CLAUSEWITZ Entscheidung an der Westfront (Vorschau)
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1/2013 J<strong>an</strong>uar | Februar €5,50 A: € 6,30 CH: sFr 11,00 BeNeLux: € 6,50 SK, I: € 7,45 S: SEK 75 N: NOK 79 FIN: € 8,10<br />
Clausewitz<br />
Clausewitz<br />
Das Magazin für Militärgeschichte<br />
P-51<br />
Must<strong>an</strong>g<br />
Der Albtraum<br />
<strong>der</strong> deutschen<br />
Luftwaffe<br />
Kriegsjahr 1918<br />
<strong>Entscheidung</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Westfront</strong><br />
Demj<strong>an</strong>sk 1942<br />
Falkl<strong>an</strong>dkrieg<br />
Feldherr,<br />
Pionier,<br />
„Vater <strong>der</strong><br />
L<strong>an</strong>dsknechte“<br />
Georg von<br />
Frundsberg<br />
Erich Ludendorff:<br />
Warum sein Pl<strong>an</strong> zur<br />
militärischen Nie<strong>der</strong>werfung<br />
Fr<strong>an</strong>kreichs scheiterte<br />
MILITÄR & TECHNIK:<br />
MUNGA<br />
IFA P3
Legenden<br />
<strong>der</strong> Lüfte<br />
Das neue<br />
Heft ist da.<br />
Jetzt am<br />
Kiosk!
Editorial<br />
Liebe Leserin,<br />
lieber Leser,<br />
im Frühjahr 1918 st<strong>an</strong>d die 8. Kriegs<strong>an</strong>leihe<br />
unter dem Motto „Der letzte<br />
Hieb“. Mit aller Macht suchte das<br />
Deutsche Reich die <strong>Entscheidung</strong> <strong>an</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Westfront</strong> und damit im Ersten<br />
Weltkrieg.<br />
Die „Michael-Offensive“ beg<strong>an</strong>n im<br />
März 1918 mit großer Wucht, doch<br />
die Alliierten leisteten erbitterten Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d.<br />
Schließlich kosteten die<br />
deutschen<br />
Frühjahrsoffensiven<br />
und die<br />
Gegenoffensiven<br />
<strong>der</strong> Entente-Mächte<br />
unzähligen<br />
Soldaten bei<strong>der</strong><br />
Seiten das<br />
Leben. Ein<br />
fr<strong>an</strong>zösischer<br />
Soldat beschrieb das Grauen auf den<br />
Schlachtfel<strong>der</strong>n und die ausweglose<br />
Lage <strong>an</strong> <strong>der</strong> Front als „nicht enden<br />
wollendes Massaker“.<br />
Im Zweiten Weltkrieg bot sich ein<br />
<strong>an</strong><strong>der</strong>es Bild: Deutsche P<strong>an</strong>zerverbände<br />
stießen ohne vergleichbaren Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d<br />
durch Belgien und Fr<strong>an</strong>kreich<br />
vor und erzielten enorme<br />
Geländegewinne. Der „Motor als Waffe“<br />
entschied innerhalb weniger Wochen<br />
den Krieg im Westen – dort, wo<br />
allein im Kriegsjahr 1918 auf deutscher<br />
und alliierter Seite ein Millionenheer<br />
Toter und Verwundeter zu beklagen<br />
gewesen war.<br />
Eine erkenntnisreiche Lektüre<br />
wünscht Ihnen Ihr<br />
Dr. Tammo Luther<br />
Ver<strong>an</strong>twortlicher Redakteur<br />
P.S.: <strong>CLAUSEWITZ</strong>, das mo<strong>der</strong>ne Magazin<br />
für Militärgeschichte, bietet Ihnen alle<br />
zwei Monate erstklassige Beiträge.<br />
Seit Markteinführung ist <strong>der</strong> Heftpreis<br />
konst<strong>an</strong>t geblieben. Um Ihnen weiterhin<br />
Qualität auf hohem Niveau bieten zu<br />
können, müssen wir mit dieser Ausgabe<br />
den Heftpreis um 60 Cent erhöhen.<br />
Wir bitten um Ihr Verständnis. Als Abonnent<br />
genießen Sie selbstverständlich<br />
auch weiterhin 10 Prozent Preisvorteil.<br />
Und als beson<strong>der</strong>es Extra liegt diesem<br />
Heft das <strong>CLAUSEWITZ</strong>-Kalen<strong>der</strong>poster<br />
2013 bei!<br />
Titelbild: Deutsche Inf<strong>an</strong>terie beim Angriff auf die alliierten<br />
Stellungen in Fr<strong>an</strong>kreich im Rahmen <strong>der</strong> „Frühjahrsoffensiven“<br />
des Jahres 1918.<br />
Foto: ullstein bild<br />
Clausewitz 1/2013<br />
Inhalt<br />
Titelthema<br />
8 <strong>Westfront</strong> 1918. Die <strong>Entscheidung</strong>sschlachten im letzten Kriegsjahr<br />
22 Waffen und Taktik <strong>der</strong> Kriegsparteien. Technische und taktische Neuerungen<br />
28 Deutsche und alliierte Soldaten. Sinnloses Massensterben<br />
Magazin<br />
4 Archäologischer Park X<strong>an</strong>ten, Son<strong>der</strong>ausstellung „War Games“,<br />
Sammeltipp: „The Battle of Waterloo“-Modellbausatz, Englischsprachiges:<br />
„The Specialist“ – Sp<strong>an</strong>nen<strong>der</strong> Actionrom<strong>an</strong>, u.v.a.m.<br />
Schlachten <strong>der</strong> Weltgeschichte<br />
32 Demj<strong>an</strong>sk 1942/43. Erbitterte Kesselschlacht im Osten<br />
40 Falkl<strong>an</strong>dkrieg 1982. Großbrit<strong>an</strong>niens „teurer“ Sieg über<br />
Argentinien<br />
Meinung<br />
46 Die Zukunft des Krieges. Eine Interpretation <strong>der</strong> Fakten<br />
Buchvorstellung<br />
48 Von Stalingrad in die Norm<strong>an</strong>die. Die dramatischen<br />
Erlebnisse des Eisenbahn-Pioniers Willy Reinshagen<br />
im Zweiten Weltkrieg<br />
Militär und Technik<br />
50 Geländewagen MUNGA <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
und IFA P3 <strong>der</strong> NVA. Legenden auf vier Rä<strong>der</strong>n<br />
Militär und Technik<br />
58 Begleitjäger P-51 „Must<strong>an</strong>g“. Geleitschutz für<br />
die alliierten Bomberverbände<br />
Spurensuche<br />
66 US-Atomwaffenbasen des Kalten Krieges.<br />
Die Minutem<strong>an</strong> Missile Sites gestern und heute<br />
Feldherren<br />
72 Georg von Frundsberg. Der berühmte „Vater <strong>der</strong> L<strong>an</strong>dsknechte“<br />
und seine wichtigsten Schlachten<br />
Museum<br />
78 Das Yorkshire Air Museum in Großbrit<strong>an</strong>nien.<br />
Beeindruckende Sammlung zur Luftfahrtgeschichte<br />
Ein Bild erzählt Geschichte<br />
80 Blüchers Rheinüberg<strong>an</strong>g bei Kaub 1813/14.<br />
Das berühmte Gemälde von Wilhelm Camphausen<br />
82 <strong>Vorschau</strong>/Impressum<br />
Seite 32<br />
Seite 72<br />
Titelfotos: ullstein bild; Dietmar Herm<strong>an</strong>n; BArch, Bild 101I-004-3644-28/Richard Muck (Fotoausschnitt); picture-alli<strong>an</strong>ce/dpa;<br />
picture-alli<strong>an</strong>ce/Bildagentur-online/Sunny Celeste; picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images; Dirk Krüger;<br />
BArch, B 145 Bild-F027390-0004 (Foto bearbeitet, MUNGA freigestellt)<br />
Fotos: picture-alli<strong>an</strong>ce/Mary Ev<strong>an</strong>s/Robert Hunt Collection; ullstein bild; ullstein bild - dpa; picture-alli<strong>an</strong>ce/picture-alli<strong>an</strong>ce<br />
Seite 40
Clausewitz<br />
Magazin<br />
Die Ostseite des Bunkers in Bremen-<br />
Farge im Jahr 1943.<br />
Foto: L<strong>an</strong>deszentrale für politische<br />
Bildung/Staatsarchiv Bremen<br />
Südseite <strong>der</strong> ehemaligen U-Boot-Werft in Bremen-Farge.<br />
Foto: Harald Schwörer, photein.de<br />
Photovoltaik trifft auf Geschichte<br />
Phono-Solar-Module bilden erste PV-Anlage auf denkmalgeschütztem U-Boot-Bunker<br />
Phono Solar, globaler Hersteller für qualitativ<br />
hochwertige Lösungen im Bereich<br />
<strong>der</strong> erneuerbaren Energien, erweitert<br />
seine Tätigkeit auf dem deutschen<br />
Markt und investiert verstärkt in Einzelprojekte.<br />
Seit November 2011 fin<strong>an</strong>ziert Phono<br />
Solar das Projekt „Bunker Valentin“ – eine<br />
Photovoltaik<strong>an</strong>lage auf dem denkmalgeschützten<br />
U-Boot-Bunker „Valentin“ in Bremen-Farge.<br />
Es ist das erste Projekt dieser Art<br />
in Deutschl<strong>an</strong>d.<br />
Als Pächter des Daches trägt Phono Solar<br />
dazu bei, die Gedenkstätte für KZ-Häftlinge<br />
und Zw<strong>an</strong>gsarbeiter im Zweiten Weltkrieg<br />
zu erhalten.<br />
Der 1942 bis 1945 errichtete Bunker ist 426<br />
Meter l<strong>an</strong>g, bis zu 90 Meter breit und 30<br />
Meter hoch. Umgeben von bis zu sieben<br />
Meter dicken Mauern sollte hier eine riesige<br />
U-Boot-Werft entstehen. Der Gebäudekomplex<br />
wurde aufgrund des Kriegsverlaufs allerdings<br />
nie fertig gestellt.<br />
Bis 2015 sollen sämtliche Bauarbeiten am<br />
„Denkort Bunker Valentin“ abgeschlossen<br />
werden. Es ist ein Projekt, das dazu dienen<br />
soll, eine Gedenkstätte zu schaffen und aus<br />
dem Bunker einen historisch-politischen<br />
Lehrpfad zu machen. Fin<strong>an</strong>ziert wird das<br />
Projekt durch das L<strong>an</strong>d Bremen sowie vom<br />
Bund.<br />
Seit 2011 wird die Anlage zivil genutzt. Der<br />
Eigentümer des Bunkers ist die Bundes<strong>an</strong>stalt<br />
für Immobilienaufgaben (BImA). Aufgrund<br />
<strong>der</strong> Größe, Ausrichtung und geringen<br />
Verschattung des Bunkers bot sich <strong>an</strong>,<br />
dort eine Photovoltaik<strong>an</strong>lage zu installieren.<br />
Unter strengen Auflagen wurde die PV-Anlage<br />
auf <strong>der</strong> unter Denkmalschutz stehenden<br />
Betondecke montiert.<br />
„Der Erhalt des Gebäudes kostet mehr als<br />
200.000 Euro im Jahr. Mit <strong>der</strong> Photovoltaik<strong>an</strong>lage<br />
und <strong>der</strong> Suche nach einem Investor<br />
hilft Phono Solar, diesen Ort <strong>der</strong> Erinnerung<br />
inst<strong>an</strong>d zu halten“, erklärt Rol<strong>an</strong>d Menken,<br />
Vizepräsident von Phono Solar Europe.<br />
KALENDER<br />
30. Dezember 1812<br />
Preußisch-russische<br />
Konvention<br />
Graf Yorck von Wartenburg und General von<br />
Diebitsch-Salbalk<strong>an</strong>skij, <strong>der</strong> auf russischer Seite<br />
kämpft, schließen die Konvention von Tauroggen.<br />
Als Oberbefehlshaber des preußischen<br />
Hilfskorps, das unter fr<strong>an</strong>zösischem Komm<strong>an</strong>do<br />
steht, erklärt Yorck von Wartenburg die Neutralität<br />
seiner Truppen. Die preußisch-russische<br />
Konvention gilt als F<strong>an</strong>al zum Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d gegen<br />
Napoleon.<br />
14. – 26. J<strong>an</strong>uar 1943<br />
Konferenz von Casabl<strong>an</strong>ca<br />
US-Präsident Fr<strong>an</strong>klin D. Roosevelt und <strong>der</strong> britische<br />
Premierminister Winston Churchill treffen mit ihren<br />
Delegationen in Casabl<strong>an</strong>ca zu einer Geheimkonferenz<br />
zusammen, um über das weitere militärische<br />
Vorgehen im Kampf gegen das „Dritte Reich“ zu<br />
beraten. Roosevelt for<strong>der</strong>t die bedingungslose<br />
Kapitulation <strong>der</strong> „Achsenmächte“, Deutschl<strong>an</strong>d,<br />
Italien und Jap<strong>an</strong>, die zu diesem Zeitpunkt militärisch<br />
bereits stark <strong>an</strong>geschlagen waren.<br />
US-Präsident<br />
Roosevelt und<br />
Mitglie<strong>der</strong> seiner<br />
Delegation in<br />
Casabl<strong>an</strong>ca.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
4
Rettung für Schiffswracks<br />
Archäologen starten ungewöhnliche Aktion<br />
Unterwasserarchäologen aus<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
wollen die Plün<strong>der</strong>ung und Zerstörung<br />
historischer Schiffswracks<br />
in <strong>der</strong> Ostsee stoppen. In<br />
den kommenden Monaten werden<br />
neben den Funden spezielle<br />
Hinweisschil<strong>der</strong> befestigt. Sie sollen<br />
Taucher über den Fund informieren<br />
und vor möglichen Beschädigungen<br />
warnen.<br />
Eine erste Tafel haben Forschungstaucher<br />
im Seegebiet<br />
vor Warnemünde bereits installiert.<br />
Sie ver<strong>an</strong>kerten im Meeresboden<br />
unmittelbar neben einem<br />
Schlepperwrack ein Schild mit<br />
Daten zum gesunkenen Schiff<br />
und seiner Geschichte. Der etwa<br />
100 Jahre alte Schlepper war vermutlich<br />
im o<strong>der</strong> kurz nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg untergeg<strong>an</strong>gen.<br />
Auf den Schil<strong>der</strong>n werden<br />
die Schiffe mit Grundrisszeichnungen<br />
vorgestellt und als<br />
archäologisches Denkmal ausgewiesen.<br />
Gepl<strong>an</strong>t sind außerdem<br />
auch Lehrgänge und Workshops<br />
zur <strong>an</strong>gemessenen<br />
Erkundung geschützter Unterwasserfunde.<br />
MUSEUMSTIPP<br />
Archäologischer Park X<strong>an</strong>ten<br />
Deutschl<strong>an</strong>ds größtes archäologisches Freilichtmuseum<br />
Der impos<strong>an</strong>te Hafentempel<br />
im LVR-Archäologischen<br />
Park X<strong>an</strong>ten.<br />
Foto: Axel Thünker DGPh<br />
Foto: GeraMond Verlag<br />
BUCHEMPFEHLUNG<br />
Helden auf vier Pfoten<br />
US-Journalist widmet neues Buch den Militärhunden<br />
Der US-Amerik<strong>an</strong>er L<strong>an</strong>ce<br />
Bacon betritt mit seinem<br />
Text-Bildb<strong>an</strong>d „Hunde im Einsatz“<br />
Neul<strong>an</strong>d. Der für seine<br />
journalistische Arbeit vielfach<br />
ausgezeichnete Redakteur <strong>der</strong><br />
Wochenzeitung „Army Times“<br />
erzählt die bisher wenig<br />
beachtete Geschichte <strong>der</strong> Hunde,<br />
die seit<br />
den Zeiten<br />
von Pharao<br />
Ramses II.<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Seite<br />
Sp<strong>an</strong>nende<br />
Geschichten<br />
des Menschen<br />
in<br />
den Krieg<br />
zogen. Mit<br />
großem<br />
Einfühlungsver-<br />
mögen und Detailwissen erzählt<br />
Bacon sp<strong>an</strong>nende Geschichten<br />
von Tapferkeit und<br />
Kameradschaft. Beeindruckende<br />
Bildstrecken zeigen<br />
Hunde in den Schützengräben<br />
<strong>der</strong> Weltkriege und in den<br />
Dschungeln Koreas o<strong>der</strong> Kubas.<br />
Die Texte und Bil<strong>der</strong> dokumentieren<br />
Mut und Einsatz<br />
<strong>der</strong> Tiere beim Abseilen<br />
aus Helikoptern, bei Patrouillen<br />
im Irak o<strong>der</strong> Afgh<strong>an</strong>ist<strong>an</strong>.<br />
L<strong>an</strong>ce Bacon: Hunde im Einsatz.<br />
Helden auf vier Pfoten, 160 Seiten,<br />
ca. 120 Abbildungen, Format<br />
21,5 x 28,3 cm, Hardcover<br />
mit Schutzumschlag, ISBN 978-<br />
3-86245-713-7, Preis 29,95<br />
EUR<br />
Auf dem Gelände <strong>der</strong> einstigen<br />
Römerstadt „Colonia Ulpia<br />
Trai<strong>an</strong>a“ lädt <strong>der</strong> LVR-Archäologische<br />
Park X<strong>an</strong>ten zu einem <strong>an</strong>regenden<br />
Ausflug in die Geschichte<br />
ein.<br />
Rund 400 Jahre l<strong>an</strong>g war X<strong>an</strong>ten<br />
einer <strong>der</strong> bedeutendsten römischen<br />
Orte in Germ<strong>an</strong>ien. An<br />
die 10.000 Menschen lebten in<br />
<strong>der</strong> impos<strong>an</strong>ten Stadt, die Kaiser<br />
Traj<strong>an</strong> um 100 n. Chr. zur „Colonia<br />
Ulpia Trai<strong>an</strong>a“ ern<strong>an</strong>nte.<br />
Dass das Gelände <strong>der</strong> mehr<br />
als 2.000 Jahre alten Stadt seit<br />
dem Mittelalter kaum besiedelt<br />
wurde, ist ein wahrer Glücksfall<br />
für die Archäologie. So können<br />
die kulturhistorischen überaus<br />
wertvollen Überreste <strong>der</strong> römischen<br />
Stadt seit 1977 im LVR-Archäologischen<br />
Park X<strong>an</strong>ten geschützt,<br />
erforscht und<br />
präsentiert werden.<br />
Im weitläufigen Grün des<br />
Parks vermitteln darüber hinaus<br />
originalgetreue Nachbauten wie<br />
<strong>der</strong> Hafentempel und das Amphitheater,<br />
die Stadtmauer,<br />
Wohnhäuser und Bade<strong>an</strong>lagen<br />
einen lebendigen Eindruck vom<br />
römischen Alltag in Germ<strong>an</strong>ien.<br />
Das neue, preisgekrönte LVR-<br />
RömerMuseum, bietet mit Führungen<br />
über die Ausgrabungen,<br />
H<strong>an</strong>dwerksvorführungen und<br />
Aktionsprogrammen vielfältige<br />
Anreize, sich <strong>der</strong> Römerzeit mit<br />
allen Sinnen zu nähern.<br />
Größere Ver<strong>an</strong>staltungen wie<br />
das Römerfest „Schwerter, Brot<br />
und Spiele“ und die Sommerfestspiele<br />
in <strong>der</strong> Arena füllen<br />
den Park auf beson<strong>der</strong>e Weise<br />
mit Leben.<br />
Kontakt:<br />
LVR-Archäologischer Park X<strong>an</strong>ten<br />
Besucherservice<br />
Tel.: 02801/988-9213<br />
E-Mail:<br />
x<strong>an</strong>ten@kulturinfo-rheinl<strong>an</strong>d.de<br />
www.apx.lvr.de<br />
22. J<strong>an</strong>uar 1963<br />
Deutsch-fr<strong>an</strong>zösische<br />
Zusammenarbeit<br />
Der fr<strong>an</strong>zösische Staatspräsident Charles<br />
de Gaulle und Bundesk<strong>an</strong>zler Konrad<br />
Adenauer unterzeichnen in Paris den<br />
„Elysée-Vertrag“. Der Vertrag sieht unter<br />
<strong>an</strong><strong>der</strong>em eine Abstimmung bei<strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />
über außenpolitische <strong>Entscheidung</strong>en vor.<br />
Bei regelmäßigen Zusammenkünften sollen<br />
darüber hinaus Verteidigungsfragen<br />
beh<strong>an</strong>delt werden.<br />
27. J<strong>an</strong>uar 1973<br />
Rückzug aus Vietnam<br />
Vertreter <strong>der</strong> USA, Nord- und Südvietnams<br />
sowie <strong>der</strong> provisorischen Revolutionsregierung<br />
in Südvietnam unterzeichnen in<br />
Paris ein Waffenstillst<strong>an</strong>dsabkommen.<br />
Zudem wird am gleichen Tag <strong>der</strong> Rückzug<br />
<strong>der</strong> letzten US-Truppen vereinbart. In den<br />
Vereinigten Staaten von Amerika lösen<br />
<strong>der</strong> Tod von fast 60.000 US-Soldaten und<br />
<strong>der</strong> militärische Misserfolg eine gesellschaftliche<br />
Krise aus.<br />
25. Februar 1713<br />
Friedrich Wilhelm I.,<br />
<strong>der</strong> „Soldatenkönig“<br />
Friedrich Wilhelm I. wird König. Zur Leitlinie<br />
<strong>der</strong> Politik des preußischen Monarchen wird<br />
die fin<strong>an</strong>zielle Beschränkung <strong>der</strong> Hofhaltung<br />
zugunsten des Aufbaus eines stehenden<br />
Heeres in Preußen. Bis zu seinem Tod<br />
im Jahr 1740 reorg<strong>an</strong>isiert er das Heerwesen<br />
und erhält den Beinamen „Soldatenkönig“.<br />
Sein Sohn wird wenig später als<br />
Friedrich II. Geschichte schreiben.<br />
König Friedrich Wilhelm I.,<br />
Gemälde von Knobelsdorff.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
Clausewitz 1/2013<br />
5
Clausewitz<br />
Magazin<br />
Foto: Archiv <strong>CLAUSEWITZ</strong><br />
ENGLISCHSPRACHIGES<br />
Söldner versus<br />
Terroristen<br />
„The Specialist –<br />
Sulliv<strong>an</strong>’s Revenge“<br />
Jack Sulliv<strong>an</strong> ist Söldner. Er<br />
trinkt gerne Johnny Walker<br />
Black Label Whisky und<br />
raucht Lucky Strike. Mit einer<br />
h<strong>an</strong>dverlesenen Truppe – darunter<br />
<strong>der</strong> blonde Hüne Bruno<br />
Rolff – begibt er sich auf einen<br />
privaten Rachefeldzug gegen<br />
den britischen Condottiere<br />
Colonel Thatcher. Der Geisteszust<strong>an</strong>d<br />
des Colonels pendelt<br />
irgendwo zwischen Exzentrik<br />
und Wahnsinn. In seinem Ausbildungslager<br />
trainiert er Terroristen<br />
und unterhält eine<br />
Truppe, die er <strong>an</strong><br />
Diktatoren und<br />
<strong>an</strong><strong>der</strong>e Unholde<br />
vermietet.<br />
Bei einem Anschlag<br />
in Südfr<strong>an</strong>kreich<br />
tötete<br />
die Org<strong>an</strong>isation<br />
des „Blue M<strong>an</strong>“<br />
die Geliebte von<br />
Jack Sulliv<strong>an</strong>.<br />
Schwere Waffen, hinterhältige<br />
Rednecks, eine Terroristen-Armee,<br />
Kneipenschlägereien,<br />
Verfolgungsjagden und Messerstechereien:<br />
„The Specialist<br />
– Sulliv<strong>an</strong>’s Revenge“ von<br />
1984 liefert das volle Programm<br />
und quillt nur so über<br />
vor Klischees: eine krude Mischung<br />
aus Arnold Schwarzenegger<br />
und James Bond. Die<br />
Action ist „larger th<strong>an</strong> life“<br />
wie in einem Söldnerfilm aus<br />
den 1980er-Jahren (die ja seit<br />
„The Expendables“ wie<strong>der</strong> in<br />
Mode kommen) – aber immer<br />
Unterhaltsam und mit einigen<br />
unerwarteten Wendungen.<br />
Es h<strong>an</strong>delt sich um den dritten<br />
B<strong>an</strong>d einer mehrteiligen<br />
Reihe des Autors John Cutter,<br />
die aber alle auch unabhängig<br />
vonein<strong>an</strong><strong>der</strong> lesbar sind. Die<br />
Bücher können recht einfach<br />
und preiswert bei den großen<br />
Internet-Buchhändlern (<strong>an</strong>tiquarisch)<br />
bezogen werden.<br />
Amüs<strong>an</strong>tes Popcornkino zwischen<br />
zwei Buchdeckeln!<br />
AUSSTELLUNGSTIPP<br />
„War Games“ – Kriegsspielzeug aus 100 Jahren<br />
Das Volkskunde Museum Schleswig präsentiert eine sehenswerte Son<strong>der</strong>ausstellung von<br />
28. Oktober 2012 bis 14. April 2013<br />
D<br />
as Volkskunde Museum <strong>der</strong><br />
Stiftung Schleswig-Holsteinische<br />
L<strong>an</strong>desmuseen Schloss<br />
Gottorf widmet sich in seiner<br />
neuen Son<strong>der</strong>ausstellung dem<br />
Thema „Kriegsspielzeug“.<br />
Mit zum Teil noch nie gezeigten<br />
Objekten aus den eigenen<br />
Sammlungsbeständen sowie zahlreichen<br />
Leihgaben aus Museen<br />
und privaten Sammlungen dokumentiert<br />
die Ausstellung Kriegs-,<br />
Militär- und Kampfspielzeug aus<br />
den letzten 100 Jahren. Von <strong>der</strong> Ritterburg<br />
bis zum Laserschwert,<br />
vom Zinnsoldaten bis zum „Ego-<br />
Shooter“ reicht die B<strong>an</strong>dbreite<br />
<strong>der</strong> Exponate, die die ungebrochene<br />
Faszination aber auch die<br />
Gefahren dieser beson<strong>der</strong>en Spielzeuggattung<br />
erlebbar machen.<br />
In den vier Abteilungen<br />
„Kaiserzeit“, „Nationalsozialis-<br />
SAMMELTIPP<br />
Modellbausatz<br />
für Nostalgiker<br />
The Battle of Waterloo<br />
In den 1970er-Jahren brachte <strong>der</strong><br />
britische Hersteller AIRFIX einen<br />
inzwischen fast schon legendären<br />
Bausatz zur „Schlacht aller<br />
Schlachten“ auf den Markt − das<br />
Set zu Waterloo 1815 im Maßstab<br />
1:72.<br />
Im Jahre 2009 gab es d<strong>an</strong>n die<br />
l<strong>an</strong>gersehnte Neuauflage. In<br />
dem großen Karton sind enthalten:<br />
je ein Satz britische und<br />
fr<strong>an</strong>zösische Inf<strong>an</strong>terie, Kavallerie<br />
und Artillerie. Dazu schottische<br />
Hochl<strong>an</strong>d-Inf<strong>an</strong>terie sowie<br />
Napoleons Kaiserliche Garde.<br />
Blüchers Preußen sind mit<br />
einem Satz Inf<strong>an</strong>terie vertreten.<br />
Zwei Bodenplatten, ein<br />
Farmhaus (Bausatz) mit Figuren<br />
und Zubehör sowie Farben,<br />
Pinsel und Klebstoff vervollständigen<br />
das Set. Die Qualität<br />
<strong>der</strong> Figuren k<strong>an</strong>n sicherlich<br />
nicht mit aktuellen Produkten<br />
mus“, „Nachkriegszeit“ und<br />
„Gegenwart“ werden die wichtigsten<br />
Kriegsspielzeuge <strong>der</strong><br />
entsprechenden Epoche vorgestellt<br />
und in den Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
<strong>der</strong> zeitgenössischen Erziehungsideale<br />
gestellt.<br />
Neben <strong>der</strong> kleinen aber sehenswerten<br />
Son<strong>der</strong>ausstellung<br />
bietet das Museum auf dem Hesterberg<br />
seinen Besuchern ein<br />
www. AIRFIX .com<br />
Foto: Hornby Hobbies Ltd 2012<br />
von Herstellern wie Italeri o<strong>der</strong><br />
Zvezda mithalten. Der Nostalgie-<br />
und Kultfaktor speziell dieses<br />
Airfix-Bausatzes ist aber unschlagbar<br />
und für alle, die das<br />
Set noch aus ihrer Jugend kennen,<br />
eine schöne Kindheitserinnerung.<br />
Das Coverartwork ist beinahe<br />
so gut gelungen wie auf<br />
<strong>der</strong> Originalbox vor 40 Jahren.<br />
Wer schon immer einmal − bzw.<br />
wie<strong>der</strong> − in die Fußstapfen von<br />
Captain William Siborne (siehe<br />
„Wellington’s Smallest Victory“<br />
von Peter Hofschröer) treten<br />
wollte, <strong>der</strong> sollte sich auf die<br />
Suche nach diesem Kleinod machen.<br />
Lei<strong>der</strong> ist auch die Neuauflage<br />
schon wie<strong>der</strong> vergriffen<br />
und die Preise dafür haben erheblich<br />
<strong>an</strong>gezogen. Wer nicht<br />
wie<strong>der</strong> Jahrzehnte warten will,<br />
<strong>der</strong> sollte dennoch zugreifen.<br />
Ein P<strong>an</strong>zerwagen-Metallbaukasten<br />
<strong>der</strong> Firma<br />
Märklin aus den 1920er-<br />
Jahren.<br />
Foto: Stiftung Schleswig-<br />
Holsteinische L<strong>an</strong>desmuseen<br />
Schloss Gottorf<br />
vielfältiges Angebot zur Geschichte<br />
und Kulturgeschichte<br />
Schleswig-Holsteins.<br />
Kontakt:<br />
Volkskunde Museum Schleswig<br />
Suadic<strong>an</strong>istraße 46-54<br />
24837 Schleswig<br />
Info-Telefon: 04621 / 9676-0<br />
E-Mail:<br />
volkskunde@schloss-gottorf.de<br />
67<br />
Jahre und elfeinhalb Monate war<br />
<strong>der</strong> 1830 in Wien geborene Fr<strong>an</strong>z<br />
Joseph I. aus dem Hause Habsburg-<br />
Lothringen Kaiser von Österreich.<br />
Begleitet von <strong>der</strong> militärischen Nie<strong>der</strong>lage<br />
im Ersten Weltkrieg und<br />
durch das innere Zerbrechen des<br />
Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn<br />
läutete sein Tod im November 1916<br />
schließlich den Unterg<strong>an</strong>g <strong>der</strong><br />
österreichisch-ungarischen Monarchie<br />
im Jahr 1918 ein.<br />
Foto: Archiv <strong>CLAUSEWITZ</strong><br />
6
Briefe <strong>an</strong> die Redaktion<br />
Zu „Ulysses S. Gr<strong>an</strong>t und Robert E.<br />
Lee“ in <strong>CLAUSEWITZ</strong> 6/2012:<br />
Ich möchte Sie auf eine Ungereimtheit in<br />
dem Artikel von Michael Solka hinweisen.<br />
Er schreibt hier zunächst: „…was<br />
schließlich zu Lees Kapitulation im Gerichtsgebäude<br />
von Appomattox führte.“<br />
Und etwas später heißt es d<strong>an</strong>n in <strong>der</strong><br />
Bildunterschrift auf S. 79: „… Das Wohnhaus<br />
des Farmers McLe<strong>an</strong> wird ausgewählt,<br />
weil das örtliche Gerichtsgebäude<br />
geschlossen ist.“<br />
Meines Wissens stimmt die zweite Version<br />
[…]. Auf alle Fälle stehen sich die beiden<br />
Aussagen in diesem Artikel ja konträr<br />
gegenüber. Stef<strong>an</strong> Jenninger, per E-Mail<br />
Anm. d. Red.:<br />
Der Leser hat Recht. Robert E. Lee und<br />
Ulysses S. Gr<strong>an</strong>t trafen sich Privathaus<br />
<strong>der</strong> McLe<strong>an</strong>s.<br />
Zu „Warum die USA den Vietnamkrieg<br />
verloren“ in <strong>CLAUSEWITZ</strong> 6/2012:<br />
Mit Freuden habe ich den Artikel „Warum<br />
die USA den Vietnamkrieg verloren“ […]<br />
gelesen. Ich denke, dass <strong>der</strong> eigentliche<br />
Konflikt „Vietnam“ zu umf<strong>an</strong>greich ist, um<br />
ihn auf einer Seite ausreichend zu beschreiben.<br />
Dennoch hat Herr Feulner es<br />
aus meiner Sicht sehr gut hinbekommen<br />
und wirklich das Wesentliche erfasst.<br />
Ich selber habe mich auch ausgiebig mit<br />
dem Thema Vietnamkrieg beschäftigt und<br />
würde mich freuen, wenn m<strong>an</strong> auf die<br />
Frage, die sich in <strong>der</strong> Überschrift verbirgt,<br />
einmal ausführlicher in einer etwas längeren<br />
Abh<strong>an</strong>dlung eingehen könnte, da es<br />
– wie ich finde – ein sehr sp<strong>an</strong>nendes<br />
Thema ist, welches so (lei<strong>der</strong>) nicht oft<br />
abgeh<strong>an</strong>delt wird.<br />
Christi<strong>an</strong> Matthiesen, per E-Mail<br />
Ort großer Geschichte: Im „McLe<strong>an</strong> House“<br />
unterzeichnete General Lee am 9. April<br />
1865 die Kapitulation <strong>der</strong> Nord-Virginia-<br />
Armee. Foto: Verlag für Amerik<strong>an</strong>istik<br />
(Dietmar Kuegler)<br />
Zu „Warum die USA den Vietnamkrieg<br />
verloren“ in <strong>CLAUSEWITZ</strong> 6/2012:<br />
Der Darstellung und den gezogenen<br />
Schlüssen aus dem dargestellten Sachverhalt<br />
k<strong>an</strong>n ich nicht folgen. Es wird [auf die]<br />
Internationalisierung des Konflikts auf beiden<br />
Seiten nicht genügend eingeg<strong>an</strong>gen.<br />
Der Autor stellt den Konflikt als eine Ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>setzung<br />
zwischen den USA als Unterstützer<br />
des „westlichen“ Südvietnams<br />
auf <strong>der</strong> einen Seite und den kommunistischen<br />
Vietcong unterstützt vom „östlichen“<br />
Nordvietnam dar.<br />
Zu gering ist die Herausstellung <strong>der</strong> Unterstützung<br />
Nordvietnams durch die Volksrepublik<br />
China […], <strong>der</strong> Sowjetunion […]<br />
aber auch Nordkoreas […] sowie Kubas<br />
mit möglicherweise Tausenden Militärberatern<br />
[…]. Ebenfalls k<strong>an</strong>n die direkte<br />
Kriegsbeteiligung auf „westlicher“ Seite<br />
durch Südkorea […], Australien […], Thail<strong>an</strong>d,<br />
Philippinen, Neuseel<strong>an</strong>d und Laos<br />
nicht <strong>an</strong> die darstellerische Peripherie geschoben<br />
werden. Auch die fin<strong>an</strong>zielle Unterstützung<br />
Südvietnams durch die USA<br />
[und] Nordvietnams durch die Sowjetunion<br />
muss stark berücksichtigt werden.<br />
[…] Der militärische Sieg war auch ein<br />
Sieg <strong>der</strong> Volksrepublik China und <strong>der</strong> Sowjetunion,<br />
nicht allein o<strong>der</strong> sogar weniger<br />
Nordvietnams. Es h<strong>an</strong>delte sich mehr um<br />
einen Krieg zwischen den USA und <strong>der</strong><br />
Sowjetunion […]. […] Bei dieser Betrachtung<br />
stellt sich die Frage, wer l<strong>an</strong>gfristig im<br />
großen Rahmen <strong>der</strong> Sieger war. Die Ressourcen<br />
<strong>der</strong> Sowjetunion wurden soweit<br />
überbe<strong>an</strong>sprucht, dass <strong>der</strong> Keim für den<br />
Nie<strong>der</strong>g<strong>an</strong>g <strong>der</strong>selben gelegt wurde. Die<br />
USA verloren zwar militärisch den Krieg,<br />
gew<strong>an</strong>nen aber im großen Rahmen wirtschaftlich<br />
den Kalten Krieg[…].<br />
Stef<strong>an</strong> Punct, Berlin, per E-Mail<br />
Antwort des Autors:<br />
[…] Die Konflikte in Vietnam passierten<br />
über einen Zeitraum von über 30 Jahren,<br />
die Ursachen dafür liegen jedoch noch<br />
weiter zurück, u.a. in den Kolonialbestrebungen<br />
<strong>der</strong> westlichen Welt. [Aufgrund<br />
des zur Verfügung stehenden Platzes]<br />
musste [ausgewählt] werden, was für die<br />
USA im „amerik<strong>an</strong>ischen Krieg“ wichtig<br />
ist. Der Vietnamkrieg war zweifelsohne <strong>der</strong><br />
Machtkampf <strong>der</strong> Blöcke Ost gegen West.<br />
Die [...] Aufzählung Verbündeter [...] bringt<br />
im Rahmen [...] <strong>der</strong> Fragestellung nicht<br />
viel, zumal diese Daten ja auch über<br />
schnell über [St<strong>an</strong>dardwerke] abgefragt<br />
werden können. Auch waren ursprünglich<br />
viele <strong>der</strong> verbündeten Truppen zur Ausbildung<br />
südvietnamesischer Truppen und<br />
zur Sicherung von Basen abgestellt, die<br />
d<strong>an</strong>n später auch durch Straßenpatrouillen<br />
und vollwertige Kampfeinsätze ergänzt<br />
wurden. Natürlich war Vietnam − wie auch<br />
heutige Kriegsschauplätze − einfach nur<br />
ein Trainingsplatz, um eigene Ausrüstung,<br />
Taktiken und Fähigkeiten etc. zu testen<br />
[…]. Die Unterstützer z.B. aus Südkorea<br />
kamen/kommen häufig in Publikationen<br />
Schreiben Sie <strong>an</strong>:<br />
redaktion@clausewitz-magazin.de o<strong>der</strong><br />
<strong>CLAUSEWITZ</strong>, Postfach 40 02 09, 80702 München<br />
(o<strong>der</strong> auch in <strong>der</strong> medialen Darstellung) zu<br />
kurz und werden damit lei<strong>der</strong> zu peripheren<br />
Erscheinungen, die unter „ferner liefen...“<br />
abgebucht werden. Natürlich wäre<br />
hier eine entsprechende Würdigung auch<br />
<strong>an</strong>gebracht […] – auch wenn <strong>der</strong>en Einsatz<br />
nur wenig zum Aufrechterhalten <strong>der</strong><br />
US-Präsenz beitrugen.<br />
In einem Krieg zählt oftmals die Menge <strong>an</strong><br />
Soldaten, die eine Armee in den Kampf<br />
schicken k<strong>an</strong>n […]. „Sozialistische Bru<strong>der</strong>hilfe“<br />
wird genauso wie „kapitalistische<br />
Entwicklungshilfe“ natürlich von jedem<br />
gerne genommen – und auch in Vietnam<br />
geschah das. Die Versorgungswege von<br />
China nach Nordvietnam und das Angriffsverbot<br />
bestimmter Anlagen und Regionen<br />
spielten natürlich dem Norden in die Hände.<br />
Der Vietcong war ab <strong>der</strong> fehlgeschlagenen<br />
Tet-Offensive für l<strong>an</strong>ge Zeit quasi<br />
kampfunfähig bzw. ausgelöscht, da sich<br />
die erhofften Aufstände im Süden nicht<br />
eingestellt hatten.<br />
Wenn Sie nach dem großen Rahmen und<br />
einem Sieger fragen, d<strong>an</strong>n lautet die Antwort<br />
eindeutig: USA. Die UdSSR konnte<br />
sich den g<strong>an</strong>zen Rüstungswettlauf […]<br />
nicht leisten […].<br />
[…]<br />
Im Großen und G<strong>an</strong>zen sehe ich doch,<br />
dass Sie meiner Meinung folgen und dass<br />
die <strong>an</strong>gesprochenen unterrepräsentierten<br />
Fakten in wirtschaftlicher, militärischer und<br />
politischer Hinsicht […] in meinem Artikel<br />
stecken. […] Fre<strong>der</strong>ick Feulner<br />
Leserbriefe spiegeln nicht unbedingt die Meinung <strong>der</strong> Redaktion wi<strong>der</strong>. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe aus Gründen <strong>der</strong> Darstellung eines möglichst umfassenden Meinungsspektrums<br />
sinnwahrend zu kürzen.<br />
Zeitgeschichte<br />
In dieser Rehie berichten Augenzeugen<br />
von damals und machen in Briefen,<br />
Tagebüchern und Berichten Geschichte<br />
lebendig. Sachkundig kommentiert durch<br />
die Herausgeber, allesamt Historiker und<br />
Publizisten, entstehen so unmittelbare,<br />
fesselnde Darstellungen von Wegmarken<br />
<strong>der</strong> Geschichte.<br />
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Maria Theresia war die Gegenspielerin<br />
von Friedrich dem Großen und beide<br />
waren herausragende Herrschergestalten<br />
des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Ihre Kriege verän<strong>der</strong>ten<br />
das Gesicht des Alten Kontinents.<br />
Doch wie waren sie als Mensch, wie<br />
lebten, fühlten und dachten sie? Dieser<br />
Frage geht diese Reihe nach.<br />
553 Seiten, Format 140 x 205 mm<br />
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Titelgeschichte<br />
Kriegsjahr 1918 – Die Offensiven <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Westfront</strong><br />
Zum Erfolg<br />
8
verdammt<br />
21. März 1918: Unternehmen „Michael“ beginnt. Die Großoffensive soll den entscheidenden<br />
Durchbruch gegen die Alliierten erzwingen. Die deutsche Militärführung weiß:<br />
Scheitert <strong>der</strong> Angriff, d<strong>an</strong>n werden die Folgen verheerend sein... Von Bruno Thoß<br />
STURMANGRIFF:<br />
Deutsche Truppen erobern im Rahmen <strong>der</strong><br />
„Märzoffensive“ eine fr<strong>an</strong>zösische Stellung<br />
– unterstützt werden die Angreifer von einer<br />
Flammenwerfereinheit, vermutlich Filmfoto.<br />
Foto: ullstein bild - Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl<br />
Clausewitz 1/2013<br />
9
Titelgeschichte | <strong>Westfront</strong> 1918<br />
VERWUNDET:<br />
Britische und deutsche Soldaten marschieren<br />
durch St. Quentin. Zehntausende alliierte<br />
Soldaten geraten während <strong>der</strong> deutschen<br />
„Frühjahrsoffensiven“ des Jahres 1918 in<br />
Gef<strong>an</strong>genschaft. Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
10
Verlustreiche Angriffe<br />
FAKTEN<br />
Befehlshaber:<br />
Erich Ludendorff (Oberste Heeresleitung)<br />
Georg von <strong>der</strong> Marwitz (2. Armee)<br />
Otto von Below (17. Armee)<br />
Oskar von Hutier (18. Armee)<br />
Geschütze: circa 6.500<br />
Mörser: circa 3.500<br />
Flugzeuge: circa 740<br />
Deutsches Reich (St<strong>an</strong>d: „Michael-Offensive“)<br />
Stärke: 3 Armeen (insgesamt 42 Divisionen)<br />
Verluste: etwa 239.000 Gefallene und Verwundete<br />
Clausewitz 1/2013<br />
11
Titelgeschichte | <strong>Westfront</strong> 1918<br />
FAKTEN<br />
Befehlshaber:<br />
Philippe Pétain (Generalstabschef), Ferdin<strong>an</strong>d Foch (seit April<br />
1918 Oberbefehlshaber <strong>der</strong> alliierten Streitkräfte in Fr<strong>an</strong>kreich)<br />
Douglas Haig (Oberbefehlshaber British Expeditionary Force)<br />
Juli<strong>an</strong> Byng (Britische 3. Armee)<br />
Hubert Gough (Britische 5. Armee)<br />
Geschütze: circa 2.500<br />
Mörser: circa 1.400<br />
Flugzeuge: circa 600<br />
Alliierte (St<strong>an</strong>d: dt. „Michael-Offensive“)<br />
Stärke: Britische 3. und 5. Armee (insgesamt 35 Divisionen),<br />
Teile <strong>der</strong> Fr<strong>an</strong>zösischen 5. Armee<br />
Verluste: circa 212.000 Gefallene und Verwundete<br />
circa 90.000 Gef<strong>an</strong>gene<br />
12
Massive Gegenwehr<br />
GESPANNTE ATMOSPHÄRE:<br />
Alliierte Soldaten sind hinter Eisenbahngleisen<br />
in Stellung geg<strong>an</strong>gen. Sie warten auf die<br />
deutschen Angreifer, die mit ihren Offensiven<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Westfront</strong> die <strong>Entscheidung</strong> suchen.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/Mary Ev<strong>an</strong>s/Robert Hunt Collection<br />
Clausewitz 1/2013<br />
13
Titelgeschichte | <strong>Westfront</strong> 1918<br />
ABWEHRBEREIT: Britische Artillerie nimmt<br />
die deutschen Angreifer unter Feuer.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/maxppp<br />
Ohne einen entscheidenden Sieg sind<br />
we<strong>der</strong> die extrem hohen Kriegsverluste<br />
zu rechtfertigen noch die politisch-territorialen<br />
For<strong>der</strong>ungen durchzusetzen,<br />
die m<strong>an</strong> als notwendige Faustpfän<strong>der</strong><br />
für die Zukunft des Deutschen Reiches als<br />
Weltmacht <strong>an</strong>sieht. Das ist die feste Überzeugung<br />
<strong>der</strong> deutschen militärischen Führung.<br />
Und Kaiser Wilhelm II. stimmt darin<br />
vorbehaltlos mit seinen militärischen Beratern<br />
überein.<br />
Tatsächlich stehen die militärischen Voraussetzungen<br />
für die Mittelmächte im<br />
vierten Kriegsjahr dafür günstiger<br />
als in allen vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen Jahren.<br />
Im Osten k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> dem geschlagenen<br />
Gegner in l<strong>an</strong>gwierigen<br />
Verh<strong>an</strong>dlungen weitreichende Friedensbedingungen<br />
diktieren. Auf<br />
dem Balk<strong>an</strong> mussten auch die Rumänen<br />
inzwischen die Waffen strecken.<br />
Mit deutscher Unterstützung<br />
wurde schließlich im Herbst 1917<br />
die jahrel<strong>an</strong>g festliegende Isonzo-<br />
Front durchbrochen und den Italienern<br />
eine schwere Nie<strong>der</strong>lage beigebracht.<br />
Damit sind die deutschen<br />
Verbündeten vorerst <strong>an</strong> allen Fronten<br />
militärisch abgesichert. Die deutsche<br />
Seite verfügt zudem erstmals<br />
seit Kriegsbeginn mit ihren 1,4 Millionen<br />
Soldaten <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Westfront</strong> zumindest<br />
zeitweilig über ein Kräfteübergewicht.<br />
Wenn m<strong>an</strong> die gegnerische Front im Westen<br />
freilich strategisch auswertbar durchbrechen<br />
will, d<strong>an</strong>n ist das Zeitfenster dafür<br />
denkbar schmal. Mit dem Kriegseintritt <strong>der</strong><br />
USA auf Seiten <strong>der</strong> Entente1917 fließen seither<br />
nämlich nicht nur erhebliche wirtschaftliche<br />
Unterstützungen über den Atl<strong>an</strong>tik.<br />
Auch die militärische Aufrüstung in<br />
Amerika selbst kommt zunehmend vor<strong>an</strong>.<br />
Die bisl<strong>an</strong>g zur Ausbildung nach Fr<strong>an</strong>kreich<br />
verbrachten 287.000 US-Soldaten sind<br />
zwar längst noch nicht einsatzbereit. Im<br />
Laufe des Jahres 1918 werden die USA aber<br />
insgesamt zwei Millionen M<strong>an</strong>n nach<br />
Fr<strong>an</strong>kreich verschiffen. Für ihre Ausbildung<br />
und Ausrüstung sind jedoch zunächst<br />
26 Monate ver<strong>an</strong>schlagt.<br />
Warten auf die US-Truppen<br />
Aus alliierter Sicht erscheint daher erst das<br />
Kriegsjahr 1919 zur Kriegsentscheidung geeignet.<br />
Dafür spricht auch <strong>der</strong> Zust<strong>an</strong>d <strong>der</strong><br />
Ententetruppen. In <strong>der</strong> fr<strong>an</strong>zösischen Armee<br />
ist es 1917 bei den Frontdivisionen zu<br />
Meutereien gekommen, die Teile davon<br />
zeitweilig lahmlegten. M<strong>an</strong> sieht sich daher<br />
gezwungen, monatel<strong>an</strong>g zu einer die<br />
TRANSKRIPTION<br />
Angriffsbefehl für das<br />
Unternehmen „Michael“<br />
1.) Michael findet pl<strong>an</strong>mäßig statt.<br />
2.)Heeresgpe. Kronprinz Rupprecht u. Dt.<br />
Kprz. (Wilhelm) führen zu gepl<strong>an</strong>ten Stunden<br />
einen lebhaften Artilleriekampf auf den<br />
Georg-Erzengelfronten.<br />
3.)Heeresgpe. Dt. Kronprinz (Wilhelm) setzt<br />
Lauffeuer<strong>an</strong>griffe bei 7. 1. 3. Armee bis<br />
zum 24.3. und dabei Artill. Betg. breit fort.<br />
4.)Heeresgpe. Gallwitz lässt den Angriff auf<br />
Verdun erst am 22/3 abflauen und hält<br />
vom 22/3 abends ab schwere deutsche Artillerie<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Bahn zum Abtr<strong>an</strong>sport bereit.<br />
(...)<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
14
Entscheiden<strong>der</strong> Schlag<br />
vorh<strong>an</strong>denen Kräfte schonen<strong>der</strong>en Defensive<br />
überzugehen. Im Gegensatz dazu hat<br />
<strong>der</strong> britische Nachbar in <strong>der</strong> zweiten Jahreshälfte<br />
1917 seine Offensiven in Fl<strong>an</strong><strong>der</strong>n<br />
mit einem Durchbruchsversuch bei Ypern<br />
sogar noch intensiviert. Das Resultat ist ein<br />
verheeren<strong>der</strong> Kräfteverbrauch, ohne den<br />
<strong>an</strong>gestrebten Erfolg zu erringen. Auch die<br />
britischen Truppen müssen daher <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />
Jahreswende 1917/18 zur Defensive übergehen.<br />
Die Initiative k<strong>an</strong>n aus Sicht <strong>der</strong> Entente<br />
erst wie<strong>der</strong> ergriffen werden, wenn<br />
GROßE VERANTWORTUNG: Ferdin<strong>an</strong>d Foch,<br />
seit August 1918 „Marschall von Fr<strong>an</strong>kreich“,<br />
übernimmt im April 1918 den Oberbefehl<br />
über die alliierten Streitkräfte.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/Mary Ev<strong>an</strong>s Picture Library<br />
die US-Truppen voll einsatzbereit sind. Die<br />
Pl<strong>an</strong>ungen für eine deutsche Westoffensive<br />
im Frühjahr 1918, auch die „Große Schlacht<br />
in Fr<strong>an</strong>kreich“ o<strong>der</strong> die „Kaiserschlacht“<br />
gen<strong>an</strong>nt, beginnen in <strong>der</strong> Operationsabteilung<br />
<strong>der</strong> Obersten Heeresleitung (OHL) bereits<br />
im Herbst 1917. An<strong>der</strong>s als im Osten<br />
o<strong>der</strong> am Isonzo glaubt ihr Chef, Major Georg<br />
Wetzell, <strong>an</strong> <strong>der</strong> wesentlich stärker befestigten<br />
<strong>Westfront</strong> freilich nicht <strong>an</strong> einen<br />
einzigen <strong>Entscheidung</strong>sschlag. Er rät vielmehr<br />
zu einer Reihe von Groß<strong>an</strong>griffen, um<br />
die geeignete Durchbruchsstelle bei den<br />
Briten als dem schwächer eingeschätzten<br />
Teil <strong>der</strong> Ententetruppen herauszufinden.<br />
Geprüft werden dazu von Fl<strong>an</strong><strong>der</strong>n bis Verdun<br />
die unterschiedlichsten Frontbereiche.<br />
Bei <strong>der</strong> für den Hauptschlag vorgesehenen<br />
Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von<br />
Bayern kritisiert m<strong>an</strong> diese weit ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>laufenden<br />
Vorstellungen jedoch als unzweckmäßig,<br />
würden die eigenen Kräfte<br />
bei den voraussichtlichen Verlusten<br />
schwerlich für mehrere Schlachten ausreichen.<br />
Risk<strong>an</strong>te Offensiven<br />
Und tatsächlich werden die etwa eine Million<br />
M<strong>an</strong>n <strong>an</strong> Verlusten <strong>der</strong> deutschen Seite<br />
bei ihren Angriffsschlachten vom Frühjahr<br />
bis Sommer 1918 ziemlich genau dem<br />
entsprechen, was zur gleichen Zeit <strong>an</strong> US-<br />
Truppen in die Ententefronten eingestellt<br />
werden k<strong>an</strong>n. Der schärfste Kritiker <strong>der</strong><br />
deutschen Pl<strong>an</strong>ungen, <strong>der</strong> bayerische General<br />
Konrad Krafft von Dellmensingen,<br />
dem <strong>der</strong> Durchbruch am Isonzo gelungen<br />
ist, vertraut denn auch schon im Februar<br />
1918 seinem Tagebuch <strong>an</strong>, dass letztlich <strong>der</strong><br />
„böse Geist Wetzells“ mit seinen Bedenken<br />
gegen einen konzentrierten <strong>Entscheidung</strong>sschlag<br />
über das „richtige Gefühl“ von Erich<br />
Ludendorff, Erster Generalquartiermeister<br />
und „wahrer“ Chef <strong>der</strong> OHL, obsiegt habe.<br />
Denn <strong>an</strong> <strong>der</strong> Jahreswende 1917/18 fallen<br />
die <strong>Entscheidung</strong>en für einen ersten Angriff<br />
bei St. Quentin, gefolgt von einer Serie<br />
weiterer Schlachten.<br />
In einer Befehlshaberbesprechung am 19.<br />
J<strong>an</strong>uar 1918 in Lille werden alle Risiken dieser<br />
Offensiven zur Sprache gebracht. Die<br />
dichte Ballung von Angriffskräften wird de-<br />
VERNICHTET: Deutsche Soldaten posieren <strong>an</strong> einem ausgeschalteten<br />
fr<strong>an</strong>zösischen T<strong>an</strong>k, vor dem ein getöteter Fr<strong>an</strong>zose<br />
liegt. An mehreren Frontabschnitten können die Deutschen im<br />
Frühjahr 1918 Erfolge erzielen, doch die Alliierten verfügen über<br />
eine große materielle Überlegenheit. Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
Clausewitz 1/2013<br />
15
Titelgeschichte | <strong>Westfront</strong> 1918<br />
ren Unterbringung und Versorgung sowie<br />
die Geheimhaltung erschweren. Probleme<br />
wirft auch die Versorgung während <strong>der</strong><br />
Schlachten auf, denn die deutschen Heerestruppen<br />
sind nur m<strong>an</strong>gelhaft motorisiert.<br />
Aus Sicht <strong>der</strong> Komm<strong>an</strong>deure im Westen<br />
unterschätzt Ludendorff mit seinen ausschließlich<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Ostfront gemachten<br />
Kampferfahrungen zudem die Gefahren eines<br />
Steckenbleibens je<strong>der</strong> Großoffensive <strong>an</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Westfront</strong>.<br />
Skeptische Nachfragen des Prinzen Max<br />
von Baden wird <strong>der</strong> General wenige Wochen<br />
später mit <strong>der</strong> fatalistischen Formel<br />
kontern: „Unsere Lage ist <strong>der</strong>art, dass wir<br />
entwe<strong>der</strong> siegen o<strong>der</strong> untergehen müssen“.<br />
Dass eine Division hier wie in Russl<strong>an</strong>d<br />
o<strong>der</strong> Italien mehrere Tage <strong>an</strong>griffsfähig<br />
bleibt, ist den Komm<strong>an</strong>deuren äußerst<br />
zweifelhaft. M<strong>an</strong> muss in jedem Falle<br />
schneller vor<strong>an</strong>kommen als in bisherigen<br />
Operationen und dazu ohne Rücksicht auf<br />
Verluste vorgehen.<br />
Der Sturm bricht los<br />
Auch muss das Artilleriefeuer eng mit den<br />
Angriffstruppen koordiniert und so geführt<br />
werden, dass dem Gegner <strong>der</strong> Angriffsschwerpunkt<br />
nicht durch vorzeitiges Einschießen<br />
verraten wird. Schließlich muss<br />
m<strong>an</strong> mit dem Angriffsbeginn warten, bis<br />
die Witterungsverhältnisse überhaupt<br />
großräumigere Operationen zulassen.<br />
Wetzell hat für den Durchbruch 30 Divisionen<br />
ver<strong>an</strong>schlagt, die seit Jahresbeginn<br />
für den ersten Groß<strong>an</strong>griff „Michael“ im<br />
Raum St. Quentin in <strong>der</strong> 2., 17. und 18. Armee<br />
zusammengezogen und unter das<br />
Komm<strong>an</strong>do ausgewiesener Offensivspezialisten<br />
gestellt werden. Das Einstellen <strong>der</strong><br />
Offensiven in Italien und Russl<strong>an</strong>d macht<br />
dazu Truppen <strong>an</strong> den Nebenfronten frei.<br />
Die ausgedehnten besetzten Gebiete im Osten<br />
zwingen jedoch zum Belassen umf<strong>an</strong>greicher<br />
Besatzungstruppen.<br />
KARTE<br />
Die deutschen Offensiven (links) und die alliierten Gegenoffensiven (rechts) 1918<br />
Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich<br />
AUF DEM WEG ZUR FRONT: Deutsche Inf<strong>an</strong>terie<br />
beim Vormarsch am Höhenzug<br />
Chemin des Dames im Mai 1918.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
16
Alliierte unter Druck<br />
HINTER DER FRONT: Ein Angehöriger<br />
einer deutschen S<strong>an</strong>itätseinheit<br />
versorgt einen verwundeten Kameraden.<br />
Pferdewagen spielen bei <strong>der</strong> Mobilität<br />
des deutschen Heeres <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Westfront</strong> eine wichtige Rolle.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
„Die Rücksicht auf die amerik<strong>an</strong>ische Gefahr<br />
ließ es geboten erscheinen, im Westen so früh<br />
wie möglich zuzuschlagen.“<br />
Erich Ludendorff in: Meine Kriegserinnerungen, Berlin 1919, S. 436<br />
Der beschränkte Angriffsraum und die begrenzten<br />
Kriegsmittel hätten im Westen allerdings<br />
auch gar keine größere Ballung <strong>an</strong><br />
Verbänden erlaubt. Die 2. und 17. Armee<br />
sollen den Durchbruch erzwingen, während<br />
die 18. Armee <strong>an</strong>gelehnt <strong>an</strong> die Somme<br />
<strong>der</strong>en linke Fl<strong>an</strong>ke sichern soll. Gelingt<br />
<strong>der</strong> Durchbruch schon hier, d<strong>an</strong>n trifft m<strong>an</strong><br />
die Nahtstelle zwischen Briten und Fr<strong>an</strong>zosen,<br />
so dass eine Koordination<br />
ihrer Abwehrkräfte<br />
erschwert wird.<br />
Bleibt m<strong>an</strong> mit „Michael“<br />
stecken, soll<br />
umgruppiert und<br />
mit einer Offensive<br />
in Fl<strong>an</strong><strong>der</strong>n gegen<br />
die Hauptkräfte<br />
<strong>der</strong> Briten <strong>an</strong>getreten<br />
werden.<br />
Das alles bleibt <strong>der</strong><br />
Entente natürlich<br />
nicht verborgen.<br />
Für den britischen Oberbefehlshaber<br />
Douglas Haig wäre eigentlich die Fortsetzung<br />
seiner Offensive in Fl<strong>an</strong><strong>der</strong>n das geeignete<br />
Gegenmittel. Doch er fügt sich<br />
<strong>der</strong> Skepsis seiner Frontkomm<strong>an</strong>deure,<br />
die ihre Truppen nach den letzten<br />
schweren Verlusten dazu außerst<strong>an</strong>de<br />
sehen. Im Übrigen versagt ihm Premierminister<br />
Lloyd George eine frühzeitige<br />
Verschiffung <strong>der</strong> in Engl<strong>an</strong>d<br />
vorh<strong>an</strong>denen Reserven auf den Kontinent.<br />
Wie die Fr<strong>an</strong>zosen richten sich daher<br />
seit Dezember 1917 auch die Briten<br />
auf eine längere Defensive ein, bis die<br />
Aufrüstung <strong>der</strong> Amerik<strong>an</strong>er die<br />
Kräfteverhältnisse wie<strong>der</strong> zugunsten<br />
<strong>der</strong> Entente umkehren wird. Und<br />
das erscheint nicht vor dem Sommer 1918<br />
möglich.<br />
Im Grundsatz ist m<strong>an</strong> sich einig, dass<br />
m<strong>an</strong> in <strong>der</strong> Tiefe verteidigen muss, um seine<br />
vor<strong>der</strong>sten Linien nicht <strong>der</strong> vollen Wucht<br />
<strong>der</strong> erwarteten deutschen Angriffe auszusetzen.<br />
Die Briten erwarten den deutschen<br />
Hauptstoß allerdings in Fl<strong>an</strong><strong>der</strong>n und konzentrieren<br />
deshalb hier zum Schutz <strong>der</strong> K<strong>an</strong>alhäfen<br />
ihre Reserven.<br />
Zusätzliche Probleme bereitet ihnen die<br />
Übernahme eines 40 Kilometer breiten<br />
Frontabschnitts von den Fr<strong>an</strong>zosen, genau<br />
des Raumes, in dem <strong>der</strong> deutsche Hauptschlag<br />
erfolgen wird. Die dortigen Feldbe-<br />
LUDENDORFFS PLÄNE<br />
Gescheitert<br />
Erich Ludendorff steht seit 1916 zusammen mit Generalfeldmarschall<br />
Paul von Hindenburg <strong>an</strong> <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> 3. Obersten Heeresleitung. Der<br />
von ihm erhoffte, den Krieg entscheidende Durchbruch im Westen<br />
misslingt, die deutsche Seite tritt im Herbst 1918 in Waffenstillst<strong>an</strong>dsverh<strong>an</strong>dlungen<br />
ein.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/Sammlung Richter<br />
Clausewitz 1/2013<br />
17
Titelgeschichte | <strong>Westfront</strong> 1918<br />
her auch Klarheit über den<br />
Schwerpunkt einer Offensive<br />
am rechten Flügel <strong>der</strong> britischen Armee<br />
vorh<strong>an</strong>den sein können. Haig bleibt jedoch<br />
trotz entsprechen<strong>der</strong> Vorwarnungen bei<br />
seiner Annahme, dass die Deutschen eine<br />
<strong>Entscheidung</strong> in Fl<strong>an</strong><strong>der</strong>n suchen werden,<br />
um ihn von den K<strong>an</strong>alhäfen abzuschneiden.<br />
For<strong>der</strong>ungen nach rechtzeitiger Verstärkung<br />
<strong>der</strong> Britischen 5. Armee am äußersten<br />
rechten Flügel verhallen daher ungehört.<br />
festigungen sind wesentlich schlechter ausgebaut<br />
als <strong>an</strong> den übrigen britischen Frontabschnitten.<br />
Trotz genereller Vereinbarungen<br />
zwischen Haig und dem fr<strong>an</strong>zösischen<br />
Oberbefehlshaber Philippe Pétain über<br />
wechselseitige Unterstützung bleiben im<br />
Übrigen auch die Vorbereitungen zur Abwehr<br />
in <strong>der</strong> alleinigen Verfügung des jeweiligen<br />
Oberbefehlshabers. Eine gemeinsame<br />
alliierte Reserve unter einheitlichem Oberbefehl<br />
gibt es ebenfalls noch nicht.<br />
Die britische Luftaufklärung hat seit Februar<br />
die Verlegung starker deutscher Kräfte<br />
nach vorn einschließlich ihrer getarnten<br />
Munitionslager erk<strong>an</strong>nt. Schon Tage vor<br />
Beginn <strong>der</strong> „Michael-Offensive“ hätte da-<br />
ERBEUTET: US-Soldaten übernehmen<br />
deutsche Maschinengewehre<br />
aus einem eroberten<br />
Depot im Frontbogen von<br />
St. Mihiel, September 1918.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
Täuschung des Gegners<br />
Mittlerweile zeigt Ludendorff sein g<strong>an</strong>zes<br />
Org<strong>an</strong>isationstalent bei den Angriffsvorbereitungen.<br />
Bis in alle Einzelheiten hinein<br />
schwört er Komm<strong>an</strong>deure und Truppen auf<br />
seine große Offensive ein. Ruheräume und<br />
verbesserte Versorgung hinter <strong>der</strong> Front,<br />
Ausbildung in mo<strong>der</strong>neren Angriffsverfahren,<br />
Zusammenziehen <strong>der</strong> Artillerie hinter<br />
dem Angriffsschwerpunkt – durch diese<br />
Maßnahmen wird eine effiziente Angriffstruppe<br />
geformt. Ludendorff selbst lässt sich<br />
kurz hinter <strong>der</strong> Front in Avesnes ein vorgeschobenes<br />
Hauptquartier einrichten, das er<br />
am 18. März 1918 bezieht. Der Kaiser und<br />
Hindenburg verbleiben dagegen weit rückwärts<br />
in Spa, denn dies soll <strong>der</strong> persönliche<br />
„Der Augenblick ist gekommen, wo wir unser<br />
im Allgemeinen defensives Verhalten aufgeben<br />
müssen, zu dem uns bisher unsere<br />
Unterlegenheit <strong>an</strong> Zahl gezwungen hat,<br />
und wo wir zur Offensive übergehen.“<br />
Auszug aus einer Denkschrift vom Oberbefehlshaber<br />
<strong>der</strong> alliierten Streitkräfte, Ferdin<strong>an</strong>d Foch, vom 24. Juli 1918<br />
IN GEFANGENSCHAFT: Deutsche Soldaten<br />
tragen einen Verletzten auf dem Weg<br />
ins Hinterl<strong>an</strong>d. Die Besatzung des britischen<br />
T<strong>an</strong>ks bereitet sich <strong>der</strong>weil auf einen<br />
neuen Einsatz <strong>an</strong> <strong>der</strong> Front vor.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/Mary Ev<strong>an</strong>s/Robert Hunt Collection<br />
18
Neuartige Sturmtruppen<br />
Sieg Ludendorffs – des „eigentlichen Kopfes“<br />
<strong>der</strong> 3. OHL – werden.<br />
Die Täuschung des Gegners über den<br />
Angriffsschwerpunkt gelingt. Als daher am<br />
21. März um 4:30 Uhr ohne vorheriges Einschießen<br />
das Vorbereitungsfeuer einsetzt<br />
und fünf Stunden später um 9:40 Uhr die<br />
Inf<strong>an</strong>terie zum Angriff <strong>an</strong>tritt, zeigt sich <strong>der</strong><br />
Gegner überrascht. Bei <strong>der</strong> Britischen 3.<br />
und 5. Armee gibt es nicht einmal eine<br />
Alarmbereitschaft. Ihre Soldaten müssen<br />
deshalb unter heftigem Artilleriefeuer ihre<br />
Stellungen beziehen und erleiden bereits<br />
dabei erhebliche Verluste. Gas<strong>an</strong>griffe<br />
zwingen sie zudem unter die Masken.<br />
Die gut vermessenen Artillerieschläge<br />
<strong>der</strong> Deutschen zerschlagen Vorfeldhin<strong>der</strong>nisse,<br />
Teile <strong>der</strong> Feldstellungen und Stabsquartiere<br />
und legen die Kommunikation<br />
lahm. Auch die rückwärtigen Reserven,<br />
Feldflugplätze und Verladebahnhöfe liegen<br />
unter stundenl<strong>an</strong>gem Feuer, um Führung<br />
und Verstärkungen beim Gegner zu unterbinden.<br />
Insgesamt fallen im Trommelfeuer<br />
<strong>der</strong> Artillerie wohl etwa 8.000 bis 9.000 Briten<br />
aus; circa 100.000 M<strong>an</strong>n können noch<br />
vor Beginn <strong>der</strong> Inf<strong>an</strong>terie<strong>an</strong>griffe ihre Stellungen<br />
beziehen.<br />
Briten mit hohen Verlusten<br />
Als am frühen Vormittag die Spitzen <strong>der</strong><br />
deutschen Sturmtruppen vorwärts kriechen,<br />
um die Hin<strong>der</strong>nisse für den Haupt<strong>an</strong>griff<br />
zu beseitigen, kommen sie erstaunlich<br />
gut vor<strong>an</strong>. Innerhalb einer Stunde<br />
sind auf einer Breite von 80 Kilometern<br />
nahezu alle britischen Vorposten überr<strong>an</strong>nt.<br />
Selbst die Verteidiger in <strong>der</strong> stärker<br />
befestigten Gefechtszone fühlen<br />
sich nach eigenen Bekundungen „geopfert“,<br />
weil sie weitgehend auf sich<br />
selbst gestellt sind und ohne Verstärkungen<br />
einer Übermacht <strong>an</strong> Angreifern<br />
gegenüberstehen.<br />
Die Deutschen bewegen sich flexibel<br />
auf dem Gefechtsfeld mit kleineren<br />
Sturmtrupps voraus und den Angriffsgruppen<br />
mit Maschinengewehren und<br />
beweglichen Minenwerfern unmittelbar<br />
dahinter. Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>dsnester <strong>der</strong><br />
Briten werden liegengelassen o<strong>der</strong><br />
umzingelt, bis sie von <strong>der</strong> nachgezogenen<br />
Artillerie sturmreif geschossen<br />
werden können.<br />
Die Angreifer, zunächst noch<br />
durch den Morgennebel geschützt,<br />
erzielen schon im Laufe des 21. März<br />
die größten Einbrüche <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Westfront</strong><br />
bisl<strong>an</strong>g. Die Briten verlieren fast<br />
20% ihrer Truppen, davon in den ersten<br />
<strong>an</strong><strong>der</strong>thalb Stunden allein 30% ihrer<br />
Inf<strong>an</strong>terie. Beson<strong>der</strong>s hart ist <strong>der</strong><br />
ÜBERRASCHT: Angehörige des britischen Devonshire-Regiments nehmen während <strong>der</strong><br />
Schlacht von Tardenois im Juli 1918 einen deutschen Soldaten gef<strong>an</strong>gen.<br />
linke Flügel <strong>der</strong> Britischen 5. Armee betroffen.<br />
General Hubert Gough entscheidet sich<br />
schließlich für großräumige Ausweichbewegungen,<br />
um seine Armee einer Katastrophe<br />
zu entziehen.<br />
Zumindest hat die Frontausbuchtung<br />
bei Flesquières den g<strong>an</strong>zen Tag gehalten.<br />
Auch die Deutschen müssen erhebliche<br />
PROPAGANDA: Die Deutschen greifen <strong>an</strong>, als sie schon<br />
geschlagen schienen. Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/Mary Ev<strong>an</strong>s Picture Library<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/Mary Ev<strong>an</strong>s/Robert Hunt Collection<br />
Verluste und Ausfälle hinnehmen, allein<br />
am ersten Tag etwa 78.000 M<strong>an</strong>n. Als sich<br />
<strong>der</strong> Nebel hebt, geraten sie nahezu ungeschützt<br />
in das britische Abwehrfeuer.<br />
Durch das Interesse <strong>der</strong> Soldaten <strong>an</strong> Beutegut<br />
in den eroberten Stellungen verl<strong>an</strong>gsamt<br />
sich das Angriffstempo.<br />
Außerdem sagen die Fr<strong>an</strong>zosen den Briten<br />
endlich Verstärkungen zu, um<br />
einen drohenden Durchbruch <strong>der</strong><br />
Angreifer zu verhin<strong>der</strong>n: immerhin<br />
drei Divisionen für die nächsten<br />
beiden Tage.<br />
Große Verwirrung<br />
Aus alliierter Sicht unzureichende<br />
Resultate erzielt dagegen vorerst<br />
die überlegene britische Luftwaffe<br />
mit ihren Bombenabwürfen und<br />
dem Feuer ihrer Bordwaffen. Dazu<br />
ist die Verwirrung am ersten Angriffstag<br />
zu groß. Wenn Feldmarschall<br />
Douglas Haig daher seinem<br />
Tagebuch am 22. März 1918 <strong>an</strong>vertraut:<br />
„Alle Meldungen zeigen, dass<br />
die Stimmung bei unseren Leuten<br />
großartig ist“, d<strong>an</strong>n ist dies kaum<br />
mehr als Zweckoptimismus.<br />
Auf <strong>der</strong> Suche nach einer „weichen<br />
Stelle“ für einen schnellen Durchbruch<br />
lässt Ludendorff allerdings<br />
schon nach wenigen Tagen mehrere<br />
Richtungswechsel vornehmen, die seine<br />
Angriffsspitzen ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>führen.<br />
Außerdem wachsen auf dem völlig<br />
zerschossenen Gefechtsfeld schnell die<br />
Clausewitz 1/2013<br />
19
Titelgeschichte | <strong>Westfront</strong> 1918<br />
IM GLEICHSCHRITT: Deutsche Soldaten nach den Kämpfen bei Pinon. Kronprinz Wilhelm (1882-1951) nimmt die Parade <strong>der</strong> Soldaten <strong>der</strong><br />
Heeresgruppe „Deutscher Kronprinz“ ab.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
logistischen Probleme. Artillerie und Nachschub<br />
können <strong>der</strong> vorstürmenden Inf<strong>an</strong>terie<br />
kaum noch folgen.<br />
Als Haig auf <strong>der</strong> Konferenz von Doullens<br />
am 26. März endlich ein einheitliches<br />
alliiertes Oberkomm<strong>an</strong>do akzeptiert, können<br />
die Abwehroperationen <strong>der</strong> Entente<br />
koordiniert werden. Lloyd George gibt nun<br />
auch sofort die in Engl<strong>an</strong>d zurückgehaltenen<br />
Ersatzm<strong>an</strong>nschaften frei, die aber erst<br />
noch nach Fr<strong>an</strong>kreich verbracht und in die<br />
schwer <strong>an</strong>geschlagenen Verbände integriert<br />
werden müssen. Die tiefen Einbrüche<br />
<strong>der</strong> Deutschen gehen jedenfalls noch tagel<strong>an</strong>g<br />
weiter.<br />
Als „Sündenbock“ für diese Entwicklung<br />
muss General Gough herhalten, <strong>der</strong><br />
bereits am 28. März als Oberbefehlshaber<br />
<strong>der</strong> Britischen 5. Armee abgelöst wird.<br />
Erst am 5. April folgt Ludendorff dem<br />
Drängen seiner Komm<strong>an</strong>deure und lässt<br />
die erschöpften Verbände kurz vor Errei-<br />
FAKTEN<br />
den Rückzugskämpfen eingesetzt werden.<br />
Vor allem aber ist Ludendorff kein strategischer<br />
Erfolg gelungen, <strong>der</strong> die Ententetruppen<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Nahtstelle zwischen Englän<strong>der</strong>n<br />
und Fr<strong>an</strong>zosen ausein<strong>an</strong><strong>der</strong> gerissen hätte.<br />
Die Kritik des bayerischen Kronprinzen<br />
Rupprecht <strong>an</strong> zu viel Taktik und zu wenig<br />
strategischer Operation schmettert Ludendorff<br />
ab: „Das Wort ‚Operation‘ verbitte ich<br />
mir. Wir hauen ein Loch hinein. Das Weitere<br />
findet sich. So haben wir es in Russl<strong>an</strong>d<br />
auch gemacht.“<br />
Mit dieser „Büffeltaktik“ erzwingen die<br />
Deutschen zwar noch bis in den Sommer<br />
hinein weitere Frontausbuchtungen, erreichen<br />
aber keine strategisch verwertbaren<br />
Resultate. Das zeigt schon die am 9. April<br />
aufgenommene Offensive („Georgette“) in<br />
Fl<strong>an</strong><strong>der</strong>n, wo Ludendorff die Früchte <strong>der</strong><br />
„Michael-Offensive“ zu ernten hofft. Seine<br />
Erwartung, dass den Briten jetzt keine ausreichenden<br />
Reserven mehr verblieben sind,<br />
trügt freilich. Zwar können auch hier binnen<br />
weniger Tage alle Eroberungen wettgemacht<br />
werden, für die Haig 1917 mehrere<br />
Monate benötigt hat. Doch schon am 20.<br />
April muss die Offensive wegen des enormen<br />
Kräfteverschleißes bei den Angriffstruppen<br />
erneut eingestellt werden.<br />
Die deutsche Ersatzlage spitzt sich dramatisch<br />
zu, während m<strong>an</strong> die alliierten Verchen<br />
des wichtigen Eisenbahnknotens<br />
Amiens <strong>an</strong>halten.<br />
Die Erfolge <strong>der</strong> Deutschen sind trotzdem<br />
besorgniserregend für ihre Gegner.<br />
Die deutschen Angriffsarmeen sind zwischen<br />
45 und 60 Kilometer tief in die britischen<br />
Stellungen eingedrungen und haben<br />
den Alliierten circa 212.000 M<strong>an</strong>n <strong>an</strong> Verlusten<br />
zugefügt. Darüber hinaus wurden<br />
1.300 Geschütze erobert.<br />
Zweifelhafte „Büffeltaktik“<br />
Der Preis dafür ist mit mehr als 230.000<br />
deutschen Gefallenen und Verwundeten<br />
sehr hoch. Und im Gegensatz zur Entente<br />
mit den nun schneller <strong>an</strong>wachsenden US-<br />
Truppen stehen den Mittelmächten kaum<br />
noch Ergänzungen zur Verfügung. Die auf<br />
Drängen <strong>der</strong> deutschen Militärführung zugesagten<br />
vier österreichischen Divisionen<br />
werden erst im Sommer 1918 <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Westfront</strong><br />
eintreffen und können nur noch in<br />
Inf<strong>an</strong>teriedivisionen <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Westfront</strong><br />
(St<strong>an</strong>d: 20. März 1918)<br />
Fr<strong>an</strong>zosen 98 Deutsche 192<br />
Briten (einschl. Empire) 57<br />
Amerik<strong>an</strong>er 6<br />
Belgier und Portugiesen 8<br />
Alliierte insgesamt 169 Deutsches Reich insgesamt 192<br />
20
Alliierte Gegenoffensiven<br />
luste mit 500.000 M<strong>an</strong>n weit überschätzt.<br />
Schon Mitte Mai warnt Kronprinz Rupprecht,<br />
„dass wir schwere Verluste nicht mehr<br />
ertragen können“. Deshalb müsse m<strong>an</strong> nunmehr<br />
<strong>an</strong> Friedensverh<strong>an</strong>dlungen aus militärisch<br />
noch günstiger Lage heraus denken.<br />
Trotzdem lässt Ludendorff zwischen Ende<br />
Mai und Mitte Juli seine <strong>an</strong>geschlagenen<br />
Verbände noch zu weiteren Großoffensiven<br />
<strong>an</strong>treten: vom 27. Mai bis 5. Juli bei Soissons<br />
und am Chemin des Dames, um Fr<strong>an</strong>zosen<br />
und Englän<strong>der</strong> zu trennen; vom 9. Juni bis<br />
25. Juni <strong>an</strong> <strong>der</strong> Marne in Richtung Paris;<br />
schließlich ein letztes Mal vom 15. Juli bis 18.<br />
Juli bei<strong>der</strong>seits von Reims.<br />
Der Sieg wird mehr und mehr zur Willensfrage,<br />
nicht mehr zum nüchtern berechneten<br />
militärischen Kalkül. Für Wilhelm<br />
Groener, <strong>der</strong> Erich Ludendorff Ende Oktober<br />
1918 als Erster Generalquartiermeister<br />
ablösen wird, baut Ludendorff seine Operationspläne<br />
von nun <strong>an</strong> auf dem Glauben<br />
<strong>an</strong> ein „Wun<strong>der</strong>“ auf. Dabei wie<strong>der</strong>holen<br />
sich die Abläufe von Offensive zu Offensive<br />
in immer drastischerer Form: große Anf<strong>an</strong>gserfolge,<br />
erkauft mit nicht ersetzbaren<br />
Verlusten insbeson<strong>der</strong>e bei den besten Angriffstruppen<br />
und zu geringe Beweglichkeit,<br />
um einen wirklichen Durchbruch zu<br />
erzielen.<br />
Vor allem aber sinkt <strong>der</strong> Kampfwille <strong>der</strong><br />
deutschen Soldaten, denen m<strong>an</strong> im März<br />
eine letzte, den Krieg entscheidende<br />
Schlacht versprochen hatte, von Monat zu<br />
Monat.<br />
Ch<strong>an</strong>ce zum Gegenschlag<br />
Bis Mitte Juli 1918 haben die deutschen Offensiven<br />
eine riesige Frontausbuchtung in<br />
die alliierte Front geschlagen, die alles bisl<strong>an</strong>g<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Westfront</strong> Erreichte bei weitem<br />
übertrifft. Die taktischen Erfolge ohne strategische<br />
Ergebnisse werden dem Angreifer<br />
jetzt freilich zum Verhängnis. Überdehnte<br />
Fronten, kaum noch zu ersetzende Verluste<br />
und sinken<strong>der</strong> Kampfeswille <strong>der</strong> ausgebr<strong>an</strong>nten<br />
Truppe bieten <strong>der</strong> Entente die<br />
Ch<strong>an</strong>ce zur Gegenoffensive.<br />
Wohl treffen jetzt auch die österreichischen<br />
Divisionen zur Verstärkung ein.<br />
Doch das ist nicht mehr als ein Tropfen auf<br />
Literaturtipps<br />
Martin Middlebrook: Der 21. März 1918.<br />
Die Kaiserschlacht, Berlin, Fr<strong>an</strong>kfurt/M.,<br />
Wien 1979<br />
Jörg Duppler und Gerhard P. Groß (Hrsg.):<br />
Kriegsende 1918. Ereignis, Wirkung,<br />
Nachwirkung, München 1999<br />
VERMISST: Jagdflieger Rudolf Windisch<br />
wird am 27. Mai 1918 während eines Luftkampfes<br />
vom Gegner abgeschossen und<br />
muss notl<strong>an</strong>den. Bis heute ist sein weiteres<br />
Schicksal ungeklärt. Posthum wurde er am<br />
6. Juni 1918 mit dem Orden „Pour le Mérite“<br />
ausgezeichnet. Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
den heißen Stein, denn die Amerik<strong>an</strong>er<br />
werfen bereits 250.000 M<strong>an</strong>n monatlich <strong>an</strong><br />
die Front. „Der Augenblick ist gekommen,<br />
wo wir unser im allgemeinen defensives<br />
Verhalten aufgeben müssen“, verl<strong>an</strong>gt deshalb<br />
<strong>der</strong> gemeinsame Oberbefehlshaber <strong>der</strong><br />
Alliierten, Ferdin<strong>an</strong>d Foch. Und schon sein<br />
erster Gegenschlag wird für die Deutschen<br />
zur schweren Nie<strong>der</strong>lage. Am 18. Juli greift<br />
die Fr<strong>an</strong>zösische 6. Armee, die sich unbemerkt<br />
von den bei Reims vorgehenden<br />
Deutschen in den Wäl<strong>der</strong>n bei Villers-Cotterêts<br />
in <strong>der</strong>en Fl<strong>an</strong>ke aufgestellt hat, unterstützt<br />
von 400 P<strong>an</strong>zerfahrzeugen, einer<br />
überlegenen Luftwaffe und drei US-Divisionen<br />
<strong>an</strong> und erzwingt nahezu umgehend<br />
die Einstellung aller deutschen Angriffe.<br />
„Hun<strong>der</strong>t-Tage-Schlacht“<br />
Schon drei Wochen später bringt <strong>der</strong> nächste<br />
alliierte Angriff am 8. August bei Amiens,<br />
von Ludendorff später als „schwarzer Tag<br />
des deutschen Heeres“ eingestuft, die endgültige<br />
Wende. Jetzt durchbrechen die Englän<strong>der</strong><br />
mit starker T<strong>an</strong>kunterstützung und<br />
unter massivem Artilleriefeuer die deutsche<br />
Front.<br />
Trotzdem folgt Ludendorff auch jetzt<br />
noch nicht dem dringenden Rat seines Abwehrspezialisten,<br />
General Fritz von Loßberg,<br />
<strong>der</strong> einen geordneten Rückzug in die<br />
„Siegfriedstellung“ empfiehlt, um aus verkürzter<br />
Linie Kräfte für die weitere Abwehr<br />
freizumachen. Dabei kommt den Deutschen<br />
zunächst noch entgegen, dass die Briten<br />
ihren tiefen Einbruch nicht zum strategischen<br />
Durchbruch nutzen, son<strong>der</strong>n sich<br />
mit ihren ursprünglich gepl<strong>an</strong>ten begrenzten<br />
Zielen begnügen.<br />
Doch in <strong>der</strong> sogen<strong>an</strong>nten „Hun<strong>der</strong>t-Tage-Schlacht“<br />
vom 8. August bis 11. November<br />
1918 greifen die Alliierten mit ihren personell<br />
wie materiell mittlerweile weit überlegenen<br />
Kräften nahezu ununterbrochen <strong>an</strong><br />
und drängen die Deutschen systematisch<br />
von Stellung zu Stellung zurück. Dabei<br />
zeichnen sich vor allem die britischen Truppen<br />
aus, die seit April 1918 eine dreimonatige<br />
Erholungspause haben, weil <strong>der</strong> deutsche<br />
Angriffsschwerpunkt von Mai bis Juli<br />
1918 <strong>an</strong> dem von fr<strong>an</strong>zösischen Verbänden<br />
verteidigten Frontabschnitt liegt. Die alliierte<br />
waffentechnische Überlegenheit steigt<br />
insbeson<strong>der</strong>e bei P<strong>an</strong>zern, Flugzeugen und<br />
Artillerie, so dass sie jetzt größere Verluste<br />
durch eine weitere Industrialisierung des<br />
Krieges auszugleichen vermögen. Demgegenüber<br />
verstehen es die immer schneller<br />
ins Gefecht geworfenen US-Amerik<strong>an</strong>er<br />
erst allmählich, ihre <strong>an</strong> den Bürgerkriegserfahrungen<br />
aus dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t orientierte,<br />
für die <strong>Westfront</strong> aber gänzlich ungeeignete<br />
offene Vorgehensweise den Notwendigkeiten<br />
im Weltkrieg <strong>an</strong>zupassen.<br />
Trotz aller wachsenden Kriegsmüdigkeit<br />
wehren sich aber auch die deutschen Truppen<br />
nach wie vor verbissen gegen jede<br />
Frontaufgabe. Beson<strong>der</strong>s wirkungsvoll<br />
sind dabei ihre Maschinengewehrscharfschützen-Abteilungen<br />
(MGSS-Abteilungen),<br />
die mit hoher Feuerkraft und großer<br />
Beweglichkeit <strong>an</strong> die beson<strong>der</strong>s bedrohten<br />
Frontabschnitte geworfen werden.<br />
Am 30. September 1918 muss aber<br />
schließlich auch Ludendorff einsehen, dass<br />
<strong>der</strong> Krieg nicht mehr zu gewinnen ist. Seine<br />
For<strong>der</strong>ung nach einem sofortigen Waffenstillst<strong>an</strong>d<br />
sucht er wenige Wochen später<br />
zwar noch einmal für einen letzten Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d<br />
zurückzunehmen. Doch die neue parlamentarische<br />
Regierung unter Max von Baden<br />
folgt ihm darin nicht mehr.<br />
Inzwischen sind nämlich alle deutschen<br />
Verbündeten militärisch „zusammengebrochen“,<br />
so dass ein Weiterkämpfen nur zusätzliche<br />
Blutopfer ohne militärischen Sinn<br />
bedeuten würde.<br />
Am 11. November 1918 schweigen<br />
schließlich die Waffen.<br />
Dr. Bruno Thoß, Jg. 1945, Leiten<strong>der</strong> Wissenschaftlicher<br />
Direktor a.D., 1979-2008 Militärhistoriker am Militärgeschichtlichen<br />
Forschungsamt <strong>der</strong> Bundeswehr; 2001-<br />
2005 Leiter des Forschungsbereichs III „Militärgeschichte<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik im Bündnis“; 2005-2008 ständige<br />
Vertretung des Leiters Abteilung Forschung.<br />
Clausewitz 1/2013<br />
21
Titelgeschichte | <strong>Westfront</strong> 1918<br />
Waffen und Taktik <strong>der</strong> Kriegsparteien<br />
Technische und<br />
taktische Neuerungen<br />
Frühjahr 1918: Mit <strong>der</strong> Einführung neuer Angriffsverfahren versucht die 3. Oberste Heeresleitung,<br />
den verlustreichen Stellungskrieg aufzubrechen und <strong>der</strong> materiellen Überlegenheit<br />
<strong>der</strong> Alliierten entgegenzuwirken...<br />
Von Bruno Thoß<br />
22
„Hindenburg-Programm“<br />
SCHUSSGEWALTIG: Deutsche 21-cm-<br />
Mörser nehmen die feindlichen Linien<br />
unter Feuer. Die schwere Artillerie<br />
spielt auch im Kriegsjahr 1918 eine<br />
wichtige Rolle in den Materialschlachten.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
das erprobte Mittel gefunden zu haben. Ihr<br />
größtes M<strong>an</strong>ko ist und bleibt freilich die<br />
technische Beweglichkeit auf dem Schlachtfeld.<br />
Denn Anf<strong>an</strong>gserfolge müssen ständig<br />
durch Nachschub genährt werden, wenn<br />
sie zum Durchbruch erweitert werden sollen.<br />
Je schneller die Angriffstruppen jedoch<br />
vor<strong>an</strong>kommen, um so schwieriger wird ihre<br />
Versorgung. Dazu muss m<strong>an</strong> Zonen<br />
stärkster Verwüstung durchfahren, wird<br />
das eigene Artilleriefeuer das Gefechtsfeld<br />
doch in eine unwegsame Kraterl<strong>an</strong>dschaft<br />
verw<strong>an</strong>deln.<br />
Zwar rüstet die OHL ihre Truppen mit<br />
zerlegbaren Holzbrücken aus, die leicht<br />
tr<strong>an</strong>sportiert und schnell aufgebaut werden<br />
können, um die zerschossenen Grabensysteme<br />
zu überbrücken. Das k<strong>an</strong>n freilich die<br />
Defizite <strong>der</strong> deutschen Kraftfahrzeuge<br />
nicht ausgleichen, <strong>der</strong>en 23.000 Lkw aus<br />
Gummim<strong>an</strong>gel in <strong>der</strong> Regel nur mit Eisenreifen<br />
ausgestattet sind. Vor allem fehlt ausreichend<br />
Kraftstoff. M<strong>an</strong> ist deshalb hauptsächlich<br />
auf Pferdekräfte als Besp<strong>an</strong>nungen<br />
für die Artillerie und die Tr<strong>an</strong>sportfahrzeuge<br />
<strong>an</strong>gewiesen.<br />
Fehlende P<strong>an</strong>zerwaffe<br />
Die technische Rückständigkeit des deutschen<br />
Westheeres zeigt sich am stärksten in<br />
<strong>der</strong> „T<strong>an</strong>k“-Frage. Die Schwerfälligkeit dieser<br />
Gefechtsfahrzeuge und die Erfolge bei<br />
ihrer Bekämpfung 1916/17 haben bei <strong>der</strong><br />
deutschen Führung zu einer Unterschätzung<br />
ihres Kampfwertes geführt. Da es<br />
selbst beim bisl<strong>an</strong>g größten britischen<br />
T<strong>an</strong>k<strong>an</strong>griff von Cambrai 1917 gelungen ist,<br />
die schwerfälligen Kolosse lahmzulegen,<br />
erhalten die deutschen Angriffsverbände<br />
jetzt im Frühjahr lediglich Spezialpatronen<br />
Seit dem Kriegsjahr 1916 ist die Materialschlacht<br />
das charakteristische Merkmal<br />
des Stellungskrieges <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Westfront</strong>.<br />
Das dichte Feuer von Maschinengewehren<br />
und Artillerie lähmt schon nach<br />
geringfügigen Geländegewinnen jeden Versuch,<br />
das Gefecht in Bewegung zu halten.<br />
Angesichts <strong>der</strong> wesentlich größeren Ressourcen<br />
<strong>der</strong> Entente ist abzusehen, dass die<br />
wirtschaftliche Kraft <strong>der</strong> Mittelmächte in naher<br />
Zukunft erschöpft sein wird. Auch das<br />
sogen<strong>an</strong>nte Hindenburg-Programm, mit<br />
dem die 3. Oberste Heeresleitung (OHL) die<br />
eigene Kriegswirtschaft zu voller Wirksamkeit<br />
entfalten will, k<strong>an</strong>n <strong>an</strong> diesem grundsätzlichen<br />
Befund nichts än<strong>der</strong>n.<br />
Waffen und Gerät werden zwar auf allen Seiten<br />
mo<strong>der</strong>nisiert. Dabei übersteigen aber in<br />
aller Regel die technischen Möglichkeiten<br />
<strong>der</strong> Alliierten das deutsche industrielle Potential.<br />
Wenn sich die OHL dennoch dazu<br />
entschließt, im Frühjahr 1918 <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Westfront</strong><br />
die <strong>Entscheidung</strong> zu suchen, d<strong>an</strong>n bleiben<br />
ihr letztlich nur neue Angriffsverfahren<br />
als Ausweg. Vielleicht lässt sich ja mit beweglicheren<br />
Angriffstruppen die bisherige<br />
Erfahrung aushebeln, dass m<strong>an</strong> jede personelle<br />
Überlegenheit bereits nach wenigen<br />
Tagen unter <strong>der</strong> verheerenden Feuerwirkung<br />
des Gegners wie<strong>der</strong> einbüßt.<br />
Und die deutsche Führung glaubt dafür<br />
aus ihren Erfolgen <strong>an</strong> den Nebenfronten<br />
IN JUNGEN JAHREN: George S. Patton,<br />
<strong>der</strong> spätere berühmte US-General, bildete<br />
im Ersten Weltkrieg amerik<strong>an</strong>ische P<strong>an</strong>zerfahrer<br />
in Fr<strong>an</strong>kreich aus. Hier posiert<br />
er für ein Erinnerungsfoto vor einem fr<strong>an</strong>zösischen<br />
P<strong>an</strong>zer vom Typ Renault FT-17.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
Clausewitz 1/2013 23
Titelgeschichte | <strong>Westfront</strong> 1918<br />
mit Stahlkernen, die T<strong>an</strong>ks <strong>an</strong> ihren verwundbaren<br />
Stellen durchschlagen sollen.<br />
Im übrigen mussten 1917 alle Rüstungskapazitäten<br />
auf den Bau von U-Booten konzentriert<br />
werden, glaubte m<strong>an</strong> mit dieser<br />
Waffe doch eine den Krieg entscheidende<br />
Wirkung auf dem Atl<strong>an</strong>tik erzielen zu können.<br />
Damit fehlen aber die nötigen Kapazitäten<br />
für eine nennenswerte Entwicklung<br />
von T<strong>an</strong>ks. So hat bis Ende 1917 ein einziges<br />
Modell, <strong>der</strong> Sturmp<strong>an</strong>zerwagen A7V mit<br />
einem Gewicht von mehr als 30 Tonnen<br />
und bewaffnet mit einer 57-mm-K<strong>an</strong>one<br />
und sechs Maschinengewehren, Serienreife<br />
erl<strong>an</strong>gt.<br />
RENAULT FT-17<br />
Wirksame „T<strong>an</strong>ks“<br />
Insgesamt verfügt das deutsche Heer 1918<br />
über g<strong>an</strong>ze 20 einsatzbereite A7V, von denen<br />
bei <strong>der</strong> „Michael-Offensive“ nur vier<br />
BEENGT: Seitenriss eines fr<strong>an</strong>zösischen Renault FT-17 „Char Mitrailleur Mosquito T<strong>an</strong>k“.<br />
Der leichte P<strong>an</strong>zer mit einem Gewicht von knapp sieben Tonnen und einer Länge von fünf<br />
Metern wies einen auf <strong>der</strong> W<strong>an</strong>ne montierten, drehbaren Turm und einen Heckmotor auf.<br />
Seit Sommer 1918 wurden die in großer Stückzahl produzierten FT-17 auch vom amerik<strong>an</strong>ischen<br />
Expeditionskorps eingesetzt. Abb.: picture-alli<strong>an</strong>ce/Mary Ev<strong>an</strong>s/Robert Hunt Collection<br />
eigene, verstärkt durch fünf erbeutete englische<br />
T<strong>an</strong>ks zum Einsatz kommen. Demgegenüber<br />
haben die Briten ihre wenig gefechtstüchtigen<br />
Urtypen („Mark“ I bis III)<br />
inzwischen in den Modellen „Mark“ IV<br />
und „Mark“ V technisch wesentlich verbessert.<br />
Diese Fahrzeuge verfügen mittlerweile<br />
führungstechnisch über eine eigene<br />
Funkausstattung und deutlich verbesserte<br />
Fahreigenschaften auf dem Gefechtsfeld.<br />
D<strong>an</strong>eben sind zusätzlich Versorgungs-<br />
und Brückenlegep<strong>an</strong>zer<br />
entwickelt worden.<br />
Bei <strong>der</strong> schweren deutschen<br />
Nie<strong>der</strong>lage am 8. August 1918 bei<br />
Amiens werden schließlich 500 britische<br />
P<strong>an</strong>zer zum geschlossenen Einsatz kommen.<br />
Schon drei Wochen zuvor haben aber<br />
auch bei Villers-Cotterêts über 400 fr<strong>an</strong>zösische<br />
Renault-P<strong>an</strong>zer wesentlich zum Überraschungserfolg<br />
<strong>der</strong> Fr<strong>an</strong>zosen beigetragen.<br />
Bis Kriegsende werden die Briten insgesamt<br />
1.865 T<strong>an</strong>ks und die Fr<strong>an</strong>zosen fast<br />
4.000 P<strong>an</strong>zerfahrzeuge produziert haben,<br />
die seit Sommer 1918 aus keiner alliierten<br />
Angriffsoperation mehr wegzudenken<br />
sind.<br />
Neue Sturmbataillone<br />
Wenn Ludendorff also das bisherige Dilemma<br />
aller deutschen Angriffe im Westen<br />
überwinden will, d<strong>an</strong>n reicht dazu die zeitweilige<br />
Überlegenheit <strong>an</strong> Verbänden gegenüber<br />
dem Gegner nicht aus. Die eigenen<br />
Angriffstruppen müssen vielmehr so ge-<br />
SPUREN DES KRIEGES: Ein britischer<br />
T<strong>an</strong>k „Mark“ IV im rückwärtigen Raum<br />
eines während <strong>der</strong> deutschen Frühjahrsoffensive<br />
im März 1918 umkämpften Frontabschnitts.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/Mary Ev<strong>an</strong>s/Robert Hunt Collection<br />
24
Materielle Überlegenheit <strong>der</strong> Alliierten<br />
schult und ausgerüstet werden, dass sie zu<br />
schnellen Operationen fähig sind. Die Erfahrungen<br />
<strong>an</strong> den Nebenfronten sollen dazu<br />
auf die <strong>Westfront</strong> übertragen werden.<br />
Seit 1917 werden die für den Angriff vorgesehenen<br />
Verbände Zug um Zug herausgelöst<br />
und <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d verbesserter Gefechtsvorschriften<br />
hinter <strong>der</strong> Front ausgebildet. Als<br />
entscheiden<strong>der</strong> Vorteil hat sich das unmittelbare<br />
Zusammenwirken leicht bewaffneter<br />
und beweglicher Sturmtruppen mit einer<br />
unmittelbar dahinter vorgehenden<br />
Feldartillerie erwiesen.<br />
Die schon bisher eingesetzten kleinen<br />
Stoßtrupps aus beson<strong>der</strong>s<br />
qualifizierten Soldaten und erfahrenen<br />
Führern werden für die Angriffe<br />
von 1918 zu größeren Sturmbataillonen<br />
erweitert. Sie setzen<br />
sich <strong>an</strong>teilig aus Inf<strong>an</strong>teristen und<br />
Pionieren zusammen und sind mit<br />
einer zweckmäßigen Mischung aus<br />
H<strong>an</strong>dwaffen und tragbaren Leichtgeschützen<br />
ausgestattet. Sie bewegen<br />
sich aufgelockert auf dem Gefechtsfeld<br />
vor<strong>an</strong>, um <strong>an</strong><strong>der</strong>s als bei<br />
Massen<strong>an</strong>griffen keine leicht zu bekämpfenden<br />
Ziele zu bieten. Der<br />
einzelne Sturmsoldat trägt neben<br />
seinem Sturmgepäck einen Patronengurt,<br />
zwei Beutel mit H<strong>an</strong>dgr<strong>an</strong>aten, Gasmaske,<br />
Stahlhelm und Gewehr. Jedes Bataillon<br />
glie<strong>der</strong>t sich in zwei eng zusammenwirkende<br />
Sturmkomp<strong>an</strong>ien, eine MG- und eine<br />
Minenwerferkomp<strong>an</strong>ie sowie einen Flammenwerferzug.<br />
Dadurch ist m<strong>an</strong> beim Nie<strong>der</strong>kämpfen<br />
kleinerer Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>dsnester<br />
weitgehend unabhängig von <strong>der</strong> l<strong>an</strong>gsamer<br />
folgenden Feldartillerie. Größere Stellungen<br />
sollen dagegen umg<strong>an</strong>gen und erst von<br />
den nachrückenden Angriffstruppen mit<br />
Artillerieunterstützung nie<strong>der</strong>gekämpft<br />
werden. So hofft m<strong>an</strong> schneller Tiefe zu gewinnen<br />
und schwer ersetzbare Verluste bei<br />
den Elitetruppen zu vermeiden.<br />
Entscheidend für die großen deutschen<br />
Anf<strong>an</strong>gserfolge wird das enge Zusammenwirken<br />
von Inf<strong>an</strong>terie und Artillerie, wie es<br />
<strong>der</strong> preußische Oberst Georg Bruchmüller<br />
STURMTRUPPEN<br />
Stillgest<strong>an</strong>den<br />
Deutsche Sturmtruppsoldaten mit Stahlhelm<br />
M1916 und Uniformrock M1915. Zu ihrer<br />
Ausrüstung zählen neben dem Karabiner<br />
98 mit kurzem Lauf vor allem Stielh<strong>an</strong>dgr<strong>an</strong>aten<br />
(in Leinenbeuteln) und Gasmaske (in<br />
<strong>der</strong> Tasche). Der Einsatz dieser Spezialeinheiten<br />
sollte den Kampf im Stellungskrieg<br />
beweglicher machen.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
(„Durchbruchmüller“) schon für die großen<br />
Durchbruchsoperationen im Osten entwickelt<br />
hat.<br />
LUFTKAMPF: Der k<strong>an</strong>adische Pilot Arthur Roy Brown attackiert<br />
mit seinem Doppeldecker vom Typ Sopwith Camel M<strong>an</strong>fred von<br />
Richthofen in seinem Dreidecker-Jagdflugzeug Fokker Dr.I, Gemälde<br />
von Charles H. Hubbell.<br />
Abb.: picture-alli<strong>an</strong>ce/Everett Collection<br />
DER „ROTE BARON“: M<strong>an</strong>fred Freiherr von Richthofen, erfolgreichster<br />
Jagdflieger des Ersten Weltkriegs, wurde am 21. April<br />
1918 <strong>an</strong> einem Frontabschnitt entl<strong>an</strong>g <strong>der</strong> Somme in seinem<br />
Dreidecker Fokker Dr.I von einer Maschinengewehrkugel – vermutlich<br />
vom Boden aus abgefeuert – tödlich getroffen.<br />
Abb.: picture-alli<strong>an</strong>ce/Mary Ev<strong>an</strong>s Picture Library<br />
Schwere Artillerie<br />
Um das Überraschungsmoment zu wahren,<br />
verzichtet die deutsche Artillerie auf ein genaueres<br />
Einschießen, son<strong>der</strong>n berechnet die<br />
Zieldaten wesentlich nach den Witterungsbedingungen<br />
und Aufklärungsergebnissen.<br />
Nach einem genauen Zeitpl<strong>an</strong> wird die Artillerie<br />
ihr Vorbereitungsfeuer mit Angriffsbeginn<br />
in Form einer Feuerwalze schrittweise<br />
in die Tiefe verlegen, um somit jeweils<br />
unmittelbar vor den Sturmtruppen Feuerunterstützung<br />
zu geben. Damit nimmt m<strong>an</strong><br />
freilich nicht unerhebliche Verluste <strong>der</strong> eigenen<br />
Truppe in Kauf, lassen sich <strong>der</strong>en Einbrüche<br />
doch nie genau vorherberechnen, so<br />
dass die vor<strong>der</strong>sten Teile nicht selten in eigenes<br />
Artilleriefeuer geraten.<br />
Das Feuer wird außerdem von Anf<strong>an</strong>g<br />
<strong>an</strong> über die Gefechtsstellungen des Gegners<br />
hinaus in seine rückwärtigen Räume gelenkt.<br />
Damit sollen Hauptquartiere, bereitgehaltene<br />
Reserven und Verkehrsknotenpunkte<br />
ausgeschaltet werden. M<strong>an</strong> zieht<br />
dazu mehr als die Hälfte <strong>der</strong> im Westen<br />
vorh<strong>an</strong>denen Artillerie – insgesamt 6.473<br />
Geschütze, davon 3.965 Feldgeschütze <strong>der</strong><br />
Kaliber 7,5 und 10 cm, 2.435 schwere Geschütze<br />
des Kalibers 15 cm und 73 schwerste<br />
Geschütze <strong>der</strong> Kaliber 21 cm und darüber<br />
– hinter dem gepl<strong>an</strong>ten Angriffsschwerpunkt<br />
zusammen. In einem fünfstündigen<br />
Trommelfeuer werden sie am 21. März 1918<br />
1,1 Millionen Gr<strong>an</strong>aten verschießen. Um<br />
den Gegner unter die Masken zu zwingen<br />
und vor allem seine Artillerie zu lähmen,<br />
werden Spreng- und Gasgr<strong>an</strong>aten gemischt<br />
verschossen. Auf das beson<strong>der</strong>s wirkungsvolle<br />
Senfgas verzichtet m<strong>an</strong> dabei, weil es<br />
am Boden haftet und damit die eigenen Angriffsverbände<br />
behin<strong>der</strong>n würde. Stattdessen<br />
sucht m<strong>an</strong> den Gegner zunächst durch<br />
Tränengas beim Aufsetzen <strong>der</strong> Masken zu<br />
behin<strong>der</strong>n, um ihn d<strong>an</strong>n möglichst schutzlos<br />
dem tödlich wirkenden Grünkreuz o<strong>der</strong><br />
Clausewitz 1/2013<br />
25
Titelgeschichte | <strong>Westfront</strong> 1918<br />
INFO<br />
Technische Daten<br />
STAHLKOLOSS: Ein deutscher Sturmp<strong>an</strong>zerwagen<br />
A7V nach dem Gefecht bei Villers-<br />
Bretonneux im April 1918. Es wurden insgesamt<br />
nur 20 Exemplare dieses Typs, <strong>der</strong> ein<br />
Gefechtsgewicht von 32 Tonnen besaß, hergestellt.<br />
Foto: ullstein bild - Gircke<br />
Phosgen auszusetzen. Aus den zurückliegenden<br />
Schlachten haben freilich auch die<br />
Alliierten ihre Konsequenzen gezogen. Die<br />
vor<strong>der</strong>sten Stellungen sollen nur noch<br />
leicht verteidigt werden, um die eigenen<br />
Verluste zu min<strong>der</strong>n und den Angreifer erst<br />
in <strong>der</strong> gut befestigten Gefechtszone voll unter<br />
Beschuss zu nehmen. Nahe her<strong>an</strong> gehaltene<br />
Reserven sollen dazu den vor den eigenen<br />
Feldstellungen festliegenden Gegner<br />
in die Fl<strong>an</strong>ken fallen.<br />
A7V<br />
Char d’Assault St. Chamond<br />
Abmessungen und Gewicht<br />
Länge 7,35 m 8,83 m<br />
Breite 3,06 m 2,67 m<br />
Höhe 3,30 m 2,36 m<br />
Gefechtsgewicht 32 t 23 t<br />
Leistung<br />
Motor 2 x 4-Zyl.-Daimler-Benz 1 x 4-Zyl.-P<strong>an</strong>hard<br />
Motorleistung 2 x 100 PS 90 PS<br />
Höchstgeschwindigkeit Straße 12 km/h 8-12 km/h<br />
Reichweite 40-70 km 60 km<br />
Kampfkraft<br />
Besatzung (Einsatz) 16 (bis 22) M<strong>an</strong>n 8 (bis 9) M<strong>an</strong>n<br />
Bewaffnung<br />
Hauptwaffe 1 x Kaliber 5,7 cm 1 x Kaliber 7,5 cm<br />
Sekundärwaffen 6 x Kaliber 7,92 mm 4 x Kaliber 8,00 mm<br />
MG<br />
MG Hotchkiss<br />
UNGETÜM: Die P<strong>an</strong>zerfahrzeuge vom Typ<br />
Char d’Assault St. Chamond wiesen gravierende<br />
Mängel bei <strong>der</strong> Geländegängigkeit<br />
auf. Wegen <strong>der</strong> Länge ihrer W<strong>an</strong>ne war ihr<br />
taktischer Nutzen eher gering.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/Mary Ev<strong>an</strong>s Picture Library<br />
dichten Nebel und die schwachen Reserven<br />
hinter <strong>der</strong> Britischen 5. Armee, d<strong>an</strong>n sind<br />
die Aussichten für eine effiziente Abwehr<br />
alles <strong>an</strong><strong>der</strong>e als optimal.<br />
Mit Beginn <strong>der</strong> deutschen Offensiven<br />
zeigen sich bei allen Anf<strong>an</strong>gserfolgen jedoch<br />
bald auch die Grenzen <strong>der</strong> neuen Angriffsverfahren.<br />
Gerade die For<strong>der</strong>ung nach<br />
schnellem Vor<strong>an</strong>kommen ohne Rücksicht<br />
auf die kaum geschützten Fl<strong>an</strong>ken führt<br />
schon im März und April genau bei diesen<br />
Elitentruppen zu kaum ersetzbaren Verlusten.<br />
Zudem bleiben die gut ausgebildeten<br />
Sturmbataillone eine kleine Min<strong>der</strong>heit im<br />
deutschen Westheer. Die dahinter folgenden<br />
Kampftruppen sind mit ihren mitgeführten<br />
Minen- und Flamenwerfern zwar<br />
besser ausgerüstet, bewegen sich aber in<br />
<strong>der</strong> Regel noch in geballten Haufen vorwärts.<br />
Ludendorff ordnet deshalb bereits<br />
Ende März <strong>an</strong>, dass „unbedingt damit aufgeräumt<br />
werden [müsse], mit Masseneinsatz<br />
den Erfolg erzwingen zu wollen“.<br />
Hohe Verluste <strong>der</strong> Elitetruppen<br />
Die Deutschen können bei ihrem zeitlich<br />
begrenzten Vorbereitungsfeuer nicht damit<br />
rechnen, das gegnerische Stellungssystem<br />
nachhaltig zu zerschlagen. Tatsächlich<br />
werden davon am 21. März „nur“ 8.000<br />
bis 9.000 Gegner ausgeschaltet, die<br />
Masse <strong>der</strong> 100.000 Briten muss dagegen<br />
in ihren lediglich <strong>an</strong>geschlagenen<br />
Stellungen bekämpft werden. Dabei<br />
treffen die Angreifer auf ein dreigliedriges<br />
Stellungssystem: schwach besetzte<br />
und ausgebaute vor<strong>der</strong>ste Stellungen,<br />
eine stark befestigte Gefechtszone, die unter<br />
allen Umständen gehalten werden soll,<br />
und eine teilausgebaute rückwärtige Auff<strong>an</strong>glinie<br />
für den Ansatz von Gegen<strong>an</strong>griffen.<br />
Damit erreichen die Ententetruppen<br />
nicht nur größere Flexibilität in <strong>der</strong> Abwehr<br />
und verringern die hohen Verluste in vor<strong>der</strong>ster<br />
Linie bei Beginn einer Schlacht. Sie<br />
machen auch Truppen als Reserven für den<br />
weiteren Schlachtverlauf frei. Überraschen<strong>der</strong><br />
deutscher Kräfte<strong>an</strong>satz, personelle<br />
Überlegenheit <strong>an</strong> entscheiden<strong>der</strong> Stelle,<br />
neue Kampfverfahren und das enge Zu-<br />
Briten in Bedrängnis<br />
Der Nachteil bei den Briten ist allerdings,<br />
dass ihre von „Michael“ betroffene 5. Armee<br />
in einem Gebiet kämpfen muss, das sie<br />
erst seit Anf<strong>an</strong>g 1918 von den Fr<strong>an</strong>zosen<br />
übernommen hat und deswegen bis Angriffsbeginn<br />
nicht mehr voll ausbauen<br />
k<strong>an</strong>n. Über die rückwärtige dritte Linie, <strong>an</strong><br />
<strong>der</strong> sich ausweichende Truppenteile zum<br />
Gegen<strong>an</strong>griff sammeln sollen, schreibt ein<br />
britischer Hauptm<strong>an</strong>n: „Die Feldbefestigungen<br />
waren noch nicht fertig, als <strong>der</strong><br />
deutsche Vorstoß beg<strong>an</strong>n.“ Nimmt m<strong>an</strong> dazu<br />
den bis in den Vormittag <strong>an</strong>dauernden<br />
NACHSCHUB: Auf einen Zug verladene fr<strong>an</strong>zösische St.-Chamond-Sturmp<strong>an</strong>zer werden <strong>an</strong><br />
die Front bei Villers-Cotterêts tr<strong>an</strong>sportiert. Dieses seit 1916 gebaute Fahrzeug gilt als Vorläufer<br />
<strong>der</strong> Selbstfahrlafetten. Foto: ullstein bild - Photo 12<br />
26
Technischer Vorsprung<br />
ANFÄLLIG: Deutsche Soldaten<br />
bereiten einen Fesselballon für<br />
den Aufstieg vor. Die Ballons<br />
wurden zur Luftaufklärung o<strong>der</strong><br />
als Sperrballons gegen feindliche<br />
Flieger eingesetzt. Hochsp<strong>an</strong>nungsleitungen,<br />
Windstöße<br />
und Inf<strong>an</strong>teriebeschuss können<br />
den Ballons zum Verhängnis werden.<br />
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl<br />
sammenwirken von Artillerie und Inf<strong>an</strong>terie<br />
fügen den Briten dennoch so schwere<br />
Verluste bei, dass die Entente zeitweilig eine<br />
entscheidende Nie<strong>der</strong>lage befürchten<br />
muss. Schon nach wenigen Tagen setzt sich<br />
d<strong>an</strong>n jedoch die überlegene Feuerkraft <strong>der</strong><br />
Verteidiger durch.<br />
An<strong>der</strong>s als die Deutschen können Briten,<br />
Fr<strong>an</strong>zosen und Amerik<strong>an</strong>er 1918 bereits die<br />
Masse ihrer Geschütze mit Fahrzeugen und<br />
nicht mehr mit Pferden bewegen. Sie sind<br />
dadurch in <strong>der</strong> Lage, ihre Feuerschwerpunkte<br />
schnell <strong>an</strong> die Brennpunkte einer<br />
Schlacht zu verschieben.<br />
Alliierte Luftüberlegenheit<br />
Deutsche Geschütze müssen in dem zerschossenen<br />
Gelände dagegen bald schon<br />
von den Soldaten vorwärtsgeschoben werden.<br />
Vor allem kommt 1918 aber <strong>der</strong> wesentliche<br />
Vorsprung bei <strong>der</strong> Munitionsherstellung<br />
voll zum Tragen. Die Westmächte<br />
setzen allein in diesem Jahr zwischen 50%<br />
und 60% ihres Gesamtmunitionsverbrauchs<br />
im Weltkrieg ein. Die Briten haben<br />
zudem ihre P<strong>an</strong>zerabwehr erheblich verstärkt,<br />
ohne dass diese allerdings von den<br />
geringen Zahlen deutscher T<strong>an</strong>ks gefor<strong>der</strong>t<br />
worden wäre.<br />
„Es sind schwere Kämpfe, in denen viele<br />
feindliche T<strong>an</strong>ks verwendet werden und ein<br />
Heer von Fliegern. Diese sausen alle<br />
Augenblicke her<strong>an</strong> und werfen Bomben.“<br />
Aus einem Brief des Oberbefehlshabers <strong>der</strong> Deutschen 2. Armee,<br />
General Georg von <strong>der</strong> Marwitz, <strong>an</strong> seine Frau vom 11. August 1918<br />
Neben ihrem Übergewicht bei den T<strong>an</strong>ks<br />
und <strong>der</strong> Artillerie verfügen die Alliierten bereits<br />
seit Ende März 1918 über eine eindeutige<br />
Überlegenheit in <strong>der</strong> Luft. Dafür bieten<br />
die deutschen Truppenkonzentrationen<br />
ideale Ziele. So verursacht etwa feindliche<br />
Fliegertätigkeit bei <strong>der</strong> Deutschen 2. Armee<br />
rund die Hälfte <strong>der</strong> Verluste. Durch PS-stärkere<br />
Motoren können auf allen Seiten nicht<br />
nur Gipfelhöhe und Reichweite gesteigert,<br />
son<strong>der</strong>n auch Nutzlasten erhöht werden.<br />
Dadurch erweitert sich das Einsatzprofil von<br />
Flugzeugen, die zusätzlich zu ihren Funktionen<br />
als Jagd- und Aufklärungsmaschinen<br />
jetzt auch als Bomber einsetzbar sind.<br />
Mit ihren Jagdflieger-Assen, allen vor<strong>an</strong><br />
dem „Roten Baron“ M<strong>an</strong>fred Freiherr von<br />
Richthofen, <strong>der</strong> im April 1918 über <strong>der</strong><br />
Somme abgeschossen wird, gelingen den<br />
Deutschen zwar immer noch spektakuläre<br />
Einzelerfolge in Luftkämpfen. Eine zu Brigaden<br />
zusammengefasste britische Luftmacht<br />
hat jedoch längst die Luftherrschaft<br />
übernommen. Diese Tatsache bekommen<br />
die Deutschen insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Luftaufklärung<br />
zu spüren, mit <strong>der</strong> seit April das<br />
Artilleriefeuer ihrer Gegner immer wirkungsvoller<br />
geleitet werden k<strong>an</strong>n. Die<br />
deutschen Angriffsarmeen müssen sich<br />
häufig noch mit Beobachtungsballons behelfen,<br />
die vom Boden aus mit 24 M<strong>an</strong>n<br />
Personal <strong>an</strong> Seilen dirigiert werden.<br />
Obwohl die deutsche Luftwaffe den Alliierten<br />
im August und September noch<br />
schwere Verluste zufügt, greifen diese sogar<br />
bereits mit Tieffliegern in die Bodenkämpfe<br />
ein. Diese immer wirksamere zahlenmäßige<br />
Überlegenheit macht den Deutschen<br />
ihre inzwischen erhebliche materielle<br />
Unterlegenheit endgültig bewusst. Im Spätherbst<br />
erlahmt die deutsche Gegenwehr<br />
aufgrund <strong>der</strong> hohen Verluste <strong>an</strong> Flugzeugführern<br />
und dem zunehmenden Treibstoffm<strong>an</strong>gel<br />
schließlich weitgehend.<br />
Der Erste Weltkrieg endet 1918, wie er<br />
im Jahr 1914 begonnen hat: mit dem klaren<br />
Übergewicht materieller Potentiale über<br />
vermeintliche militärische Führungskunst.<br />
Clausewitz 1/2013<br />
27
Titelgeschichte | <strong>Westfront</strong> 1918<br />
Deutsche und alliierte Soldaten 1918<br />
Sinnloses Massensterben<br />
Anf<strong>an</strong>g 1918: Kriegsmüdigkeit ist das durchgängige Kennzeichen bei den Soldaten<br />
aller kriegführenden Nationen. Dennoch ist das Jahr 1918 geprägt von zahlreichen<br />
Großoffensiven...<br />
Von Bruno Thoß<br />
Selbst die Fr<strong>an</strong>zosen, <strong>der</strong>en „defensiver<br />
Patriotismus“ sie in <strong>der</strong> Verteidigung<br />
ihres eigenen Bodens bisher alle Strapazen<br />
und Entbehrungen durchhalten ließ,<br />
reagieren 1917 als Folge <strong>der</strong> blutigen „Nivelle-Offensive“<br />
bei zwei Dritteln ihrer Frontdivisionen<br />
mit Meutereien auf die inakzeptablen<br />
Massenverluste. Immerhin fünf <strong>der</strong> betroffenen<br />
Großverbände sind dadurch<br />
zeitweilig lahmgelegt. Eine Stimme wie die<br />
eines Soldaten des 82. fr<strong>an</strong>zösischen Inf<strong>an</strong>terie-Regiments<br />
ist längst kein Einzelfall mehr:<br />
„Wir befinden uns in einer absolut ausweglosen<br />
Lage. Die einzige Perspektive<br />
ist ein gegenseitiges, nicht enden wollendes<br />
Massaker“.<br />
Der Krieg wird Anf<strong>an</strong>g<br />
1918 allgemein als sinnlos<br />
empfunden; die For<strong>der</strong>ungen<br />
nach Frieden<br />
werden immer lauter;<br />
<strong>der</strong> eigenen politischen<br />
wie militärischen Führung bringt<br />
m<strong>an</strong> nur noch begrenztes Vertrauen entgegen.<br />
Ein fr<strong>an</strong>zösischer Artillerist verleiht<br />
dem grassierenden Fatalismus eine radikale<br />
Stimme: „Ich will Brot essen und arbeiten;<br />
ob wir siegen o<strong>der</strong> besiegt werden, ist<br />
mir egal.“ Briefzensur und drakonische<br />
Strafen verlieren da ihre abschreckende<br />
Wirkung. Der neue Oberbefehlshaber, Philippe<br />
Pétain, muss Anf<strong>an</strong>g 1918 sogar<br />
scharfe Weisungen gegen erste Verbrü<strong>der</strong>ungen<br />
zwischen Deutschen und Fr<strong>an</strong>zosen<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Front erlassen<br />
Ein deutliches Herabsinken<br />
<strong>der</strong> Kampfbereitschaft<br />
ist nach den kräftezehrenden<br />
Fl<strong>an</strong><strong>der</strong>noffensiven<br />
seit Spätherbst<br />
1917 sogar bei den<br />
Briten zu verspüren,<br />
<strong>der</strong>en<br />
sprichwört-<br />
liche Disziplin deutlich nachzulassen beginnt.<br />
Auch hier entfaltet eine harte Militärjustiz<br />
kaum noch die gewünschte Wirkung.<br />
Ein Beobachter ist geradezu erschrocken,<br />
als er einer singenden Kolonne britischer<br />
Militärgef<strong>an</strong>gener begegnet, die offenkundig<br />
lieber ins Gewahrsam als <strong>an</strong> die Front<br />
marschiert.<br />
Hungerrevolten<br />
Die Stimmung bei den deutschen Soldaten<br />
k<strong>an</strong>n dagegen durch die Erfolge im Kriegsjahr<br />
1917 noch vergleichsweise stabil gehalten<br />
werden – und dies trotz immer bedenklicherer<br />
Nachrichten aus <strong>der</strong> Heimat über<br />
das Aufflammen von Hungerrevolten. Diese<br />
Haltung ist auch bei ihnen nicht mehr allein<br />
auf den unbedingten Kampfeswillen<br />
zurückzuführen, als vielmehr auf die Hoffnung,<br />
dass die eigenen Siege den Krieg<br />
WAHNSINNIG: Ein deutscher Soldat<br />
in einem Schützengraben inmitten<br />
zahlreicher Gefallener. Das Entsetzen<br />
über den grausamen Kampf<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Front steht ihm ins Gesicht<br />
geschrieben. Foto aus dem Antikriegsfilm<br />
„<strong>Westfront</strong> 1918“ aus<br />
dem Jahr 1930.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/picture-alli<strong>an</strong>ce<br />
28
Nicht enden wollendes Massaker<br />
GEBLENDET: Verwundete alliierte Soldaten,<br />
die durch den Einsatz von Tränengas aus<br />
dem Schlachtfeld zeitweise ihr Sehvermögen<br />
eingebüßt haben.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
schließlich „verkürzen“ werden. Eine auf<br />
Hochtouren laufende Kriegspropag<strong>an</strong>da<br />
nutzt diesen Umst<strong>an</strong>d für die Frühjahrsoffensiven<br />
1918. Sie suggeriert den Soldaten,<br />
es ginge nur noch um eine letzte große<br />
Kraft<strong>an</strong>strengung, d<strong>an</strong>n sei <strong>der</strong> Krieg endlich<br />
vorbei. Bei den Fronttruppen verurteilt<br />
m<strong>an</strong> Anf<strong>an</strong>g 1918 deswegen die Streikenden<br />
zu Hause häufig als „Radaubrü<strong>der</strong>“<br />
und „Sauhunde“, die mit ihrem Defätismus<br />
die Ch<strong>an</strong>cen für einen deutschen Sieg <strong>an</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Westfront</strong> untergraben. Jetzt sei Einigkeit<br />
und nicht Zwietracht die Parole <strong>der</strong><br />
Stunde.<br />
„Sie werden nicht durchkommen“<br />
Wie sehr sich dabei die Stimmung bei den<br />
Deutschen und den Briten ähnelt, lässt sich<br />
vor Angriffsbeginn im März aus den Briefen<br />
britischer Soldaten <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>sten Stellungen<br />
ablesen. Früher als die eigene Führung<br />
erkennt m<strong>an</strong> hier zwar die deutschen<br />
Angriffsvorbereitungen, vertraut aber nach<br />
wie vor auf die eigenen Waffen und das<br />
sprichwörtliche Stehvermögen <strong>der</strong> eigenen<br />
Truppe.<br />
Wie bei den Fr<strong>an</strong>zosen 1916 vor Verdun<br />
geht bei ihnen <strong>der</strong> Trinkspruch um: „Sie<br />
werden nicht durchkommen!“ Ähnlich<br />
klingen bei allen kritischen Untertönen<br />
auch die mehrheitlichen Aussagen fr<strong>an</strong>zösischer<br />
Soldaten für die kommenden<br />
Kämpfe. Bei allem Fatalismus ist wirkliche<br />
Mutlosigkeit kaum auszumachen. M<strong>an</strong><br />
vertraut vielmehr aus den zurückliegenden<br />
ERLEBNISBERICHT<br />
Schil<strong>der</strong>ung des britischen Private<br />
Beardsell vom 21. März 1918<br />
„Ich kroch hinauf und bot dabei ein auffallendes Ziel. Auf halbem<br />
Wege drehte ich mich unwillkürlich um und hatte das Gefühl,<br />
mein rechter Arm sei von einem elektrischen Schlag getroffen<br />
worden. Jetzt hatte es mich erwischt. Aber ich dachte<br />
nur: ‚Gott sei D<strong>an</strong>k! Nun ist alles vorüber.‘“<br />
Erfahrungen auf die gut ausgebauten Stellungen<br />
und die starke Artillerieunterstützung.<br />
Unisono klingen deshalb Berichte vor<br />
Angriffsbeginn auf beiden Seiten, wird<br />
doch <strong>der</strong> erwartete deutsche Angriff endlich<br />
die nervenaufreibende Tatenlosigkeit<br />
<strong>der</strong> letzten Monate beenden.<br />
Ein deutscher Feldwebel beschreibt die<br />
Reaktion seiner Soldaten auf den Befehl<br />
zum Vormarsch in die Sturmausg<strong>an</strong>gsstellungen:<br />
„Die Stimmung war ausgezeichnet“.<br />
Bei den Briten ist m<strong>an</strong> am Vorabend<br />
<strong>der</strong> Schlacht ebenfalls froh, dass die l<strong>an</strong>ge<br />
Untätigkeit bei Kälte und Regen vorbei ist.<br />
Sorgen bereiten hier allerdings die schlecht<br />
ausgebauten Stellungen, die m<strong>an</strong> seit Jahresbeginn<br />
von den Fr<strong>an</strong>zosen übernommen<br />
hat. Wie bei den Deutschen werden in den<br />
Abendstunden des 20. März nochmals<br />
reichlich Verpflegung, Zigaretten und Getränke<br />
gefasst. Während die einen jedoch in<br />
absoluter Stille auf den Angriffsbefehl warten<br />
müssen, trinkt und singt m<strong>an</strong> bei den<br />
<strong>an</strong><strong>der</strong>en kräftig, denn die weit verbreitete<br />
Erwartung ist : „Wenn <strong>der</strong> Boche [fr<strong>an</strong>zösisch<br />
abwertend „Der Deutsche“] kommt,<br />
d<strong>an</strong>n werden wir es ihm schon geben!“ Das<br />
mischt sich freilich mit Besorgnis um das<br />
persönliche Schicksal im Gefecht. Einem<br />
deutschen Inf<strong>an</strong>teristen würde „eine leichte<br />
Verwundung nichts ausmachen,<br />
denn d<strong>an</strong>n käme<br />
ich in ein Lazarett nach<br />
Deutschl<strong>an</strong>d. Viele hofften<br />
das.“<br />
Auf <strong>der</strong> Gegenseite verlässt<br />
sich ein britischer Soldat<br />
einfach auf sein bisheriges<br />
Kriegsglück: „Ich war<br />
überzeugt, dass ich nicht getroffen<br />
werden könnte. Ich<br />
fühlte mich absolut kugelsicher.“ Doch das<br />
sind Einzelstimmen; generell ist m<strong>an</strong> auf<br />
beiden Seiten froh, wenn es endlich losgeht,<br />
denn das zermürbende Warten wird immer<br />
unerträglicher.<br />
Menschliches „Wrack”<br />
Mit Beginn des deutschen Artilleriefeuers<br />
in den frühen Morgenstunden des 21. März<br />
1918 driften d<strong>an</strong>n die Stimmungen bei Angreifern<br />
und Verteidigern allerdings ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>.<br />
Schon die ersten gut gezielten Salven<br />
lösen in den britischen Stellungen „erdbebenartige<br />
Erschütterungen“ aus. Ein<br />
BITTERES ENDE: Angehörige <strong>der</strong> fr<strong>an</strong>zösischen Armee bei <strong>der</strong> Identifizierung und Bestattung<br />
während <strong>der</strong> deutschen Großoffensive bei Reims gefallener alliierter Soldaten, Juli<br />
1918. Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
Clausewitz 1/2013 29
Historisch, authentisch, …<br />
Als junger Eisenbahnpionier im Inferno des Zweiten Weltkriegs: Packend<br />
und detailreich erinnert sich Willy Reinshagen <strong>an</strong> seine Erlebnisse auf<br />
dem Russl<strong>an</strong>dfeldzug, <strong>an</strong> Stalingrad, die L<strong>an</strong>dung <strong>der</strong> Alliierten in Fr<strong>an</strong>kreich<br />
und die Kapitulation. Er erzählt von Kameradschaft, vom harten<br />
Alltag <strong>an</strong> <strong>der</strong> Front und von vielem mehr. Ein authentischer Bericht eines<br />
<strong>der</strong> letzten Zeitzeugen <strong>der</strong> alten Reichsbahn. Reich illustriert mit zahlreichen<br />
Fotoraritäten.<br />
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Titelgeschichte<br />
Hauptm<strong>an</strong>n im Stab <strong>der</strong> 172. britischen<br />
Brigade muss nach wenigen Minuten feststellen,<br />
dass selbst die zwei Meter tief eingegrabenen<br />
Fernsprechkabel durchgängig<br />
zerschossen sind. Verbindung zwischen<br />
Truppe und rückwärtiger Führung besteht<br />
jetzt wie auch in den kommenden Stunden<br />
nicht mehr. Von einem jungen Nachrichtenoffizier,<br />
<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Stellung geht, um sich<br />
ein Bild von <strong>der</strong> Lage zu machen, heißt es:<br />
„Achilles war als Jüngling hinausgeg<strong>an</strong>gen<br />
und kehrte als Greis zurück (...) Er hat sich<br />
von diesem Schock nie wie<strong>der</strong> erholt. Monatel<strong>an</strong>g<br />
konnte er nur im Flüsterton sprechen<br />
(...) Bis zu diesem Nervenzusammenbruch<br />
war er ein aufgeweckter, tüchtiger<br />
und furchtloser M<strong>an</strong>n. Aber am 21. März<br />
1918 wurde er zum Wrack und konnte als<br />
Soldat nicht mehr verwendet werden.“<br />
Die Stimmung sinkt<br />
In den deutschen Stellungen steht m<strong>an</strong><br />
zwar auch unter den Belastungen <strong>der</strong> stundenl<strong>an</strong>gen<br />
Feuerschläge, nur erhöhen sie<br />
hier die Erwartungen auf den eigenen Erfolg.<br />
M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n sich nur schwer vorstellen,<br />
dass <strong>der</strong> Gegner d<strong>an</strong>ach noch zu stärkerem<br />
Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d fähig sein wird. Euphorie<br />
herrscht jedoch auch hier – von Ausnahmefällen<br />
abgesehen – nicht. Ein Leutn<strong>an</strong>t aus<br />
dem 463. Inf<strong>an</strong>terie-Regiment schil<strong>der</strong>t die<br />
Stimmung so: „Die meisten Männer waren<br />
g<strong>an</strong>z still. M<strong>an</strong> hörte ein paar Scherzworte.<br />
Einer nahm einen Brief heraus und die Photographie<br />
seiner Frau. Wir dachten alle <strong>an</strong><br />
Zuhause. Vielleicht die Hälfte <strong>der</strong> Männer<br />
ging beiseite in einen ruhigeren Abschnitt<br />
des Grabens, um zu beten.“<br />
Das rasche Vor<strong>an</strong>kommen in den vor<strong>der</strong>sten,<br />
nur noch schwach verteidigten britischen<br />
Stellungen hebt die Stimmung naturgemäß<br />
bei den Angreifern. Dazu tragen<br />
in erheblichem Maße auch die größer werdenden<br />
Kolonnen von Gef<strong>an</strong>genen bei. Das<br />
Gefühl, in ihren schlecht ausgebauten Stellungen<br />
von <strong>der</strong> eigenen Führung und von<br />
<strong>der</strong> im Nebel zunächst nur schwach feuernden<br />
eigenen Artillerie im Stich gelassen zu<br />
werden, lässt den Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d in den verbliebenen,<br />
weit ausein<strong>an</strong><strong>der</strong> liegenden Stellungen<br />
schnell zusammenbrechen. Den<br />
Deutschen bieten sich ungewohnte Bil<strong>der</strong><br />
von den sonst so zäh kämpfenden Briten:<br />
„Sie warfen ihre Waffen weg und wollten<br />
sich ergeben“, berichtet ein deutscher Füsilier.<br />
In den ersten drei Wochen <strong>der</strong> deutschen<br />
Frühjahrsoffensiven muss die britische<br />
Armee die ungewöhnlich hohe Zahl<br />
von über 70.000 Gef<strong>an</strong>genen verkraften. Sie<br />
trotten oft fast teilnahmslos o<strong>der</strong> zumindest<br />
erleichtert dahin, werden nur wenig bewacht<br />
nach rückwärts durchgewunken
Tod als ständiger Begleiter<br />
…sp<strong>an</strong>nend.<br />
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TÖDLICH GETROFFEN: Von einer britischen Gr<strong>an</strong>ate zerstörtes deutsches Munitionsgesp<strong>an</strong>n,<br />
im Vor<strong>der</strong>grund ist ein toter deutscher Soldat zu erkennen. Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
und erst hinter den deutschen Angriffsverbänden<br />
zu größeren Kolonnen zusammengefasst.<br />
In <strong>der</strong> Stadt St. Quentin werden sie<br />
d<strong>an</strong>n mehrfach um den Stadtplatz geführt,<br />
um für die deutsche Öffentlichkeit daheim<br />
fotografiert zu werden. Freilich müssen die<br />
deutschen Soldaten auch feststellen, wie<br />
„frisch und beson<strong>der</strong>s gut genährt“ ihre<br />
Gegner aussehen.<br />
Selbst bei den zunächst nicht <strong>an</strong>gegriffenen<br />
Fr<strong>an</strong>zosen sinkt die Stimmung im April<br />
1918 deutlich. Dabei ist auch das Vertrauen<br />
in den britischen Verbündeten starken Belastungen<br />
ausgesetzt, kritisiert m<strong>an</strong> doch<br />
dessen schnelles Zurückgehen. Ähnliche<br />
Skepsis werden britische und fr<strong>an</strong>zösische<br />
Soldaten im Sommer 1918 <strong>an</strong>fänglich den<br />
amerik<strong>an</strong>ischen Verbündeten entgegenbringen.<br />
Deren m<strong>an</strong>gelnde Kampferfahrung<br />
MAKABER: Fr<strong>an</strong>zösische Soldaten nehmen<br />
während einer Gefechtspause eine Mahlzeit<br />
ein und benutzen Särge als Tisch für ihr Essgeschirr.<br />
Der Tod ist ein ständiger Begleiter<br />
<strong>der</strong> Soldaten.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/dpa<br />
lässt sie häufig mit großen Verlusten im Angriff<br />
scheitern. Erst im Sommer 1918 wird<br />
sich dies bei den Ententetruppen merklich<br />
än<strong>der</strong>n, als m<strong>an</strong> wie<strong>der</strong> Zuversicht in das eigene<br />
Durchhaltevermögen gewinnt.<br />
„Dolchstoßlegende“<br />
Umgekehrt beginnen jetzt bei den Deutschen<br />
die kritischen Stimmen lauter zu<br />
werden, die bei den hohen eigenen Verlusten<br />
und dem Ausbleiben des Zusammenbruchs<br />
des Gegners die bloße Verlängerung<br />
des Krieges beklagen. Jetzt rächt sich, dass<br />
m<strong>an</strong> seitens <strong>der</strong> Führung zu hohe Erwartungen<br />
geweckt hat, die für die Soldaten <strong>an</strong><br />
<strong>der</strong> Front immer eindeutiger wi<strong>der</strong>legt<br />
werden. Um dem zu begegnen, warnt Ludendorff<br />
Anf<strong>an</strong>g Oktober vor „weichlicher<br />
Beh<strong>an</strong>dlung bei Disziplinarvergehen“, weil<br />
damit geradezu „eine Prämie für nie<strong>der</strong>trächtiges<br />
Verhalten“ ausgestellt werde.<br />
Doch das, was in <strong>der</strong> neueren Forschung<br />
als „stiller Militärstreik“ in den deutschen<br />
Truppen beschrieben wird, ist damit längst<br />
nicht mehr aufzuhalten. Eine immer größere<br />
Zahl von Soldaten versucht, sich dem<br />
weiteren Kriegseinsatz zu entziehen – dabei<br />
kommt es nicht selten zu Selbstverstümmelungen<br />
und Befehlsverweigerungen.<br />
An<strong>der</strong>s als es die später von <strong>der</strong> deutschen<br />
politischen Rechten propagierte „Dolchstoßlegende“<br />
glauben machen will, ist es<br />
freilich nicht die Kriegsmüdigkeit <strong>der</strong> Heimat,<br />
son<strong>der</strong>n die Wucht <strong>der</strong> alliierten Angriffe,<br />
unter <strong>der</strong> die deutschen Fronttruppen<br />
allmählich ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>brechen und<br />
die zum Scheitern <strong>der</strong> deutschen Offensiven<br />
im Jahr 1918 führt.<br />
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Clausewitz 1/2013
Schlachten <strong>der</strong> Weltgeschichte<br />
GNADENLOSE SCHLACHT: Monatel<strong>an</strong>g tobt <strong>der</strong><br />
erbitterte Kampf am Fuße des Waldai.<br />
Später wird Hitler den Überlebenden den<br />
„Demj<strong>an</strong>skschild“ für die Verteidigung des<br />
Kessels stiften. Foto: Süddeutsche Zeitung Photo/SZ Photo<br />
32
Demj<strong>an</strong>sk 1942/43<br />
Umkämpftes<br />
Sumpfl<strong>an</strong>d<br />
8. J<strong>an</strong>uar 1942: Die sowjetische Nordwestfront beginnt<br />
ihre Offensive gegen den deutschen Frontvorsprung<br />
südlich des Ilmensees. Sechs Divisionen<br />
<strong>der</strong> deutschen 16. Armee werden bald darauf zehn<br />
Wochen l<strong>an</strong>g eingeschlossen. Dies ist aber nur <strong>der</strong><br />
Auftakt eines 14-monatigen für beide Seiten zermürbenden<br />
Kampfes. Von Christi<strong>an</strong> Th. Müller<br />
Blutige Kesselschlacht<br />
Truppenstärken am 8. J<strong>an</strong>uar 1942 und Verluste bis zum 20. Mai 1942<br />
Soldaten<br />
ca. 100.000<br />
ca. 400.000<br />
Tote<br />
✝ 48.000<br />
✝ ✝ ✝ ✝ ca. 200.000<br />
Wehrmacht und Waffen-SS<br />
Rote Armee<br />
Verwundete<br />
+ + + 140.000<br />
+ + + + + + + + ca. 400.000<br />
Die Verluste bis zum 20. Mai 1942 waren<br />
höher als die jeweiligen Ist-Stärken<br />
am 8. J<strong>an</strong>uar 1942. Das mag verwirrend<br />
erscheinen, erklärt sich aber (für<br />
die sowjetische Seite) durch den laufenden<br />
Personalersatz und für die deutsche<br />
Seite zudem noch durch den Umst<strong>an</strong>d,<br />
dass <strong>an</strong> den Kämpfen nicht nur<br />
die Truppen im Kessel selbst beteiligt<br />
waren.<br />
Clausewitz 1/2013 33
Schlachten <strong>der</strong> Weltgeschichte | Demj<strong>an</strong>sk 1942/43<br />
Die ausgedehnten Sumpfgebiete zwischen<br />
dem Südufer des Ilmensees und<br />
den Waldaihöhen gehören in den Jahren<br />
1942/43 zu den am längsten und am<br />
hartnäckigsten umkämpften Abschnitten<br />
<strong>der</strong> deutsch-sowjetischen Front.<br />
Im Herbst 1941 hatten Teile <strong>der</strong> deutschen<br />
16. Armee den Raum um die kleine<br />
Kreisstadt Demj<strong>an</strong>sk besetzt. Sie bilden das<br />
Bindeglied zwischen dem vor Leningrad<br />
stehenden Gros <strong>der</strong> Heeresgruppe Nord<br />
und <strong>der</strong> auf Moskau vorrückenden Heeresgruppe<br />
Mitte. Ihre durch riesige Wald- und<br />
Sumpfgebiete verlaufende Front ist hoff-<br />
KARTE<br />
Kriegsschauplatz Ilmensee und Seligersee<br />
Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich<br />
AUF BEOBACHTUNGSPOSTEN: Ein deutscher<br />
Soldat hält Ausschau nach dem<br />
Gegner. Das sumpfige Terrain k<strong>an</strong>n sehr<br />
unübersichtlich sein und erschwert nicht<br />
nur im Winter den Kampf immens.<br />
Foto: ullstein bild - Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl<br />
nungslos überdehnt und besteht Ende 1941<br />
nur aus einer dünnen Linie von Posten und<br />
Stützpunkten. Wie gefährdet diese Position<br />
am Südflügel <strong>der</strong> Heeresgruppe Nord ist,<br />
wird im J<strong>an</strong>uar 1942 deutlich.<br />
Kaum ist <strong>der</strong> Schock <strong>der</strong> sowjetischen<br />
Gegenoffensive vor Moskau überwunden<br />
und die Front wie<strong>der</strong> einigermaßen stabilisiert,<br />
geht die Rote Armee vom Ladogasee<br />
bis zur Krim zur allgemeinen Offensive<br />
über. Der bei<strong>der</strong>seits des Ilmensees stehenden<br />
sowjetischen Nordwestfront unter Generalleutn<strong>an</strong>t<br />
Kurotschkin fallen dabei<br />
zwei Aufgaben zu. Ihr Nordflügel soll im<br />
Zusammenwirken mit <strong>der</strong> Wolchowfront<br />
die deutsche 18. Armee von Leningrad abziehen<br />
und vernichten. Der Südflügel soll<br />
auf Staraja Russa und Cholm vorstoßen,<br />
um das deutsche II. und X. Armeekorps abzuschneiden<br />
sowie die Heeresgruppen<br />
Nord und Mitte vonein<strong>an</strong><strong>der</strong> zu trennen.<br />
Die am 7. J<strong>an</strong>uar begonnene Offensive<br />
bringt die Heeresgruppe Nord in eine<br />
schwierige Lage. Mit Mühe k<strong>an</strong>n die 18. Armee<br />
die sowjetischen Angriffe zurückschlagen<br />
und die Blockade Leningrads aufrechterhalten.<br />
Ungünstiger entwickelt sich die<br />
34
Hitler verbietet jeden Rückzug<br />
FAHRT IN DIE KAMPFZONE:<br />
P<strong>an</strong>zerfahrzeuge auf dem Marsch<br />
ins Waldaigebiet. Aufnahme gegen<br />
Ende 1941.<br />
Foto: ullstein bild<br />
„Für die Heeresgruppe Nord und die 16. Armee<br />
hat <strong>der</strong> Raum um Demj<strong>an</strong>sk keine taktische und<br />
operative Bedeutung.“<br />
OB HGr Nord Leeb am 12. J<strong>an</strong>uar 1942 <strong>an</strong> OKW<br />
Lage im schwierigen Gelände zwischen<br />
Staraja Russa und Demj<strong>an</strong>sk. Bei strengem<br />
Frost rücken Skibataillone mit P<strong>an</strong>zerunterstützung<br />
auf Staraja Russa vor. Die sowjetischen<br />
Truppen sind hervorragend auf den<br />
Winterkrieg vorbereitet. Auf deutscher Seite<br />
fehlt es <strong>an</strong> Winterbekleidung. Eingefrorene<br />
Schmierstoffe machen Waffen und Fahrzeuge<br />
unbrauchbar. An eine bewegliche<br />
Kampfführung ist unter diesen Umständen<br />
nicht zu denken. So bleibt <strong>der</strong> Wehrmacht<br />
nichts weiter übrig, als rings um die kurzerh<strong>an</strong>d<br />
zu „Festungen“ erklärten Verkehrsknotenpunkte<br />
und Versorgungszentren zu<br />
„igeln“. Zwischen diesen Stützpunkten sickern<br />
sowjetische Truppen hindurch. Im<br />
Hinterl<strong>an</strong>d greifen Partis<strong>an</strong>en die Rückwärtigen<br />
Dienste <strong>an</strong>.<br />
Im Oberkomm<strong>an</strong>do <strong>der</strong> Heeresgruppe<br />
Nord wird schon bald nach Angriffsbeginn<br />
erk<strong>an</strong>nt, dass die konzentrischen sowjetischen<br />
Angriffe südlich des Ilmensees darauf<br />
abzielen, die beiden südlichen Korps<br />
<strong>der</strong> 16. Armee einzukesseln. Bereits am 10.<br />
J<strong>an</strong>uar sieht Oberbefehlshaber Generalfeldmarschall<br />
von Leeb keine <strong>an</strong><strong>der</strong>e Möglichkeit,<br />
als das II. und X. Armeekorps hinter<br />
den Lowat zurückzunehmen. Die mehrfach<br />
durchbrochene Stellung hat aus seiner Sicht<br />
keinen militärischen Wert mehr, während<br />
ein partieller Rückzug die Möglichkeit böte,<br />
die Front zu begradigen und Kräfte für<br />
die Unterstützung <strong>der</strong> 18. Armee nördlich<br />
des Ilmensees zu gewinnen.<br />
Bei Hitler und dem Generalstabschef des<br />
Heeres, Generaloberst Fr<strong>an</strong>z Hal<strong>der</strong>, stößt<br />
er mit dieser Idee auf entschiedene Ablehnung.<br />
Am 16. J<strong>an</strong>uar wird Leeb entlassen<br />
und eine Rücknahme des beson<strong>der</strong>s gefährdeten<br />
II. Armeekorps untersagt. Nach Ansicht<br />
Hal<strong>der</strong>s hätte ein Rückzug nicht nur<br />
bedeutet, dass ein wesentlicher Ausg<strong>an</strong>gspunkt<br />
für die Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong> Angriffsoperationen<br />
1942 verloren geg<strong>an</strong>gen<br />
wäre. Aufgrund <strong>der</strong> massiven Tr<strong>an</strong>sportprobleme<br />
wären nicht allein die relativ gut<br />
ausgebauten Stellungen, son<strong>der</strong>n auch nahezu<br />
das gesamte schwere Gerät verloren<br />
geg<strong>an</strong>gen. So schien es fraglich, ob am Lowat<br />
tatsächlich eine stabile Verteidigung<br />
aufgebaut werden könnte o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Rückzug<br />
nicht vielmehr eine existentielle Gefahr<br />
für den benachbarten Nordflügel <strong>der</strong> Heeresgruppe<br />
Mitte heraufbeschwören würde.<br />
FEUERBEREIT: Deutsche leichte Feldhaubitze (lFH 18) im Kampf gegen die Rote Armee. Die Soldaten<br />
und ihr Gerät ringen aber auch mit Schnee und Frost. Foto: Süddeutsche Zeitung Photo/SZ Photo<br />
„Festung“ Demj<strong>an</strong>sk<br />
Unaufhaltsam stoßen überlegene sowjetische<br />
Verbände <strong>der</strong> 11. Armee und <strong>der</strong> 3.<br />
Stoßarmee auf Staraja Russa, Cholm und<br />
den Lowat vor. Am 8. Februar sind vom<br />
X. Armeekorps die 290. Inf<strong>an</strong>teriedivision<br />
(ID), die 30. ID und die SS-Division „Totenkopf“<br />
sowie vom II. Armeekorps die 12., 32.<br />
und 123. ID mit insgesamt 96.000 M<strong>an</strong>n eingeschlossen.<br />
Die neue deutsche Hauptkampflinie<br />
bei Staraja Russa ist 35 Kilometer<br />
entfernt. Der Versuch, mit Teilen <strong>der</strong><br />
Clausewitz 1/2013<br />
35
Schlachten <strong>der</strong> Weltgeschichte | Demj<strong>an</strong>sk 1942/43<br />
DEUTSCHLAND<br />
ZUSÄTZLICH AUF DEUT-<br />
SCHER SEITE IM EINSATZ<br />
LEITET DEN AUSBRUCH:<br />
Generalleutn<strong>an</strong>t H<strong>an</strong>s<br />
Zorn (1891-1943), im<br />
März 1942 in den Kessel<br />
eingeflogen, um die<br />
Ausbruchsoperation<br />
„Fallreep“ durch die<br />
„Gruppe Zorn“ zu leiten.<br />
WIRD ABGELÖST:<br />
Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von<br />
Leeb (1876-1956) – Oberbefehlshaber <strong>der</strong><br />
Heeresgruppe Nord bis 16. J<strong>an</strong>uar 1942.<br />
Foto: ullstein bild – Heinrich Hoffm<strong>an</strong>n<br />
SCHAFFT DEN „BRÜCKEN-<br />
SCHLAG“: Generalleutn<strong>an</strong>t<br />
Walther von Seydlitz-Kurzbach<br />
(1888-1976), ab März<br />
1942 Führer <strong>der</strong> „Gruppe<br />
Seydlitz“. Foto: ullstein bild<br />
5. Jägerdivision (JD) zur am Nordwestr<strong>an</strong>d<br />
des Kessels stehenden 290. ID durchzubrechen,<br />
scheitert am 9. Februar unter hohen<br />
Verlusten. Weitere Entsatzversuche werden<br />
zunächst nicht unternommen. Die sechs<br />
eingeschlossenen Divisionen werden dem<br />
Generalkomm<strong>an</strong>do des II. Armeekorps unter<br />
General <strong>der</strong> Inf<strong>an</strong>terie Graf von Brockdorff-Ahlefeldt<br />
unterstellt und richten sich<br />
zur Rundumverteidigung ein. Die Front ist<br />
extrem dünn besetzt. M<strong>an</strong>chmal liegen<br />
zwischen den oft nur mit 15 bis 20 Soldaten<br />
besetzten Stützpunkten ein bis zwei Kilometer.<br />
Offiziell wird <strong>der</strong> Kessel dennoch als<br />
„Festung“ bezeichnet. Bei den L<strong>an</strong>dsern ist<br />
dagegen in Anspielung auf ihren Komm<strong>an</strong>dierenden<br />
General bald von <strong>der</strong> „Grafschaft<br />
Demj<strong>an</strong>sk“ die Rede. Diese hängt vollständig<br />
von <strong>der</strong> am 18. Februar eingerichteten<br />
Luftbrücke ab. Der gesamte Nachschubbedarf<br />
muss über zwei kleine Behelfsflugplätze<br />
von 800 mal 50 bzw. 600 mal 30 Metern<br />
eingeflogen werden. Als Problem erweisen<br />
sich dabei vor allem die sowjetische Luftüberlegenheit<br />
und die ständigen Luft<strong>an</strong>griffe<br />
auf die Start- und L<strong>an</strong>debahnen.<br />
Das Oberkomm<strong>an</strong>do <strong>der</strong> Nordwestfront<br />
setzt nun alles dar<strong>an</strong>, in einem doppelten<br />
Z<strong>an</strong>gen<strong>an</strong>griff, den Kessel weiter vom Gros<br />
<strong>der</strong> 16. Armee zu isolieren und aufzuspalten.<br />
Ab Anf<strong>an</strong>g März sickern sowjetische<br />
Luftl<strong>an</strong>detruppen und Skibataillone von<br />
Norden zwischen Pustynja und Wjasowka<br />
„Brückenschlag“ und „Fallreep“<br />
Inzwischen laufen die Vorbereitungen zum<br />
Entsatz des Kessels auf Hochtouren. Unter<br />
direkter Leitung des Oberkomm<strong>an</strong>dos <strong>der</strong><br />
Heeresgruppe Nord sollen zwei eigens für<br />
diesen Zweck gebildete Korpsgruppen die<br />
inzwischen stark befestigten sowjetischen<br />
Stellungen zwischen Redja und Lowat<br />
durchbrechen und eine L<strong>an</strong>dbrücke nach<br />
Demj<strong>an</strong>sk herstellen.<br />
Nach mehreren Verschiebungen des Angriffstermins<br />
beginnt „Unternehmen Brüin<br />
den Kessel ein. Die 30. ID droht von hinten<br />
umfasst zu werden. Sowjetische Fallschirmjäger<br />
unterbrechen die deutschen<br />
Nachschubwege und greifen die Rückwärtigen<br />
Dienste <strong>an</strong>. Pustynja wird eingeschlossen<br />
und belagert. In Nowinka wird um jedes<br />
Haus gekämpft. Getarnt mit Schneehemden<br />
arbeiten sich die Fallschirmjäger<br />
bei strengem Frost nach Süden vor. Skipatrouillen<br />
beherrschen das Gelände und vertreiben<br />
deutsche Spähtrupps. Die deutsche<br />
Aufklärung erkennt die von <strong>der</strong> eingesickerten<br />
sowjetischen Gruppierung ausgehende<br />
Gefahr so erst am 14. März.<br />
Deren Operation zielt auf das Herz des<br />
Kessels. Der Gefechtsst<strong>an</strong>d des II. Armeekorps<br />
in Dobrosli soll ausgehoben; die für<br />
die Versorgung lebensnotwendigen Flugplätze<br />
eingenommen und ausgeschaltet<br />
werden. In <strong>der</strong> Nacht zum 22. März erobern<br />
Fallschirmjäger Dobrosli. Nur knapp verfehlen<br />
sie das tags zuvor nach Borowitschi<br />
verlegte Generalkomm<strong>an</strong>do. Die Vorstöße<br />
auf die beiden Flugplätze werden in<br />
heftigen Kämpfen abgeschlagen. Während<br />
Ortschaften und Rollbahnen in deutscher<br />
H<strong>an</strong>d sind, beherrschen die eingesickerten<br />
sowjetischen Verbände das Sumpfl<strong>an</strong>d.<br />
Mit dem am 24. März einsetzenden<br />
Tauwetter geraten sie in eine schwierige Lage.<br />
In den kaum noch g<strong>an</strong>gbaren Sümpfen,<br />
abgeschnitten vom Nachschub, werden sie<br />
bis Ende April nach und nach von deutschen<br />
Jagdkomm<strong>an</strong>dos aufgespürt und<br />
aufgerieben.<br />
„Es kommt darauf <strong>an</strong>, die Knotenpunkte und<br />
das Höhengelände um Demj<strong>an</strong>sk bis in die Zeit <strong>der</strong><br />
Schneeschmelze zu halten“<br />
Tagesbefehl KdoGen II. AK vom 20. Februar 1942<br />
36
Der Entsatz des Kessels beginnt<br />
SOWJETUNION<br />
MACHT DRUCK: Marschall <strong>der</strong><br />
Sowjetunion, Semjon Konst<strong>an</strong>tinowitsch<br />
Timoschenko<br />
(1895-1970), Oberbefehlshaber<br />
<strong>der</strong> Nordwestfront (Oktober 1942<br />
bis März 1943). Foto: ullstein bild<br />
WEITERER SOWJETISCHER<br />
BEFEHLSHABER<br />
GIBT NICHT AUF: Generalleutn<strong>an</strong>t<br />
Pawel Alexejewitsch<br />
Kurotschkin (1900-<br />
1989) Oberbefehlshaber <strong>der</strong><br />
Nordwestfront (August 1941<br />
bis Oktober 1942).<br />
HÄLT DIE STELLUNG: General <strong>der</strong><br />
Inf<strong>an</strong>terie Walter Graf von Brockdorff-<br />
Ahlefeldt (1887-1943), Komm<strong>an</strong>dieren<strong>der</strong><br />
General des II. Armeekorps.<br />
Foto: ullstein bild – Süddeutsche Zeitung<br />
Photo/Scherl<br />
ckenschlag“ am 21. März 1942, um 7:30 Uhr,<br />
mit Artilleriefeuer und Stuka<strong>an</strong>griffen auf<br />
die sowjetischen Stellungen. Die aus <strong>der</strong> 5.<br />
und 8. JD, <strong>der</strong> 122. und 329. ID sowie <strong>der</strong> 18.<br />
ID (mot) bestehende Korpsgruppe Seydlitz<br />
unter Generalleutn<strong>an</strong>t von Seydlitz-Kurzbach<br />
kämpft sich in vier Wochen unter hohen<br />
Verlusten vor bis zum Lowat. Heftiger<br />
sowjetischer Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d und das nach Einsetzen<br />
des Tauwetters äußerst unwegsame<br />
Gelände bremsen den Vormarsch immer<br />
wie<strong>der</strong>. Am 30. März kommt er zwischenzeitlich<br />
vollends zum Erliegen. Nach Umgruppierung<br />
und Wie<strong>der</strong>aufnahme des Angriffs<br />
am 2. April wird <strong>der</strong> Lowat am 15.<br />
April erreicht.<br />
Zu diesem Zeitpunkt bezieht die mit<br />
dem „Unternehmen Fallreep“ beauftragte<br />
Korpsgruppe Zorn unter dem eigens für<br />
diese Aufgabe in den Kessel eingeflogenen<br />
Generalleutn<strong>an</strong>t H<strong>an</strong>s Zorn Position, um<br />
<strong>der</strong> Gruppe Seydlitz entgegenzustoßen.<br />
Für die Operation wurden alle irgendwie<br />
entbehrlichen Truppen aus den Kesselfronten<br />
herausgezogen. Unterstützt von Teilen<br />
<strong>der</strong> SS-Division „Totenkopf“ wird die Operation<br />
vor allem durch das aus insgesamt<br />
acht, zu diesem Zweck aus <strong>der</strong> 12., 30., 32.<br />
und 290. ID herausgelösten Bataillonen bestehende<br />
Angriffsregiment durchgeführt.<br />
Nach Einnahme <strong>der</strong> Ausg<strong>an</strong>gspositionen<br />
beginnt am 17. April <strong>der</strong> eigentliche Ausbruch.<br />
Oft stundenl<strong>an</strong>g nie<strong>der</strong>gehalten<br />
HINTERGRUND<br />
Unter Leitung des Generals <strong>der</strong> Tr<strong>an</strong>sportflieger,<br />
Oberst Fritz Morzik, wird <strong>der</strong> Kessel von<br />
Demj<strong>an</strong>sk ab dem 18. Februar 1942 aus <strong>der</strong><br />
Luft versorgt. Alle <strong>an</strong> <strong>der</strong> Ostfront verfügbaren<br />
Tr<strong>an</strong>sportfliegergruppen sowie Personal und<br />
Gerät aus dem Reichsgebiet werden dafür<br />
her<strong>an</strong>gezogen. Um den Bedarf von 200 Tonnen<br />
Nachschub zu sichern, müssen täglich<br />
im Durchschnitt 100 Ju 52 Demj<strong>an</strong>sk <strong>an</strong>fliegen.<br />
In <strong>der</strong> Regel ohne Jagdschutz und auch<br />
unter widrigen Witterungsbedingungen werden<br />
die Einsätze durchgeführt. Die beiden<br />
kleinen Behelfsflughäfen im Kessel verfügen<br />
kaum über Navigationshilfen. Um die L<strong>an</strong>debahnen<br />
nicht zu verfehlen, wird meist dicht<br />
über dem Boden geflogen. Bis Mai 1942 werden<br />
auf diese Weise 5.000 Flüge absolviert.<br />
Bis zur Räumung des Frontvorsprungs werden<br />
es insgesamt 33.086 Einsätze, bei denen<br />
64.844 Tonnen Material ein- und 35.400 Verwundete<br />
ausgeflogen werden.<br />
Die Verluste betragen mindestens 265<br />
Flugzeuge und bis zu 1.000 M<strong>an</strong>n fliegendes<br />
Personal. Da auch die Kapazitäten <strong>der</strong> Fliegerschulen<br />
für die Luftbrücke mobilisiert werden,<br />
entsteht zusätzlich zu den Verlusten<br />
eine gravierende Ausbildungslücke. Beides<br />
Luftbrücke mit fatalen Folgen<br />
zusammen führt dazu, dass die Leistungsfähigkeit<br />
<strong>der</strong> deutschen Tr<strong>an</strong>sportfliegerkräfte<br />
erheblich geschwächt wird.<br />
Für das Schicksal <strong>der</strong> seit dem 22. November<br />
1942 bei Stalingrad eingeschlossenen<br />
6. Armee hat die Luftbrücke von Demj<strong>an</strong>sk<br />
fatale Konsequenzen. Obschon <strong>der</strong> als<br />
Korpskomm<strong>an</strong>deur im Kessel <strong>an</strong>wesende<br />
Walter von Seydlitz-Kurzbach bereits am 25.<br />
November in einer Denkschrift darauf hinweist,<br />
dass es unmöglich sei, beinahe dreimal<br />
so viele Soldaten wie bei Demj<strong>an</strong>sk ausreichend<br />
aus <strong>der</strong> Luft zu versorgen, und auf<br />
einen sofortigen Ausbruch drängt, setzen Hitler<br />
und Göring auf das vermeintliche „Erfolgsmodell<br />
Demj<strong>an</strong>sk“. Göring verspricht, dass<br />
die Luftwaffe in <strong>der</strong> Lage sei, den täglichen<br />
Mindestbedarf von 500 Tonnen Nachschub<br />
einzufliegen. Tatsächlich liegt die höchste Tagesleistung<br />
bei 290 Tonnen. Im Tagesdurchschnitt<br />
sind es aufgrund unzureichen<strong>der</strong><br />
Tr<strong>an</strong>sportkapazitäten sogar nur 94 Tonnen.<br />
50 Prozent <strong>der</strong> eingesetzten Flugzeuge gehen<br />
verloren. Nach dem neuerlichen Verlust von<br />
495 Maschinen – zumeist mit Besatzung – ist<br />
die deutsche Tr<strong>an</strong>sportfliegertruppe nur noch<br />
ein Schatten ihrer selbst.<br />
SCHWIERIGE VERSORGUNGS-<br />
LAGE: Nachschub k<strong>an</strong>n über<br />
l<strong>an</strong>ge Zeit nur durch eine Luftbrücke<br />
in den Kessel gel<strong>an</strong>gen.<br />
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo/SZ Photo<br />
Clausewitz 1/2013<br />
37
Schlachten <strong>der</strong> Weltgeschichte | Demj<strong>an</strong>sk 1942/43<br />
UNWEGSAMES GELÄNDE: Eine deutsche<br />
Einheit durchquert einen Fluss mitten im<br />
Winter. Die hier abgebildeten Inf<strong>an</strong>teristen<br />
ziehen sich aus Demj<strong>an</strong>sk zurück.<br />
Foto: akg-images/MPortfolio/Electa<br />
durch heftiges sowjetisches Artilleriefeuer<br />
arbeitet sich die Gruppe Zorn durch Wald<br />
und Sumpf nach Westen vor. Den Soldaten<br />
steht das Wasser dabei nicht selten bis zur<br />
Brust. Schwere Inf<strong>an</strong>teriewaffen können<br />
nur mit improvisierten Schwimmern tr<strong>an</strong>sportiert<br />
werden. Bis am 20. April <strong>der</strong> Lowat<br />
erreicht wird und eine erste Fährverbindung<br />
zum Westufer eingerichtet werden<br />
k<strong>an</strong>n, sind die Verluste so groß, dass die Bataillone<br />
mit 80 M<strong>an</strong>n kaum noch die Stärke<br />
schwacher Komp<strong>an</strong>ien aufweisen. Am 28.<br />
April ist die L<strong>an</strong>dbrücke entl<strong>an</strong>g <strong>der</strong> Rollbahn<br />
Ramuschewo-Wassiljewschtschina<br />
gesichert. Die Truppe ist nun vollends erschöpft.<br />
Mit <strong>der</strong> gewonnenen 12 Kilometer l<strong>an</strong>gen<br />
und vier Kilometer breiten L<strong>an</strong>dbrücke<br />
wird die „Festung“ offiziell zum „Brückenkopf<br />
Demj<strong>an</strong>sk“. Damit sind aber we<strong>der</strong><br />
die Sorgen <strong>der</strong> Heeresgruppe Nord vorüber,<br />
noch hat sich die kritische Situation für<br />
die L<strong>an</strong>dser vor Ort verbessert. Die zu verteidigende<br />
Front hat sich nochmals verlängert.<br />
Kaum ist die L<strong>an</strong>dverbindung hergestellt,<br />
beginnt die Rote Armee mit einer Serie<br />
wüten<strong>der</strong> Angriffe auf den „Schlauch“.<br />
Die Verkehrswege zu L<strong>an</strong>de sind so<br />
schlecht und so gefährdet, dass die Luftversorgung<br />
weiter aufrecht erhalten werden<br />
muss. Der sofort begonnene Bau von Knüppeldämmen<br />
durch sowjetische Zw<strong>an</strong>gsarbeiter<br />
und die Vorbereitung von Auff<strong>an</strong>gstellungen<br />
sollen die taktische und Tr<strong>an</strong>sportlage<br />
stabilisieren.<br />
Längst sind sich alle beteiligten Stäbe einig,<br />
dass die Räumung des Frontvorsprunges<br />
mittelfristig die einzig sinnvolle Lösung<br />
ist. Am 4. Mai be<strong>an</strong>tragt die Heeresgruppe<br />
die Rücknahme des II. Armeekorps in die Lowat-Stellung.<br />
Doch am gleichen Tag verfügt<br />
ein „Führerbefehl“, dass <strong>der</strong> weite Bogen<br />
zwischen Cholm und Waldai zu halten sei.<br />
Es beginnt ein zermürben<strong>der</strong>, von einzelnen<br />
Großkampftagen unterbrochener<br />
Stellungskrieg. Monatel<strong>an</strong>g verbringen die<br />
Soldaten bei<strong>der</strong> Seiten in einem Gewirr von<br />
Gräben und Erdbunkern. Oft sind die gegnerischen<br />
Stellungen nur einen H<strong>an</strong>dgr<strong>an</strong>atenwurf<br />
vonein<strong>an</strong><strong>der</strong> entfernt. Sch<strong>an</strong>zarbeiten<br />
und kleinere Späh- und Stoßtruppunternehmen<br />
prägen den Alltag.<br />
Kennzeichnend für die deutsche Truppenführung<br />
ist <strong>der</strong> chronische M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong><br />
Kräften, <strong>der</strong> einen gegen alle Regeln geführten<br />
Kampf mit weit ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>gerissenen<br />
Verbänden bedingt. Nicht mehr g<strong>an</strong>ze<br />
Divisionen, son<strong>der</strong>n von Fall zu Fall<br />
zusammengewürfelte Kampfgruppen werden<br />
<strong>an</strong> die jeweiligen Brennpunkte geworfen.<br />
Dieser „Armeleutekrieg“ mit ständig<br />
wechselnden Unterstellungsverhältnissen<br />
wird ab Ende 1942 prägend für die gesamte<br />
Ostfront.<br />
Ein erbittertes Ringen<br />
Während das Generalkomm<strong>an</strong>do II sein<br />
Augenmerk auf eine sichere L<strong>an</strong>dverbindung<br />
durch Verbreiterung des „Schlauches“<br />
richtet, zielen die Anstrengungen <strong>der</strong><br />
Nordwestfront darauf, diesen einzudrücken,<br />
um schließlich den gesamten Frontvorsprung<br />
zu eliminieren. Im Sommer 1942<br />
gelingen <strong>der</strong> Roten Armee mehrere Einbrüche<br />
im Sumpfgebiet, die im Rahmen <strong>der</strong><br />
Unternehmen „Schlingpfl<strong>an</strong>ze“ und „Wintersport“<br />
nur zum Teil bereinigt werden<br />
können. Die im Frontvorsprung stehenden<br />
deutschen Truppen sind d<strong>an</strong>ach kaum<br />
noch zu eigenen Angriffsoperationen in <strong>der</strong><br />
Lage.<br />
So dauert es bis Ende September, dass<br />
mit massiver Luftunterstützung im Rahmen<br />
des „Unternehmens Michael“ die<br />
L<strong>an</strong>dbrücke auf bis zu zwölf Kilometer verbreitert<br />
werden k<strong>an</strong>n. Nun ist es endlich<br />
möglich, den „Brückenkopf“ ohne Feindeinsicht<br />
auf dem L<strong>an</strong>dwege zu erreichen.<br />
Neben <strong>der</strong> Straße entsteht bis November<br />
1942 eine 70 Kilometer l<strong>an</strong>ge Feldbahnlinie<br />
über die das II. Armeekorps relativ problemlos<br />
versorgt werden k<strong>an</strong>n.<br />
Da droht bereits die sowjetische Winteroffensive,<br />
<strong>der</strong>en Schwerpunkte bei Stalingrad<br />
und Demj<strong>an</strong>sk liegen. Der neue Oberbefehlshaber<br />
<strong>der</strong> Nordwestfront, Marschall<br />
Timoschenko, pl<strong>an</strong>t die L<strong>an</strong>dbrücke mit einem<br />
Z<strong>an</strong>gen<strong>an</strong>griff <strong>der</strong> 11. und 27. Armee<br />
von Norden und <strong>der</strong> 1. Stoßarmee von Süden<br />
zu kappen. Die Winterschlacht um<br />
Demj<strong>an</strong>sk beginnt am 28. November mit einer<br />
gewaltigen Artillerievorbereitung. Den<br />
sowjetischen Angriffen haben das II. und X.<br />
Armeekorps kaum etwas entgegenzusetzen.<br />
Der Korridor wird wie<strong>der</strong> auf teilweise<br />
nur vier Kilometer eingedrückt. Erst drei<br />
von <strong>der</strong> 18. Armee abgestellte Divisionen<br />
können die Lage bis zum 15. Dezember<br />
wie<strong>der</strong> stabilisieren.<br />
38
Eilige Räumung des Frontvorsprungs<br />
ERFORDERNISSE DES WINTERKRIEGS:<br />
Deutsche Soldaten in <strong>der</strong> Nähe von Waldai<br />
schnallen ein Maschinengewehr auf einen<br />
Schlitten. Das Foto wurde im Dezember 1942<br />
gemacht. Foto: ullstein bild - Heinrich Hoffm<strong>an</strong>n<br />
„Unternehmen Entrümpelung“<br />
Angesichts <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage von Stalingrad<br />
und <strong>der</strong> schwierigen Lage im „Brückenkopf“<br />
wird seit Mitte J<strong>an</strong>uar 1943 von <strong>der</strong><br />
Heeresgruppe Nord und dem Oberkomm<strong>an</strong>do<br />
des Heeres schwerpunktmäßig die<br />
Räumung von Demj<strong>an</strong>sk vorbereitet. Nun,<br />
wo ein Sieg über die Sowjetunion vollends<br />
unrealistisch geworden ist, hat auch <strong>der</strong><br />
Frontvorsprung jegliche Bedeutung für<br />
künftige deutsche Offensiven verloren. Am<br />
31. J<strong>an</strong>uar 1943 gibt Hitler endlich dem wochenl<strong>an</strong>gen<br />
Drängen des Chefs des Generalstabes<br />
des Heeres, General <strong>der</strong> Inf<strong>an</strong>terie<br />
Kurt Zeitzler, nach und genehmigt den<br />
Rückzug hinter den Lowat.<br />
Am 1. Februar beginnt die letzte Phase<br />
des Kampfes um Demj<strong>an</strong>sk. Binnen 70 Tagen<br />
soll <strong>der</strong> Frontvorsprung geräumt werden.<br />
Dafür wird extra ein strahlenförmig<br />
auf die L<strong>an</strong>dbrücke gerichtetes Straßennetz<br />
vorbereitet und alles nicht unmittelbar von<br />
<strong>der</strong> Truppe benötigte Material über die<br />
Feldbahn abtr<strong>an</strong>sportiert. Doch schon kündigt<br />
sich eine neue sowjetische Offensive<br />
<strong>an</strong>. Die Frist bis zur Räumung wird auf 40,<br />
d<strong>an</strong>n 20 Tage verkürzt.<br />
Mitten in die Vorbereitungen platzt am<br />
15. Februar die sowjetische Operation „Polarstern“.<br />
Sechs Schützendivisionen führen<br />
Groß<strong>an</strong>griffe gegen die L<strong>an</strong>dbrücke. Die<br />
Räumung wird nochmals vorverlegt. Am<br />
Nachmittag des 17. Februar wird das Stichwort<br />
„Ziethen“ ausgegeben. Etappenweise<br />
wird <strong>der</strong> Frontvorsprung nun von Ost nach<br />
West geräumt. Starke Nachhuten sichern<br />
die alte Hauptkampflinie, so dass sich das<br />
Gros <strong>der</strong> 32. und 329. ID in <strong>der</strong> Nacht zum<br />
18. Februar unbemerkt vom Gegner lösen<br />
k<strong>an</strong>n.<br />
Erst am 19. Februar wird <strong>der</strong> Rückzug von<br />
<strong>der</strong> sowjetischen Aufklärung erk<strong>an</strong>nt. Die<br />
Rote Armee nimmt sofort die Verfolgung<br />
auf. Es kommt zu heftigen Nachhutgefechten.<br />
Demj<strong>an</strong>sk selbst wird am 20. geräumt<br />
und <strong>an</strong>gezündet. In <strong>der</strong> Nacht zum 22. Februar<br />
ist <strong>der</strong> „Brückenkopf“ geräumt. Teile<br />
<strong>der</strong> 30. und 126. ID sowie die 8. JD halten<br />
die Robja-Stellung noch bis zum 27. Februar,<br />
bevor auch sie sich in die neue Hauptkampflinie<br />
absetzen.<br />
Das Ende<br />
Binnen zehn Tagen ist <strong>der</strong> Frontvorsprung<br />
geräumt. Die Front <strong>der</strong> Heeresgruppe Nord<br />
ist damit um 200 Kilometer kürzer. Nach einem<br />
zermürbenden, 14 Monate währenden<br />
Ringen hat die sowjetische Nordwestfront<br />
gesiegt. Der Frontvorsprung von Demj<strong>an</strong>sk<br />
ist beseitigt. Doch gewinnt die Rote Armee<br />
damit nur 1.000 km² von Bomben und Gr<strong>an</strong>aten<br />
zerpflügtes L<strong>an</strong>d, in dem fast alle<br />
Ortschaften dem Erdboden gleich gemacht<br />
worden sind.<br />
Dr. phil. habil. Christi<strong>an</strong> Th. Müller, Historiker, Arbeitsschwerpunkt:<br />
Militärgeschichte des 19. und 20.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts, seit 2010 Privatdozent am Historischen<br />
Institut <strong>der</strong> Universität Potsdam.<br />
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E-Mail: redaktion@figuren-magazin.de – Internet: www.figuren-magazin.de
Schlachten <strong>der</strong> Weltgeschichte<br />
Falkl<strong>an</strong>dkrieg 1982<br />
Großbrit<strong>an</strong>nien<br />
schlägt zurück<br />
2. April 1982: Argentinische Truppen<br />
l<strong>an</strong>den auf dem britischen Überseegebiet<br />
<strong>der</strong> Falkl<strong>an</strong>dinseln im Südatl<strong>an</strong>tik.<br />
Der militärische H<strong>an</strong>dstreich<br />
lässt einen l<strong>an</strong>ge schwelenden Konflikt<br />
eskalieren, denn die britische<br />
Großmacht sieht nicht tatenlos zu...<br />
Von Lukas Grawe<br />
40
FAKTEN<br />
Ziel<br />
Einsatzverbände<br />
Großbrit<strong>an</strong>nien<br />
Rückeroberung <strong>der</strong> Falkl<strong>an</strong>dinseln,<br />
Aufrechterhaltung des Herrschafts<strong>an</strong>spruchs,<br />
Erhalt des Empire<br />
Royal Air Force, Royal Navy, Royal Marines,<br />
Airborne Inf<strong>an</strong>try (Paras),<br />
nepalesische Gurkhas,<br />
Einheiten des Special Air Service (SAS)<br />
Truppenstärke 28.000 Soldaten, davon 10.000<br />
Elitesoldaten, 44 Kriegs- und<br />
45 zivile Schiffe (darunter 2 Flugzeugträger)<br />
Verluste<br />
Oberbefehl<br />
258 Tote und 777 Verwundete,<br />
4 Kriegs- und 3 L<strong>an</strong>dungsschiffe,<br />
10 Kampfflugzeuge und 25 Hubschrauber<br />
Comm<strong>an</strong><strong>der</strong>-in-Chief <strong>der</strong> Flotte:<br />
Admiral Sir John Fieldhouse, Komm<strong>an</strong>deur<br />
<strong>der</strong> Kriegsflotte: Konteradmiral John Forster<br />
„S<strong>an</strong>dy“ Woodward, Komm<strong>an</strong>deur <strong>der</strong> L<strong>an</strong>dungstruppen:Major-General<br />
Jeremy Moore<br />
Argentinien<br />
„Befreiung“ <strong>der</strong> Falkl<strong>an</strong>dinseln, Einglie<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Inseln in das argentinische Staatsgebiet,<br />
Prestigeerfolg für die Militärjunta<br />
Luftwaffe (Fuerza Aérea Argentina), Marine<br />
(Armada de la República Argentina), Heeresund<br />
Marineinf<strong>an</strong>terie, 900 Komm<strong>an</strong>doeinheiten,<br />
eine P<strong>an</strong>zeraufklärungsabteilung<br />
900 Soldaten (2. April), später ca. 14.000<br />
Soldaten, 9 Kriegsschiffe und mehrere zivile<br />
Versorgungsschiffe<br />
712 Tote und 1.060 Verwundete,<br />
ca. 14.800 Gef<strong>an</strong>gene, 1 Kriegsschiff und<br />
7 Nachschubschiffe, 1 U-Boot, 75 Flugzeuge<br />
und 30 Hubschrauber<br />
Komm<strong>an</strong>deur <strong>der</strong> Flotte: Admiral Jorge Anaya,<br />
Komm<strong>an</strong>deur <strong>der</strong> Bodentruppen:<br />
Brigadegeneral Mario Menéndez (ab 7. April),<br />
Komm<strong>an</strong>deur <strong>der</strong> Luftwaffe: Brigadegeneral<br />
Basilio Lami Dozo<br />
Kriegskosten 2 Mrd. Pfund 800 Mio. Dollar<br />
In den frühen Morgenstunden des 2.<br />
April 1982 l<strong>an</strong>den 900 argentinische<br />
Komm<strong>an</strong>doeinheiten bei Port Henriette<br />
und Mullett Creek auf Ost-Falkl<strong>an</strong>d, stürmen<br />
die leere britische Kaserne bei Moody<br />
Brook und dringen in Port St<strong>an</strong>ley ein. Das<br />
13.000 Kilometer von London entfernte britische<br />
Überseegebiet gilt als entlegener Außenposten<br />
und wird lediglich von 104 Soldaten<br />
beschützt. Diese können dem argentinischen<br />
H<strong>an</strong>dstreich nur einige Stunden<br />
Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d leisten und müssen noch am selben<br />
Tag kapitulieren. Einen Tag später erobern<br />
argentinische Truppen auch die 1.300<br />
Kilometer weiter östlich gelegene britische<br />
Insel Süd-Georgien. Damit ist erstmals seit<br />
dem Zweiten Weltkrieg ein Territorium, das<br />
britischer Souveränität untersteht, von fremden<br />
Truppen besetzt.<br />
EROBERT: Stolz hissen britische Soldaten die<br />
Flagge Großbrit<strong>an</strong>niens als Zeichen des Sieges<br />
über die Argentinier. Foto: ullstein bild - dpa<br />
Entsetzen in London<br />
Die beinahe unblutig verlaufene Besetzung<br />
löst in Buenos Aires großen Jubel aus. Die<br />
Bevölkerung schart sich hinter die Militärregierung<br />
um Leopoldo Galtieri, <strong>der</strong> auf einen<br />
<strong>der</strong>artigen Prestigeerfolg zur Sicherung<br />
seiner Herrschaft <strong>an</strong>gewiesen ist. Dagegen<br />
herrscht in London Bestürzung und<br />
Zorn über den argentinischen Coup, <strong>der</strong><br />
den l<strong>an</strong>ge schwelenden Konflikt nun eskalieren<br />
lässt.<br />
Die konservative Regierung unter Premierministerin<br />
Margaret Thatcher ist entschlossen,<br />
die Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>an</strong>zunehmen<br />
und britisches Gebiet nicht kampflos<br />
Clausewitz 1/2013 41
Schlachten <strong>der</strong> Weltgeschichte | Falkl<strong>an</strong>d<br />
aufzugeben. Dabei erweist sich die Entfernung<br />
zu den Falkl<strong>an</strong>dinseln als großes Hin<strong>der</strong>nis.<br />
Ist es Großbrit<strong>an</strong>nien möglich, eine<br />
Armee über eine Strecke von weit mehr als<br />
10.000 Kilometern zu tr<strong>an</strong>sportieren und zu<br />
versorgen?<br />
Entsendung <strong>der</strong> „task force“<br />
An<strong>der</strong>s als von <strong>der</strong> argentinischen Führung<br />
erwartet, reagiert die britische Regierung sofort<br />
und umfassend. Unter großem logistischem<br />
und fin<strong>an</strong>ziellem Aufw<strong>an</strong>d bereitet<br />
sie die Entsendung einer Armada vor, welche<br />
die Falkl<strong>an</strong>dinseln zurückerobern soll. Bereits<br />
am 3. April laufen die ersten Schiffe aus,<br />
KARTE<br />
am 9. April umfasst die für den Südatl<strong>an</strong>tik<br />
vorgesehene britische Flotte 44 Kriegs- und<br />
45 zivile Schiffe mit insgesamt 28.000 Soldaten,<br />
darunter 10.000 aus Eliteeinheiten.<br />
Den Befehl über das Unternehmen erhält<br />
Konteradmiral John Forster „S<strong>an</strong>dy“<br />
Woodward. Das Problem <strong>der</strong> großen Dist<strong>an</strong>z<br />
löst <strong>der</strong> Flottenverb<strong>an</strong>d mit Hilfe <strong>der</strong><br />
britischen Atl<strong>an</strong>tikinsel Ascension, die auf<br />
halbem Weg zwischen London und Port<br />
St<strong>an</strong>ley als Stützpunkt dient.<br />
Die argentinische Militärjunta hat auf eine<br />
nachgiebige Haltung <strong>der</strong> britischen Regierung<br />
gehofft und muss sich nun die unerwartete<br />
Entschlossenheit Thatchers ein-<br />
Der Kampf um die Falkl<strong>an</strong>dinseln 1982<br />
gestehen. Die Zahl <strong>der</strong> argentinischen<br />
Truppen auf den Falkl<strong>an</strong>dinseln wird daher<br />
auf 14.000 M<strong>an</strong>n erhöht. Bei den Soldaten<br />
h<strong>an</strong>delt es sich allerdings hauptsächlich um<br />
18- bis 20-jährige Rekruten, die die rauen<br />
klimatischen Bedingungen auf den „Islas<br />
Malvinas“ nicht gewöhnt sind.<br />
Den Oberbefehl über die argentinischen<br />
Truppen übernimmt Brigadegeneral Mario<br />
Menéndez. Auch schweres Gerät wie Artillerie<br />
und Schützenp<strong>an</strong>zer werden auf die<br />
Falkl<strong>an</strong>dinseln verlegt. Diese sind seit dem<br />
12. April nur noch aus <strong>der</strong> Luft erreichbar,<br />
da Großbrit<strong>an</strong>nien eine militärische Sperrzone<br />
um die Inseln proklamiert hat.<br />
„The Empire strikes back“<br />
Unter Führung <strong>der</strong> USA und <strong>der</strong> Vereinten<br />
Nationen beginnen die Vermittlungsbemühungen<br />
um eine friedliche Beilegung des<br />
Konflikts, die <strong>an</strong> den unterschiedlichen<br />
Vorstellungen <strong>der</strong> beiden Konfliktparteien<br />
scheitern.<br />
Keine Seite ist zu großen Zugeständnissen<br />
bereit, zumal <strong>der</strong> britische Flottenverb<strong>an</strong>d<br />
bereits am 25. April die Falkl<strong>an</strong>dinseln<br />
erreicht. Noch am selben Tag gelingt<br />
britischen Spezialeinheiten nach <strong>an</strong>fänglichen<br />
wetterbedingten Rückschlägen die<br />
Rückeroberung von Süd-Georgien.<br />
Die nahezu kampflose Einnahme <strong>der</strong> Insel<br />
ist vor allem ein psychologischer Erfolg<br />
für Großbrit<strong>an</strong>nien und ein schwerer<br />
Schlag für die Militärjunta in Buenos Aires.<br />
Die britischen Komm<strong>an</strong>dos machen 137<br />
Gef<strong>an</strong>gene, erbeuten Ausrüstung des Gegners<br />
und demonstrieren ihre Kampfbereitschaft.<br />
In Großbrit<strong>an</strong>nien hofft m<strong>an</strong> nun auf<br />
ein Einlenken <strong>der</strong> Argentinier, doch die Militärjunta<br />
lehnt eine Kompromisslösung ab.<br />
EROBERT: Britische Soldaten führen Angehörige<br />
<strong>der</strong> argentinischen Armee durch Port<br />
St<strong>an</strong>ley, das kurz zuvor eingenommen wurde.<br />
Foto: ullstein bild - AP<br />
KGS Kartographie und Grafik Schlaich<br />
42
Heftige Kämpfe<br />
VERSENKT: Der argentinische Kreuzer ARA<br />
„General Belgr<strong>an</strong>o“ sinkt nach Torpedotreffern<br />
des britischen Atom-U-Bootes HMS „Conqueror“,<br />
im Vor<strong>der</strong>grund sind Rettungsschlauchboote<br />
zu erkennen.<br />
Foto: ullstein bild - AP<br />
nien und zur Verhärtung <strong>der</strong> Fronten. Die<br />
Versenkung des Kreuzers sichert <strong>der</strong> Royal<br />
Navy zwar die Seeherrschaft, da die argentinische<br />
Marine fort<strong>an</strong> keine großen Wagnisse<br />
mehr eingeht. Doch zwei Tage später<br />
müssen auch die Briten einen herben Verlust<br />
auf See hinnehmen. Einem argentinischen<br />
Marinebomber gelingt die Versenkung<br />
<strong>der</strong> HMS „Sheffield“ mit Hilfe einer<br />
Anti-Schiff-Rakete. Zwar k<strong>an</strong>n die Royal<br />
Navy einen Teil <strong>der</strong> Besatzung retten, doch<br />
finden 20 britische Matrosen während des<br />
Angriffs den Tod.<br />
Der oberste Elitesoldat ihrer Majestät:<br />
Jeremy Moore<br />
Jeremy Moore kommt 1928 in einer traditionsreichen<br />
Militärfamilie zur Welt. Bereits<br />
mit 19 Jahren tritt er den Royal Marines bei<br />
und bleibt für 36 Jahre dem Korps treu. Als<br />
Mitglied eines Elitekomm<strong>an</strong>dos nimmt er<br />
<strong>an</strong> Einsätzen in Malaysia, Indonesien,<br />
Zypern und Nordirl<strong>an</strong>d teil. Ab 1954 lehrt<br />
er zudem als Ausbil<strong>der</strong> <strong>an</strong> mehreren<br />
Offiziersschulen, darunter auch <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />
britischen Militärakademie in S<strong>an</strong>dhurst.<br />
Mit <strong>der</strong> Operation „Black Buck“ läuten<br />
britische Bomber am 1. Mai die Rückeroberung<br />
<strong>der</strong> Falkl<strong>an</strong>dinseln ein. Von den Flugzeugträgern<br />
HMS „Hermes“ und HMS „Invincible“<br />
gestartete „Sea Harrier“-Senkrechtstarter<br />
und von <strong>der</strong> Insel Ascension<br />
aus operierende „Vulc<strong>an</strong>“-Bomber greifen<br />
die L<strong>an</strong>debahn des Flughafens von Port<br />
St<strong>an</strong>ley <strong>an</strong>.<br />
Dabei überwinden die „Vulc<strong>an</strong>“-Bomber<br />
eine Entfernung von 6.000 Kilometern.<br />
Dies ist nur durch mehrmaliges Auft<strong>an</strong>ken<br />
in <strong>der</strong> Luft möglich. Trotz des großen Propag<strong>an</strong>daerfolges<br />
wird das eigentliche Ziel,<br />
die Zerstörung <strong>der</strong> Startbahn, nicht erreicht,<br />
so dass die Ausg<strong>an</strong>gsbasis <strong>der</strong> argentinischen<br />
Luftwaffe erhalten bleibt. Am<br />
selben Tag kommt es zu ersten Luftkämpfen<br />
zwischen argentinischen „Skyhawk“-<br />
Jagdbombern und „Mirage“-Jägern und<br />
den britischen „Sea Harrier“, die den Flottenverb<strong>an</strong>d<br />
schützen sollen. Den britischen<br />
Marinefliegern gelingt dabei die Abschirmung<br />
<strong>der</strong> verwundbaren Kriegsschiffe gegen<br />
Angriffe aus <strong>der</strong> Luft.<br />
Aufgrund seiner großen Erfahrung wird er<br />
1979 zum Befehlshaber <strong>der</strong> gesamten<br />
Royal Marines ern<strong>an</strong>nt. An den britischen<br />
Pl<strong>an</strong>ungen zur Rückeroberung <strong>der</strong> Falkl<strong>an</strong>dinseln<br />
ist Moore als Mitglied des Pl<strong>an</strong>ungsstabs<br />
selbst beteiligt. Die von ihm mit<br />
entworfenen Pläne setzt Moore <strong>an</strong>schließend<br />
selbst im Südatl<strong>an</strong>tik um. Nach dem<br />
Krieg wird Moore auf eigenen Wunsch<br />
pensioniert. Hochdekoriert stirbt er 2007.<br />
Der Konflikt erreicht am 2. Mai seinen vorläufigen<br />
Höhepunkt. Als das britische<br />
Atom-U-Boot „Conqueror“ den Kreuzer<br />
„General Belgr<strong>an</strong>o“ torpediert sterben<br />
mehr als 360 argentinische Matrosen.<br />
Die hohen Verluste führen zu einem internationalen<br />
Aufschrei gegen Großbrit<strong>an</strong>-<br />
Der selbstern<strong>an</strong>nte Militärgouverneur:<br />
Mario Menéndez<br />
Der 1930 geborene Menéndez beginnt<br />
seine militärische Laufbahn als Kadett <strong>an</strong><br />
<strong>der</strong> staatlichen Militärakademie und steigt<br />
unter <strong>der</strong> argentinischen Militärjunta rasch<br />
auf.<br />
1981 ist er <strong>an</strong> <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlagung <strong>der</strong><br />
separatistischen marxistischen Revolutionären<br />
Volksarmee beteiligt und wird 1982<br />
zum General ern<strong>an</strong>nt. Fort<strong>an</strong> fungiert er als<br />
Berater <strong>der</strong> Junta in militärischen und<br />
außenpolitischen Fragen. Direkt nach<br />
seiner Ankunft auf den Falkl<strong>an</strong>dinseln<br />
ernennt sich Menéndez am 7. April 1982<br />
Einsatz <strong>der</strong> SAS<br />
Die Zurückhaltung <strong>der</strong> argentinischen Marine<br />
nutzt die Royal Navy in <strong>der</strong> Nacht vom<br />
10. auf den 11. Mai zur Einfahrt in den Falkl<strong>an</strong>d-Sund,<br />
<strong>der</strong> West- von Ost-Falkl<strong>an</strong>d<br />
trennt und <strong>der</strong> von den argentinischen Verteidigern<br />
nicht vermint worden ist. Auf diese<br />
Weise werden die argentinischen Streitkräfte<br />
auf den beiden Inseln vonein<strong>an</strong><strong>der</strong><br />
getrennt und eine Zusammenarbeit zwischen<br />
beiden Heeresteilen unmöglich gemacht.<br />
Zudem gelingt einem britischen<br />
Komm<strong>an</strong>dounternehmen <strong>der</strong> Eliteeinheit<br />
„Special Air Service“ (SAS) am 15. Mai die<br />
Zerstörung von elf argentinischen Flugzeugen<br />
und einem Munitionslager auf West-<br />
Falkl<strong>an</strong>d. Die immerhin 1.000 argentinischen<br />
Soldaten, die auf <strong>der</strong> westlichen Insel<br />
stationiert sind, spielen dadurch in den folgenden<br />
Kämpfen keine Rolle mehr.<br />
Nur wenige Tage später scheitert ein<br />
weiteres britisches Komm<strong>an</strong>dounternehmen,<br />
das den Hauptstützpunkt <strong>der</strong> argentinischen<br />
Luftwaffe in <strong>der</strong> Provinz Feuerl<strong>an</strong>d<br />
auf dem argentinischen Festl<strong>an</strong>d <strong>an</strong>greifen<br />
sollte.<br />
Unter dem Decknamen „Operation Palpas“<br />
beginnt am 21. Mai die eigentliche<br />
L<strong>an</strong>dung <strong>der</strong> britischen Truppen auf Ost-<br />
Falkl<strong>an</strong>d in <strong>der</strong> 80 Kilometer westlich von<br />
selbst zum Militärgouverneur, zwei Wochen<br />
später zum Komm<strong>an</strong>deur aller Truppen. Er<br />
pl<strong>an</strong>t einen Abnutzungskrieg gegen die<br />
Briten, was ihm nach dem verlorenen Krieg<br />
als taktischer Fehler vorgeworfen wird.<br />
Während des Konfliktes weist er seine<br />
Truppen trotz gegenteiliger Befehle aus<br />
Buenos Aires stets zur Defensive <strong>an</strong>, da er<br />
den jungen Wehrpflichtigen keine großen<br />
Leistungen zutraut. Nach <strong>der</strong> Kapitulation<br />
wird Menéndez für die Nie<strong>der</strong>lage ver<strong>an</strong>twortlich<br />
gemacht, er verliert sämtliche<br />
Ämter und wird kurzzeitig sogar inhaftiert.<br />
Clausewitz 1/2013<br />
43
Schlachten <strong>der</strong> Weltgeschichte | Falkl<strong>an</strong>d<br />
ÜBERBLEIBSEL: Nach <strong>der</strong> Kapitulation<br />
von Goose Green ließen<br />
die argentinischen Soldaten ihre<br />
Helme auf einer Wiese zurück.<br />
Foto: ullstein bild - dpa<br />
„Auf <strong>der</strong> einen Seite ein Berufsheer mit einer<br />
überlegenen Ausrüstung […]. Auf <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en Seite<br />
Wehrpflichtige im Alter von 18-20 Jahren,<br />
mit zum Teil nur zweimonatiger Ausbildung […].“<br />
Jürg Meister: Der Krieg um die Falkl<strong>an</strong>d-Inseln 1982, Osnabrück 1984, S. 208.<br />
Port St<strong>an</strong>ley gelegenen S<strong>an</strong>-Carlos-Bucht.<br />
Die britische Regierung ist nunmehr entschlossen,<br />
den Falkl<strong>an</strong>dkonflikt militärisch<br />
zu lösen, eher <strong>der</strong> nahende Winter die Moral<br />
<strong>der</strong> Soldaten untergräbt. Unter <strong>der</strong> Führung<br />
von Generalmajor Jeremy Moore betreten<br />
4.500 britische Eliteeinheiten – neben<br />
Royal Marines, Fallschirmjägern (Paras)<br />
und Gardetruppen auch nepalesische<br />
Gurkhas und SAS-Angehörige – <strong>an</strong> vier<br />
verschiedenen Abschnitten die Insel und<br />
treffen dabei nur auf geringen Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d.<br />
Die argentinischen Truppen ziehen sich ins<br />
Inselinnere zurück, verzichten auf energische<br />
Gegen<strong>an</strong>griffe und ermöglichen den<br />
Briten die Bildung eines Brückenkopfs.<br />
Mit Hilfe von L<strong>an</strong>dungsbooten und<br />
Hubschraubern bringen sie auch schweres<br />
Gerät wie Schützenp<strong>an</strong>zer und Artillerie <strong>an</strong><br />
L<strong>an</strong>d. Obwohl die Operation militärisch betrachtet<br />
fehlerlos verläuft, sterben<br />
auf britischer Seite dennoch 21<br />
Menschen bei Tr<strong>an</strong>sport- und<br />
Hubschrauberunfällen.<br />
Die argentinischen Gegenmaßnahmen<br />
beschränken sich in den folgenden Tagen<br />
auf Angriffe <strong>der</strong> Luftwaffe auf die L<strong>an</strong>dungsschiffe.<br />
Argentinischen „Skyhawk“-<br />
Bombern gelingt die Zerstörung <strong>der</strong> britischen<br />
Fregatte HMS „Ardent“, wobei 22<br />
Menschen getötet werden. Eine nicht explodierte<br />
Bombe auf <strong>der</strong> HMS „Antelope“ detoniert<br />
beim Versuch, sie zu entschärfen.<br />
Das Schiff sinkt.<br />
Britischer Vormarsch<br />
Der Zerstörer HMS „Coventry“ erhält drei<br />
Volltreffer und sinkt innerhalb von kurzer<br />
Zeit, so dass 19 Matrosen sterben. Trotz <strong>der</strong><br />
Verluste <strong>an</strong> Menschen und Material glückt<br />
den Briten die vollständige Ausschiffung<br />
<strong>der</strong> kriegswichtigen Ausrüstung. Zudem<br />
gelingt den britischen „Sea Harrier“ in den<br />
folgenden Luftkämpfen die beinahe vollständige<br />
Vernichtung <strong>der</strong> <strong>an</strong>greifenden argentinischen<br />
Flugzeuge. Der Ausbruch aus<br />
dem Brückenkopf beginnt am 27. April. Das<br />
sumpfige Terrain und <strong>der</strong> M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> befes-<br />
IM GEDENKEN: Denkmal zur<br />
Erinnerung <strong>an</strong> die argentinischen<br />
Gefallenen im Hafen von Comodoro<br />
Rivadavia (Patagonien).<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/dpa<br />
tigten Straßen machen schnelle Truppenverschiebungen<br />
unmöglich, so dass die britischen<br />
Soldaten zu Fuß marschieren müssen.<br />
Das 2. britische Fallschirmjägerbataillon<br />
erobert Camilla Creek House, das den<br />
Ausg<strong>an</strong>gspunkt für weitere Operationen<br />
im Südwesten Ost-Falkl<strong>an</strong>ds bildet. Die argentinischen<br />
Truppen leisten auch hier nur<br />
hinhaltenden Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d und ziehen sich<br />
zurück. Einen Tag später beginnt <strong>der</strong><br />
Haupt<strong>an</strong>griff auf Darwin und Goose Green,<br />
das den Weg nach Lafonia, den südlichen<br />
Teil Ost-Falkl<strong>an</strong>ds, blockiert. Während die<br />
Einnahme Darwins problemlos verläuft,<br />
entbrennt um Goose Green ein harter und<br />
erbitterter Kampf.<br />
650 britische Paras müssen deckungsloses<br />
Gelände überqueren und rennen gegen<br />
die Feldbefestigungen <strong>der</strong> argentinischen<br />
Truppen <strong>an</strong>. Diese sind mehr als doppelt so<br />
zahlreich wie die britischen Soldaten. Doch<br />
die jungen und unerfahrenen Rekruten erweisen<br />
sich gegenüber den gut ausgebildeten<br />
britischen Eliteeinheiten als unterlegen.<br />
Die in 100-M<strong>an</strong>n-Gruppen vorgehenden<br />
Paras sind zudem <strong>an</strong> das kalte, windige<br />
und regenreiche Klima <strong>der</strong> Falkl<strong>an</strong>dinseln<br />
gewöhnt, während es bei den argentinischen<br />
Truppen vermehrt zu kr<strong>an</strong>kheitsbedingten<br />
Ausfällen kommt.<br />
Heftiger Kampf um Goose Green<br />
Am Abend des 28. Mai sind die argentinischen<br />
Verteidiger in Goose Green eingeschlossen.<br />
Mit Hilfe <strong>der</strong> Artillerie, umfassen<strong>der</strong><br />
Luftunterstützung und dem Bombardement<br />
<strong>der</strong> Schiffsartillerie gelingt den<br />
Briten am 29. Mai nach über 40 Stunden die
Britischer Zerstörer sinkt<br />
ENTWAFFNET: Ein britischer Fallschirmjäger<br />
mit einem gef<strong>an</strong>gen genommenen argentinischen<br />
Soldaten nach <strong>der</strong> L<strong>an</strong>dungsoperation<br />
britischer Einheiten in <strong>der</strong> S<strong>an</strong>-Carlos-Bucht<br />
am 21. Mai 1982.<br />
Foto: ullstein bild - AP<br />
Eroberung des Ortes. 1.200 argentinische<br />
Soldaten ergeben sich den völlig erschöpften<br />
britischen Fallschirmjägern. Zudem<br />
fällt eine große Menge Ausrüstung in britische<br />
Hände. Die Eroberung des nur 70 Einwohner<br />
zählenden Ortes kostet die Briten<br />
17 Tote und 31 Verletzte. Die Argentinier<br />
haben 50 Tote und über 100 Verletzte zu beklagen.<br />
Nach <strong>der</strong> Erstürmung von Goose Green<br />
dringen Royal Marines von S<strong>an</strong> Carlos aus<br />
entl<strong>an</strong>g <strong>der</strong> Nordküste vor und besetzen<br />
die Orte Douglas und Teal Inlet, ohne auf<br />
nennenswerten Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d zu stoßen. Die<br />
argentinischen Verteidiger beschränken ihre<br />
Operationen mittlerweile beinahe vollständig<br />
auf die Sicherung von Port St<strong>an</strong>ley.<br />
Der bisherige Verlauf <strong>der</strong> Kämpfe verdeutlicht<br />
den britischen Truppen die nachlassende<br />
Kampfmoral <strong>der</strong> argentinischen Soldaten,<br />
die sich zu Beginn des Konflikts<br />
HINTERGRUND<br />
UNTERLEGEN: Der argentinische Militärgouverneur<br />
<strong>der</strong> Falkl<strong>an</strong>dinseln, Mario Menéndez<br />
(li.), im Gespräch mit Marinekomm<strong>an</strong>deur<br />
Konteradmiral Carlos Büsser auf dem Flughafen<br />
von Port St<strong>an</strong>ley. Foto: ullstein bild - AP<br />
noch als „Befreier“ <strong>der</strong> „Malvinas“ sahen.<br />
Für die Freiheit <strong>der</strong> Inseln zu sterben sind<br />
sie jedoch nicht bereit. Am 31. Mai besetzen<br />
die Briten den Mount Kent, eine dominierende<br />
Erhebung etwa 16 Kilometer westlich<br />
des Hauptortes. Damit ist Anf<strong>an</strong>g Juni<br />
<strong>der</strong> Weg für die britischen Truppen zur Eroberung<br />
von Port St<strong>an</strong>ley frei.<br />
Schlacht um Port St<strong>an</strong>ley<br />
Um den Ring um den Hauptort auch im Süden<br />
Ost-Falkl<strong>an</strong>ds zu schließen, besetzen<br />
britische Truppen innerhalb von kurzer<br />
Zeit Fitzroy und Bluff Cove. Mittlerweile<br />
befinden sich acht britische Inf<strong>an</strong>teriebataillone<br />
mit fünf Artilleriebatterien auf <strong>der</strong><br />
Insel. Dennoch ist die Eroberung von Port<br />
St<strong>an</strong>ley kein leichtes Unternehmen, da Menéndez<br />
dort den Hauptteil <strong>der</strong> argentinischen<br />
Streitkräfte, etwa 8.000 M<strong>an</strong>n, zusammengezogen<br />
hat.<br />
Zur Geschichte <strong>der</strong> Falkl<strong>an</strong>dinseln<br />
Die ursprünglich unbewohnten, über 200 große<br />
und kleine Inseln umfassenden Falkl<strong>an</strong>dinseln<br />
(sp<strong>an</strong>isch: Islas Malvinas) werden<br />
1690 von dem englischen Seefahrer John<br />
Strong das erste Mal betreten. 70 Jahre später<br />
kommt es zur ersten Besiedlung durch<br />
Fr<strong>an</strong>zosen und Briten. 1769 treten die Fr<strong>an</strong>zosen<br />
alle Ansprüche <strong>an</strong> Sp<strong>an</strong>ien ab, das die<br />
bisherigen Rechte Großbrit<strong>an</strong>niens gar<strong>an</strong>tiert.<br />
Als sich Argentinien 1816 für unabhängig<br />
erklärt, betrachtet es sich als legitimen<br />
Nachfolger <strong>der</strong> sp<strong>an</strong>ischen Ansprüche.<br />
Dies sorgt von Beginn <strong>an</strong> für Konflikte mit<br />
den Briten, die sich 1833 fest auf den Falkl<strong>an</strong>dinseln<br />
etablieren und sie 1892 in den<br />
Status einer Kronkolonie erheben.<br />
Vor allem während <strong>der</strong> beiden Weltkriege<br />
fungiert die 13.000 Kilometer von London<br />
entfernte Inselgruppe als strategisch wichtiger<br />
Seestützpunkt.<br />
Argentinien erhebt auch im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
Anspruch auf die nur 400 Kilometer<br />
von Feuerl<strong>an</strong>d gelegenen Inseln. In den Jahren<br />
vor Ausbruch des Falkl<strong>an</strong>dkrieges<br />
kommt es daher mehrmals zu diplomatischen<br />
Verh<strong>an</strong>dlungen zwischen Großbrit<strong>an</strong>nien<br />
und Argentinien, aber auch zu mehreren<br />
Zwischenfällen.<br />
Britische L<strong>an</strong>dungsschiffe versuchen daher<br />
am 8. Juni eine weitere Truppenl<strong>an</strong>dung bei<br />
Bluff Cove und werden dabei von <strong>der</strong> argentinischen<br />
Luftwaffe überrascht. Noch<br />
bevor die britischen Soldaten <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d gehen<br />
können, werden die Schiffe „Sir Tristram“<br />
und „Sir Galahad“ schwer getroffen.<br />
Dabei sterben 49 britische Soldaten. Ein<br />
letztes Mal beweist die argentinische Luftwaffe<br />
ihre Gefährlichkeit, doch än<strong>der</strong>t dieser<br />
Erfolg nichts <strong>an</strong> <strong>der</strong> für Argentinien kritischen<br />
Gesamtsituation.<br />
Nur wenige Tage nach dem Desaster<br />
von Bluff Cove erobern britische Paras und<br />
Marines am 11. und 12. Juni die strategisch<br />
wichtigen Erhebungen Mount Longdon,<br />
Mount Harriet und Two Sisters wenige Kilometer<br />
vor Port St<strong>an</strong>ley, wobei sie 400 argentinische<br />
Soldaten gef<strong>an</strong>gen nehmen.<br />
Während die Angreifer 23 M<strong>an</strong>n verlieren,<br />
sind die argentinischen Verluste beinahe<br />
doppelt so hoch.<br />
Der britische Schluss<strong>an</strong>griff auf Port<br />
St<strong>an</strong>ley erfolgt am 13. Juni erneut in <strong>der</strong><br />
Nacht aus drei verschiedenen Richtungen.<br />
Unterstützt wird das Vorgehen <strong>der</strong> Truppen<br />
von umfassendem Artillerie- und<br />
Schiffsbombardement, das seine Wirkung<br />
insgesamt jedoch verfehlt, da nicht alle argentinischen<br />
Stellungen zerstört werden.<br />
Vor dem Mount Tumbledown kommt es zu<br />
heftigen Kämpfen, die teilweise sogar mit<br />
dem Bajonett ausgetragen werden. Eine<br />
zeitgleich stattfindende L<strong>an</strong>dung einer britischen<br />
Komm<strong>an</strong>doeinheit im Hafenbereich<br />
Port St<strong>an</strong>leys wird von den Argentiniern<br />
abgewehrt.<br />
Argentinien kapituliert<br />
Die Angreifer ziehen den Ring um Port<br />
St<strong>an</strong>ley immer enger. 30 britische Geschütze<br />
verschießen innerhalb von wenigen<br />
Stunden 15.000, die Schiffsgeschütze 5.000<br />
Gr<strong>an</strong>aten. Einzelne Truppen dringen am<br />
14. Juni in die R<strong>an</strong>dbezirke <strong>der</strong> Stadt ein.<br />
Daraufhin trifft <strong>der</strong> argentinische Militärgouverneur<br />
Mario Menéndez am Nachmittag<br />
desselben Tages mit dem britischen<br />
Oberbefehlshaber Jeremy Moore zusammen,<br />
um die Kapitulationsurkunde zu<br />
unterzeichnen. Zeitgleich mit Port St<strong>an</strong>ley<br />
kapitulieren auch die restlichen argentinischen<br />
Truppen auf Lafonia und West-Falkl<strong>an</strong>d.<br />
Die politischen Folgen des Konflikts zeigen<br />
sich sofort. Nur drei Tage nach <strong>der</strong> Kapitulation<br />
von Port St<strong>an</strong>ley tritt die argentinische<br />
Militärjunta zurück und macht den<br />
Weg frei für ein demokratisches System.<br />
Lukas Grawe, M.A., Jg. 1985, Historiker aus Münster.<br />
Clausewitz 1/2013<br />
45
Meinung<br />
Die Zukunft<br />
Eine Interpretation <strong>der</strong> Fakten<br />
Von Herfried Münkler<br />
Wer sich auf ein so risk<strong>an</strong>tes Vorhaben<br />
wie Prognosen über die zukünftige<br />
Entwicklung von Politik und Gesellschaft<br />
einlässt, ist gut beraten, sich zunächst<br />
mit den Fehlschlägen früherer Prognosen zu<br />
beschäftigen und jene Texte zu studieren, <strong>der</strong>en<br />
Zukunft inzwischen Gegenwart o<strong>der</strong> bereits<br />
Verg<strong>an</strong>genheit geworden ist. So haben<br />
sich in dem von Arthur Brehmer im Jahre<br />
1910 herausgegebenen B<strong>an</strong>d „Die Welt in<br />
100 Jahren“ auch einige Autoren mit <strong>der</strong> Zukunft<br />
des Krieges beschäftigt bzw. die<br />
Schlachten <strong>der</strong> Zukunft beschrieben. Nicht<br />
in allem haben sie dabei falsch gelegen, aber<br />
im Hinblick auf den vier Jahre später beginnenden<br />
Ersten Weltkrieg lagen sie politisch<br />
wie militärtechnisch ziemlich d<strong>an</strong>eben: Einer<br />
ging für den Krieg <strong>der</strong> Zukunft von einer<br />
europäischen Koalition aus, die gegen<br />
die Mächte Ostasien, China und Jap<strong>an</strong>,<br />
kämpfen werde, und ein <strong>an</strong><strong>der</strong>er maß den<br />
deutschen Luftschiffen eine kriegsentscheidende<br />
Rolle zu, bei <strong>der</strong> sie britische Schlachtschiffe<br />
attackierten und dazu zw<strong>an</strong>gen, die<br />
Flagge zu streichen. Dem technischen<br />
Fortschritt wurde die Rolle zugedacht, die<br />
Blutbä<strong>der</strong> herkömmlicher Schlachten als<br />
„Auskunftsmittel“ (Clausewitz) über die<br />
physische und psychische Stärke <strong>der</strong> konfligierenden<br />
Parteien überflüssig zu machen<br />
und durch den Abgleich <strong>der</strong> waffentechnischen<br />
Möglichkeiten zu ersetzen. Sobald<br />
eindeutig war, welche Seite hier überlegen<br />
war, war die Sache entschieden.<br />
Bek<strong>an</strong>ntlich ist <strong>der</strong> Kriegsverlauf we<strong>der</strong><br />
im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg diesem<br />
Modell gefolgt, und auch die kleinen<br />
Kriege zwischen 1945 und 1989/90, viele<br />
davon Stellvertreterkriege im Rahmen <strong>der</strong><br />
Blockkonfrontation, haben keineswegs die<br />
waffentechnisch überlegene Seite immer<br />
als Sieger gesehen. Im Gegenteil: Zumeist<br />
hat die strategische und taktische Kreativität<br />
<strong>der</strong> waffentechnisch unterlegenen Seite<br />
dazu geführt, dass <strong>der</strong> „Schwache“ den<br />
„Starken“ vor immer neue und größere<br />
Probleme gestellt hat, so dass <strong>der</strong> „Starke“,<br />
wenn auch militärisch ungeschlagen, irgendw<strong>an</strong>n<br />
ermattet war und in seinem politischen<br />
Willen resignierte. Die Prognostiker,<br />
die auf die überlegene Militärtechnologie<br />
als kriegsentscheidenden Faktor<br />
setzten, unterschätzten nicht nur die Kreativität<br />
<strong>der</strong> Schwachen, son<strong>der</strong>n auch die Bedeutung<br />
<strong>der</strong> Ermattungsstrategie. Im Anschluss<br />
<strong>an</strong> Überlegungen von Clausewitz<br />
hat <strong>der</strong> Berliner Militärhistoriker H<strong>an</strong>s Delbrück<br />
um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
das Konzept <strong>der</strong> Ermattung als Alternative<br />
zu dem <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>werfung entwickelt<br />
und dabei die Bedeutung <strong>der</strong><br />
hinhaltenden Defensive neben <strong>der</strong> auf eine<br />
schnelle <strong>Entscheidung</strong> <strong>an</strong>gelegten Offensive<br />
herausgearbeitet.<br />
Liest m<strong>an</strong> die Prognosen zahlreicher<br />
Kriegstheoretiker aus den letzten zwei Jahrzehnten,<br />
so scheinen sie aus dem prognostischen<br />
Desaster zu Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
nichts gelernt zu haben: Die einschlägigen<br />
Texte zur sogen<strong>an</strong>nten „revolution in<br />
military affairs“ aus <strong>der</strong> Zeit vor dem letzten<br />
Irakkrieg zeigen ein grenzenloses Vertrauen<br />
in die Effektivität überlegener Militärtechnologie<br />
und eine frappierende Naivität<br />
bezüglich <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>dspotentiale entschlossener<br />
Gegenspieler. Die Faszination<br />
durchs technisch Mögliche scheint den Blick<br />
für die bedingungslose Entschlossenheit –<br />
o<strong>der</strong> aber Aufweichbarkeit – eines politischen<br />
Willens verstellt zu haben. Gerade<br />
postheroische Gesellschaften – und um die<br />
h<strong>an</strong>delt es sich bei den reichen Staaten, die<br />
sich das teure Equipment <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Waffentechnologie leisten können – weisen<br />
we<strong>der</strong> große Opferfähigkeit noch Opferbereitschaft<br />
auf, sol<strong>an</strong>ge es sich um für sie nicht<br />
existenzielle Konflikte h<strong>an</strong>delt. Sie können<br />
keine größeren Verluste ertragen, und deswegen<br />
dient die überlegene Waffentechnologie<br />
letzten Endes dazu, ihre geringe Opferbereitschaft<br />
zu kompensieren. Was in <strong>der</strong><br />
Umkehrung heißt: Selbst waffentechnisch<br />
dramatisch unterlegene Akteure können ihre<br />
Defizite durch gesteigerte Opferbereitschaft<br />
ausgleichen, und wenn sie das über<br />
einen längeren Zeitraum durchhalten, können<br />
sie schließlich auch ihren politischen<br />
Willen durchsetzen. Vor allem die USA haben<br />
dies zuletzt immer wie<strong>der</strong> schmerzlich<br />
erfahren müssen. Es gibt keinen Grund zu<br />
<strong>der</strong> Annahme, dass sich das in den nächsten<br />
Jahrzehnten än<strong>der</strong>n wird.<br />
Asymmetrische Kriege, so <strong>der</strong> allgemeine<br />
Oberbegriff, sind keineswegs durch die<br />
ausschließliche Überlegenheit <strong>der</strong> einen<br />
und die Ch<strong>an</strong>cenlosigkeit <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en Seite<br />
gekennzeichnet. Diejenigen, die das so<br />
verst<strong>an</strong>den haben, haben entwe<strong>der</strong> nichts<br />
begriffen o<strong>der</strong> sind intellektuelle Einflussagenten<br />
einer Rüstungsindustrie, die mit<br />
dem Versprechen <strong>der</strong> Unbesiegbarkeit immer<br />
mehr Geld für Rüstungsausgaben mobilisieren<br />
möchte. Asymmetrierung des<br />
Krieges heißt vielmehr, dass die Konfliktakteure<br />
ihre Fähigkeiten nicht mehr, wie bei<br />
den klassischen Rüstungswettläufen, spiegelbildlich<br />
zuein<strong>an</strong><strong>der</strong> entwickeln, son<strong>der</strong>n<br />
ihre spezifischen Fähigkeiten ausnutzen,<br />
um die Gegenseite nicht dort, wo sie stark<br />
ist, zu attackieren, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong>en strategische<br />
Schwachpunkte hineinzustoßen.<br />
Wer dabei über den längeren Atem verfügt,<br />
hat die besseren Erfolgsch<strong>an</strong>cen. Auch dar<strong>an</strong><br />
dürfte sich in den nächsten Jahrzehnten<br />
kaum etwas än<strong>der</strong>n.<br />
Der Denkfehler <strong>der</strong> sich ausschließlich <strong>an</strong><br />
<strong>der</strong> Waffentechnik orientierenden Kriegsprognostiker<br />
besteht darin, dass sie von<br />
den Möglichkeiten <strong>der</strong> Waffen und nicht<br />
von den politischen und sozioökonomischen<br />
Konfliktfel<strong>der</strong>n her denken und dass<br />
sie bei <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Möglichkeiten nur<br />
46
des Krieges<br />
ein einseitiges H<strong>an</strong>deln im Auge haben und<br />
die Dimensionen des Gegenh<strong>an</strong>delns übersehen.<br />
Ein guter Stratege o<strong>der</strong> tüchtiger<br />
Taktiker hat dieses Gegenh<strong>an</strong>deln immer<br />
auf <strong>der</strong> Rechnung. Eine belastbare Prognose<br />
hat darüber freilich noch hinauszugehen,<br />
indem sie die politischen und moralischen<br />
Restriktionen bei <strong>der</strong> Nutzung <strong>der</strong> waffentechnischen<br />
Möglichkeiten in Rechnung<br />
stellt und dabei beachtet, dass diese Restriktionen<br />
in verschiedenen Gesellschaften<br />
unterschiedlicher Art sind. In den reichen,<br />
in <strong>der</strong> Regel demokratischen Gesellschaften<br />
des Nordens sind sie sehr hoch, während<br />
sie bei schwachen Akteuren in <strong>der</strong> Regel<br />
gering sind. Bei letzteren k<strong>an</strong>n das, was<br />
möglich ist, fast immer auch praktiziert<br />
werden, während bei ersteren fast alle Waffensysteme<br />
weitgehenden moralischen und<br />
politischen Beschränkungen o<strong>der</strong> gar Verboten<br />
unterliegen.<br />
Die Folge ist, dass die waffentechnische<br />
Überlegenheit postheroischer Gesellschaften<br />
fast ausschließlich dazu dient, <strong>der</strong>en<br />
strategische Vulnerabilität infolge begrenzter<br />
Opferbereitschaft sowie demokratischer<br />
Respondenz und öffentlicher Kontrolle zu<br />
kompensieren. Dementsprechend gering<br />
ist die Bereitschaft dieser Gesellschaften,<br />
sich in friedenserzwingen<strong>der</strong> Absicht in<br />
den immer wie<strong>der</strong> auflo<strong>der</strong>nden „neuen<br />
Kriegen“ <strong>an</strong> <strong>der</strong> Peripherie <strong>der</strong> Wohlt<strong>an</strong>dszonen<br />
zu engagieren. Erschien es vor ein<br />
bis zwei Jahrzehnten plausibel, dass sich<br />
das Militär <strong>der</strong> demokratischen Staaten in<br />
eine Art „Weltpolizei“ verw<strong>an</strong>deln würde,<br />
die <strong>der</strong> Eindämmung und Beendigung dieser<br />
Kriege dienen sollte, so ist diese Hoffnung<br />
auf einen global pazifizierenden Interventionismus<br />
inzwischen verflogen. Das<br />
wie<strong>der</strong>um heißt, dass diese Kriege, <strong>der</strong>en<br />
Dauer nicht nach Monaten o<strong>der</strong> Jahren,<br />
„Der klassische Staatenkrieg, <strong>der</strong> die Szenarien<br />
des Kalten Krieges noch weithin geprägt hat,<br />
scheint zu einem historischen<br />
Auslaufmodell geworden zu sein.“<br />
Herfried Münkler in „Die neuen Kriege“<br />
son<strong>der</strong>n nach Jahrzehnten gerechnet wird,<br />
nicht bloß <strong>an</strong>dauern, son<strong>der</strong>n sich auch<br />
weiter ausbreiten werden.<br />
Aber wird es die gegenwärtigen Gründe<br />
für die Entstehung und l<strong>an</strong>ge Dauer dieser<br />
Kriege auch in Zukunft geben? Fast immer<br />
h<strong>an</strong>delt es sich bei dem Brennstoff, <strong>der</strong> diese<br />
Kriege speist, um Ressourcen, die knapp<br />
und in den reichen Gesellschaften heiß begehrt<br />
sind o<strong>der</strong> die, wie Kokain und Heroin,<br />
in ihnen illegalisiert, dennoch aber<br />
nachgefragt sind und mit <strong>der</strong>en Produktion<br />
und H<strong>an</strong>del sich darum beson<strong>der</strong>s hohe<br />
Gewinne erzielen lassen. Die örtlichen<br />
Kriegsakteure, zumeist keine Staaten, son<strong>der</strong>n<br />
Warlords, Rebellenführer o<strong>der</strong> revolutionäre<br />
Gruppierungen, gehen dabei mit<br />
<strong>der</strong> internationalen Kriminalität Koalitionen<br />
ein, durch die ihre Verbindungslinien<br />
bis tief in die Gesellschaften des reichen<br />
Was halten Sie von <strong>der</strong> Meinung Herfried Münklers? Schreiben Sie uns!<br />
Clausewitz, Inf<strong>an</strong>teriestr. 11 a, 80797 München o<strong>der</strong> <strong>an</strong> redaktion@clausewitz-magazin.de<br />
Nordens hineinreichen. Die Folge ist, dass<br />
diese Kriege wirtschaftlich attraktiv sind<br />
und kaum infolge ökonomischer Erschöpfung<br />
eines <strong>der</strong> beteiligten Akteure enden.<br />
Sie bleiben ein dauerndes Problem, stellen<br />
aber die Weltordnung nicht in Frage.<br />
An<strong>der</strong>s könnte dies bei Ressourcenkriegen<br />
<strong>der</strong> großen Mächte o<strong>der</strong> Wirtschaftsblöcke<br />
sein. Zwar spricht jede rationale<br />
Abwägung dagegen, bei Konflikten um<br />
strategische Ressourcen, wie Wasser, Erdöl,<br />
Erdgas o<strong>der</strong> seltene Metalle und Erden auf<br />
militärische Eskalation zu setzen, da <strong>der</strong>en<br />
Kosten den im besten Fall zu erwartenden<br />
Nutzen bei weitem übersteigen werden,<br />
aber bei einer Kombination von Prestigefragen,<br />
Druck im Innern durch hochkochenden<br />
Volkszorn und einer sich – scheinbar<br />
o<strong>der</strong> tatsächlich – bietenden guten Gelegenheit<br />
ist eine solche Entwicklung nicht<br />
auszuschließen, erst recht wenn ein Akteur<br />
o<strong>der</strong> Regime vor dem Kollaps steht und in<br />
<strong>der</strong> Flucht in den Krieg die letzte und einzige<br />
Überlebensch<strong>an</strong>ce sieht. Wie in <strong>der</strong> Ära<br />
des Kalten Krieges wird es also darauf <strong>an</strong>kommen,<br />
keinen <strong>der</strong> großen Akteure so in<br />
die Enge zu treiben, dass er sein Heil in einer<br />
solchen Flucht in den Krieg sieht. Die<br />
Prognose, die einigermaßen verlässlich sein<br />
dürfte, lautet darum: Es werden zahlreiche,<br />
von substaatlichen Akteuren geführte Kriege<br />
mit hohem Gewalteinsatz gegen die Zivilbevölkerung<br />
sein, die das Kriegsgeschehen<br />
<strong>der</strong> nächsten Jahrzehnte bestimmen,<br />
aber ein Krieg <strong>der</strong> großen Mächte ist eher<br />
unwahrscheinlich.<br />
Prof. Dr. Herfried Münkler ist Inhaber des Lehrstuhls<br />
„Theorie <strong>der</strong> Politik“ <strong>an</strong> <strong>der</strong> Humboldt-Universität zu Berlin.<br />
Er ist Autor zahlreicher Bücher, u.a. „Die neuen Kriege“,<br />
„Der W<strong>an</strong>del des Krieges. Von <strong>der</strong> Symmetrie zur<br />
Asymmetrie“ und „Imperien: Die Logik <strong>der</strong> Weltherrschaft<br />
– vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten“.<br />
Clausewitz 1/2013<br />
47
Der Zeitzeuge<br />
Eisenbahn-Pionier im Zweiten Weltkrieg<br />
Von Stalingrad in die<br />
Norm<strong>an</strong>die<br />
1941: Die Welt des jungen<br />
Willy Reinshagen gerät aus<br />
den Fugen. Durch die Einberufung<br />
zur Wehrmacht beginnt<br />
für ihn eine Odyssee,<br />
die erst im Jahre 1948 mit<br />
<strong>der</strong> Heimkehr aus russischer<br />
Kriegsgef<strong>an</strong>genschaft<br />
endet…<br />
Vorgestellt von Maximili<strong>an</strong> Bunk<br />
Diese polnische Lok Ty 23-156 bekam<br />
von <strong>der</strong> Reichsbahn die Betriebsnummer<br />
58 2403. Das warme Lokspeisewasser<br />
war für die Soldaten auf <strong>der</strong> l<strong>an</strong>gen<br />
Fahrt zur Front eine erfreuliche Zugabe<br />
für allfällige Reinigungszwecke.<br />
Foto: W. Hubert/Deutsches Lokbildarchiv<br />
Eigentlich will <strong>der</strong> 1922 in Düsseldorf geborene<br />
Willy Reinshagen nur seine Ausbildung<br />
bei <strong>der</strong> Reichsbahn beenden und<br />
damit in die Fußstapfen seines Vaters treten.<br />
Die Begeisterung und Leidenschaft für die Eisenbahn<br />
ist ihm in die Wiege gelegt. Mit dem<br />
Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ziehen düstere<br />
Wolken am Horizont auf und <strong>der</strong> ursprüngliche<br />
Pl<strong>an</strong> wird durch die Einberufung vereitelt.<br />
Immerhin: Reinshagen kommt zu den Eisenbahn-Pionieren<br />
und hat somit wenigstens<br />
hin und wie<strong>der</strong> Gelegenheit, den Lokomotiven<br />
und Gleisen auch in dieser entbehrungsreichen<br />
Zeit nahe zu sein. Er wird sowohl <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />
Ost- wie auch <strong>der</strong> <strong>Westfront</strong> eingesetzt, dient<br />
unter <strong>an</strong><strong>der</strong>em in Russl<strong>an</strong>d, Fr<strong>an</strong>kreich, Belgien<br />
und Deutschl<strong>an</strong>d. So verschlägt es ihn<br />
und seine Kameraden z. B. kurz nach <strong>der</strong> Invasion<br />
<strong>der</strong> Alliierten in <strong>der</strong> Norm<strong>an</strong>die in die<br />
Kleinstadt Laigle, circa 140 Kilometer westlich<br />
von Paris <strong>der</strong> Geschützlärm von den<br />
Kämpfen <strong>an</strong> <strong>der</strong> Küste ist unüberhörbar. Die<br />
Pioniere kommen in einem verlassenen L<strong>an</strong>dsitz<br />
unter und sollen eine Brücke am Ortsr<strong>an</strong>d<br />
des Städtchens wie<strong>der</strong> benutzbar machen.<br />
Wer die Eisenbahnüberführung sabotiert hat,<br />
ist unklar: Entwe<strong>der</strong> waren es alliierte Kampfflugzeuge<br />
o<strong>der</strong> fr<strong>an</strong>zösische Partis<strong>an</strong>en. Willy<br />
Reinshagen erinnert sich <strong>an</strong> die damaligen<br />
Ereignisse wie folgt:<br />
„Die äußeren Umstände <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung<br />
des kleinen Brückenbauwerks<br />
entbehren nicht einer gewissen Ironie,<br />
was zunächst auch unter den hier Beteiligten<br />
für <strong>an</strong>haltenden Gesprächsstoff sorg-<br />
48
te. Denn bemerkenswert und merkwürdig<br />
war die Tatsache, dass zum<br />
Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> Brückenfahrbahn<br />
Peine-Doppel-T-Träger vom Gerätelager<br />
des Eisenbahnpionier-Ersatz-Bataillons<br />
5 in Straßburg her<strong>an</strong>geschafft<br />
werden mussten. Mehr noch: Deren<br />
Tr<strong>an</strong>sport erfolgte mit den beiden im<br />
Besitz unserer Komp<strong>an</strong>ie befindlichen<br />
Straßen-Schienen-Lkw im Hinblick<br />
auf die Luftgefährdung auf <strong>der</strong> Straße,<br />
und das bei einer beachtlichen Entfernung<br />
von mehr als 600 Kilometern –<br />
bemerkenswerterweise wurde auch<br />
nur bei Nacht gefahren!<br />
Die <strong>an</strong>strengenden l<strong>an</strong>gen Nachtfahrten<br />
mit schwerem Brückengerät verliefen<br />
aber auch nicht ohne Blessuren <strong>an</strong> fremdem<br />
Eigentum. Die seitlich auskragenden<br />
schweren Hülsenpuffer <strong>an</strong> den<br />
Stirnseiten unserer Straßen-Schienen-<br />
Lkw verursachten in engen Ortsdurchfahrten<br />
– zum Ärger <strong>der</strong> Betroffenen –<br />
Gebäudeschäden. Da wurde in <strong>der</strong> Nacht<br />
unbeabsichtigt die eine o<strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>e Hausecke<br />
demoliert, wie einer unserer Fahrer,<br />
Paul Helms, berichtete.<br />
Bombenhagel<br />
Wir Männer vom dritten Komp<strong>an</strong>iezug<br />
unter Führung von Leutn<strong>an</strong>t Bail waren in<br />
Laigle <strong>an</strong>getreten, um hier Restarbeiten<br />
<strong>an</strong> einer offenbar unbedeutenden, aber<br />
dennoch strategisch wichtigen Brücke<br />
auszuführen. Der Garten unserer „Villa“<br />
grenzte <strong>an</strong> einen Hecken- und Wiesenweg,<br />
auf den wir einschwenkten und nach<br />
nur kurzer Laufzeit unseren Brückenarbeitsplatz<br />
erreichten.<br />
Nun aber war mit einem Schlag alles<br />
<strong>an</strong><strong>der</strong>s! Sprichwörtlich aus heiterem Himmel<br />
wurden wir in unvorstellbare Angstzustände<br />
versetzt. Von wegen heiterer<br />
Himmel! Wir waren gerade damit beschäftigt,<br />
am Bauwerk letzte H<strong>an</strong>d <strong>an</strong>zulegen,<br />
als wir, verborgen und unsichtbar hinter<br />
tief hängenden Wolken, Motorengeräusche<br />
eines sich schnell nähernden Flugzeugverb<strong>an</strong>des<br />
wahrnehmen konnten. Einer<br />
unter uns spottete noch:<br />
„Hört ihr, da oben sind sie wie<strong>der</strong><br />
und werden irgendwo ihre Bombenlast<br />
abladen!“ Natürlich<br />
dachten alle nur <strong>an</strong> einen Überflug.<br />
Und d<strong>an</strong>n geschah das Unfassbare;<br />
die ringsum herrschende<br />
Stille wurde mit einem Mal von<br />
einem fürchterlichen Pfeifen<br />
heimgesucht, und in Sekundenschnelle<br />
prasselten Bomben hernie<strong>der</strong>.<br />
Wir suchten schnellstens<br />
KURZ VOR STALINGRAD: Der junge Willy<br />
Reinshagen in Morosowskaja, im russischen<br />
Steppenl<strong>an</strong>d zwischen Donez und Don.<br />
unser Heil in <strong>der</strong> Flucht von <strong>der</strong> Baustelle.<br />
Den Tod vor Augen stürmten alle Männer<br />
die Bahnböschung hinunter und warfen<br />
sich auf die große Wiesenfläche, intuitiv<br />
von <strong>der</strong> Meinung beseelt, hier, nur 50 Meter<br />
von <strong>der</strong> Brücke entfernt, dem schlimmen<br />
Inferno entrinnen zu können. Und<br />
gerade hier f<strong>an</strong>den die Einschläge statt –<br />
links und rechts von mir; die Erde bebte<br />
unter dem Bombenhagel – ein Schutzengel<br />
st<strong>an</strong>d mir bei! Als die Hölle vorüber<br />
war, atmeten die Überlebenden erst einmal<br />
tief durch und sammelten sich. Zur<br />
„Stärkung“ wurde eine Zigarette geraucht.<br />
D<strong>an</strong>n wurde Bil<strong>an</strong>z gezogen mit<br />
dem Ergebnis, dass <strong>an</strong> Opfern sieben o<strong>der</strong><br />
acht tote Kameraden zu beklagen waren.<br />
Verwundete hatte es offensichtlich nicht<br />
gegeben. Fazit: Der große Wiesen<strong>an</strong>ger<br />
war mit Bombentrichtern übersät, und unsere<br />
Eisenbahnbrücke st<strong>an</strong>d auch weiterhin<br />
unbeschädigt <strong>an</strong> ihrem Platz, abgesehen<br />
davon, dass beachtliche<br />
Schlammmassen von<br />
Willy Reinshagen<br />
Von Stalingrad<br />
in die Norm<strong>an</strong>die<br />
Eisenbahn-Pionier im Zweiten Weltkrieg<br />
Foto: Sammlung Reinshagen<br />
WILLY REINSHAGEN<br />
Von Stalingrad in die<br />
Norm<strong>an</strong>die. Eisenbahn-<br />
Pionier im Zweiten Weltkrieg.<br />
224 Seiten,<br />
bebil<strong>der</strong>t mit circa 40<br />
Fotografien. Soeben<br />
erschienen.<br />
1944 gesprengter Eisenbahnviadukt am<br />
Iternberg bei Aachen. Foto: Sammlung B. Kreus<br />
Gewässer und Wiese das Bauwerk reichlich<br />
verunstaltet hatten.<br />
Für die folgenden Tage wurde unserer<br />
Truppe eine Ruhezeit vergönnt. Um im<br />
fünften Kriegsjahr unsere Ernährungsgrundlage<br />
etwas zu verbessern, machte<br />
ich mich in dieser Zeit am frühen Abend<br />
einige Male auf den Weg, um bei den im<br />
näheren Umfeld <strong>an</strong>sässigen L<strong>an</strong>dwirten<br />
nahrhafte Produkte einzukaufen. Das war<br />
ein kluger Einfall, <strong>der</strong> von unserem Leutn<strong>an</strong>t<br />
ausging, <strong>der</strong> in dieser von <strong>der</strong> Wehrmacht<br />
vernachlässigten Gegend sicherlich<br />
sein Offiziers-Kasino vermisste.<br />
Abmarsch<br />
Bei den Bauersleuten f<strong>an</strong>d ich stets offene<br />
Türen, wozu auch die Art und Weise beitrug,<br />
wie ich meine Wünsche in fr<strong>an</strong>zösischer<br />
Sprache artikulierte. Alle Einkäufe<br />
wurden natürlich auf Heller und Pfennig<br />
in fr<strong>an</strong>zösischer Währung beglichen. Und<br />
nicht selten wun<strong>der</strong>ten sich die Leute, dass<br />
ein Deutscher vor ihrer Türe steht und mit<br />
ihnen Fr<strong>an</strong>zösisch spricht. Zurück kehrte<br />
ich mit Milchflaschen, Butter, Schinken,<br />
Wurst und Käse, und sah in meinem Kameradenkreis<br />
viele fröhliche und zufriedene<br />
Gesichter. Natürlich kam auch unser<br />
Leutn<strong>an</strong>t bei <strong>der</strong> Verteilung nicht zu kurz.<br />
Lei<strong>der</strong> früher als erwartet ereilte uns <strong>der</strong><br />
Marschbefehl. Der dritte Komp<strong>an</strong>iezug<br />
rückte aus Laigle ab und formierte sich irgendwo<br />
mit den übrigen Komp<strong>an</strong>iezügen<br />
auf einem l<strong>an</strong>gen Weg, die fr<strong>an</strong>zösische<br />
Hauptstadt als Ziel vor Augen. Wie nun<br />
dieser Pl<strong>an</strong> ablief, darüber besitze ich aus<br />
erklärbaren Gründen keine Kenntnisse.<br />
Die <strong>an</strong>gesp<strong>an</strong>nte Kriegslage seit <strong>der</strong> Invasion<br />
in <strong>der</strong> Norm<strong>an</strong>die schloss einen<br />
Tr<strong>an</strong>sport auf dem Schienenweg aus: Gefahr<br />
drohte aus <strong>der</strong> Luft (Jagdbomber) und<br />
am Boden (Résist<strong>an</strong>ce).”<br />
Nicht nur einmal entkommt Willy Reinshagen<br />
knapp dem Tod wie hier bei Laigle. Die<br />
detaillierten Erinnerungen eines <strong>der</strong> letzten<br />
Zeitzeugen <strong>der</strong> alten Reichsbahn sind fesselnd<br />
und sp<strong>an</strong>nend erzählt.<br />
Clausewitz 1/2013 49
Militär & Technik | Geländewagen<br />
BULLIG: Mit gut 75 Pferdestärken unter <strong>der</strong><br />
Motorhaube hat <strong>der</strong> P3 kaum Probleme im<br />
Gelände. Hier einer <strong>der</strong> wenigen restaurierten<br />
NVA-Oldtimer.<br />
Foto: Dirk Krüger<br />
Geländewagen MUNGA und IFA P3<br />
Legenden auf vier<br />
1960er-Jahre: Je<strong>der</strong> Bundeswehrsoldat kennt ihn, den kleinen geländegängigen<br />
MUNGA. Die NVA hingegen setzt zu dieser Zeit auf und abseits <strong>der</strong> Straßen auf den<br />
größeren und leistungsstärkeren P3...<br />
Von Jörg-M. Horm<strong>an</strong>n<br />
In stiller Mondscheinnacht ist es kilometerweit<br />
zu hören, das prägn<strong>an</strong>te<br />
Knattern des zweigetakteten Dreizylin<strong>der</strong>s.<br />
„Unser Komp<strong>an</strong>iechef ist mit dem<br />
MUNGA auf Kontrollfahrt“. Während des<br />
nächtlichen Übungsmarsches Mitte <strong>der</strong><br />
1960er-Jahre bedeutet das lauter werdende<br />
Motorengeräusch, runter vom marschbequemen<br />
Weg in den nächsten Graben<br />
o<strong>der</strong> hinter die nächste Hecke. Denn <strong>der</strong><br />
Chef will von seinen schwerbepackten,<br />
nach 20 Kilometern erschöpften P<strong>an</strong>zergrenadieren<br />
nichts sehen. D<strong>an</strong>k des „Mehrzweck<br />
Universal Geländewagen mit Allrad<strong>an</strong>trieb“,<br />
kurz MUNGA gen<strong>an</strong>nt, erhalten<br />
die Soldaten eine Art akustische Vorwarnzeit.<br />
Was dem Grenadier im M<strong>an</strong>över<br />
zugute kommt, ist für den Fahrer und die<br />
Besatzung von Fahrzeugen, die hinter einem<br />
solchen „Lkw 0,25 t gl.“, herfahren,<br />
zum Übelwerden.<br />
Sechszylin<strong>der</strong> im Aluminiumblock<br />
Der „Geländegängige Lkw P3“, das vergleichbare<br />
NVA-Pend<strong>an</strong>t zum Bundeswehr-MUNGA,<br />
bringt hingegen mit einem<br />
sechszylindrigen, viergetakteten Otto-Motor<br />
seine Kraft auf die Straße und setzt sie<br />
im Gelände um. Dass sich im ideologischen<br />
Großp<strong>an</strong>orama des Kalten Krieges das von<br />
DDR-Seite propagierte „fortschrittlicher<br />
und <strong>an</strong><strong>der</strong>s sein als <strong>der</strong> kriegstreiberische<br />
Westen“ auch hier auf technische <strong>Entscheidung</strong>en<br />
bei einem geländegängigen Komm<strong>an</strong>deurswagen<br />
nie<strong>der</strong>schlägt, bleibt eine<br />
Vermutung. Die nahezu ein halbes Jahrzehnt<br />
nach dem MUNGA vorgenommene<br />
Einführung des P3 nährt diesen Verdacht.<br />
Die Geschichte <strong>der</strong> kleinsten Lastkraftwagen<br />
(Lkw) im militärischen und zivilen<br />
Einsatz deutscher Nachkriegsarmeen beginnt<br />
unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />
Die Werke <strong>der</strong> bis dahin in Sachsen<br />
<strong>an</strong>sässigen Auto Union fallen <strong>an</strong> die sowjetische<br />
Besatzungsmacht. Die Führungskräf-<br />
50
ÜBEN FÜR DEN ERNSTFALL: Soldaten <strong>der</strong><br />
Bundeswehr durchqueren im Rahmen einer<br />
Übung <strong>der</strong> ABC-Abwehrschule Sonthofen mit<br />
ihrem MUNGA „kontaminiertes“ Gelände.<br />
Foto: BArch, B 145 Bild-F027390-0004/Beretty<br />
Rä<strong>der</strong>n<br />
te des Unternehmens setzen sich in die<br />
Westzonen ab und gründen im amerik<strong>an</strong>ischen<br />
Sektor im bayerischen Ingolstadt<br />
1947 die neue Auto Union GmbH, aus <strong>der</strong><br />
später die Audi AG erwächst.<br />
1949 steigt das junge Unternehmen in<br />
die Neuwagenfertigung ein und stellt den<br />
Lieferwagen DKW F 89 L in <strong>der</strong> 0,75-t-Klasse<br />
vor, dem ein Jahr später die Personenwagenvari<strong>an</strong>te<br />
als DKW Typ F 89 P folgt.<br />
Deutsche „Lösung” bevorzugt<br />
Nach dem Scheitern <strong>der</strong> Pläne einer Europäischen<br />
Verteidigungsgemeinschaft (EVG)<br />
im Jahr 1954 zeichnet sich die Mitgliedschaft<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschl<strong>an</strong>d in<br />
<strong>der</strong> NATO ab, die im Mai 1955 vollzogen<br />
wird.<br />
Zu diesem Zeitpunkt hatte <strong>der</strong> Sicherheitsbeauftragte<br />
<strong>der</strong> Bundesregierung,<br />
Theodor Bl<strong>an</strong>k, bereits die erfor<strong>der</strong>lichen<br />
VARIANTE: P3 mit<br />
Scheinwerferaufbau-<br />
GLS 1500. Er<br />
kommt vor allem bei<br />
den Grenztruppen<br />
zum Einsatz.<br />
Foto: Archiv Jörg-M.<br />
Horm<strong>an</strong>n<br />
Fäden gezogen, um den Blick <strong>der</strong> deutschen<br />
Kraftfahrzeugindustrie auf das zukünftige<br />
militärische Potenzial zu lenken.<br />
Bl<strong>an</strong>k wird am 7. Juni 1955 <strong>der</strong> erste Minister<br />
für Verteidigung in seinem neuen Bundesverteidigungsministerium.<br />
Bereits 1953 stellte die Keimzelle des Ministeriums,<br />
die damalige „Dienststelle<br />
Bl<strong>an</strong>k“, beim Verb<strong>an</strong>d <strong>der</strong> deutschen Kraftfahrzeugindustrie<br />
die Anfrage: „Welche<br />
Hersteller sind in <strong>der</strong> Lage, ein leichtes und<br />
geländegängiges Kübelfahrzeug als Ersatz<br />
für das im Zweiten Weltkrieg genutzte Motorrad<br />
mit Beiwagen für militärische Zwecke<br />
zu bauen? (…) Aufgrund strengster<br />
Sparsamkeit werden deutsche Produkte gegenüber<br />
ausländischen wie dem Jeep o<strong>der</strong><br />
dem L<strong>an</strong>d Rover bevorzugt (…).“ Da lockt<br />
ein interess<strong>an</strong>ter Auftrag für die Automobilindustrie<br />
– zumal ein erster Bedarf von<br />
5.000 Fahrzeugen für die ersten fünf Jahre<br />
ver<strong>an</strong>schlagt wird.<br />
Clausewitz 1/2013 51
Militär & Technik | Geländewagen<br />
Hatten <strong>der</strong> Zweite Weltkrieg und die verschiedenen<br />
Geländesituationen nicht gezeigt,<br />
dass reichlich „Pferdestärken“ auf<br />
den Allrad<strong>an</strong>trieb gebracht werden müssen,<br />
um durchzukommen? H<strong>an</strong>delt es sich<br />
um Sparsamkeit am falschen Platz, o<strong>der</strong> haben<br />
die Pl<strong>an</strong>er ein Kriegs- und Einsatzszenario<br />
auf den gut ausgebauten westdeutschen<br />
Straßen im Hinterkopf?<br />
Da wird in <strong>der</strong> etwa gleichzeitig verlaufenden<br />
Entwicklung für einen geländegängigen<br />
Komm<strong>an</strong>deurswagen mit weitergehenden<br />
Einsatzvari<strong>an</strong>ten in <strong>der</strong> DDR <strong>an</strong><strong>der</strong>s<br />
gedacht. Die Vorläufertypen zum P3<br />
<strong>der</strong> NVA sind durchweg mit sechszylindrigen<br />
Otto-Reihenmotoren ausgestattet und<br />
verfügen über die entsprechenden PS unter<br />
<strong>der</strong> Motorhaube.<br />
KONKURRENT: Der Porsche-Geländewagen vom Typ 597 k<strong>an</strong>n den MUNGA nicht verdrängen.<br />
Bei Testfahrten muss er vom MUNGA aus dem Dreck gezogen werden. Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/dpa<br />
Die Auto Union GmbH in Ingolstadt bewirbt<br />
sich daher als erste deutsche Autofabrik<br />
um das Projekt in <strong>der</strong> ein Viertel-Tonnen-Nutzlastklasse.<br />
Als Wettbewerber sind<br />
noch Borgward aus Bremen und etwas später<br />
die Firma Porsche aus Stuttgart dabei.<br />
Die Ersteinsteiger bevorzugen Zweitaktmotoren<br />
als Antriebskraft aus ihrem Erfahrungspotenzial<br />
<strong>der</strong> Pkw-Produktion. Der<br />
DKW erhält einen Dreizylin<strong>der</strong>motor während<br />
Borgward sich sogar mit einem „Goliath“-<br />
Zweizylin<strong>der</strong>motor begnügt.<br />
Was ist ein „Kübel”?<br />
Doch was ist überhaupt ein „Kübelfahrzeug“,<br />
wie von <strong>der</strong> „Dienststelle Bl<strong>an</strong>k“ gefor<strong>der</strong>t<br />
und bereits im deutschen militärischen<br />
Sprachgebrauch des Zweiten Weltkriegs<br />
verwendet? Ein „Kübel“ ist erst<br />
einmal ein nach oben offener Behälter. Mit<br />
Fahrgestell, Motor, allradgetriebenen Rä<strong>der</strong>n<br />
und leichtem, faltbaren Stoffverdeck<br />
versehen, wird die offene Metallkarosserie<br />
eines Kübels zum geländegängigen Personenkraftwagen.<br />
Ursprünglich als flinker<br />
Stabs-, Kurier o<strong>der</strong> Komm<strong>an</strong>deurswagen<br />
verwendet, ergeben sich mit den Einsatzerfahrungen<br />
in bewaffneten Konflikten vielfältige<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> Nutzung.<br />
Kübelfahrzeuge werden als Waffenträger,<br />
Verletztentr<strong>an</strong>sporter und Zugkraftwagen<br />
ins Gelände geschickt. Durch ihr relativ<br />
leichtes Gewicht und ihre Abmessungen<br />
sind bestimmte Modelle sogar mit dem<br />
Fallschirm absetzfähig. Ihre militärische<br />
Qualität haben sie mit ihrer Beweglichkeit<br />
abseits aller Wege und Straßen. Ihre offene<br />
Karosserie ohne Türen ermöglicht schnelles<br />
Einsteigen und Absitzen. Statt eines festen<br />
Daches hält ein herunterklappbares Verdeck<br />
den Blick in den Himmel Richtung<br />
feindlicher Tiefflieger o<strong>der</strong> Hubschrauber<br />
frei. Dass <strong>der</strong> Kübel dabei auch noch robust,<br />
geräumig, wartungsarm, im höchsten<br />
Maße zuverlässig und sparsam beim Treibstoffverbrauch<br />
sein sollte, lässt vermuten,<br />
FÜR PROPAGANDA-<br />
ZWECKE: P3 mit<br />
Beschallungs<strong>an</strong>lage<br />
für politische Agitation<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Westgrenze<br />
<strong>der</strong> DDR.<br />
LEGENDÄR: Die<br />
Geländegängigkeit<br />
des P3 (Foto links)<br />
begeistert auch<br />
heute noch die F<strong>an</strong>s<br />
<strong>der</strong> Szene.<br />
Fotos: Archiv Jörg-M.<br />
Horm<strong>an</strong>n<br />
52
Verschiedene Prototypen<br />
RARITÄT: Ein gut erhaltener und restaurierter<br />
P3 ist auf einem Oldtimertreffen<br />
immer noch ein Blickf<strong>an</strong>g und begehrtes<br />
Fotoobjekt.<br />
Foto: Dirk Krüger<br />
INFO<br />
Technische Daten<br />
dass den Konstrukteuren eines solchen<br />
Fahrzeuges eine nicht g<strong>an</strong>z einfache Aufgabe<br />
gestellt ist.<br />
Harter Wettbewerb<br />
Bereits im September 1953 werden die bei<br />
<strong>der</strong> Auto Union entwickelten Prototypen<br />
<strong>der</strong> sogen<strong>an</strong>nten ein Viertel-Tonnen-Klasse<br />
auf <strong>der</strong> Bonner Hardthöhe mit unterschiedlicher<br />
Karosserie und in unterschiedlicher<br />
Ausstattung vorgestellt. Einerseits h<strong>an</strong>delte<br />
es sich um eine verkleinerte Ausführung<br />
des „Horch“-Kübelwagens aus Kriegszeiten,<br />
mit vier Stahltüren. An<strong>der</strong>erseits um<br />
einen offenen W<strong>an</strong>nenaufbau mit Faltstoffverdeck<br />
– ähnlich dem späteren MUNGA,<br />
in schmalerer Ausführung. Weiterhin werden<br />
Versuchsfahrzeuge mit Kunststoffo<strong>der</strong><br />
Leichtmetallkarosserien vorgestellt.<br />
Sie werden den folgenden Dauerbelastungen<br />
jedoch nicht st<strong>an</strong>dhalten. Übrig bleiben<br />
h<strong>an</strong>dgefertigte Testfahrzeuge, die auf <strong>der</strong><br />
DKW Son<strong>der</strong>klasse F 91 mit Kastenprofilrahmen<br />
basieren.<br />
Über den ersten Vergleich <strong>der</strong> zukünftigen<br />
Bundeswehrfahrzeuge im J<strong>an</strong>uar 1955<br />
berichtet ein Chronist: „(...) in <strong>der</strong> ein Viertel-Tonnen-Klasse<br />
tummelten sich neben<br />
dem DKW nunmehr auch <strong>der</strong> Porsche (Typ<br />
597) sowie <strong>der</strong> ,Goliath’ als Vertreter des<br />
Borgward-Konzerns. Der bereits ziemlich<br />
ausgereifte DKW schlug seine zukünftigen<br />
Konkurrenten um Längen, da <strong>der</strong> ,Goliath’<br />
im Gelände ständig aufschlug und als Clou<br />
d<strong>an</strong>n auch noch die Auspuff<strong>an</strong>lage verlor.<br />
Lkw 0,25 t gl.<br />
(MUNGA) Bundeswehr<br />
Geländegängiger Lkw P3<br />
Nationale Volksarmee<br />
Maße und Gewichte<br />
Länge 3.445 mm 3.710 mm<br />
Breite 1.482 mm 1.950 mm<br />
Höhe 1.735 mm 1.950 mm<br />
Radst<strong>an</strong>d 2.000 mm 2.400 mm<br />
Leergewicht 1.060 kg bis 1.350 kg 1.860 kg<br />
Zuladung 400 kg bis 700 kg 700 kg<br />
Gesamtgewicht 1.450 kg bis 1.885 kg 2.560 kg<br />
Steigfähigkeit max. 70 % max. 65 %<br />
Watfähigkeit bis 500 mm bis 600 mm<br />
Motor<br />
Typ DKW F 93 P OM 6-35 L<br />
Arbeitsverfahren Zweitakt Viertakt-Otto<br />
Zylin<strong>der</strong><strong>an</strong>zahl 3 6 Reihe<br />
Treibstoff Zweitaktgemisch VK rot OZ 72<br />
Hubraum 900 bis 1.000 ccm (Vari<strong>an</strong>ten) 2.407 ccm<br />
Leistung 36 bis 44 PS (Vari<strong>an</strong>ten) 75 PS<br />
Verbrauch<br />
Kraftstoffverbrauch ca. 14,7 l/100 km (Straße) 23 l/100 km<br />
Höchstgeschwindigkeit 98 km/h 95 km/h<br />
geringste Dauergeschw.<br />
Produktion<br />
Hersteller<br />
3 km/h mit<br />
Getriebereduzierung<br />
Auto Union GmbH (Audi AG)<br />
Ingolstadt<br />
Stückzahl ca. 47.000 davon 28.000<br />
für die Bundeswehr<br />
3,5 km/h<br />
KZA Karl-Marx-Stadt und<br />
IWL Ludwigsfelde<br />
4.000 davon 570<br />
für die NVA<br />
Produktionszeit 1956 bis 1969 1962 bis 1966<br />
Clausewitz 1/2013<br />
53
Militär & Technik | Geländewagen<br />
NACHFOLGER: Geländewagen<br />
vom Typ GAZ-69 während <strong>der</strong> Parade<br />
zum 25. Jahrestag <strong>der</strong> Gründung<br />
<strong>der</strong> DDR am 7. Oktober<br />
1974 in Ost-Berlin. Der GAZ-69<br />
aus russischer Produktion ersetzte<br />
den P3 bei <strong>der</strong> NVA.<br />
Foto: ullstein bild – ddrbildarchivde/Willm<strong>an</strong>n<br />
In einem künstlichen, fünf Meter tiefen<br />
Bombentrichter sollte eine Wasserdurchfahrt<br />
bei 80 cm Wassertiefe demonstriert<br />
werden. Pech für Porsche seinerzeit, <strong>der</strong><br />
Wagen <strong>der</strong> Auto Union musste ihn mehrfach<br />
abschleppen. Bei weiteren Geländefahrten<br />
versuchte <strong>der</strong> Porsche offensichtlich<br />
mit Gewalt und Motorkraft seine Mängel<br />
wettzumachen, l<strong>an</strong>dete aber nach einem<br />
Sprung durch die Luft in <strong>der</strong> aufgeschreckten<br />
Zuschauermenge.“<br />
Den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>an</strong> ein leichtes, geländegängiges,<br />
viersitziges Fahrzeug für<br />
den M<strong>an</strong>nschaftstr<strong>an</strong>sport, zur Bergung<br />
von Verletzten sowie <strong>an</strong> ein Führungs- o<strong>der</strong><br />
Funkfahrzeug entspricht <strong>der</strong> DKW weitgehend.<br />
MUNGA erhält den Zuschlag<br />
Nach den weiteren Erprobungen <strong>der</strong> Testk<strong>an</strong>didaten<br />
durch den Bundesgrenzschutz<br />
in Lübeck wird die Stahlblechausführung<br />
des DKW für die Serienproduktion empfohlen.<br />
Abgeschlagen sind die Modelle von<br />
Borgward und Porsche sowie <strong>der</strong> in Lizenz<br />
zu fertigende Williams Jeep. Der erste offizielle<br />
Name des Geländewagens lautet<br />
„Geländewagen F 91/4“. Er bleibt die zukünftige<br />
Typbezeichnung, während in Ingolstadt<br />
<strong>der</strong> „M-Wagen“ aktenkundig<br />
wird. Übrigens das „M“ steht für Mehrzweck<br />
und nicht für Militär.<br />
Am 2. J<strong>an</strong>uar 1956 treten die ersten Freiwilligen<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr ihren Dienst <strong>an</strong>.<br />
Das Heereskontingent ist in An<strong>der</strong>nach stationiert.<br />
Beim dortigen Lehrregiment müssen<br />
auch die Testk<strong>an</strong>didaten <strong>der</strong> ein Viertel-<br />
Tonnen-Klasse in den Truppenversuch und<br />
vor <strong>der</strong> Abnahmekommission bestehen.<br />
54
Nachfolger aus russischer Produktion<br />
STÄRKEN UND SCHWÄCHEN<br />
Lkw 0,25 t gl. (MUNGA) Bundeswehr<br />
Geländegängiger Lkw P3 Nationale Volksarmee<br />
VORTEILE<br />
+ geringes Gewicht<br />
+ Geländegängigkeit<br />
+ Allrad<strong>an</strong>trieb<br />
+ wartungsfreundlich<br />
NACHTEILE<br />
– untermotorisiert<br />
– Zweitaktgemisch<br />
(Geruch)<br />
– Motorengeräusch<br />
– geringe Zugkraft<br />
VORTEILE<br />
+ hohe Antriebskraft<br />
+ sehr nutzlastvariabel<br />
+ Geländegängigkeit<br />
NACHTEILE<br />
– wartungsintensiv,<br />
Ersatzteilprobleme<br />
– keine bedarfsdeckende<br />
Fertigungsmenge<br />
– extreme Getriebegeräusche<br />
Abb. Archiv Jörg-M. Horm<strong>an</strong>n<br />
Die militärische Verwendungsfähigkeit des<br />
„M-Wagens“ ist unübertroffen. Eine zweckmäßige<br />
Karosserie mit hoher Bodenfreiheit<br />
und geringem Gewicht sprechen für sich.<br />
Ein simples Stoffverdeck, das in kürzester<br />
Zeit geöffnet o<strong>der</strong> geschlossen werden<br />
k<strong>an</strong>n, bietet den Insassen Schutz bei Wind<br />
und Wetter. Viele eingebaute Serienteile aus<br />
dem Personenwagenprogramm des Herstellers<br />
und die Austauschbarkeit <strong>der</strong> Komponenten<br />
unterein<strong>an</strong><strong>der</strong> – wie Blattfe<strong>der</strong>n,<br />
Sitze o<strong>der</strong> Halbachsen – beeindrucken die<br />
Fachleute in An<strong>der</strong>nach. Die Jury legt am<br />
18. Februar 1956 ihren Abschlussbericht<br />
vor, <strong>der</strong> als Schwachpunkt allerdings eine<br />
zu geringe Motorleistung attestiert. Darauf<br />
reagiert die Auto Union mit <strong>der</strong> Option eines<br />
Einliter-Motors mit 44 PS bei <strong>der</strong> Serienfertigung.<br />
Am 26. Juni 1956 erfolgt die endgültige<br />
Prototypabnahme bei <strong>der</strong> Auto Union<br />
GmbH durch das Bundesverteidigungsministerium,<br />
doch erst Anf<strong>an</strong>g Oktober 1956<br />
sind in Ingolstadt die ersten fünf Nullserienfahrzeuge<br />
fertig gestellt. Bis Ende des<br />
Jahres laufen 249 Stück DKW 0,25 t vom<br />
Montageb<strong>an</strong>d. Am Ende <strong>der</strong> Produktion<br />
1969 werden 28.000 Einheiten in drei Typvari<strong>an</strong>ten<br />
allein für die Bundeswehr die Bil<strong>an</strong>zen<br />
bei <strong>der</strong> Auto Union stabilisieren.<br />
Ab Februar 1966 wird über den Nachfolger<br />
des MUNGA im Bundesministerium<br />
für Verteidigung nachgedacht. Nach einer<br />
Zwischenlösung mit dem „VW-Kurierwagen<br />
181“ wird <strong>der</strong> MUNGA durch den<br />
„VW Iltis“ 1977 abgelöst. Der neue Geländewagen<br />
wird von <strong>der</strong> Audi AG auf MUN-<br />
GA-Basis entwickelt. Auch in <strong>der</strong> DDR<br />
sucht die Autoindustrie seit Beginn <strong>der</strong><br />
1950er-Jahre nach Lösungen für einen militärischen<br />
Geländewagen.<br />
„Geburtsstunde“ des P3<br />
Über die Ausg<strong>an</strong>gssituation in <strong>der</strong> DDR<br />
und die ersten Entwicklungen zum „Geländegängigen<br />
Lkw P3“ schreibt Wilfried Kopenhagen:<br />
„(...) nach den Auflagen <strong>der</strong><br />
Hauptverwaltung Fahrzeugbau im DDR-<br />
Ministerium für Maschinenbau im August<br />
1952 projektierte das Forschungs- und Ent-<br />
wicklungswerk (FEW) im damaligen Karl-<br />
Marx-Stadt das Son<strong>der</strong>fahrzeug P2M, <strong>an</strong><br />
dem beson<strong>der</strong>s Kraftfahrzeug-Fachleute<br />
<strong>der</strong> Kasernierten Volkspolizei (KVP) beteiligt<br />
waren [in <strong>der</strong> KVP sind die Wurzeln<br />
<strong>der</strong> späteren NVA zu sehen]. Das FEW war<br />
auf Regierungsbeschluss als zentrales Entwicklungswerk<br />
gebildet worden, um für<br />
die durch Krieg und Demontage sowie die<br />
Abw<strong>an</strong><strong>der</strong>ung in die Westzone stark in Mitleidenschaft<br />
gezogene, schrittweise im Auf-<br />
JUBILÄUM: Der 25.000 Geländewagen läuft 1962 im Werk <strong>der</strong> Auto Union in Ingolstadt<br />
vom B<strong>an</strong>d, hier bei einer Demonstrationsfahrt über eine Treppe.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/dpa<br />
Clausewitz 1/2013<br />
55
Militär & Technik | Geländewagen<br />
bau befindliche Autoindustrie <strong>der</strong> DDR<br />
nach und nach das gesamte noch verbliebene<br />
Konstruktions- und Entwicklungspotenzial<br />
<strong>an</strong>zusiedeln. Zu den Aufgaben zählten<br />
die Pl<strong>an</strong>ung <strong>der</strong> Musterbau und die Erprobung<br />
<strong>der</strong> für die Produktion vorgesehenen<br />
Personen- und Nutzfahrzeuge, aber auch<br />
<strong>der</strong> Motoren und Aggregate. Einer <strong>der</strong> vielen<br />
Aufträge war die Entwicklung des Son<strong>der</strong>kraftfahrzeuges<br />
P2M für die vorgesehenen<br />
militärischen Formationen (…).“ Die<br />
Abkürzung P2M erklärt sich als Personenkraftwagen,<br />
Typ 2, Militärversion mit fünf<br />
Plätzen.<br />
Kurzer Produktionszeitraum<br />
Aus dem FEW entsteht <strong>der</strong> „VEB Kooperationszentrale<br />
Automobilbau Karl Marx-<br />
Stadt“, <strong>der</strong> in Weiterentwicklung des P2M<br />
den Geländewagen IFA P3 projektiert.<br />
Dieses Modell wird d<strong>an</strong>n Ende <strong>der</strong> 1950er-<br />
Jahre im Fahrzeugwerk in Zwickau/Hohenstein-Ernstthal<br />
entwickelt und <strong>an</strong>schließend<br />
im „VEB Automobilwerk Ludwigsfelde“<br />
gebaut. Ursprünglich ist dieser Betrieb<br />
für den Bau des Lkw W 50 zuständig. Die<br />
Realität sieht so aus, dass die einzelnen<br />
Baugruppen und Komponenten des P3 in<br />
den verschiedensten Betrieben innerhalb<br />
<strong>der</strong> DDR gefertigt werden und in Ludwigsfelde<br />
die Endmontage erfolgt.<br />
Nach den ersten zehn Versuchsmustern,<br />
die Ende <strong>der</strong> 1950er-Jahre entstehen, erfolgt<br />
<strong>der</strong> Bau von 30 Nullserien P3 im Jahr 1961.<br />
Ab 1962 läuft <strong>der</strong> „Geländegängige Lkw<br />
P3“, wie <strong>der</strong> P3 in <strong>der</strong> Dienstvorschrift<br />
47/18 <strong>der</strong> NVA von 1962 offiziell gen<strong>an</strong>nt<br />
wird, mit rund 1.000 Serienexemplaren pro<br />
Jahr bis zur Einstellung <strong>der</strong> Produktion im<br />
Jahr 1966 vom Montageb<strong>an</strong>d. Der dreitürige<br />
Geländewagen mit einem Sechszylin<strong>der</strong><br />
bietet Platz für bis zu sieben Personen.<br />
HINTERGRUND<br />
Nach gut 15 Betriebsjahren im Bundeswehrfuhrpark<br />
ist ein MUNGA in den 1970er-Jahren<br />
fällig zur Ausson<strong>der</strong>ung. Ab Mitte <strong>der</strong><br />
1960-Jahre besteht auch für Privatpersonen<br />
die Möglichkeit, einen gebrauchten MUNGA<br />
käuflich zu erwerben.<br />
BEEINDRUCKEND: Der P3 verfügt über einen Sechszylin<strong>der</strong>-Reihenmotor im Alu-Block und<br />
Drehstabfe<strong>der</strong>ung mit Einzelradaufhängung.<br />
Foto: Dirk Krüger<br />
Im Gegensatz zur Pkw-Sitzweise beim P2M<br />
sitzen beim P3 die Insassen – außer Fahrer<br />
und Beifahrer – längs zur Fahrtrichtung auf<br />
zwei Bänken. Auf <strong>der</strong> rechten Seite drei<br />
M<strong>an</strong>n und links zwei. Das erste Produktionslos<br />
des P3 verfügt über signifik<strong>an</strong>te Erkennungszeichen<br />
wie etwa den Kühlerdeckel<br />
vorn auf <strong>der</strong> Motorhaube und innen ein<br />
H<strong>an</strong>dschuhfach im Armaturenbrett. Bei späteren<br />
Baulosen verwendet m<strong>an</strong> die sogen<strong>an</strong>nte<br />
„Alligator-Motorhaube“.<br />
„Alligator-Motorhaube”<br />
Die taktisch technischen Daten des P3 verdeutlichen<br />
sein großes Leistungsvermögen<br />
mit einem heute noch beeindruckenden<br />
technischen Konzept: ein Sechszylin<strong>der</strong>-<br />
Sachsenring-Motor in Reihe im Alu-Block,<br />
Drehstabfe<strong>der</strong>ung mit Einzelradaufhän-<br />
Der MUNGA als „Oldtimer“<br />
Im Jahr 2011 waren in Deutschl<strong>an</strong>d mehr<br />
als 1.000 Fahrzeuge dieses Typs statistisch<br />
erfasst. Um diese relativ kleine Menge von<br />
Geländewagen scharen sich – ähnlich wie<br />
beim P3 – die Enthusiasten mit Schraubenschlüssel<br />
und Gebrauchs<strong>an</strong>leitung.<br />
Ihre Plattform ist die Internetseite:<br />
www.munga-ig.de<br />
AUSGESTELLT: Ein „ziviler“ MUNGA im<br />
AutoMuseum von Volkswagen in<br />
Wolfsburg, das 1985 eröffnet<br />
wurde. In <strong>der</strong> militärischen Vari<strong>an</strong>te<br />
wurde das Fahrzeug wurde<br />
bis Mitte <strong>der</strong> 1970er-Jahre bei<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr eingesetzt.<br />
Foto: ullstein bild – Yavuz Arsl<strong>an</strong><br />
gung und oben liegenden Lenkst<strong>an</strong>gen,<br />
Differenzialsperren vorn und hinten sowie<br />
synchronisierte Getriebe, um nur einige<br />
technische Details zu nennen.<br />
Insgesamt werden etwa 3.800 Exemplare<br />
des P3 hergestellt. Vorr<strong>an</strong>gig sind sie in<br />
<strong>der</strong> NVA in allen Teilstreitkräften und bei<br />
den Grenztruppen <strong>der</strong> DDR im Einsatz.<br />
Neben <strong>der</strong> Verwendung als Tr<strong>an</strong>sport- und<br />
Führungsfahrzeug gibt es den P3 auch als<br />
Funk- o<strong>der</strong> Werkstattwagen, als Ladestation,<br />
als Großlautsprecherstation GLS 1500,<br />
o<strong>der</strong> als Scheinwerferwagen.<br />
Auch als Waffenträger für Gr<strong>an</strong>atwerfer<br />
wird er umgerüstet. Etwa 20 Exemplare des<br />
P3 werden zu Komm<strong>an</strong>deursfahrzeugen<br />
mit vier Türen und Cabrio-Verdeck für Paraden<br />
und <strong>an</strong><strong>der</strong>e repräsentative Zwecke<br />
umgebaut. Sie sind später zurückgebaut<br />
worden und keiner von ihnen hat den Lauf<br />
<strong>der</strong> Zeit überst<strong>an</strong>den.<br />
In <strong>der</strong> Nationalen Volksarmee wird <strong>der</strong><br />
P3 schon in den 1970er-Jahren durch den<br />
GAZ-69 und später durch den UAZ-469 ersetzt.<br />
Bei den Grenztruppen erfolgte <strong>der</strong><br />
Einsatz des P3 noch bis 1987. Feuerwehren<br />
und <strong>der</strong> Zivilschutz gehören zu den nichtmilitärischen<br />
„Nutzern“ des P3 in <strong>der</strong> DDR.<br />
Heute besitzt diese Legende auf vier Rä<strong>der</strong>n<br />
eine Art Kultstatus, wie die liebevoll<br />
restaurierten Exemplare auf den unzähligen<br />
Oldtimertreffen und Technikschauen<br />
zeigen.<br />
Jörg-M. Horm<strong>an</strong>n, Jg. 1949, Freier Journalist und<br />
Sachbuchautor aus Rastede mit Schwerpunkten bei<br />
<strong>der</strong> deutschen Luftfahrt-, Marine- und Militärgeschichte<br />
mit über 30 Buchveröffentlichungen zu den Themen.<br />
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Militär & Technik<br />
ÄSTHETISCH: Eine Must<strong>an</strong>g I im Einflugbetrieb<br />
über Kalifornien im Oktober 1942. Foto: NAA<br />
P-51 Must<strong>an</strong>g<br />
Der gefürchtete<br />
US-Jäger<br />
1942-1945: Als die P-51 Must<strong>an</strong>g in den Luftkrieg eingriff, machte sie aus den einst br<strong>an</strong>dgefährlichen<br />
deutschen Jägern Gejagte, die sich von Einsatz zu Einsatz zittern mussten.<br />
Dem voraus, ging eine l<strong>an</strong>ge und beschwerliche Entwicklungsarbeit... Von Dietmar Herm<strong>an</strong>n<br />
58
Clausewitz 1/2013 59
Militär & Technik | P-51 Must<strong>an</strong>g<br />
BEEINDRUCKEND: Eine Must<strong>an</strong>g IA mit vier<br />
Hisp<strong>an</strong>o K<strong>an</strong>onen 20 mm bei einem Testflug<br />
im Oktober 1942 über dem Fabrikgelände in<br />
Inglewood (Kalifornien).<br />
Foto: NAA<br />
GENAUESTE ÜBERPRÜFUNG: Die zehnte XP-51 wird in L<strong>an</strong>gley<br />
Field Ende 1941 für NACA-Flugtests her<strong>an</strong>gezogen. Foto: NASA<br />
VIELFÄLTIG VERWENDBAR: Die amerik<strong>an</strong>ische Luftwaffe setzt die<br />
A-36A erfolgreich als Tief<strong>an</strong>griffsflugzeug ein.<br />
Foto: NAA<br />
Die Firma North Americ<strong>an</strong> Aviation<br />
(NAA) beginnt 1931 mit <strong>der</strong> Entwicklung<br />
eines Schulflugzeugs, <strong>der</strong> AT-6<br />
Tex<strong>an</strong>. Davon sollten später über 15.000<br />
Exemplare gebaut werden. 1938 kauft die<br />
Royal Air Force 400 als Harvard Mk. I bezeichnete<br />
Maschinen, denen weitere 1.050<br />
folgen. Da m<strong>an</strong> mit den Maschinen in Engl<strong>an</strong>d<br />
zufrieden ist, richten Anf<strong>an</strong>g 1940 die<br />
Briten eine Anfrage <strong>an</strong> NAA, ob m<strong>an</strong> den Jäger<br />
Curtiss P-40 für die Royal Air Force in<br />
Lizenz bauen könne. NAA teilt <strong>der</strong> Kommission<br />
mit, dass m<strong>an</strong> im eigenen Hause einen<br />
erstklassigen Jäger für die RAF entwickeln<br />
und bauen könnte, <strong>der</strong> die P-40 in allen Bel<strong>an</strong>gen<br />
in den Schatten stellen würde. Innerhalb<br />
kürzester Zeit wird <strong>der</strong> neue Jäger unter<br />
dem Chefkonstrukteur Edgar Schmued<br />
entworfen. Gleichzeitig bietet NAA diese<br />
Neuentwicklung auch <strong>der</strong> USAAF <strong>an</strong>, die<br />
aber keinerlei Interesse zeigt. Am 29. Mai<br />
1940 wird ein Vertrag über den Kauf von 320<br />
Jagdflugzeugen NA-73 abgeschlossen, einem<br />
Flugzeug, das zu diesem Zeitpunkt nur<br />
auf dem Reißbrett existiert. Bedingung ist,<br />
dass <strong>der</strong> Prototyp binnen vier Monaten hergestellt<br />
ist. NAA unterbietet diese For<strong>der</strong>ung<br />
sogar, nach nur 102 Tagen ist <strong>der</strong> Prototyp<br />
NA-73X im Werk Inglewood bei Los Angeles<br />
fertig. Er hat allerdings noch einen kleinen<br />
Schönheitsfehler: Der Motor fehlt noch,<br />
da Allison das bestellte Triebwerk V-1710<br />
nicht rechtzeitig liefern k<strong>an</strong>n. 20 Tage später<br />
wird es zugestellt und am 26. Oktober 1940<br />
startet d<strong>an</strong>n die NA-73X mit Testpilot V<strong>an</strong>ce<br />
Breese zum erfolgreichen Erstflug.<br />
Die NA-73 ist, wie viele mo<strong>der</strong>ne Jäger dieser<br />
Zeit, als Tiefdecker in G<strong>an</strong>zmetallbauweise<br />
ausgelegt − allerdings mit voll einziehbarem<br />
Heckradfahrwerk.<br />
Konstruktionsmerkmale<br />
Die Konstrukteure nutzen die neuesten Erkenntnisse<br />
aus Europa. Die NA-73 zeigt dabei<br />
auffallende Ähnlichkeiten zur deutschen<br />
Messerschmitt Bf 109. An<strong>der</strong>erseits<br />
beschreitet North Americ<strong>an</strong> durch die erstmalige<br />
Verwendung eines Laminarprofils<br />
für den Flügel Neul<strong>an</strong>d. Auch die Anordnung<br />
<strong>der</strong> Kühler als wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>dserhöhendes<br />
Element am Flugzeug lösen die Konstrukteure<br />
<strong>an</strong><strong>der</strong>s. Nach intensiven Versuchen<br />
wird er als Düsenkühler zentral unter<br />
dem Rumpf <strong>an</strong>gebracht. Eher konventio-<br />
60
Erprobung und Einführung durch die Royal Air Force<br />
KURZ VOR DEM START: Im<br />
Oktober 1942 werden neue<br />
P-51 Must<strong>an</strong>gs auf dem Flugfeld<br />
von NAA in Inglewood für<br />
die ersten Werksflüge vorbereitet.<br />
Foto: NAA<br />
nell gerät <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> Kabine für den Piloten.<br />
Sie geht nach hinten in die Rumpfstruktur<br />
über, was gleichzeitig den Sichtverlust<br />
des Piloten nach hinten bedeutet.<br />
Der eingebaute 1.165 PS starke 12-Zylin<strong>der</strong>-<br />
Reihenmotor Allison V-1710 F3R verfügt<br />
nur über einen einstufigen La<strong>der</strong>, dessen<br />
Leistung zwar für niedrige Höhen ausreichend<br />
ist, in großen Höhen jedoch nur eine<br />
eingeschränkte Leistungsfähigkeit besitzt.<br />
Einführung in Engl<strong>an</strong>d<br />
Noch während <strong>der</strong> Erprobungsphase erhält<br />
NAA den ersten Lieferauftrag von 320 NA-<br />
73-Jägern <strong>an</strong> die RAF. Am 30. Juni 1941 folgt<br />
ein zweiter Auftrag über weitere als NA-91<br />
bezeichnete Jäger, die mit vier 20-mm-K<strong>an</strong>onen<br />
als Must<strong>an</strong>g IA für die RAF vorgesehen<br />
sind. Kurz darauf (am 3. Juli 1941) fliegt<br />
die erste Nullserienmaschine. Inzwischen<br />
HINTERGRUND<br />
Die britischen Piloten klagen<br />
über die schlechten Sichtverhältnisse<br />
<strong>der</strong> Must<strong>an</strong>g nach<br />
hinten. Daher werden nahezu<br />
alle dort eingesetzten Must<strong>an</strong>g<br />
III mit <strong>der</strong> sogen<strong>an</strong>nten<br />
Malcolm-Haube ausgerüstet,<br />
die aus einem Stück gefertigt<br />
ist und durch ihren halbkreisförmigen<br />
Querschnitt bessere<br />
Sichtverhältnisse bietet.<br />
geht <strong>der</strong> Bau <strong>der</strong> ersten zehn Maschinen<br />
<strong>der</strong> Nullserie zügig vor<strong>an</strong>, so dass die<br />
Werkserprobung schnell abgeschlossen<br />
werden k<strong>an</strong>n. Am 24. Oktober 1941 treffen<br />
die ersten nun als „Must<strong>an</strong>g“ bezeichneten<br />
Maschinen in Engl<strong>an</strong>d ein. Sie werden dort<br />
ausgiebigen Flugversuchen durch die Royal<br />
Air Force unterzogen.<br />
Sehr schnell stellt sich heraus, dass <strong>der</strong><br />
neue Jäger jedem <strong>an</strong><strong>der</strong>en amerik<strong>an</strong>ischen<br />
Jäger überlegen ist. Selbst <strong>der</strong> Spitfire, dem<br />
besten britischen Jäger, ist die Must<strong>an</strong>g in<br />
geringen Höhen deutlich überlegen. Die<br />
allgemeinen Flugeigenschaften werden als<br />
durchweg gut beurteilt. Allerdings zeigt<br />
sich bei den Testflügen auch die Schwäche<br />
<strong>der</strong> Must<strong>an</strong>g. Die Motorleistung des eingebauten<br />
Allison-Triebwerks lässt mit zunehmen<strong>der</strong><br />
Höhe sehr schnell nach und dadurch<br />
wird die Must<strong>an</strong>g leistungsmäßig<br />
Rundumblick für die Briten<br />
deutlich schlechter. Damit sind die Einsatzmöglichkeiten<br />
für den neuen Typ beschränkt.<br />
Wegen ihrer überlegenen Geschwindigkeit<br />
am Boden und <strong>der</strong> starken<br />
Bewaffnung setzt die RAF die Must<strong>an</strong>g<br />
deshalb als schnellen Jagdaufklärer ein.<br />
Erstmals Feindberührung haben die neuen<br />
Jagdaufklärer während des britischen L<strong>an</strong>dungsunternehmen<br />
am 19. August 1942 bei<br />
Dieppe.<br />
Wenig Interesse <strong>der</strong> Amerik<strong>an</strong>er<br />
Zunächst zeigt sich die USAAF eher desinteressiert<br />
<strong>an</strong> dem neuen Jäger. Lediglich<br />
zwei Maschinen aus <strong>der</strong> Nullserie werden<br />
im amerik<strong>an</strong>ischen Testzentrum von<br />
Wright Field, Ohio begutachtet. Die Erprobungsergebnisse<br />
sind zwar gut und die Maschine<br />
erhält nun auch offiziell die neue Bezeichnung<br />
P-51, aber Bestellungen erfolgen<br />
zunächst nicht. Mit dem Angriff auf Pearl<br />
Harbor und dem Kriegseintritt <strong>der</strong> Vereinigten<br />
Staaten im Dezember 1941 än<strong>der</strong>t<br />
sich diese Situation. Die amerik<strong>an</strong>ische<br />
Luftwaffe ist aber eher <strong>an</strong> einer Version als<br />
Tief- und Sturz<strong>an</strong>griffsflugzeug interessiert.<br />
500 als A-36A bezeichnete Sturzkampfflugzeuge<br />
mit hydraulisch betätigten<br />
Sturzflugbremsen werden deshalb bestellt<br />
und bewähren sich sehr gut unter <strong>an</strong><strong>der</strong>em<br />
im Mittelmeerraum bei <strong>der</strong> Invasion Siziliens<br />
im Juli 1943.<br />
Der A-36A folgen 310 Maschinen <strong>der</strong><br />
verbesserten Version NA-99, die als<br />
P-51A Jagdflugzeuge mit vier 12,7-<br />
Clausewitz 1/2013<br />
61
Militär & Technik | P-51 Must<strong>an</strong>g<br />
ACHILLESFERSE: Die Schwachstelle <strong>der</strong> B-17 F war die Bugbewaffnung.<br />
Das wussten auch die deutschen Piloten und flogen ihre Angriffe<br />
direkt von vorn.<br />
Foto: USAF<br />
IN LAUERSTELLUNG: Jäger des Typs North Americ<strong>an</strong> P-51 B , hier<br />
mit Invasionsstreifen, sind startbereit für den nächsten Einsatz. Sie<br />
gehörten zur 376. Fighter Squadron <strong>der</strong> 361. Fighter Group. Foto: USAF<br />
mm-Maschinengewehren ausgerüstet werden.<br />
50 davon gehen als Must<strong>an</strong>g II nach<br />
Engl<strong>an</strong>d. Inzwischen haben die Briten ihre<br />
Must<strong>an</strong>gs bei Jagdeinsätzen über Fr<strong>an</strong>kreich<br />
erfolgreich einsetzen können. Die britischen<br />
Must<strong>an</strong>gs sind auch die ersten einmotorigen<br />
Jagdflugzeuge, die ab Oktober<br />
1942 über Deutschl<strong>an</strong>d operieren können.<br />
Die Must<strong>an</strong>g wird neu motorisiert<br />
Auf britischer Seite versucht m<strong>an</strong> bereits zu<br />
einem frühen Zeitpunkt die unzureichende<br />
Höhenleistung <strong>der</strong> Must<strong>an</strong>g zu verbessern.<br />
Dazu wird im April 1942 <strong>der</strong> Motorenhersteller<br />
Rolls-Royce eingeschaltet, <strong>der</strong> den<br />
Einbau des leistungsstärkeren Motors RR<br />
Merlin 61 in die Must<strong>an</strong>g empfiehlt. Rolls-<br />
Royce erhält den Auftrag fünf Must<strong>an</strong>gs,<br />
die als Must<strong>an</strong>g X bezeichnet werden, auf<br />
den Merlin-Motor umzubauen. Mit geringem<br />
Än<strong>der</strong>ungsumf<strong>an</strong>g startet die erste<br />
Maschine am 13. Oktober 1942 zu ihrem<br />
Erstflug und bestätigt die Erwartungen.<br />
Zwei <strong>der</strong> umgebauten Maschinen erhält<br />
auch die USAAF für weitere Tests. Kurz darauf,<br />
im November 1942, for<strong>der</strong>t General<br />
Arnold für die weitere Luftkriegsführung<br />
2.200 mit Merlin Motoren ausgerüstete P-51<br />
Must<strong>an</strong>gs als Jäger für die US-Luftwaffe.<br />
Der Merlin-Motor ist in den USA ab 1943<br />
vorh<strong>an</strong>den, da die Motorenfirma Packard<br />
ihn als Lizenzmotor V-1650 in Großserie<br />
baut. Gepl<strong>an</strong>t ist <strong>der</strong> V-1650-3, <strong>der</strong> über einen<br />
Zweistufenla<strong>der</strong> verfügt und für mittlere<br />
Höhen ausgelegt ist. Bei NAA beschränkt<br />
m<strong>an</strong> sich aber nicht nur auf den<br />
Austausch <strong>der</strong> Motoren, son<strong>der</strong>n m<strong>an</strong> unterzieht<br />
für diesen Einbau die gesamte Konstruktion<br />
einer umfassenden Überarbeitung.<br />
Daraus entsteht die komplett neue<br />
Version P-51B, <strong>der</strong>en erstes Muster am 30.<br />
November 1942 zum Erstflug startet. Äußerlich<br />
ist <strong>der</strong> Lufteinlauf für den Vergaser<br />
von <strong>der</strong> oberen Motorverkleidung unter<br />
den Rumpfbug verlegt worden, außerdem<br />
kommt eine Vierblattluftschraube zum Einbau.<br />
Die gesamte Zellenkonstruktion hat<br />
m<strong>an</strong> entsprechend verstärkt und aerodynamisch<br />
überarbeitet. Das Ergebnis ist beeindruckend:<br />
Die P-51B erreicht nun in 9.100<br />
Metern Höhe eine Höchstgeschwindigkeit<br />
von 710 km/h und ist damit zu einem <strong>der</strong><br />
schnellsten Jäger geworden.<br />
Wendepunkt „Double Strike“<br />
Den Amerik<strong>an</strong>ern wird sehr schnell klar,<br />
dass Schläge gegen die deutsche Flugzeug-<br />
HINTERGRUND<br />
Um die schlechten Sichtverhältnisse<br />
<strong>der</strong> P-51 grundlegend zu verbessern,<br />
überarbeitet North Americ<strong>an</strong> das<br />
„Bubble-Haube“<br />
Rumpfmittelteil <strong>der</strong> P-51B. Der abgeän<strong>der</strong>te<br />
Rumpf k<strong>an</strong>n dadurch mit einer<br />
neuen Vollsicht-Schiebehaube<br />
ausgerüstet werden. Die Tests mit<br />
umgebauten Maschinen verlaufen erfolgreich.<br />
M<strong>an</strong> entschließt sich, diese<br />
„Bubble-Haube“ für die Serie zu übernehmen.<br />
North Americ<strong>an</strong> liefert ab<br />
Mitte des Jahres 1944 die ersten<br />
Must<strong>an</strong>gs <strong>der</strong> neuen Baureihe P-51D<br />
nach Europa. Die P-51D wird mit fast<br />
8.000 Exemplaren zur meistgebauten<br />
Baureihe <strong>der</strong> Must<strong>an</strong>g.<br />
VERTEIDIGUNGSBEREIT: Ein<br />
Schwarm deutscher Focke-Wulf<br />
Fw 190 startet zum Abwehreinsatz<br />
gegen die amerik<strong>an</strong>ischen<br />
schweren Bomber B-17.<br />
Foto: Sammlung Dietmar Herm<strong>an</strong>n<br />
62
Schwere Verluste <strong>der</strong> Amerik<strong>an</strong>er<br />
FRISCH AUS DEM WERK:<br />
Eine neue P-51 B, die erstmals<br />
mit dem in Lizenz gebauten<br />
Packard Merlin-Motor<br />
ausgerüstet ist. Foto: NAA<br />
PERFEKTE MECHANIK: Der von Packard in<br />
Lizenz gebaute Merlin-Motor eingesetzt in<br />
die Zelle <strong>der</strong> P-51 Must<strong>an</strong>g.<br />
Foto: Sammlung Dietmar Herm<strong>an</strong>n<br />
produktion entscheidend für den Gewinn<br />
des Luftkrieges sind. Unter dem Decknamen<br />
„Double Strike“ pl<strong>an</strong>t deshalb die<br />
amerik<strong>an</strong>ische Luftwaffe am 17. August<br />
1943 ihren ersten rein strategischen Bomben<strong>an</strong>griff<br />
gegen Deutschl<strong>an</strong>d. Der Angriff<br />
soll die Lebensa<strong>der</strong>n <strong>der</strong> deutschen Rüstungsindustrie<br />
treffen, insbeson<strong>der</strong>e die<br />
deutsche Flugzeugindustrie. Das erste Ziel<br />
ist Regensburg. Dort stellt Messerschmitt<br />
die erfolgreichen Bf-109-Jäger her. Der<br />
zweite Verb<strong>an</strong>d soll Schweinfurt <strong>an</strong>greifen,<br />
das Zentrum <strong>der</strong> deutschen Kugellagerindustrie.<br />
Beide Ziele liegen tief im deutschen<br />
Hinterl<strong>an</strong>d, was einen l<strong>an</strong>gen An- und<br />
Rückflug für die von Engl<strong>an</strong>d aus operierenden<br />
Bomber bedeutet. Und sie liegen<br />
zudem deutlich außerhalb <strong>der</strong> Reichweite<br />
<strong>der</strong> amerik<strong>an</strong>ischen Begleitjäger − die Bomber<br />
sind auf sich allein gestellt. Doch die<br />
Amerik<strong>an</strong>er haben Vertrauen zu ihrer Technik<br />
und zu den Besatzungen, die die schweren<br />
Maschinen fliegen.<br />
Am Morgen des 17. August nehmen 146<br />
Bomber Kurs auf Regensburg. Bis zum Erreichen<br />
<strong>der</strong> deutschen Westgrenze verläuft<br />
<strong>der</strong> Einsatz ohne große Probleme. Nachdem<br />
jedoch die P-47-Begleitjäger wegen<br />
Treibstoffm<strong>an</strong>gels abdrehen müssen, sind<br />
die Bomber den Angriffen <strong>der</strong> Luftwaffe<br />
ausgesetzt. Die Deutschen setzen nicht nur<br />
Jagdflugzeuge mit konventionellen Bordwaffen<br />
ein, son<strong>der</strong>n zum ersten Mal im großen<br />
Maßstab auch großkalibrige Luft-Luft-<br />
Raketen, gen<strong>an</strong>nt Wurfgr<strong>an</strong>ate WGr. 21.<br />
Gegen Mittag erreichen die Bomber ihr<br />
Ziel. Spreng- und Br<strong>an</strong>dbomben treffen<br />
rund 70% des Werksgeländes. Die Treffgenauigkeit<br />
<strong>der</strong> amerik<strong>an</strong>ischen Besatzungen<br />
ist gut: Die Produktionshallen werden<br />
schwer getroffen. Die Endmontage <strong>der</strong><br />
Me 109 ist praktisch zerstört. Doch ihre Produktion<br />
k<strong>an</strong>n schon bald wie<strong>der</strong> aufgenommen<br />
werden und im Dezember 1943<br />
wird wie<strong>der</strong> die Fertigungsquote vom Juli<br />
1943 erreicht. Insgesamt gehen bei dem Angriff<br />
auf Regensburg 24 B-17 Bomber mit ihren<br />
Besatzungen verloren. Der aus 230 B-<br />
17-Bombern bestehende zweite Angriffs-<br />
ABWEHRBEREIT: Jäger des Typs Messerschmitt<br />
Bf 109 G-6 mit geladenen Werferrohren<br />
sind für den nächsten Einsatz gerüstet.<br />
Foto: Sammlung Dietmar Herm<strong>an</strong>n<br />
verb<strong>an</strong>d gegen Schweinfurt soll eigentlich<br />
zehn Minuten später starten. Doch dichter<br />
Nebel auf den Flugplätzen verzögert den<br />
Start um drei Stunden – Zeit genug für die<br />
deutschen Jäger nachzut<strong>an</strong>ken und aufzumunitionieren.<br />
Die Begleitjäger müssen<br />
wie<strong>der</strong> über Belgien abdrehen. Über 300<br />
deutsche Jäger nehmen <strong>an</strong> dem Kampf teil.<br />
Im großen Maßstab fliegen zweimotorige<br />
Zerstörer des Typs Me 110 Angriffe mit<br />
WGr.-21-Raketen. Allein auf dem Hinweg<br />
gehen so 22 <strong>der</strong> schwer bewaffneten B-17<br />
verloren. 183 aber erreichen Schweinfurt<br />
und die Kugellagerindustrie wird schwer<br />
getroffen. Während des Rückfluges beginnt<br />
die Luftwaffe erneut die US-Bomber über<br />
Clausewitz 1/2013<br />
63
Militär & Technik | P-51 Must<strong>an</strong>g<br />
GUT GESCHÜTZT: P-51 Must<strong>an</strong>gs begleiten<br />
die schweren B-17-Bomber<br />
während des gesamten Einsatzes. Ab<br />
dem Frühjahr 1944 ein normales Bild<br />
am deutschen Himmel. Foto: USAF<br />
Westdeutschl<strong>an</strong>d und Belgien zu attackieren.<br />
Insgesamt werden bei dem Unternehmen<br />
„Double Strike“ 60 B-17 sowie einige<br />
Jagdflugzeuge von den Deutschen abgeschossen;<br />
etwa 600 Amerik<strong>an</strong>er lassen dabei<br />
ihr Leben. Die Luftwaffe verliert hingegen<br />
nur 25 ihrer eingesetzten Jäger und einige<br />
Besatzungsmitglie<strong>der</strong>.<br />
Die neue Raketenwaffe<br />
Als den Amerik<strong>an</strong>ern klar wird, dass <strong>der</strong><br />
Luft<strong>an</strong>griff gegen Schweinfurt im August<br />
nicht <strong>der</strong> entscheidende Schlag gegen die<br />
deutsche Kugellagerfabrikation war, entschließen<br />
sie sich zu einem weiteren schweren<br />
Angriff. Nur zwei Monate nach dem<br />
Unternehmen „Double Strike“ greifen sie<br />
am 14. Oktober 1943 erneut Schweinfurt <strong>an</strong>.<br />
Für die amerik<strong>an</strong>ische Luftwaffe endet dieser<br />
Tag als Fiasko. 60 „fliegende Festungen“<br />
werden abgeschossen. Dieser Angriff geht<br />
als „Schwarzer Donnerstag“ in die Geschichte<br />
<strong>der</strong> amerik<strong>an</strong>ischen Luftwaffe ein.<br />
Ein Großteil <strong>der</strong> Abschüsse geht erneut<br />
auf das Konto <strong>der</strong> mit WGr. 21 ausgerüsteten<br />
Verbände. Die Wirkung ist für die Amerik<strong>an</strong>er<br />
demoralisierend. Dieser Erfolg <strong>der</strong><br />
Luftwaffe führt kurzzeitig sogar zu einer<br />
Einstellung <strong>der</strong> amerik<strong>an</strong>ischen Angriffe<br />
ins deutsche Hinterl<strong>an</strong>d. Die Luftwaffe<br />
k<strong>an</strong>n erneut mehr als 300 Jäger aufbieten<br />
und verliert davon <strong>an</strong> diesem Tag 38 Maschinen.<br />
General Arnold als Oberbefehlshaber<br />
<strong>der</strong> USAAF gibt nach den schweren Angriffen<br />
auf Schweinfurt <strong>an</strong>, dass die Raketeneinsätze<br />
<strong>der</strong> Luftwaffe jetzt einen Punkt erreicht<br />
haben, <strong>der</strong> eine ernsthafte Gefahr für<br />
die eigenen Angriffs-Operationen darstellt.<br />
Er drängt, dass sofort Gegenmaßnahmen<br />
ergriffen werden müssen, um die Bomber<br />
zu schützen.<br />
Die Moral <strong>der</strong> amerik<strong>an</strong>ischen Besatzungen<br />
ist auf dem Tiefpunkt und das Vertrauen<br />
in die Fähigkeiten <strong>der</strong> eigenen Bomber<br />
erschüttert. Die deutschen Erfolge führen<br />
direkt zu Konsequenzen: Der schnellstmögliche<br />
Einsatz von L<strong>an</strong>gstreckenbegleitjägern<br />
soll die B-17 perm<strong>an</strong>ent schützen.<br />
Die neue P-51B bewährt sich<br />
Die USAAF hat die Must<strong>an</strong>g bisl<strong>an</strong>g nur<br />
als Erdkampfflugzeug gesehen. Doch in<br />
Kombination mit dem Merlin-Motor und<br />
den zwei internen 320-l-T<strong>an</strong>ks fällt die Wahl<br />
des neuen Begleitjägers auf die Must<strong>an</strong>g.<br />
Nach <strong>der</strong> Bestellung von 2.200 P-51B muss<br />
die Produktion für den neuen Jäger<br />
zw<strong>an</strong>gsläufig ausgeweitet werden. Neben<br />
dem kalifornischen Stammwerk läuft die<br />
AUFGERÜSTET: Den Begleitschutz übernehmen zunächst P-47 Thun<strong>der</strong>bolts.<br />
Deren interne Treibstoffkapazität ist aber nur gering. Daher<br />
werden sie mit abwerfbaren Zusatzt<strong>an</strong>ks bestückt. Foto: USAF<br />
VOM ANFANG BIS ZUM ENDE: Die Must<strong>an</strong>gs begleiten die eigenen<br />
schweren Bomber bis zum Ziel und wie<strong>der</strong> zurück. Hier eine P-51 B<br />
mit nachgerüsteter Malcolm-Haube.<br />
Foto: USAF<br />
64
Die P-51 setzt sich durch<br />
DETAILLIERT: Zeitgenössische perspektivische Zeichnung <strong>der</strong> P-51 C.<br />
Die Konstruktion wird den Gegebenheiten so gut <strong>an</strong>gepasst, dass aus<br />
<strong>der</strong> P-51 ein höchst effektiver Jäger wird. Abb.: Sammlung Dietmar Herm<strong>an</strong>n<br />
ERFOLGREICHE BILANZ: An einer P-51 B finden Wartungsarbeiten<br />
unter Feldbedingungen statt. Die Hakenkreuze am Rumpf <strong>der</strong> Must<strong>an</strong>g<br />
stehen für Abschüsse von deutschen Maschinen. Foto: USAF<br />
HINTERGRUND 3 Allison V-1710<br />
Produktion ab Mitte 1943 in dem neuen<br />
Werk in Dallas, Texas <strong>an</strong>.<br />
Von <strong>der</strong> ersten Version <strong>der</strong> P-51 B-1 laufen<br />
400 Maschinen vom B<strong>an</strong>d, Dallas liefert<br />
350 als P-51C bezeichnete Jäger aus. Alle Jäger<br />
sind ausgerüstet mit dem Packard V-<br />
1650-3-Motor. Um die Reichweite zu vergrößern<br />
wird von den NAA-Ingenieuren<br />
noch zusätzlich ein 322-l-T<strong>an</strong>k hinter dem<br />
Pilotensitz <strong>der</strong> Must<strong>an</strong>g eingebaut. Weitere<br />
800 P-51 B-5 folgen, die letzten 550 Maschinen<br />
davon erhalten den neuen Rumpft<strong>an</strong>k,<br />
die damit zur P-51 B-7 werden. Die Rumpft<strong>an</strong>ks<br />
werden nachträglich bei allen bereits<br />
ausgelieferten P-51B und C durch Frontwerften<br />
eingebaut. Mit Aufnahme <strong>der</strong> Produktion<br />
<strong>der</strong> P-51 C-5 k<strong>an</strong>n <strong>der</strong> leistungsmäßig verbesserte<br />
V-1650-7-Motor eingebaut werden.<br />
Insgesamt liefert NAA rund 2.000 in Inglewood<br />
gebaute P-51B aus, 1.750 weitere P-51C<br />
kommen aus Dallas dazu. Im Rahmen des<br />
Pacht- und Leihabkommens erhält auch die<br />
RAF 274 P-51B und 636 P-51C, die dort als<br />
Must<strong>an</strong>g III eingesetzt werden.<br />
Problematischer Begleitschutz<br />
Ab Mai 1943 übernimmt zunächst die Republic<br />
P-47 die Aufgabe für den Begleitschutz<br />
<strong>der</strong> Bomber. Ihr Eindringtiefe beträgt<br />
allerdings nur 280 km, also nur bis<br />
Der Allison V-1710 ist ein flüssiggekühlter<br />
12-Zylin<strong>der</strong>-V-Motor<br />
und <strong>der</strong><br />
einzige in den USA entwickelte<br />
Flugmotor dieser<br />
Bauart. Neben dem Einbau<br />
in <strong>der</strong> P-51 wird <strong>der</strong><br />
Motor auch für die Lockheed<br />
P-38, Bell P-39 und Curtiss P-40<br />
verwendet. Die meisten <strong>der</strong> Motoren<br />
sind mit Einstufenla<strong>der</strong> ausgerüstet,<br />
die nur für niedrige Höhen<br />
ausreichen. Mehr als<br />
70.000 werden davon<br />
bis Kriegsende<br />
gebaut.<br />
kurz über dem Ärmelk<strong>an</strong>al. Den Jägern fehlen<br />
Zusatzt<strong>an</strong>ks.<br />
Bereits Ende 1942 erkennen die Amerik<strong>an</strong>er,<br />
dass abwerfbare Zusatzt<strong>an</strong>ks die einzige<br />
Möglichkeit sind, die Reichweite ihrer<br />
Jäger zu erhöhen. Bis Anf<strong>an</strong>g 1943 geschieht<br />
allerdings wenig. Erst zu diesem<br />
Zeitpunkt wird die Möglichkeit geprüft,<br />
Zusatzt<strong>an</strong>ks in Engl<strong>an</strong>d bauen zu lassen.<br />
Bedingt durch die Materialknappheit dort<br />
schlagen die Briten den Bau von 108 Gallonen<br />
(409 l) fassenden Papert<strong>an</strong>ks vor. Diese,<br />
aus laminiertem und verleimtem Papier<br />
hergestellten T<strong>an</strong>ks halten nur für eine Mission.<br />
Sie sind dafür aber extrem leicht. Die<br />
ersten Lieferungen erfolgen im Juli 1943.<br />
Noch im August 1943 erhöht <strong>der</strong> Anbau des<br />
abwerfbaren Zusatzt<strong>an</strong>ks die Reichweite<br />
<strong>der</strong> P-47 auf 600 km. Im Februar 1944 k<strong>an</strong>n<br />
<strong>der</strong> Aktionsradius durch die Mitnahme von<br />
zwei 108-Gallonen-T<strong>an</strong>ks um weitere 160<br />
km gesteigert werden.<br />
Das alles wird noch übertroffen von <strong>der</strong><br />
neuen P-51. Ohne Zusatzt<strong>an</strong>ks fliegt diese<br />
Maschine soweit wie die demit schon bestückte<br />
P-47. Mit zwei 75-Gallonen-T<strong>an</strong>ks<br />
(284 l) ab März 1944 fliegt die Must<strong>an</strong>g<br />
1.040 km Begleitschutz und erstmals im<br />
gleichen Monat mit 108-Gallonen-Zusatzt<strong>an</strong>ks<br />
sogar 1.360 km.<br />
Von nun <strong>an</strong> begleiten die P-51 die Bomber<br />
zu jedem Angriffsziel. Es dauert allerdings<br />
noch bis zum Frühjahr 1944 bis die Anzahl<br />
<strong>der</strong> notwendigen Jäger dem tatsächlichen<br />
Bedarf entspricht. Laut General Eaker reduziert<br />
allein die Anwesenheit einer Begleitjägergruppe<br />
beim Aufein<strong>an</strong><strong>der</strong>treffen<br />
mit <strong>der</strong> Luftwaffe die Verluste um 75%. Erste<br />
P-51-Verbände werden Ende 1943 nach<br />
Engl<strong>an</strong>d verlegt. Den ersten Einsatz fliegen<br />
sie am 11. Februar 1944. Die P-51 entwickelt<br />
sich von da <strong>an</strong> sehr schnell zum bevorzugten<br />
L<strong>an</strong>gstreckenbegleitjäger und löst die<br />
P-47 relativ zügig ab.<br />
Die Luftüberlegenheit<br />
Bereits drei Monate nach Schweinfurt zeigen<br />
die amerik<strong>an</strong>ischen Maßnahmen Wirkung<br />
und das g<strong>an</strong>ze Geschehen beginnt sich<br />
zu Gunsten <strong>der</strong> Amerik<strong>an</strong>er zu än<strong>der</strong>n. Die<br />
Entwicklung <strong>der</strong> L<strong>an</strong>gstreckenbegleitjäger<br />
in Kombination mit den neuen Zusatzt<strong>an</strong>ks<br />
ist die richtige Antwort auf die deutsche Taktik,<br />
die Bomber mit Raketen <strong>an</strong>zugreifen. Ab<br />
Februar 1944 begleiten immer mehr mo<strong>der</strong>ne<br />
P-51 die amerik<strong>an</strong>ischen Bomber zu ihren<br />
Zielen. Zu diesem Zeitpunkt besitzt die Luftwaffe<br />
keinen Jäger mehr, <strong>der</strong> die Leistungsklasse<br />
<strong>der</strong> Must<strong>an</strong>g erreicht. Während sich<br />
die Verluste <strong>der</strong> wendigen amerik<strong>an</strong>ischen<br />
Begleitjäger in Grenzen halten, verlieren die<br />
Deutschen mehr und mehr ihrer Jäger und<br />
Zerstörer. Aufgrund zahlenmäßiger Überlegenheit<br />
und besserer Ausbildung ihrer Piloten<br />
erringen die Alliierten hauptsächlich mit<br />
<strong>der</strong> Must<strong>an</strong>g endgültig die Luftherrschaft<br />
über Deutschl<strong>an</strong>d.<br />
Dietmar Herm<strong>an</strong>n, Dipl. Ing. für Nachrichtentechnik<br />
aus Dortmund, Experte für deutsche Luftfahrtgeschichte<br />
und Verfasser zahlreicher Fachartikel und Bücher.<br />
Clausewitz 1/2013<br />
65
Spurensuche<br />
Atomwaffen im Kalten Krieg<br />
Die Minutem<strong>an</strong> Missile<br />
Sites in den USA<br />
SCHLICHT: Die über den gesamten Mittleren<br />
Westen <strong>der</strong> USA verteilten unterirdischen<br />
LCC verbergen sich unter solchen<br />
unscheinbaren Gebäuden, wie jenes <strong>der</strong><br />
jetzigen Ronald Reag<strong>an</strong> Minutem<strong>an</strong> Missile<br />
State Historic Site bei Cooperstown in<br />
North Dakota.<br />
Alle Fotos: Autor<br />
Auf Basis des START-Vertrags werden<br />
die über den Mittleren Westen verstreuten<br />
Komm<strong>an</strong>dobunker und unterirdischen<br />
Raketensilos zerstört – mit zwei<br />
Ausnahmen, die in North und South Dakota<br />
zu Museen umfunktioniert werden.<br />
Nichts erinnert dar<strong>an</strong>, dass hier einst einer<br />
<strong>der</strong> heißesten Plätze des Kalten Krieges gewesen<br />
ist. Auch nicht das flache Gebäude<br />
auf einer Anhöhe nördlich des Interstate<br />
Highway 90, von wo aus die L<strong>an</strong>dschaft gut<br />
zu überblicken ist. Vom I-90, <strong>der</strong> sich wie<br />
eine Schl<strong>an</strong>ge durch die Prärie windet, fällt<br />
das Haus dagegen kaum auf. Am Horizont<br />
glitzern die rotbraunen Felsen des Badl<strong>an</strong>ds<br />
Nationalparks. Nur wenige Menschen leben<br />
hier in <strong>der</strong> Mitte von Nirgendwo. Die<br />
Gegend ist daher wie geschaffen für geheime<br />
militärische Anlagen.<br />
Geeignetes Gelände<br />
Um 1960 beginnt die U.S. Air Force, sich<br />
nach St<strong>an</strong>dorten für Silos und Komm<strong>an</strong>dobunker<br />
für die neuartigen, mit Festbrennstoff<br />
betriebenen Minutem<strong>an</strong>-Raketen<br />
umzuschauen. Es sollen möglichst viele Raketen<br />
untergebracht, aber auch ein Sicherheitsabst<strong>an</strong>d<br />
zwischen den Silos von mindestens<br />
fünf Kilometern eingehalten werden.<br />
Zudem gilt es, Sabotage weitgehend<br />
auszuschließen. Auch die Geländeform, die<br />
Bodenbeschaffenheit und Wasservorkommen<br />
– notfalls wird ein 900 Meter tiefer<br />
Brunnen gebohrt – spielen eine Rolle.<br />
Hinzu kommt die geografische Lage:<br />
Die ersten Vari<strong>an</strong>ten erreichen in <strong>der</strong> Praxis<br />
nicht die offizielle Reichweite von 5.500<br />
Meilen, also 8.800 Kilometern. So sind die<br />
<strong>an</strong>gedachten Ziele im europäischen Teil <strong>der</strong><br />
66
31. Juli 1991: George Bush und Michail Gorbatschow unterzeichnen den START-Vertrag<br />
zur Verringerung strategischer Waffen. In <strong>der</strong> Folge stellen die USA ihre 450 mit Atomsprengköpfen<br />
bestückten Interkontinentalraketen vom Typ Minutem<strong>an</strong> II außer Dienst.<br />
Von Walter Kreuzer<br />
WEGBEREITERIN:<br />
R<strong>an</strong>gerin Pamela Grisword,<br />
hier im LCC<br />
Delta 01, gehört zu<br />
den Pionieren unter<br />
den Mitarbeitern <strong>der</strong><br />
Minutem<strong>an</strong> Missiles<br />
National Historic Site.<br />
Sowjetunion kaum zu erreichen. Texas, Georgia<br />
o<strong>der</strong> Oklahoma kommen deshalb für<br />
eine Stationierung nicht mehr in Frage.<br />
M<strong>an</strong> konzentriert sich auf die Northern<br />
Plains. Dort werden North und South Dakota,<br />
Missouri, Mont<strong>an</strong>a, Wyoming, Colorado<br />
und Nebraska ausgewählt, was in diesen<br />
strukturschwachen ländlichen Regionen<br />
des Mittleren Westens enorme<br />
wirtschaftliche Auswirkungen hat.<br />
Zu den Luftwaffenstützpunkten, denen<br />
die Minutem<strong>an</strong> zugeordnet werden, gehören<br />
die Ellsworth Air Force Base nahe Rapid<br />
City im Südwesten von South Dakota<br />
sowie die Great Forks Air Force Base im<br />
Nordosten von North Dakota. Zumeist auf<br />
L<strong>an</strong>dstraßen geht es zwischen unendlichen<br />
Getreidefel<strong>der</strong>n und Weiden hindurch.<br />
D<strong>an</strong>n ist die Launch Facility November-33<br />
erreicht.<br />
Mitten im Nirgendwo<br />
Ein braunes Schild weist zu einem geschotterten<br />
Weg, <strong>der</strong> nach 150 Metern <strong>an</strong> einem<br />
Maschendrahtzaun endet. Das Gelände hat<br />
kaum die Größe eines Fußballplatzes. Umgeben<br />
ist es von Äckern und Schilfgras; Vögel<br />
zwitschern, <strong>der</strong> Wind bläst kräftig über<br />
das flache L<strong>an</strong>d.<br />
Hier also hatte US-Präsident John F.<br />
Kennedy sein „Ace in the hole“ versteckt.<br />
Ab 1966 ist November-33 eines jener „Löcher“,<br />
in denen die U.S. Air Force ihre als<br />
Ass im Rüstungswettlauf mit <strong>der</strong> Sowjetunion<br />
erachteten Minutem<strong>an</strong> versteckt hält.<br />
Im Zuge <strong>der</strong> Umsetzung des START-Abkommens<br />
wird die Anlage 1997 außer Betrieb<br />
gestellt. Nun ist sie Teil <strong>der</strong> Ronald<br />
Reag<strong>an</strong> Minutem<strong>an</strong> Missiles State Historic<br />
Clausewitz 1/2013 67
Spurensuche<br />
KALTER KRIEG HAUTNAH:<br />
Das Raketensilo Delta 09 in<br />
South Dakota gewährt den<br />
Blick auf eine Übungsrakete<br />
vom Typ Minutem<strong>an</strong> II.<br />
Site. Mehr als ein Dutzend Schautafeln geben<br />
Informationen zum Kalten Krieg und<br />
den Raketen, die noch immer den Kern <strong>der</strong><br />
amerik<strong>an</strong>ischen Atomstreitmacht ausmachen.<br />
Letzteres inzwischen in Form <strong>der</strong> Minutem<strong>an</strong><br />
III, die nicht unter den Abrüstungsvertrag<br />
von 1991 fallen.<br />
Gig<strong>an</strong>tisches Zerstörungspotenzial<br />
Im hinteren Bereich von November-33 ist<br />
eine 140 Zentimeter hohe, 80 Tonnen<br />
schwere und etwa sieben Meter große eckige<br />
Betonplatte zu sehen. Diese lässt sich offensichtlich<br />
auf Schienen bewegen. Es h<strong>an</strong>delt<br />
sich um die Abdeckung des Silos für<br />
die knapp 18 Meter l<strong>an</strong>ge Minutem<strong>an</strong> II.<br />
Ein Atomsprengkopf k<strong>an</strong>n damit 11.300 Kilometer<br />
weit tr<strong>an</strong>sportiert werden – bei einer<br />
maximalen Geschwindigkeit von<br />
29.030 Stundenkilometern. Die Sprengkraft<br />
wird mit mehr als 300 Kilotonnen <strong>an</strong>gegeben.<br />
Zum Vergleich: Hiroshima und Nagasaki<br />
wurden mit 13 beziehungsweise 21 Kilotonnen<br />
in Schutt und Asche gelegt. Viel<br />
mehr als eine Metallplatte über dem Einstieg<br />
für die Wartungsm<strong>an</strong>nschaften in das<br />
Silo und einige kerzengerade in den Himmel<br />
ragende Antennen ist hier nicht zu sehen.<br />
Auch keine Rakete.<br />
Das ist 700 Kilometer entfernt in South<br />
Dakota <strong>an</strong><strong>der</strong>s. Das Navigationsgerät führt<br />
auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Minutem<strong>an</strong> Missile<br />
National Historic Site zur Ausfahrt 116 des<br />
I-90 und über eine holprige Straße zum Silo<br />
Delta-09. Das Bild gleicht jenem bei November-33:<br />
Ein eingezäuntes Gelände inmitten<br />
einer weiten Ebene, die als Weidel<strong>an</strong>d<br />
für Rin<strong>der</strong> genutzt wird. Statt<br />
informativer Schautafeln gibt es hier unter<br />
einer Glasabdeckung eine echte Rakete – eine<br />
Übungsrakete vom Typ Minutem<strong>an</strong> II –<br />
im unterirdischen Betonsilo zu sehen.<br />
Eine Gepflogenheit aus <strong>der</strong> Zeit des Kalten<br />
Krieges scheint sich in abgew<strong>an</strong>delter<br />
Form erhalten zu haben. Wenngleich die<br />
Menschen in den Dakotas natürlich wissen,<br />
dass sich quasi in ihrem Vorgarten militärische<br />
Anlagen befinden, werden die genauen<br />
St<strong>an</strong>dorte <strong>der</strong> Bunker und Silos nicht <strong>an</strong><br />
die große Glocke gehängt. Ähnlich verhält<br />
es sich mit <strong>der</strong> Minutem<strong>an</strong> Missile National<br />
Historic Site. Diese wird seit 1999 vom Nationalparkservice<br />
verwaltet, Hinweisschil<strong>der</strong><br />
am Interstate sind allerdings M<strong>an</strong>gelware.<br />
Nächstes Jahr soll ein Besucherzentrum<br />
für 500.000 Gäste gebaut werden –<br />
„Ein Atomkrieg darf nicht geführt und k<strong>an</strong>n<br />
nicht gewonnen werden.“<br />
Michail Gorbatschow bei einem Treffen mit Ronald Reag<strong>an</strong> (1985)<br />
ähnliches wird vor Ort schon seit sechs Jahren<br />
erzählt. Geän<strong>der</strong>t hat sich seither lediglich,<br />
dass es nun zwei statt nur einen Bürocontainer<br />
gibt.<br />
Hier übernimmt Carl Engwall, <strong>der</strong> Facility<br />
Specialist des Parks die Führung. Mit<br />
dem Auto geht es drei Meilen zurück Richtung<br />
Westen. Auf einem Hügel, einen Kilometer<br />
vom Exit 128 entfernt, liegt Delta-01.<br />
Das Gelände ist durch einen Elektrozaun<br />
gesichert. Ein gep<strong>an</strong>zerter Wagen – im Air-<br />
Force-Jargon „Peacekeeper“ gen<strong>an</strong>nt – gibt<br />
einen Eindruck vom einst enormen Sicherheitsbedürfnis.<br />
Ein <strong>an</strong><strong>der</strong>es Beispiel hierfür<br />
steht 60 Meter vom Haus entfernt in einer<br />
Ecke des Freigeländes: Die eiserne Trommel<br />
mit Lüftungsschlitzen erinnert <strong>an</strong> einen<br />
verrosteten Kugelgrill. „Hier haben die<br />
Missileers ihren Code verbrennen müssen,<br />
wenn sie ihren Dienst beendeten“, erläutert<br />
Carl Engwall, selbst ehemaliger Air-Force-<br />
Pilot. Als „Missileers“ bezeichnet er jene<br />
jungen Offiziere, die im Bunker ihren<br />
Dienst taten.<br />
68
Sicherheitsmaßnahmen gegen Sabotage und Spionage<br />
GUT ÜBERSCHAU-<br />
BAR: Das Sicherheitscenter<br />
von Oscar 0<br />
bietet einen freien<br />
Blick über die Prärie<br />
von North Dakota.<br />
ZWISCHEN DEN EIN-<br />
SÄTZEN: Ihre Freizeit<br />
während <strong>der</strong> mehrtägigen<br />
Einsätze in Delta<br />
1 verbrachten die<br />
Soldaten zum Teil in<br />
diesem im Stil <strong>der</strong><br />
1970er-Jahre eingerichteten<br />
Aufenthaltsraum.<br />
Die Besatzung des LCC besteht hier oben<br />
aus acht Personen. Die sechs Wachsoldaten<br />
und <strong>der</strong> Koch bleiben für drei Tage, <strong>der</strong> für<br />
die Org<strong>an</strong>isation und Hausmeisteraufgaben<br />
zuständige Facility M<strong>an</strong>ager eine knappe<br />
Woche im LCC. Hier arbeiten und schlafen<br />
sie und verbringen ihre Freizeit. Dem<br />
Zeitvertreib dienen ein Volleyballfeld und<br />
ein Basketballkorb auf dem Hof sowie ein<br />
Aufenthaltsraum. Spiele wie Schiffe versenken,<br />
Billardtische, Tischtennisplatten,<br />
Kassettenrekor<strong>der</strong> und ab den 1980er-Jahren<br />
auch Fernseher sorgen für zusätzliche<br />
Abwechslung.<br />
Gut bewacht<br />
Der Bungalow, das Launch Control Facility<br />
Support Building, ist unscheinbar. Die Einrichtung<br />
<strong>der</strong> Zimmer entspricht dem Geschmack<br />
<strong>der</strong> 1970er- und 1980er-Jahre. Neben<br />
<strong>der</strong> Unabhängigkeit <strong>der</strong> Anlage von<br />
<strong>der</strong> Außenwelt – alle technischen Einrichtungen<br />
sind mehrfach gesichert – hat die Sicherheit<br />
oberste Priorität. Deshalb bilden<br />
die beiden Flight Security Controllers und<br />
die ihnen unterstellten Security Alert Teams<br />
den Kern <strong>der</strong> Besatzung. „Sie hatten Polizeiaufgaben,<br />
achteten darauf, dass niem<strong>an</strong>d<br />
auf das Gelände kam“, erzählt Nath<strong>an</strong>iel<br />
Clifton. Der Student führt Besucher<br />
durch Oscar Zero, jenen zumindest oberirdisch<br />
weitgehend identisch aufgebauten<br />
Launch Control Center nördlich des Städtchens<br />
Cooperstown in North Dakota, <strong>der</strong><br />
seit 2009 als Ronald Reag<strong>an</strong> Minutem<strong>an</strong><br />
Missile State Historic Site ebenfalls für Besucher<br />
zugänglich ist.<br />
Vom Security Center <strong>an</strong> <strong>der</strong> dem Tor zugew<strong>an</strong>dten<br />
Ecke des Gebäudes aus wird alles<br />
überwacht. „Besucher mussten ihr Auto<br />
abstellen und zur Tür kommen. Hier sind<br />
zwei Türen hinterein<strong>an</strong><strong>der</strong>. Bevor die zweite<br />
geöffnet wurde, mussten die Ausweispapiere<br />
durch einen Schlitz in den Security<br />
Center geschoben werden“, sagt Clifton<br />
weiter. Von hier oben wird <strong>der</strong> Kontakt zu<br />
den „Missileers“ im unterirdischen Komm<strong>an</strong>dost<strong>an</strong>d<br />
gehalten. Und die „Security<br />
Alert Teams“ werden mit dem „Peacekeeper“<br />
losgeschickt, wenn <strong>an</strong> einem <strong>der</strong> zehn<br />
durch armdicke luftdruckgesicherte<br />
HICKS-Kabel mit dem LCC verbundenen<br />
ZEITMASCHINE:<br />
In die 1960er-Jahre<br />
zurückversetzt fühlt<br />
sich <strong>der</strong> Besucher von<br />
Oscar 0 <strong>an</strong>gesichts<br />
dieser Computer- und<br />
Schaltschränke im<br />
unterirdischen LCC.<br />
Raketensilos eine Bewegung festgestellt<br />
wird. „Das passierte ständig, vor allem bei<br />
Stürmen o<strong>der</strong> Schneestürmen. Meistens<br />
h<strong>an</strong>delte es sich um falschen Alarm, aber<br />
die Sicherheitsleute oben mussten jem<strong>an</strong>den<br />
rausschicken“, ist zu erfahren.<br />
Unter <strong>der</strong> Erde<br />
Das Herzstück eines Launch Control Centers<br />
liegt gut versteckt etliche Meter unter<br />
<strong>der</strong> Erde. Um dorthin zu gel<strong>an</strong>gen, müssen<br />
sich die „Missileers“ gleich vier Mal autorisieren,<br />
wenn sie ihre 24-Stunden-Schicht<br />
<strong>an</strong>treten: am Tor, am Eing<strong>an</strong>g zum Gebäude,<br />
im Security Center und schließlich in einem<br />
kleinen Raum, <strong>der</strong> den Zug<strong>an</strong>g zu einem<br />
Aufzug gewährt.<br />
Während bei Delta-01 gerade einmal eine<br />
H<strong>an</strong>dvoll Personen Platz in dem rustikalen<br />
Lift finden, h<strong>an</strong>delt es sich bei Oskar<br />
Zero um einen relativ geräumigen Lastenaufzug<br />
mit mehr als vier Tonnen Tragfähigkeit.<br />
Vor dem Aufzug schließen sich<br />
zwei Gitter. Mit lautem Getöse setzt er sich<br />
in Bewegung – g<strong>an</strong>z l<strong>an</strong>gsam geht es abwärts.<br />
Clausewitz 1/2013<br />
69
Spurensuche<br />
AMERIKANISCHE<br />
POPKULTUR: Der<br />
Arbeitsplatz des<br />
Komm<strong>an</strong>deurs von<br />
Oscar 0 wird von<br />
diesem Bugs Bunny<br />
bewacht.<br />
Hier unten wird<br />
schnell deutlich,<br />
warum in den beiden<br />
zugänglichen<br />
LCC unterschiedlich<br />
große Fahrstühle eingebaut sind: Bei<br />
Oskar Zero sind im Gegensatz zu Delta-01<br />
gleich zwei Kapseln vergraben. Beide sind<br />
schw<strong>an</strong>kend <strong>an</strong> Stoßabsorbern aufgehängt<br />
und können gut einen halben Meter in jede<br />
Richtung schwingen. Eine <strong>der</strong> Kapseln enthält<br />
das Launch Control Equipment Building<br />
(LCEB), also den Technikraum. Von<br />
hier aus wird die Versorgung des eigentlichen<br />
Kontrollst<strong>an</strong>des mit Energie und Luft<br />
geregelt. Gesichert ist er durch eine sieben<br />
Tonnen schwere Eisentür, die jedem Tresorraum<br />
einer Großb<strong>an</strong>k zur Ehre gereichen<br />
würde. Im LCEB ist ein sonores Brummen<br />
zu hören. Salzwasser für die Heizungs- und<br />
Kühlsysteme, Luftfilter, Diesel für die Generatoren<br />
und <strong>an</strong><strong>der</strong>es Gerät versprühen<br />
ADRESSEN<br />
Ronald Reag<strong>an</strong> Minutem<strong>an</strong> Missile Site<br />
Reag<strong>an</strong> Minutem<strong>an</strong> Missile State Historic Site<br />
555 113-1/2 Ave NE Hwy 45<br />
PO Box 6<br />
Cooperstown, ND 58425-0006<br />
Eintritt: 10 $, Kin<strong>der</strong> 3 $<br />
Öffnungszeiten: November bis 28. Februar: nur<br />
nach Anmeldung, 1. März bis 15. Mai und 16.<br />
September bis 31. Oktober: Montag und Donnerstag<br />
bis Samstag, 10 bis 18 Uhr, Sonntag<br />
10 bis 17 Uhr, 16. Mai bis 15. September: täglich<br />
10 bis 18 Uhr, Touren beginnen alle halbe<br />
Stunde.<br />
Internet: www.history.nd.gov/historicsites/<br />
minutem<strong>an</strong>missile<br />
den Charme <strong>der</strong> 1960er-Jahre. Sie sollten<br />
die „Missileers“ für mindestens 30 Tage unabhängig<br />
von <strong>der</strong> Außenwelt machen. Die<br />
Türen werden nur bei einem Schichtwechsel<br />
geöffnet – ein H<strong>an</strong>drad wird gedreht<br />
und mit einer Metallst<strong>an</strong>ge werden ein<br />
Dutzend Stäbe hydraulisch in die in die<br />
W<strong>an</strong>d eingelassenen Löcher geschoben.<br />
Spezieller Sicherheitsmech<strong>an</strong>ismus<br />
Wenige Schritte weiter befindet sich eine<br />
weitere „Blast Door“, hinter <strong>der</strong> sich die<br />
Abschusszentrale für die Minutem<strong>an</strong> befindet.<br />
Sie ist fast identisch mit <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en.<br />
Allerdings k<strong>an</strong>n sie nur von innen bedient<br />
werden, wenn sie erst einmal geschlossen<br />
ist. Lediglich <strong>der</strong> Facility M<strong>an</strong>ager k<strong>an</strong>n sie<br />
Minutem<strong>an</strong> Missile National Historic Site<br />
Post<strong>an</strong>schrift:<br />
Minutem<strong>an</strong> Missile NHS<br />
1280 SD Hwy 240<br />
Philip, SD 57567<br />
Anfahrt: Alle geführten Touren beginnen <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />
Contact Station des Parks in <strong>der</strong> Nähe von Exit<br />
131 des I-90, neben <strong>der</strong> Conoco-T<strong>an</strong>kstelle.<br />
Eintritt: Gratis<br />
Öffnungszeiten:<br />
Contact Station: Täglich 8 bis 16:30 Uhr, November<br />
bis April <strong>an</strong> Wochenenden 9 bis 16 Uhr<br />
Führungen: November bis April: 10 und 14 Uhr,<br />
ab Mai täglich in dichteren Intervallen, Tickets<br />
sind <strong>an</strong> <strong>der</strong> Contact Station erhältlich.<br />
Internet: www.nps.gov/mimi<br />
im Notfall öffnen, was etwa 50 Minuten<br />
dauert. Bis zur „Last Alert“, <strong>der</strong> letzten<br />
Schicht, in Oskar Zero am 17. Juli 1997 galt<br />
hier die gleiche Vorschrift wie in allen <strong>an</strong><strong>der</strong>en<br />
LCC: „No-Lone Zone two person concept<br />
applies“ steht in greller Farbe auf einem<br />
Schild. Eine gelbe Linie auf dem Boden<br />
unterstreicht die Anweisung zusätzlich.<br />
Wer auf die <strong>an</strong><strong>der</strong>e Seite möchte, muss von<br />
einer <strong>an</strong><strong>der</strong>en Person begleitet und beaufsichtigt<br />
werden.<br />
Der Grund ist klar: Es muss unter allen<br />
Umständen verhin<strong>der</strong>t werden, dass „Missileers“<br />
eigenmächtig eine Atomrakete abfeuern.<br />
Dafür sind zahlreiche weitere Sicherungen<br />
ins System eingebaut. Das fängt bei<br />
<strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Soldaten für die Combat<br />
Crews <strong>an</strong>. Sie sollten zuverlässig, stabil und<br />
intelligent sein. Und m<strong>an</strong> musste sich darauf<br />
verlassen können, dass sie im Durchein<strong>an</strong><strong>der</strong><br />
eines atomaren Krieges eine Minutem<strong>an</strong><br />
abschießen würden – aber nicht früher.<br />
Colonel Richard Butler von <strong>der</strong><br />
Personalabteilung des Strategic Air Comm<strong>an</strong>ds<br />
<strong>der</strong> USA (SAC) drückte es 1963 so<br />
aus: „Wir brauchen eine Art Einsiedler.<br />
Aber ein Einsiedler hätte nicht die Haupteigenschaften,<br />
die wir brauchen.“<br />
An<strong>der</strong>e Sicherheitsvorkehrungen gegen<br />
einen nicht autorisierten Raketenabschuss<br />
werden innerhalb <strong>der</strong> etwa vier Meter breiten<br />
und gut neun Meter l<strong>an</strong>gen Kapsel<br />
deutlich. Hinter <strong>der</strong> Betontüre gel<strong>an</strong>gt m<strong>an</strong><br />
durch einen tunnelähnlichen niedrigen<br />
Durchg<strong>an</strong>g und über eine Stahlplatte, die<br />
den Abst<strong>an</strong>d zwischen äußerer und innerer<br />
70
Beschaulicher Alltag<br />
EIGENWILLIGE KUNST: Schwarzen Humor<br />
demonstrierten die in Delta 01 eingesetzten<br />
Offiziere mit diesem Gemälde<br />
auf <strong>der</strong> tonnenschweren Tür zum unterirdischen<br />
Komm<strong>an</strong>dost<strong>an</strong>d.<br />
KOMMANDANTENPLATZ: Diese Kontrolleinheit<br />
befindet sich in Delta 01, am Kopfende<br />
<strong>der</strong> Abschusszentrale.<br />
Schale <strong>der</strong> Kapsel überbrückt, in das eigentliche<br />
LCC. Kaum eingetreten fühlt m<strong>an</strong> sich<br />
zurückversetzt in längst verg<strong>an</strong>gene Zeiten.<br />
Die Kommunikationsgeräte und Computerausstattung<br />
stammen aus den 1960er-<br />
Jahren. Auch wenn sie aus heutiger Sicht altertümlich<br />
erscheinen: Sie erfüllten bis in<br />
die 1990er-Jahre ihren Zweck.<br />
Kein „heißer“ Einsatz<br />
Der Komm<strong>an</strong>dost<strong>an</strong>d umfasst zwei Pulte<br />
mit einer Vielzahl <strong>an</strong> Schaltern, Knöpfen<br />
und Anzeigen. Diese dienten vor allem <strong>der</strong><br />
Kommunikation mit <strong>an</strong><strong>der</strong>en Launch Control<br />
Centers, dem Stützpunkt o<strong>der</strong> dem<br />
SAC. Die Plätze des Comm<strong>an</strong><strong>der</strong>s am Ende<br />
des Raumes und des Deputy Comm<strong>an</strong><strong>der</strong>s,<br />
rechts wenige Schritte vom Eing<strong>an</strong>g, sind<br />
etwa vier Meter ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>. Vor jedem<br />
Pult befinden sich rote Flugzeugsitze, die<br />
sich auf Schienen seitwärts bewegen lassen.<br />
Sie sind mit Becken- und Schultergurten<br />
ausgestattet. Der Zust<strong>an</strong>d <strong>der</strong> zehn von hier<br />
aus gesteuerten Raketen lässt sich je<strong>der</strong>zeit<br />
JAHRELANG IM EIN-<br />
SATZ: Ähnlich wie<br />
die in den Launch<br />
Control Centers verwendete<br />
Technik haben<br />
sich die Uniformen<br />
<strong>der</strong> in Oscar 0<br />
eingesetzten Soldaten<br />
kaum verän<strong>der</strong>t.<br />
kontrollieren. Bei Bedarf k<strong>an</strong>n auch auf einen<br />
<strong>an</strong><strong>der</strong>en Flight umgeschaltet werden.<br />
„Das wurde d<strong>an</strong>n gemacht, wenn die Kollegen<br />
aus einem <strong>an</strong><strong>der</strong>en LCC für kurze<br />
Zeit nicht einsatzfähig waren“, erläutert<br />
Nath<strong>an</strong>iel Clifton in Oskar Zero diesen Secundary<br />
Flight Group Status.<br />
Direkt ins Auge sticht einem ein roter,<br />
damals mit zwei Vorhängeschlössern gesicherter<br />
Eisenkasten oberhalb des Deputy-<br />
Platzes: In diesem befindet sich das „Coockie“.<br />
Gemeint sind die zum Starten <strong>der</strong><br />
Raketen nötigen Schlüssel sowie <strong>der</strong> Autorisierungscode.<br />
Damit dieser funktioniert,<br />
ist ein passen<strong>der</strong> zweiter Teil notwendig,<br />
den nur <strong>der</strong> US-Präsident kennt.<br />
Um eine Rakete zu starten, muss sie<br />
durch den Comm<strong>an</strong><strong>der</strong> scharfgemacht<br />
werden. Beide „Missileers“ müssen innerhalb<br />
von zwei Sekunden ihren Schlüssel<br />
zeitgleich umdrehen, wenn sie für die <strong>an</strong>gegebene<br />
Rakete den entsprechenden Schalter<br />
umgelegt haben. Damit nicht genug:<br />
„Ein zweites Control Center o<strong>der</strong> das SAC<br />
muss ebenfalls das Startsignal geben. Erst<br />
d<strong>an</strong>n wird <strong>der</strong> Start wirklich ausgelöst. Von<br />
nun <strong>an</strong> gibt es keinen Weg zurück“, erzählt<br />
Clifton. Welches Ziel <strong>an</strong>gesteuert wird, ist<br />
im Bunker nicht bek<strong>an</strong>nt. Jede Minutem<strong>an</strong><br />
hatte acht Ziele. Die „Missileers“ mussten<br />
nur von Ziel 2 auf Ziel 3 umstellen. Carl<br />
Engwall betont in Delta-01: „Der Befehl<br />
k<strong>an</strong>n nur vom Präsidenten selbst gegeben<br />
werden.“ Hätte er diesen erteilt, wären bis<br />
zum Umdrehen <strong>der</strong> Schlüssel keine 60 Sekunden<br />
verg<strong>an</strong>gen.<br />
Dazu ist es gottseid<strong>an</strong>k nie gekommen.<br />
Entsprechend l<strong>an</strong>gweilig konnte eine 24-<br />
Stunden-Schicht werden. „Wir arbeiteten<br />
viel <strong>an</strong> unserem Master-Abschluss und übten<br />
für die nächste Prüfung“, erinnert sich<br />
<strong>der</strong> pensionierte Major Jim Boensch, <strong>der</strong><br />
heute Touristen durch Delta-01 führt. „Wir<br />
waren nicht nur hoch bezahlte Zeitschriftenleser,<br />
son<strong>der</strong>n auch hoch bezahlte Telefonisten.<br />
Häufig haben wir unsere Freunde<br />
<strong>an</strong>gerufen.“ Hinzufügen könnte m<strong>an</strong>, dass<br />
die „Missileers“ sich auch als hoch bezahlte<br />
Künstler versuchten. Vor allem in den<br />
Jahren nach Unterzeichnung des START-<br />
Abkommens verzierten sie die LCC mit ihren<br />
Gemälden. M<strong>an</strong>ches Werk beeindruckt<br />
durch schwarzen Humor. Ein beson<strong>der</strong>s<br />
beredtes Beispiel ist in Delta-01 zu sehen: Es<br />
zeigt die Schachtel eines Pizzadienstes mit<br />
einer Minutem<strong>an</strong> II Rakete. Der Text lautet:<br />
„Weltweite Lieferung in 30 Minuten o<strong>der</strong><br />
weniger – o<strong>der</strong> die nächste Lieferung ist<br />
frei.“<br />
Walter Kreuzer, Jahrg<strong>an</strong>g 1963, seit 1991 Tageszeitungsredakteur<br />
und Autor von Reisereportagen mit<br />
dem Schwerpunkt Nordamerika.<br />
Clausewitz 1/2013<br />
71
Feldherren<br />
MANN GEGEN MANN: Szene aus <strong>der</strong> Schlacht von<br />
Pavia im Februar 1525, in <strong>der</strong> Frundsberg und die<br />
habsburgischen Truppen einen großen Erfolg gegen die<br />
Fr<strong>an</strong>zosen erringen können. Abb.: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
Georg von Frundsberg<br />
„Vater <strong>der</strong><br />
L<strong>an</strong>dsknechte“<br />
72
Am 27. April 1522 stehen sich deutsche<br />
L<strong>an</strong>dsknechte und Schweizer Söldner<br />
in fr<strong>an</strong>zösischen Diensten Aug’ in<br />
Aug’ gegenüber.<br />
Arnold von Winkelried, ein Feldhauptm<strong>an</strong>n<br />
<strong>der</strong> Schweizer, ruft seinem alten Bek<strong>an</strong>nten<br />
und Wi<strong>der</strong>sacher zu: „Du alter Gesell,<br />
find ich dich hier? Du musst von meiner<br />
H<strong>an</strong>d sterben!“ Der so Angesprochene<br />
erwi<strong>der</strong>t: „Das soll dir wi<strong>der</strong>fahren, will’s<br />
Gott!“ Im folgenden Zweikampf, einer Szene<br />
wie aus dem Troj<strong>an</strong>ischen Krieg, „erlegt<br />
er den Winkelried“ vor den Augen <strong>der</strong> aufmarschierten<br />
Heere, <strong>an</strong>geblich erschlägt er<br />
den Feldobristen <strong>der</strong> Schweizer, Albrecht<br />
von Stein, <strong>an</strong>schließend auch noch und 20<br />
weitere im ersten Glied stehende Offiziere<br />
<strong>der</strong> Schweizer. Die nennen den riesenhaften<br />
Kämpfer fort<strong>an</strong> „Leutfresser“.<br />
Die Rede ist von Georg von Frundsberg,<br />
dem „Vater <strong>der</strong> L<strong>an</strong>dsknechte“. Er entstammt<br />
einem alten Tiroler Rittergeschlecht,<br />
das auch in Schwaben begütert ist.<br />
Am 24. Juli 1467 kauften die Brü<strong>der</strong> H<strong>an</strong>s<br />
und Ulrich von Frundsberg die Mindelburg<br />
(bei Mindelheim) von Bero II. von Rechberg.<br />
Hier wird am 24. September 1473 <strong>der</strong><br />
Sohn Ulrichs und seiner Frau Barbara von<br />
Rechberg, Georg, geboren. Er ist eines von<br />
14 Geschwistern. Der Junker beginnt, sich<br />
schon früh für militärische Dinge zu interessieren.<br />
Vater Ulrich, begleitet von seinem<br />
Sohn Georg, komm<strong>an</strong>diert 1492 als Feldhauptm<strong>an</strong>n<br />
ein kleineres Kontingent des<br />
Schwäbischen Bundes im Heer des Reichshauptm<strong>an</strong>nes<br />
Markgraf Friedrich von<br />
Br<strong>an</strong>denburg-Ansbach gegen Herzog Albrecht<br />
von Bayern. Dieser lenkt jedoch ein<br />
und so kommt es nicht zu Kampfh<strong>an</strong>dlungen.<br />
Es folgen sieben Friedensjahre.<br />
Im J<strong>an</strong>uar 1499 bricht zwischen den Eidgenossen<br />
einerseits und den Habsburgern<br />
beziehungsweise dem Schwäbischen Bund<br />
BIOGRAPHIE<br />
Georg von Frundsberg<br />
1473 Geburt in Mindelheim<br />
1492 Teilnahme am Aufmarsch des<br />
Schwäbischen Bundes gegen Herzog<br />
Albrecht von Bayern<br />
1499 Teilnahme am „Schweizerkrieg“<br />
1499 Teilnahme am Expeditionskorps<br />
Maximili<strong>an</strong>s zur Verstärkung des<br />
Mailän<strong>der</strong> Herzogs<br />
1500 Heirat mit Katharina von<br />
Schrofenstein<br />
1504-05 Teilnahme am L<strong>an</strong>dshuter Erbfolgekrieg<br />
als Obrist des Memminger<br />
Kontingents<br />
1504 Schlacht bei Wenzenbach,<br />
Ritterschlag<br />
1505 Teilnahme am Feldzug gegen den<br />
Herzog von Gel<strong>der</strong>n<br />
1511 Schlacht von Bologna,<br />
Sieg über päpstliche und<br />
venezi<strong>an</strong>ische Truppen<br />
1511 Eroberung von Peutelstein<br />
1512 Belagerung <strong>der</strong> Burg Hohenkrähen<br />
1513 Sieg über die Venezi<strong>an</strong>er bei Vicenza<br />
1517 Tod seiner Ehefrau Katharina<br />
1518 Erwerb von Schloss Mindelburg<br />
1519 Heirat mit Gräfin Anna Lodron<br />
1519 Reichexekution gegen Herzog Ulrich<br />
von Württemberg<br />
1521 Reichstag von Worms, Ernennung<br />
zum kaiserlichen Rat<br />
1521 Krieg gegen Fr<strong>an</strong>kreich, Unentschieden<br />
von Valenciennes<br />
1522 Sieg über die Fr<strong>an</strong>zosen bei Bicocca<br />
1522 Erstürmung Genuas<br />
1522 Herausgabe von „Trewer Rath und<br />
Bedencken“ (Autor wahrscheinlich<br />
Frundsberg)<br />
1525 Krieg gegen Fr<strong>an</strong>kreich, Schlacht bei<br />
Pavia<br />
1525 Einsätze im Bauernkrieg in Schwaben,<br />
Salzburg und Tirol<br />
1526 Feldzug in Oberitalien<br />
1527 Vormarsch auf Rom, Schlag<strong>an</strong>fall im<br />
Lager von Bologna<br />
1528 Tod in Mindelheim<br />
Anf<strong>an</strong>g des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts:<br />
Am Ausg<strong>an</strong>g des Mittelalters<br />
entsteht ein neuer Kriegertypus:<br />
<strong>der</strong> L<strong>an</strong>dsknecht. Beson<strong>der</strong>s ein<br />
M<strong>an</strong>n ist untrennbar verbunden<br />
mit den Erfolgen und dem Charakter<br />
<strong>der</strong> L<strong>an</strong>dsknechte: Georg<br />
von Frundsberg.<br />
Von Hagen Seehase<br />
BERÜHMT: Georg von Frundsberg<br />
als Feldhauptm<strong>an</strong>n <strong>der</strong><br />
L<strong>an</strong>dsknechte in kaiserlichhabsburgischen<br />
Diensten,<br />
zeitgenössische Darstellung<br />
von Christoph Amberger.<br />
Abb.: picture-alli<strong>an</strong>ce/picture-alli<strong>an</strong>ce<br />
Clausewitz 1/2013 73
Feldherren<br />
Lehrjahre<br />
Frundsberg spielt in <strong>der</strong> Ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>setzung<br />
keine entscheidende Rolle, allerdings<br />
soll diese Feldzugserfahrung für ihn prägend<br />
wirken. Die Schweizer haben die<br />
überragende Schlagkraft ihrer Wehrordnung<br />
und Taktiken erneut unter Beweis gestellt<br />
und sich den (zum Teil nach ihrem<br />
Vorbild geglie<strong>der</strong>ten) Aufgeboten des<br />
Schwäbischen Bundes und <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>österreichischen<br />
Herrschaften überlegen gezeigt.<br />
Dies mag den jungen Frundsberg bewegen,<br />
sich weiter am Vorbild <strong>der</strong> Schweizer<br />
zu orientieren. Es hat im „Schweizerkrieg“<br />
ja auch Beispiele gegeben, in denen<br />
erfahrene Feldhauptleute auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />
Habsburger beachtliche Gefechtserfolge err<strong>an</strong>gen:<br />
Friedrich Kappler konnte am 1. Juni<br />
die Schweizer bei Altkirch besiegen, wenige<br />
Tage später bei Lauf. Die Domin<strong>an</strong>z<br />
<strong>der</strong> l<strong>an</strong>zenstarrenden Inf<strong>an</strong>terieformationen,<br />
wenn sie aus geschulten Kämpfern bestehen,<br />
wird offenbar. Diese Erkenntnis ist<br />
zu den politischen Ver<strong>an</strong>twortungsträgern<br />
durchgedrungen, wie ein Aufruf des<br />
Schwäbischen Bundes vom L<strong>an</strong>dtag zu<br />
Überlingen beweist, „m<strong>an</strong> solle die Bauern<br />
und Ungeübten zu Hause lassen und dafür<br />
Fußknechte schicken.“ In den folgenden<br />
Kriegszügen in Oberitalien bewährt sich<br />
Frundsberg als Feldkomm<strong>an</strong>deur. Der herkulisch<br />
gebaute und charismatische Schwabe,<br />
<strong>der</strong> seine L<strong>an</strong>dsknechte gewöhnlich mit<br />
„Sohn“ o<strong>der</strong> „Bru<strong>der</strong>“ <strong>an</strong>redet, gewinnt<br />
durch seine Führungsqualitäten wie durch<br />
seine Fürsorge für seine L<strong>an</strong>dsknechte den<br />
Respekt seiner Leute. Persönlich fromm,<br />
tapfer und ausgesprochen loyal verkörpert<br />
Frundsberg einen neuen Typus des Feldkomm<strong>an</strong>deurs.<br />
PROTEST: Im Feldlager von Bologna im Frühjahr 1527<br />
for<strong>der</strong>n die L<strong>an</strong>dsknechte von ihrem Anführer mit Waffengewalt<br />
die Auszahlung des Soldes. Der von den Strapazen<br />
<strong>der</strong> vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen Kämpfe erschöpfte Frundsberg<br />
erleidet einen Zusammenbruch.<br />
Abb.: ullstein bild<br />
<strong>an</strong><strong>der</strong>erseits ein bewaffneter Konflikt aus,<br />
<strong>an</strong> dem auch Frundsberg teilnimmt. Der<br />
„Schweizerkrieg“ (o<strong>der</strong> „Schwabenkrieg“<br />
aus <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en Perspektive) wird mit äußerster<br />
Härte und Grausamkeit geführt<br />
und for<strong>der</strong>t einen beträchtlichen Blutzoll –<br />
beson<strong>der</strong>s unter den Kontingenten des<br />
Schwäbischen Bundes, in denen Georg von<br />
Frundsberg dient.<br />
Die verheerende Nie<strong>der</strong>lage von Dornach<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Birs am 22. Juli 1499 erzwingt<br />
die Verh<strong>an</strong>dlungsbereitschaft von den Gegnern<br />
<strong>der</strong> Eidgenossen. Der Frieden von Basel<br />
am 22. September 1499 beendet die<br />
Kampfh<strong>an</strong>dlungen und bedeutet das faktische<br />
Ausscheiden <strong>der</strong> Eidgenossenschaft<br />
aus dem Reichsverb<strong>an</strong>d.<br />
Frundsbergs „Husarenstück“<br />
Noch im Jahr 1499 dient Frundsberg in einem<br />
Expeditionskorps, das vom römischdeutschen<br />
König Maximili<strong>an</strong> dem Herzog<br />
von Mail<strong>an</strong>d (Ludovico Sforza) zur Hilfe<br />
im Kampf gegen die Fr<strong>an</strong>zosen geschickt<br />
wird. Allerdings erhält Frundsberg keine<br />
Gelegenheit, sich auf diesem Feldzug auszuzeichnen.<br />
Im Jahre 1500 heiratet er Katharina<br />
von Schrofenstein, mehrere Söhne<br />
aus dieser Ehe – insgesamt sind es sieben<br />
Kin<strong>der</strong> – werden später in die väterlichen<br />
Fußstapfen treten.<br />
Im L<strong>an</strong>dshuter Erbfolgekrieg (1504 bis<br />
1505) geht es um das Erbe des Herzogs Georg<br />
von Bayern-L<strong>an</strong>dshut, das sowohl von<br />
seinem Schwager Albrecht, Herzog von<br />
Bayern-München, als auch von seinem<br />
Schwiegersohn Rupprecht von <strong>der</strong> Pfalz<br />
be<strong>an</strong>sprucht wird. An <strong>der</strong> Seite Rupprechts<br />
kämpfen die Truppen seines Vaters Kurfürst<br />
Philipp von <strong>der</strong> Pfalz. In einem Krieg,<br />
<strong>der</strong> sich eher durch große Belagerungen<br />
(Kufstein, Burg Guttenfels) als durch Feldschlachten<br />
auszeichnet, nimmt Frundsberg<br />
im Aufgebot des Schwäbischen Bundes als<br />
Komm<strong>an</strong>deur des Memminger Kontingents<br />
teil. D<strong>an</strong>eben kämpfen noch verschieden<br />
Reichsfürsten und auch <strong>der</strong> römischdeutsche<br />
König Maximili<strong>an</strong> auf <strong>der</strong> Seite<br />
Albrechts. In <strong>der</strong> Schlacht von Wenzenbach<br />
(auch „Schlacht von Schönberg“ o<strong>der</strong><br />
„Schlacht am Staufferforst“ gen<strong>an</strong>nt) am<br />
74
Frundsbergs „Ritterschlag“<br />
MALERISCH: Die Mindelburg oberhalb <strong>der</strong><br />
schwäbischen Stadt Mindelheim in ihrem<br />
heutigen Zust<strong>an</strong>d. Hier stirbt Georg von<br />
Frundsberg im Jahr 1528.<br />
Foto: ullstein bild - imagebroker.net/Martin Siepm<strong>an</strong>n<br />
12. September 1504 gelingt Frundsberg ein<br />
Husarenstück. In dieser Schlacht stehen<br />
sich die alliierten Reichsfürsten einschließlich<br />
Maximili<strong>an</strong>s mit ihren Truppen den<br />
Böhmen gegenüber. Ein erster Reiter<strong>an</strong>griff<br />
des Markgrafen Kasimir von Br<strong>an</strong>denburg<br />
misslingt völlig.<br />
Weitere Reiter<strong>an</strong>griffe gegen die böhmische<br />
Schlachtlinie, die aus Hellebardieren<br />
und Büchsen- und Armbrustschützen hinter<br />
einem Wall von „Pavesen“ (Setzschilden)<br />
best<strong>an</strong>d, bringen keine <strong>Entscheidung</strong>.<br />
Erst die L<strong>an</strong>dsknechte, 4.000 M<strong>an</strong>n in 31<br />
Fähnlein, bezwingen die böhmische<br />
Schlachtordnung. Frundsberg gelingt die<br />
Eroberung einer Fahne des Gegners. Für<br />
diese Tat wird er zum Ritter geschlagen.<br />
Im Dienste Maximili<strong>an</strong>s<br />
Es folgen weitere Feldzüge, so 1505 gegen<br />
den Herzog von Gel<strong>der</strong>n in den Nie<strong>der</strong>l<strong>an</strong>den,<br />
d<strong>an</strong>n gegen die Republik Venedig in<br />
Oberitalien. Kaiser Maximili<strong>an</strong> lässt bei seiner<br />
Rückkehr aus Italien nach Tirol einige<br />
Truppenverbände unter dem Markgrafen<br />
Albrecht von Br<strong>an</strong>denburg in Verona zurück.<br />
Unter ihnen befindet sich auch Georg<br />
von Frundsberg als Obrist eines L<strong>an</strong>dsknechtsregimentes.<br />
Am 22. Mai 1511 kommt<br />
es zur Schlacht von Bologna, in <strong>der</strong> die<br />
L<strong>an</strong>dsknechte das päpstlich-venezi<strong>an</strong>ische<br />
Heer vollständig schlagen. Der siegreiche<br />
Frundsberg kehrt nach Deutschl<strong>an</strong>d zurück.<br />
Auf dem Rückmarsch erobert er mit<br />
1.800 M<strong>an</strong>n am 13. Oktober 1511 Peutelstein<br />
in den Dolomiten.<br />
Im November 1512 komm<strong>an</strong>diert Georg<br />
von Frundsberg die Truppen des Schwäbischen<br />
Bundes bei <strong>der</strong> Belagerung <strong>der</strong> Burg<br />
Hohenkrähen, die nach drei Tagen heftigen<br />
Beschusses und <strong>der</strong> nächtlichen Flucht des<br />
Burgherren eingenommen wird. Wenig<br />
später ist Frundsberg wie<strong>der</strong> auf dem oberitalienischen<br />
Kriegsschauplatz. Als sich das<br />
kombinierte päpstlich-neapolit<strong>an</strong>isch-sp<strong>an</strong>isch-kaiserliche<br />
Heer unter dem Befehl<br />
des Vizekönigs von Neapel, Ramon de Cardona,<br />
beim Vormarsch auf Venedig von einem<br />
numerisch überlegenen venezi<strong>an</strong>ischen<br />
Entsatzheer unter Alvi<strong>an</strong>o im Rücken<br />
bedroht sieht, ergreift Frundsberg die Initiative<br />
und tritt mit seinen deutschen Kontingenten<br />
dem Feinde entgegen.<br />
Am 7. Oktober 1513 besiegt er mit den<br />
Alliierten die venezi<strong>an</strong>ischen<br />
Truppen bei Vicenza (auch<br />
Schlacht von Creazzo gen<strong>an</strong>nt).<br />
Kaiser Maximili<strong>an</strong><br />
ernennt Frundsberg zum<br />
Obersten Feldhauptm<strong>an</strong>n<br />
von Tirol und übergibt ihm<br />
die Burghut <strong>der</strong> Burg<br />
Runkelstein (einer Residenz<br />
Maximili<strong>an</strong>s).<br />
Dort lebt er mit seiner<br />
Familie, bis er nach dem Tod seines<br />
älteren Bru<strong>der</strong>s Adam 1518 die<br />
Burg in Mindelheim erbt.<br />
Beim Versuch des <strong>der</strong><br />
Reichsacht verfallenen Herzogs<br />
Ulrich von Württemberg<br />
im Jahre 1519, seine Herrschaft<br />
über das Herzogtum zu halten,<br />
komm<strong>an</strong>diert Frundsberg als<br />
„öberster Hauptm<strong>an</strong>n des deutschen<br />
Fußvolks“ zusammen mit<br />
FARBENFROH: L<strong>an</strong>dsknechte zur<br />
Zeit <strong>der</strong> Reformation und des<br />
Bauernkriegs in zeitgenössischer<br />
Uniformierung.<br />
Abb.: Süddeutsche Zeitung Photo/Bl<strong>an</strong>c Kunstverlag<br />
Georg Truchseß von Waldburg als „leytener<br />
general auch über die reytter ym feldt“ unter<br />
dem Oberbefehl von Herzog Wilhelm<br />
von Bayern die Truppen des Schwäbischen<br />
Bundes: insgesamt 30.000 Fußsoldaten und<br />
8.000 Reiter. Da die eidgenössische Tagsatzung<br />
die Schweizer Söldner des Herzogs<br />
Ulrich zurückruft, entwickelt sich <strong>der</strong> Feldzug<br />
zu einer Reihe von Belagerungen. Bei<br />
<strong>der</strong> Belagerung von Hohentübingen wird<br />
Frundsberg das Barett vom Kopf geschossen.<br />
Es gelingt ihm schließlich, durch Verh<strong>an</strong>dlungen<br />
den Komm<strong>an</strong>d<strong>an</strong>ten <strong>der</strong> Festung<br />
zur Kapitulation zu überreden. Eine<br />
<strong>der</strong> stärksten Positionen des Herzogs, die<br />
Clausewitz 1/2013
Feldherren<br />
Festung Hohenasperg, wird durch Truppen<br />
unter Frundsbergs persönlichem Komm<strong>an</strong>do<br />
belagert und muss kapitulieren. Im August<br />
1519 meldet sich Herzog Ulrich aus<br />
<strong>der</strong> Verb<strong>an</strong>nung zurück. Von <strong>der</strong> Festung<br />
Hohentwiel aus unternimmt er den Versuch,<br />
sein Herzogtum zurückzugewinnen.<br />
Wie<strong>der</strong> wird Wilhelm von Bayern zum<br />
Oberkomm<strong>an</strong>dierenden des Schwäbischen<br />
Bundes bestellt, dieses Mal dient Frundsberg,<br />
<strong>der</strong> kein <strong>an</strong><strong>der</strong>es Komm<strong>an</strong>do erhält,<br />
als Adlatus des Herzogs.<br />
Militärische Erfolge<br />
Nach dem Tod Kaiser Maximili<strong>an</strong>s im Jahr<br />
1519 tritt Frundsberg in die Dienste von<br />
dessen Enkel und Nachfolger Karl V. Der<br />
bestätigt ihn auf dem Reichstag zu Worms<br />
1521 als obersten Feldhauptm<strong>an</strong>n von Tirol,<br />
ernennt ihn zu seinem Rat und verleiht ihm<br />
Län<strong>der</strong>eien.<br />
Literaturtipps<br />
Reinhard Baum<strong>an</strong>n: Georg von Frundsberg:<br />
Der Vater <strong>der</strong> L<strong>an</strong>dsknechte und<br />
Feldhauptm<strong>an</strong>n von Tirol, München<br />
1991.<br />
Hugo Oertel: Georg von Frundsberg, „<strong>der</strong><br />
frommen L<strong>an</strong>dsknechte lieber Vater“:<br />
Ein Lebensbild, Wiesbaden 1882.<br />
Erich Richter: Frundsberg: Vater <strong>der</strong><br />
L<strong>an</strong>dsknechte, Feldherr des Reiches,<br />
München 1968.<br />
König Fr<strong>an</strong>z (Fr<strong>an</strong>çois) von Fr<strong>an</strong>kreich, <strong>der</strong><br />
sich ebenfalls um die deutsche Krone bemühte,<br />
fällt 1521 mit Heeresmacht in den<br />
Nie<strong>der</strong>l<strong>an</strong>den ein. Frundsberg mit ihm mit<br />
einem Heer entgegengeschickt. Bei Valenciennes<br />
steht er dem weit überlegenen fr<strong>an</strong>zösischen<br />
Heer unter <strong>der</strong> persönlichen Führung<br />
des fr<strong>an</strong>zösischen Königs gegenüber.<br />
Als <strong>der</strong> mit dem Angriff zögert, ergreift<br />
Frundsberg die Gelegenheit und trennt seine<br />
Truppe durch einen äußerst geschickten<br />
Rückzug vom Feind.<br />
Im Februar 1522 zieht Frundsberg mit<br />
zwölf Fähnlein L<strong>an</strong>dsknechten über die Alpen<br />
in die Lombardei, vereinigt in Mail<strong>an</strong>d<br />
seine Truppen mit dort stehenden sp<strong>an</strong>ischen<br />
Verbänden. Frundsberg und <strong>der</strong> sp<strong>an</strong>ische<br />
Befehlshaber Pescara wählen eine<br />
topographisch sehr günstige Position beim<br />
Jagdschloss La Bicocca. Die Front ihrer<br />
Fähnlein beziehungsweise Tercios wird<br />
durch sp<strong>an</strong>ische „Arcabuseros“ (Schützen)<br />
gedeckt. Auf <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en Seite hat <strong>der</strong> fr<strong>an</strong>zösische<br />
Befehlshaber Lautrec Mühe, seine<br />
Schweizer Söldner im Zaum zu halten, <strong>der</strong>en<br />
Sold im Rückst<strong>an</strong>d ist.<br />
Am 27. April 1522 stoßen beide Heere<br />
aufein<strong>an</strong><strong>der</strong>. Mit dem Ruf „Geld o<strong>der</strong><br />
Schlacht“ rücken die Schweizer gegen<br />
Frundsbergs L<strong>an</strong>dsknechte vor, geraten<br />
aber bei <strong>der</strong> Durchquerung eines Hohlwegs<br />
in mör<strong>der</strong>isches Feuer. Den Hohlweg überwunden,<br />
sehen sie sich den gesenkten Piken<br />
<strong>der</strong> L<strong>an</strong>dsknechte gegenüber, es kommt zu<br />
dem eing<strong>an</strong>gs beschriebenen Zweikampf.<br />
Die Schweizer verlieren rund 5.000 M<strong>an</strong>n.<br />
Nach <strong>der</strong> Schlacht kapitulieren verschiedene<br />
oberitalienische Städte, <strong>an</strong><strong>der</strong>e wie Lodi<br />
und Genua werden gestürmt. Die Beute in<br />
Genua ist unermesslich. Frundsberg übergibt<br />
das Komm<strong>an</strong>do <strong>an</strong> seinen Stellvertreter<br />
(„Locotenent“) Rudolph Häll und seinen<br />
Sohn Kaspar (er wird „Oberster über das<br />
deutsche Fußvolk“). D<strong>an</strong>n kehrt er nach<br />
Mindelheim zurück.<br />
Schlacht von Pavia<br />
Die Kämpfe in Italien erleben eine Neuauflage,<br />
als König Fr<strong>an</strong>z im Frühjahr 1525 zur<br />
Unterstützung des mit ihm verbündeten<br />
Papstes mit 26.000 M<strong>an</strong>n nach Italien zieht.<br />
Die von Habsburger Kräften mit 6.000 M<strong>an</strong>n<br />
gehaltene Stadt Pavia wird von den Fr<strong>an</strong>zosen<br />
belagert. Um <strong>der</strong>en Fall zu verhin<strong>der</strong>n,<br />
entsendet Karl V. ein 23.000 M<strong>an</strong>n starkes<br />
Heer, Deutsche und Sp<strong>an</strong>ier, unter Pescara<br />
und Frundsberg, nach Pavia. In den Reihen<br />
<strong>der</strong> fr<strong>an</strong>zösischen Armee kämpfen viele<br />
Schweizer Söldner und auch die berüchtigte<br />
„Schwarze B<strong>an</strong>de“, 5.000 deutsche L<strong>an</strong>dsknechte.<br />
Sie wurden in Zeiten besserer Beziehungen<br />
zwischen den regierenden Königshäusern<br />
<strong>an</strong>geworben. Nun, da Krieg<br />
zwischen dem Reich und Fr<strong>an</strong>kreich tobt,<br />
sind sie <strong>der</strong> Reichsacht verfallen. Ihr Anführer<br />
bei Pavia ist <strong>der</strong> Augsburger Georg L<strong>an</strong>genm<strong>an</strong>tel.<br />
Sie kämpfen im Heeresflügel<br />
von Richard de la Pole, einem englischen-<br />
76
Frundsbergs Triumph<br />
„Unter deutschen Helden verdiente Georg von<br />
Frundsberg-Mindelheim, welcher zu dem Sieg<br />
von Pavia und Fr<strong>an</strong>z I. Gef<strong>an</strong>gennehmung vorzüglich<br />
beitrug, ein M<strong>an</strong>n von echter deutscher Kriegskunst,<br />
bie<strong>der</strong>m Sinne und einem echten Schwung des<br />
Charakters eine vorzügliche Stelle.“<br />
Joh<strong>an</strong>nes von Müller in einem Brief <strong>an</strong> den<br />
bayrischen Kronprinzen Ludwig im Jahre 1808.<br />
IMPOSANT: Zeitgenössische Darstellung<br />
<strong>der</strong> Schlacht von Pavia auf einem aufwendig<br />
gearbeiteten Bildteppich aus<br />
dem 16. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />
Abb.: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images/Erich Lessing<br />
Kronprätendenten aus dem Haus York. Die<br />
Legionäre <strong>der</strong> „Schwarzen B<strong>an</strong>de“ haben<br />
Bek<strong>an</strong>nte o<strong>der</strong> sogar Verw<strong>an</strong>dte in den Reihen<br />
<strong>der</strong> kaiserlichen L<strong>an</strong>dsknechte. Pardon<br />
wird nicht gegeben: Die L<strong>an</strong>dsknechte unter<br />
Frundsbergs Komm<strong>an</strong>do sind entschlossen,<br />
ihre Wi<strong>der</strong>sacher zu vernichten.<br />
Der Oberbefehlshaber des kaiserlichen<br />
Heeres Marchese Pescara ist gezwungen, eine<br />
Schlacht auch unter ungünstigen Bedingungen<br />
<strong>an</strong>zunehmen. Die Fr<strong>an</strong>zosen<br />
sind gut versch<strong>an</strong>zt, aber Pescara<br />
k<strong>an</strong>n seine Armee we<strong>der</strong> l<strong>an</strong>ge<br />
versorgen noch bezahlen. Er<br />
beginnt ein risk<strong>an</strong>tes M<strong>an</strong>över.<br />
In <strong>der</strong> stürmischen Nacht<br />
vom 23. zum 24. Februar<br />
durchbrechen seine Mineure<br />
(„Vastadores“) die<br />
Mauer des Parks von Certosa<br />
und das Jagdschloss<br />
von Mirabello k<strong>an</strong>n durch<br />
die Vorhut seines Heeres<br />
genommen werden.<br />
Damit stehen die Kaiserlichen<br />
überraschend<br />
im Norden <strong>der</strong> fr<strong>an</strong>zösi-<br />
GEFEIERT: „Georg von<br />
Frundsberg“ als Reiter<br />
beim „Frundsbergfest“ in<br />
Mindelheim (Schwaben)<br />
im Sommer 2012.<br />
Foto: picture-alli<strong>an</strong>ce/dpa<br />
schen Versch<strong>an</strong>zungen. Die Fr<strong>an</strong>zosen nehmen<br />
die Schlacht außerhalb ihrer Versch<strong>an</strong>zungen<br />
<strong>an</strong>. Zunächst entwickelt sich das<br />
Schlachtgeschehen günstig für König Fr<strong>an</strong>z.<br />
Seine Artillerie, immerhin 55 Geschütze,<br />
k<strong>an</strong>n die Nachhut des kaiserlichen Heeres<br />
zersprengen, seine schwerer Reiterei (<strong>der</strong><br />
König mittendrin) schlägt die <strong>der</strong> Kaiserlichen.<br />
Dabei nehmen aber die fr<strong>an</strong>zösischen<br />
Reiter ihrer Artillerie das Schussfeld, Pescara<br />
erkennt die Ch<strong>an</strong>ce. Er beor<strong>der</strong>t seine Arkebusiere<br />
– hauptsächlich Basken – nach<br />
vorne, gedeckt hinter den Bäumen des<br />
Parks beschießen sie die fr<strong>an</strong>zösischen Reiter.<br />
Jetzt gelingt <strong>der</strong> kaiserlichen Kavallerie<br />
ein Gegen<strong>an</strong>griff. D<strong>an</strong>ach kommt es zum<br />
Aufein<strong>an</strong><strong>der</strong>treffen die Fußtruppen. Die<br />
„Schwarze B<strong>an</strong>de“ gewinnt l<strong>an</strong>gsam die<br />
Überh<strong>an</strong>d über die sp<strong>an</strong>ischen Tercios.<br />
Frundsberg lässt vom <strong>an</strong><strong>der</strong>en Heeresflügel<br />
seine L<strong>an</strong>dsknechte eilig herbeimarschieren,<br />
fast 12.000 M<strong>an</strong>n.<br />
Bevor die 50 Glie<strong>der</strong> tiefen Gewalthaufen<br />
aufein<strong>an</strong><strong>der</strong>stoßen, for<strong>der</strong>t L<strong>an</strong>genm<strong>an</strong>tel<br />
Frundsberg und Herrn Marx<br />
Sittich von Embs zum Zweikampf<br />
heraus. Wütendes Arkebusenfeuer<br />
<strong>der</strong> deutschen L<strong>an</strong>dsknechte streckt<br />
den Verwegenen nie<strong>der</strong>. Im folgenden<br />
Nahkampf gelingt es Frundsberg,<br />
die „Schwarze B<strong>an</strong>de“ mit<br />
mehreren Fähnlein in die Z<strong>an</strong>ge<br />
zu nehmen, es gibt kaum ein<br />
Entkommen. Die Schweizer,<br />
8.000 M<strong>an</strong>n, die von<br />
entgegengesetzten Ende<br />
des fr<strong>an</strong>zösischen Lagers<br />
im Süden Pavias her<strong>an</strong>marschieren,<br />
können das<br />
Blatt nicht mehr wenden. Die<br />
Nachhut <strong>der</strong> Fr<strong>an</strong>zosen unter<br />
dem Duc d’Alençon<br />
wendet sich zum eiligen<br />
Rückzug.<br />
Die Schlacht geht<br />
verloren, die fr<strong>an</strong>zösische<br />
Seite verliert fast<br />
20.000 M<strong>an</strong>n allein <strong>an</strong><br />
Gef<strong>an</strong>genen, darunter befindet sich auch<br />
<strong>der</strong> König, <strong>der</strong> sich mehrfach verwundet<br />
m<strong>an</strong>nhaft wehrte. Sein Prunkschwert erhält<br />
Frundsberg.<br />
Letzte Jahre<br />
Schon kurz nach <strong>der</strong> Schlacht von Pavia erhält<br />
Frundsberg von Erzherzog Ferdin<strong>an</strong>d<br />
von Österreich die Auffor<strong>der</strong>ung, zur Nie<strong>der</strong>schlagung<br />
des Bauernaufst<strong>an</strong>des nach<br />
Schwaben zurückzukehren. Tatsächlich näherte<br />
sich ein Bauernhaufen drohend Mindelheim,<br />
die frundsbergsche Burg ist aber<br />
ausreichend bem<strong>an</strong>nt. Seine Frau Anna org<strong>an</strong>isiert<br />
energisch die Verteidigung. Es<br />
kommt hier zu keinen Kampfh<strong>an</strong>dlungen.<br />
Mit Pavia ist die Ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>setzung<br />
zwischen Fr<strong>an</strong>kreich und dem Habsburgerreich<br />
in Italien aber nicht beendet. Der fr<strong>an</strong>zösischen<br />
Krone gelingt es, ein Bündnis mit<br />
<strong>der</strong> Kurie, dem Herzog von Mail<strong>an</strong>d, <strong>der</strong><br />
Republik Venedig und einigen kleineren<br />
norditalienischen Fürstentümern zu<br />
schmieden. L<strong>an</strong>dsknechte ziehen unter<br />
Frundsberg erneut nach Italien, um hier die<br />
sp<strong>an</strong>ischen Truppen aufzunehmen und<br />
d<strong>an</strong>n Richtung Süden nach Rom zu ziehen.<br />
Karl V. k<strong>an</strong>n das Heer nicht bezahlen, die<br />
Wut <strong>der</strong> L<strong>an</strong>dsknechte entlädt sich in <strong>der</strong><br />
berüchtigten „Sacco di Roma“. Frundsberg<br />
hat dar<strong>an</strong> keinen Anteil.<br />
Vorher richteten meuternde L<strong>an</strong>dsknechte<br />
die Waffen gegen Frundsberg,<br />
obwohl <strong>der</strong> sogar sein eigenes Vermögen<br />
eingesetzt hatte, um seine Männer zu bezahlen.<br />
Seine Güter in Mindelheim und Tirol<br />
sind hochverschuldet. Der Vater <strong>der</strong><br />
L<strong>an</strong>dsknechte erleidet am 16. März 1527 im<br />
Lager von Bologna einen Schlag<strong>an</strong>fall, m<strong>an</strong><br />
muss ihn heimbringen. Frundsberg stirbt<br />
am 20. August 1528 in Mindelheim.<br />
Hagen Seehase, Jg. 1965, Studium <strong>der</strong> Germ<strong>an</strong>istik<br />
und Geschichte, Buchveröffentlichungen beson<strong>der</strong>s zur<br />
britischen Geschichte, darunter eine fünfbändige<br />
schottische Geschichte, Fachartikel in diversen Fachzeitschriften<br />
mit Schwerpunkt Militärgeschichte.<br />
Clausewitz 1/2013<br />
77
Museum<br />
JAGDFLUGZEUG DES KALTEN KRIE-<br />
GES: Diese Gloster Javelin F(AW) 9<br />
XH767 war zwischen 1962 und 1965<br />
in Deutschl<strong>an</strong>d stationiert.<br />
Das Yorkshire Air Museum<br />
Gig<strong>an</strong>tische Sammlung<br />
auf historischem Boden<br />
Im englischen Elvington befindet sich das größte unabhängige<br />
Luftfahrtmuseum Großbrit<strong>an</strong>niens. Auf dem<br />
Flugfeld und in den geräumigen H<strong>an</strong>gars wird Luftfahrtgeschichte<br />
von den Gebrü<strong>der</strong>n Wright bis in die Gegenwart<br />
gezeigt.<br />
Von Fre<strong>der</strong>ick Feulner<br />
m<strong>an</strong>d sind heute Teil <strong>der</strong> nahen University<br />
of York.<br />
1953 sollte Elvington erneut Stützpunkt<br />
schwerer, mit Atomwaffen bestückter B-36<br />
Bomber werden, diesesmal <strong>der</strong> 3 rd US Air<br />
Force und <strong>der</strong> 7 th Air Division Strategic Air<br />
Comm<strong>an</strong>d, jedoch wurde nach einem erneuten<br />
Umbau und einer Verlängerung <strong>der</strong><br />
Betonpiste auf 3.094 Meter 1958 <strong>der</strong> Flugplatz<br />
nicht weiter aktiv genutzt. Er blieb<br />
BEEINDRUCKENDER BOMBER: Diese H<strong>an</strong>dley<br />
Page Halifax III wurde aus Einzelteilen<br />
komplett neu aufgebaut.<br />
Bereits beim Überfliegen <strong>der</strong> nordenglischen<br />
Grafschaft Yorkshire zeichnen<br />
sich zwischen Fel<strong>der</strong>n drei Dutzend<br />
verstreute Flugplätze ab. Zum Teil sind diese<br />
Anlagen noch gut sichtbar o<strong>der</strong> in Benutzung.<br />
Einige Bereiche wurden aber <strong>der</strong><br />
l<strong>an</strong>dwirtschaftlichen Nutzung wie<strong>der</strong> zugeführt.<br />
Diese Plätze wurden größtenteils<br />
im Zweiten Weltkrieg errichtet, um den<br />
zahlreichen alliierten Flugzeugen eine Basis<br />
zu geben. Einer von ihnen ist <strong>der</strong> vier Kilometer<br />
östlich von York gelegene Flugplatz<br />
Elvington, <strong>der</strong> <strong>an</strong>gesichts <strong>der</strong> deutschen Bedrohung<br />
ab 1939/40 als Grasl<strong>an</strong>depiste aus<br />
dem Boden gestampft wurde. 1942 wurde<br />
das Flugfeld komplett umgebaut und mit<br />
einer festen Piste ausgestattet, um auch<br />
schwere Bomber aufzunehmen. Das Flugfeld<br />
wurde als Depend<strong>an</strong>ce des 4 th Group<br />
Bomber Comm<strong>an</strong>d im zehn Kilometer östlich<br />
gelegenen Pocklington eingerichtet. Elvington<br />
war einzige Basis <strong>der</strong> Freien Fr<strong>an</strong>zösischen<br />
Luftwaffe auf englischem Boden.<br />
Die Gebäude des Northern Bomber Comaber<br />
bis in die 1990er-Jahre ein Ausweichl<strong>an</strong>deplatz<br />
für die RAF-Stützpunkte<br />
Church Fenton und Linton-on-Ouse. Zudem<br />
war Elvington als Notl<strong>an</strong>deplatz für<br />
die Space Shuttles vorgesehen.<br />
Seit Mitte <strong>der</strong> 1980er ist auf dem Gelände<br />
das Yorkshire Air Museum beheimatet,<br />
dass die H<strong>an</strong>gars, Gebäude und Außenflächen<br />
für Ausstellungen nutzt. Der Control<br />
Tower und die Baracken wurden detailgetreu<br />
in den Zust<strong>an</strong>d <strong>der</strong> 1940er-Jahre zurückversetzt.<br />
Die eigentliche Ausstellung ist in einem<br />
großen H<strong>an</strong>gar untergebracht, <strong>der</strong> in Zukunft<br />
um einen Neubau erweitert werden<br />
soll. Hier finden sich Nachbauten und Originalflugzeuge;<br />
<strong>an</strong>gef<strong>an</strong>gen beim historischen<br />
Wright Flyer von 1903 und Flugzeugmodellen<br />
aus dem Ersten Weltkrieg bzw.<br />
<strong>der</strong> Zeit d<strong>an</strong>ach. Dazu zählen Doppeldecker<br />
wie die Avro 504k, Royal Aircraft<br />
Factory BE2c und SE5a o<strong>der</strong> die De Havill<strong>an</strong>d<br />
Gypsy Moth. Auch ungewöhnliche<br />
Modelle wie die Repliken des Cayley Gli-<br />
KONTAKT<br />
Yorkshire Air Museum<br />
Elvington, York, YO41 4AU<br />
Mehr Informationen zu Anfahrt, Öffnungszeiten,<br />
Eintrittspreisen etc. unter:<br />
http://www.yorkshireairmuseum.org/<br />
Fotos: Autor<br />
78
EINSATZ AUF DEM MEER: Das Modell WH991<br />
(Westl<strong>an</strong>d Sikorsky Dragonfly HR5) diente auf verschiedenen<br />
Flugzeugträgern.<br />
UMFASSEND: Der Nachbau des berühmten „Flyers“ <strong>der</strong> Gebrü<strong>der</strong> Wright dokumentiert<br />
die historische Tiefe <strong>der</strong> Ausstellung.<br />
VIELFÄLTIG: Diese Beagle (Auster) Terrier 2 wurde<br />
ursprünglich als Beobachtungsflugzeug gebaut, beendete<br />
ihren Dienst aber als ziviles Schleppflugzeug.<br />
<strong>der</strong>s o<strong>der</strong> eines Mignet HM.14 Flugzeugbausatzes<br />
sind zu sehen.<br />
Der Zweite Weltkrieg und die Luftschlacht<br />
um Engl<strong>an</strong>d nehmen auch bei den<br />
ausgestellten Flugzeugen einen großen<br />
Stellenwert ein. Nachdem m<strong>an</strong> bereits am<br />
Haupteing<strong>an</strong>g durch das 1:1-Modell einer<br />
Supermarine Spitfire I begrüßt wurde, vermitteln<br />
eine Douglas DC-3 Dakota in den<br />
Farben <strong>der</strong> Royal Air Force und eine Hawker<br />
Hurric<strong>an</strong>e, geparkt in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong><br />
zeitgenössischen Flugfeldgebäude, ein interess<strong>an</strong>tes<br />
Ambiente. Bei einem L<strong>an</strong>dungsgleiter<br />
WACO Hadri<strong>an</strong> CG-4A wurde <strong>der</strong><br />
Stahlrahmen <strong>an</strong>stelle <strong>der</strong> Stoff- und Holzverkleidung<br />
mit Plexiglas versehen, um das<br />
PREMIERE: Die Gloster Meteor F8<br />
war das erste britische Düsenflugzeug,<br />
das zur Einsatzreife gel<strong>an</strong>gte.<br />
Innenleben zu zeigen. Die vielseitige De<br />
Havill<strong>an</strong>d Mosquito DH98 NFII steht in unmittelbarer<br />
Nähe zur Replik <strong>der</strong> Messerschmidt<br />
Bf109G, gestaltet in den Farben des<br />
Jagdfliegers Herm<strong>an</strong>n Graf, <strong>der</strong> als erster<br />
Pilot 200 Luftsiege erringen konnte und bis<br />
heute zu den Top-Fliegerassen zählt.<br />
Das zentrale Schmuckstück ist zweifelsohne<br />
<strong>der</strong> gewaltige Bomber des Typs H<strong>an</strong>dley<br />
Page Halifax III in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Ausstellungshalle.<br />
Das ausgestellte Flugzeug basiert<br />
auf dem Rumpf einer Halifax II, die<br />
1945 eine Notl<strong>an</strong>dung machen musste und<br />
l<strong>an</strong>ge Zeit als Hühnerstall diente. Rekonstruiert<br />
mit Tragflächen einer <strong>an</strong><strong>der</strong>en Maschine,<br />
wurde <strong>der</strong> Bomber „Friday the 13 th “<br />
gen<strong>an</strong>nt – zu Ehren <strong>der</strong> Halifax LV907, die<br />
128 Einsätze überst<strong>an</strong>d. Das Yorkshire Air<br />
Museum bietet auch Extraführungen zu<br />
diesem Exponat <strong>an</strong>. Cut-away-Modelle von<br />
Bombercockpits im Maßstab 1:1 bezeugen<br />
die funktionale Enge militärischer Luftfahrzeuge.<br />
Die Air Gunner Collection ist den<br />
20.000 Bordschützen gewidmet, die ihr Leben<br />
im Zweiten Weltkrieg ließen. Sie umfasst<br />
eine Vielzahl <strong>an</strong> Waffen und die zugehörigen<br />
Drehtürme und dokumentiert die<br />
Techniken, die bei <strong>der</strong> Abwehr feindlicher<br />
Jagdmaschinen genutzt wurden.<br />
Auch die mo<strong>der</strong>ne Militärluftfahrt<br />
kommt nicht zu kurz. Auf den Außenflächen<br />
befinden sich zahlreiche Flugzeugmodelle<br />
aus dem Zeitraum zwischen Kaltem<br />
Krieg und Golfkrieg. Dazu gehören eine im<br />
Desert-Storm-Tarn lackierte Blackburn Bucc<strong>an</strong>eer<br />
S2 „Glen Elgin“, die zuletzt gegen<br />
den Irak 1991 für Tornados Ziele mit ihrem<br />
Laser markierte. Auch zwei Tornados GR1<br />
und GR4 sind Teil <strong>der</strong> Ausstellung. Zudem<br />
sind neben den Klassikern britischen Designs<br />
wie <strong>der</strong> English Electric C<strong>an</strong>berra T4,<br />
<strong>der</strong> Lightning F6, <strong>der</strong> De Havill<strong>an</strong>d Vampire<br />
DH115 T11 und diversen Mustern <strong>der</strong><br />
Gloster Meteor und <strong>der</strong> Hawker Hunter<br />
auch eine Mirage IIIF zu sehen. Bek<strong>an</strong>nte<br />
kleine Flugzeuge wie die Harrier GR3 stehen<br />
neben großen Maschinen wie <strong>der</strong><br />
H<strong>an</strong>dley Page Victor K2 o<strong>der</strong> einem <strong>der</strong><br />
neusten Zugänge, dem Hawker Siddeley<br />
Nimrod MR2 L<strong>an</strong>gstreckenseeaufklärer.<br />
Ein Gyrokopterbausatz <strong>der</strong> Firma Air<br />
Comm<strong>an</strong>d Sports Elite erinnert <strong>an</strong> James<br />
Bonds „Little Nellie“ aus dem Film „M<strong>an</strong><br />
lebt nur zweimal“ von 1967.<br />
PASSENDE BEGRÜßUNG: Dieses 1:1-Modell einer Hawker Hurric<strong>an</strong>e I „wacht“ am Eing<strong>an</strong>gstor.<br />
Dr. Fre<strong>der</strong>ick Feulner ist Marie Curie Research Fellow<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> University of York, Engl<strong>an</strong>d.<br />
Clausewitz 1/2013<br />
79
Ein Bild erzählt Geschichte<br />
Triumph über Napoleon<br />
Die Preußen<br />
überqueren<br />
den Rhein<br />
Oktober 1813: Nach seiner desaströsen Nie<strong>der</strong>lage<br />
in <strong>der</strong> Völkerschlacht bei Leipzig muss<br />
Napoleon fliehen. Das Kernl<strong>an</strong>d seines Kaiserreichs<br />
wird jetzt von den nachrückenden<br />
Alliierten bedroht… Von Maximili<strong>an</strong> Bunk<br />
Beson<strong>der</strong>s Blücher – eine Galionsfigur<br />
des preußischen Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>des – ist<br />
Napoleon dicht auf den Fersen. Am<br />
Silvestertag 1813 schlägt er sein Hauptquartier<br />
in einem Hotel <strong>der</strong> Stadt Kaub auf, dem<br />
Zentrum des Aufmarschgebiets seiner aus<br />
Russen und Preußen bestehenden Armee.<br />
Im Raum zwischen Neuwied im Norden<br />
und M<strong>an</strong>nheim im Süden sammelt sich sein<br />
Heer für die Invasion Fr<strong>an</strong>kreichs. In <strong>der</strong><br />
ersten J<strong>an</strong>uarwoche 1814 ist es d<strong>an</strong>n soweit:<br />
Blüchers circa 50.000 M<strong>an</strong>n starke Streitmacht<br />
überquert bei Kaub den Rhein und<br />
dringt in Fr<strong>an</strong>kreich ein.<br />
Wilhelm Camphausen (1818-1885) verfertigt<br />
das Ölgemälde mit dem Titel „Blüchers<br />
Rheinüberg<strong>an</strong>g bei Kaub“ ein gutes halbes<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t nach dem historischen Ereignis.<br />
Der Künstler diente selbst eine Zeitl<strong>an</strong>g<br />
bei <strong>der</strong> Kavallerie und behielt sich von da<br />
<strong>an</strong> eine Vorliebe für militärische Sujets. So<br />
stammen von ihm Bil<strong>der</strong> wie „Begrüßung<br />
Blüchers und Wellingtons nach <strong>der</strong><br />
Schlacht bei Belle-Alli<strong>an</strong>ce“ (1862) o<strong>der</strong><br />
„Erstürmung <strong>der</strong> Düppeler Sch<strong>an</strong>ze“<br />
HISTORIENMALER AUS<br />
DÜSSELDORF: Der <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />
Akademie ausgebildete<br />
Camphausen ist bek<strong>an</strong>nt<br />
für seine Schlachtengemälde<br />
und Bil<strong>der</strong> zur englischen<br />
Geschichte. Er fertigte<br />
aber auch erfolgreich<br />
Porträts großer Staatsmänner<br />
<strong>an</strong> und zeichnete<br />
Karikaturen.<br />
Abb.: picture alli<strong>an</strong>ce/prismaarchivo<br />
(1867). Im Krieg von 1870/71 ist er offizieller<br />
Armeemaler und bringt in dessen Folge<br />
eine g<strong>an</strong>ze Reihe patriotischer Schlachtendarstellungen<br />
hervor – beson<strong>der</strong>s oft stehen<br />
dabei Feldherren im Zentrum seiner Kunst.<br />
Der alte Blücher bildet damit ein fast perfektes<br />
Thema, vereinigt er doch in seiner<br />
Person preußisch-deutschen Patriotismus,<br />
Volkstümlichkeit und natürlich militärischen<br />
Schneid. Auch <strong>der</strong> historische Moment<br />
ist mit Bedacht gewählt: Nie<strong>der</strong>lage<br />
Fr<strong>an</strong>kreichs und Rheinrom<strong>an</strong>tik gehen<br />
hier H<strong>an</strong>d in H<strong>an</strong>d. Im Zentrum des Gemäldes<br />
sitzt <strong>der</strong> Feldmarschall hoch zu<br />
Ross und blickt auf seine vorüberziehende<br />
Armee. Schnee und leichter Nebel hüllen<br />
die Szenerie in eine feierliche und fast<br />
80
MAGISCHER MOMENT:<br />
Vor rom<strong>an</strong>tischer Winterkulisse<br />
strömt Blüchers<br />
Heer über den Rhein nach<br />
Fr<strong>an</strong>kreich. Abb.: picture-alli<strong>an</strong>ce/akg-images<br />
märchenhafte Kulisse, die Grausamkeiten<br />
des Krieges sind noch weit entfernt. Die<br />
Soldaten machen einen zufriedenen und<br />
heiteren Eindruck und marschieren unter<br />
den Jubelrufen <strong>der</strong> Bevölkerung ins Feindesl<strong>an</strong>d<br />
– m<strong>an</strong> winkt und prostet sich zu.<br />
Zuversicht und Aufbruchsstimmung charakterisieren<br />
den Zug <strong>der</strong> Soldaten über<br />
den winterlichen Strom. Im Bildhinter-<br />
grund ist Burg Pfalzgrafenstein zu sehen,<br />
zu <strong>der</strong> russische Pioniere eine Pontonbrücke<br />
errichtet haben. Noch während <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />
Brücke gearbeitet wurde, setzte Inf<strong>an</strong>terie<br />
mit Kähnen auf das linke Rheinufer über,<br />
um dort einen Brückenkopf gegen eine etwaige<br />
fr<strong>an</strong>zösische Abwehr zu errichten.<br />
Camphausen hat die in Wirklichkeit chronologisch<br />
hinterein<strong>an</strong><strong>der</strong> ablaufenden Ereignisse<br />
in seiner Komposition zu einem<br />
einzigen Moment verschmolzen. Sein Gemälde<br />
wirkt durch die vielen Details und<br />
die realistische Ausführung unglaublich<br />
lebendig.<br />
Nach dem Übersetzen seiner Armee k<strong>an</strong>n<br />
Blücher Napoleon am 1. Februar bei La Rothière<br />
schlagen.<br />
Clausewitz 1/2013 81
<strong>Vorschau</strong><br />
Nr. 11 | 1/2013 | J<strong>an</strong>uar-Februar | 3.Jahrg<strong>an</strong>g<br />
Kursk 1943<br />
„Zitadelle“ – Hitlers letzte Großoffensive im Osten<br />
5. Juli 1943: Die Großoffensive beginnt. Unweit <strong>der</strong> Ortschaft<br />
Prochorowka stehen sich wenig später deutsche und<br />
sowjetische Kampfp<strong>an</strong>zer in <strong>der</strong> größten P<strong>an</strong>zerschlacht <strong>der</strong><br />
Geschichte gegenüber. Die Verluste <strong>der</strong> Roten Armee sind<br />
erheblich, doch ihre Soldaten wehren sich verbissen...<br />
Internet: www.clausewitz-magazin.de<br />
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<strong>CLAUSEWITZ</strong><br />
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Schlacht auf dem<br />
Lechfeld 955<br />
Das Ende <strong>der</strong><br />
Ungarneinfälle<br />
955 n. Chr.: Dieser<br />
triumphale Sieg König<br />
Ottos I. über die Ungarn<br />
bei Augsburg beendet<br />
endgültig die g<strong>an</strong>ze<br />
L<strong>an</strong>dstriche verheerenden<br />
Raubzüge <strong>der</strong> heidnischen<br />
Reiter im<br />
Reich.<br />
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P<strong>an</strong>zerwerfer 42<br />
Raketenwerfer auf Ketten<br />
1942/43: Mit dem Mehrfachraketenwerfer<br />
verfügt die Wehrmacht über eine Artilleriewaffe,<br />
die trotz zahlreicher Mängel vom Gegner<br />
gefürchtet wird. Die Waffen-SS rüstet ihre<br />
Einheiten mit einer umgebauten Version<br />
des mobilen Raketenwerfers aus...<br />
Außerdem im nächsten Heft:<br />
Korea-Krieg 1950-1953. Der verlustreiche „Stellvertreterkrieg“.<br />
Generalfeldmarschall Erich von M<strong>an</strong>stein. Der Urheber des „Sichelschnitts“.<br />
Und viele <strong>an</strong><strong>der</strong>e Beiträge aus den Wissengebieten Geschichte, Militär und Technik.<br />
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82
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