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Leseprobe - Die Schwaben. Wie sie wurden, was sie sind.

Aus der geplanten Neuauflage des Klassikers "Wo kommsch denn Du alds Arschloch her?" ist ein neues Werk geworden: ein humorvolles und hochinteressantes Geschichtsbuch. Nichts ist darin erfunden - seriös recherchiert erzählt die Journalisten-Legende Ulrich Kienzle die 1600-jährige Geschichte des Volksstamms der Schwaben. Mit vielen Cartoons des mehrfach ausgezeichneten Zeichners Mario Lars. Schon heute ein Klassiker, der in keinem schwäbischen Bücherregal fehlen darf!

Aus der geplanten Neuauflage des Klassikers "Wo kommsch denn Du alds Arschloch her?" ist ein neues Werk geworden: ein humorvolles und hochinteressantes Geschichtsbuch. Nichts ist darin erfunden - seriös recherchiert erzählt die Journalisten-Legende Ulrich Kienzle die 1600-jährige Geschichte des Volksstamms der Schwaben. Mit vielen Cartoons des mehrfach ausgezeichneten Zeichners Mario Lars. Schon heute ein Klassiker, der in keinem schwäbischen Bücherregal fehlen darf!

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Ulrich Kienzle<br />

<strong>Die</strong> <strong>Schwaben</strong>.<br />

<strong>Wie</strong> <strong>sie</strong> <strong>wurden</strong>,<br />

<strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>sind</strong>.<br />

Mit Cartoons von Mario Lars<br />

sagas.edition


Multikulti im Mittelalter.<br />

Eine schwäbische Schrumpfkur.<br />

<strong>Die</strong> Staufer<br />

l 17<br />

Ihre Nachbarn nannten <strong>sie</strong> Sueben – die Herumschweifenden. Ein<br />

unternehmungslustiges Völkchen, wie der Name schon sagt. Vor<br />

der Völkerwanderung machten <strong>sie</strong> den hohen Norden unsicher: das<br />

Baltikum, dort, wo heute Estland und Lettland auf der Landkarte zu<br />

finden <strong>sind</strong>. <strong>Die</strong> Ostsee hieß damals Mare Suebicum, Schwäbisches<br />

Meer. Aber: <strong>Die</strong> Gegend war ihnen wohl zu kalt, weshalb <strong>sie</strong> sich auf<br />

den beschwerlichen Weg in den wärmeren Süden machten – ganz


18 l<br />

offensichtlich also frühe Klima- und Wirtschaftsflüchtlinge, die sich<br />

ein besseres Leben erhofften. Aber <strong>sie</strong> kamen nicht als hilfesuchende<br />

Asylanten, sondern als bewaffnete Migranten. In der Neujahrsnacht<br />

des Jahres 408 überquerten <strong>sie</strong> den Rhein bei Mainz und eroberten<br />

langsam die Region, die sich heute »Voralpen« nennt. <strong>Die</strong> Römer verpassten<br />

den Ankömmlingen einen neuen Namen: »Alemanni«. Was<br />

an deren suebischen Genen nichts änderte.<br />

Im Mittelalter räuberten diese »Alamannen« das Herzogtum<br />

<strong>Schwaben</strong> zusammen. Schnell machten <strong>sie</strong> sich breit in einem Land,<br />

das vom Lech im Osten bis zu den Vogesen im Westen reichte, von<br />

Cannstatt im Norden bis Chiavenna in der Nähe des Comer Sees im<br />

Süden. Zu ihm gehörten auch Gegenden, die heute in der Schweiz<br />

liegen, im Elsass, in Bayerisch-<strong>Schwaben</strong> und im österreichischen<br />

Vorarlberg. Auch wenn es Altbadener heute noch ärgert: Auch die<br />

Badener nannten sich damals <strong>Schwaben</strong>. Der erste Herzog war, wenn<br />

man sehr großzügig sein will, ein Schweizer – Burchard I. 22 Das wiederum<br />

ist nicht ohne Ironie, weil »Sauschwab« später ein beliebtes<br />

Schweizer Schimpfwort für alle Deutschen nördlich von Schaffhausen<br />

geworden ist.<br />

Auch ein Bayer, ein Sachse und ein Franke herrschten mal als<br />

schwäbische Herzöge. Staufer, Welfen und Zähringer kämpften dann<br />

lange zäh und verbissen um Macht und Einfluss im Herzogtum, bis<br />

sich am Schluss die Staufer durchsetzten. Unter ihrer Herrschaft <strong>sind</strong><br />

die <strong>Schwaben</strong> schließlich zu Macht und Ansehen gekommen. <strong>Die</strong> kurze<br />

Herrschaft der Staufer gilt gemeinhin als Höhepunkt der schwäbischen<br />

Geschichte. <strong>Schwaben</strong> war groß und einflussreich. Es gehörte<br />

damals zu den fünf Stammesherzogtümern, die zusammen mit<br />

Sachsen, Franken, Lothringen und Baiern 23 das Deutsche Reich ausmachten.<br />

Aber: Für die Suche nach dem historischen Selbstverständnis<br />

der <strong>Schwaben</strong> gibt das alte Herzogtum nicht allzu viel her. Es<br />

existierte nicht einmal 350 Jahre und es war von Anfang an ein fragiles<br />

Gebilde. Es hatte keine Hauptstadt und kein politisches Zentrum.<br />

22 Burchard I. wurde zwischen 855 und 860 geboren. Er war der erste Herzog<br />

von <strong>Schwaben</strong> sowie Markgraf in Rätien und Graf im Thurgau und der Baar. /<br />

23 Offizielle Schreibweise bis 1806


l 19<br />

<strong>Die</strong> Staufer Friedrich I. 24 , wegen seines üppigen roten Bartwuchses<br />

Barbarossa genannt, und sein Enkel Friedrich II. 25 , gemeinhin<br />

ganz unbescheiden als »Wunder der Welt« bezeichnet, eignen sich<br />

außerdem nicht besonders als Stammväter der <strong>Schwaben</strong>. Dafür waren<br />

<strong>sie</strong> viel zu weltläufig und zu wenig an ihrer schwäbischen Identität<br />

und Heimat interes<strong>sie</strong>rt. Ganz offensichtlich war das Herzogtum<br />

<strong>Schwaben</strong> für die Staufer lediglich ein Sprungbrett für Höheres: die<br />

Kaiserkrone. Barbarossa wurde im 19. Jahrhundert gerade deshalb<br />

von deutschen Nationalisten vereinnahmt, die von der Einheit<br />

24 Friedrich I. entstammt dem Adelsgeschlecht der Staufer und wurde um 1122<br />

geboren. Er war von 1147 bis 1152 Herzog von <strong>Schwaben</strong>, von 1152 bis 1190 römischdeutscher<br />

König und von 1155 bis 1190 Kaiser des römisch-deutschen Reiches. /<br />

25 Friedrich II. (1194–1250) war von 1220 bis zu seinem Tod Kaiser des römisch-deutschen<br />

Reiches und ab 1229 König von Jerusalem. Er war hochgebildet, sprach mehrere<br />

Sprachen und galt als »erster moderner Mensch auf dem Thron«.


20 l<br />

schwärmten. <strong>Die</strong> Kyffhäusersage 26 war das zentrale Politmärchen<br />

der deutsch-nationalen Fantasywelt. Barbarossa der Erlöser, der im<br />

Verborgenen – im von Raben umschwärmten Kyffhäuserberg – darauf<br />

wartet, die Deutschen zur Einheit zu führen. Von Stammesunterschieden<br />

und Partikularinteressen wollten die Einheitsträumer<br />

nichts wissen. Dass Barbarossa Schwabe war, spielte keine Rolle.<br />

Friedrich Rückert – damals ein erfolgreicher Poet – hat »Kaiser Rotbart«<br />

aus dem Mythen-Koma gedichtet und künstlich wiederbelebt:<br />

Er hat hinabgenommen<br />

Des Reiches Herrlichkeit<br />

Und wird einst wiederkommen<br />

Mit ihr, zu seiner Zeit.<br />

Friedrich II. bietet noch weniger für die schwäbische Identitätssuche<br />

als Barbarossa. »Der modernste Mensch des Spätmittelalters«<br />

residierte nicht mal auf seiner Stammburg Hohenstaufen – sondern<br />

im fernen Sizilien. Und er sprach Arabisch. Ob er auch Schwäbisch<br />

konnte, ist nicht überliefert. Ein Multikulti-Kaiser. Er hat Jerusalem<br />

erobert, nicht – wie damals üblich – mit Feuer und Schwert, sondern<br />

durch Verhandlungen und Gespräche. Ein unblutiger Kreuzzug. In<br />

Sizilien wird er heute noch verehrt als »Federico Secondo«. Mit der<br />

Enthauptung des letzten Staufers, des erst 14-jährigen Konradin,<br />

1268 in Neapel verschwanden die weltläufigen Staufer aus der Geschichte<br />

und <strong>wurden</strong> zur historischen Legende. <strong>Die</strong> Macht des schwäbischen<br />

Stammes war also nur ein kurzer Traum.<br />

In dieses Machtvakuum stießen die eher provinziellen Grafen von<br />

Württemberg und die Markgrafen von Baden – und die begannen<br />

auseinanderzudividieren, <strong>was</strong> eigentlich eins war. Das schwäbische<br />

Elsass ging verloren 27 , dann löste sich auch die Schweiz vom schwäbischen<br />

Mutterland 28 . Der Rest zerfiel in kleine, kümmerliche Herrschaften,<br />

die von Grafen und Baronen, von Städten und Klöstern<br />

regiert <strong>wurden</strong>. Schrumpf-<strong>Schwaben</strong>.<br />

26 In dieser Sage schläft Barbarossa mit seinen Gefolgsleuten in einer Höhle des<br />

Kyffhäuserbergs südöstlich des Harzes, um eines Tages zu erwachen und als<br />

Friedenskaiser das Reich zu neuer Größe zu führen. <strong>Die</strong> Sage entspringt dem Motiv<br />

der Bergentrückung, das aus dem skandinavischen Kulturraum stammt: Herrscher<br />

sterben nicht, sondern werden in einen Berg entrückt – bis <strong>sie</strong> zurückkehren,<br />

um ihr Land zu retten.


l 21<br />

Auch im großen Fegefeuer der Napoleonischen Kriege ist das alte<br />

Herzogtum nicht mehr zusammengekommen. Unwiderruflich verschwand<br />

es in der Geschichte. Nur noch schemenhaft war zu erkennen,<br />

<strong>was</strong> eigentlich »typisch schwäbisch« ist. Nur so viel blieb sicher:<br />

Es gehörte schon immer zur Eigenheit des Schwäbischen, sich nicht<br />

um politische Grenzen zu kümmern.<br />

Für manche erscheint das Herzogtum <strong>Schwaben</strong> heute im verklärenden<br />

Rückblick als gloriose, lang anhaltende Erfolgsgeschichte.<br />

<strong>Schwaben</strong> über alles. Für <strong>sie</strong> ist »<strong>Schwaben</strong>« eine diffuse, sehr ferne,<br />

27 Das Elsass war von 988 bis 1250 Teil des Herzogtums <strong>Schwaben</strong>. /<br />

28 Im sogenannten »<strong>Schwaben</strong>krieg« im Jahr 1499


22 l<br />

verschwommene Erinnerung. <strong>Die</strong> Stuttgarter Staufer-Ausstellung<br />

von 1977 hat versucht, <strong>sie</strong> wieder zu beleben. Ein bisschen schwäbische<br />

Größe sollte auf Baden-Württemberg abfärben und die <strong>Schwaben</strong><br />

mit dem neuen Bundesland versöhnen. Schließlich war der<br />

Name »<strong>Schwaben</strong>« bei der Abstimmung im Jahr 1951 um den neuen<br />

Landesnamen unterlegen. Ein später Sieg der Altbadener. Das technokratische<br />

»Baden-Württemberg« hatte ge<strong>sie</strong>gt. Ein Bindestrich-<br />

Land.<br />

Heute muss man lange suchen, um noch Überbleibsel des politischen<br />

<strong>Schwaben</strong>s zu entdecken. Und es ist nicht ohne Ironie, dass<br />

man ausgerechnet in Bayern fündig wird. Dort gibt es nämlich einen<br />

Regierungsbezirk, der sich <strong>Schwaben</strong> nennt. <strong>Die</strong> Bewohner zwischen<br />

Iller und Lech, um Augsburg herum und im Ries, <strong>sind</strong> zwar seit 1806<br />

politisch Bayern, stammesmäßig aber so schwäbisch wie die Stuttgarter<br />

<strong>Schwaben</strong>. Sozusagen der letzte traurige Rest, der noch den<br />

Namen des einst stolzen Herzogtums trägt. <strong>Die</strong>se katholischen bayerischen<br />

<strong>Schwaben</strong> <strong>sind</strong> von den evangelischen Württembergern<br />

immer ignoriert worden. <strong>Die</strong> Württemberger waren es, die früh die<br />

Deutungshoheit über das <strong>Schwaben</strong>tum an sich gerissen haben.<br />

Sebastian Blau, Thaddäus Troll und ihre Epigonen bestimmten, <strong>was</strong><br />

schwäbisch ist. <strong>Die</strong> bayerischen <strong>Schwaben</strong> kamen bei ihnen nicht<br />

besonders gut weg. Wenn’s aber ums Renommieren ging, hat<br />

Thaddäus Troll die Augsburger brav mitgezählt – Bert Brecht, die<br />

Welser und die Fugger.<br />

Bayerisch-<strong>Schwaben</strong> ist in den letzten Jahrzehnten zum ethnischen<br />

Niemandsland zwischen Altbayern und Baden-Württemberg<br />

geworden, ziemlich schutzlos den Bajuwari<strong>sie</strong>rungsversuchen der<br />

expansiven Altbayern ausgeliefert. Hilfe ist nirgendwo in Sicht. Es<br />

gibt kein schwäbisches politisches Zentrum zur Orientierung. <strong>Die</strong>se<br />

bayerischen <strong>Schwaben</strong> <strong>sind</strong> deshalb keine richtigen Bayern, aber<br />

auch keine überzeugten <strong>Schwaben</strong> mehr. Selbstzweifel, Minderwertigkeits-<br />

und Identitätsprobleme plagen auch <strong>sie</strong>. Der typisch schwä-


ische Komplex. Ihr Schwäbisch ist zwar et<strong>was</strong> rauer, aber es ist unleugbar<br />

Schwäbisch, wie auch das der Allgäuer. Der Kemptener Ignaz<br />

Kiechle, langjähriger Bonner Landwirtschaftsminister, genierte sich<br />

nicht wegen seines Dialektes. Er konnte wohl auch nicht anders. Der<br />

Augsburger Schwabe und Ex-Finanzminister Theo Waigel dagegen<br />

hat sein Schwäbisch leicht bajuwarisch parfümiert, als er bayerischer<br />

Ministerpräsident werden wollte – <strong>was</strong> die Altbayern zu verhindern<br />

wussten. Lange aber waren diese <strong>Schwaben</strong> erfolgreicher als die aus<br />

dem Stuttgarter Unterland und die Bayern zusammen – besonders<br />

in Gelddingen.<br />

l 23

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