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1963 – es ging lo-hooooos: Von Bernd Ma<strong>the</strong>ja<br />
COME ON, ROLLING STONES!<br />
Es war ein kurzes Vergnügen – zum Auftakt einer langen, langen<br />
Karriere. Im Sommer 1963, in Liverpool hatten Beat & Verwandtes<br />
bereits mächtig Fahrt aufgenommen, legten auch die Londoner<br />
Rolling S<strong>to</strong>nes den Gang ein: Ihre erste Schallplatte kam auf einen<br />
Tonträgermarkt, den jetzt lawinenartig immer neue (Single-)Veröffentlichungen<br />
immer neuer Bands überrollten.<br />
Nach 3:41 Minuten war schon wieder Schluss – beide Seiten der blauen<br />
Decca-45er addiert, wohlgemerkt. Mit der Katalognummer F 11675<br />
schickte das Label die Songkombination "Come On" (1:50)/"I Want To<br />
Be Loved" (1:51) ins Rennen: Titel, die zwar von zwei Giganten komponiert<br />
worden waren, jedoch längst nicht zum Populärsten aus deren Küchen zählten.<br />
Chuck Berrys "Come On" (B: "Go Go Go") war von Chess Records (Nr.: 1799)<br />
im Ok<strong>to</strong>ber 1961 schnell noch veröffentlicht worden, weil der<br />
Meister mit einem Bein im Knast stand, das zweite flott<br />
nachzog und dann bis 1963 einfuhr. Seine Single soff<br />
ab. Willie Dixon, Schöpfer der B-Seite, hatte "I Want<br />
To Be Loved" bis dahin gar nicht eingespielt; die erste<br />
Ladenversion stammte vom Kollegen Muddy Waters aus<br />
dem Jahr 1955 (Chess 1596) und<br />
verfehlte mit der B-Seite "My<br />
Eyes Keep Me In Trouble" alle<br />
Charts.<br />
Und nun also die Rolling S<strong>to</strong>nes – Neulinge,<br />
erstes Vinylprodukt mit zwei kaum bekannten<br />
Nullnummern. Immerhin: Die Bandbesetzung hatte<br />
sich nach diversen Wechseln mit Mick Jagger<br />
(voc), Keith Richards (g), Brian Jones (g), Bill Wyman<br />
(b) und Charlie Watts (dr) stabilisiert; und die Kun-<br />
de von ihrer Existenz brannte sich wie ein Lauffeuer quer<br />
durchs UK – als Live-Abräumer, die Dächer abheben konnten.<br />
Bereits am 11.3.1963 hatten sie sich in den IBC-Studios am Portland Place<br />
an der B-Seite versucht – diese Fassung (mit Ian Stewart am Piano) schaffte<br />
es schlappe 49 Jahre später auf die 5-CD-Edition der Jubiläumsausgabe GRRR!<br />
Ansonsten war kaum Zeit für Aufnahmen. Bis Anfang Mai pflügten sie mit rund<br />
80 Gigs quer durch die Clubs von London und Umgebung. Dann peilte ihr Neu-<br />
Manager Andrew Oldham einen Plattenvertrag an, und Jagger & Co. mussten<br />
einrücken. Am 10.5. war es soweit: In den Olympic Sound Studios schob Roger<br />
Savage die Regler als Toningenieur, Oldham spielte Produzent. An diesem Tag<br />
entstanden die beiden<br />
Songversionen, die dann<br />
aufs Vinyl kamen. Eine<br />
weitere "Come On"-<br />
Fassung soll am 16.5. in<br />
den Decca-Studios West<br />
Hampstead<br />
entstanden<br />
sein – mit Michael Barclay<br />
als Producer und Gus<br />
Dudgeon am Pult.<br />
m 7.6. wurde die<br />
ADebütsingle der Rolling<br />
S<strong>to</strong>nes im UK veröffentlicht. Erst sechs Wochen später hatte<br />
sie sich in die Charts gequält, blieb dort jedoch 14 Wochen und<br />
erreichte Platz 21 – kein wirklich verpatzter Start, der durch<br />
mehrere TV-Auftritte in „Lucky Stars Summer Spin" (ABC; 13.7.<br />
und 14.9.), „Ready Steady Go" (ARTV; 23.8.) und „Scene At<br />
6.30" (Grenada; 29.8.) gestützt wurde – sämtlich im Playbackverfahren.<br />
Am 23.9. präsentierte die Band den Titel erstmals<br />
live im BBC-Radio. Und er gehörte, natürlich, zum Reper<strong>to</strong>ire<br />
während der ersten britischen Tour des Quintetts vom 29.9. bis<br />
3.11. mit den US-Cracks Bo Diddley, Little Richard und Everly<br />
Bro<strong>the</strong>rs.<br />
W<br />
as aber machte<br />
der Rest der<br />
Welt? Noch längst<br />
war nicht bei allen<br />
Decca-Filialen die<br />
Euphorie über „die<br />
neue Musik" ausgebrochen,<br />
kaum<br />
jemand<br />
mochte<br />
diesen Steinen beim<br />
Rollen assistieren: keine<br />
zeitgleiche Veröffentlichung von "Come On"/"I<br />
Want To Be Loved" weltweit, lediglich in Dänemark/Schweden<br />
wurden aus England eingeführte<br />
Singles (mit Bildcover!) auf den Markt gebracht.<br />
Auch in Deutschland, trotz einiger US/-UK-<br />
Importkünstler noch weitreichend betäubt vom<br />
Schlagermuff, passierte nichts. Erst im Dezember<br />
1965 wurden den Fans beide Songs auf<br />
der Compilation-LP BRAVO ROLLING STONES<br />
angeboten. In Holland (Single-B-Seite; 1964)<br />
und Australien (EP "Route 66"; 1/1965) war<br />
man etwas wacher, doch selbst in England und<br />
Frankreich verblieben sämtliche Vier-Tracker<br />
ohne die Titel des UK-Debüts – ein Trend, der<br />
sich fortsetzte: Bis heute sind die beiden Ungeliebten<br />
nur äußerst zaghaft auf „Best Of"-, Hi<strong>to</strong>der<br />
Nichtsnutz-Kopplungen untergebracht.<br />
Dennoch, der Anfang war gemacht. Zwar<br />
s<strong>to</strong>ppte Decca die geplante Folgesingle<br />
"Poison Ivy"/"Fortune Teller" (F 11742) im September;<br />
doch mit der Beatles-Schützenhilfe "I<br />
Wanna Be Your Man" (F 11764; UK #12) kamen<br />
die S<strong>to</strong>nes im November auf Betriebstemperatur.<br />
Ab 1964 gab es dann mit "Not Fade Away",<br />
"It's All Over Now" und "Little Red Rooster" kein<br />
Halten mehr – auch international. Das "Come<br />
On"-Lehrgeld war bezahlt – für eine zu unbekannte<br />
und kaum tanzbare Nummer, für die eigene<br />
Ängstlichkeit (es rüder krachen zu lassen)<br />
und nicht zuletzt für die Ahnungslosigkeit eines<br />
selbst ernannten Produzenten.<br />
Seite 26 ■ <strong>GoodTimes</strong> 3/2013 ■ <strong>Music</strong> <strong>from</strong> <strong>the</strong> <strong>60s</strong> <strong>to</strong> <strong>the</strong> <strong>80s</strong>