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Fräulein Mutter und Tochter: Jane Birkin & Lou Doillon (Vorschau)

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Ausgabe 10/2013<br />

<strong>Mutter</strong> UND <strong>Tochter</strong><br />

<strong>Jane</strong> birkin & <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong><br />

Das Ende der Männer<br />

Die mächtigsten Frauen der Welt<br />

Sportlerinnen auf al-Qaidas Todesliste<br />

Penis Blues<br />

Bikinis<br />

Und heisse Jungs


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editorial<br />

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

herzlich willkommen zur 10. Ausgabe von <strong>Fräulein</strong>!<br />

Was für eine spannende Reise war das bis hier hin!<br />

Wie viele unglaublich tolle Geschichten wir durch<br />

das <strong>Fräulein</strong> erlebt haben, im Heft hatten <strong>und</strong> mit<br />

wie vielen tollen Leuten wir arbeiten konnten!<br />

Zum Geburtstag haben wir <strong>Fräulein</strong> zusammen<br />

mit der New Yorker Kreativdirektorin Aoife Wasser<br />

einen besonderen Look verpasst. Außerdem<br />

liegen einer Teilauflage von 20.000 Exemplaren eine<br />

Leseprobe von L'Officiel Hommes bei, die wir seit<br />

Anfang des Jahres in Berlin redaktionell für den<br />

Vision Media Verlag produzieren. Genießen Sie die<br />

Hefte! Es ist viel passiert <strong>und</strong> es liegt noch so viel<br />

vor uns!<br />

Wir hoffen, Sie werden uns weiterhin die Treue halten<br />

<strong>und</strong> uns noch lange auf dieser Reise begleiten!<br />

Viel Spaß beim Lesen!<br />

Ihr<br />

Götz Offergeld<br />

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contributor<br />

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anje Jager<br />

Deine Illustrationen des Rätsels <strong>und</strong> des Rezeptes<br />

machen „<strong>Fräulein</strong>“ erst komplett.<br />

Stefan Armbruster<br />

<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> gehört wahrscheinlich zu den meistfotografierten<br />

Frauen der Welt. Die Bilder von Stefan<br />

gehören zu den intimsten!<br />

Sabine Volz<br />

Must-haves in Szene setzten kann niemand so<br />

gut wie Sabine.<br />

Felix Leblhuber<br />

Danke für dein großartiges Styling. Best dressed<br />

man!<br />

Mirna Funk<br />

Der Phallus in der Kunstgeschichte, klingt erst<br />

mal nicht so sexy. Stimmt aber nicht. Der Beweis:<br />

der Text von Mirna.<br />

Bela BoRSodi<br />

Die Monster-Flakons von Bela haben wir zum<br />

Fressen gern. Rrrrrrriiiiighhhhhttt oooonnn!<br />

Heiko Richard<br />

trägt nicht nur die bestsitzenden Jeans in Berlin-<br />

Mitte, sondern hat auch unser Cover <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong><br />

großartig in Szene gesetzt.<br />

Katharina Finke<br />

Entlockte der französischen Autorin Marie Darrieussecq<br />

in einem tollen Interview intime Details<br />

über ihr „coming of age“. Merci Katharina.<br />

Irina Gavrich<br />

hat keine Probleme mit hohen PS-Zahlen. Für<br />

<strong>Fräulein</strong> fotografierte sie Easy Rider <strong>und</strong> ein<br />

Raging Girl. Gefällt uns sehr.<br />

christian fritzenwanker<br />

Christian ist schon gar nicht mehr wegzudenken<br />

von unseren <strong>Fräulein</strong>-Shoots. Bei <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong><br />

saßen Haare & Make-up mal wieder perfekt.<br />

Debora Mittelstaedt<br />

hat ein w<strong>und</strong>erschönes, zeitloses Portrait von<br />

unserer Stil-Legende Sibylle Gerstner fotografiert.<br />

Ein <strong>Fräulein</strong>liebling in dieser Ausgabe.


Inhaltsverzeichnis<br />

S.130<br />

S.84<br />

Sibylle Gerstner: Das Leben unserer Stil-Legende hat uns tief<br />

bewegt. Eine Hommage an die Künstlerin, Autorin <strong>und</strong> Gründerin<br />

der ersten Frauenzeitschrift der DDR. S.40<br />

S.40<br />

Taschen-Traum: Das Schnittmuster von Martin Margiela. S.48<br />

<strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong>: Streitbar, schlau <strong>und</strong> schön – Die <strong>Tochter</strong> von <strong>Jane</strong><br />

<strong>Birkin</strong> <strong>und</strong> Jacques <strong>Doillon</strong> steckt voller Energie S.54<br />

S.54<br />

<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong>: Sie ist viel mehr als nur die „Ex“ von Serge<br />

Gainsbourg. Die <strong>Mutter</strong> von <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> gilt eine der großen<br />

weiblichen Ikonen unserer Zeit. S.84<br />

S.48<br />

Arty aber sexy: Der Phallus in der Kunstgeschichte. S.112<br />

Reportage: Frauenbasketball in Somalias Hauptstadt<br />

Mogadishu kann lebensgefährlich sein. S.118<br />

<strong>Lou</strong> Hayter: Die Engländerin liebt Yves Saint Laurent <strong>und</strong> wir<br />

lieben sie! S.124<br />

Sind die Männer am Ende?: Die Autorin Hanna Rosin provoziert<br />

mit gewagten Thesen. S.126<br />

Anti-<strong>Fräulein</strong>: Warum uns Halle Berry auf die Nerven geht.<br />

S.130<br />

Sachen gibt es: Die mächtigsten Frauen der Welt. S.144<br />

S.118<br />

S.112<br />

S.124<br />

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talent<br />

Text: Hendrik Lakeberg<br />

Foto: Irina Gavrich<br />

SL: Manche Dinge liebe ich einfach <strong>und</strong> möchte<br />

sie teilen. Mir geht es darum, den Leuten zu<br />

zeigen, was kulturell passiert, wo neue Szenen<br />

entstehen, die interessant sind. Zum Beispiel<br />

Woodkid. Der ist ein interessanter neuer Musiker<br />

<strong>und</strong> Künstler. Es waren viele wichtige<br />

Leute aus der französischen Musikszene auf<br />

seinem Konzert in Paris. Justice <strong>und</strong> Kandinsky<br />

zum Beispiel. Das sind nicht unbedingt<br />

Personen, die man mit der „Vogue“<br />

verbindet. Aber ich finde es wichtig, auch<br />

dort so etwas zu zeigen. Zu zeigen, dass<br />

da neue kluge Leute sind. Ich versuche,<br />

ein Zeitzeuge meiner Generation zu sein<br />

<strong>und</strong> offen für alles Neue zu bleiben. Ich<br />

bin geradezu süchtig danach.<br />

Man muss in Ihren Beruf sehr kommunikativ<br />

sein. War das ein Talent,<br />

das Sie immer schon hatten?<br />

SL: Vor allem muss ich psychologisch<br />

klug vorgehen. Dass mir das leicht<br />

fällt, hat mit meiner Vergangenheit zu<br />

tun. Ich habe in Belgien <strong>und</strong> Norwegen,<br />

Südfrankreich, Tel Aviv <strong>und</strong> Paris gelebt.<br />

Meine Eltern sind oft umgezogen. Ich<br />

musste ständig neue Fre<strong>und</strong>e gewinnen.<br />

Es ist also einfach für mich, mit Leute ins<br />

Gespräch zu kommen. Ich bin sehr neugierig<br />

<strong>und</strong> leidenschaftlich interessiert an<br />

Menschen. Trotzdem ist es ab <strong>und</strong> zu nicht<br />

einfach. Manche sind schüchtern, sie fühlen<br />

sich mit ihrem Körper <strong>und</strong> vor der Kamera<br />

nicht richtig wohl. Auch wenn sie schön sind,<br />

sind sie kompliziert. Es ist das Talent eines<br />

Fotografen, in diesen Momenten die richtigen<br />

Worte zu finden, die richtige Psychologie. Am<br />

Anfang sagen manche Nein, aber es passiert<br />

mir oft, dass ich sie später zum zweiten Mal<br />

frage <strong>und</strong> dann lockern sie auf. Dann lassen sie<br />

gerne ein Foto machen. Ich setze mich mit den<br />

Menschen auseinander, versuche aufrichtig ihsaskia<br />

lawaks<br />

von den Fashion weeks der WELT bis zur ART BASEL miami –<br />

saskia LAWAKS FOTOGRAFIERT für die FRANZösische „VOGUE“<br />

auf den GROSSEN SZENE-EVENTS die gäSTE<br />

Wie sind Sie zu Ihrem Job gekommen?<br />

Saskia Lawaks: Ich habe Psychologie <strong>und</strong> Human<br />

Resources studiert <strong>und</strong> im Anschluss bei<br />

einer Werbeagentur angefangen. Mir wurde<br />

in dieser Zeit klar, welche Möglichkeiten <strong>und</strong><br />

welche Macht das Internet bietet. So startete<br />

ich meinen Blog Facescoop. Am Anfang<br />

habe ich vor allem Streetstyles fotografiert.<br />

Es interessierte mich immer schon, wie<br />

Menschen sich kleiden, wie sie geben oder<br />

reden. Zu den Streetstyles kamen Galerieeröffnungen,<br />

Konzerte <strong>und</strong> Events. Auf<br />

einer Party habe ich einen netten Typen<br />

getroffen, mit dem ich lange über meinen<br />

Blog sprach. Es stellte sich heraus,<br />

dass er den Online-Auftritt vom Condé<br />

Nast Verlag betreut. Wir trafen uns<br />

wieder <strong>und</strong> ich fing an, für die Webseite<br />

der französischen „Vogue“ Partys<br />

<strong>und</strong> Fashion-Shows zu dokumentieren.<br />

Ich hatte aber schon vorher sehr<br />

gute Kontakte in die Mode- <strong>und</strong> Musikindustrie,<br />

was mir sehr geholfen hat.<br />

Wie entscheiden Sie, wen Sie fotografieren?<br />

SL: Ich kenne viele Leute <strong>und</strong> ich versuche<br />

immer eine Balance zu schaffen<br />

zwischen den großen Berühmtheiten wie<br />

zum Beispiel Karl Lagerfeld <strong>und</strong> denen,<br />

die in der Branche wichtig sind, von denen<br />

man aber nicht unbedingt das Gesicht<br />

kennt. Stylisten oder Make-up-Artists zum<br />

Beispiel. Talente, an die ich glaube <strong>und</strong> bei<br />

denen ich denke, dass sie eine tolle Karriere<br />

vor sich haben.<br />

Sie gehen zu den großen Anlässen. Zu den<br />

Fashion Weeks, zur Biennale in Venedig oder<br />

der Art Basel Miami. Ab <strong>und</strong> zu fotografieren<br />

Sie auch auf eher kleineren Konzerten <strong>und</strong><br />

anderen Szene-Events. Wie suchen Sie diese<br />

aus?<br />

Nr.10<br />

12 13<br />

Nr.10


talent<br />

nen gegenüber zu sein. Das merken diejenigen, an<br />

die ich herantrete.<br />

Andere Personen wollen unbedingt fotografiert<br />

werden, aber vielleicht interessieren Sie sich<br />

nicht unbedingt für sie. Sind Sie sich über Ihre<br />

Macht bewusst? Wie gehen Sie damit um?<br />

SL: Man sagt mir, dass ich Macht habe. Ich sehe<br />

das aber nicht so. Natürlich macht es mich froh,<br />

wenn meine Bilder geschätzt werden, aber ich liebe<br />

meinen Job. Ich muss ihn machen. Für mich ist<br />

es das Gleiche, zu Karl Lagerfeld zu gehen <strong>und</strong> zu<br />

sagen: „Hi Karl, kann ich dich fotografieren?“ oder<br />

eine unbekannte Person auf der Straße wegen seines<br />

Styles zu fotografieren. Ich respektiere beide<br />

Personen auf die gleiche Art. Aber natürlich gibt es<br />

die Macht des Bildes. Die Macht, eine Geschichte<br />

zu erzählen. Einen Moment einzufangen. Ich glaube<br />

an diese Macht. Doch sie ist größer als ich <strong>und</strong><br />

die Personen, die ich fotografiere.<br />

Was, denken Sie, kann man über unsere Zeit<br />

erfahren, wenn man auf Ihre Bilder in ein paar<br />

Jahren zurückblickt?<br />

SL: Ich weiß es nicht. Ich sehe nur die Bilder.<br />

Menschen, die ich liebe. Dass wir Spaß hatten.<br />

Dass sich Menschen durch mich treffen <strong>und</strong> sich<br />

daraus etwas entwickelt. Glück, Traurigkeit, eine<br />

Spannung, etwas Starkes – das will ich in meinen<br />

Fotos einfangen. Ich bin ein guter Vermittler. Wenn<br />

ich einen Künstler <strong>und</strong> einen Designer kenne,<br />

dann stelle ich sie einander vor <strong>und</strong> schlage ihnen<br />

vor, zusammen zu arbeiten oder essen zu gehen.<br />

Vielleicht kann das Foto der Anfang von etwas<br />

sein. Mein eigentlicher Job ist es aber, Zeuge einer<br />

Generation zu sein. Wie Warhol es war oder Keith<br />

Haring. Ich will mich natürlich nicht mit ihnen<br />

vergleichen, aber ich bew<strong>und</strong>ere sie dafür, wie sie<br />

ihre Kunst dazu verwenden, einen Moment einzufangen.<br />

Ich frage meine K<strong>und</strong>en bei Jobs, wie das<br />

Briefing ist, aber sie sagen mir mittlerweile nur:<br />

Mach, was du immer tust, sei einfach du selbst.<br />

Sie treffen all diese Leute, berühmte Schauspieler,<br />

Designer. Gibt es unter ihnen jemand, der<br />

Ihnen bis heute im Kopf geblieben ist, der Sie<br />

überrascht hat?<br />

SL: Ich habe mich dafür entschieden, meinen<br />

normalen Bürojob aufzugeben <strong>und</strong> von meiner<br />

Leidenschaft zu leben. Vom Adrenalin, ständig<br />

neue Menschen zu treffen. Am Anfang musste<br />

ich durch die Hintertür auf die Party schleichen.<br />

Ich wollte mich in das Nachtleben hineinwerfen.<br />

Dabei habe ich sehr gute Verbindungen zu Personen<br />

bekommen, die man als Celebrities bezeichnen<br />

würde. Aber ich sehe sie nicht als Celebrities,<br />

sondern als kreative Menschen. Für mich sind sie<br />

nicht nur ein Gesicht, das kommt <strong>und</strong> geht. Sie<br />

sind Teil der Energie einer Stadt.<br />

Sie sagen, dass es Ihnen einen Adrenalinschub<br />

gibt, Menschen zu treffen. Würden Sie sagen,<br />

dass Sie im Endeffekt schüchtern sind?<br />

SL: Privat bin ich natürlich schüchterner als in<br />

meinem sozialen Leben. Aber ich habe viele Persönlichkeiten.<br />

Ist Ihr Job im Endeffekt nur Arbeit? Auf der Arbeit<br />

ist man meistens jemand anderer als privat.<br />

SL: Nein, ich bin ich selber. Ich zwinge mich nicht.<br />

Verstelle mich nicht. Die Leute merken, wenn ich<br />

sie mag <strong>und</strong> wann nicht. Denn wenn ich jemanden<br />

nicht mag, dann richtig (lacht). Ich habe keine<br />

Angst vor Menschen, vor was sie sind, vor der<br />

Wahrheit. Mit Menschen in Kontakt zu treten ist<br />

etwas, das mich am Leben hält.<br />

Denken Sie darüber nach, mit Ihrer Fotografie<br />

weiterzugehen? Vielleicht auch ganze Modestrecken?<br />

SL: Ehrlich gesagt, habe ich vorher der Fotografie<br />

schon andere Sachen gemacht <strong>und</strong> ich werde in<br />

Zukunft andere Sachen machen. Ich bin so süchtig<br />

nach der neue Szene, dass ich immer einen anderen<br />

Ausdruck für sie finden werde. Natürlich ist<br />

die Fotografie in meinem Leben gerade sehr wichtig.<br />

Aber ich mache viele Dinge gleichzeitig. Ich bin<br />

eine Business Frau geworden. In meinem alten Job<br />

musste ich Menschen managen <strong>und</strong> Geld verdienen.<br />

Fotografie ist meine Leidenschaft, ich habe sie<br />

zu meinem Beruf gemachen. Aber genau so wichtig<br />

ist mir, dass sich tolle Charaktere durch mich<br />

zusammenkommen. Bands fragen mich, ob ich sie<br />

beraten möchte. Oder Magazine. Ich bin ein Insider<br />

der Industrie. Ich habe ein umfassendes Wissen<br />

über die Branche, da ich ja auf allen Shows bin,<br />

auch backstage. Fotografie ist meine Leidenschaft,<br />

aber ich werde auch mehr in die Consulting- <strong>und</strong><br />

Artdirektion-Richtung gehen, denn ich habe eine<br />

Menge zu sagen, nicht nur mit der Fotografie.<br />

Was hat Sie an der Mode angezogen?<br />

SL: Ich war immer schon begeistert von Mode.<br />

Mich fasziniert die Kreativität, die in ihr steckt.<br />

Es beeindruckt mich immer wieder, wie jemand<br />

aus fast nichts in kürzester Zeit eine ganze Kollektion<br />

entwickeln kann. Wie Mode inspiriert ist<br />

von Moodboards, von Reisen, von Handwerk. Die<br />

Modewelt ist eine kleine Community, in der die<br />

Dinge sehr schnell gehen. Sie ist getrieben von<br />

Trends, von Musik. Sie versucht sich ständig <strong>und</strong><br />

„ich GLAUBE<br />

an die MACHT<br />

des bildes, die<br />

macht, eine<br />

geschichte zu<br />

erzählen“<br />

immer neu, die Zukunft auszumalen. Ich bin sehr<br />

glücklich dabei zu sein, <strong>und</strong> dabei ein bisschen zu<br />

assistieren.<br />

Was denken Sie über die aktuellen Kollektionen,<br />

die Sie auf den Laufstegen sehen?<br />

SL: Ich schätze viele zeitgenössische Designer<br />

sehr, aber ich mag häufig nicht, was sie entwerfen.<br />

Es entspricht nicht meinen Vorstellungen vom<br />

Körper der Frau. Die Krise inspiriert zum Beispiel<br />

zu Mänteln, die aussehen, als wären sie dazu da,<br />

in den Krieg zu ziehen, aber sie sind nicht sexy<br />

<strong>und</strong> feminin. Die neue Silouette lässt Frauen aussehen<br />

wie Kosmonauten. Alle wollen im Moment<br />

so sein wie Celine mit einem eigenen Twist. Das<br />

geht häufig schief, finde ich. Trotzdem respektiere<br />

ich auch diese Mode natürlich. Sie steht am Ende<br />

einer langen Geschichte. Sie erzählt uns viel darüber,<br />

in was für einer Zeit wir leben. Die Kunst der<br />

Mode ist etwas Intellektuelles, sie ist nah dran an<br />

wirtschaftlichen Entwicklungen <strong>und</strong> reagiert auf<br />

sie. Schaut man also sehr genau hin, dann kann<br />

man durch die Mode die Welt ein bisschen besser<br />

verstehen.<br />

saskia Lawaks veröffentlicht unter anderem auf<br />

facescoop.com, vogue.fr <strong>und</strong> purple.fr.<br />

Nr.10<br />

14 15<br />

Nr.10


talent<br />

Text: Vanessa Obrecht<br />

Foto: Vanessa Obrecht<br />

Postproduction: Simon Geis/Recom<br />

bleached<br />

jennifer <strong>und</strong> JESSICA CLAVIN haben ein FAIBLE für den EXZESS.<br />

sie verlieben sich in HEROINABHäNGIGE PUNKLEGENDEN <strong>und</strong><br />

spielen mit ihrer BAND BLEACHED DRECKIGEN GARAGENROCK<br />

Rotziger Punk oder melodiöser Pop?<br />

Violette oder gelbe Strähnchen?<br />

Auch wenn die Schwestern Jennifer<br />

<strong>und</strong> Jessica Clavin sich in diesen<br />

Fragen ungern entscheiden, steht eine<br />

Gr<strong>und</strong>regel fest: Ihre Haare tragen sie<br />

blondiert. Bleached – das ist auch der<br />

Name ihrer Band, die von der „Teen<br />

Vogue“ bis zum feministischen Magazin<br />

„Bust“ gefeiert wird.<br />

Als typische Los-Angeles-Kids haben<br />

sie sich Gitarre in der Garage ihrer Eltern<br />

beigebracht. Mit der Band Mika<br />

Miko erspielten sie sich im Umfeld des berühmten<br />

L.A. Clubs The Smell eine große<br />

Anhängerschaft. Markenzeichen der Band<br />

war, dass Jennifer stets in ein rotes Telefon<br />

sang, oder besser: schrie. Nach dreckigem<br />

Garagenrock klingt auch die Musik auf dem<br />

Debütalbum „Ride your heart“ ihrer neuen<br />

Band Bleached. Ein Faible für den Exzess<br />

ride your HEART heißt das erste Album der<br />

Clavin-Schwestern <strong>und</strong> ihrer Band Bleached.<br />

Es ist bei Dead Oceans erschienen.<br />

scheint ihnen also in<br />

die Wiege gelegt: „The<br />

Germs“ war lange meine<br />

Lieblingsband. Ich schwärmte<br />

für Darby Crash <strong>und</strong> wollte Lorna<br />

Doom sein!“, sagt Jennifer Clavin.<br />

The Germs Debüt-Album „GI“ ist<br />

ein Meilenstein des amerikanischen<br />

Punk <strong>und</strong> Sänger Darby Crash berüchtigt<br />

für seinen selbstzerstörerischen<br />

Lebenswandel. Er starb 1980<br />

im Alter von nur 22 Jahren an einer<br />

Überdosis Heroin. Wie Darby Crashs<br />

Fre<strong>und</strong>in Lorna Doom an der Seite des<br />

Germs-Sängers zu stehen, bleibt also ein<br />

wilder Traum. Sowieso wird viel wild geträumt<br />

bei Bleached. In den Texten <strong>und</strong><br />

der nostalgischen Musik, die in ihrem<br />

analogen Klang wie aus der Zeit gefallen<br />

scheint. Die Clavins würden gerne mit<br />

Stevie Nicks oder Blondie auf der Bühne<br />

stehen. Jessica möchte gerne mal zusammen<br />

mit Mark Mothersbaugh von DEVO den<br />

So<strong>und</strong>track zu einem französischen Film mit<br />

wenig Dialog aufnehmen<br />

– einem Schwarz-Weiß-<br />

Film selbsverständlich.<br />

Nr.10 16


talent<br />

Text: David Torcasso<br />

Foto: Katharina Poblotzki<br />

Bam! Rapperin Angel Haze ist nicht aufzuhalten.<br />

Mit ihren Worten bläst sie die Zuhörer<br />

weg. Ihre schnellen Wortkaskaden klingen<br />

düster, zerstört, hart. In Videos tritt<br />

sie mit bizarren Masken auf, schlägt in die<br />

Linse der Kamera <strong>und</strong> stampft auf den<br />

Boden. In dem Song „Cleaning out my<br />

closet“ beschreibt Angel Haze den sexuellen<br />

Missbrauch, den sie jahrelang erlebt<br />

hat, so detailliert, dass es kaum zu<br />

ertragen ist. Ihre Worte klingen dabei<br />

wie Salven aus einem Maschinengewehr.<br />

Entschlossen <strong>und</strong> gnadenlos.<br />

Angel Haze ist so „real“, dass es dem<br />

Zuhörer wehtut. Das macht sie mit<br />

ihrem kommenden ersten Album<br />

„Dirty Gold“ neben dem verkifften<br />

Hipster Asap Rocky zur wahrscheinlich<br />

wichtigsten Stimme<br />

des Hip-Hops in diesem Jahr.<br />

Das ging alles ganz schön schnell.<br />

Ein Mixtape mit dem Titel „Reservation“<br />

stellte die gerade mal<br />

21-Jährige im letzten Jahr als freien<br />

Download ins Netz. Ihre Fangemeinde<br />

wurde schnell so groß, dass<br />

Majorlabels um sie buhlten. So ähnlich<br />

liefen die Erfolgsgeschichten von<br />

vielen jungen Hip-Hop-Künstlern in<br />

den letzten Jahren ab. Inhaltlich unterscheidet<br />

Angel Haze sich aber deutlich<br />

von ihren männlichen Kollegen, die in<br />

ihren Texten immer noch am liebsten<br />

Bling-Bling, Bräute <strong>und</strong> fette Autos abfeiern.<br />

Angel Haze ist ernster. Ausdrucksstärker,<br />

auf eine im Hip-Hop bis heute<br />

kaum gekannte Art.<br />

Diese Stärke zieht sie aus ihrer schwierigen<br />

Vergangenheit. Ihr<br />

Vater starb, als sie noch<br />

ein Kind war. Die <strong>Mutter</strong><br />

zog in eine strenge, apostolische Glaubensgemeinde<br />

in Virginia. Musik war verboten.<br />

Während der Jahre dort wurde Raykeea<br />

Wilson – wie Angel Haze mit bürgerlichem<br />

Namen heißt – sexuell missbraucht. Zuflucht<br />

bot ihr das Alleinsein: Sie schrieb<br />

Gedichte. Mit 16 Jahren durfte sie endlich<br />

Musik hören. Doch das war kein<br />

Hip-Hop, sondern Coldplay oder Bob<br />

Dylan. Erst als sie von Virginia nach<br />

Brooklyn, New York, zog, entdeckte<br />

sie die Rapmusik. Sie hatte einen unverstellten<br />

Blick auf das Genre <strong>und</strong><br />

konnte die Kunstform Hip-Hop für<br />

ihre Zwecke einsetzen, vor allem<br />

um die Wut in ihr zu kanalisieren.<br />

Die manifestiert sich in ihren messerscharf<br />

geschriebenen Texten:<br />

angel haze<br />

in diesem jahr IST sie die WICHTIGSTE weibliche STIMME im hip-hop.<br />

DIe WUCHT ihrer TEXTE zieht ANGEL HAZE AUS einer jugend<br />

zwischen MISSBRAUCH <strong>und</strong> religiösem FANATISMUS.<br />

Angel Haze neues Album "Dirty Gold" soll<br />

im Laufe des Sommers erscheinen. Ihr Mixtape<br />

"Reservation" ist als freier Download erhältlich.<br />

Sie rappt vom Schmerz ihrer Jugend<br />

<strong>und</strong> der Auseinandersetzung<br />

mit sich selbst – von Selbstmordgedanken<br />

<strong>und</strong> ihrem Kampf mit<br />

dem Leben. Angel Haze will in ihren<br />

Texten morden, quälen <strong>und</strong> töten,<br />

aber rappt gleichzeitig von Liebe<br />

<strong>und</strong> ihrem Wunsch Kinder zu bekommen.<br />

Sie nennt sich „Superbitch“,<br />

wirkt in Interviews oft sarkastisch<br />

<strong>und</strong> unnahbar, aber zeigt sich in ihren<br />

Songs gleichzeitig so verletzlich <strong>und</strong><br />

ehrlich wie nur wenig andere Künstler.<br />

Raykeea Wilson ist unter dem Namen<br />

Angel Haze zur jungen, wütenden<br />

Kämpferin geworden. Und wir als Publikum,<br />

wir profitieren enorm von ihrer<br />

frischen kraftvollen Stimme. Denn für die<br />

Dauer eines Popsongs rockt Raykeea Wilson<br />

nicht nur ihren privaten Dreck weg,<br />

sondern auch den, der<br />

sich in uns angestaut<br />

hat.<br />

Nr.10<br />

18 19<br />

Nr.10


must-haves<br />

Text: Vanessa Obrecht<br />

Fotos: Sabine Volz<br />

Schuhe: M Missoni, Preis auf Anfrage<br />

Telefon-handset: POP Phone, 34,99 €<br />

Auf weichen Sohlen<br />

Karl-Oskar Olsen, Magnus Carstensen<br />

<strong>und</strong> Brian Jensen starteten ihr Geschäft 2002<br />

in einem Kopenhagener Keller. Dort verkauften<br />

sie neben ausgewählten Accessoires, Büchern <strong>und</strong><br />

Mode auch selbst gestaltete T-Shirts. Schnell wurden die<br />

Designs in Dänemark heiß begehrt. Mittlerweile ist WOOD<br />

WOOD weltweit bekannt <strong>und</strong> wird für unkonventionelle<br />

Designs geschätzt. In den fünf eigenen Stores (zum Beispiel<br />

dem in Wien) liegen neben der Eigenmarke auch Labels<br />

wie Comme des Garçon <strong>und</strong> Opening Ceremony aus.<br />

Diese hübschen <strong>und</strong> überaus komfortablen Sommer-<br />

Schühchen aus dem eigenen Haus sind in einem<br />

der geschmackvoll gestalteten Shops <strong>und</strong><br />

natürlich online erhältlich, 270 €<br />

Harte Kontraste<br />

Lederjacke: Acne, Showpiece<br />

Eine Hose in Yves-Klein-Blau, dazu grasgrüne Wedges <strong>und</strong> ein<br />

magentafarbener Shopper. Fertig ist das Color-Blocking-Outfit. Dieser<br />

Trend zeichnet sich durch kräftige Farben <strong>und</strong> starke Kontraste aus<br />

<strong>und</strong> soll vor allem ein Augenspaß sein. Also Achtung beim Kombinieren<br />

der Farben. Einige Kontrastfarben sind eher irritierend. Wir<br />

wollen schließlich keine epileptischen Anfälle auslösen.<br />

Jeans: Diesel, 150€<br />

Kappe: Hermès, 300 €<br />

Handtasche: Miu Miu, 820€<br />

21<br />

Nr.10


must-haves<br />

Stiefeletten: Sportmax, 475 €<br />

Armreifen: Cartier, Preis auf Anfrage<br />

Schwarz & Weiß<br />

ICEBERG.COM<br />

Sommer Hut: Jeonga Choi, 95€<br />

Das zeitlose Farbduo Schwarz <strong>und</strong> Weiß ist diesen Sommer in allen<br />

Variationen anzutreffen. Die klassische Kombination hat längst die<br />

Büroräume verlassen <strong>und</strong> reicht von der puristischen Vernissagengarderobe<br />

bis zum rockigen Cluboutfit. Auf den Spring/Summer<br />

Laufstegen präsentierte Maison Martin Margiela den Trend in<br />

strengen Blöcken, während Marc Jacobs wild angeordnete Streifen<br />

verwendet. Zu beidem empfehlen wir: knallroten Lippenstift.<br />

Tasche: Prada, Preis auf Anfrage<br />

Sonnenbrille: Filippa K, 200 €<br />

Sneakers: Comme des Garçons Play Converse, ca. 85€


must-haves<br />

Pumps: Chloé, 675 €<br />

Blazer: Isabel Marant, 730 €<br />

Metallic<br />

Purpur Haze<br />

Seit der Gründung 2002 hat sich Opening<br />

Ceremony als aufregende Plattform für zeitgenössisches<br />

Design etabliert. Vor allem die Kollaborationen<br />

mit jungen Kreativen <strong>und</strong> arrivierten Marken<br />

haben für viel Aufmerksamkeit gesorgt.<br />

Die Kollektionen in Zusammenarbeit mit Chloë Sevigny<br />

gehen diesen Sommer in eine weitere R<strong>und</strong>e. Entstanden<br />

sind wie immer Stücke, die großstädtische Zurückhaltung,<br />

aber auch Chloës Faible für auffällige Akzente ausstrahlen.<br />

Für die Eyewear Kollektion hat sie sich mit dem Brillen-<br />

Spezialisten Barton Perreira zusammengesetzt <strong>und</strong><br />

dieses r<strong>und</strong>e Nasengestell entworfen.<br />

Sonnenbrille, Chloë Sevigny für Opening<br />

Ceremony, 323 €<br />

Clutch: James Castle, 175 €<br />

Flirrendes Blau bei Jean Paul Gaultier, schillerndes Violett bei Burberry<br />

Prorsum <strong>und</strong> funkelndes Gelb bei Dior. Die Couturières präsentierten<br />

Kleider, Trenchcoats <strong>und</strong> Anzüge in bestechenden Metallic-Tönen.<br />

Auch wer sich mit einem glänzenden Accessoire in Regenbogen-Optik<br />

schmücken will, wird bei vielen Labels fündig. Natürlich bleibt auch<br />

klassisches Silber im Trend.<br />

Schuh: Cheap Monday, 115 €<br />

Top: MTWTFSS Weekday, 55€<br />

Tasche: Burberry, 695 €<br />

Nr.10<br />

24


durchbruch<br />

Text: David Torcasso<br />

jessica walsh<br />

Jessica Walsh wurde mit 24 Jahren Partnerin in einer der<br />

profiliertesten Grafikagenturen der Welt.<br />

Zum Einstand ließ sie sich neben ihrem neuen Kompagnon<br />

Stefan Sagmeister nackt fotografieren.<br />

Jung, schön <strong>und</strong> erfolgreich – das klingt wie die<br />

schlechte Tagline einer billigen Soap-Opera – bei<br />

Jessica Walsh trifft es allerdings zu 100 Prozent<br />

zu. Die talentierte Grafikdesignerin ist vor r<strong>und</strong><br />

einem Jahr Partnerin in einer New Yorker Grafikagentur<br />

geworden. Und zwar nicht in irgendeiner,<br />

sondern im Studio von Grafiklegende Stefan Sagmeister.<br />

Seither heißt die Agentur Sagmeister &<br />

Walsh. Das ist ein Ritterschlag für die 24-Jährige.<br />

Stefan Sagmeister gehört zu den renommiertesten<br />

Grafikdesignern der Welt. Bekannt wurde<br />

er unter anderem für die Gestaltung von Albumcovern<br />

für <strong>Lou</strong> Reed, OK Go, Rolling Stones oder<br />

Aerosmith. Dafür hat er zwei Grammy-Awards<br />

gewonnen. Dass ein solcher Meister nach Jahrzehnten<br />

seinen Namen mit einer jungen Partnerin<br />

teilt, ist eine Seltenheit in einer Branche, in<br />

der es extrem um Eitelkeiten <strong>und</strong> Köpfe geht.<br />

Publik wurde der Zusammenschluss auf<br />

die gleiche Art <strong>und</strong> Weise, wie der gebürtige<br />

Österreicher Sagmeister bereits vor 20 Jahren bei<br />

der Gründung seiner Agentur für Furore sorgte:<br />

mit Nacktbildern, die das Team von Sagmeister<br />

& Walsh auf ihre Website stellte. Darauf diesmal<br />

neben Stefan Sagmeister die schöne Jessica<br />

Walsh – splitternackt im Netz. Sie lächelt etwas<br />

verlegen, wenn man sie darauf anspricht, sagt<br />

aber: „Dieses Remake hat uns Tausende von<br />

Blogeinträgen <strong>und</strong> Retweets beschert. Von daher<br />

war es ein sehr nützliches Kommunikationsmittel.“<br />

Das hat sie auch ihren Eltern gesagt. Und<br />

natürlich unterstreicht Walsh: „Ich will, dass<br />

meine Arbeit für mich spricht.“<br />

Das tut sie: Bereits mit elf Jahren hat sie<br />

sich autodidaktisch beigebracht, Grafikcodes<br />

für Webseiten zu programmieren. Weil so viele<br />

Menschen nach der Erstellung von Webseiten<br />

fragten, lancierte Walsh mit 12 Jahren ein HTML-<br />

Tutorial. Auf ihrer Seite konnte man auch gratis<br />

Templates herunterladen. Plötzlich hatte sie über<br />

15 000 Besucher pro Tag. Sie begann Werbung zu<br />

schalten. „Ich konnte nicht glauben, dass man mit<br />

einem Hobby tatsächlich Geld verdienen kann.“<br />

Nach einem Studium in Grafikdesign lernte<br />

sie Stefan Sagmeister kennen. „Er ist nicht nur<br />

talentiert, sondern auch sehr bodenständig“, sagt<br />

sie. Er stellte Walsh vor drei Jahren ein <strong>und</strong> vor<br />

einem Jahr beschlossen sie, unter gemeinsamen<br />

Namen aufzutreten. „Ich habe mir selbst ein Versprechen<br />

gegeben, dass es immer einen Weg gibt,<br />

mit dem Geld zu verdienen, was ich am liebsten<br />

mache.“ Ein Wunsch, der jeder Kreative in sich<br />

trägt, aber nicht immer umsetzen kann.<br />

„Ich kenne viele Leute, die Geld mit Jobs<br />

verdienen, die es eigentlich gar nicht gibt. Sie<br />

haben aber einen Markt dafür gef<strong>und</strong>en“, sagt sie.<br />

In den letzten Jahren hat sie zahlreiche Bücher<br />

publiziert <strong>und</strong> die Sprache von Magazinen wie<br />

etwa dem Print Magazin beeinflusst. Dafür<br />

wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.<br />

Ihre Arbeit fasziniere sie - besonders auch, weil<br />

sie Freiheit zulässt. „Der Computer ermöglicht<br />

einem Designer viele Möglichkeiten. Aber er ist<br />

nicht das einzige Instrument für tolles Grafikdesign“,<br />

sagt Walsh. „Ich bastle <strong>und</strong> gestalte vieles<br />

mit den Händen. Ich mag Collagen.“<br />

Walsh glaubt bei einem kreativen Beruf nicht<br />

an ein gegebenes Naturtalent, sondern an Fleiß.<br />

Sie vertritt die These des berühmten Wissenschaftlers<br />

Malcom Gladwell aus dessen Buch<br />

„Outliners“: Man muss 10.000 St<strong>und</strong>en für eine<br />

bestimmte Begabung trainieren. „Kreativität ist<br />

ein kleiner Teil meiner Arbeit. Das Wichtigste ist<br />

die nötige Ausdauer für Details“, glaubt Walsh.<br />

Das kann so weit gehen, dass sie während<br />

der Arbeit schon geweint hat. „Besonders wenn<br />

nach einem langen <strong>und</strong> verrückten Arbeitstag<br />

der Computer abgestürzt ist“. Heute ist Walsh<br />

konsequent <strong>und</strong> sagt: „Ich bin gegen diese<br />

schlechte Angewohnheit der Kreativindustrie, bis<br />

tief in die Nacht zu arbeiten. Das bringt nichts.“<br />

Lieber steht sie morgens früh auf, spaziert durch<br />

Chelsea, ihr Wohnquartier in New York, <strong>und</strong> geht<br />

dann ins Studio. Ihr Antrieb ist die Vielfalt ihrer<br />

Arbeit. In ihrer Wohnung steht auf einem kleinen<br />

Plakat in Schwarz-Weiß: „Do what you love“. Und<br />

daneben als weiß-schwarzes Negativ: „Love what<br />

you do“. Das ist: simple but true.<br />

Das Motto der Agentur Sagmeister & Walsh, bei der<br />

Jessica Walsh seit einem guten Jahr Partnerin ist, lautet:<br />

„We will do anything for design“. Kreative Herausforderungen<br />

sind wichtiger als große Budgets.<br />

„Ich habe mir selbst<br />

ein Versprechen gegeben,<br />

dass es immer<br />

einen Weg gibt,<br />

mit dem Geld zu verdienen,<br />

was ich am<br />

liebsten mache.“<br />

Nr.10<br />

26 27<br />

Nr.10


angekommen<br />

Interview: Vanessa Obrecht<br />

Fotos: Fridolin Schöpper<br />

An was haben Sie heute zuletzt gerochen?<br />

Dawn Goldworm: An einem Duft, den ich für<br />

eine global agierende Bank kreiert habe. Es ist<br />

sehr interessant, einer großen Institution eine<br />

Duftnote zu verleihen. Leider darf ich aus rechtlichen<br />

Gründen nicht mehr darüber erzählen.<br />

Es steckt eine riesige PR-Maschine dahinter.<br />

Jedenfalls weicht dieses Projekt komplett von<br />

meiner gewohnten Arbeit ab. Normalerweise<br />

verleihe ich Fashion-Shows oder Kunstausstellungen<br />

einen Duft. Eine Bank hat komplett<br />

andere Ansprüche an ihren Geruch als die<br />

Design Miami beispielsweise. Natürlich gibt es<br />

Überschneidungen, aber in der emotionalen<br />

Manipulation der K<strong>und</strong>en gehen die Bedürfnisse<br />

weit auseinander.<br />

Können Sie beschreiben, wie ein solcher<br />

Auftrag aussieht?<br />

DG: Wenn ich mich mit einem K<strong>und</strong>en treffe, sei<br />

es nun ein Künstler, ein Designer oder jemand<br />

aus der kommerziellen Welt wie ein Nachtclub-,<br />

Restaurant- oder Boutiquebesitzer, versuche<br />

ich zuerst die Markenidentität auf deren Kern<br />

zu reduzieren. Diese Essenz übersetze ich in<br />

eine Geruchsvision. Die Zielgruppe ist dabei der<br />

wichtigste Faktor. Wir haben vor nicht langer<br />

Zeit einen Duft für eine Männermarke in Hongkong<br />

komponiert. Dieser Duft weicht stark von<br />

dem ab, was ich für den gleich situierten Mann<br />

in den USA für passend halten würde. Diese<br />

Männer haben unterschiedliche olfaktorische<br />

Erinnerungen. Dementsprechend liegt der Reizpunkt<br />

von Gefühlen woanders. Damit muss ich<br />

dawn goldworm<br />

Dawn Goldworms Kindheit haben die Gerüche von Gras,<br />

Wald <strong>und</strong> Lagerfeuer geprägt. Von ihrer Heimat New Hampshire<br />

trat sie ihre Reise in die Welt der Düfte an <strong>und</strong> startete ihre<br />

Karriere als Supernase der Beauty-Branche.<br />

bei meiner Arbeit sehr sensibel umgehen.<br />

Sie müssen viel unterwegs sein, um diese<br />

Unterschiede verstehen zu können ...<br />

DG: Ich bin in der glücklichen Lage, in verschiedenen<br />

Ländern gelebt zu haben. England, Italien<br />

<strong>und</strong> Frankreich. Für diese Märkte, wie auch<br />

meinem Heimatland Amerika, habe ich ein sehr<br />

gutes Verständnis. Andere Märkte muss ich mir<br />

mit viel Recherche-Arbeit erschließen. Brasilien<br />

war das letzte Land, welches ich verstehen<br />

wollte. Ich bat eine Fre<strong>und</strong>in, mir alle Produkte<br />

mit zu bringen, die sie in ihrer Kindheit mochte<br />

<strong>und</strong> die auch jetzt noch populär sind. Sie brachte<br />

mir 50 Verschiedene. Ich roch sie alle, verglich<br />

ihre Absatzzahlen, recherchierte ihre Historie.<br />

Wichtig sind Produkte, die uns in jungen Jahren<br />

geprägt haben. Das Rasierwasser des Vaters<br />

oder das Parfüm der <strong>Mutter</strong>. Kinder können am<br />

besten Düfte in ihrem Gedächtnis abspeichern.<br />

All diese Gerüche zusammengenommen ergeben<br />

ein sehr genaues Bild von dem, was Menschen<br />

olfaktorisch bewegt. Mit diesem Wissen kann<br />

ich sehr tief in die menschlichen Emotionen<br />

eindringen, um sie mit meinen Kreationen dann<br />

anzusprechen.<br />

Haben Sie schon in der Kindheit realisiert, dass<br />

Sie eine spezielle Gabe für die Welt der Düfte<br />

haben?<br />

DG: Meine Zwillingsschwester Samantha grub<br />

oft Anekdoten aus unserer Kindheit aus, an die<br />

ich mich überhaupt nicht erinnern konnte. Das<br />

beunruhigte mich immer sehr. Als ich anfing,<br />

meine Nase zu trainieren, kamen plötzlich all<br />

diese vergessenen Erinnerungen zurück. Es war<br />

unglaublich! Ich konnte mich nicht nur erinnern,<br />

sondern konnte diesen Moment in Verbindung<br />

mit dem Duft wieder erleben. Eine Erinnerung,<br />

die mit einem Duft in Verbindung steht, ist<br />

überwältigend. Durch meine Ausbildung zur<br />

Parfümeurin lernte ich das besser zu verstehen.<br />

Eine faszinierende <strong>und</strong> erleuchtende Erfahrung.<br />

Als ich anfing zu riechen, konnte ich alle Holz-<br />

Noten einordnen, weil ich auf dem Land in New<br />

Hampshire, umgeben von Bäumen, aufgewachsen<br />

bin. Das hatte einen sehr starken Einfluss auf<br />

meine ersten Jahre in der Ausbildung.<br />

Auch Ihr olfaktorisches Gedächtnis wird sich<br />

mit den Jahren weiterentwickelt haben. Haben<br />

Sie einen Lieblingsgeruch <strong>und</strong> hat sich dieser<br />

geändert?<br />

DG: Ich habe verschiedene Lieblingsdüfte. Bei<br />

der Arbeit versuche ich, keine Düfte zu verwenden,<br />

die mich persönlich berühren. Ich sehe<br />

Düfte eher als Farben. Das macht es leichter. Die<br />

Differenzierung zwischen persönlichen Vorlieben<br />

<strong>und</strong> einem klar umrissenen Auftrag ist sehr<br />

wichtig, um sich eine Distanz zu einem Markt<br />

oder einer Marke zu bewahren. Wenn ich die<br />

Welt der Düfte aber mit etwas Abstand betrachte,<br />

liegt meine Vorliebe in den natürlichen Gerüchen.<br />

Ich denke, das beruht auf meiner Kindheit. Ich<br />

liebe den Geruch von frischem Basilikum oder<br />

von Minze, die in der Hand verdrückt wird. Ich<br />

liebe den Geruch von frisch gepressten Zitronen.<br />

Das ist so w<strong>und</strong>erbar. Ich liebe den Geruch des<br />

Meeres an der Ostküste von Amerika. Hier riecht<br />

das Meer so schön salzig <strong>und</strong> frisch.<br />

Gibt es einen Geruch, den Sie gerne komponieren<br />

würden, dessen Herstellung aber nicht<br />

möglich ist?<br />

DG: Viele Gerüche sind nicht nachbildbar. Der<br />

Geruch deines Liebsten zum Beispiel. Oder der<br />

eines Babys. Es ist unmöglich diese Düfte zu designen,<br />

sie werden aber für immer im Gedächtnis<br />

verankert bleiben. Eines Tages kommen sie zurück<br />

<strong>und</strong> wecken umso schönere Erinnerungen.<br />

Sie sprachen von Farben, die Sie in Düfte transformieren.<br />

Diese Gabe nennt man Synästhesie.<br />

Können Sie erklären, wie sich dies bei Ihnen<br />

bemerkbar macht?<br />

DG: Als kleines Mädchen sah ich Farben, wenn<br />

ich starke Gefühle wie Glück oder Traurigkeit<br />

verspürte. Ich dachte, alle würden Farben sehen,<br />

<strong>und</strong> sprach deshalb auch nie darüber. Heute verstehe<br />

ich das besser, spüre die Emotionen, die ich<br />

mit den Farben assoziiere, <strong>und</strong> bin im täglichen<br />

Leben besser darauf sensibilisiert.<br />

Sie sind Mitinhaberin von 12.29., einer Firma,<br />

die Düfte für Firmen <strong>und</strong> Events kreiert. Wie<br />

kam es dazu?<br />

DG: Ich zog nach Paris <strong>und</strong> bot meinem Fre<strong>und</strong>,<br />

dem Designer Gabriele Corto, an, seinen Shop<br />

Corto Moltedo im Palais Royal eine eigene Duftnote<br />

zu verleihen. Er verstand erst nicht genau,<br />

was ich wollte. Ich hatte die Idee, eine olfaktorische<br />

Vision für die Marke zu kreieren, um damit<br />

die Atmosphäre im Laden zu verändern. Auch<br />

„Viele Gerüche<br />

sind nicht<br />

nachbildbar.<br />

Der Geruch<br />

deines Liebsten<br />

zum Beispiel.<br />

Oder der eines<br />

Babys“<br />

das Ritz Carlton hat einen eigenen Duft. Das<br />

hat ihn überzeugt. Glücklicherweise war mein<br />

Duftkonzept ein voller Erfolg <strong>und</strong> ich lernte kurz<br />

darauf Alexandre de Betak, den Inhaber von<br />

Bureau Betak, kennen. Er produziert die meisten<br />

Fashion-Shows in Paris. Ich erklärte ihm, was ich<br />

mache, <strong>und</strong> wurde direkt gebeten, die Rodarte<br />

Runway Show in der Gagosian Galerie in New<br />

York olfaktorisch zu gestalten. Das gab es in<br />

dieser Form noch nie! Das war der Zeitpunkt,<br />

an dem ich mich an meine Schwester wandte<br />

<strong>und</strong> sie in die Sache hineinzog. Wir hatten zunächst<br />

keine Ahnung, wie wir so was technisch<br />

hinkriegen sollten, nutzten aber unsere ganze<br />

Kreativität <strong>und</strong> machten einen wirklich guten<br />

Job. 2009, ein Jahr später, gründeten wir unsere<br />

eigene Firma.<br />

Was verbindet Ihre Schwester mit der Welt der<br />

Düfte?<br />

DG: Eineiige Zwillinge haben exakt dieselbe<br />

Wahrnehmung von Gerüchen <strong>und</strong> zudem einen<br />

identischen Körpergeruch. Neugeborene zum<br />

Beispiel nehmen ihre Umgebung nur über Gerüche<br />

war. In Gegenwart von Zwillingen sind sie<br />

völlig überfordert <strong>und</strong> können die zwei Personen<br />

nicht unterscheiden. Auch H<strong>und</strong>e reagieren verwirrt<br />

auf uns. Der einzige Unterschied zwischen<br />

Samantha <strong>und</strong> mir ist ihre untrainierte Nase.<br />

Aber auch daran arbeiten wir.<br />

Haben Sie mit Ihren Duft-Kreationen schon<br />

emotionale Ausbrüche bei anderen Menschen<br />

provoziert?<br />

DG: Oh ja. Leute reagieren oft sehr heftig auf Gerüche.<br />

Ich versuche mich von solchen Aufträgen<br />

fernzuhalten. Ich hatte schon K<strong>und</strong>en, die ihre<br />

Umgebung mit einem Duft verängstigen wollten.<br />

Das ist merkwürdig. Die Rodarte-Show roch<br />

beispielsweise nach Lagerfeuer. Anfangs sollte<br />

das Thema der Kollektion „Die dunkle Seite der<br />

Natur“ olfaktorisch direkt übersetzt werden. Das<br />

wäre ein ziemlich unheimlicher <strong>und</strong> unangenehmer<br />

Geruch gewesen. Größtenteils wollen meine<br />

K<strong>und</strong>en die Menschen aber glücklich <strong>und</strong> selbstbewusst<br />

machen. Wenn man sich entscheidet,<br />

einen angsteinflößenden <strong>und</strong> dunklen Geruch<br />

einzusetzen, sind die Reaktionen meist extrem.<br />

Leute fangen an zu weinen, sie werden traurig,<br />

schlecht gelaunt <strong>und</strong> aggressiv. Verblüffend, wie<br />

die Emotionen von Menschen durch Gerüche<br />

kontrolliert werden können.<br />

Haben Sie Ihre Macht jemals ausgenützt?<br />

DG: Nicht im negativen Sinn. Ich muss gestehen,<br />

dass ich manchmal Leute im Flugzeug anspraye.<br />

Ich reise viel <strong>und</strong> manche Menschen stinken.<br />

Männer müssen sich immer die Schuhe ausziehen,<br />

was meistens nicht angenehm ist. Sobald<br />

sie schlafen, besprühe ich ihre Füße mit Deo.<br />

Aber hey, es ist eine unangenehme Situation, die<br />

niemand mag – <strong>und</strong> ich ändere sie.<br />

Dawn GOLDWORM gründete zusammen mit ihrer<br />

Schwester die Firma „12.29“, mit der sie Marken einen<br />

Geruch gibt. Für Coty entwickelte sie Düfte wie „Lady<br />

Gaga“, „Kate Moss“ <strong>und</strong> „Kylie Minogue“.<br />

Nr.10<br />

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Nr.10


agenda<br />

Schweizer<br />

Modegeschichte<br />

In den fünfziger <strong>und</strong> achtziger<br />

Jahren des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

arbeiteten die bekannten Couturiers<br />

Christian Dior, Hubert de<br />

Givenchy, Yves Saint Laurent oder<br />

Cristóbal Balenciaga für ihre kostbarsten<br />

Gewebe mit der Schweizer<br />

Firma Abraham. Die Firma<br />

schloss 2002 jedoch ihre Türen.<br />

Sie hinterließ eine eindrucksvolle<br />

Kollektion mit Musterbüchern,<br />

Couture-Fotos <strong>und</strong> Textilien: das<br />

Abraham-Archiv. Die Ausstellung<br />

„Seide & Muster“ im Modemuseum<br />

in Antwerpen erzählt <strong>und</strong> zeigt<br />

sowohl die Firmengeschichte, mitsamt<br />

ihren stofflichen Schätze, als<br />

auch die der europäischen Mode-,<br />

Kunst- <strong>und</strong> Luxuswelt im Lauf<br />

des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Eine Fahrt<br />

nach Antwerpen, der „Modestadt<br />

Belgiens“, lohnt sich dank dieser<br />

Ausstellung doppelt.<br />

bis 11. August, ModeMuseum<br />

Antwerpen, Nationalestraat 28,<br />

2000 Antwerpen<br />

BLOGSUCHT<br />

Amazonen-Hüte<br />

Die Kunst des Hutmachens hat eine<br />

lange Tradition im Mode-Handwerk.<br />

Die Berliner Designerin<br />

Jeonga Choi wuchs in Seoul auf,<br />

bevor sie 2001 nach Sydney<br />

übersiedelte. Dort arbeitete sie als<br />

Stylistin für internationale<br />

Modemagazine. Nachdem sie auf<br />

der Straße immer wieder auf ihre<br />

selbst entworfenen Hüte angesprochen<br />

wurde, schuf sie 2008 ihre<br />

erste Kollektion. 2011 zog Jeonga<br />

Choi nach Berlin. Bei ihrer neuen<br />

Kollektion, die von asiatischen<br />

Kriegern <strong>und</strong> mittelalterlichen<br />

Rittern inspiriert ist, sind zehn<br />

schwarze Hüte entstanden. Im<br />

Mittelpunkt steht eine amazonenhafte<br />

Frau mit einem emanzipierten<br />

Selbstverständnis. Wir finden,<br />

diese Hüte sind das perfekte<br />

Accessoire für den individuellen<br />

Look der stolzen Großstädterin.<br />

www.jeonga-choi.com<br />

Selbstdarstellungssucht ist ein spannender Blog von zwei schlauen Frauen aus<br />

München. Natalie Mayroth <strong>und</strong> Veronika Dräxler sagen, die Selbstdarstellungssucht<br />

sei der Trieb, mit dem die Generation Facebook geködert <strong>und</strong><br />

umgarnt wird. Auf ihrem Blog möchten sie dementsprechend herausfinden,<br />

was die jungen, kreativen Macher in der digitalen Welt antreibt. Auch wenn<br />

der Name augenzwinkernd gemeint ist, in den Texten entfalten sich spannende<br />

<strong>und</strong> persönliche Portraits von Menschen wie du <strong>und</strong> ich.<br />

Komplexe<br />

Eleganz mit Tunng<br />

Bei der experimentellen Folkband Tunng aus London<br />

stehen bis zu zwölf Musiker auf der Bühne –<br />

das verleiht ihren Auftritten eine besondere musikalische<br />

Komplexität <strong>und</strong> hymnische Eleganz. Am<br />

17. Juni 2013 erscheint das neue Album „Turbines“.<br />

Danach folgt eine große Tour durch Europa, darunter<br />

natürlich auch durch Deutschland:<br />

28.9.13 Reeperbahn Festival, Hamburg<br />

30.9.13 Festsaal, Berlin<br />

1.10.13 Zoom, Frankfurt<br />

2.10.13 Ampere, München<br />

Patti sMith<br />

gratuliert<br />

Anlässlich des 25-Jahre-Jubiläums der Konzertagentur<br />

Berthold Seliger steigt am 2. Juli ein Open-Air im Rahmen des<br />

„Citadel Music Festivals“ in Berlin. Ein musikalisches Geburtstagsständchen<br />

auf dem Gelände der Berliner Zitadelle gibt es<br />

von niemand Geringerem als Patti Smith, Calexico, Bratsch<br />

<strong>und</strong> Depedro. Bei dem Festival möchte die Konzertagentur<br />

die Bandbreite ihrer Künstler widerspiegeln. Wir freuen uns<br />

natürlich am meisten auf die große Patti Smith, ohne die es<br />

dieses Magazin wahrscheinlich nicht geben würde.<br />

2. Juli, Zitadelle, Berlin-Spandau<br />

Lesen im<br />

Park<br />

Quottom ist ein halbjährlich<br />

erscheinendes Kulturmagazin aus<br />

Zürich – mit dem Fokus auf gesellschaftliche<br />

Themen <strong>und</strong> Kunst. Das<br />

junge Kollektiv möchte in seinem<br />

Magazin einen Platz für lange<br />

Geschichten, aufregende Reportagen<br />

<strong>und</strong> außergewöhnliche Portraits<br />

schaffen, ergänzt mit ausdrucksvollen<br />

Fotostrecken <strong>und</strong> Portfolios von<br />

Künstlern. Über den inhaltlichen<br />

Anspruch schreiben die Macher:<br />

„Quottom besticht mit seiner<br />

einzigartigen zeitlosen Kombination<br />

von Kunst <strong>und</strong> Lebensthemen –<br />

<strong>und</strong> zeigt dabei eine frische <strong>und</strong><br />

intelligente Perspektive der jungen<br />

Kultur <strong>und</strong> Themen, die uns alle<br />

beschäftigen.“ An einem Sommertag<br />

im Park sitzen <strong>und</strong> st<strong>und</strong>enlang<br />

lesen – w<strong>und</strong>erbar.<br />

www.selbstdarstellungssucht.de<br />

www.quottom.com<br />

Nr.10<br />

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Nr.10


agenda<br />

Von der StrassE auf DEn Catwalk<br />

Punk hat in der Mode zu einem Bruch geführt – <strong>und</strong> ist<br />

trotzdem gesellschaftsfähig geworden. Bis heute ist der Stil,<br />

der in den Siebzigern in London seinen Anfang nahm, eine der<br />

bedeutendsten Inspirationsquellen von Modedesignern <strong>und</strong><br />

wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder als Referenz<br />

für Modekollektionen großer Designer verwendet. Das wohl<br />

bekannteste Museum der Welt – das Metropolitan Museum<br />

of Art in New York – zeigt bis zum 18. August die Ausstellung<br />

„Punk – Chaos to Couture“. Die Geschichte <strong>und</strong> kulturellen Einflüsse<br />

von Punk sind dort mit Bildern, Installationen <strong>und</strong> Filmen<br />

eindrücklich dargestellt.<br />

bis 18. August, Metropolitan Museum of Art, 1000 5th Ave,<br />

New York<br />

Kreative aller LänDEr, vereinigt euch<br />

„Here London“ ist ein Event in London, der Künstler, Designer <strong>und</strong><br />

Kreative aus zahlreichen Ländern zu einem eintägigen Symposium mit<br />

Talks, Diskussionsforen <strong>und</strong> interaktiven Experimenten einlädt. Ort sind<br />

die altehrwürdigen Räume der Royal Geographical Society in London.<br />

Karten gibt es im Vorverkauf. Mit von der Partie ist auch die Berlinerin<br />

Sarah Illenberger, die sich mit ihren einfallsreichen Illustrationen in der<br />

deutschen Designszene einen Namen gemacht hat.<br />

21. Juni 2013, 1 Kensington Gore, London SW72AR<br />

www.here-london.com<br />

Die Fürstin<br />

im See<br />

Die Operette „Die Csárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán<br />

erzählt eine zeitlose Liebesgeschichte, in der Gegensätze<br />

aufeinanderprallen: Ein österreichischer Adelsspross<br />

verliebt sich im Ersten Weltkrieg in eine Chansonette<br />

eines Budapester Vergnügungslokals <strong>und</strong> beschließt, die<br />

exzentrische Diva zu heiraten – gegen den Willen der<br />

Familie. Das Drama ist programmiert. Sehenswert ist<br />

dieses Stück auch wegen der einmaligen Kulisse, die die<br />

Seefestspiele Berlin bietet: Es wird auf der Operettenbühne<br />

beim Wannsee in der sommerlichen Abenddämmerung<br />

aufgeführt. Was für ein Spektakel!<br />

14. bis 24. August, ab 19.30 Uhr, Wannseebadweg 25<br />

R<strong>und</strong>gang<br />

Die Universität der Künste in Berlin (UdK) ist für<br />

unzählige ambitionierte Kreative der Welt ein Anziehungspunkt<br />

für ein Studium – <strong>und</strong> für Firmen <strong>und</strong><br />

Galeristen eine wichtige Anlaufstelle für das Casten<br />

junger Talente. Der alljährliche, dreitägige R<strong>und</strong>gang<br />

vom 12. bis 14. Juli bietet einen spannenden Einblick<br />

in Ateliers <strong>und</strong> Studios <strong>und</strong> zeigt, welche Vielfalt die<br />

größte Kunsthochschule Europas bietet. Bei 4600<br />

Studierenden sollte man sich allerdings mindestens<br />

einen Nachmittag freihalten. Der ist aber gewinnbringend<br />

investiert. Denn ist man erst mal da,<br />

vergeht die Zeit wie im Flug.<br />

12. bis 14. Juli, Universität der Künste, Berlin<br />

Bei Oma schmeckts am besten<br />

Der Supperclub Mother’s Mother bringt uns die Kochkünste unserer<br />

Großmütter zurück auf den Teller. Diesem kulinarischen Erbe gilt es, den<br />

höchsten Respekt zu zollen, denn schließlich kocht niemand so gut wie<br />

Oma! Ein bis zweimal pro Monat findet im Mother´s Mother ein Dinner<br />

mit einem Vier- bis Sieben-Gänge-Menü statt. Anmelden kann man sich<br />

per Mail. Die Gäste werden wegen der hohen Nachfrage ausgelost. Diese<br />

erfahren dann, wo das Dinner stattfindet <strong>und</strong> welche Leibspeise von<br />

Oma serviert wird.<br />

www.mothersmother.com<br />

Nr.10<br />

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Nr.10


das bild: CocoRosie<br />

Interview: Ruben Donsbach<br />

Zeichnung: Bianca <strong>und</strong> Sierra Casady<br />

die frau ist<br />

das zentrum<br />

der welt<br />

Bianca <strong>und</strong> Sierra Casady machen mit ihrer Band CocoRosie<br />

schräge Musik für versponnene Optimisten. Für unsere Rubrik<br />

„Das Bild“ sprachen die exzentrischen Schwestern mit <strong>Fräulein</strong><br />

über das Thema „Sehnsucht“ <strong>und</strong> zeichneten für uns ein Bild dazu:<br />

einen traurigen Clown mit Regenbogen-Augen.<br />

Sie haben die Musik für eine Peter-Pan-Inszenierung<br />

am Berliner Ensemble unter der Regie von Robert<br />

Wilson komponiert. Kannten Sie das Buch aus Ihrer<br />

Kindheit?<br />

Bianca Casady: Ich kannte natürlich die Geschichte.<br />

Aber nur von Disney. Das Buch habe ich erst gelesen,<br />

als uns das Berliner Ensemble gebeten hat, die Musik zu<br />

schreiben. Die Reise der Kinder ins „Niemandsland“ dauert<br />

im Buch viel länger <strong>und</strong> ist dabei aufwendiger <strong>und</strong><br />

gefährlicher. Die Kinder schlafen auf den Wolken, klauen<br />

Essen von den Vögeln <strong>und</strong> fürchten sich dabei sehr.<br />

Was interessiert Sie an Peter Pan?<br />

Sierra Casady: Ich glaube, dass im Stück vor allem die<br />

Angst vor dem Tod thematisiert wird, der man sich<br />

schon als Kind stellen muss. Das ist ein Prozess. Die<br />

Kinder müssen ihn mit Peter Pan durchlaufen. Es geht<br />

also um Verlust.<br />

Sie beide wurden als Kinder früh voneinander<br />

getrennt. Jahre später begegneten Sie sich wieder in<br />

Paris. Gab es eine „Sehnsucht“ nach dem anderen?<br />

BC: Ich glaube schon, dass so ein Gefühl da war. Aber<br />

wir hätten das nie zugegeben. Ich entdeckte im Zuge<br />

unseres Wiedersehens, wie es ist, wieder ein Kind zu<br />

sein. Das hat meinen kreativen Prozess sehr verändert.<br />

Es geht in unserer gemeinsamen Arbeit nun darum, die<br />

Eitelkeit <strong>und</strong> das Selbstbewusstsein, welches uns als<br />

Erwachsene antrainiert wird, wieder zu verlieren.<br />

In Ihrem neuen Album „Tales of a Grass Widow“ geht<br />

es um die Vernichtung natürlicher Ressourcen <strong>und</strong><br />

Kindesmissbrauch. Das sind große Themen.<br />

SC: Das stimmt <strong>und</strong> wir haben tatsächlich lange darüber<br />

nachgedacht, wie die Menschheit bisher die Erde, aber<br />

auch Frauen <strong>und</strong> Kinder behandelt hat. Und da gibt es<br />

große Parallelen von Missbrauch <strong>und</strong> Vernachlässigung.<br />

Nr.10 34


das bild: CocoRosie<br />

Das schlägt sich in<br />

unserer Musik nieder.<br />

In fiktiven <strong>und</strong> nicht<br />

fiktiven Geschichten,<br />

die uns berührt<br />

haben. Uns geht es<br />

um das verlassene<br />

Kind. Verlassen nicht<br />

nur von der Familie,<br />

sondern auch von der<br />

Gesellschaft. Da gibt<br />

es sicherlich auch Parallelen<br />

zu Peter Pan.<br />

Was meinen Sie<br />

bringt Menschen, vor<br />

allem Männer, dazu,<br />

gewalttätig <strong>und</strong> missbräuchlich gegenüber Frauen,<br />

Kindern <strong>und</strong> der Umwelt zu sein?<br />

BC: Ich habe viele Männer danach gefragt, was das<br />

Problem sei, wie man mit der ganzen sexuellen Gewalt<br />

umgehen könnte. Wie können wir maskuline Energie<br />

<strong>und</strong> „Drive“ kanalisieren, um etwas Konstruktives damit<br />

zu tun?<br />

SC: Vor H<strong>und</strong>erten oder gar Tausenden von Jahren war<br />

es wahrscheinlich sinnvoll, einen „Beschützer“ gegen<br />

andere männliche Jäger zu haben. Jemanden, der die<br />

Nahrung besorgt. Doch unser Verhalten, selbst unsere<br />

Sprache, ist noch immer eng verb<strong>und</strong>en mit diesen<br />

„Wie können wir<br />

maskuline Energie<br />

kanalisieren um<br />

etwas Konstruktives<br />

damit zu tun?“<br />

altertümlichen Verhaltensweisen, die einfach nicht mehr<br />

zeitgemäß sind. Wir haben uns noch nicht „updated“.<br />

BC: Wir möchten unbedingt herausfinden, wie man<br />

Männer dazu einladen kann, Teil des Feminismus zu<br />

werden, ohne Kompromisse eingehen zu müssen.<br />

SC: Was denken sie, sollten wir tun?<br />

Das ist eine sehr schwere Frage. Es gibt ja Ansätze in<br />

der Biologie, im Bio-Engineering. Man will die vermeintlichen<br />

Nachteile von Frauen, z.B. die begrenzte<br />

Zeit, in der sie Kinder bekommen können, nivellieren.<br />

Das hätte sicherlich einen riesigen Einfluss auf die<br />

Geschlechterrollen.<br />

Ist aber auch etwas<br />

gruselig.<br />

SC: Wirklich?<br />

BC: Das klingt aber<br />

interessant!<br />

Um auf unser Thema<br />

zurückzukommen:<br />

Gibt es bei Ihnen<br />

eine wirkliche<br />

„Sehnsucht“ nach einer<br />

Welt, in welcher<br />

Geschlechterrollen<br />

besser austariert,<br />

Aggressionen besser<br />

kanalisiert werden?<br />

„Sehnsucht“ nach einer Welt also, die nicht von Männern<br />

dominiert wird?<br />

SC: Oh, ja! Nach so einer Welt empfinden wir wirklich<br />

große „Sehnsucht“. Dieses Utopia, diese Fantasie: Ich<br />

habe mich eigentlich nie getraut, auf eine solche Welt zu<br />

hoffen. Aber das ist gerade unserer beider Stimmung.<br />

Eine vage Hoffnung, dass neu ausgehandelt <strong>und</strong> definiert<br />

werden könnte, was das Wichtige <strong>und</strong> Zentrale in<br />

unserer Gesellschaft ist. Sehen Sie: Männer <strong>und</strong> Frauen<br />

können sich nicht „in der Mitte“ treffen. Frauen sind<br />

derart marginalisiert <strong>und</strong> an die Seite gedrängt worden,<br />

dass sie Männern gar nicht mehr entgegenkommen<br />

können, ohne immer noch meilenweit vom Zentrum entfernt<br />

zu sein. Wir müssen vielmehr das Zentrum selbst<br />

neu bestimmen. Im Bauch der Frau wachsen Jungen <strong>und</strong><br />

Mädchen heran. Die Frau ist das Zentrum der Welt. Das<br />

empfinden wir als natürlich, logisch <strong>und</strong> es ist vielleicht<br />

die einzige Hoffnung für die Zukunft, die uns bleibt.<br />

Und was stellt Ihr Bild dar?<br />

BC: Das ist der klassische traurige Clown.<br />

SC: Er trauert um das, was schon passiert ist. Aber die<br />

Regenbogen-Augen blicken optimistisch in die Zukunft.<br />

Und die Schuhe sind gerade groß genug um seinen<br />

geschwollenen Zehen Raum zu geben!<br />

CocoRosies neues Album „Tales of a Grass Widow“ ist gerade<br />

bei City Slang Records erschienen.<br />

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Nr.10<br />

36


ein tag<br />

Text: Daniel Seetal<br />

Fotos: Sandra Kaufmann<br />

ein tag in<br />

PARIS<br />

ist eine zeitreise<br />

in die Vergangenheit<br />

<strong>und</strong> ein fest<br />

für die sinne.<br />

Stadt der Mode, Stadt des Kinos, Stadt der<br />

Revolte <strong>und</strong> der Liebe – Paris hat sich stets<br />

seinen Charme bewahrt. Neben New York ist<br />

es die Metropole, mit der wir uns außerhalb<br />

Deutschlands am stärksten verb<strong>und</strong>en fühlen.<br />

Charlotte Gainsbourg, Caroline de Maigret,<br />

<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> <strong>und</strong> <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong>: Die französische<br />

Hauptstadt bringt immer wieder tolle <strong>Fräulein</strong>s<br />

hervor, die den Geist der Stadt <strong>und</strong> die<br />

französische Eleganz in die Welt hinaustragen.<br />

Darüber hinaus kann man in Paris natürlich<br />

w<strong>und</strong>erbar essen, trinken, shoppen <strong>und</strong> entspannen.<br />

Zum Beispiel an diesen Orten:<br />

1. Der Bau von Renzo Piano allein ist schon einen<br />

Besuch wert. Aktuell besonders zu empfehlen:<br />

die Schau des Künstlers Mike Kelley. 2. Für Cosi<br />

Sandwiches lohnt sich für einen kleinen Snack<br />

immer ein Abstecher (54 Rue de Seine). 3. Wir<br />

halten Didier Ludots Vintage-Couture-Shop (24<br />

Galerie Montpensier) für einen der besten seiner<br />

Art. Nehmen Sie sich Zeit, Designerkleider aus<br />

den letzten Dekaden zu bestaunen. 4. Immer ein<br />

Pflichtbesuch: der Eiffelturm, das Wahrzeichen<br />

von Paris. 5. Colette (213 rue Saint-Honoré) ist für<br />

Leser des <strong>Fräulein</strong> fast ein bisschen wie der Eiffelturm<br />

für den gemeinen Touristen: der hipste Shop<br />

der Welt. 6. Auch ein kleines Vintage-Paradies: die<br />

wenigen Quadratmeter der drei Free’P’Star-Läden,<br />

die über ganz Paris verteilt sind. 7. Mitten im<br />

Pariser „Prenzlauer Berg“ liegen die Appartments<br />

von „Studio Marais“. Eine individuelle Übernachtungsmöglichkeit.<br />

8. Eine gute Alternative ist das<br />

Hotel „Du petit Moulin“ (29/31 rue de Poitou),<br />

das komplett von Christian Lacroix eingerichtet<br />

wurde. 9. Wer es richtig luxuriös mag <strong>und</strong> gerne<br />

in einem Zimmer im Versailles-Style nächtigen<br />

möchte, der sollte das Hotel „George V“ an den<br />

Champs-Élysées besuchen. 10. Wem das zu pompös<br />

ist <strong>und</strong> lieber in einem einfachen Umfeld gut<br />

essen will, der sollte sich zum „La Favourite“ begeben<br />

11. Willkommen am Place des Vosges, dem<br />

schönsten unter den Pariser Plätzen! 12. Um weiter<br />

in das historische Paris einzutauchen besuchen<br />

Sie den Jardin du Palais Royale. Der <strong>Lou</strong>vre<br />

liegt direkt nebenan. 13. Zurück in der Gegenwart<br />

geht’s in die szenige Künstlerkneipe „La Penderie“.<br />

14. Den Shoppingtag r<strong>und</strong>et eine Stippvisite beim<br />

exquisiten Vintage-Shop „Scarlett“, einem Chanel-Spezialisten,<br />

ab. 15. Der Marché des Enfants<br />

Rouges ist einer der ältesten Märkte von Paris.<br />

Empfehlenswert als letzte Station bevor Sie sich<br />

auf den Weg zum Flughafen machen. Au revoir!<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4 15<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

14<br />

Nr.10 38


legende<br />

Text: Ruben Donsbach<br />

Foto: Debora Mittelstaedt<br />

ein leben<br />

erzählen<br />

Sibylle Gerstner hat das 20. Jahrh<strong>und</strong>ert ERLEBT <strong>und</strong><br />

üBERLEBT <strong>und</strong> DABEI immer HALTUNG <strong>und</strong> STIL BEWAHRT.<br />

sie LEBTE ILLEGAL in PARIS, grüNDETE die ERSTE<br />

Mode-ZEITSCHRIFT der DDR <strong>und</strong> SCHRIEB ein berührendes<br />

buch über VERLUST. Eine BEGEGNUNG.<br />

Lange Zeit habe ich Sibylle Gerstner gesiezt. Das gehört<br />

sich schließlich so bei einer Dame. Irgendwann dann, im<br />

Überschwang, bot sie mir das „Du“ an, um es am nächsten<br />

Tag erst einmal wieder einzukassieren. Später, es<br />

unterlief mir einfach so, sagte ich nur „Sibylle“ <strong>und</strong> sie<br />

nahm es hin. Dabei blieb es dann. Zumindest bis jetzt.<br />

Wie schreibt man über jemanden, der 1932 Adolf<br />

Hitler in Breslau vor der Jahrh<strong>und</strong>erthalle beim Autogrammeschreiben<br />

beobachtet hat („Seine Brüllerei hat<br />

mich sehr genervt“), neben die sich bei der Olympiade<br />

1936 in Berlin der vierfache Olympiasieger Jesse Owens<br />

für einen kleinen Plausch gesetzt hat („er sah sehr gut<br />

aus“), die 1948 nach der Premiere der „Fliegen“ in Berlin<br />

lange mit Jean-Paul Sartre diskutierte („von Wirtschaftspolitik<br />

hatte er keine Ahnung“)?<br />

Wie einer 92-jährigen, äußerst selbst- <strong>und</strong> stilbewussten<br />

Frau gerecht werden, der man einfach mit<br />

Glück begegnen durfte? Wie einen Text schreiben, den<br />

sie durchgehen lässt? Sibylle, die Breslauer Jüdin, Studentin<br />

in Berlin, Wien <strong>und</strong> Paris, Flüchtling, Malerin,<br />

Magazin-Macherin, Autorin, Kostümdesignerin bei der<br />

DEFA. Der zur Besatzungszeit in Paris als Erstes einfällt:<br />

„In Deutschland trugen sie Kopftücher. In Frankreich<br />

taillierte Kostüme <strong>und</strong> Tuffhütchen aus Blumen, Schleiern<br />

<strong>und</strong> Federn. Das gefiel mir natürlich besser.“ Die aber<br />

noch heute in ihren Träumen von den Deutschen verfolgt<br />

wird, ihnen aber irgendwie vergeben hat?<br />

Hast du den Eindruck, dass wir Spätgeborenen uns<br />

von dieser Zeit noch einen Eindruck machen können?<br />

Nein, das glaube ich nicht. Das kann man schlecht. Heute<br />

ist alles so anders.<br />

Sprechen wir darüber?<br />

Na gut.<br />

Kleinmachnow<br />

Sibylle sitzt im Kaminzimmer eines schönen 30er-Jahre-<br />

Hauses in Kleinmachnow kurz hinter der Berliner Stadtgrenze,<br />

dort, wo das Licht auf einmal etwas goldener <strong>und</strong><br />

die Bäume des Brandenburger Waldes wilder <strong>und</strong> höher<br />

zu sein scheinen als in der Hauptstadt. Sibylle trägt mir<br />

zuliebe ihr Balenciaga-Kleid. Haute Couture von 1942.<br />

Die Haare sind dauergewellt. Sie sitzt aufrecht. Der Blick<br />

ist aufmerksam auf ihr Gegenüber gerichtet. Das Brandenburger<br />

Licht fällt seitwärts ein <strong>und</strong> formt einen Spot.<br />

„Das Kleid habe ich günstig nach der Saison ersteigert“,<br />

sagt sie. „Steht dir gut“! Sibylle nickt. Weiß sie ja.<br />

Die große Doppeltür zum Garten ist geöffnet <strong>und</strong> ein<br />

warmer Luftstrom treibt Pollen ins Wohnzimmer der<br />

Architektenvilla. Draußen blüht die Magnolie in übersättigten<br />

Knospen. Der Putz platzt hier <strong>und</strong> da von der Fassade.<br />

Die Veranda ist an manchen Stellen ausgebessert<br />

<strong>und</strong> von der Sonne schon ganz aufgeheizt. Es ist ein Ort,<br />

an dem man bleiben, an dem man leben möchte, der aus<br />

der Zeit gefallen scheint. Sibylle lebt hier seit genau 60<br />

Jahren. Sie kennt jeden Schritt, auch wenn sie nicht mehr<br />

alles sieht. So wie sie alles versteht, auch wenn sie nicht<br />

Nr.10<br />

40 41<br />

Nr.10


legende<br />

Breslau<br />

Am 17. August 1920 ist Sibylle in Breslau, heute Wrocław,<br />

als Enkelin des ehemaligen Tagelöhners <strong>und</strong> später<br />

größten deutschen Versand-Pelz-Händlers Moritz Boden<br />

geboren worden. Gehobenes Bürgertum, jedenfalls<br />

bis zur Wirtschaftskrise der 20er-Jahre, aber mit dem<br />

Makel, dass die Großmutter für ihren Mann zum Judentum<br />

konvertierte. So war Sibylle, geborene Boden, in der<br />

Rechnung der Nationalsozialisten „jüdischer Mischling“.<br />

als Deutsche erkennen werden. Da sagt die Dozentin: „Sibylle<br />

Boden ist keine Deutsche.“ Das war das Schlimmste.<br />

Später musste ich die Schule verlassen. So richtig<br />

angekommen bin ich eigentlich nirgends.<br />

Sind diese Ängste vor den Nazis dir immer geblieben?<br />

Ich kann das bis heute nicht verstehen. Diesen Hass. Ich<br />

träume davon.<br />

Wovon träumst du?<br />

Das vergesse ich immer gleich wieder.<br />

mehr so gut hört.<br />

Kleinmachnow war einmal eine Künstlerkolonie, fast<br />

wie Worpswede. Hier lebten Kurt Weill <strong>und</strong> später Christa<br />

Wolf umgeben von der klassischen Moderne. Ein paar<br />

Straßen weiter steht eine Villa von Gropius. Nur einen<br />

Sprung weiter, auf der anderen Seite des Teltowkanals,<br />

ein großartiger Backsteinbau von Egon Eiermann. Nach<br />

der Wende erlebte Kleinmachnow einen Neubauboom,<br />

der viel Geld <strong>und</strong> schlechten Geschmack mit sich brachte.<br />

„Ganz schlecht“, sagt Sibylle dazu. „Ganz schlecht“,<br />

sagt sie oft <strong>und</strong> schlägt dabei manchmal noch die Hände<br />

vor das Gesicht. Etwa wenn sich Handwerker am Vormittag<br />

ankündigen oder sonntags ein „Tatort“ im Fernsehen<br />

läuft.<br />

Wie war das hier damals, Sibylle?<br />

Ach, wir hatten viele Fre<strong>und</strong>e in Kleinmachnow. Von denen<br />

lebt aber keiner mehr.<br />

Du bist die Letzte?<br />

Ja, furchtbar. Aber mein Vater hat immer gesagt, reden<br />

wir nicht davon, wenn es um Verlust ging.<br />

Sibylle rückt die gelben Tulpen auf dem halbmondförmigen<br />

Kamin zurecht, ordnet das Balenciaga-Kleid, schaut<br />

auf. Blickt man sie so unvermittelt an, blickt bald ein<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert zurück.<br />

Hast du dich als Außenseiter empf<strong>und</strong>en?<br />

Na ja, wie nannte man das: einen „Webfehler“. Das heißt,<br />

dass irgendjemand in der Ahnenreihe jüdisch war. Das<br />

war ja das Schlimmste. Furchtbarer Quatsch.<br />

In der Klasse muss sie irgendwann in der letzten Reihe<br />

sitzen, wird nicht mehr aufgerufen, langweilt sich, malt<br />

die Wand an <strong>und</strong> soll dann einen Aufsatz über Jesus<br />

schreiben.<br />

Ich habe geschrieben, er sei halt zur Hälfte Jude gewesen.<br />

Seine <strong>Mutter</strong> Jüdin, der Vater Gott. Ich war ja auch „halb“.<br />

Mir war das klar. Denen hat das aber nicht gefallen.<br />

Glaubst du eigentlich an Gott?<br />

Ich kann es nicht. Aber es gibt weder einen Beweis für<br />

noch wider ihn.<br />

Sibylle hat einen trockenen, traurigen Humor. Ihr Lachen<br />

ist kindlich, doch klingt darin ein langes Leben an. Das<br />

mag pathetisch klingen, aber wenn sie lacht, dann ist<br />

das immer auch ein Zeichen für: Ich habe überlebt. Ich<br />

lebe noch. Und in diesem fragilen, kleinen Körper, der gar<br />

nicht fragil <strong>und</strong> klein wirkt wegen der Haltung, versammelt<br />

sich Erfahrung von einer Dichte, Wucht <strong>und</strong> Schwere,<br />

dass es ihn eigentlich aus dem Gleichgewicht reißen<br />

müsste. Aber nichts da. Es mag alles „ganz schlecht<br />

sein“. Merken darf das aber niemand.<br />

Hast du den Deutschen eigentlich jemals vergeben?<br />

Weißt du, sie haben mir den Vater genommen. Und die<br />

auf Minderwertigkeit abzielenden Schikanen wirken<br />

nach. Als wir vor dem Krieg mit der Modeschule nach<br />

Paris fuhren, fragte eine Studentin aufgeregt, ob sie uns<br />

Paris<br />

Sylvester 1939, kurz nach dem Einfall der Deutschen<br />

in Polen, kurz nach Kriegsbeginn, trifft Sibylle auf der<br />

Fuchsbergbaude im Riesengebirge ihren späteren Mann:<br />

Karl-Heinz Gerstner. Während alle in Skibekleidung<br />

da sitzen, trägt er einen feinen Anzug. Sibylle veralbert<br />

ihn dafür, verliebt sich aber. Sie werden gemeinsam den<br />

Krieg überstehen <strong>und</strong> eine Familie gründen.<br />

Hat ihn das interessiert, dass du „jüdischer Mischling“<br />

warst?<br />

Das fand er gut!<br />

Dann war’s ja wenigstens mal ein Vorteil.<br />

Ja, ja. Er hat sich insofern unterschieden von anderen<br />

Herren.<br />

Als Karl-Heinz, wegen einer Kinderlähmung wehruntauglich,<br />

als Jurist an die Wirtschaftsabteilung der Deutschen<br />

Botschaft nach Paris gerufen wird, holt er Sibylle<br />

im Herbst 1940 illegal nach. Undercover studiert sie an<br />

der École des Beaux-Arts Malerei, liebt die Impressionisten,<br />

teilt sich mit dem Mann, den sie nicht heiraten darf,<br />

eine Lebensmittelkarte, besucht die Modeschauen der<br />

Pariser Haute Couture <strong>und</strong> den Modedesigner Jacques<br />

Fath auf dem Land.<br />

Im Eingangsbereich in Kleinmachnow hängen von ihr<br />

fünf spät-impressionistische Aquarelle aus dieser Zeit.<br />

Sie alle zeigen öffentlichen Raum. Menschen in übervollen<br />

Cafés. Eine einsam rauchende Frau vor der Pont<br />

des Arts. Die Farben sind kurz davor zu verlaufen, halten<br />

noch eben so die Form. So stelle ich mir Sibylles Erinnerung<br />

vor. So eben noch da, aber in hellen Farben.<br />

Sibylle<br />

Im Sommer 1944 werden die meisten Diplomaten zurück<br />

nach Deutschland gerufen. Fre<strong>und</strong>e von der Résistance,<br />

mit der Sibylles Mann im engen Kontakt steht, bieten<br />

an ihn zu verstecken. Doch die beiden wollen das Ende<br />

des NS-Regimes <strong>und</strong> den Neuanfang in Berlin erleben.<br />

Was eigentlich Wahnsinn ist. Ständig gibt es Fliegeralarm.<br />

Strom <strong>und</strong> Wasser fallen aus. Es herrscht Endzeitstimmung.<br />

Nachdem die Stadt schließlich durch die<br />

Rote Armee erlöst wird <strong>und</strong> sich nach einiger Zeit die<br />

beiden Deutschen Staaten konstituieren, entscheidet<br />

sich das Paar dafür, in den Osten zu ziehen. Erst nach<br />

Zeuthen, später dann nach Kleinmachnow. Sibylle arbeitet<br />

zunächst als freie Kostümbildnerin bei der DEFA.<br />

Entwickelt dann ein Konzept für die erste internationale<br />

Modezeitschrift der DDR. Über den Entwürfen – die<br />

Mode-Shoots inszeniert sie in Kleinmachnow – steht ihr<br />

eigener Name als Test-Titel: Sibylle. Dabei bleibt es. Von<br />

1958-1961 wird sie das Magazin als Kreativdirektorin leiten,<br />

reist nach Paris, Italien, Prag <strong>und</strong> Moskau.<br />

Ich hatte Mode von beiden Seiten, aus Ost <strong>und</strong> West, im<br />

Heft.<br />

Da habt ihr ja zur Völkerverständigung beigetragen.<br />

Ja, das musste sein.<br />

War Mode für dich also auch ein Politikum?<br />

Nr.10<br />

42 43<br />

Nr.10


legende<br />

Nr.10<br />

44 45<br />

Nr.10


legende<br />

Also, als Modejournalistin in Paris war ich nicht sehr politisch.<br />

Da ging’s mir um die schicke Mode (lacht).<br />

Man hat dir später vorgeworfen, du wärst zu französisch<br />

für den Sozialismus.<br />

Ach, die waren eifersüchtig <strong>und</strong> wollten wahrscheinlich<br />

meinen Posten. Das Magazin trug meine Handschrift<br />

<strong>und</strong> dabei blieb ich.<br />

Die „Sibylle“ wird ein großformatiges Heft mit w<strong>und</strong>erbar<br />

gestellten, minimalen Covern. Meist sieht man Models<br />

vor abstraktem Hintergr<strong>und</strong>. Darüber der schlichte<br />

Titelschriftzug. Man muss sich nur mal das neue FAZ-<br />

Magazin anschauen, um zu verstehen, wie wegweisend<br />

<strong>und</strong> heutig dieser Look war. Damals war es ein Modernismus,<br />

der aus der Not geboren wurde. Die Redaktion<br />

Wofür dieses Buch?<br />

Ich habe mich gezwungen die Erlebnisse meiner <strong>Tochter</strong><br />

aufzuschreiben, obwohl ich mich manchmal am Abend<br />

übergeben musste, weil mich das zu sehr aufgeregt hat.<br />

Worüber hast du das Buch geschrieben?<br />

Darüber, dass mein Kind auf einmal eine „Verwirr Psychose“<br />

hatte. Sonja. Sie war immer die Beste in ihrer<br />

Klasse. Überbegabt. Dann musste sie in die Psychatrie.<br />

Um alles zu überspielen, hat sie sich an der Schauspielschule<br />

beworben. Bei der Vorprüfung waren alle begeistert.<br />

Bei der Hauptprüfung haben sie dann gesagt, wir<br />

sind hier keine psychiatrische Anstalt. Sie dachte, das<br />

würde ihr das ganze Leben so ergehen.<br />

Und dann ist sie in die Wolken geflüchtet.<br />

In die Wolken ... Sie hat dann Suizid begangen ...<br />

„SIBYLLE rückt die gelben TULPEN AUF dem halbmondförmigen<br />

Kamin ZURECHT, zieht DAS BALENCIAGA-Kleid ZURECHT,<br />

SCHAUT AUF. BLICKT man sie SO UNVERMITTELT an, BLICKT BALD<br />

ein Jahrh<strong>und</strong>ert zurück.“<br />

war völlig unterbesetzt. Die Mittel bescheiden. Trotzdem<br />

gelang es, Modestrecken mit avancierten Essays über<br />

Kunst <strong>und</strong> Politik zu mischen. Die „Sibylle“ war zeitweise<br />

ein Magazin zwischen dem „New Yorker“ <strong>und</strong><br />

der „Vogue“ – <strong>und</strong> damit auch ein Vorbild für diese Zeitschrift.<br />

Das war damals außergewöhnlich, hart an der<br />

Grenze des Machbaren. Immerhin vermittelte sich in der<br />

„Sibylle“ auch kompromissloser Luxus, <strong>und</strong> das im Arbeiter-<br />

<strong>und</strong> Bauernstaat. Auch eine Form von Dissidenz.<br />

Oder auch Sturheit.<br />

Flucht in die Wolken<br />

Anfang der 60er-Jahre wurde der Gegenwind zu stark.<br />

Sibylle ging zurück zur DEFA, designte Kostüme für<br />

Filme wie „Wolf unter Wölfen“ oder „Abschied vom Frieden“<br />

von Hans-Joachim Kasprzik, wurde zweifache <strong>Mutter</strong>.<br />

Sibylle Boden-Gerstner. Zwei Namen, das reicht doch<br />

für ein Leben, denkt man. Unter dem Pseudonym Sibylle<br />

Muthesius veröffentlichte sie aber noch ein Buch. Musste<br />

das tun. Es hieß „Flucht in die Wolken“.<br />

Kann man das jemals überwinden?<br />

Nein, eigentlich nicht. Ich schiebe es beiseite.<br />

Glaubst du an einen Ort, an dem man sich wieder begegnet?<br />

Nein.<br />

Sonja hat an Jesus geglaubt, hast du mal erzählt.<br />

Ja, das stimmt. Sie hat mir einmal gesagt, sie hätte eine<br />

besondere Beziehung zu ihm. Ich konnte ihr ja nicht sagen:<br />

Der wird dir nicht helfen. Das war unmöglich.<br />

Verstehst du die Welt manchmal eigentlich nicht mehr?<br />

Verstehen ja. Aber nicht billigen. Es gibt noch viele<br />

schlimme Dinge auf der Welt.<br />

Du hast doch selbst erlebt, dass es nach den schlimmsten<br />

Zeiten auch wieder besser wurde.<br />

Hoffen wir’s.<br />

Sibylle Gerstners „Flucht in die Wolken“ ist antiquarisch,<br />

z.B. über ZVAB.com, erhältlich.<br />

Nr.10 46


schnittmuster: Maison Martin Margiela<br />

Interview: David Torcasso<br />

Bilder: MM6 Martin Margiela<br />

avantgarde zum selb ermachen<br />

Maison Martin Margiela muss man nicht mehr<br />

vorstellen. Das Designerkollektiv, das stets<br />

gesichtslos bleibt <strong>und</strong> auch auf unsere Fragen<br />

mit einem anonymen „wir“ antwortete, prägte in<br />

den letzten beiden Dekaden die Mode wie kaum<br />

ein anderes Label. Für diese Ausgabe stellte uns<br />

das avantgardistische Antwerpener Haus ein<br />

Schnittmuster der Linie MM6 zur Verfügung.<br />

Es trägt die wichtigsten Charaktereigenschaften<br />

eines echten Margiela-Teils in sich: schlichte<br />

Eleganz mit einem aufregenden Twist.<br />

Wie arbeiten Sie bei Maison Martin Margiela<br />

an Ihren Schnittmustern?<br />

MMM: Bei der Konstruktion eines Schnittmusters<br />

findet ein wichtiger Denkprozess statt. Aber<br />

es gibt keine spezielle Technik. Sie variiert je<br />

nach dem jeweiligen Konzept, der Beschaffenheit<br />

der Stoffe <strong>und</strong> dem Gebrauch der Kleidung.<br />

Was ist zuerst da? Das Schnittmuster oder ein<br />

physischer Entwurf ?<br />

MMM: Beides kommt vor. Es hängt von der<br />

ersten Idee <strong>und</strong> den Vorgaben des Materials ab.<br />

Manchmal bestimmt die Beschaffenheit des<br />

Stoffs das Design.<br />

Bewahren Sie alte Schnittmuster in einer<br />

Schublade auf <strong>und</strong> verwenden Sie diese ab<br />

<strong>und</strong> an für die Kreation neuer Kollektionen?<br />

MMM: Wir haben ein umfangreiches Archiv, wo<br />

alle Schnittmuster gelagert sind. Diese werden<br />

aber selten wieder verwendet, sondern dienen<br />

nur als Gr<strong>und</strong>lage. Wir möchten uns natürlich<br />

ständig weiterentwickeln.<br />

Wieso haben Sie dieses Schnittmuster für uns<br />

gewählt?<br />

MMM: Bei der Linie MM6 möchten wir aus<br />

einzigartigen Stoffen eine unverwechselbare<br />

Garderobe schaffen. Dieses Schnittmuster ist<br />

die Gr<strong>und</strong>lage für unsere japanische Tasche. Ein<br />

Design, das in unseren Kollektionen seit Langem<br />

besteht. Ein einfaches Konzept mit einem gleich<br />

bleibenden Gr<strong>und</strong>muster. Aber in jeder Saison<br />

wird die Tasche durch das Gewebe geändert, die<br />

Form angepasst, damit das Design zeitgemäß<br />

bleibt. Der Boden der Tasche kann stets neu<br />

angebracht werden, was zu einer ungewöhnlichen<br />

Form führt.<br />

Die Transformation <strong>und</strong> Deformation des Körpers<br />

ist eine charakteristische Eigenschaft von<br />

MM6 <strong>und</strong> Maison Martin Margiela. Welches<br />

Ziel verfolgen Sie damit?<br />

MMM: Transformation, zum Beispiel durch<br />

physische Veränderung, ist seit Langem ein<br />

fester Bestandteil unserer Kollektionen. Der<br />

Hauptzweck dieses Verfahrens ist die ubiquitäre<br />

Anwendung unserer Entwürfe. Die einzelnen<br />

Stücke können auf verschiedene Arten interpretiert<br />

werden. Unsere Kleider sind spielerisch,<br />

aber auch praktisch, optisch interessant, aber<br />

für den Körper nützlich.<br />

Wie wichtig ist die konkrete Handwerkskunst<br />

für den Gestaltungsprozess bei Margiela?<br />

MMM: Handwerkskunst war <strong>und</strong> wird immer<br />

unglaublich wichtig sein. Bei MM6 spielen wir<br />

mit Texturen <strong>und</strong> komplexen oder unerwarteten<br />

Interpretationen von Stoffen. Trotzdem ist MM6<br />

zugänglicher als unsere anderen Linien. Für uns<br />

ist es immer wieder aufs Neue spannend auszuklügeln,<br />

wie effizient wir bei MM6 die typische<br />

Margiela-Handwerkskunst für ein großes Publikum<br />

übersetzen <strong>und</strong> unseren K<strong>und</strong>en möglichst<br />

abwechslungsreich präsentieren können. Besonders<br />

präsent ist unsere Handwerkskunst vor<br />

allem in der „Artisanal“-Linie. Bei der wird jedes<br />

Stück aus neuen oder gebrauchten Textilien von<br />

Hand in unserem hauseigenen Atelier gefertigt.<br />

Ihr Etikett auf der Kleidung war ursprünglich<br />

dazu gedacht, es leicht abtrennen zu können ...<br />

MMM: Es stimmt, dass die vier erkennbaren<br />

weißen Stiche für das Label konzipiert wurden,<br />

um das Etikett an Ort <strong>und</strong> Stelle entfernen zu<br />

können. Damit sollte die Kleidung „markenlos“<br />

wirken. Ironischerweise ist gerade aus den<br />

Stichen unser Markenzeichen geworden.<br />

Was sind Quellen der Inspiration für Maison<br />

Martin Margiela?<br />

MMM: Wir werden von allem inspiriert. Von<br />

der Straße, von unseren Reisen, durch unsere<br />

Geschichte. Wir sind ein Kollektiv, arbeiten mit<br />

frischen Talenten, die kommen <strong>und</strong> gehen. Dadurch<br />

halten wir unsere Vision <strong>und</strong> Inspiration<br />

in ständiger Entwicklung.<br />

Wie kam es zu der häufigen Verwendung von<br />

weißen Materialien?<br />

MMM: Eine leere weiße Fläche ermöglicht, dass<br />

das fertige Produkt im Mittelpunkt steht <strong>und</strong><br />

von nichts Unnötigem abgelenkt wird. Das ist<br />

kennzeichnend für unser Designverständnis.<br />

Heute ist die Modebranche sehr auf Designer<br />

<strong>und</strong> Persönlichkeiten konzentriert. Hat Maison<br />

Martin Margiela diesen Trend sehr früh erkannt<br />

<strong>und</strong> sich deshalb dagegen entschieden?<br />

MMM: Anonymität <strong>und</strong> die Arbeit aus einem<br />

kreativen Kollektiv heraus entsprang aus einer<br />

Gegenreaktion auf das allgegenwärtige „Starsystem“<br />

in der Mode. Wir wollen, dass die Ideen für<br />

sich sprechen. Das Produkt ist der Mittelpunkt<br />

von allem. Das hat sich bis heute nicht geändert.<br />

Deshalb verwenden wir in der Kommunikation<br />

auch stets das „wir“, anstatt Einzelne aus dem<br />

Kollektiv heraustreten zu lassen. Wir finden das<br />

diskreter.<br />

Nr.10<br />

48 49<br />

Nr.10


schnittmuster: Maison Martin Margiela<br />

Fodera<br />

S32WD0054<br />

Fodera<br />

S32WD0065<br />

Borsa<br />

Borsa<br />

Sacco Tasca<br />

Sacco Tasca<br />

Tessuto<br />

Borsa Tessuto<br />

Borsa<br />

Manico<br />

Bordo Tasca<br />

Manico<br />

Nr.10<br />

50 51<br />

Nr.10


pin-up<br />

christian bale<br />

Christian Bale ist<br />

der American Psycho,<br />

der Machinist, der<br />

Batman, der Fighter.<br />

Ein Sonderling zwischen<br />

Genie <strong>und</strong><br />

Wahnsinn. Wie sexy<br />

ist das denn? Findet<br />

unsere Autorin.<br />

Sexy beast Christian Bale: außen der gepanzerte Anzug, das<br />

raubtierhafte Bat-Mobil, innen: tief sitzende Traumata <strong>und</strong><br />

nervöse Verletzlichkeit. Den Dämonen, die Christian Bale als<br />

Batman quälen, lässt er in „American Psycho“ freien Lauf:<br />

Als Antiheld, als mordender Yuppie, findet er nur beim gewalttätigen<br />

Sadomasosex <strong>und</strong> beim barbarischen Abschlachten<br />

von Prostituierten <strong>und</strong> Arbeitskollegen Befriedigung. Die<br />

martialische Szene des sein Opfer mit laufender Motorsäge<br />

verfolgenden, nackten <strong>und</strong> Blut überströmten Christian<br />

Bale hat sich tief in mein Unterbewusstsein eingeprägt.<br />

Wirklich verarbeiten konnte ich sie nie. Er war GANZ nackt<br />

bei diesen Gewaltorgien. Sein Penis nur von einer laufenden<br />

Motorsäge verdeckt. Was für eine krasse Phallus-Metapher<br />

ist das denn? Auf jeden Fall gelang Bale die Verkörperung des<br />

Psychopathen Patrick Bateman (fast wie Batman!) sensationell<br />

gut. Er war nicht nur ultraböse, sondern irgendwie auch<br />

humorvoll <strong>und</strong>, ja, sexy!<br />

In dem Western „3:10 to Yuma“ spielt Bale einen zurückgezogenen<br />

Individualisten. Er galoppiert als gerechtigkeitsliebender<br />

Cowboy mit der üblichen Wildwest-Patina aus<br />

Schweiß, Dreck <strong>und</strong> Blut auf Gesicht <strong>und</strong> Körper über den<br />

Bildschirm. Christian Bale <strong>und</strong> Western – wer hätte gedacht,<br />

dass das funktionieren würde? Doch er brilliert auch hier als<br />

wilder, ungezähmter Mann.<br />

Am besten war Bale für mich aber in dem Boxfilm „The<br />

Fighter“: Er ist hier kaputt, verzweifelt, so nah dran am Leben<br />

seiner Rolle, dass es wehtut. Gerade wenn er sich nicht<br />

von der „Sexiest Man Alive“-Seite zeigt – also ohne Cowboy-<br />

Hut, Carbonanzug oder Wall-Street-Suit – gefällt mir Bale am<br />

besten: als gescheiterter Boxer <strong>und</strong> Crackjunkie, als Trainer,<br />

der sich irgendwie in der amerikanischen White-Trash-<br />

Unterwelt über Wasser hält. Ich verknallte mich sofort in<br />

diesen Ex-Junkie <strong>und</strong> boxenden Working-Class-Hero, stellte<br />

ihn mir in meinen Christian Bale infizierten Tagträumen als<br />

begehrenswerten Liebespartner vor.<br />

Christian Bales brutal maskulines Aussehen <strong>und</strong><br />

der entsprechende Habitus erfüllen einfach sämtliche<br />

Kriterien, um bei der Mehrheit der Frauen, die ich kenne,<br />

akute Paarungsbereitschaft hervorzurufen: kantiges Kinn,<br />

starke Nase, markante Wangenpartie, schmale Lippen. Ein<br />

geradliniges Gesicht, das beinahe zu präzise <strong>und</strong> aufgeräumt<br />

daherkommt. Gut, dass er dieses schiefe Lächeln hat, das<br />

alles wieder ausgleicht. Sein drahtiger Körper erlebt absolute<br />

Blütezeiten. Dass sein Body-Mass-Index von Rolle zu Rolle<br />

wild variiert, macht Bale umso sexier, denn die Selbstkontrolle,<br />

das dazu nötig ist, hilft mit Sicherheit auch im Bett!<br />

Sex mit Christian Bale hat mit Unterwerfung zu tun, glaube<br />

ich. Man muss sich ihm hingeben, seinen Launen, seinen<br />

Wünschen. Aber wenn sie erst mal ins Laufen gekommen<br />

ist, die Sexmaschine Christian Bale, dann ist sie unstoppable.<br />

Kann ich mir zumindest gut vorstellen.<br />

Mittlerweile hat er einen Cowboy, Superhelden, FBI-<br />

Agenten <strong>und</strong> Banker gespielt. Alles Rollen, die sich mit weiblichen<br />

Sex-Fantasiefiguren decken. Jetzt wäre es vermutlich<br />

an der Zeit, dass Christian Bale noch den Nietzsche-lesenden<br />

Feuerwehrmann <strong>und</strong> existenzialistischen Astronauten gibt.<br />

Damit wäre sein Portfolio an sexy Figuren mit tiefen Abgründen<br />

komplett.<br />

Text: Olga Schlosser,<br />

Foto: Rune Hellestad/Corbis<br />

Christian Bale wurde 1974 in Wales unter dem bürgerlichen<br />

Namen Christian Charles Philip Bale geboren. Sein Spielfilmdebüt gab<br />

er mit 13 Jahren in der Hauptrolle in Steven Spielbergs „Empire Of The<br />

Sun“. Seither spielte er in über 20 Filmen mit. Für seine<br />

Darbietung in „The Fighter“ wurde Christian Bale 2011 mit dem Oscar<br />

als bester Nebendarsteller ausgezeichnet. Er ist seit 2000 verheiratet<br />

<strong>und</strong> hat eine <strong>Tochter</strong>.<br />

Nr.10<br />

52 53<br />

Nr.10


Hut <strong>Lou</strong>'s own<br />

Jacke & Hemd Sportmax<br />

„die<br />

ruhe<br />

im<br />

sturm,<br />

yeah!“<br />

– <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong><br />

Fotos: Heiko Richard<br />

Styling: Götz Offergeld<br />

Interview: Ruben Donsbach & Vanessa Obrecht


Und sie alle fühlen sich in New York auf eine<br />

merkwürdige Art zu Hause.<br />

Sie sagten zu Beginn, Sie seien nostalgisch<br />

veranlagt. Ist es auch eine Befreiung, keine<br />

Geschichte zu haben?<br />

LD: Ja <strong>und</strong> nein. Für mich ist Amerika ein etwas<br />

skurriler Teenager. Es hat dieselbe Schönheit<br />

<strong>und</strong> Dummheit wie ein Halbstarker. Manchmal<br />

ist das toll. Doch nach ein paar Monaten will man<br />

einfach nur wieder verschwinden. Immerhin<br />

wird man in Amerika daran gemessen, was man<br />

tut. In Frankreich interessiert man sich weniger<br />

für das Ergebnis als dafür, warum man etwas<br />

gemacht hat. Es wird nie das Ergebnis diskutiert.<br />

Okay. Aber Sie waren Schauspielerin, dann<br />

Modell, jetzt haben Sie ein Album aufgenomoben:<br />

Lederhemd Diesel Black Gold<br />

Jeans <strong>Lou</strong>'s own<br />

Schuhe <strong>Lou</strong>'s own<br />

unten:<br />

Jacke <strong>Lou</strong>'s own<br />

Kleid Versace<br />

<strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> kommt aus Frankreichs erster Familie.<br />

Aber eben nicht ganz. Ihre <strong>Mutter</strong> ist <strong>Jane</strong><br />

<strong>Birkin</strong>, mit der wir ebenfalls für diese Ausgabe<br />

gesprochen haben. Der Vater aber nicht Serge<br />

Gainsbourg, sondern der Avantgarde-Regisseur<br />

Jacques <strong>Doillon</strong>. Das macht die Identitätsfindung<br />

kompliziert. <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> ist jetzt 30 Jahre alt, hat<br />

einen elfjährigen Sohn <strong>und</strong> die letzten 6 Jahre<br />

am Krankenbett, erst ihres Vaters, dann ihrer<br />

<strong>Mutter</strong> verbracht. Sie war Model für Givenchy,<br />

hat Filme gedreht <strong>und</strong> zuletzt mit „Places“ ein<br />

zartes Debütalbum aufgenommen. Aber so<br />

richtig angekommen ist sie bisher nie. Denn der<br />

Ruhm ist ein zweischneidiges Schwert <strong>und</strong> die<br />

moderne Welt für <strong>Doillon</strong> ein angsteinflößender<br />

Ort. Seit Anfang des Jahres aber hat sich was<br />

verändert. <strong>Doillon</strong> ist verliebt, geht selbstbestimmt<br />

auf Tour, fühlt sich wohl in ihrer Haut.<br />

Für <strong>Fräulein</strong> tobt sie 4 St<strong>und</strong>en lang durchs<br />

Fotostudio, raucht Kette <strong>und</strong> trinkt massenhaft<br />

Café. „Coffee and cigarettes, das können sie<br />

auf meinen Grabstein schreiben“, sagt <strong>Doillon</strong><br />

aufgedreht, setzt sich, fixiert die Interviewer<br />

<strong>und</strong> sprudelt los. Ein Gespräch über die geliebte<br />

Einsamkeit, Literatur <strong>und</strong> das Verhältnis zu ihrer<br />

<strong>Mutter</strong> <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong>.<br />

Frau <strong>Doillon</strong>, Sie sind gerade für einen Kurzbesuch<br />

in Berlin, haben heute einen mehrstündigen<br />

Fotoshoot hinter sich gebracht <strong>und</strong> fliegen<br />

am Abend schon wieder zurück nach Paris.<br />

Wie kommt man da zur Ruhe?<br />

<strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong>: Das ist wirklich ein Problem. Ich<br />

war lange wahnsinnig nostalgisch <strong>und</strong> geradezu<br />

obsessiv mit der Vergangenheit beschäftigt.<br />

Gleichzeitig hatte ich Angst vor der Zukunft.<br />

Angst auf der Bühne zu stehen. Seit ein paar Monaten<br />

bekomme ich das besser hin. Ich versuche<br />

wirklich im Hier <strong>und</strong> Jetzt zu leben. Den Moment<br />

zu genießen.<br />

Was hat sich in Ihrem Leben geändert, wie<br />

machen Sie das?<br />

LD: Im Moment löse ich das auf eine etwas<br />

alberne Art <strong>und</strong> Weise: Auf Tour verbringe ich<br />

die ganze Zeit mit meiner Band. Man will mir<br />

ständig einen eigenen Fahrer schicken, aber das<br />

will ich gar nicht. Man macht sich größere Sorgen,<br />

wenn man eine Sonderrolle bekommt <strong>und</strong><br />

von den anderen getrennt lebt. Also fahre ich im<br />

Tourbus mit <strong>und</strong> schlafe auch dort. Die Angst<br />

kommt, wenn man nur mit sich beschäftigt ist.<br />

Also macht Ihnen Einsamkeit Angst?<br />

LD: Nun, es geht dabei eher um die Zeit „on the<br />

road“. Eigentlich liebe ich die Einsamkeit. Zudem<br />

habe ich das Glück seit Kurzem mit einem Mann<br />

zusammen zu sein, der mich extrem beruhigt,<br />

der es geschafft hat, meine Angst-Muster aufzulösen.<br />

Indem er einfach gesagt hat: schau, die<br />

Leute kommen zum Konzert, weil sie dich sehen<br />

wollen <strong>und</strong> geben dafür Geld aus. Sie mögen<br />

dich. Sie kommen nicht, um dich niederzumachen.<br />

Sie sind deine Verbündeten! Letztendlich<br />

muss man irgendwann in der Realität ankommen<br />

<strong>und</strong> begreifen, dass es vielen Leuten wirklich<br />

schlecht geht, dass das Leben kein Zuckerschlecken<br />

ist. Und wenn diese Leute es schaffen<br />

zum Konzert zu kommen, Geld auszugeben,<br />

einen Babysitter zu organisieren, dann ist es das<br />

Mindeste, dass man nüchtern <strong>und</strong> ausgeschlafen<br />

auf die Bühne kommt <strong>und</strong> für 90 Minuten alles<br />

gibt. Ich hoffe einfach, dass ich die Menschen<br />

damit glücklich mache.<br />

Was macht Sie persönlich glücklich?<br />

LD: Ich bin eigentlich ganz zufrieden wenn man<br />

mich in Ruhe lässt. Das liegt vielleicht daran,<br />

dass ich aus einer notorischen Familie komme, in<br />

der die Aufmerksamkeit auf anderen Menschen<br />

lag. Es war merkwürdig. Ich hatte das Gefühl,<br />

als wenn Leute mich ständig angeschaut haben,<br />

ohne sich für mich zu interessieren. Also habe<br />

ich mich geschützt. Und es ist wahr, dass ich<br />

einen sehr dicken Schutzwall um mich herum<br />

aufgebaut habe. Lassen Sie es mich so sagen:<br />

Am glücklichsten bin ich alleine mit mir selbst,<br />

während andere Menschen um mich herumschwirren.<br />

Das versetzt mich wieder zurück<br />

in meine Kindheit. Ich liebe, es auf einer Party<br />

einzuschlafen. Ich liebe es, in einem übervollen<br />

Café mein Tagebuch zu schreiben. Ich liebe es, in<br />

der U-Bahn zu zeichnen, obwohl mich alle Leute<br />

dabei entgeistert ansehen. Fre<strong>und</strong>e fragen mich<br />

oft, wie ich es aushalte, immer angestarrt zu<br />

werden. Aber auch wenn es merkwürdig klingt:<br />

Ich liebe die Isolation, die das Berühmtsein mit<br />

sich bringt.<br />

Ist es nicht sehr schwer Menschen kennenzulernen,<br />

wenn man nie sicher sein kann, ob die<br />

sich für die öffentliche Figur, weniger für einen<br />

selbst interessieren?<br />

LD: Viele Menschen haben ein vorgefertigtes Bild<br />

von mir im Kopf. Das ist so. Dabei liebe ich es,<br />

neue Leute zu treffen. Ich bin gerne auf Reisen.<br />

Als ich eine Weile in New York lebte, saß ich oft<br />

auf meinem Balkon gleich neben dem Bowery-<br />

Hotel <strong>und</strong> spielte den ganzen Tag Gitarre. So<br />

wurde ich das „Bowery-Girl“. Auf einmal war ich<br />

nicht mehr nur die <strong>Tochter</strong> von irgendjemandem.<br />

New York war ja immer einer besonderer Ort<br />

für Künstler, ein gern gewähltes Exil. Warum<br />

meinen Sie, ist das so?<br />

LD: Das gilt ja nicht nur für Künstler. New York<br />

hat diese w<strong>und</strong>erbare Qualität Stadt <strong>und</strong> Niemandsland<br />

zugleich zu sein. Denn es hat keine<br />

wirkliche Geschichte. Nach 24 St<strong>und</strong>en fühlt man<br />

sich einfach als New Yorker. Man fühlt sich sofort<br />

akzeptiert. Ich kenne fast nur Zugezogene dort.<br />

„Ich war<br />

lange<br />

geradezu<br />

obsessiv<br />

mit der<br />

Vergangenheit<br />

beschäftigt“<br />

Nr.10 56


Kleid Versace<br />

links:<br />

Hut <strong>Lou</strong>'s own<br />

Jacke Sportmax


Hut Hermès<br />

Mantel Sportmax<br />

Strumpfhose <strong>Lou</strong>'s own<br />

men. Es wäre schon interessant zu wissen, wie<br />

es dazu kam.<br />

LD: Ich fühle mich überhaupt nicht berufen<br />

zu diesem Lebensweg. Mein Vater ist ein sehr<br />

spezieller Mann, der seine ganze Passion <strong>und</strong><br />

Empathie nur für seine Arbeit aufbringt, Filme<br />

zu drehen. Als ich klein war, drehte er zwei Stück<br />

pro Jahr. Er war sehr missmutig, düster, hart <strong>und</strong><br />

wütend im Alltag, aber ich hörte immer dieses<br />

Gerücht, er sei ein sehr lustiger Typ am Set.<br />

Vielleicht bin ich eine Schauspielerin geworden<br />

um diesen Mann zu treffen, um endlich meinem<br />

Vater zu begegnen. Dann sah ich immer schon<br />

sehr schräg aus. Das machte mich eine Weile<br />

für die Mode-Welt interessant. Aber nach einem<br />

kurzen Intermezzo bei Givenchy wurde ich nur<br />

noch bei Indie-Labels gebucht. Davon kann man<br />

nicht leben. Und ich hatte auch keine wirkliche<br />

Passion dafür. Zufriedenheit hat mir erst meine<br />

Musik gebracht.<br />

Sie fühlen sich heute also wieder wohl in Ihrer<br />

Haut?<br />

LD: Oh, ja. Ich war noch nie so entspannt wie<br />

jetzt. Es ist doch ein glücklicher Moment im<br />

Leben, wenn alles, was bisher ein Nachteil war,<br />

zum Vorteil wird. Obwohl man sich selbst nicht<br />

verändert hat. Merkwürdig, oder? Es ist so: Ich<br />

bin in die <strong>Birkin</strong>s-Gainsbourg-Familie hineingeboren,<br />

ohne ein Gainsbourg zu sein. Aus der<br />

„Gang“ war ich schon mal raus. Dann ging ich<br />

zum Film, bin aber die <strong>Tochter</strong> des größtes Psychopathen<br />

im französischen Kino, der alles <strong>und</strong><br />

jeden beleidigt hat. Also fliege ich da auch wieder<br />

raus. Als Nächstes kam die Modeindustrie, in der<br />

man mir bald sagte, du bist eine Schauspielerin,<br />

verschwinde! Dann habe ich Konzepttheater<br />

gemacht, aber die Leute sagten mir, du kommst<br />

doch aus der Filmindustrie, geh weg. Selbst die<br />

Jet-Setter haben mich rausgeschmissen, weil<br />

ich einfach nicht genug Geld hatte, um dazuzugehören.<br />

Jede Gang hat mich abgewiesen, seit<br />

ich geboren worden bin. Irgendwann sagt man<br />

dann: „Fuck, you“, zieht einen Kreis um sich, <strong>und</strong><br />

kreiert seine eigene kleine Welt. Aus irgendeinem<br />

Gr<strong>und</strong> wollen heute alle in diesen meinen Kreis<br />

kommen <strong>und</strong> meine „Fre<strong>und</strong>e“ sein. Warum<br />

nicht...<br />

Wir haben vor Kurzem mit Ihrer <strong>Mutter</strong> <strong>Jane</strong><br />

<strong>Birkin</strong> gesprochen. Sie sei lange Zeit krank<br />

gewesen <strong>und</strong> habe es in dieser Zeit extrem<br />

genossen, Sie an Ihrer Seite zu haben. Wie<br />

bedeutet Ihnen die Familie?<br />

LD: Nun, vor sechs Jahren wurde mein Vater<br />

plötzlich sehr krank. Er starb beinahe. Also<br />

habe ich mich für 2 Jahre um ihn gekümmert.<br />

Eine Woche nachdem er aus dem Krankenhaus<br />

kam, wurde meine <strong>Mutter</strong> krank. Und da meine<br />

Schwestern sehr beschäftigt waren, habe ich<br />

mich auch um <strong>Jane</strong> gekümmert. Die letzten Jahre<br />

habe ich also in Krankenhäusern verbracht. Es<br />

ist schon sehr befreiend, dass diese Zeit nun<br />

rum ist.<br />

Man hört oft, dass Menschen ihre Eltern erst<br />

wirklich kennenlernen, wenn sie Zeit mit ihnen<br />

am Krankenbett verbringen. War das bei Ihnen<br />

auch so?<br />

LD: Ach, das ist kompliziert. Seit ich zehn Jahre<br />

alt war, fühlte ich mich eher wie der Vorm<strong>und</strong><br />

meiner Eltern. Mein Vater rief mich lange Zeit jeden<br />

Tag an, meldete sich jedes Mal, wenn wieder<br />

mal eine Schauspielerin sein Set verlassen hatte<br />

<strong>und</strong> ich einspringen sollte. Ich war seine Assistentin,<br />

schrieb an seinen Drehbüchern. Dasselbe<br />

bei meiner <strong>Mutter</strong>. Die letzten vier Monate bin<br />

ich ein wenig rebellisch geworden <strong>und</strong> sage<br />

ihnen, dass sie mich mal in Ruhe lassen sollen!<br />

Ich liebe beide über alles. Aber jetzt brauche ich<br />

echt ein wenig Abstand, sonst bringen die beiden<br />

mich noch um! Mit 30 fühle ich mich zum ersten<br />

Mal in meinem Leben wirklich frei <strong>und</strong> das<br />

macht mich sehr glücklich.<br />

Das ist witzig. Wir haben vor Kurzem mit<br />

der Konzeptkünstlerin Marina Abramovic<br />

gesprochen...<br />

LD: ...Toll!<br />

Sie erzählte uns, dass sie sich mit 66 Jahren<br />

zum ersten Mal wirklich frei fühlt. Ist es da<br />

Nr.10<br />

60 61<br />

Nr.10


oben:<br />

Jacke Saint Laurent<br />

Hemd Hermès<br />

Jeans <strong>Lou</strong>'s own<br />

Gürtel <strong>Lou</strong>'s own<br />

„Ich bin<br />

eine Schauspielerin<br />

geworden,<br />

um<br />

endlich meinem<br />

Vater zu<br />

begegnen“<br />

nicht ein Privileg, dass Sie das schon mit 30<br />

Jahren so empfinden?<br />

LD: Das sage ich auch immer allen. Sehen Sie,<br />

wir leben in einer sehr angsteinflößenden Welt<br />

für Frauen, in der es sehr schwer ist, cool zu<br />

sein ohne hart zu werden. Schwer nicht nur ein<br />

Objekt der Begierde oder das genaue Gegenteil<br />

davon zu sein. Zwischen 20 <strong>und</strong> 30 stresst man<br />

sich die ganze Zeit. Man findet sich hässlich <strong>und</strong><br />

dumm. Der Krieg, den man gegen sich selbst<br />

führt, ist glatter Wahnsinn. In der modernen Welt<br />

hat ein Mädchen eine Lebensspanne zwischen 14<br />

<strong>und</strong> 22 Jahren, bevor sie als alt gilt. Ich als Frau<br />

habe es aber satt, dass jeder Popstar, jedes Modell<br />

<strong>und</strong> jede Schauspielerin 15 Jahre alt ist. Wir<br />

leben in einer Welt, in der sich selbst „bloody“<br />

Gina Rowlands ihr Gesicht liften lässt. Und man<br />

denkt: Was?! Du bist (John) Cassavetes Frau!<br />

Du hast 40 Jahre mit den schlauesten Leuten<br />

auf dem Planeten verbracht <strong>und</strong> auch du wirst<br />

jetzt eine artifizielle Braut? Worauf sollen wir 30<br />

Jahre alten dann noch setzen? Was soll aus uns<br />

werden, wenn uns von jedem Magazin-Cover<br />

verängstigte 40, 50 <strong>und</strong> 60 Jahre alte Frauen<br />

anschauen? Vergiss das! Fuck! Die Einzige, die<br />

keine Angst hat, ist Patty Smith. Darum habe ich<br />

beschlossen, dass sie eine Art Ersatzmutter für<br />

mich sein soll. Wenn ich sie backstage besuche,<br />

dann ist sie nicht nur furchtlos. Sie interessiert<br />

ihr Damenbart einen Scheiß. Sie sitzt da, liest<br />

William Blake <strong>und</strong> hat fünf verdammt sexy<br />

25-jährige Typen um sich herum stehen. Patty,<br />

du hast den Ausweg gef<strong>und</strong>en! Yeah.<br />

Muss man eigentlich zwischen der privaten<br />

<strong>und</strong> der öffentlichen <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> trennen?<br />

LD: Das ist lustig. Als ich klein war, war ich<br />

immer sauer auf meine <strong>Mutter</strong>, weil sie zu allen<br />

gleich nett war. Bei anderen Stars hatte ich das<br />

Gefühl, sie würden etwas Privates für ihre Familie<br />

aufsparen. Lustig ist das, weil ich genau so<br />

wie meine <strong>Mutter</strong> geworden bin. Ich glaube, dass<br />

wir alle eine Mission zu erfüllen haben. In einer<br />

Welt, in der alle so hart daran arbeiten, nicht sie<br />

selbst zu sein, möchte ich ganz bei mir bleiben.<br />

Ich spiele niemandem was vor. Ich habe kein<br />

Bühnenkostüm. Die ersten zwei Monate meiner<br />

Tour habe ich mir darüber noch wahnsinnige<br />

Gedanken gemacht. Ich dachte, ich brauche ein<br />

Alter-Ego. Aber nach einer Weile dachte ich mir,<br />

du hast jetzt 20 Jahre damit verschwendet die<br />

Fantasie anderer Leute zu sein. Ob als Schauspielerin<br />

oder als Model. Das macht doch keinen<br />

Sinn. In einer Welt voller Produkte <strong>und</strong> Konzepte<br />

ist es meine Mission ein Anti-Konzept <strong>und</strong> ein<br />

Anti-Fake zu sein.<br />

Das macht Sie allerdings auch verletzbar, oder?<br />

LD: Absolut!<br />

Vor ein paar Jahren haben Sie Bilder für den<br />

Französischen „Playboy“ machen lassen <strong>und</strong><br />

sich damit natürlich auch zum Objekt der<br />

Begierde anderer gemacht. War das im Nachhinein<br />

gesehen eine gute Idee?<br />

LD: Auf jeden Fall. Leider war der „Playboy“<br />

in dieser Zeit zum Hype geworden. Ich wollte<br />

immer im Playboy sein, als der noch sehr<br />

„crummy“ war. Ich wollte ein Kalender-Mädchen<br />

sein um Bestätigung zu finden, wollte hinten an<br />

einen Truck „gepinnt“ werden. Das war meine<br />

Obsession, aber natürlich auch die Frustration<br />

eines Mädchens ohne „Titts“, ohne Brüste. Ich<br />

habe den Fotoshoot auch gemacht, um eine<br />

Theaterproduktion zu promoten, in der ich<br />

Liebesbriefe von Napoleon, Apollinaire bis hin<br />

zu Céline vortrug. Mein Publikum bestand aus<br />

Leuten zwischen 50 <strong>und</strong> 80 Jahren. Und ich war<br />

so stolz, als ich nach der „Playboy“-Geschichte<br />

15-Jährige im Publikum sitzen hatte. Da saßen<br />

junge Mädchen <strong>und</strong> Jungs, die zum ersten Mal in<br />

ihrem Leben Apollinaire <strong>und</strong> Co. hörten <strong>und</strong> nun<br />

begriffen, dass diese Autoren die grandiosesten<br />

erotischen Liebesbriefe geschrieben haben.<br />

Können Sie aus diesen Briefen Ihre Lieblingsstelle<br />

verraten?<br />

LD: Ja, Céline sagt etwas W<strong>und</strong>erschönes. Er<br />

schreibt einen Brief an ein Mädchen um ihr zu<br />

erklären, warum er nicht mit ihr zusammen sein<br />

kann. Er erzählt von seiner <strong>Mutter</strong>, die als Beruf<br />

verschiedenfarbige Spitze reparierte. Er schreibt,<br />

er müsse wie seine <strong>Mutter</strong> ein solches Gewebe<br />

reparieren <strong>und</strong> könne es sich daher nicht zugestehen,<br />

zu lieben. Für Celine repräsentierte der<br />

Stoff die Menschheit. Das ist wahrscheinlich die<br />

w<strong>und</strong>erschönste Abfuhr, die jemals einer Frau<br />

widerfahren ist.<br />

Wir sprachen zu Beginn darüber, wie wichtig<br />

es ist, zu sich selbst zu finden. Es scheint so, als<br />

helfe Ihnen das Lesen dabei ungemein.<br />

LD: Absolut. Hier in meiner Tasche habe ich ein<br />

Buch von Seneca. An einer w<strong>und</strong>erbaren Stelle<br />

schreibt er, dass man sein ganzes Leben damit<br />

verbringen kann von A nach B zu fahren <strong>und</strong><br />

Menschen zu treffen, die sich nicht für einen<br />

interessieren. Und doch, schreibt Seneca, gibt es<br />

einen Fre<strong>und</strong>, der dich niemals betrügen wird.<br />

Und das sind die Bücher. Sie werden immer da<br />

sein für dich. Ich hatte also Glück. Die Autorin<br />

Dorothy Parker ist eine meiner besten (virtuellen)<br />

Fre<strong>und</strong>innen. Sie gab mir einen guten Rat:<br />

„Men seldom make passes at girls who wear<br />

glases“, Männer flirten selten mit Mädchen, die<br />

Brillen tragen. Wenn ich mich morgens um 3 Uhr<br />

auf einer Party langweile, dann denke ich oft daran<br />

<strong>und</strong> kichere vor mich hin. Sehen Sie, ich war<br />

ein schlechter Schüler, ich buchstabiere katastrophal,<br />

ich bin diejenige, die aus der Klasse fliegen<br />

müsste. Und dann schreiben mir Leute <strong>und</strong><br />

danken mir dafür, ihnen Henry Miller bekannt<br />

gemacht zu haben. Das ist doch w<strong>und</strong>erbar!<br />

Haare <strong>und</strong> Make-up: Christian Fritzenwanker<br />

Foto-Assistenz: Lennart Etsiwah<br />

Postproduktion: Simon Geis / Recom<br />

Besonderer Dank an Delight Rental Services<br />

<strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong>s neues Album „Places“ ist bei Universal<br />

erschienen. Diesen Sommer tourt sie durch Europa.<br />

unten:<br />

Jacke <strong>Lou</strong>'s own<br />

Kleid Versace<br />

63<br />

Nr.10


Jeans G-Star<br />

Kette Werkstatt München<br />

toy boy<br />

„‚How can you tell if<br />

someone is crazy?<br />

‚Can’t always…<br />

Depends on how many<br />

think he’s crazy.’”<br />

– Rumble Fish<br />

Fotos: Stefan Armbruster<br />

Styling: Felix Leblhuber & Götz Offergeld<br />

Nr.10<br />

64


Sonnenbrille Polaroid<br />

Kette Werkstatt München<br />

Jeansjacke Levi’s<br />

Jeans Diesel<br />

rechts:<br />

T-Shirt American Apparel<br />

Jeans Levi’s<br />

Kette Werkstatt München


Jeans Levi’s<br />

Kette Werkstatt München


Lederjacke Layer-0<br />

Kette Werkstatt München<br />

Jeans Diesel<br />

links:<br />

Jeans G-Star


Sonnenbrille Persol<br />

Jeanshemd Replay<br />

Jeans Levi’s<br />

rechts:<br />

Kette Werkstatt München<br />

Jeans Acne<br />

Haare Make-up:<br />

Thomas Lorenz @ MKS-milano<br />

mit Armani Cosmetics<br />

Model:<br />

Patrick Kafka @ wienermodels


flakon fatal<br />

„Have you ever burried your nose in a mountain<br />

of curls… just wanted to go to sleep forever?“<br />

– Der Duft der Frauen<br />

Fotos: Bela Borsodi<br />

Retusche: Lutz + Schmitt<br />

Kurzgeschichte: Dirk Peitz<br />

75<br />

Nr.10


„Darf ich?“<br />

Sie hielt das Flakon seines Eau de Toilette in der Hand<br />

<strong>und</strong> lächelte ihn an. Superbild, bitte so bleiben, nicht<br />

bewegen, dachte er, wie sie so dastand vor seinem Badezimmerspiegel<br />

<strong>und</strong> die Fliesen volltropfte, während<br />

er noch in der Wanne lag. Sie hatte sich vorher erst ein<br />

bisschen geziert: Gemeinsam baden, das sei ja schon<br />

sehr intim. Woraufhin er ihr erst mal aufgezählt hatte,<br />

was sie schon alles miteinander gemacht hatten. Und<br />

was davon erheblich intimer gewesen sei, als lediglich<br />

in warmem Wasser umschlungen herumzuliegen. Fand<br />

er zumindest. Und dachte, sagte es aber nicht: dafür,<br />

dass sie jetzt erst ein paar Wochen, ja, was eigentlich?<br />

Zusammen waren? Regelmäßigen Geschlechtsverkehr<br />

hatten?<br />

Er hatte sich aber nun mal vorgenommen, keine<br />

Eile dabei zu entwickeln, das, was da zwischen ihnen<br />

beiden passierte, schon eindeutig zu benennen, es bereits<br />

mit Worten zu belegen. Sie schien das auch nicht<br />

zu wollen, hatte dann jedoch ziemlich ausführlich definiert,<br />

was sie für intim hielt <strong>und</strong> was nicht. Es lief<br />

darauf hinaus, so hatte er sie verstanden, dass sie die<br />

Intimität von Sexpraktiken nicht danach maß, was man<br />

mit einzelnen Körperteilen anstellte, den eigenen <strong>und</strong><br />

denen des anderen. Das mit Abstand Intimste zwischen<br />

ihnen bislang, hatte sie gesagt, sei seine Bitte gewesen,<br />

sie möge ihre Schamhaare für ihn wachsen lassen.<br />

Dass sie dieser Bitte nachgegeben habe, dürfe er als<br />

großen Vertrauensbeweis begreifen.<br />

Er hatte daraufhin wiederum nur gedacht, nicht gesagt:<br />

Dass sie untenherum völlig rasiert gewesen war,<br />

das hatte eigentlich gar nicht zu ihr gepasst. Oder besser<br />

gesagt: zu seiner Vorstellung von ihr. Es hatte ihn irritiert.<br />

Porno, hatte er kurz gedacht bei dem Anblick: Die<br />

Leute glauben, Intimrasur hätte was mit Reinlichkeit<br />

zu tun, aber am Ende sehen sie einfach nur nach Porno<br />

aus. Und er wollte in keinem mitspielen, definitiv nicht.<br />

„Sag schon, darf ich?“<br />

Sie hielt immer noch das Flakon in der Hand, <strong>und</strong><br />

er wusste gerade echt nicht, was er antworten sollte.<br />

Wie er das nun finden sollte. Das war seltsam, denn<br />

bis dahin war alles so irre selbstverständlich passiert<br />

zwischen ihnen. Fast ohne Irritation. Auch <strong>und</strong> gerade<br />

fast ohne Irritation seiner Sinne. Die kommen ja immer<br />

vorher dran, bevor die tausend kleinen bewussten Verhandlungen<br />

zwischen zwei Menschen beginnen. Bevor<br />

das Abstecken der Claims losgeht, die Festlegung<br />

der Verfahrensregeln, die Grenzen des Erlaubten. Erst<br />

kommt das Sehen, Fühlen, Riechen, Schmecken, ungefähr<br />

in der Reihenfolge, <strong>und</strong> das hatte alles so sehr<br />

gepasst bei ihr, dass es ihm fast unheimlich war. Denn<br />

normalerweise passte da an irgendeinem Punkt etwas<br />

nicht bei ihm. Vor allem beim Riechen. Und Gerüche<br />

ließen sich ja nicht verhandeln, sie ließen sich nicht<br />

wegdiskutieren, nicht mal ansprechen. Zu intim, tatsächlich.<br />

Es war ihm schon oft passiert, dass ein Geruch<br />

an einer Frau ihn dermaßen abgestoßen hatte, dass er<br />

daraufhin abgebrochen hatte, was immer sich da auch<br />

bereits entwickelt hatte zwischen ihr <strong>und</strong> ihm. Er hatte<br />

die fadenscheinigsten Ausreden erf<strong>und</strong>en, nur um<br />

nicht sagen zu müssen: Ich kann nicht mit dir zusammen<br />

sein, denn ich ertrage den Gestank deiner Haut<br />

nicht, deines Atems, deiner Achseln.<br />

Es war ihm mittlerweile so oft schon passiert, dass<br />

er begonnen hatte, an seinem eigenen Geruchssinn zu<br />

zweifeln: Vielleicht, hatte er gedacht, benutze ich den<br />

am Ende nur für mich selbst als Ausrede. Vielleicht<br />

ist mein Kopf das Problem, nicht meine Nase. Aber er<br />

hatte auch keine Lust, sich damit näher zu befassen,<br />

mit der ganzen Lehre von den Pheromonen <strong>und</strong> so.<br />

Er wollte seine Bindungsprobleme, <strong>und</strong> er hatte wohl<br />

wirklich welche, nicht naturwissenschaftlich gerechtfertigt<br />

bekommen. Das wäre ja auch schon wieder eine<br />

Ausrede gewesen. Die Liebe, fand er, musste über die<br />

Sinne erhaben sein.<br />

Dass ihn an dieser Frau nun geruchsmäßig nichts<br />

irritiert hatte, hatte ihn deswegen schon wieder: irritiert.<br />

Es hatte ihn ja nicht einmal gestört, dass sie nach<br />

Schweiß roch, als sie das erste Mal miteinander geschlafen<br />

hatten. Im Gegenteil. Sie war mit dem Fahrrad<br />

zu ihm gefahren, sie hatte sich offenk<strong>und</strong>ig sehr beeilt,<br />

sie war noch ganz außer Atem gewesen, als sie vor ihm<br />

gestanden hatte <strong>und</strong> sie sich dann gleich ausgezogen<br />

hatten, ohne weitere Worte <strong>und</strong> Verhandlungen. Und<br />

weil die Eile, zu ihm zu kommen, ja doch ein großes<br />

Signal gewesen war, so zumindest hatte er sich das<br />

hinterher erklärt: Deshalb hatte ihn ihr Schweißgeruch<br />

sogar irgendwie angetörnt. Vielleicht war er seinem<br />

Geruchssinn also gar nicht hilflos ausgesetzt. Vielleicht<br />

konnte er wahrhaft lieben, indem er seine Sinne daraufhin<br />

ausrichtete, für liebenswert zu halten, was ihn<br />

sonst abstieß.<br />

„Wenn du jetzt mein Eau de Toilette benutzen<br />

würdest <strong>und</strong> wir dann nachher miteinander schlafen<br />

würden, wäre es dann nicht so, als schliefe ich mit mir<br />

selbst? Als hättest du dich aufgegeben <strong>und</strong> in mich verwandelt,<br />

jedenfalls so lange, bis mein Duft an dir verweht<br />

wäre?“<br />

Das war nicht die Antwort, die sie erwartet hatte.<br />

Glaubte er jetzt zumindest ganz deutlich an ihrem irgendwie<br />

entsetzten Gesichtsausdruck zu erkennen. Sie<br />

schaute ihn lange stumm an, viel zu lange.<br />

„Wir haben gerade zwanzig Minuten im selben Badewasser<br />

gelegen“, sagte sie schließlich, „wir duften im<br />

Moment sowieso gleich, warum sollte ich da nicht auch<br />

dein Eau de Toilette benutzen? Hast du Angst davor,<br />

dass ich wie ein Mann riechen könnte? Hast du etwa<br />

noch nie mit einem Mann geschlafen?“<br />

„Natürlich hab ich das, aber er roch nicht wie einer, <strong>und</strong><br />

erst recht nicht wie ich selbst. Er roch nach gar nichts,<br />

also im Rahmen dessen, in dem man nach gar nichts<br />

riechen kann. Sonst hätte ich auch nicht mit ihm schlafen<br />

können.“<br />

„Magst du deinen Geruch nicht? Magst du dich am<br />

Ende denn gar nicht selbst?“<br />

„Hey, das wird jetzt ganz schön gr<strong>und</strong>sätzlich, findest<br />

du nicht?“<br />

„Das ist doch nur ein Spiel! Und ich würde mich<br />

überhaupt nicht selbst aufgeben. Es wäre ein Kompliment,<br />

nichts anderes. Sogar ein weiterer großer Vertrauensbeweis,<br />

merkst du das nicht? Ich möchte nicht<br />

nach dir, ich möchte nicht nach mir, ich möchte nach<br />

uns riechen. Und weil ich mein Parfüm nun mal gerade<br />

nicht hier habe, bleibt nur deins.“<br />

„Weiß nicht. Du würdest nach mir riechen, trotzdem.<br />

Ich fände das schon heftig.“<br />

„Macht es dir Angst?<br />

„Es ist jedenfalls anders als das, was wir bislang<br />

miteinander gemacht haben. Es wäre kein Spiel mehr.“<br />

„Dann ist es gut“, sagt sie <strong>und</strong> sprühte sich ein. Eigentlich<br />

nebelte sie sich regelrecht ein, in ihn, mit ihm.<br />

Nr.10<br />

82 83<br />

Nr.10


<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong><br />

„ich kenne den schmerz“<br />

Fotos: Stefan Armbruster<br />

Styling: June Nakamoto@ Shotview<br />

Interview: David Torcasso<br />

85<br />

Nr.10


Journalisten geht das Wort Ikone oft viel zu<br />

schnell von der Hand. Wenn es tatsächlich<br />

zutrifft, dann reicht seine Kraft kaum mehr aus<br />

- wie bei <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong>. Trotzdem: Die gebürtige<br />

Engländerin, die spätestens seit ihren lasziven<br />

Stöhnorgien auf Serge Gainsbourgs Song „Je<br />

t'aime … moi non plus“ weltbekannt wurde, gehört<br />

bis heute zu den großen weiblichen Ikonen<br />

der Popkultur der letzten fünf Jahrzehnte.<br />

Berühmt war <strong>Birkin</strong> aber schon vor „Je t'aime“.<br />

Als Model <strong>und</strong> vor allem als nackte Schöne in<br />

Michelangelo Antonionis „Blow up“, der heute<br />

zu den wichtigsten Filmen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

gezählt wird. Aus dem paneuropäischen<br />

Sexsymbol der Sechziger wurde im Laufe der<br />

folgenden Jahrzehnte eine angesehene Sängerin,<br />

Regisseurin <strong>und</strong> Schauspielerin, die stets mit<br />

den anspruchsvollsten <strong>und</strong> interessantesten<br />

Künstlern arbeitete. Mit Agnes Varda, Alain<br />

Rasnais, Jacques Rivette zum Beispiel oder mit<br />

Jacques <strong>Doillon</strong> – dem dritten Mann, den sie<br />

heiratete, <strong>und</strong> der Vater ihrer zweiten <strong>Tochter</strong><br />

<strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong>, mit der sich <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> in dieser<br />

Ausgabe den Titel teilt.<br />

Insgesamt war <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> dreimal verheiratet.<br />

Ihre drei Töchter haben drei verschiedene<br />

Väter. Charlotte Gainsbourg ist die <strong>Tochter</strong> der<br />

verstorbenen französischen Chanson-Legende<br />

Serge Gainsbourg. Die älteste, die Fotografin<br />

Kate Berry, stammt aus ihrer ersten Ehe mit<br />

dem ebenfalls verstorbenen Komponisten John<br />

Berry. Auch als <strong>Mutter</strong> ging <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> nie den<br />

geraden Weg, trotzdem sind die Familienbande<br />

zu ihren drei kreativen Töchtern eng geflochten.<br />

<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> sagt, dass sie von ihren Töchtern<br />

lerne. <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> brachte ihr bei, wie man „Ich<br />

liebe dich“ sagt, erzählt <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> im <strong>Fräulein</strong>-<br />

Interview. Auch die Neugier hat sie während all<br />

der Jahre nie verloren. Das Sendungsbewusstsein<br />

ebenfalls nicht: Neben ihren Filmprojekten<br />

möchte sie in Zukunft die Lieder von Serge<br />

Gainsbourg ins Deutsche übersetzen lassen,<br />

dass noch mehr die Freude <strong>und</strong> den Schmerz<br />

verstehen, der in ihnen steckt.<br />

Frau <strong>Birkin</strong>, mögen Sie es noch immer, fotografiert<br />

zu werden?<br />

<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong>: Ich hatte heute eine w<strong>und</strong>ervolle<br />

Zeit mit dem Fotografen. Er war sehr einfühlsam,<br />

voller Energie <strong>und</strong> kreativ. Es hat großen<br />

Spaß gemacht. Ja, ich liebe es, fotografiert zu<br />

werden. Besonders weil es nicht oft geschieht. In<br />

meiner Wohnung mag ich es besonders gerne,<br />

weil ich hier natürlich sein kann. Ich mag es<br />

trotzdem, mich zu verwandeln. Im Alltag trage<br />

ich immer die gleichen Klamotten. Deshalb finde<br />

ich es schön, wenn mir Leute tolle Kleider anziehen<br />

<strong>und</strong> ich neue Designer kennenlerne. Aber<br />

ich verstehe sowieso nicht, warum die Leute<br />

noch Fotos von mir in meinem Alter machen<br />

wollen (lacht).<br />

Das ist einfach: Sie sind eine schöne Frau, eine<br />

tolle Künstlerin <strong>und</strong> eine sehr wache Beobachterin<br />

unserer Zeit!<br />

JB: Ich habe das Glück, dass mich mein Beruf<br />

um die ganze Welt bringt. Kürzlich war ich in<br />

Japan <strong>und</strong> habe an Orten gesungen, wo der<br />

Tsunami gewütet hat. Menschen sind mein<br />

Leben. Ich werde schlecht gelaunt, wenn ich<br />

nicht auf Tour bin, wenn ich nicht singen, nicht<br />

spielen kann, sondern zu Hause rumgammle.<br />

Gestern habe ich einen tollen Film gesehen, heute<br />

gehe ich auf ein Konzert, morgen erhält meine<br />

<strong>Tochter</strong> <strong>Lou</strong> einen Filmpreis. Ich habe Fre<strong>und</strong>e,<br />

mit denen ich viel Kultur genieße, dazu meine<br />

Töchter <strong>und</strong> Enkelkinder, die mir ständig neue<br />

Welten zeigen. Ich kann nicht stillstehen. Viele<br />

Leute ziehen sich mit 66 Jahren zurück. Ich tue<br />

das Gegenteil. Bald mache ich einen Film mit<br />

Jean Renaud, dann im Herbst „Maggie Smith“<br />

mit Israel Horowitz. Ich bin einfach so froh, aus<br />

dem Krankenhaus zu sein <strong>und</strong> zu leben! (Anmerkung<br />

der Redaktion: <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> litt unter<br />

einer Herzbeutelentzündung)<br />

Sie saugen Kultur also richtiggehend auf ?<br />

JB: All meine Fre<strong>und</strong>e sind neugierige Menschen.<br />

Sie bringen mich an interessante Orte.<br />

Einer meiner Fre<strong>und</strong>e arbeitet an der Oper in<br />

Paris. Dann habe ich eine Fre<strong>und</strong>in bei der Oper<br />

in London, wo ich vor Kurzem „Matilda“ von<br />

Roald Dahl gesehen habe. Ich bin mit meinen<br />

Enkelkindern im Eurostar von Paris nach London<br />

gefahren. Es war himmlisch, alle zusammen<br />

im Zugabteil. Wenn ich eine tolle Sendung auf<br />

Arte sehe, rufe ich Charlotte oder <strong>Lou</strong> an <strong>und</strong><br />

sage ihnen: „Schaltet den Fernseher ein!“ Es ist<br />

so schön, wenn jemand am anderen Ende der<br />

Leitung sitzt <strong>und</strong> mit dir das Gleiche anschaut.<br />

Kürzlich waren Sie zum ersten Mal zu viert im<br />

Fernsehen: Ihre Töchter Kate Berry, Charlotte<br />

Gainsbourg, <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> <strong>und</strong> Sie. Sind Sie<br />

wirklich ein Familienmensch oder eigentlich<br />

ein Einzelgänger?<br />

JB: Ich liebe meine Töchter. Ich habe Enkelkinder<br />

zwischen 1 <strong>und</strong> 26 Jahren. <strong>Lou</strong> hatte ihr<br />

Kind beispielsweise schon mit 19 Jahren – wie<br />

ich damals. Und das Schönste: Sie sind alle in<br />

meiner Nähe in Paris! Ich schreibe aber meinen<br />

Kindern nicht vor, wo sie leben sollen. Wenn sie<br />

nach New York ziehen möchten, dann sollen sie<br />

es tun. Aber jetzt ist es w<strong>und</strong>erbar! Auch wenn<br />

ich nicht immer eine verfügbare Großmutter<br />

sein kann, weil ich oft unterwegs bin. Ich könnte<br />

im Moment nicht glücklicher sein: Charlotte ist<br />

40 Jahre alt, <strong>Lou</strong> ist 30, das passt so w<strong>und</strong>erbar.<br />

Ich höre meine Kinder einmal am Tag <strong>und</strong> sehe<br />

sie ein- bis zweimal pro Woche. Seit 46 Jahren<br />

verbringe ich jeden Feiertag mit ihnen. An<br />

Ostern habe ich bei Kate zu Hause für 40 Leute<br />

gekocht. Es ist großartig, wie meine drei Töchter<br />

sich untereinander so gut verstehen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen<br />

sind. Ich denke, sie haben so viel Spaß.<br />

Da kann ich getrost sterben.<br />

Würden Sie nicht viel lieber die Zeit anhalten<br />

wollen?<br />

JB: Nein, ich weiß, dass sie da sind. Das macht<br />

mich stark. Als ich krank war, haben meine<br />

Töchter meine Hand gehalten. Vier Monate lang.<br />

Sie waren in dieser Zeit fürsorglich <strong>und</strong> witzig<br />

zugleich. Ich habe viele Fotos von meinen Töchtern<br />

zu Hause, aber auch von Serge... Serge ist<br />

auch immer da. Aber jetzt, wo ich seine Lieder<br />

singe, muss ich ihn nicht mehr jeden Tag vermissen.<br />

Es ist jetzt 20 Jahre her. Ich habe seine<br />

Stücke kürzlich in Südkorea veröffentlicht. Dort<br />

kennen ihn die Leute nicht von früher. Ich habe<br />

Serge an so viele Orte mitgenommen – <strong>und</strong> er<br />

hat Standing Ovations erhalten. Wenn man seine<br />

Lieder nicht singt, sterben sie. Ich produziere<br />

gerne Filme, schreibe gerne – aber nichts ist so<br />

„Ich wünschte<br />

mir so sehr,<br />

dass meine<br />

<strong>Tochter</strong> mich<br />

liebt, <strong>und</strong> stellte<br />

deshalb keine<br />

Regeln auf.“<br />

schön, wie Serges Lieder 20 Jahre später zu singen.<br />

Ich kenne den Schmerz, der ihn inspiriert<br />

hat, diese w<strong>und</strong>ervollen Songs zu kreieren. Es<br />

sind so viele persönliche Botschaften an mich<br />

darin. Ich weiß, wann <strong>und</strong> wie er sie geschrieben<br />

hat, wie er im Studio saß, geweint hat. Es war<br />

so schmerzhaft für ihn, dass ich mich so lange<br />

schuldig gefühlt habe. Die Menschen verstehen<br />

seine Lieder. Nun möchte ich sie auf Englisch<br />

<strong>und</strong> Deutsch übersetzen.<br />

Warum das? Französisch ist doch w<strong>und</strong>erbar!<br />

JB: Ja, aber ich will, dass alle Menschen seine<br />

Texte verstehen. Der Sohn des Mannes meiner<br />

<strong>Tochter</strong> Kate - Ano - hat mit seinen 20 Jahren<br />

einen Text von Serge übersetzt. Danach ist er<br />

aber bei einem Autounfall gestorben. Schrecklich<br />

(macht eine lange Pause). Serge hat eine<br />

neue Sprache erf<strong>und</strong>en. Deshalb sollte eine<br />

junge Person sie übersetzen. Jemand, der keine<br />

zu schwere Seele hat, sondern witzig ist. Wow,<br />

wenn ich so jemanden treffen würde, würde ich<br />

mich sofort verlieben.<br />

Sie erwähnen die versteckten Botschaften<br />

in Serges Liedern an Sie. Haben Sie heute<br />

Distanz zu seinen Liedern gewonnen?<br />

JB: Die schönsten Lieder hat er geschrieben,<br />

nachdem ich ihn verlassen habe. Warum<br />

schreiben die Menschen die besten Songs, wenn<br />

sie unglücklich sind? Bei <strong>Lou</strong> war es genauso.<br />

Wie Serge gesagt hat: Der Himmel ist langweilig,<br />

wenn er blau ist. Er mochte Gewitter. Wenn<br />

man glücklich ist, hat man keine Zeit, Lieder zu<br />

schreiben. Wenn man glücklich ist, denkt man<br />

gar nicht daran. Leider realisiert man immer zu<br />

spät, wie glücklich man gewesen ist.<br />

Frau <strong>Birkin</strong>, Sie schwanken wohl immer zwischen<br />

Trauer <strong>und</strong> Glück?<br />

JB: Auf jeden Fall! Ich kann am Morgen ganz<br />

glücklich aufwachen, dann passiert etwas Trauriges<br />

<strong>und</strong> mein Gemütszustand dreht sich um<br />

180 Grad. Das können kleine Dinge wie ein Foto<br />

auslösen. Die meisten Filme sind traurig oder<br />

schön. Oder beides gleichzeitig.<br />

Wie gehen Sie mit diesen Achterbahnfahrt um.<br />

Nr.10<br />

86 87<br />

Nr.10


Morgenmantel Ann Demeulemeester<br />

Tank-Top Dries van Noten<br />

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Top, Tank-Top <strong>und</strong> Hose Céline<br />

Nr.10<br />

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Nr.10


Nr.10<br />

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Nr.10


Wiegen Sie sich gerne in süßer Schwermut?<br />

JB: Es ist nicht falsch, unglücklich zu sein. Und<br />

wenn Sie es sind, dann schalten Sie Gustave<br />

Malot ein <strong>und</strong> werden noch sentimentaler. Warum<br />

darf man nicht unglücklich sein? Morgen<br />

ist wieder ein anderer Tag. Ich wache manchmal<br />

von Albträumen auf, weil ich schreckliche<br />

Unfälle sehe. Aber das Leben, der Lebensweg ist<br />

nie eine Fahrt ins Paradies.<br />

Ist der Weg des Glücks ein langweiliger?<br />

JB: Nimm einfach den Weg, der sich öffnet. Ich<br />

habe es früher geliebt, wenn ich mit meiner<br />

<strong>Mutter</strong> die Fähre verpasst habe. Wir hatten<br />

unerwartet Zeit füreinander <strong>und</strong> das war die<br />

beste Zeit mir ihr. Weil sie spontan, ehrlich <strong>und</strong><br />

ungezwungen war. Nichts läuft so, wie du es<br />

erwartest. Ein Film wird nicht realisiert, eine<br />

Tour wird abgesagt. Dann machst du eben ein<br />

Theaterstück. So bin ich beispielsweise sehr<br />

stolz auf meinen Film „Boxes“.<br />

Dieser Film zeigt eine Familiengeschichte. Sie<br />

spielen selbst mit <strong>und</strong> auch Ihre <strong>Tochter</strong> <strong>Lou</strong>.<br />

Ist die Geschichte autobiografisch?<br />

JB: Der Film handelt von einer <strong>Mutter</strong>-<strong>Tochter</strong>-<br />

Beziehung, gewiss. Es ist aber keine Reflexion<br />

über unsere eigene Geschichte. Es hat Geister<br />

im Film, der Vater taucht auf. „Boxes“ war mein<br />

bester Film bisher. Wenn ich mich in meinen<br />

Filmen selber entfalten kann, ist das w<strong>und</strong>erbar.<br />

„Boxes“ war nicht erfolgreich, aber egal. Wichtig<br />

ist, dass dieser Film existiert.<br />

Was war die größte Herausforderung für Sie<br />

als <strong>Mutter</strong>?<br />

JB: Als <strong>Mutter</strong>? Ich war ja nie nur eine <strong>Mutter</strong>.<br />

<strong>Lou</strong> hatte ihr Kind mit 19 Jahren, genau wie ich<br />

mit John Barry. Dann hat er mich verlassen <strong>und</strong><br />

ich dachte, ich müsste sterben. Ich habe ihn so<br />

begehrt, weil er so talentiert war. Ich ging nach<br />

Amerika <strong>und</strong> spielte im Film „Blow up“ diese<br />

Nacktszene. Das Leben endet nicht, auch wenn<br />

man es manchmal denkt. Ich traf im Anschluss<br />

Serge Gainsbourg <strong>und</strong> mein Leben veränderte<br />

sich erneut komplett. Stellen Sie sich vor, John<br />

Barry hätte mich nicht verlassen. Ich wäre<br />

eine Hausfrau geworden, Suppen kochend <strong>und</strong><br />

immer von der Angst <strong>und</strong> Eifersucht um meinen<br />

Ehemann geplagt.<br />

Ich kann schwer glauben, dass Sie Hausfrau<br />

geworden wären ...<br />

JB: Auf jeden Fall! Ich hätte ein bürgerliches<br />

„Wenn man<br />

glücklich ist,<br />

hat man keine<br />

Zeit, Lieder zu<br />

schreiben.<br />

Wenn man<br />

glücklich ist,<br />

denkt man gar<br />

nicht daran.<br />

Leider realisiert<br />

man immer zu<br />

spät, wie glücklich<br />

man gewesen<br />

ist.“<br />

Leben geführt <strong>und</strong> wäre nie nach Frankreich<br />

gegangen. Ich hatte damals versucht, die perfekte<br />

Hausfrau zu sein. Kein einziger Film wäre je<br />

entstanden. Dann hatte ich mit 25 Jahren meine<br />

zweite <strong>Tochter</strong>, Charlotte - mit Serge zusammen.<br />

Viel später wurde dann <strong>Lou</strong> geboren. Sie ist 16<br />

Jahre jünger als meine erste <strong>Tochter</strong>. Bei <strong>Lou</strong><br />

war ich so glücklich, noch einmal <strong>Mutter</strong> sein<br />

zu können. Nicht wie damals mit 19 Jahren, als<br />

ich selbst noch ein Teenager war. Ich wurde<br />

ehrlicher zu meinen Töchtern, jede hat einen<br />

anderen Vater. Für Kate wollte ich immer beste<br />

Fre<strong>und</strong>in sein, ich wünschte mir so sehr, dass<br />

sie mich liebt, <strong>und</strong> stellte deshalb keine Regeln<br />

auf. Sie fand das verwirrend.<br />

Welche Fehler haben Sie gemacht?<br />

JB: Jedes Kind fragt seine Eltern früher oder<br />

später: Bin ich so geworden, wie ihr mich<br />

wolltet? Es ist eine ständige Sorge, ob man so<br />

wird, wie die Eltern es möchten. Ich habe meine<br />

Kinder immer ermutigt, so zu werden, wie sie<br />

wollen. Nicht für mich, sondern für sich. Ich<br />

war froh, als Charlotte mit zwölf Jahren einen<br />

Part in einem Film bekam. Als Kate Designerin<br />

werden wollte, habe ich ihr die Adresse von<br />

einem Bekannten bei Lanvin gegeben. Jetzt ist<br />

sie Fotografin. Ich musste verstehen, dass sich<br />

meine Töchter selbst ausdrücken wollten <strong>und</strong><br />

nicht wie ich eine Rolle spielen wollten. Ich war<br />

ja nichts! Keine große Sängerin, keine Schauspielerin,<br />

nichts - meine Töchter haben Talent.<br />

Ich war einfach für sie da.<br />

Wie sehr hat Sie Ihr Elternhaus geprägt?<br />

JB: Meine Eltern schickten mich auf ein Internat.<br />

Das war schlimm, aber ich habe sie nie dafür<br />

verantwortlich gemacht. Für meinen Bruder war<br />

es gut. Es ist so wichtig zu berücksichtigen, woher<br />

die Eltern kommen! Meine <strong>Mutter</strong> kam aus<br />

einer Bauernfamilie, sie wollte ein Zuhause <strong>und</strong><br />

entschied sich deshalb für meinen Vater. Obwohl<br />

sie anders war. Mein Vater wollte nie, dass sie<br />

Schauspielerin wird. Er war mit dieser schönen<br />

Frau zusammen, wollte sie für sich allein. Mein<br />

Vater war w<strong>und</strong>ervoll, aber auch egoistisch.<br />

Als er starb, war das furchtbar. Kurz zuvor war<br />

Serge gestorben. Meine <strong>Mutter</strong> ging danach aber<br />

wieder ins Theater, sie wechselte ihren Namen,<br />

hatte eine eigene Show <strong>und</strong> konnte zum Glück<br />

noch 15 Jahre ihres Lebens so sein, wie sie<br />

wirklich war.<br />

Was haben Sie von Ihren Kindern gelernt?<br />

JB: Ich lerne jeden Tag. Ich halte mich zurück,<br />

dass ich nicht zu lange mit ihnen telefoniere. Sie<br />

haben doch ihr eigenes Leben, <strong>und</strong> ich erzähle<br />

dann immer so viel. <strong>Lou</strong> hat mich gelehrt zu<br />

sagen: Ich liebe dich - ohne dass es sich peinlich<br />

anfühlt. Das ist eigentlich sehr amerikanisch,<br />

aber eben auch schön. <strong>Lou</strong> hat es ihrem Vater<br />

gesagt <strong>und</strong> mir auch. Ich musste es wirklich<br />

lernen, ihr das auch zu sagen. Kate hat mir<br />

gesagt: Vergiss die Vergangenheit, rede nicht<br />

mehr davon. Charlotte hat mir gezeigt, wie toll<br />

man sich um seine Kinder kümmern kann.<br />

Alle Mütter wollen Liebe geben - aber ich habe<br />

meinen Kindern auch Liebe gegeben, weil sie<br />

mir selbst gefehlt hat.<br />

Sind Sie eine bessere Großmutter als <strong>Mutter</strong>?<br />

JB: Als ich mit meinen Enkelkindern in den Ferien<br />

war, haben wir Piraten <strong>und</strong> Indianer gespielt.<br />

Ich war so glücklich wie noch nie - weil ich<br />

selbst wieder Kind wurde. So schließt sich der<br />

Kreis. Ich will in diesem Sommer die Kinder <strong>und</strong><br />

Enkelkinder in mein Haus in Britney nehmen<br />

<strong>und</strong> am liebsten nur noch Piraten <strong>und</strong> Indianer<br />

mit ihnen spielen. Wie bei Peter Pan.<br />

Make-up: Damian Garozzo @ Jed Root<br />

Haare: Vinz for Leonor Greyl<br />

Foto-Assistenz: Baptiste Mourrieras<br />

Styling-Assistenz: Naoko Soeya<br />

Besonderen Dank an Saif <strong>und</strong> Alex @ Next Paris<br />

Morgenmantel<br />

Ann Demeulemeester<br />

Tank-Top Dries van Noten<br />

Hose Céline<br />

Nr.10<br />

92


Mütze Wanda Nylon<br />

Hosenanzug Jil Sander<br />

Mantel Balmain<br />

links:<br />

Jumpsuit dstm<br />

Lederjacke Saint Laurent Paris<br />

Gürtel Maison Martin Margiela<br />

I can’t help about the shape I’m in,<br />

I can’t sing, I ain’t pretty, and my legs are thin.<br />

— Fleetwood Mac<br />

Fotos: Irina Gavrich<br />

Styling: Felix Leblhuber<br />

Nr.10 94


Hut Thomas Wylde<br />

Pullover Brunello Cucinelli<br />

links:<br />

Hut Thomas Wylde<br />

Lederjacke Givenchy<br />

Hose Céline


Bluse Petar Petrov<br />

Hose Céline<br />

rechts:<br />

Hemdkleid MM6<br />

Ledergilet Stylist’s own


Hut Thomas Wylde<br />

Kleid Rick Owens<br />

Bluse Céline<br />

links:<br />

Brille Mykita<br />

T-Shirt Maison Martin Margiela<br />

Hose Sonia Rykiel<br />

Schuhe MM6<br />

Haare & Make-up:<br />

Christine Sutterlüty<br />

@ Monika Leuthner<br />

Model :<br />

Stella @ Wiener Models


ed riding hood<br />

„Are you sure we should be<br />

driving like this?“ „No we shouldn’t, but I<br />

want to put some distance between us and<br />

the scene of our last god damn crime!“<br />

– Thelma & <strong>Lou</strong>ise<br />

Fotos: Irina Gavrich<br />

Styling: Felix Leblhuber<br />

Brille Ray Ban<br />

Badeanzug American Apparel


Sonnenbrille Marc Jacobs<br />

Bikini Bottega Veneta<br />

rechts:<br />

Badeanzug Lick My Legs<br />

Socken American Apparel<br />

Schuhe Petar Petrov<br />

Pelz Petar Petrov


Hut Saint Laurent Paris<br />

Sonnenbrille Marc Jacobs<br />

Bikini American Apparel<br />

links:<br />

Bikini Gucci


T-Shirt Schiesser<br />

Bikini Höschen Isabel Marant<br />

Boots Petar Petrov<br />

rechts:<br />

Bikini Emilio Pucci


Sonnenbrille Giorgio Armani<br />

Badeanzug American Apparel<br />

rechts:<br />

Bikini Stella McCartney<br />

Haare <strong>und</strong> Make-up Patrick Glatthaar<br />

Model Marina@ Stella Models<br />

Motorrad BMW R 1200 R<br />

Besonderer Dank an Net-a-porter, Be a good girl


kunst<br />

Gezeichnet von einem sexuellen Kindheitstrauma,<br />

bei dem er den missglückten Start<br />

einer Rakete beobachtet, entwickelt Wendelin<br />

Rentzsch-Tetzlaff, genannt Wendy, eine ins Obsessive<br />

gesteigerte Sammelleidenschaft. Er emigriert<br />

1944 von Deutschland nach Amerika <strong>und</strong> leidet zu<br />

diesem Zeitpunkt unter einer ausgeprägten Anorgasmie<br />

– er kann nicht kommen. Ein Leiden, das<br />

sein Leben bestimmen wird. Als Kompensation<br />

beginnt er mit dem Kauf von Kunstgegenständen,<br />

die alle eines gemeinsam haben: Sie zeigen einen<br />

Penis. Im Laufe der Jahrzehnte entsteht eine<br />

umfangreiche auf Phalli ausgerichtete Sammlung.<br />

Anhand der Gemälde, Fotografien <strong>und</strong> Plastiken,<br />

die auf die großen Werke von der klassischen Moderne<br />

bis in die Gegenwartskunst anspielen, wird<br />

der Leser des Buchs „Der phantastische Phallus“<br />

durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

geführt <strong>und</strong> begleitet Rentzsch-Tetzlaff bei seiner<br />

verzweifelten Suche nach dem finalen ästhetischen<br />

Wurf.<br />

Christoph Steinbrener <strong>und</strong> Thomas Mießgang<br />

geht es mit ihrem fiktiven Ausstellungspenis<br />

blues<br />

Interview: Mirna Funk<br />

Abbildungen: Christoph Steinbrener & Thomas Mießgang<br />

Der Psychoanalytiker<br />

Jacques Lacan<br />

sah den Penis<br />

als Symbol für ein<br />

unerfülltes Begehren.<br />

Christoph<br />

Steinbrener <strong>und</strong><br />

Thomas Mießgang<br />

haben ihm mit<br />

dem fiktiven Ausstellungskatalog<br />

„Der phantastische<br />

Phallus“ ein kunstgeschichtliches<br />

Denkmal gesetzt.<br />

katalog „Der phantastische Phallus“ natürlich<br />

nicht nur um das Einzelschicksal eines fiktiven<br />

Sammlers, sondern auch um eine Persiflage auf<br />

den Kunstzirkus <strong>und</strong> darüber hinaus auf besessene<br />

Sammler, deren Leidenschaft in Wahrheit<br />

wohl eher ein Fetisch ist, der etwas kompensiert,<br />

das nichts mit Kunst zu tun hat.<br />

Sie schreiben: „14 Meter vertikaler Vernichtungswille“<br />

– also der Start einer Rakete –<br />

führen nicht zum gewünschten Ergebnis <strong>und</strong><br />

traumatisieren Wendelin Rentzsch-Tetzlaff<br />

nachhaltig. Welches Trauma führte bei Ihnen<br />

beiden zu der Idee, einen fiktiven Ausstellungskatalog<br />

zu entwerfen, der ausschließlich<br />

Penisse beinhaltet?<br />

Christoph Steinbrener: Die Idee hat mit meiner<br />

künstlerischen Arbeit zu tun. Mich hat schon<br />

immer die Idee des Fakes <strong>und</strong> der Täuschung<br />

interessiert. Angeregt wurde das Ganze durch<br />

unsere Verlegerin. Sie hatte ein witziges Video<br />

gesehen, in dem ein ehemaliger Tate-Modern-<br />

Direktor die klassische Kunstgeschichte bis zum<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>ert anhand von Penissen erläutert.<br />

Beides zusammen produzierte die Idee des<br />

Buches.<br />

Thomas Mießgang: Bei mir war tatsächlich ein<br />

kleines Trauma der Anlass. Ich habe ein paar<br />

schlechte Erfahrungen mit dem Kunstbetrieb gemacht<br />

<strong>und</strong> dachte mir: Na wenn das so ist, dann<br />

schreibe ich mal eben die Kunstgeschichte um.<br />

Diese Vorstellung hat mich sofort begeistert.<br />

Glauben Sie, dass der Kauf von Kunst generell<br />

„ein probates Gegengift ist, wenn die Patina der<br />

Provinz sich an langen Winterabenden über<br />

das eigene Leben legt“?<br />

TM: Bei uns legt sich die Patina über die große<br />

Metropole Wien. Wir sind also nicht in der Provinz,<br />

aber das Kaufen von Kunst ist mittlerweile<br />

überall chic geworden. Man gewinnt häufig den<br />

Eindruck, dass manche Leute aus irgendwelchen<br />

Gründen zu viel Geld haben <strong>und</strong> dann anfangen<br />

Kunst zu erwerben, ohne ein rechtes Verständnis<br />

zu ihr zu entwickeln. Zeitgenössische Kunst ist<br />

in den letzten 10 bis 15 Jahren hip geworden, man<br />

tummelt sich gern in der Szene. Früher war das<br />

eher eine Angelegenheit der Spezialisten <strong>und</strong> der<br />

leidenschaftlichen Connaisseure. Es geht also um<br />

einen Strukturwandel des ganzen Milieus, um<br />

ein völlig neues Verhältnis der Öffentlichkeit zu<br />

dem, was Kunst sein kann <strong>und</strong> will.<br />

Wie entstand die Figur des Rentzsch-Tetzlaff ?<br />

TM: Für den Namen stand der bekannte Fotograf<br />

Albert Renger-Patzsch Pate: Also, Rentzsch. Die<br />

Idee war, dass ein Deutscher, der sich während<br />

des nationalsozialistischen Regimes längst in<br />

der inneren Immigration befindet, nach Amerika<br />

flüchtet. Dann stellte sich natürlich die Frage: Wo<br />

soll der landen? In New York, in Los Angeles?<br />

Nee, er soll lieber in der Provinz ankommen.<br />

So entschied ich mich für die Stadt Allentown<br />

in Pennsylvania, die ich auf der Landkarte fand<br />

<strong>und</strong> in der ich mich persönlich nie aufgehalten<br />

habe. Die Figur war also zuerst nur eine vage<br />

Vorstellung. Nachdem sie einen Namen hatte,<br />

wurde sie schon plastischer. Dann verliehen wir<br />

Wendelin noch einen Körper, indem wir ein seltenes<br />

Porträt aus einem Fotoarchiv herauspickten.<br />

So bekam die Sammlerpersönlichkeit nach <strong>und</strong><br />

nach Konturen <strong>und</strong> begann, ein Eigenleben<br />

zwischen den Zeiten <strong>und</strong> den Kontinenten zu<br />

entwickeln.<br />

Für den französischen Philosophen <strong>und</strong><br />

Psychoanalytiker Lacan steht der Phallus als<br />

Signifikant für das Begehren <strong>und</strong> zugleich<br />

für dessen Unerfüllbarkeit. Kann mit dieser<br />

Theorie Wendelin Rentzsch-Tetzlaffs „qualvolle<br />

Obsessivität“ erklärt werden?<br />

TM: Im Kern dieser Figur stecken natürlich die<br />

Unerfüllbarkeit <strong>und</strong> der Mangel. Es geht um<br />

das immer wieder in die Zukunft verschobene<br />

Begehren, das nie vollständig befriedigt werden<br />

kann. Wendelin <strong>und</strong> wahrscheinlich wir alle<br />

versuchen, dieses Defizit durch Sublimierungen<br />

aller Art zu kompensieren, <strong>und</strong> bringen damit<br />

jene Gr<strong>und</strong>energie auf, die den Menschen auf<br />

seinem Lebensweg davon abhält, sich gleich<br />

umzubringen. Man verliert sich in Geschäften<br />

<strong>und</strong> Aktivitäten, die einen auf Trab halten <strong>und</strong><br />

davon ablenken, dass die Existenz im Kern sinnlos<br />

ist. Es gibt den schönen Satz: Die Hoffnung<br />

stirbt zuletzt. Man denkt immer, dass das Sein<br />

irgendwann doch mit Erfüllung belohnt wird –<br />

auch wenn man im Innersten weiß, dass das nie<br />

stattfinden wird. Bei Wendelin Rentzsch-Tetzlaff<br />

kommt dann noch eine sehr spezifische Problematik<br />

hinzu: Er versucht seine Anorgasmie<br />

durch das Sammeln von phallischen Kunstwerken<br />

zu bekämpfen – natürlich vergeblich.<br />

Dieser Erfolg ist Wendelin Rentzsch-Tetzlaff<br />

auch nicht vergönnt. Er leidet unter einer chro-<br />

Nr.10<br />

112 113<br />

Nr.10


„Jeder einzelne<br />

Phallus für sich<br />

ist noch nicht<br />

fantastisch, aber<br />

in ihrer Kombination<br />

ergibt sich<br />

ein grandioser<br />

Über-Penis.“<br />

nischen Sexualneurose, die sein Lustempfinden<br />

beschädigt <strong>und</strong> ihn dazu zwingt, obsessiv<br />

Objekte anzuhäufen. Ein Teufelskreislauf, der<br />

dazu führt, dass seine Sammlung immer unvollständig<br />

bleiben muss. Auch den Lesern des<br />

Buches wird nur ein Teil der Kollektion präsentiert.<br />

Absicht oder Weitergabe des Traumas?<br />

CS: Wir wollten ein Teil des Geheimnisses lüften,<br />

aber nicht das gesamte Geheimnis preisgeben.<br />

Man könnte sagen, dass es sich um die Verschiebung<br />

des frustrierten Begehrens in den Bereich<br />

der Buchproduktion handelt. Wir wollten noch<br />

etwas offenlassen, das in Zukunft vielleicht<br />

enthüllt wird - oder auch nicht. Die Dialektik<br />

von Verbergen <strong>und</strong> Enthüllen ist doch eine ganz<br />

wesentliche existenzielle Achse.<br />

War das Schreiben des Buches <strong>und</strong> der<br />

kreative Prozess, der damit einherging, für Sie<br />

– genau wie für Wendy das Sammeln der Phalli<br />

– ein therapeutischer Selbsthilfeversuch?<br />

TM: Nun, jetzt wäre ich als Autor aufgefordert,<br />

die eigenen Probleme <strong>und</strong> Traumata zu<br />

enthüllen. Das möchte<br />

ich lieber nicht. Aber ich<br />

glaube schon, dass jede<br />

Form des Schreibens<br />

einen therapeutischen<br />

Aspekt hat. Es sei denn,<br />

es handelt sich um reine<br />

Gebrauchstexte, was<br />

bei diesem Buch nicht<br />

der Fall war. Natürlich<br />

schreibt man sich<br />

selbst, seine Defizite <strong>und</strong><br />

das eigene unerfüllte<br />

Begehren in den Text<br />

ein. Und die Tatsache,<br />

dass man Buchstaben<br />

<strong>und</strong> Sätze hinterlässt, die<br />

dann gedruckt werden,<br />

entfaltet sicher eine heilende<br />

Kraft. Letztendlich<br />

bleiben wir Künstler <strong>und</strong><br />

Autoren jedoch genauso unerlöst wie Wendy. Das<br />

ist die traurige Wahrheit.<br />

Gibt es etwas, dass Sie während der Buchentwicklung<br />

über Penisse gelernt haben, das Sie<br />

vorher nicht wussten?<br />

TM: Ja, dass der Fleischpenis weniger bedeutungsvoll<br />

ist als der Fettpenis! Ich bin mir bis<br />

heute nicht darüber im Klaren, ob ich über einen<br />

Fettpenis, einen Blutpenis oder einen Fleischpenis<br />

verfüge. Ich kann somit die Form meines<br />

Penis nicht interpretieren. Auf jeden Fall waren<br />

mir die Erkenntnisse der georgischen Genitalleserin<br />

Martha Olschewski neu.<br />

Kritiker könnten das Buch antifeministisch<br />

nennen. Was würden Sie ihnen entgegnen?<br />

TM: Wir wussten schon, dass sich da eine<br />

gefährliche Front auftun könnte <strong>und</strong> haben<br />

uns, mit viel Judith Butler <strong>und</strong> Luce Irigaray im<br />

Gepäck, gewappnet. Unerwarterweise haben<br />

wir jedoch aus einer ganz anderen Ecke viel<br />

Beifall bekommen: aus dem Schwulenmilieu. Ja,<br />

man könnte fast sagen, dass „Der phantastische<br />

Phallus“ ein Kultbuch, na ja Kultbüchlein der<br />

Schwulenszene geworden ist. Obwohl wir beide<br />

ja langweiligerweise hetero, also nicht einmal<br />

metrosexuell sind.<br />

Was macht denn einen fantastischen Phallus<br />

aus?<br />

CS: Dass er nur eine Halluzination, eine Wunschvorstellung,<br />

eine Illusion ist. Der Phallus ist per<br />

definitionem gebrechlich, unvollständig, den Launen<br />

des Begehrens unterworfen. Wer kann schon<br />

von sich behaupten, dass er auf Zuruf die Härte<br />

eines „diamond dick“ zu produzieren imstande<br />

ist? Es sei denn, er nimmt Viagra. Aber das ist<br />

eine Spielregelverletzung.<br />

TM: Den fantastischen Phallus kann man sich<br />

nur als Kombination zahlreicher defizitärer<br />

Glieder vorstellen, die erst im Zusammenwirken<br />

übermenschliche Potenz erhalten. Es geht zum<br />

einen um die stählerne Durchschlagskraft, zum<br />

anderen um das diskrete Agieren eines Phallus,<br />

der aus dem Hinterhalt agiert, oder um eine<br />

konstruktivistisch inspirierte Formschönheit.<br />

Jeder einzelne Phallus für sich ist noch nicht<br />

fantastisch, aber in ihrer Kombination ergibt sich<br />

ein grandioser Über-Penis, der so in der Wirklichkeit<br />

gar nicht existieren kann. Er ist eine,<br />

zugegeben maskuline, Wunschprojektion. Um es<br />

mit dem Dichter Ernst Jandl zu sagen: „Phallus<br />

klebt allus.“<br />

Der phanTASTISChe phALLUS von Christoph Steinbrener<br />

<strong>und</strong> Thomas Mießgang, 96 Seiten mit 34 Bildern,<br />

ist bei Rogner & Bernhard, Berlin, erschienen.<br />

Nr.10 114


der Körper<br />

Interview: Katharina Finke<br />

Foto: Debora Mittelstaedt<br />

Die schriftstellerin<br />

MARIE<br />

DARRIEUSSECQ<br />

über sexualität <strong>und</strong><br />

die weibliche<br />

kraft des Körpers.<br />

Marie Darrieussecq hat mit ihrem neuen Buch<br />

„Prinzessinnen“ einen umstrittenen Roman über<br />

eine junge Frau geschrieben, die in den achtziger<br />

Jahren in der Provinz ihre Sexualität entdeckt.<br />

Für unsere Rubrik „Der Körper“ haben wir mit<br />

der französischen Intellektuellen über Erektionen,<br />

fickende Tiere <strong>und</strong> ihre Falten gesprochen.<br />

Frau Darrieussecq, Ihr neuer Roman „Prinzessinnen“<br />

beschäftigt sich mit der Zeit nach der<br />

sexuellen Emanzipation – warum?<br />

Marie Darrieussecq: In den Achtzigern sind<br />

unerhörte Dinge passiert. Die Perspektive der<br />

Frau war komplett neu: Wer befreit, cool <strong>und</strong><br />

weiblich sein wollte, musste auf einmal schon<br />

beim ersten Mal absolute Lust empfinden. Dabei<br />

galt zuvor doch, dass man Jungfrau <strong>und</strong> möglichst<br />

unbefangen sein sollte. Wir wussten, dass<br />

das erste Mal wehtun würde, dass man blutet.<br />

Wie passte das zusammen mit unbändiger Lust?<br />

Das war alles sehr interessant <strong>und</strong> verwirrend<br />

zugleich.<br />

Wie sind Sie mit dieser Verwirrung umgegangen?<br />

MD: Ich machte mich – genau wie meine<br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Solange, die Protagonistin des Buches<br />

– auf die Suche nach Informationen über<br />

Sexualität. Das war gar nicht so einfach. Ein<br />

bisschen was fanden wir in Magazinen. Meiner<br />

<strong>Mutter</strong> war es peinlich über Sexualität zu reden.<br />

Ich hatte zwar das Glück, dass sie offen mit mir<br />

über Verhütung sprach, doch das klang alles<br />

sehr klinisch.<br />

Sind Ihre Beschreibungen im Buch deswegen<br />

auch so unvermittelt?<br />

MD: Ja, denn so war die Sprache der 80er-Jahre.<br />

Damals wurden wir Frauen auf unseren Körper<br />

reduziert. Fast wie Roboter, die funktionieren<br />

müssen. Vor allem auf dem Land war es brutal.<br />

Ich wuchs auf, umgeben von fickenden Kühen,<br />

H<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Enten.<br />

Wie waren die Reaktionen auf Ihr Buch in<br />

Frankreich?<br />

MD: Viele Leser waren schockiert, wie oft ich<br />

das Wort „Schwanz“ verwende. Dabei sage nicht<br />

ich es, sondern Solange. Sie würde niemals<br />

„Penis“ sagen. Kein Teenager tut das. Heutzutage<br />

stört man sich scheinbar eher an der Sprache<br />

als am Inhalt. Zwar ist Sex durch das Internet<br />

jederzeit verfügbar geworden. Kurioserweise<br />

hat man aber dennoch Angst vor unverblümter<br />

Ausdrucksweise.<br />

Wieso war das in den 80ern anders?<br />

MD: Sex <strong>und</strong> Liebe wurden damals komplett<br />

voneinander getrennt. Das sieht man auch in<br />

den Filmen von damals. Beispielsweise in „9 ½<br />

Wochen“ von Adrian Lyne: 3 Monate mit einem,<br />

dann 3 Monate mit einem anderen Mann, so<br />

sollte man es machen. Aber wir waren junge<br />

Mädchen, die sich verlieben wollten <strong>und</strong> dies<br />

auch taten. Dadurch entdeckten wir die Realität<br />

von Sex, dass er komplex, persönlich <strong>und</strong><br />

romantisch sein kann.<br />

Gab es denn gar keinen Raum für die Liebe?<br />

MD: Doch. In den Pop-Songs von Michael<br />

Jackson, The Cure <strong>und</strong> Kim Wilde. Aber wir<br />

Frauen waren mit der neuen Freiheit erst einmal<br />

überfordert. Wir konnten Sex haben, ohne<br />

schwanger zu werden, ohne heiraten oder uns<br />

verlieben zu müssen. Wir waren Pioniere. Ich<br />

erinnere mich, dass ich sehr verknallt war in<br />

meinen ersten Liebhaber <strong>und</strong> es mir bei ihm<br />

nicht nur um Sex ging. Aber er verhielt sich wie<br />

in den Filmen: traf andere Frauen <strong>und</strong> sagte mir,<br />

ich solle das Gleiche machen <strong>und</strong> nicht eifersüchtig<br />

sein. Als ich das dann versuchte, wurde<br />

er sauer. Beziehungen sind nun mal komplex.<br />

Damals wie heute.<br />

Wie haben Sie Ihre eigene Sexualität entdeckt?<br />

MD: Ich war eine sehr freie Frau, hatte viele<br />

Männer <strong>und</strong> habe es genossen. Dabei habe ich<br />

viel gelernt. Je älter man wird, desto besser ist<br />

es. Sex ist großartig, aber es gab Momente in<br />

meinem Leben, da wollte ich einfach nur mit<br />

einem Mann zusammen sein. Manchmal konnte<br />

ich Sex <strong>und</strong> Liebe trennen <strong>und</strong> manchmal hat<br />

mich die Liebe überkommen. Aber ich bin sehr,<br />

sehr dankbar dafür, dass ich durch die Verhütung<br />

die Freiheit hatte, diese vielen Erfahrungen<br />

mit meinem Körper zu machen.<br />

Gibt es etwas, womit Sie Probleme hatten?<br />

MD: Ja, mit den sexistischen Unterschieden.<br />

Zum Beispiel, dass die männliche Erektion<br />

positiv konnotiert ist, die weibliche aber nicht.<br />

Das ist in den verschiedenen Sprachen so. Auf<br />

„Ich wuchs<br />

auf, umgeben<br />

von fickenden<br />

Kühen, H<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> Enten.“<br />

Französisch gibt es beispielsweise den Ausdruck<br />

„c’est bandant“, was so viel bedeutet wie „eine<br />

Erektion haben“, aber auch verwendet wird, um<br />

zu sagen, „das ist großartig“. Bei Frauen ist das<br />

ganz anders. Sie sagen niemals öffentlich „ich<br />

bin feucht“ <strong>und</strong> wenn sie das sagen, dann ist es<br />

negativ konnotiert. Wieso eigentlich? Es ist total<br />

gut zu sagen, dass man feucht ist, finde ich. Das<br />

ist die weibliche Freude.<br />

Was haben Sie heute für ein Verhältnis zu<br />

Ihrem Körper?<br />

MD: Heute, mit 44 Jahren <strong>und</strong> mit drei Kindern,<br />

habe ich ein sehr gutes: ich fühle mich absolut<br />

wohl. Früher als junges Mädchen habe ich<br />

andauernd gehungert, weil ich dachte, ich sei<br />

zu dick. Das war lächerlich. Aber ich glaube,<br />

das ist ziemlich normal. Die meisten jungen<br />

Mädchen wollen so aussehen wie die dürren<br />

Models. Nachdem ich Kinder bekommen hatte,<br />

war ich aber sehr stolz auf meinen Körper, stolz<br />

auf die weibliche Kraft meines Körpers. Selbst<br />

mit zunehmendem Alter mag ich meinen Körper<br />

sehr. Denn man kann auch eine sehr schöne alte<br />

Frau mit grauen Haaren sein. Ich werde sie nicht<br />

färben <strong>und</strong> auch nichts gegen meine Falten tun.<br />

Aber ich bin schließlich auch Schriftstellerin<br />

<strong>und</strong> keine Schauspielerin.<br />

Wie können Frauen lernen, sich in ihrem<br />

Körper wohlzufühlen?<br />

MD: Indem sie erkennen, was ihre weibliche<br />

Kraft ausmacht. Zum Beispiel das Verhältnis zur<br />

Periode <strong>und</strong> dem damit verb<strong>und</strong>enen Blut. Als<br />

ich jünger war, fand ich es eklig, was wahrscheinlich<br />

auch normal ist, denn es ist ein Körpersekret,<br />

an das man sich erst mal gewöhnen<br />

muss. Aber wenn man sich überlegt, dass dieses<br />

Blut Leben geben kann, sollten Frauen stolz<br />

darauf sein. Es ist eine w<strong>und</strong>erschöne weibliche<br />

Kraft. Außerdem wird es irgendwann aufhören.<br />

Deswegen sollte man das Beste daraus machen,<br />

eine Frau zu sein. Vor allem hier in Deutschland,<br />

wo man das noch kann.<br />

Was meinen Sie damit?<br />

MD: Ich reise sehr viel <strong>und</strong> erlebe immer<br />

wieder, wie schwer es Frauen in ihrem Leben<br />

haben. Kürzlich war ich in Kamerun, wo Frauen<br />

sehr vielen Zwängen unterliegen. Ganz anders<br />

als hier, wo wir frei sprechen, handeln <strong>und</strong> Sex<br />

haben können. Wir können uns so glücklich<br />

schätzen. Aber manchmal habe ich das Gefühl,<br />

dass die Frauen von heute das vergessen haben.<br />

Deswegen: Hört auf zu hungern, habt Mut „Nein“<br />

zu sagen <strong>und</strong> nutzt euer Potenzial als Frau!<br />

MARIE DARRIEUSSECQ wurde 1969 in Bayonne,<br />

Frankreich, geboren. Für das Literaturwissenschafts-<br />

Studium ging sie nach Paris, wo sie seitdem wohnt.<br />

In Deutschland wurde sie 1997 durch ihren kontroversen<br />

Roman „Schweinerei“ berühmt. Gerade ist ihr<br />

neustes Buch „Prinzessinnen“ – eine Kombination aus<br />

Fiktion <strong>und</strong> autobiografischen Elementen – bei Hanser<br />

erschienen.<br />

Nr.10<br />

116 117<br />

Nr.10


eportage<br />

Text: Michael Obert<br />

Fotos: Jan Grarup<br />

spiel auf leb en <strong>und</strong> tod<br />

Frauen, die Basketball spielen?<br />

Eigentlich die normalste<br />

Sache der Welt. Nicht so in<br />

Mogadischu, der Hauptstadt<br />

Somalias. Dort riskieren<br />

junge Frauen für ihre Leidenschaft<br />

ihr Leben.<br />

Mit Riesenschritten jagt Suweys über das Feld,<br />

spielt den Ball von der einen in die andere Hand,<br />

zwischen den Beinen hindurch, einmal vor,<br />

einmal hinter dem Körper. Mühelos dribbelt sie<br />

die letzte Gegnerin aus <strong>und</strong> setzt zum Sprung<br />

an. Für einen Moment scheint sie in der Luft zu<br />

schweben – die Kapitänsfrau des somalischen<br />

Nationalteams, 21 Jahre alt, 1,90 groß, hellblaues<br />

Trikot, Kopftuch, ein Lächeln im Gesicht; dann<br />

drückt sie den Ball von oben in den Korb.<br />

Kürzlich sorgte Suweys’ Team für die größte<br />

Überraschung der All Arab Games in Qatar:<br />

Die bis dahin völlig unbekannten somalischen<br />

Basketballerinnen errangen mehrere Siege.<br />

Zu Hause in Mogadischu, der kriegszerstörten<br />

Hauptstadt Somalias, riskieren sie für ihre<br />

Leidenschaft ihr Leben – <strong>und</strong> glauben fest<br />

daran, dass Basketball am Horn von Afrika einen<br />

wichtigen Beitrag auf dem Weg zum Frieden<br />

leisten kann.<br />

Vor dem Trainingsplatz in Mogadischu<br />

patrouillieren Panzerwagen. Am Eingang ist ein<br />

Maschinengewehr aufgebockt. Auf den umliegenden<br />

Dächern stehen Männer in Kampfanzügen –<br />

Kalaschnikows im Anschlag, Munitionsgurte um<br />

die Brust. Sie sollen Suweys <strong>und</strong> ihre Mitspielerinnen<br />

schützen. Denn die Basketballerinnen<br />

stehen auf der Todesliste von al-Schabab, einer<br />

islamistischen Miliz, die sich kürzlich offiziell mit<br />

Nr.10<br />

Nr.10


eportage<br />

dem Terrornetzwerk al-Qaida verbündete <strong>und</strong><br />

weite Teile Somalias kontrolliert.<br />

„Erst letzte Nacht haben sie mich wieder<br />

angerufen“, sagt Suweys am Morgen vor dem<br />

Training im einstöckigen Haus ihrer Familie.<br />

„Die Männerstimme brüllte: Hör auf zu spielen,<br />

du Dreckstück, sonst knallen wir dich ab.“ Al-<br />

Schabab legt Bomben unter Marktstände, jagt<br />

Kinos in die Luft <strong>und</strong> liefert sich blutige Gefechte<br />

mit der afrikanischen Friedensmission Amisom,<br />

12.000 bis an die Zähne bewaffnete Soldaten aus<br />

Uganda <strong>und</strong> Bur<strong>und</strong>i. Wer nicht dem f<strong>und</strong>amentalistischen<br />

Weltbild der Islamisten entspricht,<br />

landet auf der Abschussliste ihrer Killerkommandos.<br />

Weit oben: Suweys <strong>und</strong> ihr Team.<br />

Denn al-Schabab hält Basketball für eine Todsünde.<br />

Erst recht wenn es von Frauen gespielt<br />

wird, die für die Islamisten eine Daseinsberechtigung<br />

bestenfalls als Mütter ihrer Söhne<br />

haben. Und dann auch noch Basketball! Der<br />

Nationalsport des Todfeindes Amerika! Wenn es<br />

nach al-Schabab ginge, würden den Spielerinnen<br />

die rechte Hand <strong>und</strong> der linke Fuß abgesägt.<br />

Oder sie würden einfach erschossen. „Ich höre<br />

nicht auf! Auf keinen Fall!“, sagt Suweys <strong>und</strong><br />

lässt beim Sprechen ihre feingliedrigen Finger<br />

knacken. „Ohne Basketball wäre mein Leben<br />

sowieso vorbei.“<br />

Als Suweys ein Jahr alt war, legte ihr Vater<br />

ihr einen Basketball ins Bettchen. Kurz darauf<br />

wird der Regierungssoldat im Bürgerkrieg<br />

erschossen. Die kleine Suweys lässt den Ball<br />

tagelang nicht los, krabbelt überall mit ihm herum,<br />

schläft mit ihm ein <strong>und</strong> wacht mit ihm auf.<br />

Der Ball wird ihr bester Fre<strong>und</strong>. Noch bevor sie<br />

richtig gehen kann, wirft sie ihn in die Luft <strong>und</strong><br />

fängt ihn wieder auf. Schon als kleines Mädchen<br />

wusste sie: „Ich werde Basketballerin. Die beste<br />

der Welt.“ Basketball ist Suweys’ große Leidenschaft,<br />

ihr Lebenselixier. „Ich mag, wie sich der<br />

Ball in der Hand anfühlt“, sagt sie, während sie<br />

zu Hause ihre Trainingssachen richtet. „Ich mag<br />

die Spannung in den Oberschenkeln, wenn du<br />

zum Sprung ansetzt.“<br />

Die hübsche junge Frau mit den vorspringenden<br />

Wangenknochen <strong>und</strong> der ruhigen Stimme<br />

wohnt mit ihrer <strong>Mutter</strong> <strong>und</strong> ihrer Schwester<br />

in einem kleinen Haus mit vergitterten Fenstern<br />

in einem von Granaten zerschossenen Viertel<br />

von Mogadischu. An den Wänden ihres Zimmers<br />

wuchern Schimmelflecken, die aufgeweichte<br />

Decke hängt herunter, am Boden liegt eine aufgeplatzte<br />

Matratze.<br />

Suweys trägt einen hellblauen Trainingsanzug<br />

mit weißen Streifen. Auf dem Rücken<br />

ihres Trikots steht Somalia. Bevor sie sich zum<br />

Training aufmacht, zieht sie ihr langes orangefarbenes<br />

Gewand über <strong>und</strong> benutzt das Display<br />

ihres Handys als Spiegel, um zu überprüfen, ob<br />

auch wirklich nichts mehr von ihrem Sportdress<br />

zu sehen ist. Ihre Turnschuhe versteckt sie in<br />

einer Plastiktüte, wie sie einheimische Frauen oft<br />

für Marktgänge benutzen. „Wenn sie mich unterwegs<br />

mit den Sportsachen erwischen, bringen<br />

sie mich um.“<br />

Suweys Weg führt durch ein völlig zerstörtes<br />

Mogadischu. Nach über 20 Jahren Bürgerkrieg<br />

<strong>und</strong> erbittertem Häuserkampf sieht das „Stalingrad<br />

Afrikas“ aus wie eine gewaltige archäologische<br />

Grabungsstätte. Zweieinhalb Millionen<br />

Menschen fristen ein Dasein in Ruinen. Ohne<br />

Strom, ohne sauberes Trinkwasser, ohne Müllabfuhr<br />

<strong>und</strong> ausreichende medizinische Versorgung.<br />

In einer Stadt, in der man beim Gemüsehändler<br />

um die Ecke für ein paar H<strong>und</strong>ert Dollar eine<br />

Panzerfaust kaufen kann <strong>und</strong> ausgefranste<br />

schwarze Flecken die letzten Bombenanschläge<br />

markieren. Immer wieder krachen Schüsse.<br />

Seit Rebellen 1991 den Diktator Siad Barre stürzten,<br />

gibt es im ostafrikanischen Somalia keine<br />

funktionierende Zentralregierung mehr. Nach<br />

dem Sieg der Warlords über den verhassten<br />

General zerfielen die großen Clans in Dutzende<br />

von Subclans. Ihre Milizen zerfleischten sich<br />

gegenseitig, trieben das Land immer tiefer ins<br />

Chaos <strong>und</strong> verwandelten Mogadischu, bis dahin<br />

eine wohlhabende Handelsstadt am Indischen<br />

Ozean, in eine Geröllwüste. Bis zu eine Million<br />

Tote hat dieser Krieg bisher gefordert.<br />

Der Trainingsplatz wird „Ex-Lugino“<br />

genannt, ein Relikt aus der italienischen Kolonialzeit.<br />

Das Spielfeld ist von Granaten verschrammt,<br />

die Tribüne von Kugelhagel zernagt. Die umliegenden<br />

Häuser sind zerbombt, riesige Stücke<br />

aus der Fassade gerissen, Fenster <strong>und</strong> Balkone<br />

zerschossen. Ganze Gebäudeteile sind unter<br />

Artilleriebeschuss eingestürzt.<br />

In dieser Arena des Schreckens wirken<br />

Suweys <strong>und</strong> ihre Kolleginnen in ihren langen<br />

bunten Gewändern wie ein Schwarm tropischer<br />

Vögel. Ihr Team heißt Horseed – zu Deutsch<br />

etwa: Vorhut oder Speerspitze. Sie werfen ihre<br />

Plastiktüten auf die Ränge, legen die Gewänder<br />

ab <strong>und</strong> darunter kommen ihre Trikots, ihre<br />

Sporthosen <strong>und</strong> Stutzen zum Vorschein. Einige<br />

Mädchen bleiben selbst beim Training komplett<br />

verhüllt, ihre Gesichtsschleier lassen nur einen<br />

Augenschlitz frei. Sie kommen aus Gebieten,<br />

die von al-Schabab kontrolliert werden. Zu<br />

Hause sagen sie, sie gingen zur Schule oder eine<br />

Fre<strong>und</strong>in besuchen. Ihre Eltern wissen nicht,<br />

dass sie Sport treiben. „Mein Vater würde mich<br />

steinigen.“<br />

Der Sportplatz gleicht einer Festung:<br />

Sandsäcke, Stacheldraht, Maschinengewehre,<br />

Kalaschnikows. Selbst auf den umliegenden Dächern<br />

sind Männer mit Schnellfeuergewehren<br />

positioniert. Es sind Polizisten, Soldaten oder<br />

Angehörige privater Milizen, bezahlt von der somalischen<br />

Übergangsregierung, die um ein Stück<br />

Normalität in Zeiten des Krieges bemüht ist.<br />

Die wachsamen Augen der Männer richten sich<br />

auf die Eingänge, auf die höhlenartigen Fenster<br />

benachbarter Ruinen <strong>und</strong> die Katakomben<br />

unter den Tribünen, wo sich in der italienischen<br />

„Erst letzte<br />

Nacht haben sie<br />

mich wieder angerufen“,<br />

sagt<br />

Suweys. „Die<br />

Männerstimme<br />

brüllte: ‚Hör auf<br />

zu spielen, du<br />

Dreckstück,<br />

sonst knallen<br />

wir dich ab.‘“<br />

Kolonialzeit Spieler umzogen <strong>und</strong> al-Schabab bis<br />

vor Kurzem Gefangene folterte, deren Blut noch<br />

an den Wänden trocknet. Ohne die Bodyguards<br />

wären Suweys <strong>und</strong> ihr Team für die Islamisten<br />

ein leichtes Ziel.<br />

„Basketball leistet einen wichtigen Beitrag<br />

auf dem Weg zum Frieden“, sagt Ibrahim Husein<br />

Ali, Präsident der Somali Basketball Federation;<br />

er wohnt auf den Betonstufen der Tribüne<br />

einsam <strong>und</strong> verlassen dem Training von Horseed<br />

bei. „Basketball stiftet Frieden. Nicht nur für die<br />

Spieler, sondern auch für die Zuschauer.“ Zwei<br />

Jahrzehnte lang haben sich Clans <strong>und</strong> Distrikte<br />

blutig bekämpft. In gemischten Teams vergessen<br />

sie ihre Blutfehden. „Gestern waren sie noch<br />

Todfeinde“, sagt der Präsident, ein massiger<br />

Mann in gestreiftem Hemd <strong>und</strong> B<strong>und</strong>faltenhose.<br />

„Heute spielen sie zusammen oder feuern dieselbe<br />

Mannschaft an.“ Menschen mobilisieren.<br />

Ohne Kalaschnikows.<br />

In Mogadischu gibt es 11 Herren- <strong>und</strong> fünf<br />

Damenbasketballteams. Doch die meisten<br />

Sportstätten sind zerstört, trainiert wird in<br />

Kriegsruinen. „Wir kämpfen uns durch“, sagt der<br />

Präsident. Hilfe aus dem Ausland? „Bälle, Trikots,<br />

Schuhe würden uns weiterbringen.“<br />

Vom verlassenen Strand nebenan trägt der<br />

Wind den Geruch des Indischen Ozeans herüber.<br />

Die Geräusche des Balls hallen von den leeren<br />

Rängen wider. Suweys ist die Größte, bewegt sich<br />

geschmeidig, ist antrittsstark, lenkt von hinten<br />

heraus klug das Spiel, dribbelt <strong>und</strong> versenkt,<br />

sobald sie freie Bahn hat, den Ball aus großer<br />

Distanz treffsicher im Korb.<br />

„Suweys ist diszipliniert <strong>und</strong> arbeitet sehr<br />

Nr.10<br />

120 121<br />

Nr.10


eportage<br />

hart“, sagt Trainer Dahir, ein durchtrainierter<br />

Mittvierziger <strong>und</strong> Leutnant beim somalischen<br />

Militär. „Suweys ist die beste Basketballerin Somalias,<br />

sie könnte überall auf der Welt spielen.“<br />

Deshalb hat Dahir seine Spielmacherin zur<br />

Kapitänsfrau bestimmt. Suweys hält das Team<br />

zusammen. Auf dem Spielfeld. Aber auch im Leben.<br />

Als Raho, eine Flügelspielerin von Horseed,<br />

auf dem Weg zum Training von der Kugel eines<br />

Scharfschützen getroffen wurde, war es Suweys,<br />

die ihre Mannschaft tröstete <strong>und</strong> ermutigte <strong>und</strong><br />

stellvertretend Rahos Leichnam besuchte, der<br />

bei ihr zu Hause aufgebahrt war.<br />

Obwohl Suweys Basketball-Profi ist, wird sie<br />

nicht bezahlt. Fünf- bis sechsmal die Woche<br />

trainiert sie morgens Muskelaufbau an Geräten,<br />

nachmittags mit der Mannschaft. Sie müsste<br />

Proteine essen, aber Fleisch kann sie sich nicht<br />

leisten. Nicht einmal Joghurt oder Milch. „Meine<br />

Familie ist nicht fett“, sagt sie <strong>und</strong> meint: Sie sind<br />

bettelarm.<br />

Ihre <strong>Mutter</strong> ist krank <strong>und</strong> verlässt selten das<br />

Haus. Ihre Schwester verkauft Gemüse auf dem<br />

Markt. Mit dem wenigen, das sie verdient, bringt<br />

sie die Familie durch <strong>und</strong> unterstützt Suweys, so<br />

gut sie kann. Den Transport zum Training <strong>und</strong><br />

zu den Spielen muss Suweys aus eigener Tasche<br />

bezahlen. Wenn sie kein Geld hat, geht sie zu Fuß<br />

durch die Stadt, die zu den gefährlichsten der<br />

Welt zählt. Fast täglich töten Scharfschützen aus<br />

dem Hinterhalt, explodieren Autobomben oder<br />

sprengen sich Selbstmordattentäter in die Luft.<br />

Suweys würde gerne zur Schule gehen <strong>und</strong> studieren.<br />

„Englisch <strong>und</strong> Mathematik.“ Um Lehrerin<br />

zu werden. Und später Coach der Damennationalmannschaft.<br />

Doch in Mogadischu gibt es<br />

seit Jahren keine staatlichen Schulen mehr, <strong>und</strong><br />

private Einrichtungen verlangen umgerechnet<br />

20 Euro Gebühren im Monat. Keine große Sache.<br />

Für Suweys – wie für viele in Mogadischu –<br />

trotzdem nicht zu machen. 95 Prozent aller<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen gehen nicht zur Schule.<br />

Und dann ist da noch die Sache mit den Männern.<br />

Mit 21 Jahren sind die meisten somalischen<br />

Frauen längst verheiratet <strong>und</strong> haben Kinder.<br />

„Kommt für mich nicht infrage“, sagt Suweys <strong>und</strong><br />

schlägt die Augen nieder. „Mein Mann würde<br />

sofort sagen: Hör auf zu spielen.“<br />

Im internationalen Wettbewerb sind somalische<br />

Heimspiele immer Auswärtsspiele. Kein<br />

Team ist bereit, nach Mogadischu zu kommen.<br />

Nicht einmal die kriegserprobten Sudanesinnen.<br />

Das Nationalteam gehörte bisher immer zu den<br />

Schlusslichtern. Doch bei den Arab Games in<br />

Qatar 2011 – unterstützt von Spielerinnen aus<br />

der Diaspora, aus Kanada, Amerika, England <strong>und</strong><br />

von Khadija Hayir, die beim SC Union Lüdinghausen<br />

spielt – gewann Suweys’ Team gleich<br />

zweimal. Gegen Kuwait <strong>und</strong> gegen Gastgeber<br />

Qatar. „Unser Kampfgeist hat sie überrascht“,<br />

sagt Suweys in der Trainingspause, <strong>und</strong> ihre<br />

„Das Team ist<br />

ihre Familie,<br />

das Spielfeld<br />

eine – wenn<br />

auch schwer bewachte<br />

– Insel<br />

der Freiheit.“<br />

Augen leuchten beim Gedanken an ihren bisher<br />

größten internationalen Erfolg. „Die Zuschauer<br />

liebten uns.“<br />

Dann leuchtet das Display ihres Handys auf.<br />

Und plötzlich erstarrt ihr Gesicht. Ihre Hände<br />

zittern. Sie bringt kein Wort mehr heraus. Die<br />

Nachricht lautet: „Wir wissen, wo du bist. Heute<br />

wirst du sterben.“<br />

Woher nimmt Suweys die Kraft weiterzumachen?<br />

Eine 21-Jährige, die beinahe täglich<br />

Morddrohungen erhält? Die nicht heiraten kann,<br />

weil sie weiter Basketball spielen will? Die an<br />

allen Fronten gleichzeitig kämpft? Gegen Krieg,<br />

Armut, Hunger <strong>und</strong> religiöse Fanatiker? „Ich will<br />

eine Weltklassespielerin werden – <strong>und</strong> ich werde<br />

meinen Traum wahr machen“, sagt sie <strong>und</strong><br />

steckt das Handy weg. „Mein Vater wäre stolz auf<br />

mich.“<br />

Als im vergangenen Jahr das Turnier in<br />

Qatar vorbei war, stand Suweys am internationalen<br />

Flughafen von Doha <strong>und</strong> sah zu, wie ihre<br />

Mitspielerinnen, die im Ausland lebten, in ihre<br />

Flugzeuge stiegen <strong>und</strong> abhoben. Nach Amerika<br />

<strong>und</strong> Kanada, England <strong>und</strong> Deutschland. „Ich<br />

sagte mir: Sie kehren zurück in sichere Länder“,<br />

flüstert Suweys in einem Winkel des Trainingsareals,<br />

wo die anderen ihre Kapitänsfrau nicht<br />

sehen können. „Und ich musste zurück nach<br />

Somalia – zurück in diese Hölle.“<br />

Und auf einmal bricht die ganze Anspannung<br />

aus ihr heraus, die tägliche Angst, das<br />

Grauen. Tränen laufen über ihre Wangen. „Du<br />

kannst dich duschen, kannst dir saubere Kleider<br />

anziehen, aber niemand weiß, wie es tief drinnen<br />

in dir aussieht“, wimmert sie; ihre ganze Energie<br />

scheint mit einem Schlag verpufft. Heute Morgen<br />

hat sie ein Fladenbrot gegessen, seither nichts<br />

mehr – am Abend wird es wieder ein Fladenbrot<br />

sein. Mit ein wenig Sesamöl bestrichen. Oder<br />

aufgekocht in einer Wassersuppe. „Wenn die<br />

Kraft schwindet, kommt die Angst hoch.“ Alool<br />

Humo, nennen es die Somalier – immer Sorgen.<br />

In solchen Momenten wünscht sich Suweys nur<br />

eins: Somalia verlassen. „Nach Kenia vielleicht<br />

oder nach Äthiopien“, sagt sie <strong>und</strong> wischt sich die<br />

Tränen aus dem Gesicht. In einem Flüchtlingscamp<br />

unterkommen. Auf Asyl in Amerika hoffen.<br />

„In der Heimat des Basketballs.“<br />

Der Trainer ruft. Die jungen Frauen von<br />

Horseed spielen eine letzte R<strong>und</strong>e. Sie umarmen<br />

sich oft, eine große Herzlichkeit <strong>und</strong> Wärme<br />

ist zwischen ihnen spürbar. Das Team ist ihre<br />

Familie, das Spielfeld eine – wenn auch schwer<br />

bewachte – Insel der Freiheit. Eine Welt, in der<br />

noch verbindliche Regeln gelten, während Mogadischu<br />

dort draußen seit 20 Jahren in Anarchie<br />

<strong>und</strong> Chaos versinkt.<br />

Allmählich wandern die Schatten der<br />

Tribüne auf das Spielfeld. Als sie den Mittelkreis<br />

erreichen, wird es Zeit zu gehen. Suweys <strong>und</strong><br />

ihre Mitspielerinnen ziehen die Gewänder über<br />

ihr Sportdress <strong>und</strong> verstecken die Turnschuhe<br />

in den Plastiktüten. Der Trainer schließt den Ball<br />

in den Kofferraum seines Autos. Die Bodyguards<br />

hängen ihre Kalaschnikows um die Schulter <strong>und</strong><br />

machen Feierabend.<br />

Und der Rückweg? Wer passt dort draußen auf<br />

die Spielerinnen auf ? „Allah ist mit uns“, sagt<br />

Suweys; dann gehen sie in ihren leuchtenden<br />

Gewändern die Straße hinunter, gefolgt von ihren<br />

Schatten – hinaus in eine zerstörte Stadt.<br />

Für das Aufmacherbild dieser Reportage wurde der<br />

Fotograf Jan Grarup mit dem World Press Photo Award<br />

2013 in der Kategorie Sportfotografie ausgezeichnet.<br />

Nr.10<br />

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Nr.10


so stell’ ich mir die liebe vor<br />

Protokoll: Lisa Leinen<br />

Foto: Katharina Poblotzki<br />

zusammenhalten<br />

Ex-Model <strong>und</strong> Sängerin der Pariser Band Tomorrow’s World,<br />

<strong>Lou</strong> Hayter, erzäHLT <strong>Fräulein</strong> in unserer Rubrik „So stell' ich mir<br />

die Liebe vor“, warum sie morbide Lieder für ihre Fre<strong>und</strong>innen<br />

schreibt <strong>und</strong> in welchen Gesten wahre Liebe steckt.<br />

Bevor wir über die Liebe sprechen, möchte<br />

ich dir gerne ein Hochzeitsfoto meiner Eltern<br />

zeigen. Sieht meine <strong>Mutter</strong> nicht w<strong>und</strong>erschön<br />

aus? Mit der Frisur <strong>und</strong> dem hübschen Kleid<br />

erinnert sie mich an die junge Jackie Kennedy.<br />

Das Foto ist vor fast 50 Jahren entstanden. Meine<br />

Eltern sind immer noch glücklich zusammen,<br />

das finde ich w<strong>und</strong>ervoll, ich wünsche mir<br />

genau das für meine Zukunft – auch wenn ich<br />

zurzeit keinen Fre<strong>und</strong> habe. Aber wie ich mich<br />

kenne, wird das nicht mehr lange dauern, denn<br />

ich verliebe mich schrecklich gerne <strong>und</strong> oft.<br />

Mein erster Crush, an den ich mir erinnere, war<br />

übrigens Harrison Ford in „Indiana Jones“. Nein<br />

im Ernst: Wenn ich jemanden kennenlerne, den<br />

ich sympathisch <strong>und</strong> witzig finde, bin ich schnell<br />

hin <strong>und</strong> weg. Man braucht nicht viel, um mich<br />

von sich zu überzeugen. Aber das Verliebtsein<br />

ist bei mir genauso schnell wieder vorbei, wie<br />

es mich überkommen hat. Wenn es vorbei ist,<br />

trage ich meinen Liebeskummer ein paar Tage<br />

mit mir rum <strong>und</strong> verarbeite anschließend alles in<br />

meinen Songtexten. Das mag ein bisschen naiv<br />

klingen, aber tatsächlich halte ich meine neuen<br />

Songs für sehr reif. Ich habe zum Beispiel ein<br />

Gute-Nacht-Lied für eine Fre<strong>und</strong>in geschrieben<br />

– als Liebesbotschaft von ihrem verstorbenen<br />

Ex-Fre<strong>und</strong>. Das klingt morbid, aber „Think of me“<br />

ist ein liebevoll gemeintes Lied.<br />

Durch meinen Job ist es tatsächlich sehr<br />

schwierig eine Beziehung zu haben. Ich beneide<br />

diejenigen fast ein bisschen, die über den Alltag<br />

in ihren Beziehungen klagen. Eine meiner Beziehungen<br />

ist gerade genau daran zerbrochen: Wir<br />

haben uns viel zu selten gesehen, nur alle paar<br />

Monate. Irgendwann waren wir wie Fremde,<br />

die vergessen haben, was sie verbindet. Jeder<br />

Satz klang plötzlich seltsam <strong>und</strong> jede Berührung<br />

fühlte sich falsch an. Wir haben das mit der<br />

Fernbeziehung nicht hinbekommen. Heute ist er<br />

einer meiner besten Fre<strong>und</strong>e. Vielleicht wäre das<br />

von Anfang an besser gewesen.<br />

Liebe bedeutet für mich, dass man sich<br />

fallen lassen kann <strong>und</strong> so akzeptiert <strong>und</strong> geliebt<br />

wird, wie man ist. Ich bin Anfang 30 <strong>und</strong> habe<br />

das Gefühl, dass es mir immer wichtiger wird,<br />

dass mich jemand unterstützt <strong>und</strong> hinter mir<br />

steht. In allen Lebenslagen. Sehr wichtig sind<br />

mir aber meine Fre<strong>und</strong>innen. Wir sind eine<br />

Gruppe an Mädels, die sich seit mehr als zehn<br />

Jahren kennen, die zusammenhalten, aufeinander<br />

aufpassen <strong>und</strong> füreinander einstehen. Eine<br />

Fre<strong>und</strong>in hat mir vor einiger Zeit dieses Bild<br />

geschenkt. Sie war in Marokko <strong>und</strong> besuchte<br />

das einstige Anwesen Yves Saint Laurents. Er<br />

gehörte zu meinen Lieblingsdesignern <strong>und</strong> sie<br />

scheint sich bei ihrem Besuch daran erinnert zu<br />

haben. Solche Gesten sind für mich wahre Liebe.<br />

Natürlich ist die Zeichnung an sich auch überaus<br />

passend zum Thema Liebe. Dazu könnte man<br />

einen Song aus den 60ern von Irma Thomas<br />

abspielen: „Anyone who knows what love is will<br />

<strong>und</strong>erstand“.<br />

Das selbstbetitelte Debütalbum der Band Tomorrow's<br />

World ist auf dem Label Naive erschienen.<br />

Nr.10<br />

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Nr.10


eine stimme: Hanna Rosin<br />

Protokoll: Vanessa Obrecht<br />

Die<br />

Hanna Rosin hat ein<br />

Buch über das Ende<br />

der Männer geschrieben.<br />

Glücklich<br />

ist die amerikanische<br />

Publizistin darüber<br />

nicht. Müssen sich<br />

Frauen jetzt um alles<br />

selbst kümmern?<br />

Bürde<br />

enhaus in Tel Aviv. Nach unserem<br />

Umzug nach Queens, New York,<br />

arbeitete mein Vater als Taxifahrer.<br />

Meine <strong>Mutter</strong> hatte keinen Job <strong>und</strong><br />

kümmerte sich um das Haus <strong>und</strong><br />

die Familie. Diese Rollenverteilung<br />

zwischen Mann <strong>und</strong> Frau entspricht<br />

aber keinesfalls dem Wesen meiner<br />

Eltern. Mein Vater ist ein sehr lieber,<br />

allerdings eher ambitionsloser <strong>und</strong><br />

passiver Mensch. Meine <strong>Mutter</strong> dagegen<br />

ist neugierig <strong>und</strong> hartnäckig.<br />

Ich muss zugeben, ich wünschte<br />

mir manchmal etwas mehr wie sie<br />

zu sein.<br />

der<br />

Außenseiterin statt Feministin<br />

In meiner Kindheit prägte mich aber<br />

vor allem das Aufwachsen in einem<br />

fremden Land. Alle Menschen um<br />

mich herum stammten aus Einwandererfamilien.<br />

Ich hatte dadurch nur<br />

eine sehr vage Idee des amerikanischen<br />

Mainstreams. Ich las Bücher<br />

über amerikanische Teenager, wusste<br />

aber nie, ob diese Geschichten der<br />

Fantasie oder Wahrheit entsprangen.<br />

Bis zum College wusste ich nichts<br />

über die amerikanische Kultur,<br />

fühlte mich auch später noch als<br />

Außenseiterin.<br />

Ich besuchte als Einzige der<br />

Familie eine Hochschule, war immer<br />

schon selbstbestimmt. So habe ich<br />

auch die Frauen erlebt, die ich für<br />

mein Buch portraitiert habe. Sie sind<br />

keine Feministinnen <strong>und</strong> sie würden<br />

sich selbst auch nie als solche<br />

bezeichnen. Ich habe sie immer<br />

eher als Immigrantinnen gesehen,<br />

die sich in einer ihnen fremden<br />

Umwelt behaupten <strong>und</strong> durchsetzen<br />

mussten. Der Ursprung meines<br />

Buches „Das Ende der Männer“ ist<br />

somit nicht ideologisch. Ich habe nie<br />

Frauen<br />

für eine feministische Bewegung<br />

geschrieben oder mit einer sympathisiert.<br />

In meinem Herzen bin ich<br />

Reporterin. Ich brauche Fakten.<br />

Die Krise der Männlichkeit<br />

Einer meiner frühen Einflüsse war<br />

das Buch „Stiffed – The Betrayal of<br />

American Man“ von der Pulitzer-<br />

Preisträgerin Susan Faludi. Darin<br />

Ich bin in Israel geboren <strong>und</strong> später<br />

mit meinen Eltern nach New York<br />

übergesiedelt. In meiner Familie<br />

hatten die Frauen das Sagen. Nach<br />

alt-jüdischem Gesetz musste meine<br />

Urgroßmutter den Mann ihrer<br />

verstorbenen Schwester heiraten,<br />

verließ ihn aber nach der Geburt<br />

meiner Großmutter. Als diese<br />

wiederum ihr drittes Kind zur Welt<br />

brachte, starb ihr Mann an einer<br />

Lungenentzündung. So zog auch sie,<br />

wie ihre <strong>Mutter</strong> davor, ihre Kinder<br />

alleine groß. Meine <strong>Mutter</strong> war vier<br />

Jahre alt, als ihr Vater starb. Kurz<br />

darauf, im Jahr 1948, wurde der Staat<br />

Israel gegründet.<br />

Bis ich sechs Jahre alt war,<br />

lebten wir gemeinsam mit meiner<br />

Großmutter in einem Mehrfamilibeschreibt<br />

sie, wie sich nach wiederholten<br />

wirtschaftlichen Rezessionen<br />

<strong>und</strong> in Zeiten großer Arbeitslosigkeit<br />

das Bild des Mannes verändert hat,<br />

wie identitätsstiftende Werte wie<br />

etwa „Handwerk“ <strong>und</strong> „Loyalität“<br />

an Bedeutung verloren. Ich las das<br />

Buch <strong>und</strong> dachte an die ökonomischen<br />

Krisen, mit denen wir nach<br />

der Jahrtausendwende zu kämpfen<br />

hatten.<br />

Ich wollte diese „neuen“ Männer<br />

aufspüren <strong>und</strong> sehen, was mit<br />

ihnen geschehen war. Sah, wie der<br />

wirtschaftliche Wandel zunehmend<br />

Einfluss auf die Destruktion des<br />

männlichen Selbstbildes nahm. Wie<br />

Beziehungen durch finanzielle Krisen<br />

zerfielen <strong>und</strong> Frauen ihren Platz<br />

im Haushalt neu definieren mussten.<br />

Für mich waren Männer <strong>und</strong> Frauen<br />

eigentlich immer gleichgestellt. Doch<br />

im Zuge meiner Recherche realisierte<br />

ich, wie sehr sich das Bild des<br />

Mannes verändert hatte. Als ich mit<br />

einigen Hochschul-Studentinnen<br />

sprach, redeten sie über Männer, als<br />

wären es Kinder, denen es zu helfen<br />

gelte. Das überraschte mich sehr!<br />

Ich entdeckte zudem, wie groß<br />

die Einschnitte in der Ehe bereits<br />

fortgeschritten sind. Dabei gibt es<br />

gute wie negative Veränderungen.<br />

Ein Beispiel: Ich lebe mit meinem<br />

Mann David in einer „Schaukelbrett-<br />

Ehe“. Ich nenne dieses neue Modell<br />

so, da diese Ehe auf dem Prinzip der<br />

Gleichberechtigung basiert. Wenn<br />

ich ein Buch schreibe, hält er mir<br />

den Rücken frei <strong>und</strong> kümmert sich<br />

um den Haushalt. Wenn er sich in<br />

die Arbeit stürzt, bin ich an der Reihe.<br />

Paare scheinen durch diese Form<br />

des Zusammenlebens glücklichere<br />

<strong>und</strong> zufriedenere Partnerschaften<br />

zu leben. Meinen Mann hat „Das<br />

Ende der Männer“ daher nicht im<br />

Geringsten mitgenommen. Das liegt<br />

an seinem starken Charakter <strong>und</strong><br />

seiner Eigenständigkeit. Er ist Chef-<br />

redakteur von „Slate“, einem der<br />

größten Onlinemagazine in Amerika.<br />

Mein Sohn Jacob aber denkt, ich sei<br />

fies. Ihn trafen meine Worte sehr. Er<br />

ist neun Jahre alt <strong>und</strong> versteht noch<br />

nicht, was ich vermitteln möchte.<br />

Seine <strong>Mutter</strong> schreibt ein Buch über<br />

das Ende der Männer, während er<br />

im Unterricht lernt, alle als gleichwertig<br />

zu betrachten. Anti-Mobbing-<br />

Kampagnen sind momentan das<br />

große Thema in der Schule. Aber ich<br />

habe ja gar nichts gegen Männer. Ich<br />

beschreibe einfach eine problematische<br />

Entwicklung.<br />

Aggressive Frauen<br />

Die zahlreichen Trennungen im<br />

Zuge der ökonomischen Krise sind<br />

ein großes Problem, welches wir<br />

nicht weiter ignorieren können. So<br />

erhalten wir keine stabile Gesellschaft.<br />

Das Ziel sollte es doch sein, in<br />

einer gleichgestellten Partnerschaft<br />

glücklich zu werden. Männer haben<br />

typische Eigenschaften <strong>und</strong> Frauen<br />

haben die ihren. Diese können<br />

als Menüs angesehen werden, bei<br />

denen sich jeder bedienen kann,<br />

ohne einen hohen Preis dafür zu<br />

bezahlen. So wurde traditionell nur<br />

Männern Durchsetzungsvermögen<br />

zugeschrieben oder viel mehr zugebilligt.<br />

Das hat sich geändert. Frauen<br />

in mächtigen Positionen können<br />

aggressiv <strong>und</strong> dominant auftreten.<br />

Aber sie müssen lernen, sich zu verteidigen.<br />

Männer wiederum sollten<br />

lernen, mehr häusliche Aufgaben zu<br />

übernehmen, ohne sich dabei ihrer<br />

Männlichkeit beraubt zu fühlen.<br />

Ich versuche in meinem Buch<br />

meine Hoffnung für die Zukunft<br />

der Geschlechter zu erläutern. Auf<br />

keinen Fall fordere ich die Eliminierung<br />

der Männer. Denn das von<br />

mir beschriebene Matriarchat ist<br />

eher stressig für Frauen. Durch<br />

den Verlust des Mannes als fester<br />

Bestandteil der Familie wird sie zur<br />

Ernährerin, Erzieherin <strong>und</strong> Hausfrau.<br />

Diese Belastung ist immens.<br />

Also brauchen wir einander!<br />

Doch dafür sind Vorbilder nötig.<br />

Jeder Aspekt von Weiblichkeit wird<br />

in den USA von einer TV-Show<br />

begleitet. Die „Mary Tyler Moore<br />

Show“ zielte in den 70ern auf<br />

Single-Karrierefrauen, „Murphy<br />

Brown“ aus den 1980er-Jahren<br />

zeigte die Frau im kulturellen<br />

Kontext <strong>und</strong> in „Sex and the City“<br />

durften Frauen endlich offen über<br />

Sex sprechen. Seit Neuestem gibt es<br />

die Serie „Girls“, in der Frauen sogar<br />

"Ich sah, wie<br />

der wirtschaftliche<br />

Wandel<br />

zunehmend<br />

Einfluss auf<br />

die Destruktion<br />

des männlichen<br />

Selbstbildes<br />

nahm."<br />

vulgär sein dürfen. Sie müssen<br />

dazu wissen, dass in Amerika das<br />

Fernsehen als sozialer Spiegel oder<br />

auch Transformator funktioniert,<br />

der radikale soziale Umwälzungen<br />

kenntlich macht <strong>und</strong> sie dann in den<br />

Mainstream überführt. Das Fernsehen<br />

ermöglicht es also, dass sich<br />

Menschen in neue Rollen einfühlen<br />

können. Für Männer gab es diese<br />

Art von Korrektiv bisher nicht.<br />

Orientierungslose Männer<br />

Viele TV-Shows in den USA greifen<br />

diese Thematik aber mittlerweile<br />

auf. Ohne mein Wissen haben 40<br />

Film-Produzenten meine Geschichte<br />

als Serien-Modell vorgeschlagen.<br />

Sechs verschiedene Shows wurden<br />

auf der Basis meiner Story produziert<br />

<strong>und</strong> ausgestrahlt. Zwei sind<br />

noch „on air“. Sie zeigen Männer,<br />

die sich in ihrer Rolle als Hausmann<br />

nicht entmannt fühlen. Diese Männer<br />

sind sehr sexy <strong>und</strong> attraktiv.<br />

Eine Show namens „Work<br />

It“ begleitete Männer, die in ihrer<br />

Erkenntnis um die feminisierte<br />

Wirtschaft den Entschluss fassten,<br />

sich als Frauen zu kleiden, um so<br />

einen Job zu ergattern. Es ist sehr<br />

lustig zu sehen, wie diese Männer<br />

Episoden aus meinem Buch rezitierten.<br />

In einer Bar sitzend <strong>und</strong> ein Bier<br />

trinkend, sagt einer: „Oh, wir stecken<br />

in einer Man(re-)session. Ein Mann<br />

findet in diesen Tagen keinen Job<br />

mehr! Wisst ihr, wie viele Frauen<br />

an den Universitäten studieren?“<br />

Das war sehr komödiantisch. Ich<br />

sehe in diesem Thema noch so viel<br />

mehr Potenzial für Sitcoms. Ich habe<br />

nichts dagegen, auch in Zukunft Teil<br />

dieser Bewegung zu sein. Das ist<br />

eine Art von Training der Gesellschaft.<br />

Sie lernt entspannter mit veränderten<br />

Rollenbildern umzugehen.<br />

Und das ist immens wichtig.<br />

Ich werde mich mit einem<br />

Produzenten treffen, der die Rechte<br />

an meinem Buch gekauft hat. Einige<br />

dieser bestehenden Shows sind<br />

stumpfsinnig. Andere haben sehr<br />

interessante Ansätze. Aus meinen<br />

gesammelten Geschichten <strong>und</strong><br />

den Erzählungen von Betroffenen<br />

resultiert ein großes dramatisches<br />

Potenzial. Männer aller Altersgruppen<br />

<strong>und</strong> sozialen Schichten müssen<br />

sich in einer unbekannten Situation<br />

basierend auf einer allumfassenden<br />

Krise neu orientieren. Dieses Thema<br />

können wir heute viel expliziter angehen,<br />

als es bisher je möglich war!<br />

Hanna Rosins „Das Ende der Männer“<br />

ist im Berlin Verlag erschienen.<br />

Nr.10<br />

126 127<br />

Nr.10


streetstyle<br />

Fotos: Saskia Lawaks<br />

STREETSTYLE<br />

TEL AVIV<br />

beweist, warum die<br />

mittelmeer-stadt<br />

das hippe zentrum<br />

des nahen ostens ist.<br />

Nr.10<br />

128 129<br />

Nr.10


antifräulein<br />

Text: Wäis Kiani<br />

Zeichnung: Katrin Funcke<br />

halle berry<br />

Sie ist w<strong>und</strong>erschön, aber zieht das Unheil an. Das Supermodel<br />

Gabriel Aubry tauschte Halle Berry gegen einen französischen Schläger ein,<br />

der ihrem Ex-Mann das Gesicht zertrümmerte.<br />

Nicht nur deshalb halten wir sie für ein prädestiniertes Antifräulein.<br />

Es gibt Frauen, die bringen einfach nur Unheil.<br />

Unheil über jeden, der unmittelbar mit ihnen<br />

zu tun hat. Unser Antifräulein ist dieses Mal<br />

genau so eine Frau, die Unheil über alle gebracht<br />

hat, obwohl sie w<strong>und</strong>erschön ist. Von der man<br />

sogar sagt, sie sei in echt noch schöner als auf<br />

den Fotos, die es reichlich von ihr gibt. Die Rede<br />

ist von Oscarpreisträgerin <strong>und</strong> Bond-Girl Halle<br />

Berry, die seit ihrer Trennung von dem mehr als<br />

ansehnlichen Model Gabriel Aubry, dem Vater<br />

der kleinen Nahla, unsere sensiblen Gemüter<br />

mit brutalen <strong>und</strong> entwürdigenden Meldungen<br />

strapaziert. Dass Trennungen meistens hässlich<br />

sind, auch wenn es sich dabei um zwei besonders<br />

schöne Menschen handelt, ist hinlänglich<br />

bekannt. Aber dass einer von beiden, in diesem<br />

Fall Halle Berry, sein hässliches Inneres dabei<br />

dermaßen nach außen stülpt, dass die äußere<br />

Schönheit nur noch wie ein Hohn wirkt, ist<br />

traurig. Halle <strong>und</strong> Gabriels Relationship hatte<br />

noch „ist complicated“-Status, da tauchte der<br />

schmierige Franz-Prolet <strong>und</strong> Kylie-Minogue-Ex-<br />

Boyfriend Oliver Martinez auf, <strong>und</strong> die beiden<br />

schämten sich nicht, rücksichtslos in der Öffentlichkeit<br />

knutschend gesehen, fotografiert <strong>und</strong><br />

gefilmt zu werden. Aubreys Ehre <strong>und</strong> Gefühle<br />

dermaßen zu verletzen, ist das eine, aber ihm<br />

eiskalt zu eröffnen, dass man gedenkt, mit dem<br />

gemeinsamen Töchterchen in weite Ferne nach<br />

Frankreich zu ziehen, ist für jeden liebenden<br />

Vater ein unmenschlicher Gewaltakt. Das sah<br />

das US-Gericht zum Glück genauso <strong>und</strong> machte<br />

Berry <strong>und</strong> Martinez einen Strich durch die Rechnung.<br />

Nahla durfte in Daddys Nähe bleiben. Diese<br />

verlorene R<strong>und</strong>e brachte wiederum das Gemüt<br />

des Franzosen dermaßen in Wallung, dass er<br />

mit dem Kriegsruf: Du hast mich drei Millionen<br />

(US-Hollywood-Anwalts-Honorar) gekostet –,<br />

dem armen Aubry das Wertvollste zertrümmert,<br />

was er besitzt: sein schönes Gesicht. Aubry sah<br />

auf den Polizeifotos, die uns allen in der Seele<br />

wehtaten, aus, als wäre er aus einem Flugzeug<br />

herausgefallen <strong>und</strong> danach von einer Horde<br />

Elefanten zertrampelt worden. Martinez’ brutale<br />

Attacke wurde sogar vor den Augen der kleinen<br />

Nahla verübt, die Daddy gerade bei Halle abholen<br />

wollte. Halle ist also die Sorte Frau, die nicht<br />

nur einen hinterfotzigen Schläger liebt, sondern<br />

auch einem liebenden Vater das gemeinsame<br />

Kind wegnehmen <strong>und</strong> auf einen anderen<br />

Kontinent entführen will. Und Martinez? Eine<br />

neue Meldung aus LA verwischte alle Zweifel<br />

am Opferstatus von Aubry: Martinez ist soeben<br />

auf wartende Paparazzi losgegangen, einen von<br />

ihnen hat er getreten <strong>und</strong> geschlagen. Ja, Paparazzi<br />

sind Idioten, was gibt es auch zu warten,<br />

es ist doch nur Halle Berry, geht nach Hause,<br />

geschieht euch recht, denkt man da. Schläger<br />

schlagen immer wieder, wie wir wissen. Und<br />

noch etwas: Wer wie Halle Berry für Deichmann-<br />

Schuhe Werbung macht, noch dazu mit dem<br />

widerlichen Slogan „Urlaub vom Urlaub“, hat bei<br />

uns ohnehin keine Chance. Armer Gabriel Aubry.<br />

Er hatte seine Augen da, wo Männer kein Unheil<br />

mehr sehen. In seinen Boxershorts, wo es viel zu<br />

dunkel ist.<br />

„Halle ist die<br />

Sorte Frau, die<br />

nicht nur einen<br />

hinterfotzigen<br />

Schläger liebt,<br />

sondern auch<br />

einem liebenden<br />

Vater das gemeinsame<br />

Kind<br />

wegnehmen will.“<br />

Nr.10<br />

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Nr.10


feierabend<br />

Interview: Ruben Donsbach<br />

Foto: Marcel Schwickerath<br />

Die Journalistin<br />

Katrin<br />

Sandmann<br />

gibt Künstlern<br />

in Krisengebieten<br />

eine Stimme.<br />

Sie ist eine der profiliertesten Nachrichten-<br />

Korrespondentinnen Deutschlands. Von 2004 bis<br />

2010 war die 1966 in Berlin geborene Journalistin<br />

Katrin Sandmann Leiterin Reportage beim<br />

Nachrichtensender N24. Sie war dabei, als die<br />

B<strong>und</strong>eswehr in den Kosovo einmarschierte,<br />

berichtete über die Intifada aus Israel <strong>und</strong> war<br />

während des Irakkrieges in Bagdad im Einsatz.<br />

Mittlerweile produziert Sandmann die Reportage-Reihe<br />

„Kulturkrieger“, für die sie unter<br />

anderem in Gaza, Kinshasa <strong>und</strong> Kabul Künstler<br />

traf <strong>und</strong> deren Kampf für elementare Menschenrechte<br />

dokumentierte. Ein Gespräch über den<br />

westlichen Blick, die Aufmerksamkeitsökonomien<br />

der Medien <strong>und</strong> mangelndes Privatleben.<br />

Frau Sandmann, in seinem Buch „Orientalism“<br />

von 1978 hat der Literaturwissenschaftler<br />

Edward Said aufgearbeitet, wie der westliche,<br />

koloniale Blick auf den „Orient“ zwangsläufig<br />

voller Missverständnisse <strong>und</strong> Vorurteile bleibt.<br />

Wie gehen Sie als internationale Berichterstatterin<br />

mit diesem Dilemma um?<br />

Katrin Sandmann: Das ist natürlich schwierig,<br />

weil man von der westlichen Sozialisation<br />

geprägt ist <strong>und</strong> wahnsinnig stereotype Bilder<br />

im Kopf hat. Ich habe ja lange in Jerusalem <strong>und</strong><br />

Amman gewohnt <strong>und</strong> es wird schon besser mit<br />

der Zeit. Trotzdem darf man nie den Fehler machen<br />

zu denken, man gehöre dazu. Ich habe nie<br />

das Gefühl gehabt, Teil dieser arabischen Welt<br />

zu sein, nur weil ich da jetzt mal ein paar Jahre<br />

gelebt <strong>und</strong> gearbeitet habe. Man ist immer der<br />

Beobachter am Rand des Geschehens.<br />

Der Nahost-Experte Robert Fisk sagt, dass<br />

man als Journalist nicht wirklich „objektiv“<br />

sein kann, sondern aktiv Positionen vertreten<br />

muss. Eine kontroverse Haltung. Was denken<br />

Sie?<br />

KS: Ich sehe das genauso. Zwar sollte man<br />

möglichst objektiv sein, das ist natürlich die<br />

Gr<strong>und</strong>voraussetzung. Aber in der Praxis ist das<br />

völlig unmöglich. Journalisten sind Menschen<br />

<strong>und</strong> geprägt von ihren Erfahrungen. Als sich in<br />

Tel Aviv ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt<br />

hatte <strong>und</strong> sich nach meinem Eintreffen<br />

vor mir ein Gemetzel auftat, konnte ich das nicht<br />

einfach rationalisieren. Ich war davon berührt.<br />

Zwei Wochen später in Gaza ließ die israelische<br />

Luftwaffe Häuser bombardieren. Ich stand vor<br />

einer weinenden <strong>Mutter</strong> mit ihrem toten Kind<br />

in den Armen. Da war es dann genauso. In solch<br />

schwierigen Konflikten gibt es keine Objektivität.<br />

Zumindest für mich <strong>und</strong> das habe ich auch<br />

immer klar benannt.<br />

Schaltet man eigentlich irgendwann ab, wenn<br />

man immer wieder mit solchem Unglück<br />

konfrontiert wird?<br />

KS: Leider, ja. Ich habe 5 Jahre im Nahen Osten<br />

gewohnt, habe die letzten zwei allerdings schon<br />

zwischen Jerusalem <strong>und</strong> Bagdad gependelt.<br />

Egal wo ich war, wurden fast täglich Menschen<br />

getötet. Man muss sich dagegen abschotten.<br />

Irgendwann kommt dann der Moment, an dem<br />

man in seiner Nachrichtenredaktion anruft <strong>und</strong><br />

meldet: Wir haben hier einen Anschlag mit fünf<br />

Toten. Und die Redaktion antwortet: „Das reicht<br />

uns nicht.“ Man fährt dann nicht mehr hin, redet<br />

nicht mehr mit den Opfern oder den mutmaßlichen<br />

Tätern <strong>und</strong> sagt einfach: „Das ist zu klein.“<br />

Aber ich frage mich natürlich: Wer sind wir,<br />

solche Maßstäbe anzulegen?<br />

Es gibt also Leitlinien in den Redaktionen, die<br />

besagen: Erst ab so<strong>und</strong>soviel Opfern ist es eine<br />

Nachricht?<br />

KS: Nein. Die gibt es so nirgendwo. Aber ein<br />

Konflikt, der sehr lange läuft, der wird irgendwann<br />

red<strong>und</strong>ant. Weil ja immer zu dasselbe<br />

passiert. Und dann lässt eben auch vonseiten der<br />

Zuschauer das Interesse nach. 2000/2001 gab es<br />

so viele Selbstmordanschläge in Israel, dass eine<br />

regelrechte Ermüdung einsetzte. Bei Nachrichten<br />

kommt es immer auf den Kontext an: Wo<br />

<strong>und</strong> wann hat ein Anschlag stattgef<strong>und</strong>en? Wer<br />

ist davon betroffen? Was gibt es sonst noch für<br />

Nachrichten auf der Welt? Das ist furchtbar, aber<br />

man richtet sich damit ein.<br />

Arbeitet man als Reporter, ob nun im Print<br />

oder Fernsehen, immer auch gegen das Vergessen<br />

an, das eigene wie das kollektive?<br />

KS: Das ist eine schwierige Frage. Ich hatte auf<br />

jeden Fall irgendwann das Gefühl, dass ich als<br />

Nachrichten-Journalistin dem, was um mich<br />

herum passierte, nicht mehr gerecht werden<br />

konnte. Das ist einer der Gründe, warum ich nun<br />

eher längere Reportagen produziere. Das gibt<br />

mir die Gelegenheit, wirklich mit den Leuten<br />

zu sprechen, mich besser mit der jeweiligen<br />

Thematik auseinanderzusetzen.<br />

So wie in Ihrer „Kulturkrieger“-Reihe, in der<br />

Sie unter anderem Tänzer in Kinshasa <strong>und</strong><br />

Schriftsteller in Gaza getroffen haben.<br />

KS: Genau. Ich wollte diese Serie machen, weil<br />

mir aufgefallen war, dass diese Leute nie zu Wort<br />

kommen. Denn natürlich hat jede Gesellschaft,<br />

ob im Krieg oder nicht, eine eigene Kultur. Ich<br />

habe Länder, in denen ich zum Teil jahrelang<br />

lebte, über dieses Projekt völlig neu begriffen.<br />

Einfach weil ich nicht nur mit den Politikern, den<br />

Extremisten oder den Opfern gesprochen habe,<br />

sondern mit Leuten, die mit den Mitteln der Kultur<br />

für f<strong>und</strong>amentale Menschenrechte kämpfen.<br />

Slavoj Zizek bemerkt in seiner Kritik des Films<br />

„Children of Men“, dass in kollabierenden<br />

„Es ist<br />

wahnsinnig<br />

schwer, ein<br />

Privatleben<br />

zu haben,<br />

wenn man<br />

immer auf<br />

Abruf ist.“<br />

Gesellschaften auch die Kunst ihre Bedeutung<br />

verliert, geradezu sinnlos wird. Denn: Kunst<br />

braucht Kontext, um als solche erkannt zu<br />

werden. Wie ist das in Gaza oder Kinshasa?<br />

KS: Das Zitat von Zizek kenne ich nicht. Finde<br />

ich aber sehr interessant. Kunst bezieht sich immer<br />

auf die jeweiligen Wurzeln der Gesellschaft,<br />

wird aber im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert enorm beeinflusst<br />

von dem, was im Rest der Welt passiert. Ich war<br />

für die „Kulturkrieger“ noch nirgends, wo die<br />

Menschen nicht in irgendeiner Weise Zugang<br />

zum Internet hatten. Selbst in Gaza, Kinshasa,<br />

Bagdad oder Kabul. Neulich gab es übrigens<br />

eine Diskussion mit arabischen Kollegen, die<br />

mir vorwarfen, nur danach zu suchen, ob es bei<br />

ihnen westliche Kultur gäbe.<br />

Das führt wieder zu Edward Said zurück.<br />

KS: Genau. Ich fand, das war ein legitimer<br />

Vorwurf. Andererseits: Warum soll ich in Gaza<br />

nur nach traditioneller Kunst suchen? Das tue<br />

ich in Deutschland ja auch nicht. Die „Kulturkrieger“<br />

sind halt ein subjektives Format. Trotzdem<br />

versuche ich alles, was ich sehe, in einen Kontext<br />

zu stellen.<br />

Verändert diese Arbeit eigentlich den Blick auf<br />

die eigene Gesellschaft?<br />

KS: Ja, absolut! Nicht nur die „Kulturkrieger“.<br />

Im Nachkriegs-Bagdad konnte man lernen, wie<br />

schnell eine Gesellschaft zusammenbricht, wenn<br />

es keine anerkannte Staatsgewalt mehr gibt. Ich<br />

habe mich immer gefragt, wie das im reichen<br />

Westen wäre, wenn hier eine ähnliche Situation<br />

eintreten würde. Als in New Orleans im Zuge<br />

des Hurrikans Katrina der Strom ausfiel, haben<br />

die Amerikaner zum ersten Mal begriffen, dass<br />

sie dann keine Eiswürfel mehr haben <strong>und</strong> die<br />

Benzinpumpen nicht mehr funktionieren, dass<br />

kein Wasser mehr aus dem Hahn kommt. Das<br />

war ein dramatisches Erwachen. Was gerade<br />

auf Zypern passiert, mag ein weiteres Beispiel<br />

dafür sein.<br />

In Ihrem Buch „Die Geister, die uns folgen“ beschreibt<br />

die Kriegsreporterin Janine di Giovanni,<br />

wie eine Beziehung, selbst die große Liebe,<br />

unter der Last des Berufes scheitern kann.<br />

KS: Ja, mit Bruno. Beide kenne ich.<br />

Wie schwer fällt es Ihnen, ein geregeltes<br />

Privatleben zu führen, einen Fre<strong>und</strong>eskreis zu<br />

erhalten?<br />

KS: Nicht umsonst ist Janine mit einem<br />

Kriegsreporter, einem Kameramann zusammen<br />

gewesen. Es ist schon wahnsinnig schwer ein<br />

Privatleben zu haben, wenn man immer auf<br />

Abruf ist. Man wird unzuverlässig. Das war bei<br />

mir auch so. Aber es ist nicht unmöglich.<br />

Gibt es in Ihrem Beruf eigentlich so etwas wie<br />

einen Feierabend? Können Sie nach Hause<br />

kommen <strong>und</strong> abschalten?<br />

KS: Nun, während meiner Arbeit an den „Kulturkriegern“<br />

geht das. Wenn man Nachrichten<br />

mitten in einem Konflikt produziert, dann eher<br />

nicht. Aber wenn ich zurück nach Deutschland<br />

kam, dann bin ich oft zu Hermès gegangen <strong>und</strong><br />

habe mir da etwas sündhaft Teures gekauft.<br />

Das war mein Ritual. Ist natürlich auch ein<br />

wenig peinlich! Ich habe das aber als Ausgleich<br />

gebraucht.<br />

Verschiedene Episoden von „Kulturkrieger“ sind<br />

in der ZDF Mediathek abrufbar.<br />

Nr.10<br />

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Nr.10


ezept<br />

Foto: Sabine Volz<br />

Illustration: Anje Jager<br />

135<br />

Nr.10


das trag ich fϋr die ewigkeit<br />

Protokoll: Ruben Donsbach<br />

ich glaube<br />

an gott<br />

Janine di Giovanni zäHLT zu den wichtigsten Kriegsreporterinnen<br />

ihrer GenerATion. Für unsere Rubrik „Das trag' ich für die<br />

Ewigkeit“ sprachen wir mit der 52-Jährigen über ihren Glauben,<br />

liebe <strong>und</strong> den GegenSTAnd, den sie mit ins Grab nehmen möchte.<br />

Im Krieg verlieren die Menschen ihr Maß für<br />

Anstand <strong>und</strong> Menschlichkeit. Sie verlieren ihre<br />

Unschuld sowie die Gewissheit, dass sie in dieser<br />

Welt würdig (über-)leben können. Wir Journalisten<br />

haben dagegen das Privileg, wieder nach<br />

Hause fahren zu können. Für mich ist meine<br />

Wohnung in Paris wie ein Schutzraum, in dem<br />

ich regenerieren kann. Manchmal werden die<br />

Geister der Vergangenheit aber übermächtig. Als<br />

mein Sohn Luca 2006 geboren wurde brannten,<br />

bei mir alle Sicherungen durch. Die Jahre des<br />

Krieges <strong>und</strong> die intensive <strong>und</strong> komplizierte <strong>Mutter</strong>schaft<br />

überschlugen sich. Als <strong>Mutter</strong> realisiert<br />

man schnell, dass es unmöglich ist, das Kind zu<br />

jeder Zeit zu beschützen. Dieser Kontrollverlust<br />

kann schockierend sein.<br />

Ich versuche meinen Sohn dennoch von<br />

meiner Arbeit fernzuhalten. Aber seit sein Vater<br />

angeschossen wurde, wird das schwerer <strong>und</strong><br />

schwerer. Luca ist erst neun Jahre alt. Wüsste er,<br />

in welchen Gefahren sein Vater <strong>und</strong> seine <strong>Mutter</strong><br />

ständig stecken, wäre das zu viel der Bürde.<br />

Unsere Trennung war schwer genug für ihn. Er<br />

sagt, dass er ein Journalist sein möchte. Und das<br />

ist okay. Sollte er Kriegsreporter werden wollen,<br />

wäre das sehr schwer für mich, ich würde ihn<br />

aber nicht davon abhalten wollen. Er ist ein sehr<br />

„Mein Sohn hat<br />

mir gezeigt,<br />

was wahre<br />

Schönheit ist“<br />

emphatischer kleiner Junge, der sofort spürt,<br />

wenn es jemandem schlecht geht. Wenn ich ihm<br />

diese Qualität mit auf den Weg geben konnte,<br />

dann war ich als <strong>Mutter</strong> wohl erfolgreich.<br />

Würde ich früher sterben als mein Sohn<br />

<strong>und</strong> in der Ewigkeit auf ihn warten müssen,<br />

dann würde ich ein Bild von ihm ganz nah bei<br />

mir tragen wollen. Sein Name bedeutet „Der<br />

Überbringer des Lichtes“ <strong>und</strong> tatsächlich hat er<br />

sehr viel Freude in mein Leben gebracht. Er ist<br />

natürlich nicht perfekt <strong>und</strong> kein süßes, kleines<br />

Baby mehr, das immer lächelt. Aber er gab<br />

meinem Leben eine neue Dimension. Ich werde<br />

diesen Planeten eines Tages verlassen, aber er<br />

wird weiterleben <strong>und</strong> ebenfalls Kinder bekommen.<br />

Ich verspüre, seit ich ihn habe, wieder eine<br />

gewisse Leichtigkeit <strong>und</strong> kann die Welt durch die<br />

Augen eines Kindes sehen. Nachdem ich so viele<br />

schreckliche Dinge erlebt habe, zeigt er mir, was<br />

wahre Schönheit ist. Für dieses Geschenk bin ich<br />

meinem kleinen Luca sehr dankbar!<br />

Janine di GIOVAnnis autobiografisches Buch<br />

„Die Geister, die uns folgen“ ist bei Bloomsbury<br />

Berlin erschienen.<br />

Manche Leute meinen zu wissen, dass nach<br />

dem Tod nichts mehr käme, dass das Leben einfach<br />

vorbei sei. Aber das glaube ich nicht. Es gibt<br />

ein Leben danach. Diese Woche habe ich eine<br />

sehr enge Fre<strong>und</strong>in an „Krebs“ verloren. Ich bin<br />

natürlich unglaublich traurig über diesen Verlust,<br />

aber sicher, dass ich sie an einem anderen Ort<br />

wiedertreffen werde. So wie auch meinen Vater,<br />

meinen Bruder, meine Schwester <strong>und</strong> all die<br />

Menschen, die ich liebe, die nicht mehr bei mir<br />

sind. Ich habe über dieses Thema lange, philosophische<br />

Diskussionen mit Fre<strong>und</strong>en geführt. Sie<br />

haben immer wieder versucht, mich mit Logik<br />

zu überzeugen. Alleine auf dieser intellektuellen<br />

Ebene wird man dem Thema aber nicht gerecht.<br />

Ich bin als Kind lange auf eine katholische Schule<br />

gegangen <strong>und</strong> deshalb sehr spirituell. Ich glaube<br />

an Gott. Daran, dass jemand über uns wacht <strong>und</strong><br />

unsere Taten in dieser Welt eine Rolle spielen.<br />

Mein Glaube ist eine große Stütze für mich,<br />

obwohl ich sicher nicht der beste Katholik bin.<br />

Das meint jedenfalls meine <strong>Mutter</strong>!<br />

Eine große Schwäche von mir ist, dass ich<br />

keine Geduld mit oberflächlichen Menschen<br />

habe <strong>und</strong> mit verwöhnten Frauen überhaupt<br />

nicht umgehen kann. Aber von denen gibt es in<br />

Paris, wo ich wohne, leider eine ganze Menge.<br />

Sie leben wie in einer Blase <strong>und</strong> zeigen nicht<br />

einmal ein Mindestmaß an Empathie. Einfühlungsvermögen<br />

braucht es aber in dieser Welt.<br />

Die meisten meiner Fre<strong>und</strong>e, die Menschen, die<br />

ich liebe, sind sensible Seelen, haben oftmals<br />

Krieg am eigenen Leib erlebt. Für mich sind sie<br />

einfach die Interessantesten. Denn man wächst<br />

an den Unwägbarkeiten des Lebens. Leid <strong>und</strong><br />

Verlust gehören dazu. Man muss lernen, damit<br />

umzugehen.<br />

Ich war auf dem letzten Weltwirtschaftsforum<br />

in Davos. Ich traf dort einen guten Fre<strong>und</strong>. Er<br />

erzählte mir ständig: „Dies ist der reichste Hedgefondsmanager<br />

der Welt, <strong>und</strong> dies ist der bedeutendste<br />

Silicon-Valley-Typ überhaupt. Irgendwann<br />

reichte es mir <strong>und</strong> ich sagte ihm: „Wen interessiert<br />

das denn, bitte?! Ich finde den Wissenschaftler da<br />

drüben, der den Nobelpreis gewonnen hat, viel<br />

spannender!“ Wir hatten fast Streit deswegen. Er<br />

sagte mir, ich sei ein Snob. Ich würde Menschen,<br />

die es zu etwas gebracht haben, aus Prinzip<br />

ablehnen. Aber darum geht es doch gar nicht. Ich<br />

mag genauso schöne Dinge um mich haben. Doch<br />

sie haben für mich keine Priorität.<br />

Vor Kurzem bin ich von einer Reportagereise<br />

aus Syrien zurückgekommen. Das Ausmaß der<br />

Gewalt dort ist kaum vorstellbar. Der Konflikt<br />

hat eine ganz neue Dimension erreicht. Ich habe<br />

einen meiner „Fixer“, einen Assistenten vor Ort,<br />

verloren, bin traumatisierten Menschen begegnet.<br />

In meinem Artikel „Sieben Tage in Syrien“<br />

beschreibe ich, wie ein junger Mann bestialisch<br />

gefoltert wurde. Man lud ihn auf einen Transporter<br />

voller Leichen, brachte ihn in ein Krankenhaus,<br />

stach in seinen Oberkörper <strong>und</strong> brachte<br />

seine Lunge zum Kollabieren. Einfach so. Er hat<br />

es überlebt. Doch um seine Würde zu erhalten,<br />

muss man ihm eine Stimme geben. Man muss<br />

diese Geschichten aufschreiben <strong>und</strong> sie den<br />

Lesern zugänglich machen. So gelangen sie in ein<br />

kollektives Archiv <strong>und</strong> der Protagonist wird in<br />

gewisser Weise unsterblich. Zumindest für mich.<br />

In Davos sprach mich ein reicher, griechischer<br />

Reeder auf diese Geschichte an. Er sagte: „Sagen<br />

Sie mir, dass das nicht wahr ist. Das kann einfach<br />

nicht sein!“. Doch es ist wahr. Es passiert Tag<br />

für Tag, während das Leben bei uns im Westen<br />

seinen normalen Gang geht.<br />

Mir ist auf meinen Reisen zum Glück noch<br />

nie ernsthaft etwas passiert. Bruno, dem Vater<br />

meines Sohnes Luca, wurde in Libyen während<br />

des Niedergangs von Muammar al-Gaddafi von<br />

einem Scharfschützen in den Kiefer geschossen.<br />

Das war knapp. Aber er hat überlebt. Woran das<br />

liegt, weiß ich nicht. Vielleicht steht irgendwo<br />

geschrieben, wann wir an der Reihe sind. Wann<br />

wir in die Ewigkeit übergehen sollen.<br />

Nr.10<br />

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Nr.10


horoskop<br />

Zeichnung: Zora Mann<br />

alles halb so schlimm<br />

Dies wird ein guter Sommer. Für die meisten von uns stehen die Sterne<br />

günstig. Widder geben ihren Brüsten Namen, Jungfrauen könnte das Finanzamt<br />

drohen <strong>und</strong> wASSErmänner sollten endlich mal Fehler machen. Alles<br />

weitere erfahren Sie im <strong>Fräulein</strong>-Horoskop.<br />

Widder<br />

21. März – 20. April<br />

Es gibt diese schöne Zeile in dem<br />

Van-Morrison-Song „Wild Nights“:<br />

„Everything looks so complete when<br />

you're walking out on the street<br />

and the wind catches your feet and<br />

sends you flying“. Auch Sie fliegen<br />

durch den Juni. Sie sind wild. Ein<br />

Zauber umgibt Sie. Für ein paar Wochen<br />

erleben Sie einen Sommer, wie<br />

man ihn eigentlich nur aus Filmen<br />

kennt. Sie lieben, leben, lachen. Ihr<br />

Körper ist ihre beste Fre<strong>und</strong>in. Sie<br />

geben Ihren Brüsten Kosenamen.<br />

So etwas haben Sie noch nie getan.<br />

Sie lernen endlich, was es bedeutet,<br />

glücklich zu sein. Dass Sie in puncto<br />

Kommunikation zu Hochform auflaufen,<br />

spielt Ihnen übrigens auch<br />

beruflich in die Karten. In Ihnen<br />

schlummert ein soziales Genie, das<br />

Menschen zusammenbringt. Von<br />

diesen neuen Allianzen können<br />

auch Sie profitieren. Trinken Sie<br />

Champagner <strong>und</strong> entschuldigen Sie<br />

sich nicht für die roten Wangen, die<br />

er Ihnen ins Gesicht malt. Das macht<br />

Sie sexy.<br />

Stier<br />

21. April – 20. Mai<br />

Bekanntschaften mit Widdern<br />

könnten für Sie in diesem Sommer<br />

schwierig werden, denn ihr Leben<br />

verläuft in Gegensätzen. Haben<br />

Widder bis Ende Juni die Zeit ihres<br />

Lebens, so sieht es bei Ihnen gerade<br />

Anfang Juli nicht sehr rosig aus. Sie<br />

haben nicht richtig in den Sommer<br />

gef<strong>und</strong>en, finanzielle Altlasten holen<br />

Sie ein. Halten Sie Ihre Ausgaben im<br />

Griff! Fahren Sie weniger Taxi <strong>und</strong><br />

öfter mal mit dem Bus. Rufen Sie<br />

sich ins Gedächtnis: Ausgeglichen<br />

fühlen man sich nur von innen heraus.<br />

Da hilft kein Bling-Bling <strong>und</strong> bemühtes<br />

Make-up. Nehmen Sie sich<br />

zurück <strong>und</strong> genießen Ihren Sommer<br />

entspannt. Ihr berufliches Leben<br />

<strong>und</strong> ihre finanzielle Lage kosten Sie<br />

bereits genug Nerven. Gegen Ende<br />

Juli haben Sie das Gröbste überstanden<br />

<strong>und</strong> Sie blühen wieder auf.<br />

Essen Sie frische Früchte. Erinnern<br />

Sie sich an all die einfachen Freuden,<br />

die Ihren Geschmacksnerven <strong>und</strong><br />

Ihrer Seele schmeichelt – <strong>und</strong> nehmen<br />

Sie es sich.<br />

Zwilling<br />

21. Mai – 21. Juni<br />

Wahrscheinlich haben Sie in diesen<br />

Wochen Geburtstag. Herzlichen<br />

Glückwunsch! Ergreifen Sie die<br />

Chance <strong>und</strong> lassen Sie sich feiern.<br />

Vor allem: Feiern Sie sich selbst.<br />

Feiern Sie mal, was Sie erreicht<br />

haben. Feiern Sie Ihre besonderen<br />

Qualitäten, Ihre Talente, Ihre Klugheit.<br />

In Ihnen steckt so viel Energie<br />

<strong>und</strong> Sie bremsen sich viel zu oft<br />

selber aus. Versuchen Sie mal dies<br />

zu vermeiden. Loben Sie sich selbst.<br />

Auch in der Gegenwart anderer.<br />

Setzen Sie Ihre Eitelkeit strategisch<br />

ein. Denn auch Sie sind eitel. Stehen<br />

Sie dazu. Wir wollen Ihnen nicht<br />

verhehlen, dass Ihnen ein durchwachsener<br />

Sommer bevorsteht. Das<br />

bedeutet nicht, dass Sie keinen Spaß<br />

haben werden. Im Gegenteil. Aber<br />

bei Ihnen ist etwas anders wichtiger:<br />

die Suche nach sich selbst.<br />

Lassen Sie dabei die Finger von der<br />

Psychoanalyse. Wühlen Sie nicht in<br />

Ihrem Unterbewusstsein herum.<br />

Gehen Sie raus <strong>und</strong> finden Sie sich<br />

im Austausch mit den anderen.<br />

Krebs<br />

22. Juni – 22. Juli<br />

Ihnen steht ein zärtlicher Sommer<br />

bevor. Gerade für die grübelnden<br />

Krebse ist dies ein wichtiger Ausgleich:<br />

Ihr Körper steht im Mittelpunkt.<br />

Lassen Sie sich streicheln,<br />

haben Sie so viel Sex, wie es geht,<br />

<strong>und</strong> genießen Sie ihn. Die Chancen<br />

stehen gut, dass Sie dafür einen<br />

passenden Partner finden. Oder Sie<br />

haben Ihn bereits. Das gibt Ihrer<br />

Beziehung neue Energie im Bett.<br />

Bleiben Sie ruhig mal zu Hause,<br />

auch wenn draußen schönes Wetter<br />

ist. Spüren Sie die Haut des anderen.<br />

Fassen Sie sich an <strong>und</strong> lassen Sie<br />

sich anfassen. Entschuldigen Sie,<br />

dass wir an dieser Stelle so softerotisch<br />

werden, aber für die Krebse<br />

wird dies ein körperlicher Sommer.<br />

Das bedeutet übrigens auch, dass<br />

Sie endlich mit Sport anfangen<br />

sollten. Suchen Sie sich eine Jogging-<br />

Route, die Sie an Ihre Grenzen<br />

bringt, <strong>und</strong> genießen Sie, das Radler<br />

im Anschluss. Spüren Sie wie der<br />

Alkohol <strong>und</strong> Zucker Ihren Körper<br />

angenehm schwer macht.<br />

Löwe<br />

23. Juli – 23. August<br />

Es gibt zwei Dinge, auf die Sie in den<br />

nächsten Wochen achten sollten: Bemühen<br />

Sie sich zunächst um Ihren<br />

Partner. Und wenn Sie keinen haben,<br />

dann ergreifen Sie die Chance,<br />

wenn Sie jemanden treffen, mit dem<br />

Sie sich eine Beziehung vorstellen<br />

können. Die Sterne stehen gut, dass<br />

daraus eine lange Bindung werden<br />

könnte. Gegen Ende Juni schwindet<br />

Ihre Fähigkeiten zur Liebe<br />

allerdings. Alte Konflikte kehren in<br />

Ihr Leben zurück. Aber keine Angst!<br />

Es geht nicht um Ihre Existenz,<br />

sondern vielmehr darum, dass Sie<br />

sich über Ihre Rolle im Leben klar<br />

werden müssen. Vor allem die in<br />

Bezug auf enge Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Familie.<br />

Wir geben Ihnen den Rat: Emanzipieren<br />

Sie sich! Fühlen Sie sich wohl<br />

in Ihrer Unabhängigkeit. Besinnen<br />

Sie sich auf die große Kraft, die in<br />

Ihnen schlummert.<br />

Jungfrau<br />

24. August – 23. September<br />

Finanziell haben Sie die Zügel in der<br />

Hand. In Sachen Geld kann Ihnen<br />

keiner etwas vormachen. Aber<br />

Obacht. Hochmut kommt vor dem<br />

Fall. Gerade gegen Ende des Monats<br />

könnte Ihre Situation ins Schleudern<br />

geraten. Haben Sie die Tilgung Ihres<br />

Kredits zu hoch angesetzt? Kommt<br />

eine späte unangenehme Nebenkostennachzahlung<br />

auf Sie zu? Haben<br />

Sie sich eine <strong>Birkin</strong>-Bag gegönnt<br />

<strong>und</strong> nun flattert doch noch ein Brief<br />

vom Finanzamt mit der Ankündigung<br />

einer Steuerprüfung für Sie<br />

in den Briefkasten. Tja, so kann's<br />

gehen. Aber hey, Sie haben ja das<br />

<strong>Fräulein</strong>-Horoskop. Sagen Sie also<br />

nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt.<br />

Abgesehen davon steht bei Ihnen<br />

vor allem Berufliches im Mittelpunkt.<br />

Ihre Arbeit strengt Sie an <strong>und</strong><br />

Sie schauen neidisch auf Kollegen,<br />

die sich in den Urlaub verabschieden.<br />

Wir raten Ihnen, ab Ende Juni<br />

das Gleiche zu tun. Fliehen Sie vor<br />

den Rechnungen, dem Finanzamt<br />

<strong>und</strong> dem Stress. Im Herbst sind Sie<br />

weniger vom Wetter abgelenkt. Da<br />

ist das alles halb so schlimm.<br />

Waage<br />

24. September – 23. Oktober<br />

Sie sind eine der charmantesten Personen<br />

unter der Sonne. Vergessen<br />

Sie dies nicht. Lassen Sie sich davon<br />

nicht ablenken, wenn Familienkonflikte<br />

hochkochen oder ein<br />

Streit mit Fre<strong>und</strong>en eskaliert. Dies<br />

könnte nämlich in den nächsten<br />

Wochen passieren. Aber ziehen Sie<br />

sich deshalb nicht zurück. Fliehen<br />

Sie nicht vor dem Leben, sondern<br />

stürzen Sie sich hinein. Sie haben<br />

keine Probleme, auf Menschen<br />

zuzugehen. Erweitern Sie einfach Ihren<br />

Fre<strong>und</strong>eskreis. Suchen Sie nach<br />

Menschen, die Ihnen Geborgenheit<br />

vermitteln. Lassen Sie Streit <strong>und</strong><br />

Stress an sich abprallen <strong>und</strong> denken<br />

Sie mit Zuversicht an die Zukunft.<br />

Am Horizont ziehen große Ereignisse<br />

herauf, die Ihr Leben verändern<br />

werden. Empfangen Sie die Zukunft<br />

mit offenen Armen. Sie wird Ihnen<br />

Gutes bringen.<br />

Skorpion<br />

24. Oktober – 22. November<br />

Sie wollten immer schon mal<br />

Nacktfotos von sich machen lassen?<br />

Nun, vielleicht ist es jetzt an der Zeit,<br />

dies zu tun. Ernsthaft: Gerade gegen<br />

Ende des Monats ist eine gute Zeit,<br />

sich zu offenbaren. Sind Sie verliebt<br />

<strong>und</strong> Ihr Angehimmelter merkt es<br />

nicht? Oder Sie beide trauen sich<br />

nicht, sich gegenseitig ihre Liebe zu<br />

gestehen? Riskieren Sie es, setzen<br />

Sie alles auf eine Karte. Kaufen<br />

Sie Blumen oder einen Ring <strong>und</strong><br />

schenken Sie sie einem Mann. Machen<br />

Sie einen Heiratsantrag, wenn<br />

dieses Thema in Ihrer Beziehung im<br />

Raum steht. Seien Sie ehrlich <strong>und</strong><br />

sprechen Sie sich aus. Die Chancen<br />

stehen gut, dass Ihr Mut belohnt<br />

wird. Irgendwo platzt da bei Ihnen<br />

ein Knoten. Und glauben Sie uns, es<br />

wird eine Erlösung für Sie sein.<br />

Nr.10<br />

138 139<br />

Nr.10


impressum<br />

horoskop<br />

<strong>Fräulein</strong> ist eine<br />

Off One’s Rocker Ltd. Produktion<br />

mit Redaktionssitz:<br />

<strong>Fräulein</strong> Magazin<br />

Kurfürstenstraße 31-32<br />

10785 Berlin<br />

Telefon: +49 (0)30 2888 40 43<br />

Fax: +49 (0)30 2888 40 44<br />

info@fraeulein-magazin.com<br />

www.fraeulein-magazin.com<br />

Chefredakteur <strong>und</strong> Kreativdirektor<br />

V.i.S.d.P.<br />

Götz Offergeld<br />

Art Direktion<br />

Aoife Wasser<br />

Redaktion<br />

Stellvertretender Chefredakteur<br />

Hendrik Lakeberg<br />

Redaktionsleitung<br />

Anna Klusmeier<br />

Redaktion<br />

Ruben Donsbach, David Torcasso,<br />

Vanessa Obrecht<br />

Schlussredaktion<br />

Eckart Eisenblätter<br />

Grafik Department<br />

Jan-Nico Meyer<br />

Fotografen<br />

Debora Mittelstaedt, Katharina Poblotzki,<br />

Sabine Volz, Stefan Armbruster,<br />

Heiko Richard, Irina Gavrich, Bela Borsodi,<br />

Saskia Lawaks, Sandra Kaufmann,<br />

Marcel Schwickerath, Fridolin Schöpper,<br />

Jan Grarup<br />

RetuSChe<br />

Simon Geis/Recom, Lutz + Schmitt<br />

Illustratoren<br />

Anje Jager, Katrin Funcke, Zora Mann<br />

Autoren<br />

Olga Schlosser, Wäis Kiani, Mirna Funk,<br />

Daniel Seetal, Dirk Peitz, Katharina Finke,<br />

Michael Obert, Lisa Leinen<br />

Styling<br />

Christian Fritzenwanker, Felix Leblhuber,<br />

June Nakamoto @ Shotview<br />

Verlag<br />

Off Ones Rocker Publishing Ltd.<br />

Kurfürstenstraße 31-32<br />

10785 Berlin<br />

Telefon: +49 (0)30 2888 40 43<br />

Fax: +49 (0)30 2888 40 44<br />

info@fraeulein-magazin.com<br />

Herausgeber: Götz Offergeld<br />

Verlagsleiter: Hannes von Matthey<br />

Idee <strong>und</strong> Konzept: Götz Offergeld<br />

Vertrieb<br />

BPV Medien Vertrieb GmbH & Co. KG<br />

Römerstr. 90<br />

79618 Rheinfelden<br />

www.bpv-medien.com<br />

Druckerei<br />

Dierichs Druck+Media GmbH & Co. KG<br />

Frankfurter Str. 168<br />

34121 Kassel<br />

www.ddm.de<br />

Cover<br />

Foto: Heiko Richard<br />

Besonderer Dank an<br />

Malte Rettberg, Linda Sinewe<br />

Anzeigenverkauf:<br />

Nielsen 1 (Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein,<br />

Niedersachsen)<br />

Dirk Struwe, Medienvermarktung e.K.<br />

Poelchaukamp 8, 22301 Hamburg<br />

Telefon: +49 (0)40 280 580 80<br />

Fax: +49 (0)40 280 580 89<br />

d.struwe@struwe-media.de<br />

Nielsen 2 (Nordrhein-Westfalen)<br />

Andreas Fuchs, Medienservice + Beratung<br />

Vereinsstr. 20, 41472 Neuss<br />

Telefon: +49 (0)2131 406 370<br />

Fax: +49 (0)2131 406 3710<br />

kontakt@medienservice-<strong>und</strong>-beratung.de<br />

Nielsen 3a (Hessen, Rheinland Pfalz, Saarland)<br />

Weipert GmbH<br />

Palais Kronberg, Frankfurter Str. 111,<br />

61476 Kronberg<br />

Telefon: +49 (0)6173 3250 970<br />

Fax: +49 (0)6173 3259 140<br />

helmujun@weipert-net.de<br />

Nielsen 3b (Baden-Württemberg)<br />

Nielsen 4 (Bayern)<br />

Bruno Marrenbach, MMS Marrenbach<br />

Medien-Service<br />

Lachenmeyerstr. 25, 81827 München<br />

Telefon: +49 (0)89 430 88 555<br />

Fax: +49 (0)89 430 88 556<br />

info@mms-marrenbach.de<br />

ITALIEN<br />

JB Media surl, Jeffrey Byrnes<br />

Tel +39 (0)22 901 34 27, info@jbmedia.it<br />

Schütze<br />

23. November – 21. Dezember<br />

Es gibt viele Menschen, die lernen<br />

müssen, (sich) gehen zu lassen. Es<br />

wird viel zu viel gegrübelt auf dieser<br />

Welt! Aber Ausnehmen bestätigen<br />

bekanntlich die Regeln. Schützen<br />

sind im Moment so eine Ausnahme.<br />

Wir müssen Ihnen zunächst sagen,<br />

dass wir es begrüßen, wenn Sie<br />

sich auf Partys auf Kronleuchtern<br />

umherschwingen. Wir finden es unterhaltsam,<br />

Sie zu beobachten, wie<br />

Sie immer wieder die Stimmungskanone<br />

geben. Wir schätzen Ihren<br />

exzentrischen Stil <strong>und</strong> die Fähigkeit,<br />

Oberflächlichkeit als Kunstform<br />

zu zelebrieren. Aber Sie sind auch<br />

ein Meister der Verdrängung. Das<br />

könnte Ihnen in den nächsten<br />

Wochen zum Verhängnis werden.<br />

Denn einige von Ihnen werden sich<br />

erschöpft <strong>und</strong> ausgelaugt fühlen.<br />

Es könnten Sie Gedanken über die<br />

Sinnlosigkeit Ihres Lebens plagen.<br />

Deshalb: Vielleicht wenden Sie sich<br />

ab <strong>und</strong> zu mal mehr nach innen.<br />

Kommen Sie zur Ruhe <strong>und</strong> lassen<br />

Sie Ihre Traurigkeit zu. Hören Sie<br />

hin, wenn jemand redet, ohne gleich<br />

dazwischenzuquatschen. Versenken<br />

Sie sich in die Bilder von Casper<br />

David Friedrich oder in die Songs<br />

von Leonard Cohen. Lassen Sie sich<br />

mal richtig trösten.<br />

Steinbock<br />

22. Dezember – 20. Januar<br />

Sie haben keine einfache Zeit. Sie<br />

wissen nicht mehr, wo oben <strong>und</strong><br />

unten ist. Sie haben das Gefühl, alle<br />

zerren an Ihnen. E-Mails, SMS, Telefon,<br />

Facebook, Instagramm – überall<br />

will man was von Ihnen, aber Sie<br />

fragen sich: Was will ich eigentlich?<br />

Es sieht so aus, als würde für Sie<br />

die St<strong>und</strong>e der Wahrheit kommen.<br />

Wahrscheinlich unverhofft in einem<br />

Gespräch mit einer guten Fre<strong>und</strong>in<br />

oder zu Hause bei der Familie. Und<br />

glauben Sie uns, das wird gut sein.<br />

Auch wenn es Sie zunächst niederschmettert:<br />

Sie werden weinen <strong>und</strong><br />

dann von ganzem Herzen lachen.<br />

Beruhigen Sie sich, indem Sie sich<br />

sagen, dass all dies zum Leben dazugehört.<br />

Wir sind uns sicher, dass Sie<br />

wissen, dass es das Glück nicht ohne<br />

den Schmerz gibt. Wir raten Ihnen:<br />

Schalten Sie das Telefon mal aus,<br />

rufen Sie einen Tag keine E-Mail ab<br />

<strong>und</strong> spüren Sie sich selbst. Konzentrieren<br />

Sie sich dann auf die Arbeit.<br />

Sie werden so kreativ <strong>und</strong> produktiv<br />

sein wie lange nicht.<br />

Wassermann<br />

21. Januar – 19. Februar<br />

Sie sind ein Meister der Kommunikation.<br />

Eine geschickt <strong>und</strong> elegante<br />

Vermittlerin, eine Katalysator, der<br />

anderen zum Erfolg verhilft <strong>und</strong><br />

deshalb erfolgreich ist. Das gilt für<br />

das Berufs- wie für das Privatleben.<br />

Doch Ihre brillante Selbstbeherrschung<br />

wird herausgefordert: Gegen<br />

Ende des Monats Juni könnte es gut<br />

sein, dass Sie sich verlieben oder<br />

eine andere emotionale Erschütterung<br />

über Sie hereinbricht. Soweit<br />

wir das in den Sternen sehen<br />

können, hat dies keine negativen<br />

Konsequenzen. Im Gegenteil. Doch<br />

es verunsichert Sie. Bemühen Sie<br />

sich, Ihre Angst zu überwinden. Lassen<br />

Sie sich auf eine leidenschaftliche<br />

Affäre ein. Tuen Sie allgemein<br />

mal etwas Unvernünftiges. Plaudern<br />

Sie Betriebsgeheimnisse aus oder<br />

kaufen Sie sich einen teuren SUV,<br />

obwohl Sie mitten in der Stadt leben.<br />

Verstehen Sie, was wir meinen?<br />

Machen Sie einfach mal Fehler, denn<br />

nur aus denen lernt man.<br />

Fische<br />

20. Februar – 20. März<br />

Das Leben geht Ihnen leicht von<br />

der Hand, trotzdem haben Sie eine<br />

bewegende Zeit, in der in Ihrem<br />

Gefühlsleben viel passiert. Doch das<br />

überfordert Sie nicht, sondern bringt<br />

Sie weiter. Sie befinden sich in einer<br />

Zeit der Reife. Sie haben viel erreicht<br />

<strong>und</strong> ernten nun die Erfolge. Sie sind<br />

frei, sich zu entscheiden, wohin Sie<br />

gehen wollen. Einen neuen Job annehmen?<br />

Die Beziehung verfestigen?<br />

Kinder bekommen? Alles ist möglich<br />

<strong>und</strong> keine der Alternativen macht<br />

Ihnen Angst. Folgen Sie Ihrer Intuition.<br />

Sie sind in tune mit der Welt<br />

<strong>und</strong> die Chancen stehen bestens,<br />

dass alles an den richtigen Platz fällt.<br />

An alle Neider: Sorry, Leute, aber<br />

Fischen geht es einfach gut.<br />

Nr.10<br />

140 141<br />

Nr.10


händlerverzeichnis<br />

rätsel<br />

Illustration: Anje Jager<br />

Acne<br />

Acne Studios<br />

Chr IX's Gade 1,3tv<br />

1111 Kopenhagen<br />

Dänemark<br />

Shop:<br />

Acne Studios<br />

Münzstr. 21<br />

10178 Berlin<br />

American Apparel<br />

American Apparel<br />

Deutschland GmbH<br />

Zollhof 10<br />

40221 Düsseldorf<br />

Shop:<br />

American Apparel<br />

Münzstraße 19<br />

10178 Berlin<br />

Ann Demeulemeester<br />

Michèle Montagne<br />

184 rue Saint Maur<br />

75010 Paris<br />

Shop:<br />

Ann Demeulemeester<br />

Leopold de Waelplaats<br />

2000 Antwerp<br />

A.P.C.<br />

Hommes Femme<br />

Magasin General<br />

112 Rue Vielle du Temple<br />

75003 Paris<br />

Shop:<br />

A.P.C.<br />

Hommes Femme<br />

Magasin General<br />

Fasanenstr. 22<br />

10719 Berlin<br />

Artdeco<br />

ARTDECO cosmetic<br />

GmbH<br />

Gaußstr. 13<br />

85757 Karlsruhe<br />

Shop:<br />

GALERIA KAUFHOF<br />

GMBH<br />

Parfümerie Fabiani<br />

Alexanderplatz 9<br />

10178 Berlin<br />

Balmain<br />

KDC Worldwide<br />

13, rue du Mail<br />

75002 Paris<br />

Shop:<br />

Balmain<br />

135, rue de la Pompe<br />

75016 Paris<br />

Bottega Veneta<br />

Loews GmbH<br />

LENBACHPLATZ 3<br />

80333 MÜNCHEN<br />

Shop:<br />

Departmentstore<br />

Quartier 206<br />

Friedrichstr. 71<br />

10117 Berlin<br />

Brunello Cucinelli<br />

Brunello Cucinelli<br />

Via Dell'Industria 5<br />

Frazione Solomeo<br />

Shop:<br />

Brunello Cucinelli<br />

Kurfürstendamm 194<br />

10707 Berlin<br />

Burberry<br />

Loews GmbH<br />

LENBACHPLATZ 3<br />

80333 MÜNCHEN<br />

Shop:<br />

Burberry<br />

Kurfürstendamm 183<br />

10707 Berlin<br />

Cartier<br />

Cartier<br />

Richemont Northern<br />

Europe GmbH<br />

Landsberger Str. 302-306<br />

80687 München<br />

Shop:<br />

Cartier<br />

Kurfürstendamm 188-189<br />

10707 Berlin<br />

Céline<br />

Céline Press Office<br />

23-25, rue du Pont-Neuf<br />

75001 PARIS<br />

Shop:<br />

Céline Boutique Kadewe<br />

Tauentzienstr. 21<br />

10785 Berlin<br />

Chloé<br />

Chloé<br />

5-7 Av Percier<br />

75008 Paris<br />

Shop:<br />

Galerie Lafayette<br />

Friedrichstr. 76<br />

10117 Berlin<br />

Comme des gArçons<br />

Comme des Garçons<br />

16, place Vendôme<br />

75001 Paris<br />

Shop:<br />

Comme des Garçons<br />

Linienstrasse 115<br />

10115 Berlin, Germany<br />

Converse<br />

Schröder+Schömbs PR<br />

GmbH<br />

Torstr. 107<br />

10119 Berlin<br />

Shop:<br />

Converse Store<br />

Münzstr. 18<br />

10178 Berlin<br />

Diesel<br />

DIESEL DEUTSCHLAND<br />

GMBH<br />

RATHER STRASSE 49b<br />

40476 DÜSSELDORF<br />

Shop:<br />

Diesel<br />

Neue Schönhauser Str. 21<br />

10178 Berlin<br />

Diesel Black Gold<br />

Henri + Frank Public<br />

Relations<br />

Schopenstehl 22<br />

20095 Hamburg<br />

Shop:<br />

Diesel<br />

Neue Schönhauser Str. 21<br />

10178 Berlin<br />

Dries van Noten<br />

henri+frank public<br />

relations<br />

Hegestr. 40<br />

20251 Hamburg<br />

Shop:<br />

SOTO Store Berlin<br />

Torstraße 72<br />

10119 Berlin<br />

DSTM<br />

DSTM<br />

Zehdenickerstr. 25<br />

10119 Berlin<br />

Shop:<br />

DSTM<br />

Zehdenickerstr. 25<br />

10119 Berlin<br />

Emilio PuCCi<br />

Karla Otto Milan<br />

Via dell’Annunciata 2<br />

Milan, 20121<br />

Shop:<br />

KaDeWe<br />

Tauentzienstraße 21-24<br />

10789 Berlin<br />

Filippa K<br />

Fake PR<br />

Münzstr. 13-15<br />

10178 Berlin<br />

Shop:<br />

Alte Schönhauser<br />

Straße 11<br />

10119 Berlin<br />

G-Star Jeans<br />

Schöller&von<br />

Rehlingen PR<br />

Johnsallee 22<br />

20148 Hamburg<br />

Shop:<br />

G-Star Jeans<br />

Oranienburger Straße 12<br />

10178 Berlin<br />

Giorgio Armani<br />

Giorgio Armani Retail<br />

s.r.l.<br />

Maximilianstraße 32<br />

80539 München<br />

Shop:<br />

Eporio Armani Berlin<br />

Friedrichstr. 169/170<br />

10117 Berlin<br />

Givenchy<br />

Givenchy Press Department<br />

2, avenue Montaigne<br />

75008 Paris<br />

Shop:<br />

Quartier 207<br />

Friedrichstraße 76-78<br />

10117 Berlin<br />

Gucci<br />

Network Public Relations<br />

GmbH<br />

Hallerstraße 76<br />

20146 Hamburg<br />

Shop:<br />

Gucci Store<br />

Französische Straße 23<br />

10117 Berlin<br />

Haider Ackermann<br />

Michèle Montagne<br />

184, rue Saint Maur<br />

75010 Paris<br />

Shop:<br />

Atelier Haider Ackermann<br />

Populierenlaan 34<br />

2020 Antwerp<br />

Hermès<br />

Hermès GmbH<br />

Marstallstr. 8<br />

80539 München<br />

Shop:<br />

Hermès Store<br />

Kurfürstendamm 58<br />

10707 Berlin<br />

Isabel Marant<br />

KCD Paris<br />

13, rue du Mail<br />

75002 Paris<br />

Shop:<br />

16, rue de Charonne<br />

75011 paris<br />

James CAStle<br />

James Castle<br />

Kastanienallee 56<br />

10119 Berlin<br />

Shop:<br />

James Castle<br />

Kastanienallee 56<br />

10119 Berlin<br />

Jeonga Choi<br />

Jeonga Choi Berlin<br />

Zellestr. 2a<br />

10247 Berlin<br />

Shop:<br />

Jeonga Choi Berlin<br />

Zellestr. 2a<br />

10247 Berlin<br />

Jil Sander<br />

Loews GmbH<br />

LENBACHPLATZ 3<br />

80333 MÜNCHEN<br />

Shop:<br />

Jil Sander<br />

Kurfürstendamm 185<br />

10707 Berlin<br />

Layer-0<br />

Layers London<br />

16 Conduit Street<br />

London<br />

W1S 2XL<br />

Shop:<br />

Boutique Chegini<br />

Kohlmarkt 7<br />

1010 Wien<br />

Levi’s<br />

Silk Relations GmbH<br />

Rückerstr. 4<br />

10119 Berlin<br />

Shop:<br />

Buttenheim Levis Store<br />

Memhardstraße 7<br />

10178 Berlin<br />

Lick my Legs<br />

contact@lick-my-legs.<br />

com<br />

Shop:<br />

BE A GOOD GIRL<br />

Westbahnstrasse 5a<br />

1070 Wien<br />

Liebeskind<br />

LIEBESKIND GmbH &<br />

Co. KG<br />

Alter Fischmarkt 1<br />

48143 Münster<br />

Shop:<br />

Liebeskind Berlin Store<br />

Alexa Shopping Centre<br />

Grunerstr. 20<br />

10179 berlin<br />

<strong>Lou</strong>is Vuitton<br />

<strong>Lou</strong>is Vuitton Deutschland<br />

GmbH<br />

Maximilianstraße 2a<br />

80539 München<br />

Shop:<br />

<strong>Lou</strong>is Vuitton<br />

Maximilianstraße 12<br />

80539 München<br />

M Missoni<br />

VALENTINO FASHION<br />

GROUP S.p.A.<br />

Via Ferrante Aporti 8<br />

5th floor<br />

20125 Milano – Italy<br />

Shop:<br />

Departmentstore Quartier<br />

206<br />

Friedrichstraße 71<br />

10117 Berlin<br />

Maison Martin Margiela<br />

henri+frank public<br />

relations<br />

Hegestr. 40<br />

20251 Hamburg<br />

Shop:<br />

Greta + Luis<br />

Rosenthaler Straße 15<br />

10119 Berlin<br />

Marc by mArc Jacobs<br />

Store:<br />

Departmentstore<br />

Quartier 206<br />

Friedrichstr. 71<br />

10117 Berlin<br />

Marc Jacobs<br />

Store:<br />

Departmentstore<br />

Quartier 206<br />

Friedrichstr. 71<br />

10117 Berlin<br />

MM6<br />

henri+frank public<br />

relations<br />

Hegestr. 40<br />

20251 Hamburg<br />

Shop:<br />

Greta + Luis<br />

Rosenthaler Straße 15<br />

10119 Berlin<br />

MTWTFSS Weekday<br />

Agency V<br />

Graefestraße 71<br />

10967 Berlin<br />

Shop:<br />

Weekday Store<br />

Friedrichstraße 140<br />

10117 Berlin<br />

Mui Mui<br />

Loews GmbH<br />

LENBACHPLATZ 3<br />

80333 MÜNCHEN<br />

Shop:<br />

MIU MIU KADEWE<br />

21/24 TAUENTZIENST-<br />

RASSE<br />

10789 BERLIN<br />

Mykita<br />

Agency V<br />

Graefestraße 71<br />

10967 Berlin<br />

Shop:<br />

MYKITA Shop Berlin<br />

Rosa-Luxemburg-<br />

Strasse 6<br />

10178 Berlin<br />

Opening Ceremony<br />

Black Frame<br />

530 W 25th St #603<br />

New York, NY 10001<br />

Shop:<br />

Opening Ceremony<br />

New York<br />

35 Howard Street<br />

New York, NY 10013<br />

Persol Sonnenbrille<br />

Stiljäger PR<br />

Hochbrückenstr. 10<br />

80331 münchen<br />

Shop:<br />

SPECS BERLIN<br />

ALTE SCHOENHAUSER<br />

STR. 39<br />

10119 BERLIN<br />

Petar Petrov<br />

Petar Petrov<br />

Grabnergasse 16/12<br />

1060 Wien<br />

Shop:<br />

PARK<br />

Mondscheingasse 20<br />

1070 Wien<br />

Polaroid<br />

Andrea leitnner Public<br />

Relations<br />

Wollzeile 22/15<br />

1010 Wien<br />

Shop:<br />

www.polaroideyewear.<br />

com<br />

POP Phone<br />

Native Union<br />

Concorde House<br />

Trinity Park<br />

Birmingham mB37 7UQ<br />

Shop:<br />

www.nativeunion.com<br />

Prada<br />

Loews GmbH<br />

LENBACHPLATZ 3<br />

80333 MÜNCHEN<br />

Shop:<br />

Prada<br />

Kurfürstendamm 186<br />

10707 Berlin<br />

Ray Ban<br />

WHITE COMMUNICA-<br />

TIONS GMBH<br />

Rosenheimer Str. 145e<br />

81671 München<br />

Shop:<br />

KaDeWe<br />

Tauentzienstr. 21-24<br />

10785 Berlin<br />

Replay<br />

Andrea leitnner Public<br />

Relations<br />

Wollzeile 22/15<br />

1010 Wien<br />

Shop:<br />

Replay Shop<br />

Kurfürstendamm 12<br />

10719 Berlin<br />

Rick oWens<br />

RICK OWENS NEW YORK<br />

250 HUDSON STREET<br />

NEW YORK 10013<br />

Store:<br />

RICK OWENS NEW YORK<br />

250 HUDSON STREET<br />

NEW YORK 10013<br />

Saint lAurent pAris<br />

Yves Saint Laurent<br />

7, avenue George V<br />

75008 Paris<br />

Shop:<br />

Yves Saint Laurent<br />

Kurfürstendamm 52<br />

10707 Berlin<br />

Schiesser<br />

SCHIESSER AG<br />

Christine Wendel<br />

Public Relations<br />

Postfach 1520<br />

D-78305 Radolfzell am<br />

Bodensee<br />

Shop:<br />

Kirstin Klingst <strong>und</strong> Andreas<br />

Murkudis AM3 GbR<br />

Münzstr. 23<br />

10178 Berlin<br />

Sonia Rykel<br />

175 Boulevard<br />

Saint-Germain<br />

75006 Paris<br />

Frankreich<br />

Shop:<br />

Galeries Lafayette<br />

Friedrichstr. 76-78<br />

10117 Berlin<br />

Sportmax<br />

Loews GmbH<br />

LENBACHPLATZ 3<br />

80333 MÜNCHEN<br />

Shop:<br />

Max Mara<br />

Friedrichstrasse 184<br />

10117 Berlin<br />

Stella mCCartney<br />

21A Bruton Place<br />

London W1J 6NB<br />

England<br />

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Maffeistr. 3<br />

80333 München<br />

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5150 Wilshire Blvd.<br />

Suite 200<br />

Los Angeles, CA 90036<br />

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JADES<br />

Heinrich-Heine-Allee 53<br />

40213 Düsseldorf<br />

Topshop<br />

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LONDON W1T 3NL<br />

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Topshop<br />

36-38 Great Castle Street<br />

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Versace<br />

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LENBACHPLATZ 3<br />

80333 MÜNCHEN<br />

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VERSACE<br />

Maximilianstraße 11-15<br />

80539 München<br />

Wanda Nylon<br />

POLYESTER<br />

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75009 Paris<br />

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Grünstr. 5<br />

40212 Düsseldorf<br />

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Fraunhoferstr. 31<br />

80469 München<br />

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Boutique Chegini<br />

Kohlmarkt 7<br />

1010 Wien<br />

Wood Wood<br />

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Baghuset<br />

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18 bikinis, die <strong>Fräulein</strong> tragen will, <strong>und</strong> 10 Fehler, die zu finden sind!<br />

Nr.10<br />

142 143<br />

Nr.10


sachen gibt es<br />

Text: David Torcasso<br />

frauen <strong>und</strong> macht<br />

Das 21. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

gilt als DAs<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert der<br />

Frau. Auch wenn<br />

es noch viel<br />

NachholbeDArf<br />

gibt, besetzen<br />

Frauen weltweit<br />

immer häufiger<br />

Machtpositionen.<br />

Was zeichnet<br />

sie aus?<br />

Die KäMPFERIn: SHERYLL SANDBERG<br />

Letztes Jahr wurde Sheryll Sandberg durch das US-Magazin „Forbes“ zur fünftmächtigsten<br />

Frau der Welt gewählt. Die operative Geschäftsführerin von Facebook setzt sich wie kaum<br />

eine andere für die Rolle der Frau in der Geschäftswelt ein. Gleichzeitig kritisiert sie, Frauen<br />

stünden sich beim beruflichen Aufstieg selbst im Weg . „Übernehmt Verantwortung!“,<br />

verlangt Sandberg in ihrem neuen Buch „Lean In: Frauen <strong>und</strong> der Wille zum Erfolg“. Mit ihrer<br />

musterhaften Biografie kann sie sich das erlauben: Die Amerikanerin arbeitete schon bei<br />

Google <strong>und</strong> als Stabschefin im US-Finanzministerium. Dank ihres Aktien-Besitzes gehört sie<br />

nicht nur zu den mächtigsten, sondern auch zu den reichsten Frauen der Welt.<br />

Die Jongleurin: CHRISTINE LAGARDE<br />

Christine Lagarde ist mächtig, weil Geld Macht verleiht. Seit vergangenem Jahr ist sie die<br />

erste Frau an der Spitze des Internationalen Währungsfonds <strong>und</strong> führt den IWF durch die<br />

Banken- <strong>und</strong> Finanzkrise. Kein einfacher Job. Als Bestandteil der „Troika“ (bestehend aus<br />

IWF, Europäischer Kommission <strong>und</strong> Zentralbank) entscheidet sie aktiv über den Ankauf<br />

von Staatsanleihen in Krisenländern wie Griechenland, Spanien oder Zypern mit. Das hat ihr<br />

nicht nur Fre<strong>und</strong>e gemacht. Trotzdem wird die elegante Dame mit den schwarzen Blousons,<br />

der französischen Eleganz <strong>und</strong> den würdevoll ergrauten Haaren wie keine andere geschätzt.<br />

Lagarde wird respektiert, weil sie eine klare Linie hat <strong>und</strong> sich durchsetzen kann, ohne laut<br />

zu werden. Sie nutzt ihren Stand als Frau selbstbewusst in einer von Männern dominierten<br />

(Finanz-)Welt. Bisher mit Erfolg.<br />

Die AUSERWähLTE: JILL ABRAMSON<br />

Es gibt zwar mehr Journalistinnen als Journalisten - aber nicht in Spitzenpositionen. Jill Abramson ist da eine große Ausnahme. Sie ist die Chefredakteurin<br />

der wichtigsten Zeitung der Welt: der New York Times. Wie allerorten brechen im amerikanischen Printjournalismus die Gewinne ein. Gleichzeitig muss<br />

die New York Times gegen harte Konkurrenz um ihren Ruf kämpfen. Bei der diesjährigen Verleihung der Pulitzerpreise, der Oscarverleihung des amerikanischen<br />

Journalismus- <strong>und</strong> Literaturbetriebs, wurde die Times dann gleich viermal ausgezeichnet. Abramson selbst sagt, sie sei stolz darauf, es als erste<br />

Frau in der 100-jährigen Zeitungsgeschichte an die Spitze geschafft zu haben. Fast wäre es dazu aber gar nicht erst gekommen. Vor vier Jahren wurde die<br />

zierliche Frau, die seit einer Dekade bei der New York Times arbeitet, von einem Lastwagen überfahren. Nach einigen Wochen war sie wieder im Büro. Das<br />

nennt man wohl Durchsetzungswillen.<br />

Die Aufsteigerin: DILMA ROUSSEFF<br />

Dilma Rousseff ist seit Januar 2011 die erste Präsidentin von Brasilien. Ein besonderer Posten, da Brasilien als eine der aufstrebenden Nationen der Welt gilt<br />

<strong>und</strong> sich in den letzen Jahren zur sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt gemausert hat. Die 63-jährige Linkspolitikerin hat eine bewegte Vergangenheit. In<br />

den 60er-Jahren schloss sie sich der Guerilla gegen die damalige Militärdiktatur an. 1970 wurde sie verhaftet <strong>und</strong> nach eigenem Bek<strong>und</strong>en 22 Tage lang gefoltert.<br />

Nach dem Ende der Diktatur ging sie in die Politik. Eine starke Frau, gewiss. Gefördert wurde Rouseff jedoch von einem Mann: von Lula da Silva. Als<br />

der 2002 Präsident wurde, beorderte er Rouseff in sein Kabinett. 2010 schlug er sie als seine Nachfolgerin vor. Nun will die nicht unumstrittene Präsidentin<br />

Zeichen setzen: Oberste Priorität hat für sie die Armutsbekämpfung in Brasilien sowie der Schutz natürlicher Ressourcen. An Mut mangelt es ihr jedenfalls<br />

nicht. Selbst mit Angela Merkel hat sie sich schon wegen ihrer Fiskalpolitik in der Eurozone angelegt.<br />

Die Mächtige: ANGELA MERKEL<br />

Natürlich darf Angela Merkel in einer Liste der mächtigsten Frauen der Welt nicht fehlen. Nicht nur, weil sie als unangefochtene B<strong>und</strong>eskanzlerin die<br />

viertgrößte Volkswirtschaft der Welt lenkt, sondern auch, weil sie in der Finanzkrise zur wichtigsten Politikerin in Europa <strong>und</strong> damit der Welt geworden ist.<br />

Zugute kam der studierten Physikerin, dass sie von Anfang an unterschätzt wurde. Niemand wollte der leisen Protestantin aus dem Osten zutrauen, den<br />

katholischen Männerverein CDU hinter sich zu bringen. Demütigungen nahm sie ungerührt hin. Mit Kalkül <strong>und</strong> Beharrlichkeit stach sie ihre Kontrahenten<br />

aus: ob Roland Koch, Christian Wulff oder Friedrich Merz. Dabei zeigt Merkel, die privat sehr humorvoll sein soll, kaum Emotionen, wägt Entscheidungen<br />

ab wie ein Manager. Ihr geht es nicht um das Prinzip. Merkel ist eine Sachverwalterin der Macht <strong>und</strong> vielleicht gerade darum in Zeiten der Krise so beliebt<br />

wie nie zuvor. Gewinnt sie die nächste Wahl, dann könnte sie, so heißt es im politischen Berlin, zur Mitte der kommenden Legislaturperiode auf dem Höhepunkt<br />

ihrer Macht freiwillig zurücktreten.<br />

Nr.10<br />

144<br />

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