<br />
a) Die Verhandlungssituation<br />
Man geht in der juristischen Literatur von einer ganz bestimmten<br />
Anspruchshaltung des Spitzenmanagers in seiner Verhandlung<br />
mit dem Arbeitgeber aus:<br />
«Ein CEO, der sich bewährt hat, wird konsequenterweise einen<br />
Teil des geschaffenen Mehrwerts […] für sich beanspruchen.»<br />
(Jentsch/von der Crone) 1<br />
Dieser Anspruch des CEO auf «einen Teil des geschaffenen<br />
Mehrwerts» ist nun aber eigentlich nicht ganz so selbstverständlich,<br />
wie es zunächst aussieht: Als Arbeitnehmer nimmt<br />
er die zahlreichen Schutznormen des OR in Anspruch,<br />
darunter den absoluten Schutz vor der Teilhabe am Verlust.<br />
Dafür hat er Anrecht auf eine gute Entlöhnung, und als<br />
wichtigster Angestellter unbestrittenermassen auf eine sehr<br />
gute. Dadurch aber, dass er Anspruch auch auf einen Teil des<br />
unternehmerischen Mehrwerts erhebt, kombiniert er die<br />
relative Sicherheit, die rechtlichen Schutznormen und<br />
insbesondere den Schutz vor einer Teilhabe am Verlust (alles<br />
Elemente, die für ein Arbeitsverhältnis kennzeichnend sind)<br />
mit einem Element, das eben gerade typisch ist für eine echte<br />
Unternehmerstellung – mit der Teilhabe an Gewinn und Verlust.<br />
Der Manager verlangt also «nach unten» ein Arbeitsverhältnis<br />
mit Minimallohn in bar und Schutz vor Teilhabe am Verlust,<br />
«nach oben» aber eine unternehmerische Teilhabe am<br />
geschaffenen Mehrwert, und nur am Mehrwert.<br />
Dieses Begehren in der Verhandlung zielt auf ein asymmetrisches<br />
Vertragsverhältnis ab. Dies ist an sich legitim. Aufschlussreich<br />
dagegen ist, dass der Verwaltungsrat sich darauf in so<br />
weitem Mass einlässt. Gewiss gibt es im Arbeitsvertragsrecht<br />
die Möglichkeit eines ergänzenden Anteils am Geschäftsergebnis<br />
(OR 322a). Die meisten variablen Entlöhnungsbestandteile<br />
für Spitzenmanager enthalten jedoch nicht einen Anteil am<br />
Jahresgewinn des Unternehmens; vielmehr sind die variablen<br />
Bestandteile oft so bemessen, dass sowohl bei einem Jahresgewinn<br />
wie auch im Falle eines Jahresverlustes hohe variable<br />
Vergütungen ausgerichtet werden können.<br />
b) Erklärung des asymmetrischen Verhandlungsergebnisses<br />
Solche teilweise asymmetrischen Verträge und sehr weitgehende<br />
quantitative Zugeständnisse kommen zustande, weil –<br />
entgegen der Generalprämisse der ganzen <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
– die Aktionäre gar nicht so sehr auf eine Einschränkung<br />
des Quantums der Managervergütungen erpicht sind. Meist<br />
macht der entsprechende Betrag nur eine geringe Quote des<br />
unter die Aktionäre verteilbaren Gewinns aus, zu exemplifizieren<br />
in einer Grössenordnung von 0,5 % bis 5 %.<br />
1 Valentin Jentsch/Hans Caspar von der Crone, Aktuelle Entwicklungen in der<br />
Vergütungslandschaft des Finanzplatzes Schweiz, SZW 2012, 377 ff., 398.<br />
Mit zahlreichen Hinweisen.<br />
Juni 2013 Disclose 25
Für die Aktionäre ist die reine Nachvollziehbarkeit des<br />
Quantums wichtiger als das Quantum selbst, und auch dies ist<br />
wiederum Nebensache im Vergleich zum Wertzuwachs und<br />
zum Dividendenvolumen. Wenn aber die «Principals», die<br />
Aktionäre, an einem Anliegen der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> gar<br />
nicht sonderlich interessiert sind, geht dem ganzen <strong>Corporate</strong>-<br />
<strong>Governance</strong>-Maschinchen die Kraft aus.<br />
Auch die Verwaltungsräte selbst, die in allen konkreten<br />
Belangen die Unternehmens- und damit in erster Linie auch die<br />
Aktionärsinteressen im Auge behalten sollten, haben wenig<br />
Anlass, mit eisernem Willen gewissen Verhandlungsbegehren<br />
der Manager entgegenzutreten. Das Management verhandelt<br />
um eigenes Geld, der Verwaltungsrat jedoch um fremdes; der<br />
Verwaltungsrat zahlt, was er zugesteht, nicht selbst. Und<br />
Verwaltungsräte, die dem Management durch ihre Haltung<br />
und ihre Interventionen unangenehm auffallen, haben in<br />
ihrem Amt erfahrungsgemäss eine verkürzte Durchlaufzeit.<br />
In der Verhandlung besteht eine Asymmetrie. Die Verwaltungsräte<br />
und in erster Linie deren Vergütungsausschüsse<br />
können die ihnen ursprünglich in der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
zugedachte Rolle – jene eines tatkräftigen Vertreters der<br />
Arbeitgeberseite – wegen eines relativ schwachen Interesses<br />
des Aktionariats und überhaupt wegen ihrer Stellung in der<br />
Verhandlung nicht richtig erfüllen. Sie lassen sich auf asymmetrische<br />
Verhandlungsergebnisse ein und tragen damit, obwohl<br />
sie das abstreiten, in politischer Hinsicht zum Groll des Volkes<br />
und zu staatlichen Zwangseingriffen bei.<br />
Es bleibt abzuwarten, ob die jährliche verbindliche Abstimmung<br />
des Aktionariats über die gesamten Geschäftsleitungsvergütungen<br />
(wie im «Minder»-Zusatz zur Bundesverfassung<br />
vorgesehen) die Stellung der Verwaltungsräte auf der Arbeitgeberseite<br />
zu stärken vermag. Wäre dem so, so würde eine nach<br />
Jahren der Praxis immer offensichtlichere Schwachstelle der<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> durch eine direkte Staatsintervention<br />
behoben.<br />
IV. Schlusswort<br />
Dieser Kurzbeitrag konnte nur Schlaglichter auf das breite Thema<br />
werfen: <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> ist in vielen Bereichen eine<br />
Erfolgsgeschichte, die Beispiele haben es gezeigt. Aber es gibt bei<br />
den Spitzenvergütungen einen grossen schwarzen Tintenklecks.<br />
Die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> hat im Umgang mit Spitzenvergütungen<br />
bei den grössten Publikumsgesellschaften – trotz Teilerfolgen<br />
im Bereich der Vergütungsreglemente und -berichte sowie der<br />
Konsultativabstimmungen – in entscheidenden Punkten versagt.<br />
Denn für das Aktionariat, die «Principals», ist das reine Quantum<br />
der Gesamtvergütung offensichtlich nicht die Hauptsache, und<br />
der Verwaltungsrat hat keine starken eigenen Anreize, über die<br />
Vertretung der in diesem Punkt schwachen Aktionärsinteressen<br />
hinaus den gestrengen Arbeitgeber zu spielen.<br />
26<br />
Disclose Juni 2013
6 Themen, 24 Fragen – eine Checkliste<br />
zur <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong><br />
I. Grundsätzliches<br />
m Nach welchen Grundsätzen ist die <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> in Ihrem Unternehmen gestaltet?<br />
Werden diese Grundsätze intern und extern kommuniziert? Wie stellen Sie sicher, dass die<br />
<strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Bestimmungen in der Praxis auch eingehalten werden?<br />
m Reichen die Checks & Balances im Verhältnis der Unternehmensorgane aus?<br />
m Orientiert sich Ihr Unternehmen an einem nationalen oder internationalen Kodex zur <strong>Corporate</strong><br />
<strong>Governance</strong>? Falls nicht, aus welchen Gründen? Werden einzelne Abweichungen gegenüber<br />
dem Kodex hinreichend erklärt?<br />
m Welche Anspruchsgruppen (Stakeholder) sind in Ihrem <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Konzept berücksichtigt?<br />
II. Verwaltungsrat<br />
m Ist der Verwaltungsrat so zusammengesetzt, dass er alle für Ihr Unternehmen wichtigen fachlichen<br />
und persönlichen Kompetenzen auf sich vereinigt?<br />
m Nach welchen Kriterien wählt Ihr Unternehmen die Kandidaten für den Verwaltungsrat aus?<br />
m Wie gross ist der Anteil der «unabhängigen» Verwaltungsratsmitglieder? (Unabhängigkeit etwa<br />
gemäss der Definition des «Swiss Code of Best Practice»)<br />
m Werden die Leistungen des Verwaltungsrats als Ganzen und seiner einzelnen Mitglieder<br />
regelmässig gemessen und beurteilt?<br />
III. Verwaltungsratsausschüsse<br />
m Welche Ausschüsse des Verwaltungsrats bestehen? Welche Aufgabenbereiche decken sie ab?<br />
Ist die Organisation der Ausschüsse konkret umschrieben und festgelegt (Charter)?<br />
m Ist das Audit Committee ein Prüfungsausschuss im klassischen Sinne, oder erstreckt sich seine<br />
Tätigkeit auf weitere Gebiete (wie das Risikomanagement oder die Compliance)?<br />
m Wie sind die Ausschüsse hinsichtlich fachlicher Qualifikation, Persönlichkeit, Unabhängigkeit und<br />
Internationalität zusammengesetzt?<br />
m Wird die Zusammensetzung regelmässig mit Blick auf Veränderungen der Strategie und der<br />
Rahmenbedingungen überprüft?<br />
Juni 2013 Disclose 27
IV. Kommunikation<br />
m Wie gestaltet sich die Kommunikation zwischen Verwaltungsrat und Aktionariat? Werden die<br />
Anträge des Verwaltungsrats in der Einladung zur Generalversammlung ausreichend begründet?<br />
Findet im Vorfeld der Generalversammlung ein Austausch mit wichtigen Aktionären statt?<br />
m Wie verlaufen die Informationskanäle zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung? Über welche<br />
Angelegenheiten muss die Geschäftsleitung den Verwaltungsrat in Kenntnis setzen? Welche<br />
Gewähr gibt es, dass der Verwaltungsrat auch ausserhalb der institutionalisierten Kanäle über<br />
wichtige Entscheidungen und Ereignisse informiert wird?<br />
m Wie läuft die Kommunikation zwischen dem Gesamtverwaltungsrat und seinen Ausschüssen<br />
ab?<br />
m Gibt es einen Informationsaustausch zwischen den einzelnen Ausschüssen? Wie stimmen sich<br />
beispielswiese das Audit und das Compensation Committee bei der Formulierung des Vergütungsberichts<br />
ab?<br />
V. Externe und interne Revision<br />
m Wer sind auf oberster Führungsebene die Hauptansprechpartner für die externe Revisionsstelle?<br />
m Wie stark stützen sich der Verwaltungsrat und das Audit Committee auf die Erkenntnisse und<br />
Prüfungsergebnisse der externen Revision?<br />
m Wie ist die interne Revision organisatorisch eingegliedert? Untersteht sie dem Verwaltungsrat,<br />
dessen Präsidenten oder dem Audit Committee?<br />
m Wie wird die Arbeit von externer und interner Revision aufeinander abgestimmt?<br />
VI. Offenlegung<br />
m Veröffentlicht Ihr Unternehmen einen aussagekräftigen <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Bericht?<br />
m Orientiert sich die Offenlegung an dem Grundsatz «comply or explain», das heisst, wird die<br />
Nichteinhaltung von Transparenzvorschriften etwa der SIX-Richtlinie überzeugend erklärt?<br />
m Enthält der <strong>Corporate</strong>-<strong>Governance</strong>-Bericht auch Informationen über die Zusammenarbeit mit<br />
den einzelnen Anspruchsgruppen (Mitarbeiter, Lieferanten, Behörden usw.)?<br />
m Thematisiert der Bericht die grundlegenden Prinzipen der <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> und ethische<br />
Standards?<br />
28<br />
Disclose Juni 2013
Update<br />
Inhalt<br />
Wird der Wirtschaftsprüfer zum Whistleblower? von Roger Kunz 30<br />
Ergänzende Fach empfehlung für kotierte Unternehmen von Dr. Daniel Suter 34<br />
Schweizer Prüfungs standards auf internationalem Niveau von Stefan Haag 38<br />
Das Rahmenwerk zum Integrated Reporting erlaubt Flexibilität von Rolf Johner 40<br />
Juni 2013 Disclose 29
Wird der Wirtschaftsprüfer<br />
zum Whistleblower?<br />
Der internationale Ethikrat für Wirtschaftsprüfer hat einen Entwurf zur<br />
Erweiterung seiner Standards vorgelegt. Danach sollen Wirtschaftsprüfer<br />
die zuständigen Behörden informieren, wenn sie einen erhärteten Verdacht<br />
auf illegale Tätigkeiten haben, die Unternehmensleitung und der<br />
Verwaltungsrat aber nichts unternehmen. Der Entwurf verfolgt ein achtbares<br />
Ziel, ist aber problematisch; denn er durchbricht das fundamentale<br />
Prinzip der Vertraulichkeit.<br />
<strong>Im</strong> vergangenen August publizierte das<br />
International Ethics Standards Board for<br />
Accountants (IESBA) den Entwurf «Responding<br />
to a suspected illegal act». Dieser<br />
erweitert den «Code of Ethics for Professional<br />
Accountants» um eine Regelung,<br />
wie bei Verdacht auf Bestehen von illegalen<br />
Handlungen vorgegangen werden muss.<br />
Diese legt fest, wann die Revisoren das<br />
Recht oder vielmehr die Pflicht haben, das<br />
fundamentale Prinzip der Vertraulichkeit<br />
zu durchbrechen und einen Verdacht auf<br />
illegale Handlungen in dem von ihnen<br />
geprüften Unternehmen der zuständigen<br />
Behörde zu melden.<br />
Vorgehensweise für die Fälle, in denen ein<br />
Verdacht auf Betrug innerhalb eines Unternehmens<br />
vorliegt. Die IESBA kritisiert zudem<br />
die Tatsache, dass die professionelle Pflicht<br />
des Revisors, Kundeninformationen<br />
vertraulich zu behandeln, es verhindert,<br />
einen identifizierten «suspected illegal act»<br />
einer Behörde ausserhalb des Unternehmens<br />
zu melden. Hinzu kommt, dass auch in der<br />
Öffentlichkeit der Ruf nach einer stärker<br />
geregelten Marktwirtschaft immer lauter<br />
ertönt und die Ethik stärker in den <strong>Fokus</strong> des<br />
gesellschaftlichen Interesses rückt.<br />
Geltende Regelung: Verantwortung<br />
beim Unternehmen<br />
Die derzeit gültigen international anerkannten<br />
Grundsätze zur Abschlussprüfung<br />
(International Standards on Auditing, ISA)<br />
umfassen bedeutend weniger weitgehende<br />
Vorschriften. Aktuell ist der Revisor<br />
verpflichtet, Prüfungshandlungen mit einer<br />
professionellen Skepsis durchzuführen. Das<br />
Risiko, dass der Jahresabschluss wesentliche<br />
falsche Angaben (seien diese absichtlicher<br />
oder unabsichtlicher Natur) enthält, soll auf<br />
ein vernünftiges Minimum reduziert werden<br />
(ISA 240). Zudem wird verlangt, dass<br />
Gesetze und andere Rechtsvorschriften, die<br />
einen Einfluss auf den Jahresabschluss<br />
haben können, bei der Prüfung beachtet<br />
werden (ISA 250). Liegt ein Verdacht auf<br />
einen Verstoss gegen Gesetze oder Regulierungen<br />
vor, ist die Geschäftsleitung zu<br />
informieren (oder der Verwaltungsrat bei<br />
Verdacht auf Betrug innerhalb der<br />
Der Entwurf zielt darauf ab, über klare Richtlinien<br />
eine konsistente Behandlung von<br />
Fällen mit «suspected illegal acts» zu<br />
erreichen. Des Weiteren soll definiert<br />
werden, wann das fundamentale Prinzip der<br />
Vertraulichkeit verletzt werden soll.<br />
Gründe für die Erweiterung des<br />
Ethikkodex<br />
Anlass zur angestrebten Änderung des<br />
Ethikkodex gab die – aus Sicht des IESBA –<br />
nicht genügend geregelte<br />
Wer ist das IESBA?<br />
Das International Ethics Standards Board for Accountants, kurz IESBA, ist eine<br />
unabhängige Organisation, die unter dem Patronat der International Federation of<br />
Accountants (IFAC) und des Public Interest Oversight Board (PIOB) steht. Die Organisation<br />
setzt sich aus 18 unabhängigen Mitgliedern (natürlichen Personen) zusammen;<br />
sie erarbeitet und erlässt Standards rund um das Thema Ethik. Mitglieder der Treuhand-Kammer<br />
unterstehen automatisch den Regeln des IESBA.<br />
Was ist ein «illegal act»?<br />
Illegales Handeln wird definiert als absichtliches (= Fraud) oder unabsichtliches<br />
(= Error) Unterlassen oder Ausführen von Handlungen, die gegen die in einem Staat<br />
geltenden Gesetze oder Regulierungen verstossen und die von einem Angestellten des<br />
Unternehmens, vom Management oder von einer anderen mit der Führung beauftragten<br />
Person begangen werden.<br />
30<br />
Disclose Juni 2013
Roger Kunz<br />
Partner, Wirtschaftsprüfung<br />
r.kunz@ch.pwc.com<br />
Geschäftsleitung). Die Verantwortung für<br />
Handlungen, die aus dem Verdacht resultieren,<br />
tragen somit die Gremien des Unternehmens.<br />
Betrachtet der Wirtschaftsprüfer die<br />
Massnahmen des Unternehmens als<br />
inadäquat, stehen ihm – unter Abwägung der<br />
vorherrschenden Umstände und Fakten –<br />
folgende Handlungsmöglichkeiten offen:<br />
Information der Generalversammlung,<br />
Einschränkung oder gar Verweigerung der<br />
Attestierung des Abschlussberichtes sowie<br />
die Möglichkeit, das Mandat niederzulegen<br />
und als Revisionsstelle zurückzutreten.<br />
Es bleibt festzuhalten: Heute liegt die<br />
Verantwortung für jede Art der externen<br />
Kommunikation über Verdachtsmomente bei<br />
der Geschäftsleitung und dem Verwaltungsrat.<br />
Nur in wenigen, klar definierten<br />
Ausnahmefällen hat der Revisor die<br />
zuständige Behörde über vermeintlich<br />
illegale Handlungen in Kenntnis zu setzen.<br />
So verpflichten die Artikel 27 und 29 des<br />
Finanzmarktaufsichtsgesetzes sowie das<br />
FINMA-Rundschreiben 08/1 2008 (bewilligungs-<br />
und meldepflichtige Tatbestände bei<br />
Börsen, Banken, Effektenhändlern und<br />
Prüfgesellschaften) die Revisionsstelle zu<br />
einer Meldung an die FINMA. Ansonsten ist<br />
der Prüfer an die Vertraulichkeit gegenüber<br />
dem zu prüfenden Unternehmen gebunden.<br />
Kernpunkt des Entwurfs:<br />
Meldepflicht für Revisoren<br />
Der Entwurf des IESBA sieht vor, dass ein<br />
«Professional Accountant» (nachfolgend<br />
auch «Berufsangehöriger» genannt) unter<br />
gewissen Umständen dazu verpflichtet ist,<br />
sich über die Vertraulichkeitserklärung<br />
hinwegzusetzen und einen «suspected illegal<br />
act» der zuständigen Behörde zu melden.<br />
Eine solche Mitteilung steht als letzte<br />
Massnahme am Ende einer Reihe vorhergehender<br />
Schritte.<br />
Wer ist ein «Professional Accountant»?<br />
Die Definition eines «Professional Accountant» im Sinne des Proposals geht sehr weit.<br />
Wenn der Mitarbeiter oder dessen Arbeitgeber einer anerkannten Berufsorganisation<br />
angehört, gilt die Person als «Professional Accountant». In der Schweiz wären das alle<br />
Mitglieder der Treuhand-Kammer (direkt als Einzelmitglied oder indirekt als Arbeitnehmer<br />
einer Mitgliedsfirma). Somit können also auch Mitarbeiter und Berater in den<br />
Bereichen Risikomanagement, IT, Projektmanagement oder Treasury, aber auch<br />
Bewertungsspezialisten oder strategische Berater unter die Definition fallen.<br />
Besteht Grund zur Annahme, dass in einem<br />
Unternehmen illegale Handlungen vorgenommen<br />
wurden, dann müssen alle<br />
entsprechenden Massnahmen in die Wege<br />
geleitet werden, um diesen Tatverdacht<br />
entweder zu bestätigen oder zu beseitigen.<br />
Dieser Schritt beinhaltet (unter anderem)<br />
zwingend die Diskussion der Sachlage mit<br />
der dafür zuständigen Führungsperson.<br />
Weigert sich diese, sich der Sache anzunehmen,<br />
oder sind die ergriffenen Massnahmen<br />
dem Sachverhalt nicht angemessen, muss in<br />
einem zweiten Schritt die nächsthöhere<br />
Führungsstufe und – falls notwendig – der<br />
Verwaltungsrat involviert werden.<br />
Um beurteilen zu können, ob die Stellungnahme<br />
und die lancierten Massnahmen des<br />
Managements adäquat sind, muss der<br />
Revisor sowohl über ein professionelles<br />
Urteilsvermögen als auch über das entsprechende<br />
Fachwissen verfügen. Der nächste<br />
Schritt, die Meldung an die zuständige<br />
Behörde, ist an zwei Voraussetzungen<br />
gekoppelt: Der Verwaltungsrat hat es<br />
versäumt, innerhalb einer angemessenen<br />
Frist eine adäquate Lösung beziehungsweise<br />
eine Stellungnahme zum identifizierten<br />
«suspected illegal act» zu präsentieren, und<br />
die Feststellung ist von derart signifikanter<br />
Bedeutung, dass ihre Offenlegung im<br />
öffentlichen Interesse liegt. Sind diese beiden<br />
Bedingungen erfüllt, sieht der Entwurf<br />
folgende Konsequenzen vor:<br />
• Ein externer Revisor ist dazu verpflichtet,<br />
die Vertraulichkeitserklärung zu<br />
verletzen und seinen Tatverdacht der<br />
zuständigen Behörde vorzulegen.<br />
• Interne Revisoren sowie Berufsangehörige,<br />
die für ein Unternehmen andere<br />
Tätigkeiten als Prüfungshandlungen<br />
ausführen, sind dazu angehalten, den<br />
Sachverhalt dem externen Revisor zu<br />
melden, und haben unter gewissen<br />
Umständen das Recht, ihren Tatverdacht<br />
direkt der Behörde mitzuteilen.<br />
Konsequenzen für das betroffene<br />
Unternehmen<br />
Externe und interne Revisoren sowie<br />
auswärtige oder intern angestellte Berufsangehörige<br />
wären dazu angehalten, jeden<br />
Tatverdacht auf illegale Handlungen, die in<br />
ihrem Zuständigkeitsbereich liegen, zu<br />
untersuchen und den verantwortlichen<br />
externen Revisor oder die zuständige<br />
Behörde darüber zu informieren, falls sie die<br />
Offenlegungen der illegalen Aktivität als<br />
eine Angelegenheit von öffentlichem<br />
Interesse betrachten und sich das Unternehmen<br />
der Sache nicht annimmt. Aus dieser<br />
Vorschrift resultieren zwei massgebliche<br />
Risiken:<br />
Juni 2013 Disclose 31
Erstens besteht die Gefahr, dass ungenügend<br />
fundierte Anschuldigungen an eine Behörde<br />
gemeldet werden, die sich im Nachhinein als<br />
fälschlicherweise erhobene Beschuldigungen<br />
herausstellen. Dem Unternehmen<br />
entstünde ein Reputationsschaden, vor<br />
allem, wenn die vertraulichen Informationen<br />
an die Öffentlichkeit durchsickern sollten.<br />
Die Kosten zur Behebung eines solchen<br />
Reputationsschadens können immens sein,<br />
und die Wiederherstellung der einstigen<br />
<strong>Corporate</strong> Integrity kann Jahre dauern.<br />
Zweitens sind die Kosten für detaillierte<br />
Abklärungen und administrative Arbeiten,<br />
die notwendigerweise anfallen, wenn man<br />
jedem Verdacht auf illegale Handlung – unabhängig<br />
von dessen Wesentlichkeit – nachgehen<br />
würde, nicht zu unterschätzen. Hier<br />
stellt sich die Frage, ob ein Unternehmen<br />
bereit ist, diese Kosten zu tragen; denn wird<br />
der Vorwurf nicht erhärtet, entsteht kein<br />
Mehrwert für das Unternehmen, auch nicht<br />
aus moralischer Sicht.<br />
Vorgehensweise, wenn Grund zur Annahme eines<br />
«suspected illegal act» besteht<br />
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die<br />
Qualität der Kommunikation. Nicht nur der<br />
Dialog zwischen dem Unternehmen und<br />
dem Prüfer, sondern auch die Kommunikation<br />
des Revisors mit anderen Berufsangehörigen<br />
und allenfalls sogar mit den eigenen<br />
Mitarbeitern dürfte schwieriger werden. Die<br />
potenzielle Mitteilungspflicht nach aussen<br />
hängt wie ein Damoklesschwert über der<br />
internen Kommunikation. Unternehmen<br />
müssten sich aber auch überlegen, ob sie<br />
Berater oder Mitarbeiter engagieren, die in<br />
die Kategorie der «Professional Accountants»<br />
fallen, oder ob sie lieber mit Personen zusammenarbeiten,<br />
welche die Regeln des IESBA<br />
nicht anwenden müssen, dafür aber<br />
möglicherweise weniger qualifiziert sind.<br />
Folgen für die Revisoren und andere<br />
Berufsangehörige<br />
Das geprüfte Unternehmen verlässt sich auf<br />
die Verschwiegenheit des Revisors, die<br />
diesem aufgrund der Regeln des Berufsstandes,<br />
aber auch von Gesetzes wegen auferlegt<br />
ist. Dieses gegenseitige Vertrauen bildet die<br />
Grundlage der Beziehung zwischen dem<br />
Unternehmen und dem Revisor. Mit der<br />
neuen Regelung ist dieses Vertrauensverhältnis<br />
jedoch nicht mehr garantiert, was zur<br />
Folge hätte, dass der Informationsaustausch<br />
zwischen den beiden Parteien beeinträchtigt<br />
würde. Ein versickernder Informationsfluss<br />
aber bedroht unmittelbar die Effektivität und<br />
Effizienz des Revisionsprozesses.<br />
Ein weiteres Problem käme hinzu: Mit der neu<br />
eingeführten Meldepflicht für Berufsangehörige,<br />
die keine Revisionsleistungen erbringen,<br />
würde der externe Revisor zur Anlaufstelle<br />
für Berichte über potenzielle illegale Handlungen.<br />
Somit würde er automatisch ein Teil<br />
des unternehmensinternen Whistleblower-<br />
Systems, was wiederum impliziert, dass seine<br />
Unabhängigkeit gegenüber dem Unternehmen<br />
infrage gestellt werden müsste.<br />
Schritt 1<br />
Massnahmen ergreifen,<br />
um den Verdacht<br />
zu bestätigen oder zu<br />
widerlegen<br />
Schritt 2<br />
Management der entsprechenden<br />
Stufe in<br />
Kenntnis setzen<br />
Verdacht<br />
auf illegale<br />
Handlungen kann<br />
nicht widerlegt<br />
werden<br />
Management<br />
dieser Stufe bezieht<br />
nicht Stellung und<br />
ergreift keine<br />
Massnahmen<br />
Schritt 3<br />
Management auf<br />
höherer Stufe bis hin<br />
zu den Führungsverantwortlichen<br />
informieren<br />
Es<br />
erfolgt immer<br />
noch keine<br />
Resonanz oder die<br />
Massnahmen sind<br />
unzureichend<br />
Externer Revisor<br />
Ô Benachrichtigung der<br />
zuständigen Behörde<br />
über den Verdacht<br />
Schritt 4<br />
Abwägen, ob Sachverhalt<br />
von «öffentlichem<br />
Interesse» ist<br />
wenn<br />
ja<br />
Berufsangehörige<br />
ohne Prüfungsfunktion<br />
Ô Information des<br />
externen Revisors<br />
(Pflicht)<br />
Ô Bericht an die<br />
zuständige Behörde<br />
(Recht)<br />
weitere Konsequenzen (wie bisher):<br />
• Information der Generalversammlung<br />
• Einschränkung oder Verweigerung der<br />
Attestierung des Abschlussberichtes<br />
• Rücktritt als Revisionsstelle<br />
Die Schritte 1 bis 3 sieht auch der Internationale Prüfungsstandard ISA 260 vor, jedoch nur für<br />
erhärtete Verdachtsfälle und nur für Revisoren, welche die Abschlussprüfung durchführen.<br />
32<br />
Disclose Juni 2013
Gegenseitiges Vertrauen bildet die<br />
Grundlage der Beziehung zwischen<br />
dem Unternehmen und dem Revisor.<br />
Mit der neuen Regelung ist dieses<br />
Vertrauensverhältnis jedoch nicht<br />
mehr garantiert.<br />
Revisoren, Berater und Mitarbeiter, die als<br />
«Professional Accountants» gelten, werden<br />
zum verlängerten Arm der Aufsichtsbehörden.<br />
Die Forderungen dieses Vorschlags<br />
stehen im klaren Widerspruch zu den<br />
Schweizer Gesetzen (Art. 728c und 730b<br />
Obligationenrecht; Art. 321 Strafgesetzbuch).<br />
Obwohl der Entwurf darauf abzielt, die<br />
Vorgehensweise bei der Behandlung von<br />
«suspected illegal acts» konsistenter zu<br />
gestalten, lassen einige vage verfasste<br />
Formulierungen einen zu grossen Interpretationsspielraum<br />
offen und werfen neue<br />
Fragen auf, die für Verwirrung sorgen<br />
könnten. Hierunter fällt beispielsweise die<br />
Formulierung «im öffentlichen Interesse».<br />
Eine Definition, wann konkret ein Sachverhalt<br />
von öffentlichem Interesse ist und der<br />
zuständigen Behörde gemeldet werden<br />
muss, ist nicht vorhanden und liegt folglich<br />
im Ermessen des Revisors. Das Risiko der<br />
Willkür ist beträchtlich. Zudem erweitert<br />
sich die Erwartungslücke, also die Kluft<br />
zwischen den Erwartungen der Öffentlichkeit<br />
an den Prüfer und dessen tatsächlichem<br />
Leistungsauftrag. Ebenfalls nicht klar<br />
geregelt ist, ab welchem Punkt «vernünftige<br />
Schritte» eingeleitet werden müssen, um<br />
einen Verdacht zu erhärten oder auszuräumen;<br />
ebenso fehlt ein Wegweiser dafür, was<br />
unter «genügende Beweise» zu verstehen ist.<br />
Diese unklaren Formulierungen könnten zu<br />
einer individuellen Auslegung des Ethikkodex<br />
führen. Je nach den Motiven der<br />
einzelnen Berufsangehörigen und deren<br />
Auffassung von Ethik könnten die Verdachtsfälle<br />
unterschiedlich gehandhabt werden.<br />
Das definierte Ziel, ein hohes Mass an<br />
Einheitlichkeit zu erreichen, ist im vorliegenden<br />
Falle nicht erreicht. Vielmehr könnte der<br />
Entwurf zu Misstrauen und Unsicherheit<br />
führen.<br />
Alternative Vorschläge<br />
Bis Mitte Dezember vergangenen Jahres<br />
hatten interessierte Organisationen die<br />
Möglichkeit, dem IESBA ihre Meinung und<br />
Verbesserungsvorschläge zu diesem<br />
Proposal mitzuteilen. Über 70 Berufsorganisationen,<br />
Verbände und Organisationen,<br />
darunter auch <strong>PwC</strong>, haben die Chance zur<br />
Kommentierung des Entwurfs genutzt und<br />
mehrheitlich Bedenken geäussert. Ein<br />
aufdatierter Entwurf wird in der zweiten<br />
Hälfte dieses Jahres erwartet. Der erweiterte<br />
Ethikkodex dürfte somit voraussichtlich<br />
Ende 2014 in Kraft treten.<br />
<strong>PwC</strong> unterstützt alle Bestrebungen, ein<br />
ethisch verankertes Berufsbild des Wirtschaftsprüfers<br />
am Kapitalmarkt und in der<br />
Öffentlichkeit zu etablieren. Die Pflichten<br />
und Verantwortlichkeiten der Revisoren im<br />
sich stetig wandelnden globalen Marktumfeld<br />
führen zu veränderten Ansprüchen an<br />
die Berufsethik. Dies wiederum bleibt nicht<br />
ohne Folgen für die Erwartungen an die<br />
Prüfungshandlungen. In diesen Anpassungsprozess<br />
sollten aber auch Banken, Anwälte<br />
und andere relevante Berufsgruppen<br />
integriert werden.<br />
Bei der Ausarbeitung des vorliegenden<br />
Entwurfes wurde übersehen, dass die<br />
verschärfte Meldepflicht gegenüber den<br />
Behörden das Vertrauensverhältnis zwischen<br />
dem Kunden und dem Wirtschaftsprüfer zu<br />
einem grossen Teil zerstören würde. Des<br />
Weiteren wären Revisoren stärker in der<br />
Öffentlichkeit exponiert und bräuchten – insbesondere<br />
wenn der Verdacht auf Fraud sich<br />
im Nachhinein als unbegründet herausstellt<br />
– einen Whistleblower-Schutz, den<br />
ihnen das IESBA jedoch nicht gewährt.<br />
Künftig wären Wirtschaftsprüfer, die für ihre<br />
Kunden nur Beratungs- oder andere<br />
Serviceleistungen erbringen und keine<br />
Revision durchführen, ebenfalls dazu<br />
verpflichtet, bei Verdacht auf illegale<br />
Handlungen entsprechende Massnahmen zu<br />
ergreifen.<br />
<strong>PwC</strong> ist der Überzeugung, dass der vorliegende<br />
Entwurf zur Anpassung des «Code of<br />
Ethics for Professional Accountants» nicht<br />
praktikabel ist. Er hätte für den Revisor, das<br />
geprüfte Unternehmen und für das gesamte<br />
Marktumfeld nicht beabsichtigte negative<br />
Folgen, womit das achtbare Ziel, illegalen<br />
Handlungen vorzubeugen, nicht vorangetrieben,<br />
sondern vielmehr behindert würde.<br />
Dies gilt auch, weil viele Begriffe nicht klar<br />
definiert sind und keine einheitliche<br />
Auslegung möglich ist.<br />
<strong>PwC</strong> schlägt einen anderen Weg vor:<br />
Revisoren, aber auch alle anderen Kapitalmarktteilnehmer<br />
(Anwälte, Bankmitarbeiter<br />
usw.) sollten verpflichtet sein, die Geschäftsleitung<br />
und allenfalls den Verwaltungsrat<br />
über Anzeichen von illegalen Handlungen,<br />
die sie innerhalb ihres Fachgebiets entdecken,<br />
zu informieren. Ferner schlägt <strong>PwC</strong><br />
vor, den «Code of Ethics for Professional<br />
Accountants» um einige Prinzipien zu<br />
ergänzen, etwa: Ein Berufsangehöriger darf<br />
einen Kunden nicht bei illegalen Handlungen<br />
unterstützen; ein Berufsangehöriger darf die<br />
Augen nicht vor illegalen Handlungen<br />
verschliessen; ein Berufsangehöriger muss<br />
beurteilen, was wem innerhalb des Unternehmens<br />
berichtet werden soll.<br />
Juni 2013 Disclose 33
Ergänzende Fach empfehlung<br />
für kotierte Unternehmen<br />
Die Fachkommission für Empfehlungen zur Rechnungs legung (Fachkommission) setzt<br />
Swiss GAAP FER 31 «Ergänzende Fachempfehlung für kotierte Unternehmen» zum<br />
1. Januar 2015 in Kraft. Die neue FER beinhaltet vorwiegend zusätzliche Offenlegungen<br />
– auch zur mit Spannung erwarteten Segmentberichterstattung. Basierend auf<br />
den in der Vernehmlassung kommunizierten Anliegen hat die Fachkommission den im<br />
September 2012 veröffentlichten Entwurf angepasst und ist zuversichtlich, damit<br />
eine angemessene Lösung gefunden zu haben.<br />
Dr. Daniel Suter<br />
Partner, Wirtschaftsprüfung<br />
daniel.suter@ch.pwc.com<br />
Die Swiss GAAP FER richten sich primär an kleinere und<br />
mittelgrosse Unternehmen (KMU) mit nationaler<br />
Ausstrahlung. Durch die zunehmende Anzahl an<br />
Unternehmen, die in jüngerer Zeit einen Wechsel von<br />
den International Financial Reporting Standards (IFRS)<br />
zu den Swiss GAAP FER vollzogen haben, erhielt der<br />
Schweizer Rechnungslegungsstandard eine erhöhte<br />
Aufmerksamkeit am Kapitalmarkt. Es ist das Ziel der<br />
Fachkommission, die Swiss GAAP FER als anerkannten<br />
Standard für kotierte Unternehmen im «Domestic<br />
Standard» und im «Standard für <strong>Im</strong>mobiliengesellschaften»<br />
langfristig zu festigen und dabei der Tendenz zu<br />
sehr detaillierten Rechnungslegungsvorschriften<br />
bewusst nicht zu folgen.<br />
Die Vernehmlassung von 34 Unternehmen und Personen<br />
hat bei vielen Themenbereichen eine hohe Übereinstimmung<br />
mit den Überlegungen der Fachkommission<br />
ergeben.<br />
Tabelle 1: Bereiche der «Ergänzenden Fachempfehlung für<br />
kotierte Unternehmen» und Übersicht über die Reaktionen<br />
aus der Vernehmlassung<br />
Neu zu regelnde Bereiche Reaktion gemäss<br />
Vernehmlassung<br />
Definition kotierte Unternehmen Übereinstimmung<br />
Erstanwendung<br />
Übereinstimmung<br />
Aktienbezogene Vergütung Übereinstimmung<br />
Aufzugebende Geschäftsbereiche Teilweise Übereinstimmung<br />
Ergebnis je Beteiligungsrecht Übereinstimmung<br />
Ertragssteuern<br />
Teilweise Übereinstimmung<br />
Vermögenswerte und Verbindlichkeiten<br />
finanzieller Art<br />
Segmentberichterstattung<br />
Zwischenberichterstattung<br />
Teilweise Übereinstimmung<br />
Sehr kontroverse<br />
Meinungen<br />
Übereinstimmung<br />
Erweitertes Konzept der Swiss GAAP FER<br />
Das Konzept der Swiss GAAP FER begründet sich im<br />
modularen Aufbau. Kleine Organisationen wenden<br />
sowohl das Rahmenkonzept wie auch die Kern-FER an.<br />
Grössere Organisationen haben neben den Kern-FER<br />
weitere Standards zu erfüllen. Die Fachkommission<br />
definiert grössere Organisationen als solche, die zwei der<br />
drei Schwellenwerte (Bilanzsumme von CHF 10 Mio.,<br />
Umsatzerlöse von CHF 20 Mio. und 50 Vollzeitstellen im<br />
Jahresdurchschnitt) in zwei aufeinanderfolgenden<br />
Jahren überschreiten. Falls eine Organisation andere<br />
Organisationen beherrscht, ist auch eine Konzernrechnung<br />
nach Swiss GAAP FER 30 zu erstellen (kleine<br />
Organisationen können eine Konzernrechnung gemäss<br />
den Kern-FER erstellen).<br />
Neu werden zusätzliche Anforderungen an die Jahresoder<br />
Konzernrechnung kotierter Unternehmen gestellt<br />
und das Konzept der Swiss GAAP FER erweitert (vgl.<br />
Abb. Seite 35).<br />
<strong>Im</strong> Zentrum des neuen Standards stehen wichtige Fragen<br />
der Offenlegung, die für kotierte Unternehmen wesentlich<br />
sind und das Verständnis der externen Empfänger<br />
verbessern sollen. Die Regelungen der ergänzenden<br />
Fachempfehlung orientieren sich nach wie vor an der<br />
«True and Fair View», sind prinzipienorientiert und damit<br />
in keiner Art und Weise detailbezogen. FER 31 ist von<br />
kotierten Unternehmen zusammen mit allen anderen<br />
relevanten Swiss GAAP FER anzuwenden, geht aber dem<br />
Rahmenkonzept und den übrigen Fachempfehlungen<br />
vor.<br />
Kotierte Unternehmen werden sich gemäss der Einleitung<br />
der neuen FER nicht auf die Anwendung der<br />
Kern-FER beschränken können.<br />
Die Fachkommission hat die Ergebnisse der Vernehmlassung<br />
analysiert, den Entwurf entsprechend angepasst<br />
und die revidierte Fassung zum 1. Januar 2015 in Kraft<br />
gesetzt.<br />
34<br />
Disclose Juni 2013
Erweiterter modularer Aufbau der Swiss GAAP FER<br />
«True and Fair View»<br />
Rahmenkonzept<br />
Kern-<br />
FER<br />
Weitere<br />
Standards<br />
mit<br />
spezifischen<br />
Themen<br />
FER 30 zur<br />
Konzernrechnung<br />
+ + + +<br />
FER 31 für<br />
kotierte<br />
Unternehmen<br />
Kleine Organisationen<br />
Mittelgrosse und grosse Organisationen<br />
Organisationen, die eine Konzernrechnung erstellen<br />
<strong>Im</strong> «Domestic Standard» oder im «Standard für <strong>Im</strong>mobiliengesellschaften» kotierte Unternehmen<br />
Die neuen Bestimmungen<br />
1 Kotierte Unternehmen<br />
Swiss GAAP FER definiert kotierte Unternehmen als<br />
Organisationen, deren Beteiligungsrechte und/oder<br />
Forderungsrechte kotiert sind oder die im Begriff sind,<br />
eine Kotierung vorzunehmen.<br />
2 Erstanwendung<br />
Gemäss dem Rahmenkonzept müssen KMU bei der<br />
Umstellung lediglich die Vorjahresbilanz in Übereinstimmung<br />
mit den Swiss GAAP FER offenlegen. <strong>Im</strong> Gegensatz<br />
dazu sollen kotierte Unternehmen die gesamte<br />
Jahresrechnung mit Vorjahresangaben (beispielsweise<br />
für das Jahr 2012 und das Jahr 2011) präsentieren.<br />
3 Aktienbezogene Vergütungen<br />
Bei dieser Vergütungsart werden (leitende) Mitarbeiter<br />
mit Aktien entschädigt. Dafür muss das Unternehmen<br />
eigene Aktien beschaffen (oder neu herausgeben), die<br />
anschliessend gratis oder verbilligt abgegeben werden.<br />
Die buchhalterische Behandlung erworbener eigener<br />
Aktien ist von der Swiss GAAP FER 24 «Eigenkapital und<br />
Transaktionen mit Aktionären» vorgegeben. Die Abgabe<br />
dieser eigenen Aktien stellt gemäss Swiss GAAP FER 31<br />
einen Aufwand dar, der bei der Zuteilung zum Tageswert<br />
zu bewerten ist. Dieser Aufwand soll über jenen<br />
Zeitraum als Personalaufwand erfasst werden, während<br />
dessen sich die berechtigten Mitarbeiter die Vergütung<br />
«erdienen» (häufig hängt der Erhalt dieser Vergütung<br />
von der Zugehörigkeitsdauer eines Mitarbeiters zur<br />
Organisation ab). Ein Beispiel veranschaulicht die<br />
Berechnung: Der Aktienbonusplan sieht 2’000 Aktien für<br />
den CEO und je 1’500 Aktien für die weiteren vier<br />
Mitglieder der Konzernleitung zur unentgeltlichen<br />
Abgabe vor, falls die gesetzten Ziele für das Jahresergebnis<br />
erreicht werden.<br />
Zum Zuteilungszeitpunkt beträgt der Wert der Aktien<br />
CHF 15.–, und der Plan basiert auf einem «Erdienungszeitraum»<br />
von drei Jahren. Aufgrund der Erfahrung<br />
vergangener Jahre nimmt das Unternehmen an, dass ein<br />
Mitglied der Konzernleitung vor Ablauf dieser Frist<br />
kündigt und deshalb die zugesagten Aktien nicht<br />
erhalten wird.<br />
Tabelle 2: Bestimmung der Anzahl an Aktien gemäss<br />
Aktienbonusplan und des Bonuswertes<br />
Aktienbonusplan Anzahl CHF<br />
Aktien für den CEO 2’000 30’000<br />
Aktien für drei Mitglieder der<br />
4’500 67’500<br />
Konzernleitung<br />
Wert bei der Zuteilung 6’500 97’500<br />
Der Aufwand wird direkt über das Eigenkapital verbucht.<br />
Die abzugebenden Aktien wurden zum Preis von<br />
CHF 96’000.– erworben.<br />
Tabelle 3: Erfassung des Aktienbonusplans über die drei<br />
«Erdienungsjahre» und beim Bezug im Jahr 20x3<br />
Jahr Soll Haben CHF<br />
20x1 Personalaufwand Eigenkapital 32’500<br />
(Aktienplan)<br />
20x2 Personalaufwand Eigenkapital 32’500<br />
(Aktienplan)<br />
20x3 Personalaufwand Eigenkapital 32’500<br />
(Aktienplan)<br />
20x3 Eigenkapital Eigene Aktien 97’500<br />
(Aktienplan)<br />
20x3 Eigene Aktien Kapitalreserve 1’500<br />
Die Differenz zwischen dem Erwerbspreis eigener<br />
Aktien und dem Abgabewert an die Konzernleitung von<br />
CHF 1’500.– wird der Kapitalreserve zugeordnet.<br />
Juni 2013 Disclose 35
Falls die Schätzung nicht zutrifft und das fünfte Mitglied<br />
der Konzernleitung den «Erdienungszeitraum» ebenfalls<br />
erfüllt, muss im dritten Jahr ein zusätzlicher Aufwand<br />
von CHF 22’500.– (1’500 Aktien zu CHF 15.– bzw. zum<br />
aktuellen Wert der Aktie) erfasst werden.<br />
Allenfalls kann die Entschädigung auch in bar erfolgen.<br />
In diesem Fall orientiert sich der Wert der Entschädigung<br />
am Wert der Aktien des Unternehmens. Die geschuldete<br />
Entschädigung wird als regelmässig neu zu bewertende<br />
Verbindlichkeit erfasst.<br />
Falls ein Unternehmen plant, nur Barentschädigungen<br />
auszuzahlen, handelt es sich um einen «normalen»<br />
Bonus, der nicht als aktienbezogene Vergütung zu<br />
verstehen ist.<br />
4 Aufzugebende Geschäftsbereiche<br />
Sofern eine Organisation einen Geschäftsbereich aufgibt<br />
und diese Entscheidung veröffentlicht hat, muss sie den<br />
Nettoerlös aus Lieferung und Leistung und das Betriebsergebnis<br />
dieses Geschäftsbereichs separat offenlegen. Es<br />
besteht das Ziel, den Adressaten über den Umfang des<br />
künftigen Geschäfts zu informieren.<br />
5 Ergebnis je Beteiligungsrecht<br />
Eine wichtige Kennzahl kotierter Unternehmen ist das<br />
Ergebnis je Beteiligungsrecht. Ein Vergleich dieser<br />
Grösse zwischen einzelnen Unternehmen ist aussagekräftiger<br />
als eine Gegenüberstellung des Konzernergebnisses<br />
in absoluten Zahlen. Das Ergebnis je Beteiligungsrecht<br />
ist unverwässert und verwässert auszuweisen.<br />
Beim unverwässerten Ausweis wird das Konzernergebnis<br />
durch die durchschnittliche Anzahl der ausstehenden<br />
Beteiligungsrechte (Gesamtzahl der Beteiligungsrechte<br />
abzüglich der vom Unternehmen selbst gehaltenen<br />
Beteiligungsrechte) dividiert. Für die Ermittlung des<br />
verwässerten Ergebnisses je Beteiligungsrecht müssen<br />
die Effekte beispielsweise von ausgegebenen Optionen<br />
oder von Wandelanleihen berücksichtigt werden. Dabei<br />
werden möglicherweise sowohl das ausgewiesene<br />
Konzernergebnis wie auch die Zahl der Beteiligungsrechte<br />
beeinflusst. Swiss GAAP FER verlangt von den<br />
kotierten Unternehmen die Offenlegung, wie diese Kennzahlen<br />
berechnet werden, ohne selbst dafür eine<br />
Vorschrift zu erlassen.<br />
6 Ertragssteuern<br />
Für die Berechnung der laufenden und der latenten<br />
Ertragssteuern für jeden Einzelabschluss ist Swiss GAAP<br />
FER 11 «Ertragssteuern» massgebend. Gemäss Swiss<br />
GAAP FER 31 ist der auf der Basis des ordentlichen<br />
Ergebnisses gewichtete durchschnittlich anzuwendende<br />
Steuersatz offenzulegen. Das ordentliche Ergebnis ist ein<br />
Zwischentotal gemäss Swiss GAAP FER 3 «Darstellung<br />
und Gliederung». Es geht also um den Steuersatz, der<br />
aufgrund des ordentlichen Ergebnisses anzuwenden ist,<br />
bzw. um den Steuerbetrag, der aufgrund des ordentlichen<br />
Ergebnisses zu bezahlen ist.<br />
Tabelle 4: ordentliches Ergebnis gemäss Swiss GAAP FER 3<br />
Betriebliches Ergebnis<br />
+/– Finanzergebnis<br />
= ordentliches Ergebnis<br />
+/– ausserordentliches Ergebnis<br />
+/– betriebsfremdes Ergebnis<br />
= Gewinn/Verlust vor Ertragssteuern<br />
Ertragssteuern<br />
= Gewinn/Verlust<br />
Andererseits sollen Abweichungen zum offengelegten<br />
Steuersatz gezeigt werden. Dabei geht es der Fachkommission<br />
vor allem darum, dass die Auswirkungen von<br />
Veränderungen aus Verlustvorträgen ersichtlich werden.<br />
Die Ertragssteuern im Verhältnis zum Gewinn vor<br />
Steuern werden in aller Regel vom offengelegten<br />
Steuersatz abweichen. Dabei dürften in erster Linie<br />
steuerliche Verlustvorträge eine Rolle spielen. Folgende<br />
Fälle sind denkbar:<br />
• Verluste des Berichtsjahrs, deren mögliche Steuerfolgen<br />
nicht erfasst werden;<br />
• Verwendung steuerlicher Verlustvorträge, deren<br />
mögliche Steuerfolgen nicht erfasst waren;<br />
• Neuerfassung bisher nicht erfasster möglicher Folgen<br />
steuerlicher Verlustvorträge aufgrund einer Neueinschätzung;<br />
• Verfall oder Neueinschätzung steuerlicher Verlustvorträge,<br />
deren mögliche Steuerfolgen erfasst waren.<br />
Ein Beispiel zeigt die Zusammenhänge: Bei einem<br />
konsolidierten ordentlichen Gewinn von CHF 9 Mio.<br />
und einem durchschnittlich anzuwendenden Steuersatz<br />
von 22 % wird ein konsolidierter Steueraufwand von<br />
CHF 1’980’000.– erwartet.<br />
Ordentlicher<br />
Gewinn in CHF<br />
Steuersatz<br />
in %<br />
Tabelle 5: Zusammensetzung von Gewinn und Steueraufwand<br />
Konzerntochtergesellschaft<br />
Steuerbetrag<br />
in CHF<br />
A 900’000 10 90’000<br />
B 2’700’000 20 540’000<br />
C 5’400’000 25 1’350’000<br />
Total 9’000’000 22 1’980’000<br />
Kann beim Tochterunternehmen C, das einen Gewinn<br />
von CHF 5,4 Mio. zum Konzerngewinn beiträgt und mit<br />
25 % besteuert wird, ein steuerlicher Verlustvortrag von<br />
CHF 3,16 Mio. angerechnet werden, dessen entsprechende<br />
Steuerfolgen bisher nicht erfasst waren, reduziert sich<br />
der auszuweisende Steueraufwand um CHF 790’000.–<br />
(0,25 × 3’160’000) auf CHF 1’190’000.–. Der auszuweisende<br />
Steueraufwand beläuft sich auf 13,2 %<br />
(CHF 1’190’000.– geteilt durch das ordentliche Ergebnis<br />
von CHF 9 Mio.). Der Verlustvortrag verringert den<br />
Steueraufwand, der zum durchschnittlich anzuwendenden<br />
Steuersatz berechnet wird, um 40 %. Diese Verminderung<br />
ist als wesentlich zu qualifizieren und deshalb<br />
offenzulegen.<br />
36<br />
Disclose Juni 2013
7 Verbindlichkeiten finanzieller Art<br />
<strong>Im</strong> Zusammenhang mit Verbindlichkeiten finanzieller<br />
Art geht es um die Offenlegung von Bewertungsgrundsätzen<br />
und Konditionen. Die Offenlegung kann in<br />
Gruppen gleichartiger Instrumente oder einzeln erfolgen<br />
und betrifft beispielsweise den Zinssatz, die Laufzeit<br />
oder die Währung. Zudem soll offengelegt werden, wie<br />
die finanziellen Verbindlichkeiten in der Jahresrechnung<br />
dargestellt werden. Es ist erlaubt, eine Optionsanleihe in<br />
ihren rechnerischen Eigenkapital- und ihren Fremdkapitalbestandteil<br />
zu zerlegen und zu erfassen. Die Regelung<br />
für Vermögenswerte finanzieller Art wurde von der<br />
Fachkommission gestrichen.<br />
8 Segmentberichterstattung<br />
Bei diesem Thema unterscheiden sich die Ansichten der<br />
Empfänger der Jahres- oder Konzernrechnung klar von<br />
jenen der Anwender. Die Empfänger befürworten<br />
mehrheitlich eine detailliertere Segmentberichterstattung,<br />
weil sie ihnen einen vertieften Einblick in die<br />
Ergebnisse des Unternehmens ermöglicht. Die Anwender<br />
befürchten insbesondere Nachteile im Wettbewerb und<br />
plädieren dafür, dass nur die Segmentumsätze offenzulegen<br />
sind. Wettbewerbsnachteile bestehen einerseits<br />
gegenüber privaten Konkurrenten, weil diese keine<br />
Ergebnisse je Segment/Geschäftsbereich offenlegen<br />
müssen; über die Segmentberichterstattung für kotierte<br />
Unternehmen können diese Wettbewerber – wie auch<br />
Kunden und Lieferanten – zu Informationen kommen,<br />
über die sie sonst nicht verfügten. Andererseits bestehen<br />
diese Nachteile auch gegenüber kotierten grösseren<br />
Unternehmen, weil diese die Segmentberichterstattung<br />
auf stark aggregierter Ebene offenlegen können.<br />
Die Fachkommission hat eine Regelung beschlossen,<br />
welche die Argumente beider Seiten berücksichtigt. Die<br />
Segmenterlöse und -ergebnisse sind grundsätzlich<br />
offenzulegen. In begründeten Fällen, wenn etwa<br />
Wettbewerbsnachteile vorliegen und dies erklärt werden<br />
kann, darf ein Unternehmen auf den Ausweis der<br />
Segmentergebnisse verzichten. Die Begründung ist<br />
im – prüfungspflichtigen – Anhang der Jahres- oder<br />
Konzernrechnung offenzulegen.<br />
Oft wurde in der Vernehmlassung argumentiert, durch<br />
die Forderung nach einer Segmentberichterstattung<br />
entstünden zusätzliche Kosten für die Unternehmen.<br />
Dieses Argument findet die Fachkommission nicht<br />
stichhaltig, weil Unternehmen zur Steuerung ihres<br />
Geschäfts eine interne Berichterstattung an die oberste<br />
Leitungsebene (Verwaltungsrat, Konzern- oder Geschäftsleitung)<br />
benötigen. Für die Offenlegung der<br />
Segmente und Segmentergebnisse müssen die<br />
Unternehmen auf diese interne Berichterstattung<br />
zurückgreifen. Dies gilt auch dann, wenn die Segmentrechnung<br />
für einzelne Segmente/Geschäftsbereiche<br />
beispielsweise aufgrund von Zurechnungsproblemen<br />
nicht bis zum ordentlichen Ergebnis geführt wird. Die<br />
interne Segmentrechnung muss für die Offenlegung<br />
nach FER 31 nicht ergänzt werden. Auch ist in solchen<br />
Fällen keine Erläuterung erforderlich. Es muss eine<br />
Überleitung zwischen dem ausgewiesenen Segmentergebnis<br />
und der entsprechenden Grösse der Erfolgsrechnung<br />
offengelegt werden.<br />
Wenn ein Unternehmen ohne interne Segmentberichterstattung<br />
geführt wird, ist auch keine solche offenzulegen.<br />
Diese Situation kann beispielsweise bei einem<br />
Unternehmen vorkommen, das in wirtschaftlich gleichen<br />
Sparten tätig ist. <strong>Im</strong> Interesse eines besseren Verständnisses<br />
der Jahres- oder Konzernrechnung empfiehlt sich<br />
eine entsprechende Erläuterung im Anhang.<br />
9 Zwischenberichterstattung<br />
Swiss GAAP FER 12 «Zwischenberichterstattung» wird<br />
gestrichen, weil deren Bestimmungen in die «Ergänzende<br />
Fachempfehlung für kotierte Unternehmen» integriert<br />
wurden. Die mit Beteiligungsrechten kotierten Unternehmen<br />
müssen ihre Zwischenberichte nach FER 31<br />
erstellen. Alle übrigen Organisationen – einschliesslich<br />
die mit Forderungsrechten kotierten Unternehmen –<br />
können freiwillig eine Zwischenberichterstattung nach<br />
dieser Fachempfehlung erstellen.<br />
Fazit<br />
Unternehmen, die ihre Rechnungslegung von den IFRS<br />
auf die Swiss GAAP FER umgestellt haben, müssen<br />
weniger Offenlegungsanforderungen erfüllen als dies<br />
gemäss IFRS der Fall wäre; teilweise verlangen beide<br />
Regelwerke aber dieselben Offenlegungen. Die Komplexität<br />
und der Umfang der Regelungen der Swiss GAAP<br />
FER sind geringer – die Aussagekraft der Jahres- oder<br />
Konzernrechnung bleibt aber erhalten.<br />
Die «Ergänzende Fachempfehlung für kotierte Unternehmen»<br />
stellt aus Sicht der Fachkommission Swiss GAAP<br />
FER eine massvolle Erweiterung für einen klar abgrenzbaren<br />
Kreis der Swiss-GAAP-FER-Anwender dar.<br />
Aufgrund der erhöhten Bedeutung der Finanzberichterstattung<br />
für den Kapitalmarkt ist eine Anpassung der<br />
Regelungen für kotierte Unternehmen vertretbar. Ihnen<br />
soll eine verlässliche und stabile Grundlage der Rechnungslegung<br />
zur Verfügung gestellt werden.<br />
Juni 2013 Disclose 37
Schweizer Prüfungsstandards<br />
auf internationalem Niveau<br />
Stefan Haag<br />
Director, Wirtschaftsprüfung<br />
stefan.haag@ch.pwc.com<br />
Für ordentliche Revisionen von<br />
obligationenrechtlichen Abschlüssen<br />
der Geschäftsjahre 2013 gelten die<br />
überarbeiteten Schweizer Prüfungsstandards.<br />
Die Abschlussprüfung in<br />
der Schweiz erfüllt damit die international<br />
üblichen Qualitätsanforderungen.<br />
Die grossen Unternehmenszusammenbrüche<br />
um die Jahrtausendwende (z.B. Enron)<br />
führten auch zu Kritik an der Rolle der<br />
Abschlussprüfer. Als Reaktion darauf<br />
wurden im Rahmen des sogenannten<br />
«Clarity-Projekts» die international anwendbaren<br />
Prüfungsnormen (International<br />
Standards on Auditing, kurz ISA) grundlegend<br />
überarbeitet. Dies führte mit ISA 265<br />
«Mitteilungen über Mängel im internen<br />
Kontrollsystem an die für die Überwachung<br />
Verantwortlichen und das Management» zu<br />
einem neuen Prüfstandard und zur inhaltlichen<br />
Überarbeitung von 16 bestehenden<br />
Standards. Die «clarified ISA» müssen bereits<br />
für IFRS-Abschlüsse ab dem Jahr 2010<br />
angewendet werden; in der Schweiz<br />
hingegen gelten für die ordentliche Revision<br />
von Abschlüssen nach dem Obligationenrecht<br />
immer noch die Schweizer Prüfungsstandards<br />
(PS), die auf den «pre-clarified<br />
ISA» mit Stand von 2003 basieren.<br />
Um eine international vergleichbare<br />
Prüfungsqualität zu gewährleisten, verpflichtet<br />
sich der schweizerische Berufs-<br />
stand, die international gültigen Prüfungsnormen<br />
zu übernehmen. Für ordentliche<br />
Revisionen von Jahresrechnungen, die nach<br />
dem 15. Dezember 2013 abschliessen, gelten<br />
deshalb auch in der Schweiz die «clarified<br />
ISA». Die Treuhand-Kammer hat die PS<br />
entsprechend überarbeitet. Diese beinhalten<br />
nach wie vor Ergänzungen für spezifisch<br />
schweizerische Gegebenheiten (z.B. PS 290<br />
«Pflichten der gesetzlichen Revisionsstelle<br />
bei Kapitalverlust und Überschuldung»,<br />
PS 890 «Prüfung der Existenz des internen<br />
Kontrollsystems»). Für die eingeschränkte<br />
Revision gilt auch in Zukunft der «Standard<br />
zur Eingeschränkten Revision». Dieser<br />
wurde nicht angepasst. Nachstehend sind die<br />
wesentlichen Neuerungen der überarbeiteten<br />
PS sowie die Auswirkungen auf die<br />
Prüfungsdurchführung und die Berichterstattung<br />
erläutert.<br />
(Neue) Prüfungsnormen richten sich<br />
selbstredend hauptsächlich an den Prüfer.<br />
Nach den überarbeiteten PS soll eine<br />
Abschlussprüfung noch bewusster mit einer<br />
kritischen Grundhaltung durchgeführt<br />
werden. Zudem verlangen die neuen PS<br />
umfassendere Prüfungsdokumentationen<br />
über die Risikobeurteilung des Abschlussprüfers<br />
bzw. generell über die Prüfnachweise.<br />
Bei der Prüfung von Konzernen steigen<br />
die Anforderungen an den Konzernprüfer<br />
hinsichtlich der Instruktion und der<br />
Überwachung der Teilbereichsprüfer. Dies<br />
wird mitunter dazu führen, dass der<br />
Die Schweizer Prüfungsstandards 2013 im Überblick<br />
Die überarbeiteten PS umfassen rund 900 Seiten. Wie unten stehende Übersicht zeigt,<br />
gliedern sich die insgesamt 44 Standards thematisch in sieben Teilbereiche:<br />
PS 200 bis PS 290<br />
PS 300 bis PS 450<br />
PS 500 bis PS 580<br />
PS 600 bis PS 620<br />
PS 700 bis PS 720<br />
PS 800 bis PS 890<br />
PS 910 bis PS 940<br />
Allgemeine Grundsätze und Verantwortlichkeiten (9 Standards)<br />
Risikobeurteilung und Reaktion auf beurteilte Risiken (6 Standards)<br />
Prüfungsnachweise (11 Standards)<br />
Verwertung der Arbeit anderer (3 Standards)<br />
Schlussfolgerungen der Abschlussprüfung und Erteilung des<br />
Vermerks (6 Standards)<br />
Besondere Bereiche (5 Standards)<br />
Weitere Dienstleistungen (4 Standards)<br />
38<br />
Disclose Juni 2013
Nach den überarbeiteten Schweizer Prüfungsstandards<br />
soll eine Abschlussprüfung noch bewusster mit einer<br />
kritischen Grundhaltung durchgeführt werden.<br />
Gruppenprüfer sich noch eingehender mit<br />
dem Teilbereichsprüfer austauscht, was<br />
vermehrte Besuche bei wesentlichen<br />
Tochtergesellschaften bzw. deren Prüfern<br />
miteinschliesst. Die neuen PS beeinflussen<br />
folglich die Arbeitsweise des Abschlussprüfers<br />
und damit auch seine Zusammenarbeit<br />
mit den geprüften Unternehmen. Von<br />
Relevanz sind in diesem Zusammenhang die<br />
Änderungen bei der Prüfung von Schätzungen<br />
und von Beziehungen mit nahestehenden<br />
Personen sowie die Berichterstattung.<br />
Schätzungen in der Rechnungslegung<br />
Eine wesentliche Änderung erfuhr PS 540,<br />
der sich mit der Prüfung von geschätzten<br />
Werten in der Jahresrechnung befasst. <strong>Im</strong><br />
Rahmen seiner Risikobeurteilung muss der<br />
Prüfer beurteilen, wie das Management zu<br />
schätzende Werte ermittelt, und sich<br />
insbesondere ein Bild darüber machen, wie<br />
das Management die Auswirkungen von<br />
Schätzungsunsicherheiten im Abschluss<br />
einstuft. Als Mittel zur Bestimmung,<br />
Überwachung und Dokumentation solcher<br />
Schätzunsicherheiten kann das Management<br />
beispielsweise Sensitivitätsanalysen oder<br />
Szenarien einsetzen; damit lässt sich<br />
aufzeigen, inwiefern ein geschätzter Wert<br />
von einzelnen Faktoren bzw. von deren<br />
Änderung abhängt. Gemäss PS 540 beurteilt<br />
der Prüfer auch Anzeichen einer möglichen<br />
Einseitigkeit des Managements bei Schätzungen.<br />
Es geht dabei um eine Einschätzung<br />
des Prüfers, ob Entscheidungen des Managements<br />
einseitig geprägt sind, auch wenn<br />
diese in einer Gesamtwürdigung noch keine<br />
falsche Darstellung ausmachen. Dabei muss<br />
der Prüfer abwägen, ob eine mögliche<br />
Einseitigkeit einen Einfluss auf die Risikobeurteilung<br />
oder andere Prüfungsgebiete<br />
haben könnte.<br />
Der geänderte PS 540 sieht zudem vor, dass<br />
der Prüfer Schätzwerte aus früheren<br />
Perioden mit den effektiv eingetretenen<br />
Werten in den Folgeperioden vergleicht. Die<br />
daraus gewonnenen Erkenntnisse bezieht<br />
der Prüfer in seine Beurteilung einer<br />
möglichen falschen Darstellung von<br />
Schätzungen in der zu prüfenden Periode<br />
mit ein.<br />
Dies alles dürfte dazu führen, dass weitergehende<br />
Prüfungshandlungen in Bereichen<br />
vorgenommen werden, die wesentlich von<br />
Schätzungen abhängen (z.B. Rückstellungen,<br />
<strong>Im</strong>pairment Tests). Entsprechend<br />
steigen auch die Anforderungen an Art und<br />
Umfang der Nachweise, die das geprüfte<br />
Unternehmen von solchen Positionen<br />
erstellen muss.<br />
Beziehungen mit nahestehenden<br />
Personen<br />
In eine ähnliche Richtung gehen auch die<br />
Anforderungen an die Prüfung und die<br />
Dokumentation von Beziehungen zu<br />
nahestehenden Personen (PS 550). Bei<br />
Transaktionen mit nahestehenden Personen<br />
besteht aufgrund der subjektiven Verbindung<br />
zum Unternehmen ein erhöhtes Risiko<br />
von Falschaussagen im Abschluss. Aus<br />
diesem Grund und weil solche Transaktionen<br />
oft unter nicht marktüblichen Konditionen<br />
abgewickelt werden, schreiben die<br />
Standards vertiefte Prüfungshandlungen<br />
vor. Insbesondere sind Befragungen des<br />
Managements zu Transaktionen mit nahestehenden<br />
Personen vorgesehen, was selbstverständlich<br />
den Prüfungsaufwand erhöht.<br />
Berichterstattung<br />
Mit Blick auf die Berichterstattung gilt es<br />
primär, die angepasste Struktur, aber auch<br />
die Terminologie des zusammenfassenden<br />
Berichts an die Generalversammlung zu<br />
erwähnen. Nach den neuen PS sind Einschränkungen<br />
des Prüfungsurteils, Hinweise<br />
auf Gesetzesverstösse oder Hervorhebung<br />
von Sachverhalten in der Jahresrechnung<br />
(z.B. zu Unsicherheiten in Bezug auf die<br />
Unternehmensfortführung) neu in eigenen,<br />
mit einer Überschrift gekennzeichneten<br />
Absätzen aufzuführen. Dies erleichtert es<br />
dem Berichtsleser, solche «Abweichungen<br />
vom Normalwortlaut» leichter zu erkennen.<br />
Der neue PS 265 schreibt dem Prüfer vor,<br />
dass er Mängel, die er bei der Prüfung des<br />
internen Kontrollsystems (IKS) feststellt,<br />
«den für die Überwachung Verantwortlichen<br />
und dem Management in geeigneter Weise»<br />
mitteilt. Für die Prüfungspraxis in der<br />
Schweiz wird PS 265 wenig Neues bringen,<br />
da der Prüfer bei ordentlichen Revisionen<br />
bereits jetzt gesetzlich verpflichtet ist, dem<br />
Verwaltungsrat seine Feststellungen zum<br />
IKS in einem umfassenden Bericht schriftlich<br />
zu kommunizieren.<br />
Schlussfolgerung<br />
Mit der Übernahme der «clarified ISA» durch<br />
den schweizerischen Berufsstand werden in<br />
Zukunft alle ordentlichen Revisionen nach<br />
aktuellen, international anerkannten<br />
Standards durchgeführt. Dies garantiert<br />
weiterhin eine hohe Qualität der Abschlussprüfung<br />
in der Schweiz. Aufgrund der<br />
überarbeiteten Standards steigen die<br />
Anforderungen an den Prüfer und der<br />
Prüfungsaufwand. Ebenso erhöhen sich die<br />
Anforderungen an die Dokumente, die das<br />
zu prüfende Unternehmen vorbereiten muss;<br />
dies gilt vor allem für die Schätzungen in der<br />
Rechnungslegung und hinsichtlich der<br />
Beziehungen zu nahestehenden Personen.<br />
Juni 2013 Disclose 39
Das Rahmenwerk<br />
zum Integrated Reporting<br />
erlaubt Flexibilität<br />
Rolf Johner<br />
Partner, Wirtschaftsprüfung<br />
rolf.johner@ch.pwc.com<br />
40<br />
Disclose Juni 2013<br />
Mitte April 2013 hat das «International Integrated<br />
Reporting Council» (IIRC) den Entwurf zu einem<br />
Rahmenwerk für die integrierte Berichterstattung<br />
veröffentlicht. Interessierte Kreise können bis zum<br />
15. Juli 2013 Stellung dazu beziehen. Die definitive<br />
Version des Rahmenwerks soll im Dezember 2013<br />
publiziert und regelmässig aktualisiert werden.<br />
«Integrated Reporting» ist eine<br />
vernetzte Form der Unternehmensberichterstattung,<br />
die den<br />
<strong>Fokus</strong> darauf richtet, wie ein<br />
Unternehmen kurz-, mittel- und<br />
langfristig Wert schafft. Dazu<br />
stellt sie Verbindungen zwischen<br />
der Unternehmensstrategie, der<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong>, den<br />
Werttreibern, der finanziellen<br />
Performance und den externen<br />
Rahmenbedingungen her. Die<br />
Informationen eines integrierten<br />
Berichts müssen wesentlich sein<br />
und Aufschluss über die Zukunft<br />
des Unternehmens geben (vgl.<br />
hierzu die Disclose-Ausgabe vom<br />
Juni 2012).<br />
Der «Consultation Draft of the<br />
international Framework»<br />
ist mit Spannung erwartet<br />
worden. Er basiert auf dem<br />
Diskussionspapier «Towards<br />
Integrated Reporting – Communication<br />
Value in the 21 st<br />
Century» vom Herbst 2011.<br />
Eingeflossen sind unter anderem<br />
die Reaktionen auf dieses<br />
Diskussionspapier, die Vorschläge<br />
von Arbeitsgruppen und vor<br />
allem ein Pilotprojekt, an dem<br />
mehr als 85 Unternehmen rund<br />
um den Globus und über 30 institutionelle<br />
Investoren teilgenommen<br />
haben.<br />
Konzept, Leitlinien und<br />
Inhaltselemente<br />
Ziel des Rahmenwerks ist es, den<br />
Unternehmen eine Hilfestellung<br />
für den Aufbauprozess einer<br />
integrierten Berichterstattung zu<br />
bieten. Das Rahmenwerk ist<br />
klarer und detaillierter formuliert<br />
als das Diskussionspapier.<br />
Das grundlegende Konzept<br />
konzentriert sich auf<br />
• die Ressourcen, die ein<br />
Unternehmen nutzt oder<br />
beeinflusst; dabei handelt es<br />
sich um finanzielle Mittel,<br />
Produktionsmittel, intellektuelles<br />
Kapital, Mitarbeiter,<br />
Gesellschaft und Beziehungen<br />
sowie natürliche<br />
Ressourcen;<br />
• das Geschäftsmodell und<br />
• die Wertschöpfung im<br />
Zeitverlauf.<br />
Wie schon in dem zitierten<br />
Diskussionspapier aus dem Jahr<br />
2011 konkretisiert das IIRC die<br />
integrierte Berichterstattung mit<br />
Leitlinien (Guiding Principles)<br />
und Inhaltselementen (Content<br />
Elements), wenngleich diese nun<br />
etwas anders gewichtet und<br />
geordnet sind. Mit den «Guiding<br />
Principles» setzt das IIRC<br />
sozusagen die Leitplanken für<br />
den Inhalt und die Struktur<br />
eines Integrated Reporting. Den<br />
sechs Prinzipien folgend, muss<br />
eine integrierte Berichterstattung<br />
• den <strong>Fokus</strong> auf die Strategie<br />
und die Zukunft des Unternehmens<br />
richten;<br />
• die einzelnen Informationen<br />
in einen Zusammenhang<br />
stellen;<br />
• auf die Informationsbedürfnisse<br />
der Stakeholder<br />
eingehen;<br />
• an den Prinzipien der Wesentlichkeit<br />
und Prägnanz<br />
ausgerichtet sein;<br />
• verlässlich und vollständig<br />
sein;<br />
• Konsistenz und Vergleichbarkeit<br />
gewährleisten.
Entscheidend ist die integrierte Denkweise, die stets<br />
die Querverbindungen zwischen den verschiedenen<br />
Unternehmensfunktionen, den unterschiedlichen<br />
Ressourcen und der Wertschöpfung berücksichtigt.<br />
Die einzelnen Inhaltselemente<br />
dürfen nicht isoliert gesehen<br />
werden, sondern müssen in das<br />
grundlegende Konzept eingebettet<br />
und an den Leitlinien<br />
ausgerichtet sein. Dadurch wird<br />
die Bandbreite der Berichterstattung<br />
grösser, als die sieben<br />
Inhaltselemente zunächst<br />
vermuten lassen; sie erstreckt<br />
sich über die finanziellen und<br />
nichtfinanziellen Werttreiber,<br />
die Abhängigkeit des Unternehmens<br />
von Ressourcen und<br />
Beziehungen, eine langfristige<br />
Perspektive und die Angleichung<br />
von interner und externer<br />
Berichterstattung. Das Rahmenwerk<br />
verlangt die folgenden,<br />
miteinander zu vernetzenden<br />
Inhaltselemente:<br />
• organisatorischer Überblick<br />
und äusseres Umfeld<br />
• <strong>Governance</strong><br />
• Chancen und Risiken<br />
• Strategie und Ressourcenallokation<br />
• Geschäftsmodell<br />
• Performance<br />
• Ausblick<br />
Ein eigenes Kapitel widmet das<br />
IIRC der Vorbereitung und der<br />
Präsentation eines integrierten<br />
Berichts. Thematisiert werden<br />
darin unter anderem die<br />
Häufigkeit der Berichterstattung,<br />
die Vorgehensweise zur<br />
Bestimmung der Wesentlichkeit<br />
von Informationen und die<br />
Abgrenzung des Kreises der in<br />
die Berichterstattung einbezogenen<br />
Einheiten.<br />
Flexibilität in der Anwendung<br />
Anders als in einigen Stellungnahmen<br />
befürchtet, hat das IIRC<br />
kein starres Rahmenwerk<br />
vorgelegt, da dies zum jetzigen<br />
Zeitpunkt für die meisten<br />
Unternehmen verfrüht wäre,<br />
sondern ein Konzept, das<br />
Flexibilität in der Anwendung<br />
erlaubt. Aus der Sicht von <strong>PwC</strong><br />
sind drei Punkte positiv hervorzuheben:<br />
• Das Rahmenwerk folgt einem<br />
prinzipienbasierten Ansatz<br />
und macht keine Vorgaben<br />
zur Messung oder Offenlegung<br />
einzelner Sachverhalte<br />
oder zur Identifikation von<br />
Schlüsselindikatoren.<br />
Entscheidend ist die integrierte<br />
Denkweise, die stets die<br />
Querverbindungen zwischen<br />
den verschiedenen Unternehmensfunktionen,<br />
den<br />
unterschiedlichen Ressourcen<br />
und der Wertschöpfung<br />
berücksichtigt.<br />
• Das Rahmenwerk geht davon<br />
aus, dass jene, die dem<br />
Unternehmen Finanzkapital<br />
zur Verfügung stellen, die<br />
Hauptadressaten eines<br />
integrierten Berichts sind,<br />
unterstreicht indes zugleich,<br />
dass eine integrierte Berichterstattung<br />
zum Vorteil aller<br />
Stakeholder sein müsse. Dies<br />
ermöglicht ein praktikables<br />
und schrittweises Vorgehen,<br />
das sich zunächst auf die<br />
Investoren und deren<br />
Informationsbedürfnisse<br />
konzentriert. Zu einem<br />
späteren Zeitpunkt kann die<br />
integrierte Berichterstattung<br />
um Informationen erweitert<br />
werden, die von besonderer<br />
Relevanz für andere Anspruchsgruppen<br />
sind.<br />
• Die Offenlegung erfolgt nach<br />
dem Prinzip «indicate or<br />
explain». Das heisst, die<br />
Anwender sollten alle wesentlichen<br />
Anforderungen des<br />
Rahmenwerks erfüllen.<br />
Sprechen wichtige Gründe<br />
gegen die Publizität gewisser<br />
Informationen – etwa<br />
mangelnde Verlässlichkeit der<br />
Daten oder gesetzliche<br />
Restriktionen – so sollte das<br />
Unternehmen die Adressaten<br />
darauf aufmerksam machen<br />
und erklären, weshalb diese<br />
Informationen fehlen. Damit<br />
folgt das IIRC einem ähnlichen<br />
Grundsatz («comply or<br />
explain»), wie er heute in der<br />
Berichterstattung zur<br />
<strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> üblich<br />
ist.<br />
Das Rahmenwerk des IIRC<br />
könnte die «Berichterstattung<br />
der Zukunft», wie das Integrated<br />
Reporting auch bisweilen<br />
genannt wird, einen guten<br />
Schritt voranbringen. Das IIRC<br />
(http://www.theiirc.org) ist ein<br />
hochkarätiges Gremium, in dem<br />
auch standardsetzende Institutionen<br />
wie das International<br />
Accounting Standards Board<br />
(IASB) oder das Financial<br />
Accounting Standards Board<br />
(FASB) mitwirken, also jene<br />
Institutionen, welche die IFRS<br />
beziehungsweise die US GAAP<br />
herausgeben. Deren Arbeit bleibt<br />
von einem Rahmenwerk zum<br />
Integrated Reporting nicht<br />
unberührt. Schliesslich soll die<br />
integrierte Berichterstattung<br />
nicht neben, sondern an die<br />
Stelle der heute üblichen Form<br />
der Unternehmensberichterstattung<br />
– einschliesslich der<br />
Finanzberichterstattung – treten.<br />
Juni 2013 Disclose 41
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Das Buch gibt einen Überblick darüber,<br />
welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten<br />
der Verwaltungsrat, die<br />
Geschäftsleitung, die interne Revision<br />
und die externe Revisionsstelle für die<br />
Finanzberichterstattung haben. Die<br />
Autoren, drei Partner von <strong>PwC</strong> Schweiz,<br />
stellen die Finanzberichterstattung nach<br />
den in der Schweiz verbreiteten Rechnungslegungsstandards<br />
OR, Swiss<br />
GAAP FER und IFRS systematisch dar.<br />
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Disclose Juni 2013
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Deutsch Französisch<br />
Executive Compensation & <strong>Corporate</strong> <strong>Governance</strong> 2012 (Englisch)<br />
A practical guide to new IFRSs for 2013 (Englisch)<br />
World Watch. News and opinion on governance, reporting and assurance issues affecting<br />
business today (Abonnement, Englisch)<br />
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Juni 2013<br />
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