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Kolumne Christian Simon – Folge 9 –<br />
Paul McCartney – Teil 1<br />
Der Beatle<br />
und die<br />
weiße Mühle<br />
Häufig werde ich gefragt: „Wie bist du so eng mit<br />
Paul McCartney zusammengekommen?" Das ist<br />
eine längere Geschichte, ich erzähle sie von Beginn<br />
an. Im August 1965 ließen die Beatles einen<br />
Mitschnitt ihrer Konzerte in der Hollywood Bowl<br />
(Los Angeles) machen, doch erst 1970 beauftragten<br />
sie ihren Produzenten George Martin, die Aufnahmen<br />
zu überarbeiten. Weitere sieben Jahre später<br />
erschien die LP THE BEATLES AT THE HOLLYWOOD<br />
BOWL. Ich war damals Sprecher bei Radio Luxemburg<br />
– es gelang mir, die<br />
Weltpremiere dieses Albums<br />
für RTL zu sichern. Natürlich<br />
musste es dazu einen O-Ton<br />
geben, also ein Interview mit<br />
einem Beatle. Paul McCartney<br />
wäre am einfachsten gewesen,<br />
denn er lebte nach wie<br />
vor in England. Aber trotz<br />
Unterstützung der Plattenfirma,<br />
des Musikverlages und<br />
der Kollegen vom englischen<br />
RTL-Programm waren alle<br />
Bemühungen erfolglos – kein<br />
Statement, kein Telefoninterview,<br />
nichts! Im Nachhinein<br />
fast ein Glück, denn die<br />
Weltpremiere platzte, und<br />
RTL sendete das Album erst<br />
als zweite Sendestation. Es<br />
wurden viele Gründe dafür<br />
genannt. Tatsache aber war,<br />
dass ein bekannter Rundfunksprecher<br />
des SWF nachts zur<br />
EMI nach Köln fuhr, sich von<br />
einem befreundeten Mitarbeiter<br />
eine Muster-LP geben ließ<br />
und diese morgens im Sender spielte, il wenige Stunden<br />
vor RTL. Der EMI-Mitarbeiter wurde entlassen.<br />
Zwei Jahre später, ich moderierte mittlerweile beim<br />
ZDF „Rockpop", startete ich den zweiten Kontaktversuch<br />
zu Paul McCartney. Er <strong>to</strong>urte mit den Wings<br />
und absolvierte auch Promotiontermine. Das war<br />
die große Chance – die Wings im<br />
Münchner TV-Studio bei „Rockpop", die beste Werbung<br />
für die Tour! Dies sahen die Verantwortlichen<br />
in England ebenso; aber warum live, wenn es auch<br />
einfacher geht? Wir bekamen ein Videoband von<br />
"Goodnight Tonight", aber keinen Paul. Doch die<br />
Idee eines Interviews mit McCartney blieb. Allerdings<br />
dauerte es noch Jahre.<br />
Ich war 1990 Sprecher beim Privatsender Radio Vic-<br />
<strong>to</strong>ria in Baden-Baden und produzierte eine Sendereihe<br />
mit dem Titel<br />
„Die Beatles S<strong>to</strong>ry".<br />
„Jetzt oder nie!"<br />
lautete die Devise.<br />
Anruf bei der EMI<br />
in Köln: Adresse des<br />
McCartney-Managements<br />
in London?<br />
„Nein, die dürfen wir<br />
nicht rausgeben."<br />
Schritt zwei folgte:<br />
Meine Frau und ich<br />
hatten eine Kurzreise<br />
nach London<br />
gebucht. Anruf bei<br />
EMI London: Ich<br />
müsse ein paar Radiobänder<br />
in Pauls<br />
Büro abgeben – die<br />
Adresse bitte ... Es<br />
klappte, und die<br />
Telefonnummer des<br />
Managements gab's<br />
noch dazu. In einem<br />
Telefonat erzählte<br />
ich dem damaligen<br />
Manager Richard<br />
Ogden die bisherige i wahre Geschichte und fügte an:<br />
„Eine Dokumentation über die Beatles ohne Paul ist<br />
wie ein Gewitter ohne Blitze …" Solche Metaphern<br />
mögen Engländer. Ogden lachte: „Na, dann komm<br />
doch erst mal vorbei."<br />
Zwei Tage später in Pauls Büro, Pressesprecher Geoff<br />
Baker empfing mich. Natürlich war Paul nicht da,<br />
Seite 72 ■ <strong>GoodTimes</strong> 3/2013 ■ <strong>Music</strong> <strong>from</strong> <strong>the</strong> <strong>60s</strong> <strong>to</strong> <strong>the</strong> <strong>80s</strong><br />
Pressemanager Geoff Baker mit Christian Simon<br />
aber zu Baker ergab sich ein guter Draht, und man<br />
rückte Interviewbänder von Paul für die Sendung<br />
raus. Es folgte sogar noch ein Interview mit Baker –<br />
besser als nichts, aber war das genug? Nein! Baker<br />
meinte: „Mal sehen, nächstes Jahr machen wir welche.<br />
Ruf einfach immer wieder mal an." Und so geschah<br />
es! Monate später kam dann ein Anruf von<br />
Geoff: „Komm nach London, du triffst Paul!" Kaum<br />
zu glauben, aber der Termin stand: ein Treffen morgens<br />
um zehn Uhr im Londoner Büro. Pünktlich<br />
trafen meine Frau und ich dort ein, Baker wartete<br />
schon. Er lotste uns in ein wartendes Taxi, wir fuhren<br />
zusammen los. Ich wurde nervös, als wir an der<br />
Vic<strong>to</strong>ria Station ausstiegen und plötzlich in einem<br />
Zug saßen. „Paul hatte keine Lust, nach London zu<br />
kommen. Wir fahren zu ihm nach Hause in Sussex",<br />
sagte Baker und telefonierte dann mit McCartney.<br />
Zwei Stunden später kamen wir in Rye an, wurden<br />
am Bahnhof von einem Fahrer eingesammelt und<br />
fuhren aufs Land. Irgendwann bog der rote Volvo<br />
auf einen Feldweg ab, es ging durch ein Weizenfeld.<br />
Dann standen wir vor einer weißen Windmühle<br />
mit schwarzen Flügeln – Pauls Studio und „zweites<br />
Wohnzimmer". Baker führte uns hinein. In der Diele<br />
lehnte der große Standbass von Elvis Presleys Band,<br />
den Paul mal von Linda geschenkt bekommen hatte.<br />
Dann ging's über eine Wendeltreppe nach oben in<br />
den Wohnbereich …<br />
Natürlich endet die Geschichte hier nicht, sie fängt<br />
eigentlich erst an. Weiter geht’s im nächsten Heft!<br />
Fo<strong>to</strong>s: © Christian Simon Productions