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Ausgabe 10/2013<br />
<strong>Mutter</strong> UND <strong>Tochter</strong><br />
<strong>Jane</strong> birkin & <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong><br />
Das Ende der Männer<br />
Die mächtigsten Frauen der Welt<br />
Sportlerinnen auf al-Qaidas Todesliste<br />
Penis Blues<br />
Bikinis<br />
Und heisse Jungs
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editorial<br />
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Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
herzlich willkommen zur 10. Ausgabe von <strong>Fräulein</strong>!<br />
Was für eine spannende Reise war das bis hier hin!<br />
Wie viele unglaublich tolle Geschichten wir durch<br />
das <strong>Fräulein</strong> erlebt haben, im Heft hatten <strong>und</strong> mit<br />
wie vielen tollen Leuten wir arbeiten konnten!<br />
Zum Geburtstag haben wir <strong>Fräulein</strong> zusammen<br />
mit der New Yorker Kreativdirektorin Aoife Wasser<br />
einen besonderen Look verpasst. Außerdem<br />
liegen einer Teilauflage von 20.000 Exemplaren eine<br />
Leseprobe von L'Officiel Hommes bei, die wir seit<br />
Anfang des Jahres in Berlin redaktionell für den<br />
Vision Media Verlag produzieren. Genießen Sie die<br />
Hefte! Es ist viel passiert <strong>und</strong> es liegt noch so viel<br />
vor uns!<br />
Wir hoffen, Sie werden uns weiterhin die Treue halten<br />
<strong>und</strong> uns noch lange auf dieser Reise begleiten!<br />
Viel Spaß beim Lesen!<br />
Ihr<br />
Götz Offergeld<br />
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contributor<br />
shop.santonishoes.com<br />
anje Jager<br />
Deine Illustrationen des Rätsels <strong>und</strong> des Rezeptes<br />
machen „<strong>Fräulein</strong>“ erst komplett.<br />
Stefan Armbruster<br />
<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> gehört wahrscheinlich zu den meistfotografierten<br />
Frauen der Welt. Die Bilder von Stefan<br />
gehören zu den intimsten!<br />
Sabine Volz<br />
Must-haves in Szene setzten kann niemand so<br />
gut wie Sabine.<br />
Felix Leblhuber<br />
Danke für dein großartiges Styling. Best dressed<br />
man!<br />
Mirna Funk<br />
Der Phallus in der Kunstgeschichte, klingt erst<br />
mal nicht so sexy. Stimmt aber nicht. Der Beweis:<br />
der Text von Mirna.<br />
Bela BoRSodi<br />
Die Monster-Flakons von Bela haben wir zum<br />
Fressen gern. Rrrrrrriiiiighhhhhttt oooonnn!<br />
Heiko Richard<br />
trägt nicht nur die bestsitzenden Jeans in Berlin-<br />
Mitte, sondern hat auch unser Cover <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong><br />
großartig in Szene gesetzt.<br />
Katharina Finke<br />
Entlockte der französischen Autorin Marie Darrieussecq<br />
in einem tollen Interview intime Details<br />
über ihr „coming of age“. Merci Katharina.<br />
Irina Gavrich<br />
hat keine Probleme mit hohen PS-Zahlen. Für<br />
<strong>Fräulein</strong> fotografierte sie Easy Rider <strong>und</strong> ein<br />
Raging Girl. Gefällt uns sehr.<br />
christian fritzenwanker<br />
Christian ist schon gar nicht mehr wegzudenken<br />
von unseren <strong>Fräulein</strong>-Shoots. Bei <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong><br />
saßen Haare & Make-up mal wieder perfekt.<br />
Debora Mittelstaedt<br />
hat ein w<strong>und</strong>erschönes, zeitloses Portrait von<br />
unserer Stil-Legende Sibylle Gerstner fotografiert.<br />
Ein <strong>Fräulein</strong>liebling in dieser Ausgabe.
Inhaltsverzeichnis<br />
S.130<br />
S.84<br />
Sibylle Gerstner: Das Leben unserer Stil-Legende hat uns tief<br />
bewegt. Eine Hommage an die Künstlerin, Autorin <strong>und</strong> Gründerin<br />
der ersten Frauenzeitschrift der DDR. S.40<br />
S.40<br />
Taschen-Traum: Das Schnittmuster von Martin Margiela. S.48<br />
<strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong>: Streitbar, schlau <strong>und</strong> schön – Die <strong>Tochter</strong> von <strong>Jane</strong><br />
<strong>Birkin</strong> <strong>und</strong> Jacques <strong>Doillon</strong> steckt voller Energie S.54<br />
S.54<br />
<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong>: Sie ist viel mehr als nur die „Ex“ von Serge<br />
Gainsbourg. Die <strong>Mutter</strong> von <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> gilt eine der großen<br />
weiblichen Ikonen unserer Zeit. S.84<br />
S.48<br />
Arty aber sexy: Der Phallus in der Kunstgeschichte. S.112<br />
Reportage: Frauenbasketball in Somalias Hauptstadt<br />
Mogadishu kann lebensgefährlich sein. S.118<br />
<strong>Lou</strong> Hayter: Die Engländerin liebt Yves Saint Laurent <strong>und</strong> wir<br />
lieben sie! S.124<br />
Sind die Männer am Ende?: Die Autorin Hanna Rosin provoziert<br />
mit gewagten Thesen. S.126<br />
Anti-<strong>Fräulein</strong>: Warum uns Halle Berry auf die Nerven geht.<br />
S.130<br />
Sachen gibt es: Die mächtigsten Frauen der Welt. S.144<br />
S.118<br />
S.112<br />
S.124<br />
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talent<br />
Text: Hendrik Lakeberg<br />
Foto: Irina Gavrich<br />
SL: Manche Dinge liebe ich einfach <strong>und</strong> möchte<br />
sie teilen. Mir geht es darum, den Leuten zu<br />
zeigen, was kulturell passiert, wo neue Szenen<br />
entstehen, die interessant sind. Zum Beispiel<br />
Woodkid. Der ist ein interessanter neuer Musiker<br />
<strong>und</strong> Künstler. Es waren viele wichtige<br />
Leute aus der französischen Musikszene auf<br />
seinem Konzert in Paris. Justice <strong>und</strong> Kandinsky<br />
zum Beispiel. Das sind nicht unbedingt<br />
Personen, die man mit der „Vogue“<br />
verbindet. Aber ich finde es wichtig, auch<br />
dort so etwas zu zeigen. Zu zeigen, dass<br />
da neue kluge Leute sind. Ich versuche,<br />
ein Zeitzeuge meiner Generation zu sein<br />
<strong>und</strong> offen für alles Neue zu bleiben. Ich<br />
bin geradezu süchtig danach.<br />
Man muss in Ihren Beruf sehr kommunikativ<br />
sein. War das ein Talent,<br />
das Sie immer schon hatten?<br />
SL: Vor allem muss ich psychologisch<br />
klug vorgehen. Dass mir das leicht<br />
fällt, hat mit meiner Vergangenheit zu<br />
tun. Ich habe in Belgien <strong>und</strong> Norwegen,<br />
Südfrankreich, Tel Aviv <strong>und</strong> Paris gelebt.<br />
Meine Eltern sind oft umgezogen. Ich<br />
musste ständig neue Fre<strong>und</strong>e gewinnen.<br />
Es ist also einfach für mich, mit Leute ins<br />
Gespräch zu kommen. Ich bin sehr neugierig<br />
<strong>und</strong> leidenschaftlich interessiert an<br />
Menschen. Trotzdem ist es ab <strong>und</strong> zu nicht<br />
einfach. Manche sind schüchtern, sie fühlen<br />
sich mit ihrem Körper <strong>und</strong> vor der Kamera<br />
nicht richtig wohl. Auch wenn sie schön sind,<br />
sind sie kompliziert. Es ist das Talent eines<br />
Fotografen, in diesen Momenten die richtigen<br />
Worte zu finden, die richtige Psychologie. Am<br />
Anfang sagen manche Nein, aber es passiert<br />
mir oft, dass ich sie später zum zweiten Mal<br />
frage <strong>und</strong> dann lockern sie auf. Dann lassen sie<br />
gerne ein Foto machen. Ich setze mich mit den<br />
Menschen auseinander, versuche aufrichtig ihsaskia<br />
lawaks<br />
von den Fashion weeks der WELT bis zur ART BASEL miami –<br />
saskia LAWAKS FOTOGRAFIERT für die FRANZösische „VOGUE“<br />
auf den GROSSEN SZENE-EVENTS die gäSTE<br />
Wie sind Sie zu Ihrem Job gekommen?<br />
Saskia Lawaks: Ich habe Psychologie <strong>und</strong> Human<br />
Resources studiert <strong>und</strong> im Anschluss bei<br />
einer Werbeagentur angefangen. Mir wurde<br />
in dieser Zeit klar, welche Möglichkeiten <strong>und</strong><br />
welche Macht das Internet bietet. So startete<br />
ich meinen Blog Facescoop. Am Anfang<br />
habe ich vor allem Streetstyles fotografiert.<br />
Es interessierte mich immer schon, wie<br />
Menschen sich kleiden, wie sie geben oder<br />
reden. Zu den Streetstyles kamen Galerieeröffnungen,<br />
Konzerte <strong>und</strong> Events. Auf<br />
einer Party habe ich einen netten Typen<br />
getroffen, mit dem ich lange über meinen<br />
Blog sprach. Es stellte sich heraus,<br />
dass er den Online-Auftritt vom Condé<br />
Nast Verlag betreut. Wir trafen uns<br />
wieder <strong>und</strong> ich fing an, für die Webseite<br />
der französischen „Vogue“ Partys<br />
<strong>und</strong> Fashion-Shows zu dokumentieren.<br />
Ich hatte aber schon vorher sehr<br />
gute Kontakte in die Mode- <strong>und</strong> Musikindustrie,<br />
was mir sehr geholfen hat.<br />
Wie entscheiden Sie, wen Sie fotografieren?<br />
SL: Ich kenne viele Leute <strong>und</strong> ich versuche<br />
immer eine Balance zu schaffen<br />
zwischen den großen Berühmtheiten wie<br />
zum Beispiel Karl Lagerfeld <strong>und</strong> denen,<br />
die in der Branche wichtig sind, von denen<br />
man aber nicht unbedingt das Gesicht<br />
kennt. Stylisten oder Make-up-Artists zum<br />
Beispiel. Talente, an die ich glaube <strong>und</strong> bei<br />
denen ich denke, dass sie eine tolle Karriere<br />
vor sich haben.<br />
Sie gehen zu den großen Anlässen. Zu den<br />
Fashion Weeks, zur Biennale in Venedig oder<br />
der Art Basel Miami. Ab <strong>und</strong> zu fotografieren<br />
Sie auch auf eher kleineren Konzerten <strong>und</strong><br />
anderen Szene-Events. Wie suchen Sie diese<br />
aus?<br />
Nr.10<br />
12 13<br />
Nr.10
talent<br />
nen gegenüber zu sein. Das merken diejenigen, an<br />
die ich herantrete.<br />
Andere Personen wollen unbedingt fotografiert<br />
werden, aber vielleicht interessieren Sie sich<br />
nicht unbedingt für sie. Sind Sie sich über Ihre<br />
Macht bewusst? Wie gehen Sie damit um?<br />
SL: Man sagt mir, dass ich Macht habe. Ich sehe<br />
das aber nicht so. Natürlich macht es mich froh,<br />
wenn meine Bilder geschätzt werden, aber ich liebe<br />
meinen Job. Ich muss ihn machen. Für mich ist<br />
es das Gleiche, zu Karl Lagerfeld zu gehen <strong>und</strong> zu<br />
sagen: „Hi Karl, kann ich dich fotografieren?“ oder<br />
eine unbekannte Person auf der Straße wegen seines<br />
Styles zu fotografieren. Ich respektiere beide<br />
Personen auf die gleiche Art. Aber natürlich gibt es<br />
die Macht des Bildes. Die Macht, eine Geschichte<br />
zu erzählen. Einen Moment einzufangen. Ich glaube<br />
an diese Macht. Doch sie ist größer als ich <strong>und</strong><br />
die Personen, die ich fotografiere.<br />
Was, denken Sie, kann man über unsere Zeit<br />
erfahren, wenn man auf Ihre Bilder in ein paar<br />
Jahren zurückblickt?<br />
SL: Ich weiß es nicht. Ich sehe nur die Bilder.<br />
Menschen, die ich liebe. Dass wir Spaß hatten.<br />
Dass sich Menschen durch mich treffen <strong>und</strong> sich<br />
daraus etwas entwickelt. Glück, Traurigkeit, eine<br />
Spannung, etwas Starkes – das will ich in meinen<br />
Fotos einfangen. Ich bin ein guter Vermittler. Wenn<br />
ich einen Künstler <strong>und</strong> einen Designer kenne,<br />
dann stelle ich sie einander vor <strong>und</strong> schlage ihnen<br />
vor, zusammen zu arbeiten oder essen zu gehen.<br />
Vielleicht kann das Foto der Anfang von etwas<br />
sein. Mein eigentlicher Job ist es aber, Zeuge einer<br />
Generation zu sein. Wie Warhol es war oder Keith<br />
Haring. Ich will mich natürlich nicht mit ihnen<br />
vergleichen, aber ich bew<strong>und</strong>ere sie dafür, wie sie<br />
ihre Kunst dazu verwenden, einen Moment einzufangen.<br />
Ich frage meine K<strong>und</strong>en bei Jobs, wie das<br />
Briefing ist, aber sie sagen mir mittlerweile nur:<br />
Mach, was du immer tust, sei einfach du selbst.<br />
Sie treffen all diese Leute, berühmte Schauspieler,<br />
Designer. Gibt es unter ihnen jemand, der<br />
Ihnen bis heute im Kopf geblieben ist, der Sie<br />
überrascht hat?<br />
SL: Ich habe mich dafür entschieden, meinen<br />
normalen Bürojob aufzugeben <strong>und</strong> von meiner<br />
Leidenschaft zu leben. Vom Adrenalin, ständig<br />
neue Menschen zu treffen. Am Anfang musste<br />
ich durch die Hintertür auf die Party schleichen.<br />
Ich wollte mich in das Nachtleben hineinwerfen.<br />
Dabei habe ich sehr gute Verbindungen zu Personen<br />
bekommen, die man als Celebrities bezeichnen<br />
würde. Aber ich sehe sie nicht als Celebrities,<br />
sondern als kreative Menschen. Für mich sind sie<br />
nicht nur ein Gesicht, das kommt <strong>und</strong> geht. Sie<br />
sind Teil der Energie einer Stadt.<br />
Sie sagen, dass es Ihnen einen Adrenalinschub<br />
gibt, Menschen zu treffen. Würden Sie sagen,<br />
dass Sie im Endeffekt schüchtern sind?<br />
SL: Privat bin ich natürlich schüchterner als in<br />
meinem sozialen Leben. Aber ich habe viele Persönlichkeiten.<br />
Ist Ihr Job im Endeffekt nur Arbeit? Auf der Arbeit<br />
ist man meistens jemand anderer als privat.<br />
SL: Nein, ich bin ich selber. Ich zwinge mich nicht.<br />
Verstelle mich nicht. Die Leute merken, wenn ich<br />
sie mag <strong>und</strong> wann nicht. Denn wenn ich jemanden<br />
nicht mag, dann richtig (lacht). Ich habe keine<br />
Angst vor Menschen, vor was sie sind, vor der<br />
Wahrheit. Mit Menschen in Kontakt zu treten ist<br />
etwas, das mich am Leben hält.<br />
Denken Sie darüber nach, mit Ihrer Fotografie<br />
weiterzugehen? Vielleicht auch ganze Modestrecken?<br />
SL: Ehrlich gesagt, habe ich vorher der Fotografie<br />
schon andere Sachen gemacht <strong>und</strong> ich werde in<br />
Zukunft andere Sachen machen. Ich bin so süchtig<br />
nach der neue Szene, dass ich immer einen anderen<br />
Ausdruck für sie finden werde. Natürlich ist<br />
die Fotografie in meinem Leben gerade sehr wichtig.<br />
Aber ich mache viele Dinge gleichzeitig. Ich bin<br />
eine Business Frau geworden. In meinem alten Job<br />
musste ich Menschen managen <strong>und</strong> Geld verdienen.<br />
Fotografie ist meine Leidenschaft, ich habe sie<br />
zu meinem Beruf gemachen. Aber genau so wichtig<br />
ist mir, dass sich tolle Charaktere durch mich<br />
zusammenkommen. Bands fragen mich, ob ich sie<br />
beraten möchte. Oder Magazine. Ich bin ein Insider<br />
der Industrie. Ich habe ein umfassendes Wissen<br />
über die Branche, da ich ja auf allen Shows bin,<br />
auch backstage. Fotografie ist meine Leidenschaft,<br />
aber ich werde auch mehr in die Consulting- <strong>und</strong><br />
Artdirektion-Richtung gehen, denn ich habe eine<br />
Menge zu sagen, nicht nur mit der Fotografie.<br />
Was hat Sie an der Mode angezogen?<br />
SL: Ich war immer schon begeistert von Mode.<br />
Mich fasziniert die Kreativität, die in ihr steckt.<br />
Es beeindruckt mich immer wieder, wie jemand<br />
aus fast nichts in kürzester Zeit eine ganze Kollektion<br />
entwickeln kann. Wie Mode inspiriert ist<br />
von Moodboards, von Reisen, von Handwerk. Die<br />
Modewelt ist eine kleine Community, in der die<br />
Dinge sehr schnell gehen. Sie ist getrieben von<br />
Trends, von Musik. Sie versucht sich ständig <strong>und</strong><br />
„ich GLAUBE<br />
an die MACHT<br />
des bildes, die<br />
macht, eine<br />
geschichte zu<br />
erzählen“<br />
immer neu, die Zukunft auszumalen. Ich bin sehr<br />
glücklich dabei zu sein, <strong>und</strong> dabei ein bisschen zu<br />
assistieren.<br />
Was denken Sie über die aktuellen Kollektionen,<br />
die Sie auf den Laufstegen sehen?<br />
SL: Ich schätze viele zeitgenössische Designer<br />
sehr, aber ich mag häufig nicht, was sie entwerfen.<br />
Es entspricht nicht meinen Vorstellungen vom<br />
Körper der Frau. Die Krise inspiriert zum Beispiel<br />
zu Mänteln, die aussehen, als wären sie dazu da,<br />
in den Krieg zu ziehen, aber sie sind nicht sexy<br />
<strong>und</strong> feminin. Die neue Silouette lässt Frauen aussehen<br />
wie Kosmonauten. Alle wollen im Moment<br />
so sein wie Celine mit einem eigenen Twist. Das<br />
geht häufig schief, finde ich. Trotzdem respektiere<br />
ich auch diese Mode natürlich. Sie steht am Ende<br />
einer langen Geschichte. Sie erzählt uns viel darüber,<br />
in was für einer Zeit wir leben. Die Kunst der<br />
Mode ist etwas Intellektuelles, sie ist nah dran an<br />
wirtschaftlichen Entwicklungen <strong>und</strong> reagiert auf<br />
sie. Schaut man also sehr genau hin, dann kann<br />
man durch die Mode die Welt ein bisschen besser<br />
verstehen.<br />
saskia Lawaks veröffentlicht unter anderem auf<br />
facescoop.com, vogue.fr <strong>und</strong> purple.fr.<br />
Nr.10<br />
14 15<br />
Nr.10
talent<br />
Text: Vanessa Obrecht<br />
Foto: Vanessa Obrecht<br />
Postproduction: Simon Geis/Recom<br />
bleached<br />
jennifer <strong>und</strong> JESSICA CLAVIN haben ein FAIBLE für den EXZESS.<br />
sie verlieben sich in HEROINABHäNGIGE PUNKLEGENDEN <strong>und</strong><br />
spielen mit ihrer BAND BLEACHED DRECKIGEN GARAGENROCK<br />
Rotziger Punk oder melodiöser Pop?<br />
Violette oder gelbe Strähnchen?<br />
Auch wenn die Schwestern Jennifer<br />
<strong>und</strong> Jessica Clavin sich in diesen<br />
Fragen ungern entscheiden, steht eine<br />
Gr<strong>und</strong>regel fest: Ihre Haare tragen sie<br />
blondiert. Bleached – das ist auch der<br />
Name ihrer Band, die von der „Teen<br />
Vogue“ bis zum feministischen Magazin<br />
„Bust“ gefeiert wird.<br />
Als typische Los-Angeles-Kids haben<br />
sie sich Gitarre in der Garage ihrer Eltern<br />
beigebracht. Mit der Band Mika<br />
Miko erspielten sie sich im Umfeld des berühmten<br />
L.A. Clubs The Smell eine große<br />
Anhängerschaft. Markenzeichen der Band<br />
war, dass Jennifer stets in ein rotes Telefon<br />
sang, oder besser: schrie. Nach dreckigem<br />
Garagenrock klingt auch die Musik auf dem<br />
Debütalbum „Ride your heart“ ihrer neuen<br />
Band Bleached. Ein Faible für den Exzess<br />
ride your HEART heißt das erste Album der<br />
Clavin-Schwestern <strong>und</strong> ihrer Band Bleached.<br />
Es ist bei Dead Oceans erschienen.<br />
scheint ihnen also in<br />
die Wiege gelegt: „The<br />
Germs“ war lange meine<br />
Lieblingsband. Ich schwärmte<br />
für Darby Crash <strong>und</strong> wollte Lorna<br />
Doom sein!“, sagt Jennifer Clavin.<br />
The Germs Debüt-Album „GI“ ist<br />
ein Meilenstein des amerikanischen<br />
Punk <strong>und</strong> Sänger Darby Crash berüchtigt<br />
für seinen selbstzerstörerischen<br />
Lebenswandel. Er starb 1980<br />
im Alter von nur 22 Jahren an einer<br />
Überdosis Heroin. Wie Darby Crashs<br />
Fre<strong>und</strong>in Lorna Doom an der Seite des<br />
Germs-Sängers zu stehen, bleibt also ein<br />
wilder Traum. Sowieso wird viel wild geträumt<br />
bei Bleached. In den Texten <strong>und</strong><br />
der nostalgischen Musik, die in ihrem<br />
analogen Klang wie aus der Zeit gefallen<br />
scheint. Die Clavins würden gerne mit<br />
Stevie Nicks oder Blondie auf der Bühne<br />
stehen. Jessica möchte gerne mal zusammen<br />
mit Mark Mothersbaugh von DEVO den<br />
So<strong>und</strong>track zu einem französischen Film mit<br />
wenig Dialog aufnehmen<br />
– einem Schwarz-Weiß-<br />
Film selbsverständlich.<br />
Nr.10 16
talent<br />
Text: David Torcasso<br />
Foto: Katharina Poblotzki<br />
Bam! Rapperin Angel Haze ist nicht aufzuhalten.<br />
Mit ihren Worten bläst sie die Zuhörer<br />
weg. Ihre schnellen Wortkaskaden klingen<br />
düster, zerstört, hart. In Videos tritt<br />
sie mit bizarren Masken auf, schlägt in die<br />
Linse der Kamera <strong>und</strong> stampft auf den<br />
Boden. In dem Song „Cleaning out my<br />
closet“ beschreibt Angel Haze den sexuellen<br />
Missbrauch, den sie jahrelang erlebt<br />
hat, so detailliert, dass es kaum zu<br />
ertragen ist. Ihre Worte klingen dabei<br />
wie Salven aus einem Maschinengewehr.<br />
Entschlossen <strong>und</strong> gnadenlos.<br />
Angel Haze ist so „real“, dass es dem<br />
Zuhörer wehtut. Das macht sie mit<br />
ihrem kommenden ersten Album<br />
„Dirty Gold“ neben dem verkifften<br />
Hipster Asap Rocky zur wahrscheinlich<br />
wichtigsten Stimme<br />
des Hip-Hops in diesem Jahr.<br />
Das ging alles ganz schön schnell.<br />
Ein Mixtape mit dem Titel „Reservation“<br />
stellte die gerade mal<br />
21-Jährige im letzten Jahr als freien<br />
Download ins Netz. Ihre Fangemeinde<br />
wurde schnell so groß, dass<br />
Majorlabels um sie buhlten. So ähnlich<br />
liefen die Erfolgsgeschichten von<br />
vielen jungen Hip-Hop-Künstlern in<br />
den letzten Jahren ab. Inhaltlich unterscheidet<br />
Angel Haze sich aber deutlich<br />
von ihren männlichen Kollegen, die in<br />
ihren Texten immer noch am liebsten<br />
Bling-Bling, Bräute <strong>und</strong> fette Autos abfeiern.<br />
Angel Haze ist ernster. Ausdrucksstärker,<br />
auf eine im Hip-Hop bis heute<br />
kaum gekannte Art.<br />
Diese Stärke zieht sie aus ihrer schwierigen<br />
Vergangenheit. Ihr<br />
Vater starb, als sie noch<br />
ein Kind war. Die <strong>Mutter</strong><br />
zog in eine strenge, apostolische Glaubensgemeinde<br />
in Virginia. Musik war verboten.<br />
Während der Jahre dort wurde Raykeea<br />
Wilson – wie Angel Haze mit bürgerlichem<br />
Namen heißt – sexuell missbraucht. Zuflucht<br />
bot ihr das Alleinsein: Sie schrieb<br />
Gedichte. Mit 16 Jahren durfte sie endlich<br />
Musik hören. Doch das war kein<br />
Hip-Hop, sondern Coldplay oder Bob<br />
Dylan. Erst als sie von Virginia nach<br />
Brooklyn, New York, zog, entdeckte<br />
sie die Rapmusik. Sie hatte einen unverstellten<br />
Blick auf das Genre <strong>und</strong><br />
konnte die Kunstform Hip-Hop für<br />
ihre Zwecke einsetzen, vor allem<br />
um die Wut in ihr zu kanalisieren.<br />
Die manifestiert sich in ihren messerscharf<br />
geschriebenen Texten:<br />
angel haze<br />
in diesem jahr IST sie die WICHTIGSTE weibliche STIMME im hip-hop.<br />
DIe WUCHT ihrer TEXTE zieht ANGEL HAZE AUS einer jugend<br />
zwischen MISSBRAUCH <strong>und</strong> religiösem FANATISMUS.<br />
Angel Haze neues Album "Dirty Gold" soll<br />
im Laufe des Sommers erscheinen. Ihr Mixtape<br />
"Reservation" ist als freier Download erhältlich.<br />
Sie rappt vom Schmerz ihrer Jugend<br />
<strong>und</strong> der Auseinandersetzung<br />
mit sich selbst – von Selbstmordgedanken<br />
<strong>und</strong> ihrem Kampf mit<br />
dem Leben. Angel Haze will in ihren<br />
Texten morden, quälen <strong>und</strong> töten,<br />
aber rappt gleichzeitig von Liebe<br />
<strong>und</strong> ihrem Wunsch Kinder zu bekommen.<br />
Sie nennt sich „Superbitch“,<br />
wirkt in Interviews oft sarkastisch<br />
<strong>und</strong> unnahbar, aber zeigt sich in ihren<br />
Songs gleichzeitig so verletzlich <strong>und</strong><br />
ehrlich wie nur wenig andere Künstler.<br />
Raykeea Wilson ist unter dem Namen<br />
Angel Haze zur jungen, wütenden<br />
Kämpferin geworden. Und wir als Publikum,<br />
wir profitieren enorm von ihrer<br />
frischen kraftvollen Stimme. Denn für die<br />
Dauer eines Popsongs rockt Raykeea Wilson<br />
nicht nur ihren privaten Dreck weg,<br />
sondern auch den, der<br />
sich in uns angestaut<br />
hat.<br />
Nr.10<br />
18 19<br />
Nr.10
must-haves<br />
Text: Vanessa Obrecht<br />
Fotos: Sabine Volz<br />
Schuhe: M Missoni, Preis auf Anfrage<br />
Telefon-handset: POP Phone, 34,99 €<br />
Auf weichen Sohlen<br />
Karl-Oskar Olsen, Magnus Carstensen<br />
<strong>und</strong> Brian Jensen starteten ihr Geschäft 2002<br />
in einem Kopenhagener Keller. Dort verkauften<br />
sie neben ausgewählten Accessoires, Büchern <strong>und</strong><br />
Mode auch selbst gestaltete T-Shirts. Schnell wurden die<br />
Designs in Dänemark heiß begehrt. Mittlerweile ist WOOD<br />
WOOD weltweit bekannt <strong>und</strong> wird für unkonventionelle<br />
Designs geschätzt. In den fünf eigenen Stores (zum Beispiel<br />
dem in Wien) liegen neben der Eigenmarke auch Labels<br />
wie Comme des Garçon <strong>und</strong> Opening Ceremony aus.<br />
Diese hübschen <strong>und</strong> überaus komfortablen Sommer-<br />
Schühchen aus dem eigenen Haus sind in einem<br />
der geschmackvoll gestalteten Shops <strong>und</strong><br />
natürlich online erhältlich, 270 €<br />
Harte Kontraste<br />
Lederjacke: Acne, Showpiece<br />
Eine Hose in Yves-Klein-Blau, dazu grasgrüne Wedges <strong>und</strong> ein<br />
magentafarbener Shopper. Fertig ist das Color-Blocking-Outfit. Dieser<br />
Trend zeichnet sich durch kräftige Farben <strong>und</strong> starke Kontraste aus<br />
<strong>und</strong> soll vor allem ein Augenspaß sein. Also Achtung beim Kombinieren<br />
der Farben. Einige Kontrastfarben sind eher irritierend. Wir<br />
wollen schließlich keine epileptischen Anfälle auslösen.<br />
Jeans: Diesel, 150€<br />
Kappe: Hermès, 300 €<br />
Handtasche: Miu Miu, 820€<br />
21<br />
Nr.10
must-haves<br />
Stiefeletten: Sportmax, 475 €<br />
Armreifen: Cartier, Preis auf Anfrage<br />
Schwarz & Weiß<br />
ICEBERG.COM<br />
Sommer Hut: Jeonga Choi, 95€<br />
Das zeitlose Farbduo Schwarz <strong>und</strong> Weiß ist diesen Sommer in allen<br />
Variationen anzutreffen. Die klassische Kombination hat längst die<br />
Büroräume verlassen <strong>und</strong> reicht von der puristischen Vernissagengarderobe<br />
bis zum rockigen Cluboutfit. Auf den Spring/Summer<br />
Laufstegen präsentierte Maison Martin Margiela den Trend in<br />
strengen Blöcken, während Marc Jacobs wild angeordnete Streifen<br />
verwendet. Zu beidem empfehlen wir: knallroten Lippenstift.<br />
Tasche: Prada, Preis auf Anfrage<br />
Sonnenbrille: Filippa K, 200 €<br />
Sneakers: Comme des Garçons Play Converse, ca. 85€
must-haves<br />
Pumps: Chloé, 675 €<br />
Blazer: Isabel Marant, 730 €<br />
Metallic<br />
Purpur Haze<br />
Seit der Gründung 2002 hat sich Opening<br />
Ceremony als aufregende Plattform für zeitgenössisches<br />
Design etabliert. Vor allem die Kollaborationen<br />
mit jungen Kreativen <strong>und</strong> arrivierten Marken<br />
haben für viel Aufmerksamkeit gesorgt.<br />
Die Kollektionen in Zusammenarbeit mit Chloë Sevigny<br />
gehen diesen Sommer in eine weitere R<strong>und</strong>e. Entstanden<br />
sind wie immer Stücke, die großstädtische Zurückhaltung,<br />
aber auch Chloës Faible für auffällige Akzente ausstrahlen.<br />
Für die Eyewear Kollektion hat sie sich mit dem Brillen-<br />
Spezialisten Barton Perreira zusammengesetzt <strong>und</strong><br />
dieses r<strong>und</strong>e Nasengestell entworfen.<br />
Sonnenbrille, Chloë Sevigny für Opening<br />
Ceremony, 323 €<br />
Clutch: James Castle, 175 €<br />
Flirrendes Blau bei Jean Paul Gaultier, schillerndes Violett bei Burberry<br />
Prorsum <strong>und</strong> funkelndes Gelb bei Dior. Die Couturières präsentierten<br />
Kleider, Trenchcoats <strong>und</strong> Anzüge in bestechenden Metallic-Tönen.<br />
Auch wer sich mit einem glänzenden Accessoire in Regenbogen-Optik<br />
schmücken will, wird bei vielen Labels fündig. Natürlich bleibt auch<br />
klassisches Silber im Trend.<br />
Schuh: Cheap Monday, 115 €<br />
Top: MTWTFSS Weekday, 55€<br />
Tasche: Burberry, 695 €<br />
Nr.10<br />
24
durchbruch<br />
Text: David Torcasso<br />
jessica walsh<br />
Jessica Walsh wurde mit 24 Jahren Partnerin in einer der<br />
profiliertesten Grafikagenturen der Welt.<br />
Zum Einstand ließ sie sich neben ihrem neuen Kompagnon<br />
Stefan Sagmeister nackt fotografieren.<br />
Jung, schön <strong>und</strong> erfolgreich – das klingt wie die<br />
schlechte Tagline einer billigen Soap-Opera – bei<br />
Jessica Walsh trifft es allerdings zu 100 Prozent<br />
zu. Die talentierte Grafikdesignerin ist vor r<strong>und</strong><br />
einem Jahr Partnerin in einer New Yorker Grafikagentur<br />
geworden. Und zwar nicht in irgendeiner,<br />
sondern im Studio von Grafiklegende Stefan Sagmeister.<br />
Seither heißt die Agentur Sagmeister &<br />
Walsh. Das ist ein Ritterschlag für die 24-Jährige.<br />
Stefan Sagmeister gehört zu den renommiertesten<br />
Grafikdesignern der Welt. Bekannt wurde<br />
er unter anderem für die Gestaltung von Albumcovern<br />
für <strong>Lou</strong> Reed, OK Go, Rolling Stones oder<br />
Aerosmith. Dafür hat er zwei Grammy-Awards<br />
gewonnen. Dass ein solcher Meister nach Jahrzehnten<br />
seinen Namen mit einer jungen Partnerin<br />
teilt, ist eine Seltenheit in einer Branche, in<br />
der es extrem um Eitelkeiten <strong>und</strong> Köpfe geht.<br />
Publik wurde der Zusammenschluss auf<br />
die gleiche Art <strong>und</strong> Weise, wie der gebürtige<br />
Österreicher Sagmeister bereits vor 20 Jahren bei<br />
der Gründung seiner Agentur für Furore sorgte:<br />
mit Nacktbildern, die das Team von Sagmeister<br />
& Walsh auf ihre Website stellte. Darauf diesmal<br />
neben Stefan Sagmeister die schöne Jessica<br />
Walsh – splitternackt im Netz. Sie lächelt etwas<br />
verlegen, wenn man sie darauf anspricht, sagt<br />
aber: „Dieses Remake hat uns Tausende von<br />
Blogeinträgen <strong>und</strong> Retweets beschert. Von daher<br />
war es ein sehr nützliches Kommunikationsmittel.“<br />
Das hat sie auch ihren Eltern gesagt. Und<br />
natürlich unterstreicht Walsh: „Ich will, dass<br />
meine Arbeit für mich spricht.“<br />
Das tut sie: Bereits mit elf Jahren hat sie<br />
sich autodidaktisch beigebracht, Grafikcodes<br />
für Webseiten zu programmieren. Weil so viele<br />
Menschen nach der Erstellung von Webseiten<br />
fragten, lancierte Walsh mit 12 Jahren ein HTML-<br />
Tutorial. Auf ihrer Seite konnte man auch gratis<br />
Templates herunterladen. Plötzlich hatte sie über<br />
15 000 Besucher pro Tag. Sie begann Werbung zu<br />
schalten. „Ich konnte nicht glauben, dass man mit<br />
einem Hobby tatsächlich Geld verdienen kann.“<br />
Nach einem Studium in Grafikdesign lernte<br />
sie Stefan Sagmeister kennen. „Er ist nicht nur<br />
talentiert, sondern auch sehr bodenständig“, sagt<br />
sie. Er stellte Walsh vor drei Jahren ein <strong>und</strong> vor<br />
einem Jahr beschlossen sie, unter gemeinsamen<br />
Namen aufzutreten. „Ich habe mir selbst ein Versprechen<br />
gegeben, dass es immer einen Weg gibt,<br />
mit dem Geld zu verdienen, was ich am liebsten<br />
mache.“ Ein Wunsch, der jeder Kreative in sich<br />
trägt, aber nicht immer umsetzen kann.<br />
„Ich kenne viele Leute, die Geld mit Jobs<br />
verdienen, die es eigentlich gar nicht gibt. Sie<br />
haben aber einen Markt dafür gef<strong>und</strong>en“, sagt sie.<br />
In den letzten Jahren hat sie zahlreiche Bücher<br />
publiziert <strong>und</strong> die Sprache von Magazinen wie<br />
etwa dem Print Magazin beeinflusst. Dafür<br />
wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.<br />
Ihre Arbeit fasziniere sie - besonders auch, weil<br />
sie Freiheit zulässt. „Der Computer ermöglicht<br />
einem Designer viele Möglichkeiten. Aber er ist<br />
nicht das einzige Instrument für tolles Grafikdesign“,<br />
sagt Walsh. „Ich bastle <strong>und</strong> gestalte vieles<br />
mit den Händen. Ich mag Collagen.“<br />
Walsh glaubt bei einem kreativen Beruf nicht<br />
an ein gegebenes Naturtalent, sondern an Fleiß.<br />
Sie vertritt die These des berühmten Wissenschaftlers<br />
Malcom Gladwell aus dessen Buch<br />
„Outliners“: Man muss 10.000 St<strong>und</strong>en für eine<br />
bestimmte Begabung trainieren. „Kreativität ist<br />
ein kleiner Teil meiner Arbeit. Das Wichtigste ist<br />
die nötige Ausdauer für Details“, glaubt Walsh.<br />
Das kann so weit gehen, dass sie während<br />
der Arbeit schon geweint hat. „Besonders wenn<br />
nach einem langen <strong>und</strong> verrückten Arbeitstag<br />
der Computer abgestürzt ist“. Heute ist Walsh<br />
konsequent <strong>und</strong> sagt: „Ich bin gegen diese<br />
schlechte Angewohnheit der Kreativindustrie, bis<br />
tief in die Nacht zu arbeiten. Das bringt nichts.“<br />
Lieber steht sie morgens früh auf, spaziert durch<br />
Chelsea, ihr Wohnquartier in New York, <strong>und</strong> geht<br />
dann ins Studio. Ihr Antrieb ist die Vielfalt ihrer<br />
Arbeit. In ihrer Wohnung steht auf einem kleinen<br />
Plakat in Schwarz-Weiß: „Do what you love“. Und<br />
daneben als weiß-schwarzes Negativ: „Love what<br />
you do“. Das ist: simple but true.<br />
Das Motto der Agentur Sagmeister & Walsh, bei der<br />
Jessica Walsh seit einem guten Jahr Partnerin ist, lautet:<br />
„We will do anything for design“. Kreative Herausforderungen<br />
sind wichtiger als große Budgets.<br />
„Ich habe mir selbst<br />
ein Versprechen gegeben,<br />
dass es immer<br />
einen Weg gibt,<br />
mit dem Geld zu verdienen,<br />
was ich am<br />
liebsten mache.“<br />
Nr.10<br />
26 27<br />
Nr.10
angekommen<br />
Interview: Vanessa Obrecht<br />
Fotos: Fridolin Schöpper<br />
An was haben Sie heute zuletzt gerochen?<br />
Dawn Goldworm: An einem Duft, den ich für<br />
eine global agierende Bank kreiert habe. Es ist<br />
sehr interessant, einer großen Institution eine<br />
Duftnote zu verleihen. Leider darf ich aus rechtlichen<br />
Gründen nicht mehr darüber erzählen.<br />
Es steckt eine riesige PR-Maschine dahinter.<br />
Jedenfalls weicht dieses Projekt komplett von<br />
meiner gewohnten Arbeit ab. Normalerweise<br />
verleihe ich Fashion-Shows oder Kunstausstellungen<br />
einen Duft. Eine Bank hat komplett<br />
andere Ansprüche an ihren Geruch als die<br />
Design Miami beispielsweise. Natürlich gibt es<br />
Überschneidungen, aber in der emotionalen<br />
Manipulation der K<strong>und</strong>en gehen die Bedürfnisse<br />
weit auseinander.<br />
Können Sie beschreiben, wie ein solcher<br />
Auftrag aussieht?<br />
DG: Wenn ich mich mit einem K<strong>und</strong>en treffe, sei<br />
es nun ein Künstler, ein Designer oder jemand<br />
aus der kommerziellen Welt wie ein Nachtclub-,<br />
Restaurant- oder Boutiquebesitzer, versuche<br />
ich zuerst die Markenidentität auf deren Kern<br />
zu reduzieren. Diese Essenz übersetze ich in<br />
eine Geruchsvision. Die Zielgruppe ist dabei der<br />
wichtigste Faktor. Wir haben vor nicht langer<br />
Zeit einen Duft für eine Männermarke in Hongkong<br />
komponiert. Dieser Duft weicht stark von<br />
dem ab, was ich für den gleich situierten Mann<br />
in den USA für passend halten würde. Diese<br />
Männer haben unterschiedliche olfaktorische<br />
Erinnerungen. Dementsprechend liegt der Reizpunkt<br />
von Gefühlen woanders. Damit muss ich<br />
dawn goldworm<br />
Dawn Goldworms Kindheit haben die Gerüche von Gras,<br />
Wald <strong>und</strong> Lagerfeuer geprägt. Von ihrer Heimat New Hampshire<br />
trat sie ihre Reise in die Welt der Düfte an <strong>und</strong> startete ihre<br />
Karriere als Supernase der Beauty-Branche.<br />
bei meiner Arbeit sehr sensibel umgehen.<br />
Sie müssen viel unterwegs sein, um diese<br />
Unterschiede verstehen zu können ...<br />
DG: Ich bin in der glücklichen Lage, in verschiedenen<br />
Ländern gelebt zu haben. England, Italien<br />
<strong>und</strong> Frankreich. Für diese Märkte, wie auch<br />
meinem Heimatland Amerika, habe ich ein sehr<br />
gutes Verständnis. Andere Märkte muss ich mir<br />
mit viel Recherche-Arbeit erschließen. Brasilien<br />
war das letzte Land, welches ich verstehen<br />
wollte. Ich bat eine Fre<strong>und</strong>in, mir alle Produkte<br />
mit zu bringen, die sie in ihrer Kindheit mochte<br />
<strong>und</strong> die auch jetzt noch populär sind. Sie brachte<br />
mir 50 Verschiedene. Ich roch sie alle, verglich<br />
ihre Absatzzahlen, recherchierte ihre Historie.<br />
Wichtig sind Produkte, die uns in jungen Jahren<br />
geprägt haben. Das Rasierwasser des Vaters<br />
oder das Parfüm der <strong>Mutter</strong>. Kinder können am<br />
besten Düfte in ihrem Gedächtnis abspeichern.<br />
All diese Gerüche zusammengenommen ergeben<br />
ein sehr genaues Bild von dem, was Menschen<br />
olfaktorisch bewegt. Mit diesem Wissen kann<br />
ich sehr tief in die menschlichen Emotionen<br />
eindringen, um sie mit meinen Kreationen dann<br />
anzusprechen.<br />
Haben Sie schon in der Kindheit realisiert, dass<br />
Sie eine spezielle Gabe für die Welt der Düfte<br />
haben?<br />
DG: Meine Zwillingsschwester Samantha grub<br />
oft Anekdoten aus unserer Kindheit aus, an die<br />
ich mich überhaupt nicht erinnern konnte. Das<br />
beunruhigte mich immer sehr. Als ich anfing,<br />
meine Nase zu trainieren, kamen plötzlich all<br />
diese vergessenen Erinnerungen zurück. Es war<br />
unglaublich! Ich konnte mich nicht nur erinnern,<br />
sondern konnte diesen Moment in Verbindung<br />
mit dem Duft wieder erleben. Eine Erinnerung,<br />
die mit einem Duft in Verbindung steht, ist<br />
überwältigend. Durch meine Ausbildung zur<br />
Parfümeurin lernte ich das besser zu verstehen.<br />
Eine faszinierende <strong>und</strong> erleuchtende Erfahrung.<br />
Als ich anfing zu riechen, konnte ich alle Holz-<br />
Noten einordnen, weil ich auf dem Land in New<br />
Hampshire, umgeben von Bäumen, aufgewachsen<br />
bin. Das hatte einen sehr starken Einfluss auf<br />
meine ersten Jahre in der Ausbildung.<br />
Auch Ihr olfaktorisches Gedächtnis wird sich<br />
mit den Jahren weiterentwickelt haben. Haben<br />
Sie einen Lieblingsgeruch <strong>und</strong> hat sich dieser<br />
geändert?<br />
DG: Ich habe verschiedene Lieblingsdüfte. Bei<br />
der Arbeit versuche ich, keine Düfte zu verwenden,<br />
die mich persönlich berühren. Ich sehe<br />
Düfte eher als Farben. Das macht es leichter. Die<br />
Differenzierung zwischen persönlichen Vorlieben<br />
<strong>und</strong> einem klar umrissenen Auftrag ist sehr<br />
wichtig, um sich eine Distanz zu einem Markt<br />
oder einer Marke zu bewahren. Wenn ich die<br />
Welt der Düfte aber mit etwas Abstand betrachte,<br />
liegt meine Vorliebe in den natürlichen Gerüchen.<br />
Ich denke, das beruht auf meiner Kindheit. Ich<br />
liebe den Geruch von frischem Basilikum oder<br />
von Minze, die in der Hand verdrückt wird. Ich<br />
liebe den Geruch von frisch gepressten Zitronen.<br />
Das ist so w<strong>und</strong>erbar. Ich liebe den Geruch des<br />
Meeres an der Ostküste von Amerika. Hier riecht<br />
das Meer so schön salzig <strong>und</strong> frisch.<br />
Gibt es einen Geruch, den Sie gerne komponieren<br />
würden, dessen Herstellung aber nicht<br />
möglich ist?<br />
DG: Viele Gerüche sind nicht nachbildbar. Der<br />
Geruch deines Liebsten zum Beispiel. Oder der<br />
eines Babys. Es ist unmöglich diese Düfte zu designen,<br />
sie werden aber für immer im Gedächtnis<br />
verankert bleiben. Eines Tages kommen sie zurück<br />
<strong>und</strong> wecken umso schönere Erinnerungen.<br />
Sie sprachen von Farben, die Sie in Düfte transformieren.<br />
Diese Gabe nennt man Synästhesie.<br />
Können Sie erklären, wie sich dies bei Ihnen<br />
bemerkbar macht?<br />
DG: Als kleines Mädchen sah ich Farben, wenn<br />
ich starke Gefühle wie Glück oder Traurigkeit<br />
verspürte. Ich dachte, alle würden Farben sehen,<br />
<strong>und</strong> sprach deshalb auch nie darüber. Heute verstehe<br />
ich das besser, spüre die Emotionen, die ich<br />
mit den Farben assoziiere, <strong>und</strong> bin im täglichen<br />
Leben besser darauf sensibilisiert.<br />
Sie sind Mitinhaberin von 12.29., einer Firma,<br />
die Düfte für Firmen <strong>und</strong> Events kreiert. Wie<br />
kam es dazu?<br />
DG: Ich zog nach Paris <strong>und</strong> bot meinem Fre<strong>und</strong>,<br />
dem Designer Gabriele Corto, an, seinen Shop<br />
Corto Moltedo im Palais Royal eine eigene Duftnote<br />
zu verleihen. Er verstand erst nicht genau,<br />
was ich wollte. Ich hatte die Idee, eine olfaktorische<br />
Vision für die Marke zu kreieren, um damit<br />
die Atmosphäre im Laden zu verändern. Auch<br />
„Viele Gerüche<br />
sind nicht<br />
nachbildbar.<br />
Der Geruch<br />
deines Liebsten<br />
zum Beispiel.<br />
Oder der eines<br />
Babys“<br />
das Ritz Carlton hat einen eigenen Duft. Das<br />
hat ihn überzeugt. Glücklicherweise war mein<br />
Duftkonzept ein voller Erfolg <strong>und</strong> ich lernte kurz<br />
darauf Alexandre de Betak, den Inhaber von<br />
Bureau Betak, kennen. Er produziert die meisten<br />
Fashion-Shows in Paris. Ich erklärte ihm, was ich<br />
mache, <strong>und</strong> wurde direkt gebeten, die Rodarte<br />
Runway Show in der Gagosian Galerie in New<br />
York olfaktorisch zu gestalten. Das gab es in<br />
dieser Form noch nie! Das war der Zeitpunkt,<br />
an dem ich mich an meine Schwester wandte<br />
<strong>und</strong> sie in die Sache hineinzog. Wir hatten zunächst<br />
keine Ahnung, wie wir so was technisch<br />
hinkriegen sollten, nutzten aber unsere ganze<br />
Kreativität <strong>und</strong> machten einen wirklich guten<br />
Job. 2009, ein Jahr später, gründeten wir unsere<br />
eigene Firma.<br />
Was verbindet Ihre Schwester mit der Welt der<br />
Düfte?<br />
DG: Eineiige Zwillinge haben exakt dieselbe<br />
Wahrnehmung von Gerüchen <strong>und</strong> zudem einen<br />
identischen Körpergeruch. Neugeborene zum<br />
Beispiel nehmen ihre Umgebung nur über Gerüche<br />
war. In Gegenwart von Zwillingen sind sie<br />
völlig überfordert <strong>und</strong> können die zwei Personen<br />
nicht unterscheiden. Auch H<strong>und</strong>e reagieren verwirrt<br />
auf uns. Der einzige Unterschied zwischen<br />
Samantha <strong>und</strong> mir ist ihre untrainierte Nase.<br />
Aber auch daran arbeiten wir.<br />
Haben Sie mit Ihren Duft-Kreationen schon<br />
emotionale Ausbrüche bei anderen Menschen<br />
provoziert?<br />
DG: Oh ja. Leute reagieren oft sehr heftig auf Gerüche.<br />
Ich versuche mich von solchen Aufträgen<br />
fernzuhalten. Ich hatte schon K<strong>und</strong>en, die ihre<br />
Umgebung mit einem Duft verängstigen wollten.<br />
Das ist merkwürdig. Die Rodarte-Show roch<br />
beispielsweise nach Lagerfeuer. Anfangs sollte<br />
das Thema der Kollektion „Die dunkle Seite der<br />
Natur“ olfaktorisch direkt übersetzt werden. Das<br />
wäre ein ziemlich unheimlicher <strong>und</strong> unangenehmer<br />
Geruch gewesen. Größtenteils wollen meine<br />
K<strong>und</strong>en die Menschen aber glücklich <strong>und</strong> selbstbewusst<br />
machen. Wenn man sich entscheidet,<br />
einen angsteinflößenden <strong>und</strong> dunklen Geruch<br />
einzusetzen, sind die Reaktionen meist extrem.<br />
Leute fangen an zu weinen, sie werden traurig,<br />
schlecht gelaunt <strong>und</strong> aggressiv. Verblüffend, wie<br />
die Emotionen von Menschen durch Gerüche<br />
kontrolliert werden können.<br />
Haben Sie Ihre Macht jemals ausgenützt?<br />
DG: Nicht im negativen Sinn. Ich muss gestehen,<br />
dass ich manchmal Leute im Flugzeug anspraye.<br />
Ich reise viel <strong>und</strong> manche Menschen stinken.<br />
Männer müssen sich immer die Schuhe ausziehen,<br />
was meistens nicht angenehm ist. Sobald<br />
sie schlafen, besprühe ich ihre Füße mit Deo.<br />
Aber hey, es ist eine unangenehme Situation, die<br />
niemand mag – <strong>und</strong> ich ändere sie.<br />
Dawn GOLDWORM gründete zusammen mit ihrer<br />
Schwester die Firma „12.29“, mit der sie Marken einen<br />
Geruch gibt. Für Coty entwickelte sie Düfte wie „Lady<br />
Gaga“, „Kate Moss“ <strong>und</strong> „Kylie Minogue“.<br />
Nr.10<br />
28 29<br />
Nr.10
agenda<br />
Schweizer<br />
Modegeschichte<br />
In den fünfziger <strong>und</strong> achtziger<br />
Jahren des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
arbeiteten die bekannten Couturiers<br />
Christian Dior, Hubert de<br />
Givenchy, Yves Saint Laurent oder<br />
Cristóbal Balenciaga für ihre kostbarsten<br />
Gewebe mit der Schweizer<br />
Firma Abraham. Die Firma<br />
schloss 2002 jedoch ihre Türen.<br />
Sie hinterließ eine eindrucksvolle<br />
Kollektion mit Musterbüchern,<br />
Couture-Fotos <strong>und</strong> Textilien: das<br />
Abraham-Archiv. Die Ausstellung<br />
„Seide & Muster“ im Modemuseum<br />
in Antwerpen erzählt <strong>und</strong> zeigt<br />
sowohl die Firmengeschichte, mitsamt<br />
ihren stofflichen Schätze, als<br />
auch die der europäischen Mode-,<br />
Kunst- <strong>und</strong> Luxuswelt im Lauf<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Eine Fahrt<br />
nach Antwerpen, der „Modestadt<br />
Belgiens“, lohnt sich dank dieser<br />
Ausstellung doppelt.<br />
bis 11. August, ModeMuseum<br />
Antwerpen, Nationalestraat 28,<br />
2000 Antwerpen<br />
BLOGSUCHT<br />
Amazonen-Hüte<br />
Die Kunst des Hutmachens hat eine<br />
lange Tradition im Mode-Handwerk.<br />
Die Berliner Designerin<br />
Jeonga Choi wuchs in Seoul auf,<br />
bevor sie 2001 nach Sydney<br />
übersiedelte. Dort arbeitete sie als<br />
Stylistin für internationale<br />
Modemagazine. Nachdem sie auf<br />
der Straße immer wieder auf ihre<br />
selbst entworfenen Hüte angesprochen<br />
wurde, schuf sie 2008 ihre<br />
erste Kollektion. 2011 zog Jeonga<br />
Choi nach Berlin. Bei ihrer neuen<br />
Kollektion, die von asiatischen<br />
Kriegern <strong>und</strong> mittelalterlichen<br />
Rittern inspiriert ist, sind zehn<br />
schwarze Hüte entstanden. Im<br />
Mittelpunkt steht eine amazonenhafte<br />
Frau mit einem emanzipierten<br />
Selbstverständnis. Wir finden,<br />
diese Hüte sind das perfekte<br />
Accessoire für den individuellen<br />
Look der stolzen Großstädterin.<br />
www.jeonga-choi.com<br />
Selbstdarstellungssucht ist ein spannender Blog von zwei schlauen Frauen aus<br />
München. Natalie Mayroth <strong>und</strong> Veronika Dräxler sagen, die Selbstdarstellungssucht<br />
sei der Trieb, mit dem die Generation Facebook geködert <strong>und</strong><br />
umgarnt wird. Auf ihrem Blog möchten sie dementsprechend herausfinden,<br />
was die jungen, kreativen Macher in der digitalen Welt antreibt. Auch wenn<br />
der Name augenzwinkernd gemeint ist, in den Texten entfalten sich spannende<br />
<strong>und</strong> persönliche Portraits von Menschen wie du <strong>und</strong> ich.<br />
Komplexe<br />
Eleganz mit Tunng<br />
Bei der experimentellen Folkband Tunng aus London<br />
stehen bis zu zwölf Musiker auf der Bühne –<br />
das verleiht ihren Auftritten eine besondere musikalische<br />
Komplexität <strong>und</strong> hymnische Eleganz. Am<br />
17. Juni 2013 erscheint das neue Album „Turbines“.<br />
Danach folgt eine große Tour durch Europa, darunter<br />
natürlich auch durch Deutschland:<br />
28.9.13 Reeperbahn Festival, Hamburg<br />
30.9.13 Festsaal, Berlin<br />
1.10.13 Zoom, Frankfurt<br />
2.10.13 Ampere, München<br />
Patti sMith<br />
gratuliert<br />
Anlässlich des 25-Jahre-Jubiläums der Konzertagentur<br />
Berthold Seliger steigt am 2. Juli ein Open-Air im Rahmen des<br />
„Citadel Music Festivals“ in Berlin. Ein musikalisches Geburtstagsständchen<br />
auf dem Gelände der Berliner Zitadelle gibt es<br />
von niemand Geringerem als Patti Smith, Calexico, Bratsch<br />
<strong>und</strong> Depedro. Bei dem Festival möchte die Konzertagentur<br />
die Bandbreite ihrer Künstler widerspiegeln. Wir freuen uns<br />
natürlich am meisten auf die große Patti Smith, ohne die es<br />
dieses Magazin wahrscheinlich nicht geben würde.<br />
2. Juli, Zitadelle, Berlin-Spandau<br />
Lesen im<br />
Park<br />
Quottom ist ein halbjährlich<br />
erscheinendes Kulturmagazin aus<br />
Zürich – mit dem Fokus auf gesellschaftliche<br />
Themen <strong>und</strong> Kunst. Das<br />
junge Kollektiv möchte in seinem<br />
Magazin einen Platz für lange<br />
Geschichten, aufregende Reportagen<br />
<strong>und</strong> außergewöhnliche Portraits<br />
schaffen, ergänzt mit ausdrucksvollen<br />
Fotostrecken <strong>und</strong> Portfolios von<br />
Künstlern. Über den inhaltlichen<br />
Anspruch schreiben die Macher:<br />
„Quottom besticht mit seiner<br />
einzigartigen zeitlosen Kombination<br />
von Kunst <strong>und</strong> Lebensthemen –<br />
<strong>und</strong> zeigt dabei eine frische <strong>und</strong><br />
intelligente Perspektive der jungen<br />
Kultur <strong>und</strong> Themen, die uns alle<br />
beschäftigen.“ An einem Sommertag<br />
im Park sitzen <strong>und</strong> st<strong>und</strong>enlang<br />
lesen – w<strong>und</strong>erbar.<br />
www.selbstdarstellungssucht.de<br />
www.quottom.com<br />
Nr.10<br />
30 31<br />
Nr.10
agenda<br />
Von der StrassE auf DEn Catwalk<br />
Punk hat in der Mode zu einem Bruch geführt – <strong>und</strong> ist<br />
trotzdem gesellschaftsfähig geworden. Bis heute ist der Stil,<br />
der in den Siebzigern in London seinen Anfang nahm, eine der<br />
bedeutendsten Inspirationsquellen von Modedesignern <strong>und</strong><br />
wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder als Referenz<br />
für Modekollektionen großer Designer verwendet. Das wohl<br />
bekannteste Museum der Welt – das Metropolitan Museum<br />
of Art in New York – zeigt bis zum 18. August die Ausstellung<br />
„Punk – Chaos to Couture“. Die Geschichte <strong>und</strong> kulturellen Einflüsse<br />
von Punk sind dort mit Bildern, Installationen <strong>und</strong> Filmen<br />
eindrücklich dargestellt.<br />
bis 18. August, Metropolitan Museum of Art, 1000 5th Ave,<br />
New York<br />
Kreative aller LänDEr, vereinigt euch<br />
„Here London“ ist ein Event in London, der Künstler, Designer <strong>und</strong><br />
Kreative aus zahlreichen Ländern zu einem eintägigen Symposium mit<br />
Talks, Diskussionsforen <strong>und</strong> interaktiven Experimenten einlädt. Ort sind<br />
die altehrwürdigen Räume der Royal Geographical Society in London.<br />
Karten gibt es im Vorverkauf. Mit von der Partie ist auch die Berlinerin<br />
Sarah Illenberger, die sich mit ihren einfallsreichen Illustrationen in der<br />
deutschen Designszene einen Namen gemacht hat.<br />
21. Juni 2013, 1 Kensington Gore, London SW72AR<br />
www.here-london.com<br />
Die Fürstin<br />
im See<br />
Die Operette „Die Csárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán<br />
erzählt eine zeitlose Liebesgeschichte, in der Gegensätze<br />
aufeinanderprallen: Ein österreichischer Adelsspross<br />
verliebt sich im Ersten Weltkrieg in eine Chansonette<br />
eines Budapester Vergnügungslokals <strong>und</strong> beschließt, die<br />
exzentrische Diva zu heiraten – gegen den Willen der<br />
Familie. Das Drama ist programmiert. Sehenswert ist<br />
dieses Stück auch wegen der einmaligen Kulisse, die die<br />
Seefestspiele Berlin bietet: Es wird auf der Operettenbühne<br />
beim Wannsee in der sommerlichen Abenddämmerung<br />
aufgeführt. Was für ein Spektakel!<br />
14. bis 24. August, ab 19.30 Uhr, Wannseebadweg 25<br />
R<strong>und</strong>gang<br />
Die Universität der Künste in Berlin (UdK) ist für<br />
unzählige ambitionierte Kreative der Welt ein Anziehungspunkt<br />
für ein Studium – <strong>und</strong> für Firmen <strong>und</strong><br />
Galeristen eine wichtige Anlaufstelle für das Casten<br />
junger Talente. Der alljährliche, dreitägige R<strong>und</strong>gang<br />
vom 12. bis 14. Juli bietet einen spannenden Einblick<br />
in Ateliers <strong>und</strong> Studios <strong>und</strong> zeigt, welche Vielfalt die<br />
größte Kunsthochschule Europas bietet. Bei 4600<br />
Studierenden sollte man sich allerdings mindestens<br />
einen Nachmittag freihalten. Der ist aber gewinnbringend<br />
investiert. Denn ist man erst mal da,<br />
vergeht die Zeit wie im Flug.<br />
12. bis 14. Juli, Universität der Künste, Berlin<br />
Bei Oma schmeckts am besten<br />
Der Supperclub Mother’s Mother bringt uns die Kochkünste unserer<br />
Großmütter zurück auf den Teller. Diesem kulinarischen Erbe gilt es, den<br />
höchsten Respekt zu zollen, denn schließlich kocht niemand so gut wie<br />
Oma! Ein bis zweimal pro Monat findet im Mother´s Mother ein Dinner<br />
mit einem Vier- bis Sieben-Gänge-Menü statt. Anmelden kann man sich<br />
per Mail. Die Gäste werden wegen der hohen Nachfrage ausgelost. Diese<br />
erfahren dann, wo das Dinner stattfindet <strong>und</strong> welche Leibspeise von<br />
Oma serviert wird.<br />
www.mothersmother.com<br />
Nr.10<br />
32 33<br />
Nr.10
das bild: CocoRosie<br />
Interview: Ruben Donsbach<br />
Zeichnung: Bianca <strong>und</strong> Sierra Casady<br />
die frau ist<br />
das zentrum<br />
der welt<br />
Bianca <strong>und</strong> Sierra Casady machen mit ihrer Band CocoRosie<br />
schräge Musik für versponnene Optimisten. Für unsere Rubrik<br />
„Das Bild“ sprachen die exzentrischen Schwestern mit <strong>Fräulein</strong><br />
über das Thema „Sehnsucht“ <strong>und</strong> zeichneten für uns ein Bild dazu:<br />
einen traurigen Clown mit Regenbogen-Augen.<br />
Sie haben die Musik für eine Peter-Pan-Inszenierung<br />
am Berliner Ensemble unter der Regie von Robert<br />
Wilson komponiert. Kannten Sie das Buch aus Ihrer<br />
Kindheit?<br />
Bianca Casady: Ich kannte natürlich die Geschichte.<br />
Aber nur von Disney. Das Buch habe ich erst gelesen,<br />
als uns das Berliner Ensemble gebeten hat, die Musik zu<br />
schreiben. Die Reise der Kinder ins „Niemandsland“ dauert<br />
im Buch viel länger <strong>und</strong> ist dabei aufwendiger <strong>und</strong><br />
gefährlicher. Die Kinder schlafen auf den Wolken, klauen<br />
Essen von den Vögeln <strong>und</strong> fürchten sich dabei sehr.<br />
Was interessiert Sie an Peter Pan?<br />
Sierra Casady: Ich glaube, dass im Stück vor allem die<br />
Angst vor dem Tod thematisiert wird, der man sich<br />
schon als Kind stellen muss. Das ist ein Prozess. Die<br />
Kinder müssen ihn mit Peter Pan durchlaufen. Es geht<br />
also um Verlust.<br />
Sie beide wurden als Kinder früh voneinander<br />
getrennt. Jahre später begegneten Sie sich wieder in<br />
Paris. Gab es eine „Sehnsucht“ nach dem anderen?<br />
BC: Ich glaube schon, dass so ein Gefühl da war. Aber<br />
wir hätten das nie zugegeben. Ich entdeckte im Zuge<br />
unseres Wiedersehens, wie es ist, wieder ein Kind zu<br />
sein. Das hat meinen kreativen Prozess sehr verändert.<br />
Es geht in unserer gemeinsamen Arbeit nun darum, die<br />
Eitelkeit <strong>und</strong> das Selbstbewusstsein, welches uns als<br />
Erwachsene antrainiert wird, wieder zu verlieren.<br />
In Ihrem neuen Album „Tales of a Grass Widow“ geht<br />
es um die Vernichtung natürlicher Ressourcen <strong>und</strong><br />
Kindesmissbrauch. Das sind große Themen.<br />
SC: Das stimmt <strong>und</strong> wir haben tatsächlich lange darüber<br />
nachgedacht, wie die Menschheit bisher die Erde, aber<br />
auch Frauen <strong>und</strong> Kinder behandelt hat. Und da gibt es<br />
große Parallelen von Missbrauch <strong>und</strong> Vernachlässigung.<br />
Nr.10 34
das bild: CocoRosie<br />
Das schlägt sich in<br />
unserer Musik nieder.<br />
In fiktiven <strong>und</strong> nicht<br />
fiktiven Geschichten,<br />
die uns berührt<br />
haben. Uns geht es<br />
um das verlassene<br />
Kind. Verlassen nicht<br />
nur von der Familie,<br />
sondern auch von der<br />
Gesellschaft. Da gibt<br />
es sicherlich auch Parallelen<br />
zu Peter Pan.<br />
Was meinen Sie<br />
bringt Menschen, vor<br />
allem Männer, dazu,<br />
gewalttätig <strong>und</strong> missbräuchlich gegenüber Frauen,<br />
Kindern <strong>und</strong> der Umwelt zu sein?<br />
BC: Ich habe viele Männer danach gefragt, was das<br />
Problem sei, wie man mit der ganzen sexuellen Gewalt<br />
umgehen könnte. Wie können wir maskuline Energie<br />
<strong>und</strong> „Drive“ kanalisieren, um etwas Konstruktives damit<br />
zu tun?<br />
SC: Vor H<strong>und</strong>erten oder gar Tausenden von Jahren war<br />
es wahrscheinlich sinnvoll, einen „Beschützer“ gegen<br />
andere männliche Jäger zu haben. Jemanden, der die<br />
Nahrung besorgt. Doch unser Verhalten, selbst unsere<br />
Sprache, ist noch immer eng verb<strong>und</strong>en mit diesen<br />
„Wie können wir<br />
maskuline Energie<br />
kanalisieren um<br />
etwas Konstruktives<br />
damit zu tun?“<br />
altertümlichen Verhaltensweisen, die einfach nicht mehr<br />
zeitgemäß sind. Wir haben uns noch nicht „updated“.<br />
BC: Wir möchten unbedingt herausfinden, wie man<br />
Männer dazu einladen kann, Teil des Feminismus zu<br />
werden, ohne Kompromisse eingehen zu müssen.<br />
SC: Was denken sie, sollten wir tun?<br />
Das ist eine sehr schwere Frage. Es gibt ja Ansätze in<br />
der Biologie, im Bio-Engineering. Man will die vermeintlichen<br />
Nachteile von Frauen, z.B. die begrenzte<br />
Zeit, in der sie Kinder bekommen können, nivellieren.<br />
Das hätte sicherlich einen riesigen Einfluss auf die<br />
Geschlechterrollen.<br />
Ist aber auch etwas<br />
gruselig.<br />
SC: Wirklich?<br />
BC: Das klingt aber<br />
interessant!<br />
Um auf unser Thema<br />
zurückzukommen:<br />
Gibt es bei Ihnen<br />
eine wirkliche<br />
„Sehnsucht“ nach einer<br />
Welt, in welcher<br />
Geschlechterrollen<br />
besser austariert,<br />
Aggressionen besser<br />
kanalisiert werden?<br />
„Sehnsucht“ nach einer Welt also, die nicht von Männern<br />
dominiert wird?<br />
SC: Oh, ja! Nach so einer Welt empfinden wir wirklich<br />
große „Sehnsucht“. Dieses Utopia, diese Fantasie: Ich<br />
habe mich eigentlich nie getraut, auf eine solche Welt zu<br />
hoffen. Aber das ist gerade unserer beider Stimmung.<br />
Eine vage Hoffnung, dass neu ausgehandelt <strong>und</strong> definiert<br />
werden könnte, was das Wichtige <strong>und</strong> Zentrale in<br />
unserer Gesellschaft ist. Sehen Sie: Männer <strong>und</strong> Frauen<br />
können sich nicht „in der Mitte“ treffen. Frauen sind<br />
derart marginalisiert <strong>und</strong> an die Seite gedrängt worden,<br />
dass sie Männern gar nicht mehr entgegenkommen<br />
können, ohne immer noch meilenweit vom Zentrum entfernt<br />
zu sein. Wir müssen vielmehr das Zentrum selbst<br />
neu bestimmen. Im Bauch der Frau wachsen Jungen <strong>und</strong><br />
Mädchen heran. Die Frau ist das Zentrum der Welt. Das<br />
empfinden wir als natürlich, logisch <strong>und</strong> es ist vielleicht<br />
die einzige Hoffnung für die Zukunft, die uns bleibt.<br />
Und was stellt Ihr Bild dar?<br />
BC: Das ist der klassische traurige Clown.<br />
SC: Er trauert um das, was schon passiert ist. Aber die<br />
Regenbogen-Augen blicken optimistisch in die Zukunft.<br />
Und die Schuhe sind gerade groß genug um seinen<br />
geschwollenen Zehen Raum zu geben!<br />
CocoRosies neues Album „Tales of a Grass Widow“ ist gerade<br />
bei City Slang Records erschienen.<br />
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Nr.10<br />
36
ein tag<br />
Text: Daniel Seetal<br />
Fotos: Sandra Kaufmann<br />
ein tag in<br />
PARIS<br />
ist eine zeitreise<br />
in die Vergangenheit<br />
<strong>und</strong> ein fest<br />
für die sinne.<br />
Stadt der Mode, Stadt des Kinos, Stadt der<br />
Revolte <strong>und</strong> der Liebe – Paris hat sich stets<br />
seinen Charme bewahrt. Neben New York ist<br />
es die Metropole, mit der wir uns außerhalb<br />
Deutschlands am stärksten verb<strong>und</strong>en fühlen.<br />
Charlotte Gainsbourg, Caroline de Maigret,<br />
<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> <strong>und</strong> <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong>: Die französische<br />
Hauptstadt bringt immer wieder tolle <strong>Fräulein</strong>s<br />
hervor, die den Geist der Stadt <strong>und</strong> die<br />
französische Eleganz in die Welt hinaustragen.<br />
Darüber hinaus kann man in Paris natürlich<br />
w<strong>und</strong>erbar essen, trinken, shoppen <strong>und</strong> entspannen.<br />
Zum Beispiel an diesen Orten:<br />
1. Der Bau von Renzo Piano allein ist schon einen<br />
Besuch wert. Aktuell besonders zu empfehlen:<br />
die Schau des Künstlers Mike Kelley. 2. Für Cosi<br />
Sandwiches lohnt sich für einen kleinen Snack<br />
immer ein Abstecher (54 Rue de Seine). 3. Wir<br />
halten Didier Ludots Vintage-Couture-Shop (24<br />
Galerie Montpensier) für einen der besten seiner<br />
Art. Nehmen Sie sich Zeit, Designerkleider aus<br />
den letzten Dekaden zu bestaunen. 4. Immer ein<br />
Pflichtbesuch: der Eiffelturm, das Wahrzeichen<br />
von Paris. 5. Colette (213 rue Saint-Honoré) ist für<br />
Leser des <strong>Fräulein</strong> fast ein bisschen wie der Eiffelturm<br />
für den gemeinen Touristen: der hipste Shop<br />
der Welt. 6. Auch ein kleines Vintage-Paradies: die<br />
wenigen Quadratmeter der drei Free’P’Star-Läden,<br />
die über ganz Paris verteilt sind. 7. Mitten im<br />
Pariser „Prenzlauer Berg“ liegen die Appartments<br />
von „Studio Marais“. Eine individuelle Übernachtungsmöglichkeit.<br />
8. Eine gute Alternative ist das<br />
Hotel „Du petit Moulin“ (29/31 rue de Poitou),<br />
das komplett von Christian Lacroix eingerichtet<br />
wurde. 9. Wer es richtig luxuriös mag <strong>und</strong> gerne<br />
in einem Zimmer im Versailles-Style nächtigen<br />
möchte, der sollte das Hotel „George V“ an den<br />
Champs-Élysées besuchen. 10. Wem das zu pompös<br />
ist <strong>und</strong> lieber in einem einfachen Umfeld gut<br />
essen will, der sollte sich zum „La Favourite“ begeben<br />
11. Willkommen am Place des Vosges, dem<br />
schönsten unter den Pariser Plätzen! 12. Um weiter<br />
in das historische Paris einzutauchen besuchen<br />
Sie den Jardin du Palais Royale. Der <strong>Lou</strong>vre<br />
liegt direkt nebenan. 13. Zurück in der Gegenwart<br />
geht’s in die szenige Künstlerkneipe „La Penderie“.<br />
14. Den Shoppingtag r<strong>und</strong>et eine Stippvisite beim<br />
exquisiten Vintage-Shop „Scarlett“, einem Chanel-Spezialisten,<br />
ab. 15. Der Marché des Enfants<br />
Rouges ist einer der ältesten Märkte von Paris.<br />
Empfehlenswert als letzte Station bevor Sie sich<br />
auf den Weg zum Flughafen machen. Au revoir!<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4 15<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
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Nr.10 38
legende<br />
Text: Ruben Donsbach<br />
Foto: Debora Mittelstaedt<br />
ein leben<br />
erzählen<br />
Sibylle Gerstner hat das 20. Jahrh<strong>und</strong>ert ERLEBT <strong>und</strong><br />
üBERLEBT <strong>und</strong> DABEI immer HALTUNG <strong>und</strong> STIL BEWAHRT.<br />
sie LEBTE ILLEGAL in PARIS, grüNDETE die ERSTE<br />
Mode-ZEITSCHRIFT der DDR <strong>und</strong> SCHRIEB ein berührendes<br />
buch über VERLUST. Eine BEGEGNUNG.<br />
Lange Zeit habe ich Sibylle Gerstner gesiezt. Das gehört<br />
sich schließlich so bei einer Dame. Irgendwann dann, im<br />
Überschwang, bot sie mir das „Du“ an, um es am nächsten<br />
Tag erst einmal wieder einzukassieren. Später, es<br />
unterlief mir einfach so, sagte ich nur „Sibylle“ <strong>und</strong> sie<br />
nahm es hin. Dabei blieb es dann. Zumindest bis jetzt.<br />
Wie schreibt man über jemanden, der 1932 Adolf<br />
Hitler in Breslau vor der Jahrh<strong>und</strong>erthalle beim Autogrammeschreiben<br />
beobachtet hat („Seine Brüllerei hat<br />
mich sehr genervt“), neben die sich bei der Olympiade<br />
1936 in Berlin der vierfache Olympiasieger Jesse Owens<br />
für einen kleinen Plausch gesetzt hat („er sah sehr gut<br />
aus“), die 1948 nach der Premiere der „Fliegen“ in Berlin<br />
lange mit Jean-Paul Sartre diskutierte („von Wirtschaftspolitik<br />
hatte er keine Ahnung“)?<br />
Wie einer 92-jährigen, äußerst selbst- <strong>und</strong> stilbewussten<br />
Frau gerecht werden, der man einfach mit<br />
Glück begegnen durfte? Wie einen Text schreiben, den<br />
sie durchgehen lässt? Sibylle, die Breslauer Jüdin, Studentin<br />
in Berlin, Wien <strong>und</strong> Paris, Flüchtling, Malerin,<br />
Magazin-Macherin, Autorin, Kostümdesignerin bei der<br />
DEFA. Der zur Besatzungszeit in Paris als Erstes einfällt:<br />
„In Deutschland trugen sie Kopftücher. In Frankreich<br />
taillierte Kostüme <strong>und</strong> Tuffhütchen aus Blumen, Schleiern<br />
<strong>und</strong> Federn. Das gefiel mir natürlich besser.“ Die aber<br />
noch heute in ihren Träumen von den Deutschen verfolgt<br />
wird, ihnen aber irgendwie vergeben hat?<br />
Hast du den Eindruck, dass wir Spätgeborenen uns<br />
von dieser Zeit noch einen Eindruck machen können?<br />
Nein, das glaube ich nicht. Das kann man schlecht. Heute<br />
ist alles so anders.<br />
Sprechen wir darüber?<br />
Na gut.<br />
Kleinmachnow<br />
Sibylle sitzt im Kaminzimmer eines schönen 30er-Jahre-<br />
Hauses in Kleinmachnow kurz hinter der Berliner Stadtgrenze,<br />
dort, wo das Licht auf einmal etwas goldener <strong>und</strong><br />
die Bäume des Brandenburger Waldes wilder <strong>und</strong> höher<br />
zu sein scheinen als in der Hauptstadt. Sibylle trägt mir<br />
zuliebe ihr Balenciaga-Kleid. Haute Couture von 1942.<br />
Die Haare sind dauergewellt. Sie sitzt aufrecht. Der Blick<br />
ist aufmerksam auf ihr Gegenüber gerichtet. Das Brandenburger<br />
Licht fällt seitwärts ein <strong>und</strong> formt einen Spot.<br />
„Das Kleid habe ich günstig nach der Saison ersteigert“,<br />
sagt sie. „Steht dir gut“! Sibylle nickt. Weiß sie ja.<br />
Die große Doppeltür zum Garten ist geöffnet <strong>und</strong> ein<br />
warmer Luftstrom treibt Pollen ins Wohnzimmer der<br />
Architektenvilla. Draußen blüht die Magnolie in übersättigten<br />
Knospen. Der Putz platzt hier <strong>und</strong> da von der Fassade.<br />
Die Veranda ist an manchen Stellen ausgebessert<br />
<strong>und</strong> von der Sonne schon ganz aufgeheizt. Es ist ein Ort,<br />
an dem man bleiben, an dem man leben möchte, der aus<br />
der Zeit gefallen scheint. Sibylle lebt hier seit genau 60<br />
Jahren. Sie kennt jeden Schritt, auch wenn sie nicht mehr<br />
alles sieht. So wie sie alles versteht, auch wenn sie nicht<br />
Nr.10<br />
40 41<br />
Nr.10
legende<br />
Breslau<br />
Am 17. August 1920 ist Sibylle in Breslau, heute Wrocław,<br />
als Enkelin des ehemaligen Tagelöhners <strong>und</strong> später<br />
größten deutschen Versand-Pelz-Händlers Moritz Boden<br />
geboren worden. Gehobenes Bürgertum, jedenfalls<br />
bis zur Wirtschaftskrise der 20er-Jahre, aber mit dem<br />
Makel, dass die Großmutter für ihren Mann zum Judentum<br />
konvertierte. So war Sibylle, geborene Boden, in der<br />
Rechnung der Nationalsozialisten „jüdischer Mischling“.<br />
als Deutsche erkennen werden. Da sagt die Dozentin: „Sibylle<br />
Boden ist keine Deutsche.“ Das war das Schlimmste.<br />
Später musste ich die Schule verlassen. So richtig<br />
angekommen bin ich eigentlich nirgends.<br />
Sind diese Ängste vor den Nazis dir immer geblieben?<br />
Ich kann das bis heute nicht verstehen. Diesen Hass. Ich<br />
träume davon.<br />
Wovon träumst du?<br />
Das vergesse ich immer gleich wieder.<br />
mehr so gut hört.<br />
Kleinmachnow war einmal eine Künstlerkolonie, fast<br />
wie Worpswede. Hier lebten Kurt Weill <strong>und</strong> später Christa<br />
Wolf umgeben von der klassischen Moderne. Ein paar<br />
Straßen weiter steht eine Villa von Gropius. Nur einen<br />
Sprung weiter, auf der anderen Seite des Teltowkanals,<br />
ein großartiger Backsteinbau von Egon Eiermann. Nach<br />
der Wende erlebte Kleinmachnow einen Neubauboom,<br />
der viel Geld <strong>und</strong> schlechten Geschmack mit sich brachte.<br />
„Ganz schlecht“, sagt Sibylle dazu. „Ganz schlecht“,<br />
sagt sie oft <strong>und</strong> schlägt dabei manchmal noch die Hände<br />
vor das Gesicht. Etwa wenn sich Handwerker am Vormittag<br />
ankündigen oder sonntags ein „Tatort“ im Fernsehen<br />
läuft.<br />
Wie war das hier damals, Sibylle?<br />
Ach, wir hatten viele Fre<strong>und</strong>e in Kleinmachnow. Von denen<br />
lebt aber keiner mehr.<br />
Du bist die Letzte?<br />
Ja, furchtbar. Aber mein Vater hat immer gesagt, reden<br />
wir nicht davon, wenn es um Verlust ging.<br />
Sibylle rückt die gelben Tulpen auf dem halbmondförmigen<br />
Kamin zurecht, ordnet das Balenciaga-Kleid, schaut<br />
auf. Blickt man sie so unvermittelt an, blickt bald ein<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert zurück.<br />
Hast du dich als Außenseiter empf<strong>und</strong>en?<br />
Na ja, wie nannte man das: einen „Webfehler“. Das heißt,<br />
dass irgendjemand in der Ahnenreihe jüdisch war. Das<br />
war ja das Schlimmste. Furchtbarer Quatsch.<br />
In der Klasse muss sie irgendwann in der letzten Reihe<br />
sitzen, wird nicht mehr aufgerufen, langweilt sich, malt<br />
die Wand an <strong>und</strong> soll dann einen Aufsatz über Jesus<br />
schreiben.<br />
Ich habe geschrieben, er sei halt zur Hälfte Jude gewesen.<br />
Seine <strong>Mutter</strong> Jüdin, der Vater Gott. Ich war ja auch „halb“.<br />
Mir war das klar. Denen hat das aber nicht gefallen.<br />
Glaubst du eigentlich an Gott?<br />
Ich kann es nicht. Aber es gibt weder einen Beweis für<br />
noch wider ihn.<br />
Sibylle hat einen trockenen, traurigen Humor. Ihr Lachen<br />
ist kindlich, doch klingt darin ein langes Leben an. Das<br />
mag pathetisch klingen, aber wenn sie lacht, dann ist<br />
das immer auch ein Zeichen für: Ich habe überlebt. Ich<br />
lebe noch. Und in diesem fragilen, kleinen Körper, der gar<br />
nicht fragil <strong>und</strong> klein wirkt wegen der Haltung, versammelt<br />
sich Erfahrung von einer Dichte, Wucht <strong>und</strong> Schwere,<br />
dass es ihn eigentlich aus dem Gleichgewicht reißen<br />
müsste. Aber nichts da. Es mag alles „ganz schlecht<br />
sein“. Merken darf das aber niemand.<br />
Hast du den Deutschen eigentlich jemals vergeben?<br />
Weißt du, sie haben mir den Vater genommen. Und die<br />
auf Minderwertigkeit abzielenden Schikanen wirken<br />
nach. Als wir vor dem Krieg mit der Modeschule nach<br />
Paris fuhren, fragte eine Studentin aufgeregt, ob sie uns<br />
Paris<br />
Sylvester 1939, kurz nach dem Einfall der Deutschen<br />
in Polen, kurz nach Kriegsbeginn, trifft Sibylle auf der<br />
Fuchsbergbaude im Riesengebirge ihren späteren Mann:<br />
Karl-Heinz Gerstner. Während alle in Skibekleidung<br />
da sitzen, trägt er einen feinen Anzug. Sibylle veralbert<br />
ihn dafür, verliebt sich aber. Sie werden gemeinsam den<br />
Krieg überstehen <strong>und</strong> eine Familie gründen.<br />
Hat ihn das interessiert, dass du „jüdischer Mischling“<br />
warst?<br />
Das fand er gut!<br />
Dann war’s ja wenigstens mal ein Vorteil.<br />
Ja, ja. Er hat sich insofern unterschieden von anderen<br />
Herren.<br />
Als Karl-Heinz, wegen einer Kinderlähmung wehruntauglich,<br />
als Jurist an die Wirtschaftsabteilung der Deutschen<br />
Botschaft nach Paris gerufen wird, holt er Sibylle<br />
im Herbst 1940 illegal nach. Undercover studiert sie an<br />
der École des Beaux-Arts Malerei, liebt die Impressionisten,<br />
teilt sich mit dem Mann, den sie nicht heiraten darf,<br />
eine Lebensmittelkarte, besucht die Modeschauen der<br />
Pariser Haute Couture <strong>und</strong> den Modedesigner Jacques<br />
Fath auf dem Land.<br />
Im Eingangsbereich in Kleinmachnow hängen von ihr<br />
fünf spät-impressionistische Aquarelle aus dieser Zeit.<br />
Sie alle zeigen öffentlichen Raum. Menschen in übervollen<br />
Cafés. Eine einsam rauchende Frau vor der Pont<br />
des Arts. Die Farben sind kurz davor zu verlaufen, halten<br />
noch eben so die Form. So stelle ich mir Sibylles Erinnerung<br />
vor. So eben noch da, aber in hellen Farben.<br />
Sibylle<br />
Im Sommer 1944 werden die meisten Diplomaten zurück<br />
nach Deutschland gerufen. Fre<strong>und</strong>e von der Résistance,<br />
mit der Sibylles Mann im engen Kontakt steht, bieten<br />
an ihn zu verstecken. Doch die beiden wollen das Ende<br />
des NS-Regimes <strong>und</strong> den Neuanfang in Berlin erleben.<br />
Was eigentlich Wahnsinn ist. Ständig gibt es Fliegeralarm.<br />
Strom <strong>und</strong> Wasser fallen aus. Es herrscht Endzeitstimmung.<br />
Nachdem die Stadt schließlich durch die<br />
Rote Armee erlöst wird <strong>und</strong> sich nach einiger Zeit die<br />
beiden Deutschen Staaten konstituieren, entscheidet<br />
sich das Paar dafür, in den Osten zu ziehen. Erst nach<br />
Zeuthen, später dann nach Kleinmachnow. Sibylle arbeitet<br />
zunächst als freie Kostümbildnerin bei der DEFA.<br />
Entwickelt dann ein Konzept für die erste internationale<br />
Modezeitschrift der DDR. Über den Entwürfen – die<br />
Mode-Shoots inszeniert sie in Kleinmachnow – steht ihr<br />
eigener Name als Test-Titel: Sibylle. Dabei bleibt es. Von<br />
1958-1961 wird sie das Magazin als Kreativdirektorin leiten,<br />
reist nach Paris, Italien, Prag <strong>und</strong> Moskau.<br />
Ich hatte Mode von beiden Seiten, aus Ost <strong>und</strong> West, im<br />
Heft.<br />
Da habt ihr ja zur Völkerverständigung beigetragen.<br />
Ja, das musste sein.<br />
War Mode für dich also auch ein Politikum?<br />
Nr.10<br />
42 43<br />
Nr.10
legende<br />
Nr.10<br />
44 45<br />
Nr.10
legende<br />
Also, als Modejournalistin in Paris war ich nicht sehr politisch.<br />
Da ging’s mir um die schicke Mode (lacht).<br />
Man hat dir später vorgeworfen, du wärst zu französisch<br />
für den Sozialismus.<br />
Ach, die waren eifersüchtig <strong>und</strong> wollten wahrscheinlich<br />
meinen Posten. Das Magazin trug meine Handschrift<br />
<strong>und</strong> dabei blieb ich.<br />
Die „Sibylle“ wird ein großformatiges Heft mit w<strong>und</strong>erbar<br />
gestellten, minimalen Covern. Meist sieht man Models<br />
vor abstraktem Hintergr<strong>und</strong>. Darüber der schlichte<br />
Titelschriftzug. Man muss sich nur mal das neue FAZ-<br />
Magazin anschauen, um zu verstehen, wie wegweisend<br />
<strong>und</strong> heutig dieser Look war. Damals war es ein Modernismus,<br />
der aus der Not geboren wurde. Die Redaktion<br />
Wofür dieses Buch?<br />
Ich habe mich gezwungen die Erlebnisse meiner <strong>Tochter</strong><br />
aufzuschreiben, obwohl ich mich manchmal am Abend<br />
übergeben musste, weil mich das zu sehr aufgeregt hat.<br />
Worüber hast du das Buch geschrieben?<br />
Darüber, dass mein Kind auf einmal eine „Verwirr Psychose“<br />
hatte. Sonja. Sie war immer die Beste in ihrer<br />
Klasse. Überbegabt. Dann musste sie in die Psychatrie.<br />
Um alles zu überspielen, hat sie sich an der Schauspielschule<br />
beworben. Bei der Vorprüfung waren alle begeistert.<br />
Bei der Hauptprüfung haben sie dann gesagt, wir<br />
sind hier keine psychiatrische Anstalt. Sie dachte, das<br />
würde ihr das ganze Leben so ergehen.<br />
Und dann ist sie in die Wolken geflüchtet.<br />
In die Wolken ... Sie hat dann Suizid begangen ...<br />
„SIBYLLE rückt die gelben TULPEN AUF dem halbmondförmigen<br />
Kamin ZURECHT, zieht DAS BALENCIAGA-Kleid ZURECHT,<br />
SCHAUT AUF. BLICKT man sie SO UNVERMITTELT an, BLICKT BALD<br />
ein Jahrh<strong>und</strong>ert zurück.“<br />
war völlig unterbesetzt. Die Mittel bescheiden. Trotzdem<br />
gelang es, Modestrecken mit avancierten Essays über<br />
Kunst <strong>und</strong> Politik zu mischen. Die „Sibylle“ war zeitweise<br />
ein Magazin zwischen dem „New Yorker“ <strong>und</strong><br />
der „Vogue“ – <strong>und</strong> damit auch ein Vorbild für diese Zeitschrift.<br />
Das war damals außergewöhnlich, hart an der<br />
Grenze des Machbaren. Immerhin vermittelte sich in der<br />
„Sibylle“ auch kompromissloser Luxus, <strong>und</strong> das im Arbeiter-<br />
<strong>und</strong> Bauernstaat. Auch eine Form von Dissidenz.<br />
Oder auch Sturheit.<br />
Flucht in die Wolken<br />
Anfang der 60er-Jahre wurde der Gegenwind zu stark.<br />
Sibylle ging zurück zur DEFA, designte Kostüme für<br />
Filme wie „Wolf unter Wölfen“ oder „Abschied vom Frieden“<br />
von Hans-Joachim Kasprzik, wurde zweifache <strong>Mutter</strong>.<br />
Sibylle Boden-Gerstner. Zwei Namen, das reicht doch<br />
für ein Leben, denkt man. Unter dem Pseudonym Sibylle<br />
Muthesius veröffentlichte sie aber noch ein Buch. Musste<br />
das tun. Es hieß „Flucht in die Wolken“.<br />
Kann man das jemals überwinden?<br />
Nein, eigentlich nicht. Ich schiebe es beiseite.<br />
Glaubst du an einen Ort, an dem man sich wieder begegnet?<br />
Nein.<br />
Sonja hat an Jesus geglaubt, hast du mal erzählt.<br />
Ja, das stimmt. Sie hat mir einmal gesagt, sie hätte eine<br />
besondere Beziehung zu ihm. Ich konnte ihr ja nicht sagen:<br />
Der wird dir nicht helfen. Das war unmöglich.<br />
Verstehst du die Welt manchmal eigentlich nicht mehr?<br />
Verstehen ja. Aber nicht billigen. Es gibt noch viele<br />
schlimme Dinge auf der Welt.<br />
Du hast doch selbst erlebt, dass es nach den schlimmsten<br />
Zeiten auch wieder besser wurde.<br />
Hoffen wir’s.<br />
Sibylle Gerstners „Flucht in die Wolken“ ist antiquarisch,<br />
z.B. über ZVAB.com, erhältlich.<br />
Nr.10 46
schnittmuster: Maison Martin Margiela<br />
Interview: David Torcasso<br />
Bilder: MM6 Martin Margiela<br />
avantgarde zum selb ermachen<br />
Maison Martin Margiela muss man nicht mehr<br />
vorstellen. Das Designerkollektiv, das stets<br />
gesichtslos bleibt <strong>und</strong> auch auf unsere Fragen<br />
mit einem anonymen „wir“ antwortete, prägte in<br />
den letzten beiden Dekaden die Mode wie kaum<br />
ein anderes Label. Für diese Ausgabe stellte uns<br />
das avantgardistische Antwerpener Haus ein<br />
Schnittmuster der Linie MM6 zur Verfügung.<br />
Es trägt die wichtigsten Charaktereigenschaften<br />
eines echten Margiela-Teils in sich: schlichte<br />
Eleganz mit einem aufregenden Twist.<br />
Wie arbeiten Sie bei Maison Martin Margiela<br />
an Ihren Schnittmustern?<br />
MMM: Bei der Konstruktion eines Schnittmusters<br />
findet ein wichtiger Denkprozess statt. Aber<br />
es gibt keine spezielle Technik. Sie variiert je<br />
nach dem jeweiligen Konzept, der Beschaffenheit<br />
der Stoffe <strong>und</strong> dem Gebrauch der Kleidung.<br />
Was ist zuerst da? Das Schnittmuster oder ein<br />
physischer Entwurf ?<br />
MMM: Beides kommt vor. Es hängt von der<br />
ersten Idee <strong>und</strong> den Vorgaben des Materials ab.<br />
Manchmal bestimmt die Beschaffenheit des<br />
Stoffs das Design.<br />
Bewahren Sie alte Schnittmuster in einer<br />
Schublade auf <strong>und</strong> verwenden Sie diese ab<br />
<strong>und</strong> an für die Kreation neuer Kollektionen?<br />
MMM: Wir haben ein umfangreiches Archiv, wo<br />
alle Schnittmuster gelagert sind. Diese werden<br />
aber selten wieder verwendet, sondern dienen<br />
nur als Gr<strong>und</strong>lage. Wir möchten uns natürlich<br />
ständig weiterentwickeln.<br />
Wieso haben Sie dieses Schnittmuster für uns<br />
gewählt?<br />
MMM: Bei der Linie MM6 möchten wir aus<br />
einzigartigen Stoffen eine unverwechselbare<br />
Garderobe schaffen. Dieses Schnittmuster ist<br />
die Gr<strong>und</strong>lage für unsere japanische Tasche. Ein<br />
Design, das in unseren Kollektionen seit Langem<br />
besteht. Ein einfaches Konzept mit einem gleich<br />
bleibenden Gr<strong>und</strong>muster. Aber in jeder Saison<br />
wird die Tasche durch das Gewebe geändert, die<br />
Form angepasst, damit das Design zeitgemäß<br />
bleibt. Der Boden der Tasche kann stets neu<br />
angebracht werden, was zu einer ungewöhnlichen<br />
Form führt.<br />
Die Transformation <strong>und</strong> Deformation des Körpers<br />
ist eine charakteristische Eigenschaft von<br />
MM6 <strong>und</strong> Maison Martin Margiela. Welches<br />
Ziel verfolgen Sie damit?<br />
MMM: Transformation, zum Beispiel durch<br />
physische Veränderung, ist seit Langem ein<br />
fester Bestandteil unserer Kollektionen. Der<br />
Hauptzweck dieses Verfahrens ist die ubiquitäre<br />
Anwendung unserer Entwürfe. Die einzelnen<br />
Stücke können auf verschiedene Arten interpretiert<br />
werden. Unsere Kleider sind spielerisch,<br />
aber auch praktisch, optisch interessant, aber<br />
für den Körper nützlich.<br />
Wie wichtig ist die konkrete Handwerkskunst<br />
für den Gestaltungsprozess bei Margiela?<br />
MMM: Handwerkskunst war <strong>und</strong> wird immer<br />
unglaublich wichtig sein. Bei MM6 spielen wir<br />
mit Texturen <strong>und</strong> komplexen oder unerwarteten<br />
Interpretationen von Stoffen. Trotzdem ist MM6<br />
zugänglicher als unsere anderen Linien. Für uns<br />
ist es immer wieder aufs Neue spannend auszuklügeln,<br />
wie effizient wir bei MM6 die typische<br />
Margiela-Handwerkskunst für ein großes Publikum<br />
übersetzen <strong>und</strong> unseren K<strong>und</strong>en möglichst<br />
abwechslungsreich präsentieren können. Besonders<br />
präsent ist unsere Handwerkskunst vor<br />
allem in der „Artisanal“-Linie. Bei der wird jedes<br />
Stück aus neuen oder gebrauchten Textilien von<br />
Hand in unserem hauseigenen Atelier gefertigt.<br />
Ihr Etikett auf der Kleidung war ursprünglich<br />
dazu gedacht, es leicht abtrennen zu können ...<br />
MMM: Es stimmt, dass die vier erkennbaren<br />
weißen Stiche für das Label konzipiert wurden,<br />
um das Etikett an Ort <strong>und</strong> Stelle entfernen zu<br />
können. Damit sollte die Kleidung „markenlos“<br />
wirken. Ironischerweise ist gerade aus den<br />
Stichen unser Markenzeichen geworden.<br />
Was sind Quellen der Inspiration für Maison<br />
Martin Margiela?<br />
MMM: Wir werden von allem inspiriert. Von<br />
der Straße, von unseren Reisen, durch unsere<br />
Geschichte. Wir sind ein Kollektiv, arbeiten mit<br />
frischen Talenten, die kommen <strong>und</strong> gehen. Dadurch<br />
halten wir unsere Vision <strong>und</strong> Inspiration<br />
in ständiger Entwicklung.<br />
Wie kam es zu der häufigen Verwendung von<br />
weißen Materialien?<br />
MMM: Eine leere weiße Fläche ermöglicht, dass<br />
das fertige Produkt im Mittelpunkt steht <strong>und</strong><br />
von nichts Unnötigem abgelenkt wird. Das ist<br />
kennzeichnend für unser Designverständnis.<br />
Heute ist die Modebranche sehr auf Designer<br />
<strong>und</strong> Persönlichkeiten konzentriert. Hat Maison<br />
Martin Margiela diesen Trend sehr früh erkannt<br />
<strong>und</strong> sich deshalb dagegen entschieden?<br />
MMM: Anonymität <strong>und</strong> die Arbeit aus einem<br />
kreativen Kollektiv heraus entsprang aus einer<br />
Gegenreaktion auf das allgegenwärtige „Starsystem“<br />
in der Mode. Wir wollen, dass die Ideen für<br />
sich sprechen. Das Produkt ist der Mittelpunkt<br />
von allem. Das hat sich bis heute nicht geändert.<br />
Deshalb verwenden wir in der Kommunikation<br />
auch stets das „wir“, anstatt Einzelne aus dem<br />
Kollektiv heraustreten zu lassen. Wir finden das<br />
diskreter.<br />
Nr.10<br />
48 49<br />
Nr.10
schnittmuster: Maison Martin Margiela<br />
Fodera<br />
S32WD0054<br />
Fodera<br />
S32WD0065<br />
Borsa<br />
Borsa<br />
Sacco Tasca<br />
Sacco Tasca<br />
Tessuto<br />
Borsa Tessuto<br />
Borsa<br />
Manico<br />
Bordo Tasca<br />
Manico<br />
Nr.10<br />
50 51<br />
Nr.10
pin-up<br />
christian bale<br />
Christian Bale ist<br />
der American Psycho,<br />
der Machinist, der<br />
Batman, der Fighter.<br />
Ein Sonderling zwischen<br />
Genie <strong>und</strong><br />
Wahnsinn. Wie sexy<br />
ist das denn? Findet<br />
unsere Autorin.<br />
Sexy beast Christian Bale: außen der gepanzerte Anzug, das<br />
raubtierhafte Bat-Mobil, innen: tief sitzende Traumata <strong>und</strong><br />
nervöse Verletzlichkeit. Den Dämonen, die Christian Bale als<br />
Batman quälen, lässt er in „American Psycho“ freien Lauf:<br />
Als Antiheld, als mordender Yuppie, findet er nur beim gewalttätigen<br />
Sadomasosex <strong>und</strong> beim barbarischen Abschlachten<br />
von Prostituierten <strong>und</strong> Arbeitskollegen Befriedigung. Die<br />
martialische Szene des sein Opfer mit laufender Motorsäge<br />
verfolgenden, nackten <strong>und</strong> Blut überströmten Christian<br />
Bale hat sich tief in mein Unterbewusstsein eingeprägt.<br />
Wirklich verarbeiten konnte ich sie nie. Er war GANZ nackt<br />
bei diesen Gewaltorgien. Sein Penis nur von einer laufenden<br />
Motorsäge verdeckt. Was für eine krasse Phallus-Metapher<br />
ist das denn? Auf jeden Fall gelang Bale die Verkörperung des<br />
Psychopathen Patrick Bateman (fast wie Batman!) sensationell<br />
gut. Er war nicht nur ultraböse, sondern irgendwie auch<br />
humorvoll <strong>und</strong>, ja, sexy!<br />
In dem Western „3:10 to Yuma“ spielt Bale einen zurückgezogenen<br />
Individualisten. Er galoppiert als gerechtigkeitsliebender<br />
Cowboy mit der üblichen Wildwest-Patina aus<br />
Schweiß, Dreck <strong>und</strong> Blut auf Gesicht <strong>und</strong> Körper über den<br />
Bildschirm. Christian Bale <strong>und</strong> Western – wer hätte gedacht,<br />
dass das funktionieren würde? Doch er brilliert auch hier als<br />
wilder, ungezähmter Mann.<br />
Am besten war Bale für mich aber in dem Boxfilm „The<br />
Fighter“: Er ist hier kaputt, verzweifelt, so nah dran am Leben<br />
seiner Rolle, dass es wehtut. Gerade wenn er sich nicht<br />
von der „Sexiest Man Alive“-Seite zeigt – also ohne Cowboy-<br />
Hut, Carbonanzug oder Wall-Street-Suit – gefällt mir Bale am<br />
besten: als gescheiterter Boxer <strong>und</strong> Crackjunkie, als Trainer,<br />
der sich irgendwie in der amerikanischen White-Trash-<br />
Unterwelt über Wasser hält. Ich verknallte mich sofort in<br />
diesen Ex-Junkie <strong>und</strong> boxenden Working-Class-Hero, stellte<br />
ihn mir in meinen Christian Bale infizierten Tagträumen als<br />
begehrenswerten Liebespartner vor.<br />
Christian Bales brutal maskulines Aussehen <strong>und</strong><br />
der entsprechende Habitus erfüllen einfach sämtliche<br />
Kriterien, um bei der Mehrheit der Frauen, die ich kenne,<br />
akute Paarungsbereitschaft hervorzurufen: kantiges Kinn,<br />
starke Nase, markante Wangenpartie, schmale Lippen. Ein<br />
geradliniges Gesicht, das beinahe zu präzise <strong>und</strong> aufgeräumt<br />
daherkommt. Gut, dass er dieses schiefe Lächeln hat, das<br />
alles wieder ausgleicht. Sein drahtiger Körper erlebt absolute<br />
Blütezeiten. Dass sein Body-Mass-Index von Rolle zu Rolle<br />
wild variiert, macht Bale umso sexier, denn die Selbstkontrolle,<br />
das dazu nötig ist, hilft mit Sicherheit auch im Bett!<br />
Sex mit Christian Bale hat mit Unterwerfung zu tun, glaube<br />
ich. Man muss sich ihm hingeben, seinen Launen, seinen<br />
Wünschen. Aber wenn sie erst mal ins Laufen gekommen<br />
ist, die Sexmaschine Christian Bale, dann ist sie unstoppable.<br />
Kann ich mir zumindest gut vorstellen.<br />
Mittlerweile hat er einen Cowboy, Superhelden, FBI-<br />
Agenten <strong>und</strong> Banker gespielt. Alles Rollen, die sich mit weiblichen<br />
Sex-Fantasiefiguren decken. Jetzt wäre es vermutlich<br />
an der Zeit, dass Christian Bale noch den Nietzsche-lesenden<br />
Feuerwehrmann <strong>und</strong> existenzialistischen Astronauten gibt.<br />
Damit wäre sein Portfolio an sexy Figuren mit tiefen Abgründen<br />
komplett.<br />
Text: Olga Schlosser,<br />
Foto: Rune Hellestad/Corbis<br />
Christian Bale wurde 1974 in Wales unter dem bürgerlichen<br />
Namen Christian Charles Philip Bale geboren. Sein Spielfilmdebüt gab<br />
er mit 13 Jahren in der Hauptrolle in Steven Spielbergs „Empire Of The<br />
Sun“. Seither spielte er in über 20 Filmen mit. Für seine<br />
Darbietung in „The Fighter“ wurde Christian Bale 2011 mit dem Oscar<br />
als bester Nebendarsteller ausgezeichnet. Er ist seit 2000 verheiratet<br />
<strong>und</strong> hat eine <strong>Tochter</strong>.<br />
Nr.10<br />
52 53<br />
Nr.10
Hut <strong>Lou</strong>'s own<br />
Jacke & Hemd Sportmax<br />
„die<br />
ruhe<br />
im<br />
sturm,<br />
yeah!“<br />
– <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong><br />
Fotos: Heiko Richard<br />
Styling: Götz Offergeld<br />
Interview: Ruben Donsbach & Vanessa Obrecht
Und sie alle fühlen sich in New York auf eine<br />
merkwürdige Art zu Hause.<br />
Sie sagten zu Beginn, Sie seien nostalgisch<br />
veranlagt. Ist es auch eine Befreiung, keine<br />
Geschichte zu haben?<br />
LD: Ja <strong>und</strong> nein. Für mich ist Amerika ein etwas<br />
skurriler Teenager. Es hat dieselbe Schönheit<br />
<strong>und</strong> Dummheit wie ein Halbstarker. Manchmal<br />
ist das toll. Doch nach ein paar Monaten will man<br />
einfach nur wieder verschwinden. Immerhin<br />
wird man in Amerika daran gemessen, was man<br />
tut. In Frankreich interessiert man sich weniger<br />
für das Ergebnis als dafür, warum man etwas<br />
gemacht hat. Es wird nie das Ergebnis diskutiert.<br />
Okay. Aber Sie waren Schauspielerin, dann<br />
Modell, jetzt haben Sie ein Album aufgenomoben:<br />
Lederhemd Diesel Black Gold<br />
Jeans <strong>Lou</strong>'s own<br />
Schuhe <strong>Lou</strong>'s own<br />
unten:<br />
Jacke <strong>Lou</strong>'s own<br />
Kleid Versace<br />
<strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> kommt aus Frankreichs erster Familie.<br />
Aber eben nicht ganz. Ihre <strong>Mutter</strong> ist <strong>Jane</strong><br />
<strong>Birkin</strong>, mit der wir ebenfalls für diese Ausgabe<br />
gesprochen haben. Der Vater aber nicht Serge<br />
Gainsbourg, sondern der Avantgarde-Regisseur<br />
Jacques <strong>Doillon</strong>. Das macht die Identitätsfindung<br />
kompliziert. <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> ist jetzt 30 Jahre alt, hat<br />
einen elfjährigen Sohn <strong>und</strong> die letzten 6 Jahre<br />
am Krankenbett, erst ihres Vaters, dann ihrer<br />
<strong>Mutter</strong> verbracht. Sie war Model für Givenchy,<br />
hat Filme gedreht <strong>und</strong> zuletzt mit „Places“ ein<br />
zartes Debütalbum aufgenommen. Aber so<br />
richtig angekommen ist sie bisher nie. Denn der<br />
Ruhm ist ein zweischneidiges Schwert <strong>und</strong> die<br />
moderne Welt für <strong>Doillon</strong> ein angsteinflößender<br />
Ort. Seit Anfang des Jahres aber hat sich was<br />
verändert. <strong>Doillon</strong> ist verliebt, geht selbstbestimmt<br />
auf Tour, fühlt sich wohl in ihrer Haut.<br />
Für <strong>Fräulein</strong> tobt sie 4 St<strong>und</strong>en lang durchs<br />
Fotostudio, raucht Kette <strong>und</strong> trinkt massenhaft<br />
Café. „Coffee and cigarettes, das können sie<br />
auf meinen Grabstein schreiben“, sagt <strong>Doillon</strong><br />
aufgedreht, setzt sich, fixiert die Interviewer<br />
<strong>und</strong> sprudelt los. Ein Gespräch über die geliebte<br />
Einsamkeit, Literatur <strong>und</strong> das Verhältnis zu ihrer<br />
<strong>Mutter</strong> <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong>.<br />
Frau <strong>Doillon</strong>, Sie sind gerade für einen Kurzbesuch<br />
in Berlin, haben heute einen mehrstündigen<br />
Fotoshoot hinter sich gebracht <strong>und</strong> fliegen<br />
am Abend schon wieder zurück nach Paris.<br />
Wie kommt man da zur Ruhe?<br />
<strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong>: Das ist wirklich ein Problem. Ich<br />
war lange wahnsinnig nostalgisch <strong>und</strong> geradezu<br />
obsessiv mit der Vergangenheit beschäftigt.<br />
Gleichzeitig hatte ich Angst vor der Zukunft.<br />
Angst auf der Bühne zu stehen. Seit ein paar Monaten<br />
bekomme ich das besser hin. Ich versuche<br />
wirklich im Hier <strong>und</strong> Jetzt zu leben. Den Moment<br />
zu genießen.<br />
Was hat sich in Ihrem Leben geändert, wie<br />
machen Sie das?<br />
LD: Im Moment löse ich das auf eine etwas<br />
alberne Art <strong>und</strong> Weise: Auf Tour verbringe ich<br />
die ganze Zeit mit meiner Band. Man will mir<br />
ständig einen eigenen Fahrer schicken, aber das<br />
will ich gar nicht. Man macht sich größere Sorgen,<br />
wenn man eine Sonderrolle bekommt <strong>und</strong><br />
von den anderen getrennt lebt. Also fahre ich im<br />
Tourbus mit <strong>und</strong> schlafe auch dort. Die Angst<br />
kommt, wenn man nur mit sich beschäftigt ist.<br />
Also macht Ihnen Einsamkeit Angst?<br />
LD: Nun, es geht dabei eher um die Zeit „on the<br />
road“. Eigentlich liebe ich die Einsamkeit. Zudem<br />
habe ich das Glück seit Kurzem mit einem Mann<br />
zusammen zu sein, der mich extrem beruhigt,<br />
der es geschafft hat, meine Angst-Muster aufzulösen.<br />
Indem er einfach gesagt hat: schau, die<br />
Leute kommen zum Konzert, weil sie dich sehen<br />
wollen <strong>und</strong> geben dafür Geld aus. Sie mögen<br />
dich. Sie kommen nicht, um dich niederzumachen.<br />
Sie sind deine Verbündeten! Letztendlich<br />
muss man irgendwann in der Realität ankommen<br />
<strong>und</strong> begreifen, dass es vielen Leuten wirklich<br />
schlecht geht, dass das Leben kein Zuckerschlecken<br />
ist. Und wenn diese Leute es schaffen<br />
zum Konzert zu kommen, Geld auszugeben,<br />
einen Babysitter zu organisieren, dann ist es das<br />
Mindeste, dass man nüchtern <strong>und</strong> ausgeschlafen<br />
auf die Bühne kommt <strong>und</strong> für 90 Minuten alles<br />
gibt. Ich hoffe einfach, dass ich die Menschen<br />
damit glücklich mache.<br />
Was macht Sie persönlich glücklich?<br />
LD: Ich bin eigentlich ganz zufrieden wenn man<br />
mich in Ruhe lässt. Das liegt vielleicht daran,<br />
dass ich aus einer notorischen Familie komme, in<br />
der die Aufmerksamkeit auf anderen Menschen<br />
lag. Es war merkwürdig. Ich hatte das Gefühl,<br />
als wenn Leute mich ständig angeschaut haben,<br />
ohne sich für mich zu interessieren. Also habe<br />
ich mich geschützt. Und es ist wahr, dass ich<br />
einen sehr dicken Schutzwall um mich herum<br />
aufgebaut habe. Lassen Sie es mich so sagen:<br />
Am glücklichsten bin ich alleine mit mir selbst,<br />
während andere Menschen um mich herumschwirren.<br />
Das versetzt mich wieder zurück<br />
in meine Kindheit. Ich liebe, es auf einer Party<br />
einzuschlafen. Ich liebe es, in einem übervollen<br />
Café mein Tagebuch zu schreiben. Ich liebe es, in<br />
der U-Bahn zu zeichnen, obwohl mich alle Leute<br />
dabei entgeistert ansehen. Fre<strong>und</strong>e fragen mich<br />
oft, wie ich es aushalte, immer angestarrt zu<br />
werden. Aber auch wenn es merkwürdig klingt:<br />
Ich liebe die Isolation, die das Berühmtsein mit<br />
sich bringt.<br />
Ist es nicht sehr schwer Menschen kennenzulernen,<br />
wenn man nie sicher sein kann, ob die<br />
sich für die öffentliche Figur, weniger für einen<br />
selbst interessieren?<br />
LD: Viele Menschen haben ein vorgefertigtes Bild<br />
von mir im Kopf. Das ist so. Dabei liebe ich es,<br />
neue Leute zu treffen. Ich bin gerne auf Reisen.<br />
Als ich eine Weile in New York lebte, saß ich oft<br />
auf meinem Balkon gleich neben dem Bowery-<br />
Hotel <strong>und</strong> spielte den ganzen Tag Gitarre. So<br />
wurde ich das „Bowery-Girl“. Auf einmal war ich<br />
nicht mehr nur die <strong>Tochter</strong> von irgendjemandem.<br />
New York war ja immer einer besonderer Ort<br />
für Künstler, ein gern gewähltes Exil. Warum<br />
meinen Sie, ist das so?<br />
LD: Das gilt ja nicht nur für Künstler. New York<br />
hat diese w<strong>und</strong>erbare Qualität Stadt <strong>und</strong> Niemandsland<br />
zugleich zu sein. Denn es hat keine<br />
wirkliche Geschichte. Nach 24 St<strong>und</strong>en fühlt man<br />
sich einfach als New Yorker. Man fühlt sich sofort<br />
akzeptiert. Ich kenne fast nur Zugezogene dort.<br />
„Ich war<br />
lange<br />
geradezu<br />
obsessiv<br />
mit der<br />
Vergangenheit<br />
beschäftigt“<br />
Nr.10 56
Kleid Versace<br />
links:<br />
Hut <strong>Lou</strong>'s own<br />
Jacke Sportmax
Hut Hermès<br />
Mantel Sportmax<br />
Strumpfhose <strong>Lou</strong>'s own<br />
men. Es wäre schon interessant zu wissen, wie<br />
es dazu kam.<br />
LD: Ich fühle mich überhaupt nicht berufen<br />
zu diesem Lebensweg. Mein Vater ist ein sehr<br />
spezieller Mann, der seine ganze Passion <strong>und</strong><br />
Empathie nur für seine Arbeit aufbringt, Filme<br />
zu drehen. Als ich klein war, drehte er zwei Stück<br />
pro Jahr. Er war sehr missmutig, düster, hart <strong>und</strong><br />
wütend im Alltag, aber ich hörte immer dieses<br />
Gerücht, er sei ein sehr lustiger Typ am Set.<br />
Vielleicht bin ich eine Schauspielerin geworden<br />
um diesen Mann zu treffen, um endlich meinem<br />
Vater zu begegnen. Dann sah ich immer schon<br />
sehr schräg aus. Das machte mich eine Weile<br />
für die Mode-Welt interessant. Aber nach einem<br />
kurzen Intermezzo bei Givenchy wurde ich nur<br />
noch bei Indie-Labels gebucht. Davon kann man<br />
nicht leben. Und ich hatte auch keine wirkliche<br />
Passion dafür. Zufriedenheit hat mir erst meine<br />
Musik gebracht.<br />
Sie fühlen sich heute also wieder wohl in Ihrer<br />
Haut?<br />
LD: Oh, ja. Ich war noch nie so entspannt wie<br />
jetzt. Es ist doch ein glücklicher Moment im<br />
Leben, wenn alles, was bisher ein Nachteil war,<br />
zum Vorteil wird. Obwohl man sich selbst nicht<br />
verändert hat. Merkwürdig, oder? Es ist so: Ich<br />
bin in die <strong>Birkin</strong>s-Gainsbourg-Familie hineingeboren,<br />
ohne ein Gainsbourg zu sein. Aus der<br />
„Gang“ war ich schon mal raus. Dann ging ich<br />
zum Film, bin aber die <strong>Tochter</strong> des größtes Psychopathen<br />
im französischen Kino, der alles <strong>und</strong><br />
jeden beleidigt hat. Also fliege ich da auch wieder<br />
raus. Als Nächstes kam die Modeindustrie, in der<br />
man mir bald sagte, du bist eine Schauspielerin,<br />
verschwinde! Dann habe ich Konzepttheater<br />
gemacht, aber die Leute sagten mir, du kommst<br />
doch aus der Filmindustrie, geh weg. Selbst die<br />
Jet-Setter haben mich rausgeschmissen, weil<br />
ich einfach nicht genug Geld hatte, um dazuzugehören.<br />
Jede Gang hat mich abgewiesen, seit<br />
ich geboren worden bin. Irgendwann sagt man<br />
dann: „Fuck, you“, zieht einen Kreis um sich, <strong>und</strong><br />
kreiert seine eigene kleine Welt. Aus irgendeinem<br />
Gr<strong>und</strong> wollen heute alle in diesen meinen Kreis<br />
kommen <strong>und</strong> meine „Fre<strong>und</strong>e“ sein. Warum<br />
nicht...<br />
Wir haben vor Kurzem mit Ihrer <strong>Mutter</strong> <strong>Jane</strong><br />
<strong>Birkin</strong> gesprochen. Sie sei lange Zeit krank<br />
gewesen <strong>und</strong> habe es in dieser Zeit extrem<br />
genossen, Sie an Ihrer Seite zu haben. Wie<br />
bedeutet Ihnen die Familie?<br />
LD: Nun, vor sechs Jahren wurde mein Vater<br />
plötzlich sehr krank. Er starb beinahe. Also<br />
habe ich mich für 2 Jahre um ihn gekümmert.<br />
Eine Woche nachdem er aus dem Krankenhaus<br />
kam, wurde meine <strong>Mutter</strong> krank. Und da meine<br />
Schwestern sehr beschäftigt waren, habe ich<br />
mich auch um <strong>Jane</strong> gekümmert. Die letzten Jahre<br />
habe ich also in Krankenhäusern verbracht. Es<br />
ist schon sehr befreiend, dass diese Zeit nun<br />
rum ist.<br />
Man hört oft, dass Menschen ihre Eltern erst<br />
wirklich kennenlernen, wenn sie Zeit mit ihnen<br />
am Krankenbett verbringen. War das bei Ihnen<br />
auch so?<br />
LD: Ach, das ist kompliziert. Seit ich zehn Jahre<br />
alt war, fühlte ich mich eher wie der Vorm<strong>und</strong><br />
meiner Eltern. Mein Vater rief mich lange Zeit jeden<br />
Tag an, meldete sich jedes Mal, wenn wieder<br />
mal eine Schauspielerin sein Set verlassen hatte<br />
<strong>und</strong> ich einspringen sollte. Ich war seine Assistentin,<br />
schrieb an seinen Drehbüchern. Dasselbe<br />
bei meiner <strong>Mutter</strong>. Die letzten vier Monate bin<br />
ich ein wenig rebellisch geworden <strong>und</strong> sage<br />
ihnen, dass sie mich mal in Ruhe lassen sollen!<br />
Ich liebe beide über alles. Aber jetzt brauche ich<br />
echt ein wenig Abstand, sonst bringen die beiden<br />
mich noch um! Mit 30 fühle ich mich zum ersten<br />
Mal in meinem Leben wirklich frei <strong>und</strong> das<br />
macht mich sehr glücklich.<br />
Das ist witzig. Wir haben vor Kurzem mit<br />
der Konzeptkünstlerin Marina Abramovic<br />
gesprochen...<br />
LD: ...Toll!<br />
Sie erzählte uns, dass sie sich mit 66 Jahren<br />
zum ersten Mal wirklich frei fühlt. Ist es da<br />
Nr.10<br />
60 61<br />
Nr.10
oben:<br />
Jacke Saint Laurent<br />
Hemd Hermès<br />
Jeans <strong>Lou</strong>'s own<br />
Gürtel <strong>Lou</strong>'s own<br />
„Ich bin<br />
eine Schauspielerin<br />
geworden,<br />
um<br />
endlich meinem<br />
Vater zu<br />
begegnen“<br />
nicht ein Privileg, dass Sie das schon mit 30<br />
Jahren so empfinden?<br />
LD: Das sage ich auch immer allen. Sehen Sie,<br />
wir leben in einer sehr angsteinflößenden Welt<br />
für Frauen, in der es sehr schwer ist, cool zu<br />
sein ohne hart zu werden. Schwer nicht nur ein<br />
Objekt der Begierde oder das genaue Gegenteil<br />
davon zu sein. Zwischen 20 <strong>und</strong> 30 stresst man<br />
sich die ganze Zeit. Man findet sich hässlich <strong>und</strong><br />
dumm. Der Krieg, den man gegen sich selbst<br />
führt, ist glatter Wahnsinn. In der modernen Welt<br />
hat ein Mädchen eine Lebensspanne zwischen 14<br />
<strong>und</strong> 22 Jahren, bevor sie als alt gilt. Ich als Frau<br />
habe es aber satt, dass jeder Popstar, jedes Modell<br />
<strong>und</strong> jede Schauspielerin 15 Jahre alt ist. Wir<br />
leben in einer Welt, in der sich selbst „bloody“<br />
Gina Rowlands ihr Gesicht liften lässt. Und man<br />
denkt: Was?! Du bist (John) Cassavetes Frau!<br />
Du hast 40 Jahre mit den schlauesten Leuten<br />
auf dem Planeten verbracht <strong>und</strong> auch du wirst<br />
jetzt eine artifizielle Braut? Worauf sollen wir 30<br />
Jahre alten dann noch setzen? Was soll aus uns<br />
werden, wenn uns von jedem Magazin-Cover<br />
verängstigte 40, 50 <strong>und</strong> 60 Jahre alte Frauen<br />
anschauen? Vergiss das! Fuck! Die Einzige, die<br />
keine Angst hat, ist Patty Smith. Darum habe ich<br />
beschlossen, dass sie eine Art Ersatzmutter für<br />
mich sein soll. Wenn ich sie backstage besuche,<br />
dann ist sie nicht nur furchtlos. Sie interessiert<br />
ihr Damenbart einen Scheiß. Sie sitzt da, liest<br />
William Blake <strong>und</strong> hat fünf verdammt sexy<br />
25-jährige Typen um sich herum stehen. Patty,<br />
du hast den Ausweg gef<strong>und</strong>en! Yeah.<br />
Muss man eigentlich zwischen der privaten<br />
<strong>und</strong> der öffentlichen <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> trennen?<br />
LD: Das ist lustig. Als ich klein war, war ich<br />
immer sauer auf meine <strong>Mutter</strong>, weil sie zu allen<br />
gleich nett war. Bei anderen Stars hatte ich das<br />
Gefühl, sie würden etwas Privates für ihre Familie<br />
aufsparen. Lustig ist das, weil ich genau so<br />
wie meine <strong>Mutter</strong> geworden bin. Ich glaube, dass<br />
wir alle eine Mission zu erfüllen haben. In einer<br />
Welt, in der alle so hart daran arbeiten, nicht sie<br />
selbst zu sein, möchte ich ganz bei mir bleiben.<br />
Ich spiele niemandem was vor. Ich habe kein<br />
Bühnenkostüm. Die ersten zwei Monate meiner<br />
Tour habe ich mir darüber noch wahnsinnige<br />
Gedanken gemacht. Ich dachte, ich brauche ein<br />
Alter-Ego. Aber nach einer Weile dachte ich mir,<br />
du hast jetzt 20 Jahre damit verschwendet die<br />
Fantasie anderer Leute zu sein. Ob als Schauspielerin<br />
oder als Model. Das macht doch keinen<br />
Sinn. In einer Welt voller Produkte <strong>und</strong> Konzepte<br />
ist es meine Mission ein Anti-Konzept <strong>und</strong> ein<br />
Anti-Fake zu sein.<br />
Das macht Sie allerdings auch verletzbar, oder?<br />
LD: Absolut!<br />
Vor ein paar Jahren haben Sie Bilder für den<br />
Französischen „Playboy“ machen lassen <strong>und</strong><br />
sich damit natürlich auch zum Objekt der<br />
Begierde anderer gemacht. War das im Nachhinein<br />
gesehen eine gute Idee?<br />
LD: Auf jeden Fall. Leider war der „Playboy“<br />
in dieser Zeit zum Hype geworden. Ich wollte<br />
immer im Playboy sein, als der noch sehr<br />
„crummy“ war. Ich wollte ein Kalender-Mädchen<br />
sein um Bestätigung zu finden, wollte hinten an<br />
einen Truck „gepinnt“ werden. Das war meine<br />
Obsession, aber natürlich auch die Frustration<br />
eines Mädchens ohne „Titts“, ohne Brüste. Ich<br />
habe den Fotoshoot auch gemacht, um eine<br />
Theaterproduktion zu promoten, in der ich<br />
Liebesbriefe von Napoleon, Apollinaire bis hin<br />
zu Céline vortrug. Mein Publikum bestand aus<br />
Leuten zwischen 50 <strong>und</strong> 80 Jahren. Und ich war<br />
so stolz, als ich nach der „Playboy“-Geschichte<br />
15-Jährige im Publikum sitzen hatte. Da saßen<br />
junge Mädchen <strong>und</strong> Jungs, die zum ersten Mal in<br />
ihrem Leben Apollinaire <strong>und</strong> Co. hörten <strong>und</strong> nun<br />
begriffen, dass diese Autoren die grandiosesten<br />
erotischen Liebesbriefe geschrieben haben.<br />
Können Sie aus diesen Briefen Ihre Lieblingsstelle<br />
verraten?<br />
LD: Ja, Céline sagt etwas W<strong>und</strong>erschönes. Er<br />
schreibt einen Brief an ein Mädchen um ihr zu<br />
erklären, warum er nicht mit ihr zusammen sein<br />
kann. Er erzählt von seiner <strong>Mutter</strong>, die als Beruf<br />
verschiedenfarbige Spitze reparierte. Er schreibt,<br />
er müsse wie seine <strong>Mutter</strong> ein solches Gewebe<br />
reparieren <strong>und</strong> könne es sich daher nicht zugestehen,<br />
zu lieben. Für Celine repräsentierte der<br />
Stoff die Menschheit. Das ist wahrscheinlich die<br />
w<strong>und</strong>erschönste Abfuhr, die jemals einer Frau<br />
widerfahren ist.<br />
Wir sprachen zu Beginn darüber, wie wichtig<br />
es ist, zu sich selbst zu finden. Es scheint so, als<br />
helfe Ihnen das Lesen dabei ungemein.<br />
LD: Absolut. Hier in meiner Tasche habe ich ein<br />
Buch von Seneca. An einer w<strong>und</strong>erbaren Stelle<br />
schreibt er, dass man sein ganzes Leben damit<br />
verbringen kann von A nach B zu fahren <strong>und</strong><br />
Menschen zu treffen, die sich nicht für einen<br />
interessieren. Und doch, schreibt Seneca, gibt es<br />
einen Fre<strong>und</strong>, der dich niemals betrügen wird.<br />
Und das sind die Bücher. Sie werden immer da<br />
sein für dich. Ich hatte also Glück. Die Autorin<br />
Dorothy Parker ist eine meiner besten (virtuellen)<br />
Fre<strong>und</strong>innen. Sie gab mir einen guten Rat:<br />
„Men seldom make passes at girls who wear<br />
glases“, Männer flirten selten mit Mädchen, die<br />
Brillen tragen. Wenn ich mich morgens um 3 Uhr<br />
auf einer Party langweile, dann denke ich oft daran<br />
<strong>und</strong> kichere vor mich hin. Sehen Sie, ich war<br />
ein schlechter Schüler, ich buchstabiere katastrophal,<br />
ich bin diejenige, die aus der Klasse fliegen<br />
müsste. Und dann schreiben mir Leute <strong>und</strong><br />
danken mir dafür, ihnen Henry Miller bekannt<br />
gemacht zu haben. Das ist doch w<strong>und</strong>erbar!<br />
Haare <strong>und</strong> Make-up: Christian Fritzenwanker<br />
Foto-Assistenz: Lennart Etsiwah<br />
Postproduktion: Simon Geis / Recom<br />
Besonderer Dank an Delight Rental Services<br />
<strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong>s neues Album „Places“ ist bei Universal<br />
erschienen. Diesen Sommer tourt sie durch Europa.<br />
unten:<br />
Jacke <strong>Lou</strong>'s own<br />
Kleid Versace<br />
63<br />
Nr.10
Jeans G-Star<br />
Kette Werkstatt München<br />
toy boy<br />
„‚How can you tell if<br />
someone is crazy?<br />
‚Can’t always…<br />
Depends on how many<br />
think he’s crazy.’”<br />
– Rumble Fish<br />
Fotos: Stefan Armbruster<br />
Styling: Felix Leblhuber & Götz Offergeld<br />
Nr.10<br />
64
Sonnenbrille Polaroid<br />
Kette Werkstatt München<br />
Jeansjacke Levi’s<br />
Jeans Diesel<br />
rechts:<br />
T-Shirt American Apparel<br />
Jeans Levi’s<br />
Kette Werkstatt München
Jeans Levi’s<br />
Kette Werkstatt München
Lederjacke Layer-0<br />
Kette Werkstatt München<br />
Jeans Diesel<br />
links:<br />
Jeans G-Star
Sonnenbrille Persol<br />
Jeanshemd Replay<br />
Jeans Levi’s<br />
rechts:<br />
Kette Werkstatt München<br />
Jeans Acne<br />
Haare Make-up:<br />
Thomas Lorenz @ MKS-milano<br />
mit Armani Cosmetics<br />
Model:<br />
Patrick Kafka @ wienermodels
flakon fatal<br />
„Have you ever burried your nose in a mountain<br />
of curls… just wanted to go to sleep forever?“<br />
– Der Duft der Frauen<br />
Fotos: Bela Borsodi<br />
Retusche: Lutz + Schmitt<br />
Kurzgeschichte: Dirk Peitz<br />
75<br />
Nr.10
„Darf ich?“<br />
Sie hielt das Flakon seines Eau de Toilette in der Hand<br />
<strong>und</strong> lächelte ihn an. Superbild, bitte so bleiben, nicht<br />
bewegen, dachte er, wie sie so dastand vor seinem Badezimmerspiegel<br />
<strong>und</strong> die Fliesen volltropfte, während<br />
er noch in der Wanne lag. Sie hatte sich vorher erst ein<br />
bisschen geziert: Gemeinsam baden, das sei ja schon<br />
sehr intim. Woraufhin er ihr erst mal aufgezählt hatte,<br />
was sie schon alles miteinander gemacht hatten. Und<br />
was davon erheblich intimer gewesen sei, als lediglich<br />
in warmem Wasser umschlungen herumzuliegen. Fand<br />
er zumindest. Und dachte, sagte es aber nicht: dafür,<br />
dass sie jetzt erst ein paar Wochen, ja, was eigentlich?<br />
Zusammen waren? Regelmäßigen Geschlechtsverkehr<br />
hatten?<br />
Er hatte sich aber nun mal vorgenommen, keine<br />
Eile dabei zu entwickeln, das, was da zwischen ihnen<br />
beiden passierte, schon eindeutig zu benennen, es bereits<br />
mit Worten zu belegen. Sie schien das auch nicht<br />
zu wollen, hatte dann jedoch ziemlich ausführlich definiert,<br />
was sie für intim hielt <strong>und</strong> was nicht. Es lief<br />
darauf hinaus, so hatte er sie verstanden, dass sie die<br />
Intimität von Sexpraktiken nicht danach maß, was man<br />
mit einzelnen Körperteilen anstellte, den eigenen <strong>und</strong><br />
denen des anderen. Das mit Abstand Intimste zwischen<br />
ihnen bislang, hatte sie gesagt, sei seine Bitte gewesen,<br />
sie möge ihre Schamhaare für ihn wachsen lassen.<br />
Dass sie dieser Bitte nachgegeben habe, dürfe er als<br />
großen Vertrauensbeweis begreifen.<br />
Er hatte daraufhin wiederum nur gedacht, nicht gesagt:<br />
Dass sie untenherum völlig rasiert gewesen war,<br />
das hatte eigentlich gar nicht zu ihr gepasst. Oder besser<br />
gesagt: zu seiner Vorstellung von ihr. Es hatte ihn irritiert.<br />
Porno, hatte er kurz gedacht bei dem Anblick: Die<br />
Leute glauben, Intimrasur hätte was mit Reinlichkeit<br />
zu tun, aber am Ende sehen sie einfach nur nach Porno<br />
aus. Und er wollte in keinem mitspielen, definitiv nicht.<br />
„Sag schon, darf ich?“<br />
Sie hielt immer noch das Flakon in der Hand, <strong>und</strong><br />
er wusste gerade echt nicht, was er antworten sollte.<br />
Wie er das nun finden sollte. Das war seltsam, denn<br />
bis dahin war alles so irre selbstverständlich passiert<br />
zwischen ihnen. Fast ohne Irritation. Auch <strong>und</strong> gerade<br />
fast ohne Irritation seiner Sinne. Die kommen ja immer<br />
vorher dran, bevor die tausend kleinen bewussten Verhandlungen<br />
zwischen zwei Menschen beginnen. Bevor<br />
das Abstecken der Claims losgeht, die Festlegung<br />
der Verfahrensregeln, die Grenzen des Erlaubten. Erst<br />
kommt das Sehen, Fühlen, Riechen, Schmecken, ungefähr<br />
in der Reihenfolge, <strong>und</strong> das hatte alles so sehr<br />
gepasst bei ihr, dass es ihm fast unheimlich war. Denn<br />
normalerweise passte da an irgendeinem Punkt etwas<br />
nicht bei ihm. Vor allem beim Riechen. Und Gerüche<br />
ließen sich ja nicht verhandeln, sie ließen sich nicht<br />
wegdiskutieren, nicht mal ansprechen. Zu intim, tatsächlich.<br />
Es war ihm schon oft passiert, dass ein Geruch<br />
an einer Frau ihn dermaßen abgestoßen hatte, dass er<br />
daraufhin abgebrochen hatte, was immer sich da auch<br />
bereits entwickelt hatte zwischen ihr <strong>und</strong> ihm. Er hatte<br />
die fadenscheinigsten Ausreden erf<strong>und</strong>en, nur um<br />
nicht sagen zu müssen: Ich kann nicht mit dir zusammen<br />
sein, denn ich ertrage den Gestank deiner Haut<br />
nicht, deines Atems, deiner Achseln.<br />
Es war ihm mittlerweile so oft schon passiert, dass<br />
er begonnen hatte, an seinem eigenen Geruchssinn zu<br />
zweifeln: Vielleicht, hatte er gedacht, benutze ich den<br />
am Ende nur für mich selbst als Ausrede. Vielleicht<br />
ist mein Kopf das Problem, nicht meine Nase. Aber er<br />
hatte auch keine Lust, sich damit näher zu befassen,<br />
mit der ganzen Lehre von den Pheromonen <strong>und</strong> so.<br />
Er wollte seine Bindungsprobleme, <strong>und</strong> er hatte wohl<br />
wirklich welche, nicht naturwissenschaftlich gerechtfertigt<br />
bekommen. Das wäre ja auch schon wieder eine<br />
Ausrede gewesen. Die Liebe, fand er, musste über die<br />
Sinne erhaben sein.<br />
Dass ihn an dieser Frau nun geruchsmäßig nichts<br />
irritiert hatte, hatte ihn deswegen schon wieder: irritiert.<br />
Es hatte ihn ja nicht einmal gestört, dass sie nach<br />
Schweiß roch, als sie das erste Mal miteinander geschlafen<br />
hatten. Im Gegenteil. Sie war mit dem Fahrrad<br />
zu ihm gefahren, sie hatte sich offenk<strong>und</strong>ig sehr beeilt,<br />
sie war noch ganz außer Atem gewesen, als sie vor ihm<br />
gestanden hatte <strong>und</strong> sie sich dann gleich ausgezogen<br />
hatten, ohne weitere Worte <strong>und</strong> Verhandlungen. Und<br />
weil die Eile, zu ihm zu kommen, ja doch ein großes<br />
Signal gewesen war, so zumindest hatte er sich das<br />
hinterher erklärt: Deshalb hatte ihn ihr Schweißgeruch<br />
sogar irgendwie angetörnt. Vielleicht war er seinem<br />
Geruchssinn also gar nicht hilflos ausgesetzt. Vielleicht<br />
konnte er wahrhaft lieben, indem er seine Sinne daraufhin<br />
ausrichtete, für liebenswert zu halten, was ihn<br />
sonst abstieß.<br />
„Wenn du jetzt mein Eau de Toilette benutzen<br />
würdest <strong>und</strong> wir dann nachher miteinander schlafen<br />
würden, wäre es dann nicht so, als schliefe ich mit mir<br />
selbst? Als hättest du dich aufgegeben <strong>und</strong> in mich verwandelt,<br />
jedenfalls so lange, bis mein Duft an dir verweht<br />
wäre?“<br />
Das war nicht die Antwort, die sie erwartet hatte.<br />
Glaubte er jetzt zumindest ganz deutlich an ihrem irgendwie<br />
entsetzten Gesichtsausdruck zu erkennen. Sie<br />
schaute ihn lange stumm an, viel zu lange.<br />
„Wir haben gerade zwanzig Minuten im selben Badewasser<br />
gelegen“, sagte sie schließlich, „wir duften im<br />
Moment sowieso gleich, warum sollte ich da nicht auch<br />
dein Eau de Toilette benutzen? Hast du Angst davor,<br />
dass ich wie ein Mann riechen könnte? Hast du etwa<br />
noch nie mit einem Mann geschlafen?“<br />
„Natürlich hab ich das, aber er roch nicht wie einer, <strong>und</strong><br />
erst recht nicht wie ich selbst. Er roch nach gar nichts,<br />
also im Rahmen dessen, in dem man nach gar nichts<br />
riechen kann. Sonst hätte ich auch nicht mit ihm schlafen<br />
können.“<br />
„Magst du deinen Geruch nicht? Magst du dich am<br />
Ende denn gar nicht selbst?“<br />
„Hey, das wird jetzt ganz schön gr<strong>und</strong>sätzlich, findest<br />
du nicht?“<br />
„Das ist doch nur ein Spiel! Und ich würde mich<br />
überhaupt nicht selbst aufgeben. Es wäre ein Kompliment,<br />
nichts anderes. Sogar ein weiterer großer Vertrauensbeweis,<br />
merkst du das nicht? Ich möchte nicht<br />
nach dir, ich möchte nicht nach mir, ich möchte nach<br />
uns riechen. Und weil ich mein Parfüm nun mal gerade<br />
nicht hier habe, bleibt nur deins.“<br />
„Weiß nicht. Du würdest nach mir riechen, trotzdem.<br />
Ich fände das schon heftig.“<br />
„Macht es dir Angst?<br />
„Es ist jedenfalls anders als das, was wir bislang<br />
miteinander gemacht haben. Es wäre kein Spiel mehr.“<br />
„Dann ist es gut“, sagt sie <strong>und</strong> sprühte sich ein. Eigentlich<br />
nebelte sie sich regelrecht ein, in ihn, mit ihm.<br />
Nr.10<br />
82 83<br />
Nr.10
<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong><br />
„ich kenne den schmerz“<br />
Fotos: Stefan Armbruster<br />
Styling: June Nakamoto@ Shotview<br />
Interview: David Torcasso<br />
85<br />
Nr.10
Journalisten geht das Wort Ikone oft viel zu<br />
schnell von der Hand. Wenn es tatsächlich<br />
zutrifft, dann reicht seine Kraft kaum mehr aus<br />
- wie bei <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong>. Trotzdem: Die gebürtige<br />
Engländerin, die spätestens seit ihren lasziven<br />
Stöhnorgien auf Serge Gainsbourgs Song „Je<br />
t'aime … moi non plus“ weltbekannt wurde, gehört<br />
bis heute zu den großen weiblichen Ikonen<br />
der Popkultur der letzten fünf Jahrzehnte.<br />
Berühmt war <strong>Birkin</strong> aber schon vor „Je t'aime“.<br />
Als Model <strong>und</strong> vor allem als nackte Schöne in<br />
Michelangelo Antonionis „Blow up“, der heute<br />
zu den wichtigsten Filmen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
gezählt wird. Aus dem paneuropäischen<br />
Sexsymbol der Sechziger wurde im Laufe der<br />
folgenden Jahrzehnte eine angesehene Sängerin,<br />
Regisseurin <strong>und</strong> Schauspielerin, die stets mit<br />
den anspruchsvollsten <strong>und</strong> interessantesten<br />
Künstlern arbeitete. Mit Agnes Varda, Alain<br />
Rasnais, Jacques Rivette zum Beispiel oder mit<br />
Jacques <strong>Doillon</strong> – dem dritten Mann, den sie<br />
heiratete, <strong>und</strong> der Vater ihrer zweiten <strong>Tochter</strong><br />
<strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong>, mit der sich <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> in dieser<br />
Ausgabe den Titel teilt.<br />
Insgesamt war <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> dreimal verheiratet.<br />
Ihre drei Töchter haben drei verschiedene<br />
Väter. Charlotte Gainsbourg ist die <strong>Tochter</strong> der<br />
verstorbenen französischen Chanson-Legende<br />
Serge Gainsbourg. Die älteste, die Fotografin<br />
Kate Berry, stammt aus ihrer ersten Ehe mit<br />
dem ebenfalls verstorbenen Komponisten John<br />
Berry. Auch als <strong>Mutter</strong> ging <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> nie den<br />
geraden Weg, trotzdem sind die Familienbande<br />
zu ihren drei kreativen Töchtern eng geflochten.<br />
<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> sagt, dass sie von ihren Töchtern<br />
lerne. <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> brachte ihr bei, wie man „Ich<br />
liebe dich“ sagt, erzählt <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> im <strong>Fräulein</strong>-<br />
Interview. Auch die Neugier hat sie während all<br />
der Jahre nie verloren. Das Sendungsbewusstsein<br />
ebenfalls nicht: Neben ihren Filmprojekten<br />
möchte sie in Zukunft die Lieder von Serge<br />
Gainsbourg ins Deutsche übersetzen lassen,<br />
dass noch mehr die Freude <strong>und</strong> den Schmerz<br />
verstehen, der in ihnen steckt.<br />
Frau <strong>Birkin</strong>, mögen Sie es noch immer, fotografiert<br />
zu werden?<br />
<strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong>: Ich hatte heute eine w<strong>und</strong>ervolle<br />
Zeit mit dem Fotografen. Er war sehr einfühlsam,<br />
voller Energie <strong>und</strong> kreativ. Es hat großen<br />
Spaß gemacht. Ja, ich liebe es, fotografiert zu<br />
werden. Besonders weil es nicht oft geschieht. In<br />
meiner Wohnung mag ich es besonders gerne,<br />
weil ich hier natürlich sein kann. Ich mag es<br />
trotzdem, mich zu verwandeln. Im Alltag trage<br />
ich immer die gleichen Klamotten. Deshalb finde<br />
ich es schön, wenn mir Leute tolle Kleider anziehen<br />
<strong>und</strong> ich neue Designer kennenlerne. Aber<br />
ich verstehe sowieso nicht, warum die Leute<br />
noch Fotos von mir in meinem Alter machen<br />
wollen (lacht).<br />
Das ist einfach: Sie sind eine schöne Frau, eine<br />
tolle Künstlerin <strong>und</strong> eine sehr wache Beobachterin<br />
unserer Zeit!<br />
JB: Ich habe das Glück, dass mich mein Beruf<br />
um die ganze Welt bringt. Kürzlich war ich in<br />
Japan <strong>und</strong> habe an Orten gesungen, wo der<br />
Tsunami gewütet hat. Menschen sind mein<br />
Leben. Ich werde schlecht gelaunt, wenn ich<br />
nicht auf Tour bin, wenn ich nicht singen, nicht<br />
spielen kann, sondern zu Hause rumgammle.<br />
Gestern habe ich einen tollen Film gesehen, heute<br />
gehe ich auf ein Konzert, morgen erhält meine<br />
<strong>Tochter</strong> <strong>Lou</strong> einen Filmpreis. Ich habe Fre<strong>und</strong>e,<br />
mit denen ich viel Kultur genieße, dazu meine<br />
Töchter <strong>und</strong> Enkelkinder, die mir ständig neue<br />
Welten zeigen. Ich kann nicht stillstehen. Viele<br />
Leute ziehen sich mit 66 Jahren zurück. Ich tue<br />
das Gegenteil. Bald mache ich einen Film mit<br />
Jean Renaud, dann im Herbst „Maggie Smith“<br />
mit Israel Horowitz. Ich bin einfach so froh, aus<br />
dem Krankenhaus zu sein <strong>und</strong> zu leben! (Anmerkung<br />
der Redaktion: <strong>Jane</strong> <strong>Birkin</strong> litt unter<br />
einer Herzbeutelentzündung)<br />
Sie saugen Kultur also richtiggehend auf ?<br />
JB: All meine Fre<strong>und</strong>e sind neugierige Menschen.<br />
Sie bringen mich an interessante Orte.<br />
Einer meiner Fre<strong>und</strong>e arbeitet an der Oper in<br />
Paris. Dann habe ich eine Fre<strong>und</strong>in bei der Oper<br />
in London, wo ich vor Kurzem „Matilda“ von<br />
Roald Dahl gesehen habe. Ich bin mit meinen<br />
Enkelkindern im Eurostar von Paris nach London<br />
gefahren. Es war himmlisch, alle zusammen<br />
im Zugabteil. Wenn ich eine tolle Sendung auf<br />
Arte sehe, rufe ich Charlotte oder <strong>Lou</strong> an <strong>und</strong><br />
sage ihnen: „Schaltet den Fernseher ein!“ Es ist<br />
so schön, wenn jemand am anderen Ende der<br />
Leitung sitzt <strong>und</strong> mit dir das Gleiche anschaut.<br />
Kürzlich waren Sie zum ersten Mal zu viert im<br />
Fernsehen: Ihre Töchter Kate Berry, Charlotte<br />
Gainsbourg, <strong>Lou</strong> <strong>Doillon</strong> <strong>und</strong> Sie. Sind Sie<br />
wirklich ein Familienmensch oder eigentlich<br />
ein Einzelgänger?<br />
JB: Ich liebe meine Töchter. Ich habe Enkelkinder<br />
zwischen 1 <strong>und</strong> 26 Jahren. <strong>Lou</strong> hatte ihr<br />
Kind beispielsweise schon mit 19 Jahren – wie<br />
ich damals. Und das Schönste: Sie sind alle in<br />
meiner Nähe in Paris! Ich schreibe aber meinen<br />
Kindern nicht vor, wo sie leben sollen. Wenn sie<br />
nach New York ziehen möchten, dann sollen sie<br />
es tun. Aber jetzt ist es w<strong>und</strong>erbar! Auch wenn<br />
ich nicht immer eine verfügbare Großmutter<br />
sein kann, weil ich oft unterwegs bin. Ich könnte<br />
im Moment nicht glücklicher sein: Charlotte ist<br />
40 Jahre alt, <strong>Lou</strong> ist 30, das passt so w<strong>und</strong>erbar.<br />
Ich höre meine Kinder einmal am Tag <strong>und</strong> sehe<br />
sie ein- bis zweimal pro Woche. Seit 46 Jahren<br />
verbringe ich jeden Feiertag mit ihnen. An<br />
Ostern habe ich bei Kate zu Hause für 40 Leute<br />
gekocht. Es ist großartig, wie meine drei Töchter<br />
sich untereinander so gut verstehen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen<br />
sind. Ich denke, sie haben so viel Spaß.<br />
Da kann ich getrost sterben.<br />
Würden Sie nicht viel lieber die Zeit anhalten<br />
wollen?<br />
JB: Nein, ich weiß, dass sie da sind. Das macht<br />
mich stark. Als ich krank war, haben meine<br />
Töchter meine Hand gehalten. Vier Monate lang.<br />
Sie waren in dieser Zeit fürsorglich <strong>und</strong> witzig<br />
zugleich. Ich habe viele Fotos von meinen Töchtern<br />
zu Hause, aber auch von Serge... Serge ist<br />
auch immer da. Aber jetzt, wo ich seine Lieder<br />
singe, muss ich ihn nicht mehr jeden Tag vermissen.<br />
Es ist jetzt 20 Jahre her. Ich habe seine<br />
Stücke kürzlich in Südkorea veröffentlicht. Dort<br />
kennen ihn die Leute nicht von früher. Ich habe<br />
Serge an so viele Orte mitgenommen – <strong>und</strong> er<br />
hat Standing Ovations erhalten. Wenn man seine<br />
Lieder nicht singt, sterben sie. Ich produziere<br />
gerne Filme, schreibe gerne – aber nichts ist so<br />
„Ich wünschte<br />
mir so sehr,<br />
dass meine<br />
<strong>Tochter</strong> mich<br />
liebt, <strong>und</strong> stellte<br />
deshalb keine<br />
Regeln auf.“<br />
schön, wie Serges Lieder 20 Jahre später zu singen.<br />
Ich kenne den Schmerz, der ihn inspiriert<br />
hat, diese w<strong>und</strong>ervollen Songs zu kreieren. Es<br />
sind so viele persönliche Botschaften an mich<br />
darin. Ich weiß, wann <strong>und</strong> wie er sie geschrieben<br />
hat, wie er im Studio saß, geweint hat. Es war<br />
so schmerzhaft für ihn, dass ich mich so lange<br />
schuldig gefühlt habe. Die Menschen verstehen<br />
seine Lieder. Nun möchte ich sie auf Englisch<br />
<strong>und</strong> Deutsch übersetzen.<br />
Warum das? Französisch ist doch w<strong>und</strong>erbar!<br />
JB: Ja, aber ich will, dass alle Menschen seine<br />
Texte verstehen. Der Sohn des Mannes meiner<br />
<strong>Tochter</strong> Kate - Ano - hat mit seinen 20 Jahren<br />
einen Text von Serge übersetzt. Danach ist er<br />
aber bei einem Autounfall gestorben. Schrecklich<br />
(macht eine lange Pause). Serge hat eine<br />
neue Sprache erf<strong>und</strong>en. Deshalb sollte eine<br />
junge Person sie übersetzen. Jemand, der keine<br />
zu schwere Seele hat, sondern witzig ist. Wow,<br />
wenn ich so jemanden treffen würde, würde ich<br />
mich sofort verlieben.<br />
Sie erwähnen die versteckten Botschaften<br />
in Serges Liedern an Sie. Haben Sie heute<br />
Distanz zu seinen Liedern gewonnen?<br />
JB: Die schönsten Lieder hat er geschrieben,<br />
nachdem ich ihn verlassen habe. Warum<br />
schreiben die Menschen die besten Songs, wenn<br />
sie unglücklich sind? Bei <strong>Lou</strong> war es genauso.<br />
Wie Serge gesagt hat: Der Himmel ist langweilig,<br />
wenn er blau ist. Er mochte Gewitter. Wenn<br />
man glücklich ist, hat man keine Zeit, Lieder zu<br />
schreiben. Wenn man glücklich ist, denkt man<br />
gar nicht daran. Leider realisiert man immer zu<br />
spät, wie glücklich man gewesen ist.<br />
Frau <strong>Birkin</strong>, Sie schwanken wohl immer zwischen<br />
Trauer <strong>und</strong> Glück?<br />
JB: Auf jeden Fall! Ich kann am Morgen ganz<br />
glücklich aufwachen, dann passiert etwas Trauriges<br />
<strong>und</strong> mein Gemütszustand dreht sich um<br />
180 Grad. Das können kleine Dinge wie ein Foto<br />
auslösen. Die meisten Filme sind traurig oder<br />
schön. Oder beides gleichzeitig.<br />
Wie gehen Sie mit diesen Achterbahnfahrt um.<br />
Nr.10<br />
86 87<br />
Nr.10
Morgenmantel Ann Demeulemeester<br />
Tank-Top Dries van Noten<br />
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Top, Tank-Top <strong>und</strong> Hose Céline<br />
Nr.10<br />
88 89<br />
Nr.10
Nr.10<br />
90 91<br />
Nr.10
Wiegen Sie sich gerne in süßer Schwermut?<br />
JB: Es ist nicht falsch, unglücklich zu sein. Und<br />
wenn Sie es sind, dann schalten Sie Gustave<br />
Malot ein <strong>und</strong> werden noch sentimentaler. Warum<br />
darf man nicht unglücklich sein? Morgen<br />
ist wieder ein anderer Tag. Ich wache manchmal<br />
von Albträumen auf, weil ich schreckliche<br />
Unfälle sehe. Aber das Leben, der Lebensweg ist<br />
nie eine Fahrt ins Paradies.<br />
Ist der Weg des Glücks ein langweiliger?<br />
JB: Nimm einfach den Weg, der sich öffnet. Ich<br />
habe es früher geliebt, wenn ich mit meiner<br />
<strong>Mutter</strong> die Fähre verpasst habe. Wir hatten<br />
unerwartet Zeit füreinander <strong>und</strong> das war die<br />
beste Zeit mir ihr. Weil sie spontan, ehrlich <strong>und</strong><br />
ungezwungen war. Nichts läuft so, wie du es<br />
erwartest. Ein Film wird nicht realisiert, eine<br />
Tour wird abgesagt. Dann machst du eben ein<br />
Theaterstück. So bin ich beispielsweise sehr<br />
stolz auf meinen Film „Boxes“.<br />
Dieser Film zeigt eine Familiengeschichte. Sie<br />
spielen selbst mit <strong>und</strong> auch Ihre <strong>Tochter</strong> <strong>Lou</strong>.<br />
Ist die Geschichte autobiografisch?<br />
JB: Der Film handelt von einer <strong>Mutter</strong>-<strong>Tochter</strong>-<br />
Beziehung, gewiss. Es ist aber keine Reflexion<br />
über unsere eigene Geschichte. Es hat Geister<br />
im Film, der Vater taucht auf. „Boxes“ war mein<br />
bester Film bisher. Wenn ich mich in meinen<br />
Filmen selber entfalten kann, ist das w<strong>und</strong>erbar.<br />
„Boxes“ war nicht erfolgreich, aber egal. Wichtig<br />
ist, dass dieser Film existiert.<br />
Was war die größte Herausforderung für Sie<br />
als <strong>Mutter</strong>?<br />
JB: Als <strong>Mutter</strong>? Ich war ja nie nur eine <strong>Mutter</strong>.<br />
<strong>Lou</strong> hatte ihr Kind mit 19 Jahren, genau wie ich<br />
mit John Barry. Dann hat er mich verlassen <strong>und</strong><br />
ich dachte, ich müsste sterben. Ich habe ihn so<br />
begehrt, weil er so talentiert war. Ich ging nach<br />
Amerika <strong>und</strong> spielte im Film „Blow up“ diese<br />
Nacktszene. Das Leben endet nicht, auch wenn<br />
man es manchmal denkt. Ich traf im Anschluss<br />
Serge Gainsbourg <strong>und</strong> mein Leben veränderte<br />
sich erneut komplett. Stellen Sie sich vor, John<br />
Barry hätte mich nicht verlassen. Ich wäre<br />
eine Hausfrau geworden, Suppen kochend <strong>und</strong><br />
immer von der Angst <strong>und</strong> Eifersucht um meinen<br />
Ehemann geplagt.<br />
Ich kann schwer glauben, dass Sie Hausfrau<br />
geworden wären ...<br />
JB: Auf jeden Fall! Ich hätte ein bürgerliches<br />
„Wenn man<br />
glücklich ist,<br />
hat man keine<br />
Zeit, Lieder zu<br />
schreiben.<br />
Wenn man<br />
glücklich ist,<br />
denkt man gar<br />
nicht daran.<br />
Leider realisiert<br />
man immer zu<br />
spät, wie glücklich<br />
man gewesen<br />
ist.“<br />
Leben geführt <strong>und</strong> wäre nie nach Frankreich<br />
gegangen. Ich hatte damals versucht, die perfekte<br />
Hausfrau zu sein. Kein einziger Film wäre je<br />
entstanden. Dann hatte ich mit 25 Jahren meine<br />
zweite <strong>Tochter</strong>, Charlotte - mit Serge zusammen.<br />
Viel später wurde dann <strong>Lou</strong> geboren. Sie ist 16<br />
Jahre jünger als meine erste <strong>Tochter</strong>. Bei <strong>Lou</strong><br />
war ich so glücklich, noch einmal <strong>Mutter</strong> sein<br />
zu können. Nicht wie damals mit 19 Jahren, als<br />
ich selbst noch ein Teenager war. Ich wurde<br />
ehrlicher zu meinen Töchtern, jede hat einen<br />
anderen Vater. Für Kate wollte ich immer beste<br />
Fre<strong>und</strong>in sein, ich wünschte mir so sehr, dass<br />
sie mich liebt, <strong>und</strong> stellte deshalb keine Regeln<br />
auf. Sie fand das verwirrend.<br />
Welche Fehler haben Sie gemacht?<br />
JB: Jedes Kind fragt seine Eltern früher oder<br />
später: Bin ich so geworden, wie ihr mich<br />
wolltet? Es ist eine ständige Sorge, ob man so<br />
wird, wie die Eltern es möchten. Ich habe meine<br />
Kinder immer ermutigt, so zu werden, wie sie<br />
wollen. Nicht für mich, sondern für sich. Ich<br />
war froh, als Charlotte mit zwölf Jahren einen<br />
Part in einem Film bekam. Als Kate Designerin<br />
werden wollte, habe ich ihr die Adresse von<br />
einem Bekannten bei Lanvin gegeben. Jetzt ist<br />
sie Fotografin. Ich musste verstehen, dass sich<br />
meine Töchter selbst ausdrücken wollten <strong>und</strong><br />
nicht wie ich eine Rolle spielen wollten. Ich war<br />
ja nichts! Keine große Sängerin, keine Schauspielerin,<br />
nichts - meine Töchter haben Talent.<br />
Ich war einfach für sie da.<br />
Wie sehr hat Sie Ihr Elternhaus geprägt?<br />
JB: Meine Eltern schickten mich auf ein Internat.<br />
Das war schlimm, aber ich habe sie nie dafür<br />
verantwortlich gemacht. Für meinen Bruder war<br />
es gut. Es ist so wichtig zu berücksichtigen, woher<br />
die Eltern kommen! Meine <strong>Mutter</strong> kam aus<br />
einer Bauernfamilie, sie wollte ein Zuhause <strong>und</strong><br />
entschied sich deshalb für meinen Vater. Obwohl<br />
sie anders war. Mein Vater wollte nie, dass sie<br />
Schauspielerin wird. Er war mit dieser schönen<br />
Frau zusammen, wollte sie für sich allein. Mein<br />
Vater war w<strong>und</strong>ervoll, aber auch egoistisch.<br />
Als er starb, war das furchtbar. Kurz zuvor war<br />
Serge gestorben. Meine <strong>Mutter</strong> ging danach aber<br />
wieder ins Theater, sie wechselte ihren Namen,<br />
hatte eine eigene Show <strong>und</strong> konnte zum Glück<br />
noch 15 Jahre ihres Lebens so sein, wie sie<br />
wirklich war.<br />
Was haben Sie von Ihren Kindern gelernt?<br />
JB: Ich lerne jeden Tag. Ich halte mich zurück,<br />
dass ich nicht zu lange mit ihnen telefoniere. Sie<br />
haben doch ihr eigenes Leben, <strong>und</strong> ich erzähle<br />
dann immer so viel. <strong>Lou</strong> hat mich gelehrt zu<br />
sagen: Ich liebe dich - ohne dass es sich peinlich<br />
anfühlt. Das ist eigentlich sehr amerikanisch,<br />
aber eben auch schön. <strong>Lou</strong> hat es ihrem Vater<br />
gesagt <strong>und</strong> mir auch. Ich musste es wirklich<br />
lernen, ihr das auch zu sagen. Kate hat mir<br />
gesagt: Vergiss die Vergangenheit, rede nicht<br />
mehr davon. Charlotte hat mir gezeigt, wie toll<br />
man sich um seine Kinder kümmern kann.<br />
Alle Mütter wollen Liebe geben - aber ich habe<br />
meinen Kindern auch Liebe gegeben, weil sie<br />
mir selbst gefehlt hat.<br />
Sind Sie eine bessere Großmutter als <strong>Mutter</strong>?<br />
JB: Als ich mit meinen Enkelkindern in den Ferien<br />
war, haben wir Piraten <strong>und</strong> Indianer gespielt.<br />
Ich war so glücklich wie noch nie - weil ich<br />
selbst wieder Kind wurde. So schließt sich der<br />
Kreis. Ich will in diesem Sommer die Kinder <strong>und</strong><br />
Enkelkinder in mein Haus in Britney nehmen<br />
<strong>und</strong> am liebsten nur noch Piraten <strong>und</strong> Indianer<br />
mit ihnen spielen. Wie bei Peter Pan.<br />
Make-up: Damian Garozzo @ Jed Root<br />
Haare: Vinz for Leonor Greyl<br />
Foto-Assistenz: Baptiste Mourrieras<br />
Styling-Assistenz: Naoko Soeya<br />
Besonderen Dank an Saif <strong>und</strong> Alex @ Next Paris<br />
Morgenmantel<br />
Ann Demeulemeester<br />
Tank-Top Dries van Noten<br />
Hose Céline<br />
Nr.10<br />
92
Mütze Wanda Nylon<br />
Hosenanzug Jil Sander<br />
Mantel Balmain<br />
links:<br />
Jumpsuit dstm<br />
Lederjacke Saint Laurent Paris<br />
Gürtel Maison Martin Margiela<br />
I can’t help about the shape I’m in,<br />
I can’t sing, I ain’t pretty, and my legs are thin.<br />
— Fleetwood Mac<br />
Fotos: Irina Gavrich<br />
Styling: Felix Leblhuber<br />
Nr.10 94
Hut Thomas Wylde<br />
Pullover Brunello Cucinelli<br />
links:<br />
Hut Thomas Wylde<br />
Lederjacke Givenchy<br />
Hose Céline
Bluse Petar Petrov<br />
Hose Céline<br />
rechts:<br />
Hemdkleid MM6<br />
Ledergilet Stylist’s own
Hut Thomas Wylde<br />
Kleid Rick Owens<br />
Bluse Céline<br />
links:<br />
Brille Mykita<br />
T-Shirt Maison Martin Margiela<br />
Hose Sonia Rykiel<br />
Schuhe MM6<br />
Haare & Make-up:<br />
Christine Sutterlüty<br />
@ Monika Leuthner<br />
Model :<br />
Stella @ Wiener Models
ed riding hood<br />
„Are you sure we should be<br />
driving like this?“ „No we shouldn’t, but I<br />
want to put some distance between us and<br />
the scene of our last god damn crime!“<br />
– Thelma & <strong>Lou</strong>ise<br />
Fotos: Irina Gavrich<br />
Styling: Felix Leblhuber<br />
Brille Ray Ban<br />
Badeanzug American Apparel
Sonnenbrille Marc Jacobs<br />
Bikini Bottega Veneta<br />
rechts:<br />
Badeanzug Lick My Legs<br />
Socken American Apparel<br />
Schuhe Petar Petrov<br />
Pelz Petar Petrov
Hut Saint Laurent Paris<br />
Sonnenbrille Marc Jacobs<br />
Bikini American Apparel<br />
links:<br />
Bikini Gucci
T-Shirt Schiesser<br />
Bikini Höschen Isabel Marant<br />
Boots Petar Petrov<br />
rechts:<br />
Bikini Emilio Pucci
Sonnenbrille Giorgio Armani<br />
Badeanzug American Apparel<br />
rechts:<br />
Bikini Stella McCartney<br />
Haare <strong>und</strong> Make-up Patrick Glatthaar<br />
Model Marina@ Stella Models<br />
Motorrad BMW R 1200 R<br />
Besonderer Dank an Net-a-porter, Be a good girl
kunst<br />
Gezeichnet von einem sexuellen Kindheitstrauma,<br />
bei dem er den missglückten Start<br />
einer Rakete beobachtet, entwickelt Wendelin<br />
Rentzsch-Tetzlaff, genannt Wendy, eine ins Obsessive<br />
gesteigerte Sammelleidenschaft. Er emigriert<br />
1944 von Deutschland nach Amerika <strong>und</strong> leidet zu<br />
diesem Zeitpunkt unter einer ausgeprägten Anorgasmie<br />
– er kann nicht kommen. Ein Leiden, das<br />
sein Leben bestimmen wird. Als Kompensation<br />
beginnt er mit dem Kauf von Kunstgegenständen,<br />
die alle eines gemeinsam haben: Sie zeigen einen<br />
Penis. Im Laufe der Jahrzehnte entsteht eine<br />
umfangreiche auf Phalli ausgerichtete Sammlung.<br />
Anhand der Gemälde, Fotografien <strong>und</strong> Plastiken,<br />
die auf die großen Werke von der klassischen Moderne<br />
bis in die Gegenwartskunst anspielen, wird<br />
der Leser des Buchs „Der phantastische Phallus“<br />
durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
geführt <strong>und</strong> begleitet Rentzsch-Tetzlaff bei seiner<br />
verzweifelten Suche nach dem finalen ästhetischen<br />
Wurf.<br />
Christoph Steinbrener <strong>und</strong> Thomas Mießgang<br />
geht es mit ihrem fiktiven Ausstellungspenis<br />
blues<br />
Interview: Mirna Funk<br />
Abbildungen: Christoph Steinbrener & Thomas Mießgang<br />
Der Psychoanalytiker<br />
Jacques Lacan<br />
sah den Penis<br />
als Symbol für ein<br />
unerfülltes Begehren.<br />
Christoph<br />
Steinbrener <strong>und</strong><br />
Thomas Mießgang<br />
haben ihm mit<br />
dem fiktiven Ausstellungskatalog<br />
„Der phantastische<br />
Phallus“ ein kunstgeschichtliches<br />
Denkmal gesetzt.<br />
katalog „Der phantastische Phallus“ natürlich<br />
nicht nur um das Einzelschicksal eines fiktiven<br />
Sammlers, sondern auch um eine Persiflage auf<br />
den Kunstzirkus <strong>und</strong> darüber hinaus auf besessene<br />
Sammler, deren Leidenschaft in Wahrheit<br />
wohl eher ein Fetisch ist, der etwas kompensiert,<br />
das nichts mit Kunst zu tun hat.<br />
Sie schreiben: „14 Meter vertikaler Vernichtungswille“<br />
– also der Start einer Rakete –<br />
führen nicht zum gewünschten Ergebnis <strong>und</strong><br />
traumatisieren Wendelin Rentzsch-Tetzlaff<br />
nachhaltig. Welches Trauma führte bei Ihnen<br />
beiden zu der Idee, einen fiktiven Ausstellungskatalog<br />
zu entwerfen, der ausschließlich<br />
Penisse beinhaltet?<br />
Christoph Steinbrener: Die Idee hat mit meiner<br />
künstlerischen Arbeit zu tun. Mich hat schon<br />
immer die Idee des Fakes <strong>und</strong> der Täuschung<br />
interessiert. Angeregt wurde das Ganze durch<br />
unsere Verlegerin. Sie hatte ein witziges Video<br />
gesehen, in dem ein ehemaliger Tate-Modern-<br />
Direktor die klassische Kunstgeschichte bis zum<br />
20. Jahrh<strong>und</strong>ert anhand von Penissen erläutert.<br />
Beides zusammen produzierte die Idee des<br />
Buches.<br />
Thomas Mießgang: Bei mir war tatsächlich ein<br />
kleines Trauma der Anlass. Ich habe ein paar<br />
schlechte Erfahrungen mit dem Kunstbetrieb gemacht<br />
<strong>und</strong> dachte mir: Na wenn das so ist, dann<br />
schreibe ich mal eben die Kunstgeschichte um.<br />
Diese Vorstellung hat mich sofort begeistert.<br />
Glauben Sie, dass der Kauf von Kunst generell<br />
„ein probates Gegengift ist, wenn die Patina der<br />
Provinz sich an langen Winterabenden über<br />
das eigene Leben legt“?<br />
TM: Bei uns legt sich die Patina über die große<br />
Metropole Wien. Wir sind also nicht in der Provinz,<br />
aber das Kaufen von Kunst ist mittlerweile<br />
überall chic geworden. Man gewinnt häufig den<br />
Eindruck, dass manche Leute aus irgendwelchen<br />
Gründen zu viel Geld haben <strong>und</strong> dann anfangen<br />
Kunst zu erwerben, ohne ein rechtes Verständnis<br />
zu ihr zu entwickeln. Zeitgenössische Kunst ist<br />
in den letzten 10 bis 15 Jahren hip geworden, man<br />
tummelt sich gern in der Szene. Früher war das<br />
eher eine Angelegenheit der Spezialisten <strong>und</strong> der<br />
leidenschaftlichen Connaisseure. Es geht also um<br />
einen Strukturwandel des ganzen Milieus, um<br />
ein völlig neues Verhältnis der Öffentlichkeit zu<br />
dem, was Kunst sein kann <strong>und</strong> will.<br />
Wie entstand die Figur des Rentzsch-Tetzlaff ?<br />
TM: Für den Namen stand der bekannte Fotograf<br />
Albert Renger-Patzsch Pate: Also, Rentzsch. Die<br />
Idee war, dass ein Deutscher, der sich während<br />
des nationalsozialistischen Regimes längst in<br />
der inneren Immigration befindet, nach Amerika<br />
flüchtet. Dann stellte sich natürlich die Frage: Wo<br />
soll der landen? In New York, in Los Angeles?<br />
Nee, er soll lieber in der Provinz ankommen.<br />
So entschied ich mich für die Stadt Allentown<br />
in Pennsylvania, die ich auf der Landkarte fand<br />
<strong>und</strong> in der ich mich persönlich nie aufgehalten<br />
habe. Die Figur war also zuerst nur eine vage<br />
Vorstellung. Nachdem sie einen Namen hatte,<br />
wurde sie schon plastischer. Dann verliehen wir<br />
Wendelin noch einen Körper, indem wir ein seltenes<br />
Porträt aus einem Fotoarchiv herauspickten.<br />
So bekam die Sammlerpersönlichkeit nach <strong>und</strong><br />
nach Konturen <strong>und</strong> begann, ein Eigenleben<br />
zwischen den Zeiten <strong>und</strong> den Kontinenten zu<br />
entwickeln.<br />
Für den französischen Philosophen <strong>und</strong><br />
Psychoanalytiker Lacan steht der Phallus als<br />
Signifikant für das Begehren <strong>und</strong> zugleich<br />
für dessen Unerfüllbarkeit. Kann mit dieser<br />
Theorie Wendelin Rentzsch-Tetzlaffs „qualvolle<br />
Obsessivität“ erklärt werden?<br />
TM: Im Kern dieser Figur stecken natürlich die<br />
Unerfüllbarkeit <strong>und</strong> der Mangel. Es geht um<br />
das immer wieder in die Zukunft verschobene<br />
Begehren, das nie vollständig befriedigt werden<br />
kann. Wendelin <strong>und</strong> wahrscheinlich wir alle<br />
versuchen, dieses Defizit durch Sublimierungen<br />
aller Art zu kompensieren, <strong>und</strong> bringen damit<br />
jene Gr<strong>und</strong>energie auf, die den Menschen auf<br />
seinem Lebensweg davon abhält, sich gleich<br />
umzubringen. Man verliert sich in Geschäften<br />
<strong>und</strong> Aktivitäten, die einen auf Trab halten <strong>und</strong><br />
davon ablenken, dass die Existenz im Kern sinnlos<br />
ist. Es gibt den schönen Satz: Die Hoffnung<br />
stirbt zuletzt. Man denkt immer, dass das Sein<br />
irgendwann doch mit Erfüllung belohnt wird –<br />
auch wenn man im Innersten weiß, dass das nie<br />
stattfinden wird. Bei Wendelin Rentzsch-Tetzlaff<br />
kommt dann noch eine sehr spezifische Problematik<br />
hinzu: Er versucht seine Anorgasmie<br />
durch das Sammeln von phallischen Kunstwerken<br />
zu bekämpfen – natürlich vergeblich.<br />
Dieser Erfolg ist Wendelin Rentzsch-Tetzlaff<br />
auch nicht vergönnt. Er leidet unter einer chro-<br />
Nr.10<br />
112 113<br />
Nr.10
„Jeder einzelne<br />
Phallus für sich<br />
ist noch nicht<br />
fantastisch, aber<br />
in ihrer Kombination<br />
ergibt sich<br />
ein grandioser<br />
Über-Penis.“<br />
nischen Sexualneurose, die sein Lustempfinden<br />
beschädigt <strong>und</strong> ihn dazu zwingt, obsessiv<br />
Objekte anzuhäufen. Ein Teufelskreislauf, der<br />
dazu führt, dass seine Sammlung immer unvollständig<br />
bleiben muss. Auch den Lesern des<br />
Buches wird nur ein Teil der Kollektion präsentiert.<br />
Absicht oder Weitergabe des Traumas?<br />
CS: Wir wollten ein Teil des Geheimnisses lüften,<br />
aber nicht das gesamte Geheimnis preisgeben.<br />
Man könnte sagen, dass es sich um die Verschiebung<br />
des frustrierten Begehrens in den Bereich<br />
der Buchproduktion handelt. Wir wollten noch<br />
etwas offenlassen, das in Zukunft vielleicht<br />
enthüllt wird - oder auch nicht. Die Dialektik<br />
von Verbergen <strong>und</strong> Enthüllen ist doch eine ganz<br />
wesentliche existenzielle Achse.<br />
War das Schreiben des Buches <strong>und</strong> der<br />
kreative Prozess, der damit einherging, für Sie<br />
– genau wie für Wendy das Sammeln der Phalli<br />
– ein therapeutischer Selbsthilfeversuch?<br />
TM: Nun, jetzt wäre ich als Autor aufgefordert,<br />
die eigenen Probleme <strong>und</strong> Traumata zu<br />
enthüllen. Das möchte<br />
ich lieber nicht. Aber ich<br />
glaube schon, dass jede<br />
Form des Schreibens<br />
einen therapeutischen<br />
Aspekt hat. Es sei denn,<br />
es handelt sich um reine<br />
Gebrauchstexte, was<br />
bei diesem Buch nicht<br />
der Fall war. Natürlich<br />
schreibt man sich<br />
selbst, seine Defizite <strong>und</strong><br />
das eigene unerfüllte<br />
Begehren in den Text<br />
ein. Und die Tatsache,<br />
dass man Buchstaben<br />
<strong>und</strong> Sätze hinterlässt, die<br />
dann gedruckt werden,<br />
entfaltet sicher eine heilende<br />
Kraft. Letztendlich<br />
bleiben wir Künstler <strong>und</strong><br />
Autoren jedoch genauso unerlöst wie Wendy. Das<br />
ist die traurige Wahrheit.<br />
Gibt es etwas, dass Sie während der Buchentwicklung<br />
über Penisse gelernt haben, das Sie<br />
vorher nicht wussten?<br />
TM: Ja, dass der Fleischpenis weniger bedeutungsvoll<br />
ist als der Fettpenis! Ich bin mir bis<br />
heute nicht darüber im Klaren, ob ich über einen<br />
Fettpenis, einen Blutpenis oder einen Fleischpenis<br />
verfüge. Ich kann somit die Form meines<br />
Penis nicht interpretieren. Auf jeden Fall waren<br />
mir die Erkenntnisse der georgischen Genitalleserin<br />
Martha Olschewski neu.<br />
Kritiker könnten das Buch antifeministisch<br />
nennen. Was würden Sie ihnen entgegnen?<br />
TM: Wir wussten schon, dass sich da eine<br />
gefährliche Front auftun könnte <strong>und</strong> haben<br />
uns, mit viel Judith Butler <strong>und</strong> Luce Irigaray im<br />
Gepäck, gewappnet. Unerwarterweise haben<br />
wir jedoch aus einer ganz anderen Ecke viel<br />
Beifall bekommen: aus dem Schwulenmilieu. Ja,<br />
man könnte fast sagen, dass „Der phantastische<br />
Phallus“ ein Kultbuch, na ja Kultbüchlein der<br />
Schwulenszene geworden ist. Obwohl wir beide<br />
ja langweiligerweise hetero, also nicht einmal<br />
metrosexuell sind.<br />
Was macht denn einen fantastischen Phallus<br />
aus?<br />
CS: Dass er nur eine Halluzination, eine Wunschvorstellung,<br />
eine Illusion ist. Der Phallus ist per<br />
definitionem gebrechlich, unvollständig, den Launen<br />
des Begehrens unterworfen. Wer kann schon<br />
von sich behaupten, dass er auf Zuruf die Härte<br />
eines „diamond dick“ zu produzieren imstande<br />
ist? Es sei denn, er nimmt Viagra. Aber das ist<br />
eine Spielregelverletzung.<br />
TM: Den fantastischen Phallus kann man sich<br />
nur als Kombination zahlreicher defizitärer<br />
Glieder vorstellen, die erst im Zusammenwirken<br />
übermenschliche Potenz erhalten. Es geht zum<br />
einen um die stählerne Durchschlagskraft, zum<br />
anderen um das diskrete Agieren eines Phallus,<br />
der aus dem Hinterhalt agiert, oder um eine<br />
konstruktivistisch inspirierte Formschönheit.<br />
Jeder einzelne Phallus für sich ist noch nicht<br />
fantastisch, aber in ihrer Kombination ergibt sich<br />
ein grandioser Über-Penis, der so in der Wirklichkeit<br />
gar nicht existieren kann. Er ist eine,<br />
zugegeben maskuline, Wunschprojektion. Um es<br />
mit dem Dichter Ernst Jandl zu sagen: „Phallus<br />
klebt allus.“<br />
Der phanTASTISChe phALLUS von Christoph Steinbrener<br />
<strong>und</strong> Thomas Mießgang, 96 Seiten mit 34 Bildern,<br />
ist bei Rogner & Bernhard, Berlin, erschienen.<br />
Nr.10 114
der Körper<br />
Interview: Katharina Finke<br />
Foto: Debora Mittelstaedt<br />
Die schriftstellerin<br />
MARIE<br />
DARRIEUSSECQ<br />
über sexualität <strong>und</strong><br />
die weibliche<br />
kraft des Körpers.<br />
Marie Darrieussecq hat mit ihrem neuen Buch<br />
„Prinzessinnen“ einen umstrittenen Roman über<br />
eine junge Frau geschrieben, die in den achtziger<br />
Jahren in der Provinz ihre Sexualität entdeckt.<br />
Für unsere Rubrik „Der Körper“ haben wir mit<br />
der französischen Intellektuellen über Erektionen,<br />
fickende Tiere <strong>und</strong> ihre Falten gesprochen.<br />
Frau Darrieussecq, Ihr neuer Roman „Prinzessinnen“<br />
beschäftigt sich mit der Zeit nach der<br />
sexuellen Emanzipation – warum?<br />
Marie Darrieussecq: In den Achtzigern sind<br />
unerhörte Dinge passiert. Die Perspektive der<br />
Frau war komplett neu: Wer befreit, cool <strong>und</strong><br />
weiblich sein wollte, musste auf einmal schon<br />
beim ersten Mal absolute Lust empfinden. Dabei<br />
galt zuvor doch, dass man Jungfrau <strong>und</strong> möglichst<br />
unbefangen sein sollte. Wir wussten, dass<br />
das erste Mal wehtun würde, dass man blutet.<br />
Wie passte das zusammen mit unbändiger Lust?<br />
Das war alles sehr interessant <strong>und</strong> verwirrend<br />
zugleich.<br />
Wie sind Sie mit dieser Verwirrung umgegangen?<br />
MD: Ich machte mich – genau wie meine<br />
Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Solange, die Protagonistin des Buches<br />
– auf die Suche nach Informationen über<br />
Sexualität. Das war gar nicht so einfach. Ein<br />
bisschen was fanden wir in Magazinen. Meiner<br />
<strong>Mutter</strong> war es peinlich über Sexualität zu reden.<br />
Ich hatte zwar das Glück, dass sie offen mit mir<br />
über Verhütung sprach, doch das klang alles<br />
sehr klinisch.<br />
Sind Ihre Beschreibungen im Buch deswegen<br />
auch so unvermittelt?<br />
MD: Ja, denn so war die Sprache der 80er-Jahre.<br />
Damals wurden wir Frauen auf unseren Körper<br />
reduziert. Fast wie Roboter, die funktionieren<br />
müssen. Vor allem auf dem Land war es brutal.<br />
Ich wuchs auf, umgeben von fickenden Kühen,<br />
H<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Enten.<br />
Wie waren die Reaktionen auf Ihr Buch in<br />
Frankreich?<br />
MD: Viele Leser waren schockiert, wie oft ich<br />
das Wort „Schwanz“ verwende. Dabei sage nicht<br />
ich es, sondern Solange. Sie würde niemals<br />
„Penis“ sagen. Kein Teenager tut das. Heutzutage<br />
stört man sich scheinbar eher an der Sprache<br />
als am Inhalt. Zwar ist Sex durch das Internet<br />
jederzeit verfügbar geworden. Kurioserweise<br />
hat man aber dennoch Angst vor unverblümter<br />
Ausdrucksweise.<br />
Wieso war das in den 80ern anders?<br />
MD: Sex <strong>und</strong> Liebe wurden damals komplett<br />
voneinander getrennt. Das sieht man auch in<br />
den Filmen von damals. Beispielsweise in „9 ½<br />
Wochen“ von Adrian Lyne: 3 Monate mit einem,<br />
dann 3 Monate mit einem anderen Mann, so<br />
sollte man es machen. Aber wir waren junge<br />
Mädchen, die sich verlieben wollten <strong>und</strong> dies<br />
auch taten. Dadurch entdeckten wir die Realität<br />
von Sex, dass er komplex, persönlich <strong>und</strong><br />
romantisch sein kann.<br />
Gab es denn gar keinen Raum für die Liebe?<br />
MD: Doch. In den Pop-Songs von Michael<br />
Jackson, The Cure <strong>und</strong> Kim Wilde. Aber wir<br />
Frauen waren mit der neuen Freiheit erst einmal<br />
überfordert. Wir konnten Sex haben, ohne<br />
schwanger zu werden, ohne heiraten oder uns<br />
verlieben zu müssen. Wir waren Pioniere. Ich<br />
erinnere mich, dass ich sehr verknallt war in<br />
meinen ersten Liebhaber <strong>und</strong> es mir bei ihm<br />
nicht nur um Sex ging. Aber er verhielt sich wie<br />
in den Filmen: traf andere Frauen <strong>und</strong> sagte mir,<br />
ich solle das Gleiche machen <strong>und</strong> nicht eifersüchtig<br />
sein. Als ich das dann versuchte, wurde<br />
er sauer. Beziehungen sind nun mal komplex.<br />
Damals wie heute.<br />
Wie haben Sie Ihre eigene Sexualität entdeckt?<br />
MD: Ich war eine sehr freie Frau, hatte viele<br />
Männer <strong>und</strong> habe es genossen. Dabei habe ich<br />
viel gelernt. Je älter man wird, desto besser ist<br />
es. Sex ist großartig, aber es gab Momente in<br />
meinem Leben, da wollte ich einfach nur mit<br />
einem Mann zusammen sein. Manchmal konnte<br />
ich Sex <strong>und</strong> Liebe trennen <strong>und</strong> manchmal hat<br />
mich die Liebe überkommen. Aber ich bin sehr,<br />
sehr dankbar dafür, dass ich durch die Verhütung<br />
die Freiheit hatte, diese vielen Erfahrungen<br />
mit meinem Körper zu machen.<br />
Gibt es etwas, womit Sie Probleme hatten?<br />
MD: Ja, mit den sexistischen Unterschieden.<br />
Zum Beispiel, dass die männliche Erektion<br />
positiv konnotiert ist, die weibliche aber nicht.<br />
Das ist in den verschiedenen Sprachen so. Auf<br />
„Ich wuchs<br />
auf, umgeben<br />
von fickenden<br />
Kühen, H<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> Enten.“<br />
Französisch gibt es beispielsweise den Ausdruck<br />
„c’est bandant“, was so viel bedeutet wie „eine<br />
Erektion haben“, aber auch verwendet wird, um<br />
zu sagen, „das ist großartig“. Bei Frauen ist das<br />
ganz anders. Sie sagen niemals öffentlich „ich<br />
bin feucht“ <strong>und</strong> wenn sie das sagen, dann ist es<br />
negativ konnotiert. Wieso eigentlich? Es ist total<br />
gut zu sagen, dass man feucht ist, finde ich. Das<br />
ist die weibliche Freude.<br />
Was haben Sie heute für ein Verhältnis zu<br />
Ihrem Körper?<br />
MD: Heute, mit 44 Jahren <strong>und</strong> mit drei Kindern,<br />
habe ich ein sehr gutes: ich fühle mich absolut<br />
wohl. Früher als junges Mädchen habe ich<br />
andauernd gehungert, weil ich dachte, ich sei<br />
zu dick. Das war lächerlich. Aber ich glaube,<br />
das ist ziemlich normal. Die meisten jungen<br />
Mädchen wollen so aussehen wie die dürren<br />
Models. Nachdem ich Kinder bekommen hatte,<br />
war ich aber sehr stolz auf meinen Körper, stolz<br />
auf die weibliche Kraft meines Körpers. Selbst<br />
mit zunehmendem Alter mag ich meinen Körper<br />
sehr. Denn man kann auch eine sehr schöne alte<br />
Frau mit grauen Haaren sein. Ich werde sie nicht<br />
färben <strong>und</strong> auch nichts gegen meine Falten tun.<br />
Aber ich bin schließlich auch Schriftstellerin<br />
<strong>und</strong> keine Schauspielerin.<br />
Wie können Frauen lernen, sich in ihrem<br />
Körper wohlzufühlen?<br />
MD: Indem sie erkennen, was ihre weibliche<br />
Kraft ausmacht. Zum Beispiel das Verhältnis zur<br />
Periode <strong>und</strong> dem damit verb<strong>und</strong>enen Blut. Als<br />
ich jünger war, fand ich es eklig, was wahrscheinlich<br />
auch normal ist, denn es ist ein Körpersekret,<br />
an das man sich erst mal gewöhnen<br />
muss. Aber wenn man sich überlegt, dass dieses<br />
Blut Leben geben kann, sollten Frauen stolz<br />
darauf sein. Es ist eine w<strong>und</strong>erschöne weibliche<br />
Kraft. Außerdem wird es irgendwann aufhören.<br />
Deswegen sollte man das Beste daraus machen,<br />
eine Frau zu sein. Vor allem hier in Deutschland,<br />
wo man das noch kann.<br />
Was meinen Sie damit?<br />
MD: Ich reise sehr viel <strong>und</strong> erlebe immer<br />
wieder, wie schwer es Frauen in ihrem Leben<br />
haben. Kürzlich war ich in Kamerun, wo Frauen<br />
sehr vielen Zwängen unterliegen. Ganz anders<br />
als hier, wo wir frei sprechen, handeln <strong>und</strong> Sex<br />
haben können. Wir können uns so glücklich<br />
schätzen. Aber manchmal habe ich das Gefühl,<br />
dass die Frauen von heute das vergessen haben.<br />
Deswegen: Hört auf zu hungern, habt Mut „Nein“<br />
zu sagen <strong>und</strong> nutzt euer Potenzial als Frau!<br />
MARIE DARRIEUSSECQ wurde 1969 in Bayonne,<br />
Frankreich, geboren. Für das Literaturwissenschafts-<br />
Studium ging sie nach Paris, wo sie seitdem wohnt.<br />
In Deutschland wurde sie 1997 durch ihren kontroversen<br />
Roman „Schweinerei“ berühmt. Gerade ist ihr<br />
neustes Buch „Prinzessinnen“ – eine Kombination aus<br />
Fiktion <strong>und</strong> autobiografischen Elementen – bei Hanser<br />
erschienen.<br />
Nr.10<br />
116 117<br />
Nr.10
eportage<br />
Text: Michael Obert<br />
Fotos: Jan Grarup<br />
spiel auf leb en <strong>und</strong> tod<br />
Frauen, die Basketball spielen?<br />
Eigentlich die normalste<br />
Sache der Welt. Nicht so in<br />
Mogadischu, der Hauptstadt<br />
Somalias. Dort riskieren<br />
junge Frauen für ihre Leidenschaft<br />
ihr Leben.<br />
Mit Riesenschritten jagt Suweys über das Feld,<br />
spielt den Ball von der einen in die andere Hand,<br />
zwischen den Beinen hindurch, einmal vor,<br />
einmal hinter dem Körper. Mühelos dribbelt sie<br />
die letzte Gegnerin aus <strong>und</strong> setzt zum Sprung<br />
an. Für einen Moment scheint sie in der Luft zu<br />
schweben – die Kapitänsfrau des somalischen<br />
Nationalteams, 21 Jahre alt, 1,90 groß, hellblaues<br />
Trikot, Kopftuch, ein Lächeln im Gesicht; dann<br />
drückt sie den Ball von oben in den Korb.<br />
Kürzlich sorgte Suweys’ Team für die größte<br />
Überraschung der All Arab Games in Qatar:<br />
Die bis dahin völlig unbekannten somalischen<br />
Basketballerinnen errangen mehrere Siege.<br />
Zu Hause in Mogadischu, der kriegszerstörten<br />
Hauptstadt Somalias, riskieren sie für ihre<br />
Leidenschaft ihr Leben – <strong>und</strong> glauben fest<br />
daran, dass Basketball am Horn von Afrika einen<br />
wichtigen Beitrag auf dem Weg zum Frieden<br />
leisten kann.<br />
Vor dem Trainingsplatz in Mogadischu<br />
patrouillieren Panzerwagen. Am Eingang ist ein<br />
Maschinengewehr aufgebockt. Auf den umliegenden<br />
Dächern stehen Männer in Kampfanzügen –<br />
Kalaschnikows im Anschlag, Munitionsgurte um<br />
die Brust. Sie sollen Suweys <strong>und</strong> ihre Mitspielerinnen<br />
schützen. Denn die Basketballerinnen<br />
stehen auf der Todesliste von al-Schabab, einer<br />
islamistischen Miliz, die sich kürzlich offiziell mit<br />
Nr.10<br />
Nr.10
eportage<br />
dem Terrornetzwerk al-Qaida verbündete <strong>und</strong><br />
weite Teile Somalias kontrolliert.<br />
„Erst letzte Nacht haben sie mich wieder<br />
angerufen“, sagt Suweys am Morgen vor dem<br />
Training im einstöckigen Haus ihrer Familie.<br />
„Die Männerstimme brüllte: Hör auf zu spielen,<br />
du Dreckstück, sonst knallen wir dich ab.“ Al-<br />
Schabab legt Bomben unter Marktstände, jagt<br />
Kinos in die Luft <strong>und</strong> liefert sich blutige Gefechte<br />
mit der afrikanischen Friedensmission Amisom,<br />
12.000 bis an die Zähne bewaffnete Soldaten aus<br />
Uganda <strong>und</strong> Bur<strong>und</strong>i. Wer nicht dem f<strong>und</strong>amentalistischen<br />
Weltbild der Islamisten entspricht,<br />
landet auf der Abschussliste ihrer Killerkommandos.<br />
Weit oben: Suweys <strong>und</strong> ihr Team.<br />
Denn al-Schabab hält Basketball für eine Todsünde.<br />
Erst recht wenn es von Frauen gespielt<br />
wird, die für die Islamisten eine Daseinsberechtigung<br />
bestenfalls als Mütter ihrer Söhne<br />
haben. Und dann auch noch Basketball! Der<br />
Nationalsport des Todfeindes Amerika! Wenn es<br />
nach al-Schabab ginge, würden den Spielerinnen<br />
die rechte Hand <strong>und</strong> der linke Fuß abgesägt.<br />
Oder sie würden einfach erschossen. „Ich höre<br />
nicht auf! Auf keinen Fall!“, sagt Suweys <strong>und</strong><br />
lässt beim Sprechen ihre feingliedrigen Finger<br />
knacken. „Ohne Basketball wäre mein Leben<br />
sowieso vorbei.“<br />
Als Suweys ein Jahr alt war, legte ihr Vater<br />
ihr einen Basketball ins Bettchen. Kurz darauf<br />
wird der Regierungssoldat im Bürgerkrieg<br />
erschossen. Die kleine Suweys lässt den Ball<br />
tagelang nicht los, krabbelt überall mit ihm herum,<br />
schläft mit ihm ein <strong>und</strong> wacht mit ihm auf.<br />
Der Ball wird ihr bester Fre<strong>und</strong>. Noch bevor sie<br />
richtig gehen kann, wirft sie ihn in die Luft <strong>und</strong><br />
fängt ihn wieder auf. Schon als kleines Mädchen<br />
wusste sie: „Ich werde Basketballerin. Die beste<br />
der Welt.“ Basketball ist Suweys’ große Leidenschaft,<br />
ihr Lebenselixier. „Ich mag, wie sich der<br />
Ball in der Hand anfühlt“, sagt sie, während sie<br />
zu Hause ihre Trainingssachen richtet. „Ich mag<br />
die Spannung in den Oberschenkeln, wenn du<br />
zum Sprung ansetzt.“<br />
Die hübsche junge Frau mit den vorspringenden<br />
Wangenknochen <strong>und</strong> der ruhigen Stimme<br />
wohnt mit ihrer <strong>Mutter</strong> <strong>und</strong> ihrer Schwester<br />
in einem kleinen Haus mit vergitterten Fenstern<br />
in einem von Granaten zerschossenen Viertel<br />
von Mogadischu. An den Wänden ihres Zimmers<br />
wuchern Schimmelflecken, die aufgeweichte<br />
Decke hängt herunter, am Boden liegt eine aufgeplatzte<br />
Matratze.<br />
Suweys trägt einen hellblauen Trainingsanzug<br />
mit weißen Streifen. Auf dem Rücken<br />
ihres Trikots steht Somalia. Bevor sie sich zum<br />
Training aufmacht, zieht sie ihr langes orangefarbenes<br />
Gewand über <strong>und</strong> benutzt das Display<br />
ihres Handys als Spiegel, um zu überprüfen, ob<br />
auch wirklich nichts mehr von ihrem Sportdress<br />
zu sehen ist. Ihre Turnschuhe versteckt sie in<br />
einer Plastiktüte, wie sie einheimische Frauen oft<br />
für Marktgänge benutzen. „Wenn sie mich unterwegs<br />
mit den Sportsachen erwischen, bringen<br />
sie mich um.“<br />
Suweys Weg führt durch ein völlig zerstörtes<br />
Mogadischu. Nach über 20 Jahren Bürgerkrieg<br />
<strong>und</strong> erbittertem Häuserkampf sieht das „Stalingrad<br />
Afrikas“ aus wie eine gewaltige archäologische<br />
Grabungsstätte. Zweieinhalb Millionen<br />
Menschen fristen ein Dasein in Ruinen. Ohne<br />
Strom, ohne sauberes Trinkwasser, ohne Müllabfuhr<br />
<strong>und</strong> ausreichende medizinische Versorgung.<br />
In einer Stadt, in der man beim Gemüsehändler<br />
um die Ecke für ein paar H<strong>und</strong>ert Dollar eine<br />
Panzerfaust kaufen kann <strong>und</strong> ausgefranste<br />
schwarze Flecken die letzten Bombenanschläge<br />
markieren. Immer wieder krachen Schüsse.<br />
Seit Rebellen 1991 den Diktator Siad Barre stürzten,<br />
gibt es im ostafrikanischen Somalia keine<br />
funktionierende Zentralregierung mehr. Nach<br />
dem Sieg der Warlords über den verhassten<br />
General zerfielen die großen Clans in Dutzende<br />
von Subclans. Ihre Milizen zerfleischten sich<br />
gegenseitig, trieben das Land immer tiefer ins<br />
Chaos <strong>und</strong> verwandelten Mogadischu, bis dahin<br />
eine wohlhabende Handelsstadt am Indischen<br />
Ozean, in eine Geröllwüste. Bis zu eine Million<br />
Tote hat dieser Krieg bisher gefordert.<br />
Der Trainingsplatz wird „Ex-Lugino“<br />
genannt, ein Relikt aus der italienischen Kolonialzeit.<br />
Das Spielfeld ist von Granaten verschrammt,<br />
die Tribüne von Kugelhagel zernagt. Die umliegenden<br />
Häuser sind zerbombt, riesige Stücke<br />
aus der Fassade gerissen, Fenster <strong>und</strong> Balkone<br />
zerschossen. Ganze Gebäudeteile sind unter<br />
Artilleriebeschuss eingestürzt.<br />
In dieser Arena des Schreckens wirken<br />
Suweys <strong>und</strong> ihre Kolleginnen in ihren langen<br />
bunten Gewändern wie ein Schwarm tropischer<br />
Vögel. Ihr Team heißt Horseed – zu Deutsch<br />
etwa: Vorhut oder Speerspitze. Sie werfen ihre<br />
Plastiktüten auf die Ränge, legen die Gewänder<br />
ab <strong>und</strong> darunter kommen ihre Trikots, ihre<br />
Sporthosen <strong>und</strong> Stutzen zum Vorschein. Einige<br />
Mädchen bleiben selbst beim Training komplett<br />
verhüllt, ihre Gesichtsschleier lassen nur einen<br />
Augenschlitz frei. Sie kommen aus Gebieten,<br />
die von al-Schabab kontrolliert werden. Zu<br />
Hause sagen sie, sie gingen zur Schule oder eine<br />
Fre<strong>und</strong>in besuchen. Ihre Eltern wissen nicht,<br />
dass sie Sport treiben. „Mein Vater würde mich<br />
steinigen.“<br />
Der Sportplatz gleicht einer Festung:<br />
Sandsäcke, Stacheldraht, Maschinengewehre,<br />
Kalaschnikows. Selbst auf den umliegenden Dächern<br />
sind Männer mit Schnellfeuergewehren<br />
positioniert. Es sind Polizisten, Soldaten oder<br />
Angehörige privater Milizen, bezahlt von der somalischen<br />
Übergangsregierung, die um ein Stück<br />
Normalität in Zeiten des Krieges bemüht ist.<br />
Die wachsamen Augen der Männer richten sich<br />
auf die Eingänge, auf die höhlenartigen Fenster<br />
benachbarter Ruinen <strong>und</strong> die Katakomben<br />
unter den Tribünen, wo sich in der italienischen<br />
„Erst letzte<br />
Nacht haben sie<br />
mich wieder angerufen“,<br />
sagt<br />
Suweys. „Die<br />
Männerstimme<br />
brüllte: ‚Hör auf<br />
zu spielen, du<br />
Dreckstück,<br />
sonst knallen<br />
wir dich ab.‘“<br />
Kolonialzeit Spieler umzogen <strong>und</strong> al-Schabab bis<br />
vor Kurzem Gefangene folterte, deren Blut noch<br />
an den Wänden trocknet. Ohne die Bodyguards<br />
wären Suweys <strong>und</strong> ihr Team für die Islamisten<br />
ein leichtes Ziel.<br />
„Basketball leistet einen wichtigen Beitrag<br />
auf dem Weg zum Frieden“, sagt Ibrahim Husein<br />
Ali, Präsident der Somali Basketball Federation;<br />
er wohnt auf den Betonstufen der Tribüne<br />
einsam <strong>und</strong> verlassen dem Training von Horseed<br />
bei. „Basketball stiftet Frieden. Nicht nur für die<br />
Spieler, sondern auch für die Zuschauer.“ Zwei<br />
Jahrzehnte lang haben sich Clans <strong>und</strong> Distrikte<br />
blutig bekämpft. In gemischten Teams vergessen<br />
sie ihre Blutfehden. „Gestern waren sie noch<br />
Todfeinde“, sagt der Präsident, ein massiger<br />
Mann in gestreiftem Hemd <strong>und</strong> B<strong>und</strong>faltenhose.<br />
„Heute spielen sie zusammen oder feuern dieselbe<br />
Mannschaft an.“ Menschen mobilisieren.<br />
Ohne Kalaschnikows.<br />
In Mogadischu gibt es 11 Herren- <strong>und</strong> fünf<br />
Damenbasketballteams. Doch die meisten<br />
Sportstätten sind zerstört, trainiert wird in<br />
Kriegsruinen. „Wir kämpfen uns durch“, sagt der<br />
Präsident. Hilfe aus dem Ausland? „Bälle, Trikots,<br />
Schuhe würden uns weiterbringen.“<br />
Vom verlassenen Strand nebenan trägt der<br />
Wind den Geruch des Indischen Ozeans herüber.<br />
Die Geräusche des Balls hallen von den leeren<br />
Rängen wider. Suweys ist die Größte, bewegt sich<br />
geschmeidig, ist antrittsstark, lenkt von hinten<br />
heraus klug das Spiel, dribbelt <strong>und</strong> versenkt,<br />
sobald sie freie Bahn hat, den Ball aus großer<br />
Distanz treffsicher im Korb.<br />
„Suweys ist diszipliniert <strong>und</strong> arbeitet sehr<br />
Nr.10<br />
120 121<br />
Nr.10
eportage<br />
hart“, sagt Trainer Dahir, ein durchtrainierter<br />
Mittvierziger <strong>und</strong> Leutnant beim somalischen<br />
Militär. „Suweys ist die beste Basketballerin Somalias,<br />
sie könnte überall auf der Welt spielen.“<br />
Deshalb hat Dahir seine Spielmacherin zur<br />
Kapitänsfrau bestimmt. Suweys hält das Team<br />
zusammen. Auf dem Spielfeld. Aber auch im Leben.<br />
Als Raho, eine Flügelspielerin von Horseed,<br />
auf dem Weg zum Training von der Kugel eines<br />
Scharfschützen getroffen wurde, war es Suweys,<br />
die ihre Mannschaft tröstete <strong>und</strong> ermutigte <strong>und</strong><br />
stellvertretend Rahos Leichnam besuchte, der<br />
bei ihr zu Hause aufgebahrt war.<br />
Obwohl Suweys Basketball-Profi ist, wird sie<br />
nicht bezahlt. Fünf- bis sechsmal die Woche<br />
trainiert sie morgens Muskelaufbau an Geräten,<br />
nachmittags mit der Mannschaft. Sie müsste<br />
Proteine essen, aber Fleisch kann sie sich nicht<br />
leisten. Nicht einmal Joghurt oder Milch. „Meine<br />
Familie ist nicht fett“, sagt sie <strong>und</strong> meint: Sie sind<br />
bettelarm.<br />
Ihre <strong>Mutter</strong> ist krank <strong>und</strong> verlässt selten das<br />
Haus. Ihre Schwester verkauft Gemüse auf dem<br />
Markt. Mit dem wenigen, das sie verdient, bringt<br />
sie die Familie durch <strong>und</strong> unterstützt Suweys, so<br />
gut sie kann. Den Transport zum Training <strong>und</strong><br />
zu den Spielen muss Suweys aus eigener Tasche<br />
bezahlen. Wenn sie kein Geld hat, geht sie zu Fuß<br />
durch die Stadt, die zu den gefährlichsten der<br />
Welt zählt. Fast täglich töten Scharfschützen aus<br />
dem Hinterhalt, explodieren Autobomben oder<br />
sprengen sich Selbstmordattentäter in die Luft.<br />
Suweys würde gerne zur Schule gehen <strong>und</strong> studieren.<br />
„Englisch <strong>und</strong> Mathematik.“ Um Lehrerin<br />
zu werden. Und später Coach der Damennationalmannschaft.<br />
Doch in Mogadischu gibt es<br />
seit Jahren keine staatlichen Schulen mehr, <strong>und</strong><br />
private Einrichtungen verlangen umgerechnet<br />
20 Euro Gebühren im Monat. Keine große Sache.<br />
Für Suweys – wie für viele in Mogadischu –<br />
trotzdem nicht zu machen. 95 Prozent aller<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen gehen nicht zur Schule.<br />
Und dann ist da noch die Sache mit den Männern.<br />
Mit 21 Jahren sind die meisten somalischen<br />
Frauen längst verheiratet <strong>und</strong> haben Kinder.<br />
„Kommt für mich nicht infrage“, sagt Suweys <strong>und</strong><br />
schlägt die Augen nieder. „Mein Mann würde<br />
sofort sagen: Hör auf zu spielen.“<br />
Im internationalen Wettbewerb sind somalische<br />
Heimspiele immer Auswärtsspiele. Kein<br />
Team ist bereit, nach Mogadischu zu kommen.<br />
Nicht einmal die kriegserprobten Sudanesinnen.<br />
Das Nationalteam gehörte bisher immer zu den<br />
Schlusslichtern. Doch bei den Arab Games in<br />
Qatar 2011 – unterstützt von Spielerinnen aus<br />
der Diaspora, aus Kanada, Amerika, England <strong>und</strong><br />
von Khadija Hayir, die beim SC Union Lüdinghausen<br />
spielt – gewann Suweys’ Team gleich<br />
zweimal. Gegen Kuwait <strong>und</strong> gegen Gastgeber<br />
Qatar. „Unser Kampfgeist hat sie überrascht“,<br />
sagt Suweys in der Trainingspause, <strong>und</strong> ihre<br />
„Das Team ist<br />
ihre Familie,<br />
das Spielfeld<br />
eine – wenn<br />
auch schwer bewachte<br />
– Insel<br />
der Freiheit.“<br />
Augen leuchten beim Gedanken an ihren bisher<br />
größten internationalen Erfolg. „Die Zuschauer<br />
liebten uns.“<br />
Dann leuchtet das Display ihres Handys auf.<br />
Und plötzlich erstarrt ihr Gesicht. Ihre Hände<br />
zittern. Sie bringt kein Wort mehr heraus. Die<br />
Nachricht lautet: „Wir wissen, wo du bist. Heute<br />
wirst du sterben.“<br />
Woher nimmt Suweys die Kraft weiterzumachen?<br />
Eine 21-Jährige, die beinahe täglich<br />
Morddrohungen erhält? Die nicht heiraten kann,<br />
weil sie weiter Basketball spielen will? Die an<br />
allen Fronten gleichzeitig kämpft? Gegen Krieg,<br />
Armut, Hunger <strong>und</strong> religiöse Fanatiker? „Ich will<br />
eine Weltklassespielerin werden – <strong>und</strong> ich werde<br />
meinen Traum wahr machen“, sagt sie <strong>und</strong><br />
steckt das Handy weg. „Mein Vater wäre stolz auf<br />
mich.“<br />
Als im vergangenen Jahr das Turnier in<br />
Qatar vorbei war, stand Suweys am internationalen<br />
Flughafen von Doha <strong>und</strong> sah zu, wie ihre<br />
Mitspielerinnen, die im Ausland lebten, in ihre<br />
Flugzeuge stiegen <strong>und</strong> abhoben. Nach Amerika<br />
<strong>und</strong> Kanada, England <strong>und</strong> Deutschland. „Ich<br />
sagte mir: Sie kehren zurück in sichere Länder“,<br />
flüstert Suweys in einem Winkel des Trainingsareals,<br />
wo die anderen ihre Kapitänsfrau nicht<br />
sehen können. „Und ich musste zurück nach<br />
Somalia – zurück in diese Hölle.“<br />
Und auf einmal bricht die ganze Anspannung<br />
aus ihr heraus, die tägliche Angst, das<br />
Grauen. Tränen laufen über ihre Wangen. „Du<br />
kannst dich duschen, kannst dir saubere Kleider<br />
anziehen, aber niemand weiß, wie es tief drinnen<br />
in dir aussieht“, wimmert sie; ihre ganze Energie<br />
scheint mit einem Schlag verpufft. Heute Morgen<br />
hat sie ein Fladenbrot gegessen, seither nichts<br />
mehr – am Abend wird es wieder ein Fladenbrot<br />
sein. Mit ein wenig Sesamöl bestrichen. Oder<br />
aufgekocht in einer Wassersuppe. „Wenn die<br />
Kraft schwindet, kommt die Angst hoch.“ Alool<br />
Humo, nennen es die Somalier – immer Sorgen.<br />
In solchen Momenten wünscht sich Suweys nur<br />
eins: Somalia verlassen. „Nach Kenia vielleicht<br />
oder nach Äthiopien“, sagt sie <strong>und</strong> wischt sich die<br />
Tränen aus dem Gesicht. In einem Flüchtlingscamp<br />
unterkommen. Auf Asyl in Amerika hoffen.<br />
„In der Heimat des Basketballs.“<br />
Der Trainer ruft. Die jungen Frauen von<br />
Horseed spielen eine letzte R<strong>und</strong>e. Sie umarmen<br />
sich oft, eine große Herzlichkeit <strong>und</strong> Wärme<br />
ist zwischen ihnen spürbar. Das Team ist ihre<br />
Familie, das Spielfeld eine – wenn auch schwer<br />
bewachte – Insel der Freiheit. Eine Welt, in der<br />
noch verbindliche Regeln gelten, während Mogadischu<br />
dort draußen seit 20 Jahren in Anarchie<br />
<strong>und</strong> Chaos versinkt.<br />
Allmählich wandern die Schatten der<br />
Tribüne auf das Spielfeld. Als sie den Mittelkreis<br />
erreichen, wird es Zeit zu gehen. Suweys <strong>und</strong><br />
ihre Mitspielerinnen ziehen die Gewänder über<br />
ihr Sportdress <strong>und</strong> verstecken die Turnschuhe<br />
in den Plastiktüten. Der Trainer schließt den Ball<br />
in den Kofferraum seines Autos. Die Bodyguards<br />
hängen ihre Kalaschnikows um die Schulter <strong>und</strong><br />
machen Feierabend.<br />
Und der Rückweg? Wer passt dort draußen auf<br />
die Spielerinnen auf ? „Allah ist mit uns“, sagt<br />
Suweys; dann gehen sie in ihren leuchtenden<br />
Gewändern die Straße hinunter, gefolgt von ihren<br />
Schatten – hinaus in eine zerstörte Stadt.<br />
Für das Aufmacherbild dieser Reportage wurde der<br />
Fotograf Jan Grarup mit dem World Press Photo Award<br />
2013 in der Kategorie Sportfotografie ausgezeichnet.<br />
Nr.10<br />
122 123<br />
Nr.10
so stell’ ich mir die liebe vor<br />
Protokoll: Lisa Leinen<br />
Foto: Katharina Poblotzki<br />
zusammenhalten<br />
Ex-Model <strong>und</strong> Sängerin der Pariser Band Tomorrow’s World,<br />
<strong>Lou</strong> Hayter, erzäHLT <strong>Fräulein</strong> in unserer Rubrik „So stell' ich mir<br />
die Liebe vor“, warum sie morbide Lieder für ihre Fre<strong>und</strong>innen<br />
schreibt <strong>und</strong> in welchen Gesten wahre Liebe steckt.<br />
Bevor wir über die Liebe sprechen, möchte<br />
ich dir gerne ein Hochzeitsfoto meiner Eltern<br />
zeigen. Sieht meine <strong>Mutter</strong> nicht w<strong>und</strong>erschön<br />
aus? Mit der Frisur <strong>und</strong> dem hübschen Kleid<br />
erinnert sie mich an die junge Jackie Kennedy.<br />
Das Foto ist vor fast 50 Jahren entstanden. Meine<br />
Eltern sind immer noch glücklich zusammen,<br />
das finde ich w<strong>und</strong>ervoll, ich wünsche mir<br />
genau das für meine Zukunft – auch wenn ich<br />
zurzeit keinen Fre<strong>und</strong> habe. Aber wie ich mich<br />
kenne, wird das nicht mehr lange dauern, denn<br />
ich verliebe mich schrecklich gerne <strong>und</strong> oft.<br />
Mein erster Crush, an den ich mir erinnere, war<br />
übrigens Harrison Ford in „Indiana Jones“. Nein<br />
im Ernst: Wenn ich jemanden kennenlerne, den<br />
ich sympathisch <strong>und</strong> witzig finde, bin ich schnell<br />
hin <strong>und</strong> weg. Man braucht nicht viel, um mich<br />
von sich zu überzeugen. Aber das Verliebtsein<br />
ist bei mir genauso schnell wieder vorbei, wie<br />
es mich überkommen hat. Wenn es vorbei ist,<br />
trage ich meinen Liebeskummer ein paar Tage<br />
mit mir rum <strong>und</strong> verarbeite anschließend alles in<br />
meinen Songtexten. Das mag ein bisschen naiv<br />
klingen, aber tatsächlich halte ich meine neuen<br />
Songs für sehr reif. Ich habe zum Beispiel ein<br />
Gute-Nacht-Lied für eine Fre<strong>und</strong>in geschrieben<br />
– als Liebesbotschaft von ihrem verstorbenen<br />
Ex-Fre<strong>und</strong>. Das klingt morbid, aber „Think of me“<br />
ist ein liebevoll gemeintes Lied.<br />
Durch meinen Job ist es tatsächlich sehr<br />
schwierig eine Beziehung zu haben. Ich beneide<br />
diejenigen fast ein bisschen, die über den Alltag<br />
in ihren Beziehungen klagen. Eine meiner Beziehungen<br />
ist gerade genau daran zerbrochen: Wir<br />
haben uns viel zu selten gesehen, nur alle paar<br />
Monate. Irgendwann waren wir wie Fremde,<br />
die vergessen haben, was sie verbindet. Jeder<br />
Satz klang plötzlich seltsam <strong>und</strong> jede Berührung<br />
fühlte sich falsch an. Wir haben das mit der<br />
Fernbeziehung nicht hinbekommen. Heute ist er<br />
einer meiner besten Fre<strong>und</strong>e. Vielleicht wäre das<br />
von Anfang an besser gewesen.<br />
Liebe bedeutet für mich, dass man sich<br />
fallen lassen kann <strong>und</strong> so akzeptiert <strong>und</strong> geliebt<br />
wird, wie man ist. Ich bin Anfang 30 <strong>und</strong> habe<br />
das Gefühl, dass es mir immer wichtiger wird,<br />
dass mich jemand unterstützt <strong>und</strong> hinter mir<br />
steht. In allen Lebenslagen. Sehr wichtig sind<br />
mir aber meine Fre<strong>und</strong>innen. Wir sind eine<br />
Gruppe an Mädels, die sich seit mehr als zehn<br />
Jahren kennen, die zusammenhalten, aufeinander<br />
aufpassen <strong>und</strong> füreinander einstehen. Eine<br />
Fre<strong>und</strong>in hat mir vor einiger Zeit dieses Bild<br />
geschenkt. Sie war in Marokko <strong>und</strong> besuchte<br />
das einstige Anwesen Yves Saint Laurents. Er<br />
gehörte zu meinen Lieblingsdesignern <strong>und</strong> sie<br />
scheint sich bei ihrem Besuch daran erinnert zu<br />
haben. Solche Gesten sind für mich wahre Liebe.<br />
Natürlich ist die Zeichnung an sich auch überaus<br />
passend zum Thema Liebe. Dazu könnte man<br />
einen Song aus den 60ern von Irma Thomas<br />
abspielen: „Anyone who knows what love is will<br />
<strong>und</strong>erstand“.<br />
Das selbstbetitelte Debütalbum der Band Tomorrow's<br />
World ist auf dem Label Naive erschienen.<br />
Nr.10<br />
124 125<br />
Nr.10
eine stimme: Hanna Rosin<br />
Protokoll: Vanessa Obrecht<br />
Die<br />
Hanna Rosin hat ein<br />
Buch über das Ende<br />
der Männer geschrieben.<br />
Glücklich<br />
ist die amerikanische<br />
Publizistin darüber<br />
nicht. Müssen sich<br />
Frauen jetzt um alles<br />
selbst kümmern?<br />
Bürde<br />
enhaus in Tel Aviv. Nach unserem<br />
Umzug nach Queens, New York,<br />
arbeitete mein Vater als Taxifahrer.<br />
Meine <strong>Mutter</strong> hatte keinen Job <strong>und</strong><br />
kümmerte sich um das Haus <strong>und</strong><br />
die Familie. Diese Rollenverteilung<br />
zwischen Mann <strong>und</strong> Frau entspricht<br />
aber keinesfalls dem Wesen meiner<br />
Eltern. Mein Vater ist ein sehr lieber,<br />
allerdings eher ambitionsloser <strong>und</strong><br />
passiver Mensch. Meine <strong>Mutter</strong> dagegen<br />
ist neugierig <strong>und</strong> hartnäckig.<br />
Ich muss zugeben, ich wünschte<br />
mir manchmal etwas mehr wie sie<br />
zu sein.<br />
der<br />
Außenseiterin statt Feministin<br />
In meiner Kindheit prägte mich aber<br />
vor allem das Aufwachsen in einem<br />
fremden Land. Alle Menschen um<br />
mich herum stammten aus Einwandererfamilien.<br />
Ich hatte dadurch nur<br />
eine sehr vage Idee des amerikanischen<br />
Mainstreams. Ich las Bücher<br />
über amerikanische Teenager, wusste<br />
aber nie, ob diese Geschichten der<br />
Fantasie oder Wahrheit entsprangen.<br />
Bis zum College wusste ich nichts<br />
über die amerikanische Kultur,<br />
fühlte mich auch später noch als<br />
Außenseiterin.<br />
Ich besuchte als Einzige der<br />
Familie eine Hochschule, war immer<br />
schon selbstbestimmt. So habe ich<br />
auch die Frauen erlebt, die ich für<br />
mein Buch portraitiert habe. Sie sind<br />
keine Feministinnen <strong>und</strong> sie würden<br />
sich selbst auch nie als solche<br />
bezeichnen. Ich habe sie immer<br />
eher als Immigrantinnen gesehen,<br />
die sich in einer ihnen fremden<br />
Umwelt behaupten <strong>und</strong> durchsetzen<br />
mussten. Der Ursprung meines<br />
Buches „Das Ende der Männer“ ist<br />
somit nicht ideologisch. Ich habe nie<br />
Frauen<br />
für eine feministische Bewegung<br />
geschrieben oder mit einer sympathisiert.<br />
In meinem Herzen bin ich<br />
Reporterin. Ich brauche Fakten.<br />
Die Krise der Männlichkeit<br />
Einer meiner frühen Einflüsse war<br />
das Buch „Stiffed – The Betrayal of<br />
American Man“ von der Pulitzer-<br />
Preisträgerin Susan Faludi. Darin<br />
Ich bin in Israel geboren <strong>und</strong> später<br />
mit meinen Eltern nach New York<br />
übergesiedelt. In meiner Familie<br />
hatten die Frauen das Sagen. Nach<br />
alt-jüdischem Gesetz musste meine<br />
Urgroßmutter den Mann ihrer<br />
verstorbenen Schwester heiraten,<br />
verließ ihn aber nach der Geburt<br />
meiner Großmutter. Als diese<br />
wiederum ihr drittes Kind zur Welt<br />
brachte, starb ihr Mann an einer<br />
Lungenentzündung. So zog auch sie,<br />
wie ihre <strong>Mutter</strong> davor, ihre Kinder<br />
alleine groß. Meine <strong>Mutter</strong> war vier<br />
Jahre alt, als ihr Vater starb. Kurz<br />
darauf, im Jahr 1948, wurde der Staat<br />
Israel gegründet.<br />
Bis ich sechs Jahre alt war,<br />
lebten wir gemeinsam mit meiner<br />
Großmutter in einem Mehrfamilibeschreibt<br />
sie, wie sich nach wiederholten<br />
wirtschaftlichen Rezessionen<br />
<strong>und</strong> in Zeiten großer Arbeitslosigkeit<br />
das Bild des Mannes verändert hat,<br />
wie identitätsstiftende Werte wie<br />
etwa „Handwerk“ <strong>und</strong> „Loyalität“<br />
an Bedeutung verloren. Ich las das<br />
Buch <strong>und</strong> dachte an die ökonomischen<br />
Krisen, mit denen wir nach<br />
der Jahrtausendwende zu kämpfen<br />
hatten.<br />
Ich wollte diese „neuen“ Männer<br />
aufspüren <strong>und</strong> sehen, was mit<br />
ihnen geschehen war. Sah, wie der<br />
wirtschaftliche Wandel zunehmend<br />
Einfluss auf die Destruktion des<br />
männlichen Selbstbildes nahm. Wie<br />
Beziehungen durch finanzielle Krisen<br />
zerfielen <strong>und</strong> Frauen ihren Platz<br />
im Haushalt neu definieren mussten.<br />
Für mich waren Männer <strong>und</strong> Frauen<br />
eigentlich immer gleichgestellt. Doch<br />
im Zuge meiner Recherche realisierte<br />
ich, wie sehr sich das Bild des<br />
Mannes verändert hatte. Als ich mit<br />
einigen Hochschul-Studentinnen<br />
sprach, redeten sie über Männer, als<br />
wären es Kinder, denen es zu helfen<br />
gelte. Das überraschte mich sehr!<br />
Ich entdeckte zudem, wie groß<br />
die Einschnitte in der Ehe bereits<br />
fortgeschritten sind. Dabei gibt es<br />
gute wie negative Veränderungen.<br />
Ein Beispiel: Ich lebe mit meinem<br />
Mann David in einer „Schaukelbrett-<br />
Ehe“. Ich nenne dieses neue Modell<br />
so, da diese Ehe auf dem Prinzip der<br />
Gleichberechtigung basiert. Wenn<br />
ich ein Buch schreibe, hält er mir<br />
den Rücken frei <strong>und</strong> kümmert sich<br />
um den Haushalt. Wenn er sich in<br />
die Arbeit stürzt, bin ich an der Reihe.<br />
Paare scheinen durch diese Form<br />
des Zusammenlebens glücklichere<br />
<strong>und</strong> zufriedenere Partnerschaften<br />
zu leben. Meinen Mann hat „Das<br />
Ende der Männer“ daher nicht im<br />
Geringsten mitgenommen. Das liegt<br />
an seinem starken Charakter <strong>und</strong><br />
seiner Eigenständigkeit. Er ist Chef-<br />
redakteur von „Slate“, einem der<br />
größten Onlinemagazine in Amerika.<br />
Mein Sohn Jacob aber denkt, ich sei<br />
fies. Ihn trafen meine Worte sehr. Er<br />
ist neun Jahre alt <strong>und</strong> versteht noch<br />
nicht, was ich vermitteln möchte.<br />
Seine <strong>Mutter</strong> schreibt ein Buch über<br />
das Ende der Männer, während er<br />
im Unterricht lernt, alle als gleichwertig<br />
zu betrachten. Anti-Mobbing-<br />
Kampagnen sind momentan das<br />
große Thema in der Schule. Aber ich<br />
habe ja gar nichts gegen Männer. Ich<br />
beschreibe einfach eine problematische<br />
Entwicklung.<br />
Aggressive Frauen<br />
Die zahlreichen Trennungen im<br />
Zuge der ökonomischen Krise sind<br />
ein großes Problem, welches wir<br />
nicht weiter ignorieren können. So<br />
erhalten wir keine stabile Gesellschaft.<br />
Das Ziel sollte es doch sein, in<br />
einer gleichgestellten Partnerschaft<br />
glücklich zu werden. Männer haben<br />
typische Eigenschaften <strong>und</strong> Frauen<br />
haben die ihren. Diese können<br />
als Menüs angesehen werden, bei<br />
denen sich jeder bedienen kann,<br />
ohne einen hohen Preis dafür zu<br />
bezahlen. So wurde traditionell nur<br />
Männern Durchsetzungsvermögen<br />
zugeschrieben oder viel mehr zugebilligt.<br />
Das hat sich geändert. Frauen<br />
in mächtigen Positionen können<br />
aggressiv <strong>und</strong> dominant auftreten.<br />
Aber sie müssen lernen, sich zu verteidigen.<br />
Männer wiederum sollten<br />
lernen, mehr häusliche Aufgaben zu<br />
übernehmen, ohne sich dabei ihrer<br />
Männlichkeit beraubt zu fühlen.<br />
Ich versuche in meinem Buch<br />
meine Hoffnung für die Zukunft<br />
der Geschlechter zu erläutern. Auf<br />
keinen Fall fordere ich die Eliminierung<br />
der Männer. Denn das von<br />
mir beschriebene Matriarchat ist<br />
eher stressig für Frauen. Durch<br />
den Verlust des Mannes als fester<br />
Bestandteil der Familie wird sie zur<br />
Ernährerin, Erzieherin <strong>und</strong> Hausfrau.<br />
Diese Belastung ist immens.<br />
Also brauchen wir einander!<br />
Doch dafür sind Vorbilder nötig.<br />
Jeder Aspekt von Weiblichkeit wird<br />
in den USA von einer TV-Show<br />
begleitet. Die „Mary Tyler Moore<br />
Show“ zielte in den 70ern auf<br />
Single-Karrierefrauen, „Murphy<br />
Brown“ aus den 1980er-Jahren<br />
zeigte die Frau im kulturellen<br />
Kontext <strong>und</strong> in „Sex and the City“<br />
durften Frauen endlich offen über<br />
Sex sprechen. Seit Neuestem gibt es<br />
die Serie „Girls“, in der Frauen sogar<br />
"Ich sah, wie<br />
der wirtschaftliche<br />
Wandel<br />
zunehmend<br />
Einfluss auf<br />
die Destruktion<br />
des männlichen<br />
Selbstbildes<br />
nahm."<br />
vulgär sein dürfen. Sie müssen<br />
dazu wissen, dass in Amerika das<br />
Fernsehen als sozialer Spiegel oder<br />
auch Transformator funktioniert,<br />
der radikale soziale Umwälzungen<br />
kenntlich macht <strong>und</strong> sie dann in den<br />
Mainstream überführt. Das Fernsehen<br />
ermöglicht es also, dass sich<br />
Menschen in neue Rollen einfühlen<br />
können. Für Männer gab es diese<br />
Art von Korrektiv bisher nicht.<br />
Orientierungslose Männer<br />
Viele TV-Shows in den USA greifen<br />
diese Thematik aber mittlerweile<br />
auf. Ohne mein Wissen haben 40<br />
Film-Produzenten meine Geschichte<br />
als Serien-Modell vorgeschlagen.<br />
Sechs verschiedene Shows wurden<br />
auf der Basis meiner Story produziert<br />
<strong>und</strong> ausgestrahlt. Zwei sind<br />
noch „on air“. Sie zeigen Männer,<br />
die sich in ihrer Rolle als Hausmann<br />
nicht entmannt fühlen. Diese Männer<br />
sind sehr sexy <strong>und</strong> attraktiv.<br />
Eine Show namens „Work<br />
It“ begleitete Männer, die in ihrer<br />
Erkenntnis um die feminisierte<br />
Wirtschaft den Entschluss fassten,<br />
sich als Frauen zu kleiden, um so<br />
einen Job zu ergattern. Es ist sehr<br />
lustig zu sehen, wie diese Männer<br />
Episoden aus meinem Buch rezitierten.<br />
In einer Bar sitzend <strong>und</strong> ein Bier<br />
trinkend, sagt einer: „Oh, wir stecken<br />
in einer Man(re-)session. Ein Mann<br />
findet in diesen Tagen keinen Job<br />
mehr! Wisst ihr, wie viele Frauen<br />
an den Universitäten studieren?“<br />
Das war sehr komödiantisch. Ich<br />
sehe in diesem Thema noch so viel<br />
mehr Potenzial für Sitcoms. Ich habe<br />
nichts dagegen, auch in Zukunft Teil<br />
dieser Bewegung zu sein. Das ist<br />
eine Art von Training der Gesellschaft.<br />
Sie lernt entspannter mit veränderten<br />
Rollenbildern umzugehen.<br />
Und das ist immens wichtig.<br />
Ich werde mich mit einem<br />
Produzenten treffen, der die Rechte<br />
an meinem Buch gekauft hat. Einige<br />
dieser bestehenden Shows sind<br />
stumpfsinnig. Andere haben sehr<br />
interessante Ansätze. Aus meinen<br />
gesammelten Geschichten <strong>und</strong><br />
den Erzählungen von Betroffenen<br />
resultiert ein großes dramatisches<br />
Potenzial. Männer aller Altersgruppen<br />
<strong>und</strong> sozialen Schichten müssen<br />
sich in einer unbekannten Situation<br />
basierend auf einer allumfassenden<br />
Krise neu orientieren. Dieses Thema<br />
können wir heute viel expliziter angehen,<br />
als es bisher je möglich war!<br />
Hanna Rosins „Das Ende der Männer“<br />
ist im Berlin Verlag erschienen.<br />
Nr.10<br />
126 127<br />
Nr.10
streetstyle<br />
Fotos: Saskia Lawaks<br />
STREETSTYLE<br />
TEL AVIV<br />
beweist, warum die<br />
mittelmeer-stadt<br />
das hippe zentrum<br />
des nahen ostens ist.<br />
Nr.10<br />
128 129<br />
Nr.10
antifräulein<br />
Text: Wäis Kiani<br />
Zeichnung: Katrin Funcke<br />
halle berry<br />
Sie ist w<strong>und</strong>erschön, aber zieht das Unheil an. Das Supermodel<br />
Gabriel Aubry tauschte Halle Berry gegen einen französischen Schläger ein,<br />
der ihrem Ex-Mann das Gesicht zertrümmerte.<br />
Nicht nur deshalb halten wir sie für ein prädestiniertes Antifräulein.<br />
Es gibt Frauen, die bringen einfach nur Unheil.<br />
Unheil über jeden, der unmittelbar mit ihnen<br />
zu tun hat. Unser Antifräulein ist dieses Mal<br />
genau so eine Frau, die Unheil über alle gebracht<br />
hat, obwohl sie w<strong>und</strong>erschön ist. Von der man<br />
sogar sagt, sie sei in echt noch schöner als auf<br />
den Fotos, die es reichlich von ihr gibt. Die Rede<br />
ist von Oscarpreisträgerin <strong>und</strong> Bond-Girl Halle<br />
Berry, die seit ihrer Trennung von dem mehr als<br />
ansehnlichen Model Gabriel Aubry, dem Vater<br />
der kleinen Nahla, unsere sensiblen Gemüter<br />
mit brutalen <strong>und</strong> entwürdigenden Meldungen<br />
strapaziert. Dass Trennungen meistens hässlich<br />
sind, auch wenn es sich dabei um zwei besonders<br />
schöne Menschen handelt, ist hinlänglich<br />
bekannt. Aber dass einer von beiden, in diesem<br />
Fall Halle Berry, sein hässliches Inneres dabei<br />
dermaßen nach außen stülpt, dass die äußere<br />
Schönheit nur noch wie ein Hohn wirkt, ist<br />
traurig. Halle <strong>und</strong> Gabriels Relationship hatte<br />
noch „ist complicated“-Status, da tauchte der<br />
schmierige Franz-Prolet <strong>und</strong> Kylie-Minogue-Ex-<br />
Boyfriend Oliver Martinez auf, <strong>und</strong> die beiden<br />
schämten sich nicht, rücksichtslos in der Öffentlichkeit<br />
knutschend gesehen, fotografiert <strong>und</strong><br />
gefilmt zu werden. Aubreys Ehre <strong>und</strong> Gefühle<br />
dermaßen zu verletzen, ist das eine, aber ihm<br />
eiskalt zu eröffnen, dass man gedenkt, mit dem<br />
gemeinsamen Töchterchen in weite Ferne nach<br />
Frankreich zu ziehen, ist für jeden liebenden<br />
Vater ein unmenschlicher Gewaltakt. Das sah<br />
das US-Gericht zum Glück genauso <strong>und</strong> machte<br />
Berry <strong>und</strong> Martinez einen Strich durch die Rechnung.<br />
Nahla durfte in Daddys Nähe bleiben. Diese<br />
verlorene R<strong>und</strong>e brachte wiederum das Gemüt<br />
des Franzosen dermaßen in Wallung, dass er<br />
mit dem Kriegsruf: Du hast mich drei Millionen<br />
(US-Hollywood-Anwalts-Honorar) gekostet –,<br />
dem armen Aubry das Wertvollste zertrümmert,<br />
was er besitzt: sein schönes Gesicht. Aubry sah<br />
auf den Polizeifotos, die uns allen in der Seele<br />
wehtaten, aus, als wäre er aus einem Flugzeug<br />
herausgefallen <strong>und</strong> danach von einer Horde<br />
Elefanten zertrampelt worden. Martinez’ brutale<br />
Attacke wurde sogar vor den Augen der kleinen<br />
Nahla verübt, die Daddy gerade bei Halle abholen<br />
wollte. Halle ist also die Sorte Frau, die nicht<br />
nur einen hinterfotzigen Schläger liebt, sondern<br />
auch einem liebenden Vater das gemeinsame<br />
Kind wegnehmen <strong>und</strong> auf einen anderen<br />
Kontinent entführen will. Und Martinez? Eine<br />
neue Meldung aus LA verwischte alle Zweifel<br />
am Opferstatus von Aubry: Martinez ist soeben<br />
auf wartende Paparazzi losgegangen, einen von<br />
ihnen hat er getreten <strong>und</strong> geschlagen. Ja, Paparazzi<br />
sind Idioten, was gibt es auch zu warten,<br />
es ist doch nur Halle Berry, geht nach Hause,<br />
geschieht euch recht, denkt man da. Schläger<br />
schlagen immer wieder, wie wir wissen. Und<br />
noch etwas: Wer wie Halle Berry für Deichmann-<br />
Schuhe Werbung macht, noch dazu mit dem<br />
widerlichen Slogan „Urlaub vom Urlaub“, hat bei<br />
uns ohnehin keine Chance. Armer Gabriel Aubry.<br />
Er hatte seine Augen da, wo Männer kein Unheil<br />
mehr sehen. In seinen Boxershorts, wo es viel zu<br />
dunkel ist.<br />
„Halle ist die<br />
Sorte Frau, die<br />
nicht nur einen<br />
hinterfotzigen<br />
Schläger liebt,<br />
sondern auch<br />
einem liebenden<br />
Vater das gemeinsame<br />
Kind<br />
wegnehmen will.“<br />
Nr.10<br />
130 131<br />
Nr.10
feierabend<br />
Interview: Ruben Donsbach<br />
Foto: Marcel Schwickerath<br />
Die Journalistin<br />
Katrin<br />
Sandmann<br />
gibt Künstlern<br />
in Krisengebieten<br />
eine Stimme.<br />
Sie ist eine der profiliertesten Nachrichten-<br />
Korrespondentinnen Deutschlands. Von 2004 bis<br />
2010 war die 1966 in Berlin geborene Journalistin<br />
Katrin Sandmann Leiterin Reportage beim<br />
Nachrichtensender N24. Sie war dabei, als die<br />
B<strong>und</strong>eswehr in den Kosovo einmarschierte,<br />
berichtete über die Intifada aus Israel <strong>und</strong> war<br />
während des Irakkrieges in Bagdad im Einsatz.<br />
Mittlerweile produziert Sandmann die Reportage-Reihe<br />
„Kulturkrieger“, für die sie unter<br />
anderem in Gaza, Kinshasa <strong>und</strong> Kabul Künstler<br />
traf <strong>und</strong> deren Kampf für elementare Menschenrechte<br />
dokumentierte. Ein Gespräch über den<br />
westlichen Blick, die Aufmerksamkeitsökonomien<br />
der Medien <strong>und</strong> mangelndes Privatleben.<br />
Frau Sandmann, in seinem Buch „Orientalism“<br />
von 1978 hat der Literaturwissenschaftler<br />
Edward Said aufgearbeitet, wie der westliche,<br />
koloniale Blick auf den „Orient“ zwangsläufig<br />
voller Missverständnisse <strong>und</strong> Vorurteile bleibt.<br />
Wie gehen Sie als internationale Berichterstatterin<br />
mit diesem Dilemma um?<br />
Katrin Sandmann: Das ist natürlich schwierig,<br />
weil man von der westlichen Sozialisation<br />
geprägt ist <strong>und</strong> wahnsinnig stereotype Bilder<br />
im Kopf hat. Ich habe ja lange in Jerusalem <strong>und</strong><br />
Amman gewohnt <strong>und</strong> es wird schon besser mit<br />
der Zeit. Trotzdem darf man nie den Fehler machen<br />
zu denken, man gehöre dazu. Ich habe nie<br />
das Gefühl gehabt, Teil dieser arabischen Welt<br />
zu sein, nur weil ich da jetzt mal ein paar Jahre<br />
gelebt <strong>und</strong> gearbeitet habe. Man ist immer der<br />
Beobachter am Rand des Geschehens.<br />
Der Nahost-Experte Robert Fisk sagt, dass<br />
man als Journalist nicht wirklich „objektiv“<br />
sein kann, sondern aktiv Positionen vertreten<br />
muss. Eine kontroverse Haltung. Was denken<br />
Sie?<br />
KS: Ich sehe das genauso. Zwar sollte man<br />
möglichst objektiv sein, das ist natürlich die<br />
Gr<strong>und</strong>voraussetzung. Aber in der Praxis ist das<br />
völlig unmöglich. Journalisten sind Menschen<br />
<strong>und</strong> geprägt von ihren Erfahrungen. Als sich in<br />
Tel Aviv ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt<br />
hatte <strong>und</strong> sich nach meinem Eintreffen<br />
vor mir ein Gemetzel auftat, konnte ich das nicht<br />
einfach rationalisieren. Ich war davon berührt.<br />
Zwei Wochen später in Gaza ließ die israelische<br />
Luftwaffe Häuser bombardieren. Ich stand vor<br />
einer weinenden <strong>Mutter</strong> mit ihrem toten Kind<br />
in den Armen. Da war es dann genauso. In solch<br />
schwierigen Konflikten gibt es keine Objektivität.<br />
Zumindest für mich <strong>und</strong> das habe ich auch<br />
immer klar benannt.<br />
Schaltet man eigentlich irgendwann ab, wenn<br />
man immer wieder mit solchem Unglück<br />
konfrontiert wird?<br />
KS: Leider, ja. Ich habe 5 Jahre im Nahen Osten<br />
gewohnt, habe die letzten zwei allerdings schon<br />
zwischen Jerusalem <strong>und</strong> Bagdad gependelt.<br />
Egal wo ich war, wurden fast täglich Menschen<br />
getötet. Man muss sich dagegen abschotten.<br />
Irgendwann kommt dann der Moment, an dem<br />
man in seiner Nachrichtenredaktion anruft <strong>und</strong><br />
meldet: Wir haben hier einen Anschlag mit fünf<br />
Toten. Und die Redaktion antwortet: „Das reicht<br />
uns nicht.“ Man fährt dann nicht mehr hin, redet<br />
nicht mehr mit den Opfern oder den mutmaßlichen<br />
Tätern <strong>und</strong> sagt einfach: „Das ist zu klein.“<br />
Aber ich frage mich natürlich: Wer sind wir,<br />
solche Maßstäbe anzulegen?<br />
Es gibt also Leitlinien in den Redaktionen, die<br />
besagen: Erst ab so<strong>und</strong>soviel Opfern ist es eine<br />
Nachricht?<br />
KS: Nein. Die gibt es so nirgendwo. Aber ein<br />
Konflikt, der sehr lange läuft, der wird irgendwann<br />
red<strong>und</strong>ant. Weil ja immer zu dasselbe<br />
passiert. Und dann lässt eben auch vonseiten der<br />
Zuschauer das Interesse nach. 2000/2001 gab es<br />
so viele Selbstmordanschläge in Israel, dass eine<br />
regelrechte Ermüdung einsetzte. Bei Nachrichten<br />
kommt es immer auf den Kontext an: Wo<br />
<strong>und</strong> wann hat ein Anschlag stattgef<strong>und</strong>en? Wer<br />
ist davon betroffen? Was gibt es sonst noch für<br />
Nachrichten auf der Welt? Das ist furchtbar, aber<br />
man richtet sich damit ein.<br />
Arbeitet man als Reporter, ob nun im Print<br />
oder Fernsehen, immer auch gegen das Vergessen<br />
an, das eigene wie das kollektive?<br />
KS: Das ist eine schwierige Frage. Ich hatte auf<br />
jeden Fall irgendwann das Gefühl, dass ich als<br />
Nachrichten-Journalistin dem, was um mich<br />
herum passierte, nicht mehr gerecht werden<br />
konnte. Das ist einer der Gründe, warum ich nun<br />
eher längere Reportagen produziere. Das gibt<br />
mir die Gelegenheit, wirklich mit den Leuten<br />
zu sprechen, mich besser mit der jeweiligen<br />
Thematik auseinanderzusetzen.<br />
So wie in Ihrer „Kulturkrieger“-Reihe, in der<br />
Sie unter anderem Tänzer in Kinshasa <strong>und</strong><br />
Schriftsteller in Gaza getroffen haben.<br />
KS: Genau. Ich wollte diese Serie machen, weil<br />
mir aufgefallen war, dass diese Leute nie zu Wort<br />
kommen. Denn natürlich hat jede Gesellschaft,<br />
ob im Krieg oder nicht, eine eigene Kultur. Ich<br />
habe Länder, in denen ich zum Teil jahrelang<br />
lebte, über dieses Projekt völlig neu begriffen.<br />
Einfach weil ich nicht nur mit den Politikern, den<br />
Extremisten oder den Opfern gesprochen habe,<br />
sondern mit Leuten, die mit den Mitteln der Kultur<br />
für f<strong>und</strong>amentale Menschenrechte kämpfen.<br />
Slavoj Zizek bemerkt in seiner Kritik des Films<br />
„Children of Men“, dass in kollabierenden<br />
„Es ist<br />
wahnsinnig<br />
schwer, ein<br />
Privatleben<br />
zu haben,<br />
wenn man<br />
immer auf<br />
Abruf ist.“<br />
Gesellschaften auch die Kunst ihre Bedeutung<br />
verliert, geradezu sinnlos wird. Denn: Kunst<br />
braucht Kontext, um als solche erkannt zu<br />
werden. Wie ist das in Gaza oder Kinshasa?<br />
KS: Das Zitat von Zizek kenne ich nicht. Finde<br />
ich aber sehr interessant. Kunst bezieht sich immer<br />
auf die jeweiligen Wurzeln der Gesellschaft,<br />
wird aber im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert enorm beeinflusst<br />
von dem, was im Rest der Welt passiert. Ich war<br />
für die „Kulturkrieger“ noch nirgends, wo die<br />
Menschen nicht in irgendeiner Weise Zugang<br />
zum Internet hatten. Selbst in Gaza, Kinshasa,<br />
Bagdad oder Kabul. Neulich gab es übrigens<br />
eine Diskussion mit arabischen Kollegen, die<br />
mir vorwarfen, nur danach zu suchen, ob es bei<br />
ihnen westliche Kultur gäbe.<br />
Das führt wieder zu Edward Said zurück.<br />
KS: Genau. Ich fand, das war ein legitimer<br />
Vorwurf. Andererseits: Warum soll ich in Gaza<br />
nur nach traditioneller Kunst suchen? Das tue<br />
ich in Deutschland ja auch nicht. Die „Kulturkrieger“<br />
sind halt ein subjektives Format. Trotzdem<br />
versuche ich alles, was ich sehe, in einen Kontext<br />
zu stellen.<br />
Verändert diese Arbeit eigentlich den Blick auf<br />
die eigene Gesellschaft?<br />
KS: Ja, absolut! Nicht nur die „Kulturkrieger“.<br />
Im Nachkriegs-Bagdad konnte man lernen, wie<br />
schnell eine Gesellschaft zusammenbricht, wenn<br />
es keine anerkannte Staatsgewalt mehr gibt. Ich<br />
habe mich immer gefragt, wie das im reichen<br />
Westen wäre, wenn hier eine ähnliche Situation<br />
eintreten würde. Als in New Orleans im Zuge<br />
des Hurrikans Katrina der Strom ausfiel, haben<br />
die Amerikaner zum ersten Mal begriffen, dass<br />
sie dann keine Eiswürfel mehr haben <strong>und</strong> die<br />
Benzinpumpen nicht mehr funktionieren, dass<br />
kein Wasser mehr aus dem Hahn kommt. Das<br />
war ein dramatisches Erwachen. Was gerade<br />
auf Zypern passiert, mag ein weiteres Beispiel<br />
dafür sein.<br />
In Ihrem Buch „Die Geister, die uns folgen“ beschreibt<br />
die Kriegsreporterin Janine di Giovanni,<br />
wie eine Beziehung, selbst die große Liebe,<br />
unter der Last des Berufes scheitern kann.<br />
KS: Ja, mit Bruno. Beide kenne ich.<br />
Wie schwer fällt es Ihnen, ein geregeltes<br />
Privatleben zu führen, einen Fre<strong>und</strong>eskreis zu<br />
erhalten?<br />
KS: Nicht umsonst ist Janine mit einem<br />
Kriegsreporter, einem Kameramann zusammen<br />
gewesen. Es ist schon wahnsinnig schwer ein<br />
Privatleben zu haben, wenn man immer auf<br />
Abruf ist. Man wird unzuverlässig. Das war bei<br />
mir auch so. Aber es ist nicht unmöglich.<br />
Gibt es in Ihrem Beruf eigentlich so etwas wie<br />
einen Feierabend? Können Sie nach Hause<br />
kommen <strong>und</strong> abschalten?<br />
KS: Nun, während meiner Arbeit an den „Kulturkriegern“<br />
geht das. Wenn man Nachrichten<br />
mitten in einem Konflikt produziert, dann eher<br />
nicht. Aber wenn ich zurück nach Deutschland<br />
kam, dann bin ich oft zu Hermès gegangen <strong>und</strong><br />
habe mir da etwas sündhaft Teures gekauft.<br />
Das war mein Ritual. Ist natürlich auch ein<br />
wenig peinlich! Ich habe das aber als Ausgleich<br />
gebraucht.<br />
Verschiedene Episoden von „Kulturkrieger“ sind<br />
in der ZDF Mediathek abrufbar.<br />
Nr.10<br />
132 133<br />
Nr.10
ezept<br />
Foto: Sabine Volz<br />
Illustration: Anje Jager<br />
135<br />
Nr.10
das trag ich fϋr die ewigkeit<br />
Protokoll: Ruben Donsbach<br />
ich glaube<br />
an gott<br />
Janine di Giovanni zäHLT zu den wichtigsten Kriegsreporterinnen<br />
ihrer GenerATion. Für unsere Rubrik „Das trag' ich für die<br />
Ewigkeit“ sprachen wir mit der 52-Jährigen über ihren Glauben,<br />
liebe <strong>und</strong> den GegenSTAnd, den sie mit ins Grab nehmen möchte.<br />
Im Krieg verlieren die Menschen ihr Maß für<br />
Anstand <strong>und</strong> Menschlichkeit. Sie verlieren ihre<br />
Unschuld sowie die Gewissheit, dass sie in dieser<br />
Welt würdig (über-)leben können. Wir Journalisten<br />
haben dagegen das Privileg, wieder nach<br />
Hause fahren zu können. Für mich ist meine<br />
Wohnung in Paris wie ein Schutzraum, in dem<br />
ich regenerieren kann. Manchmal werden die<br />
Geister der Vergangenheit aber übermächtig. Als<br />
mein Sohn Luca 2006 geboren wurde brannten,<br />
bei mir alle Sicherungen durch. Die Jahre des<br />
Krieges <strong>und</strong> die intensive <strong>und</strong> komplizierte <strong>Mutter</strong>schaft<br />
überschlugen sich. Als <strong>Mutter</strong> realisiert<br />
man schnell, dass es unmöglich ist, das Kind zu<br />
jeder Zeit zu beschützen. Dieser Kontrollverlust<br />
kann schockierend sein.<br />
Ich versuche meinen Sohn dennoch von<br />
meiner Arbeit fernzuhalten. Aber seit sein Vater<br />
angeschossen wurde, wird das schwerer <strong>und</strong><br />
schwerer. Luca ist erst neun Jahre alt. Wüsste er,<br />
in welchen Gefahren sein Vater <strong>und</strong> seine <strong>Mutter</strong><br />
ständig stecken, wäre das zu viel der Bürde.<br />
Unsere Trennung war schwer genug für ihn. Er<br />
sagt, dass er ein Journalist sein möchte. Und das<br />
ist okay. Sollte er Kriegsreporter werden wollen,<br />
wäre das sehr schwer für mich, ich würde ihn<br />
aber nicht davon abhalten wollen. Er ist ein sehr<br />
„Mein Sohn hat<br />
mir gezeigt,<br />
was wahre<br />
Schönheit ist“<br />
emphatischer kleiner Junge, der sofort spürt,<br />
wenn es jemandem schlecht geht. Wenn ich ihm<br />
diese Qualität mit auf den Weg geben konnte,<br />
dann war ich als <strong>Mutter</strong> wohl erfolgreich.<br />
Würde ich früher sterben als mein Sohn<br />
<strong>und</strong> in der Ewigkeit auf ihn warten müssen,<br />
dann würde ich ein Bild von ihm ganz nah bei<br />
mir tragen wollen. Sein Name bedeutet „Der<br />
Überbringer des Lichtes“ <strong>und</strong> tatsächlich hat er<br />
sehr viel Freude in mein Leben gebracht. Er ist<br />
natürlich nicht perfekt <strong>und</strong> kein süßes, kleines<br />
Baby mehr, das immer lächelt. Aber er gab<br />
meinem Leben eine neue Dimension. Ich werde<br />
diesen Planeten eines Tages verlassen, aber er<br />
wird weiterleben <strong>und</strong> ebenfalls Kinder bekommen.<br />
Ich verspüre, seit ich ihn habe, wieder eine<br />
gewisse Leichtigkeit <strong>und</strong> kann die Welt durch die<br />
Augen eines Kindes sehen. Nachdem ich so viele<br />
schreckliche Dinge erlebt habe, zeigt er mir, was<br />
wahre Schönheit ist. Für dieses Geschenk bin ich<br />
meinem kleinen Luca sehr dankbar!<br />
Janine di GIOVAnnis autobiografisches Buch<br />
„Die Geister, die uns folgen“ ist bei Bloomsbury<br />
Berlin erschienen.<br />
Manche Leute meinen zu wissen, dass nach<br />
dem Tod nichts mehr käme, dass das Leben einfach<br />
vorbei sei. Aber das glaube ich nicht. Es gibt<br />
ein Leben danach. Diese Woche habe ich eine<br />
sehr enge Fre<strong>und</strong>in an „Krebs“ verloren. Ich bin<br />
natürlich unglaublich traurig über diesen Verlust,<br />
aber sicher, dass ich sie an einem anderen Ort<br />
wiedertreffen werde. So wie auch meinen Vater,<br />
meinen Bruder, meine Schwester <strong>und</strong> all die<br />
Menschen, die ich liebe, die nicht mehr bei mir<br />
sind. Ich habe über dieses Thema lange, philosophische<br />
Diskussionen mit Fre<strong>und</strong>en geführt. Sie<br />
haben immer wieder versucht, mich mit Logik<br />
zu überzeugen. Alleine auf dieser intellektuellen<br />
Ebene wird man dem Thema aber nicht gerecht.<br />
Ich bin als Kind lange auf eine katholische Schule<br />
gegangen <strong>und</strong> deshalb sehr spirituell. Ich glaube<br />
an Gott. Daran, dass jemand über uns wacht <strong>und</strong><br />
unsere Taten in dieser Welt eine Rolle spielen.<br />
Mein Glaube ist eine große Stütze für mich,<br />
obwohl ich sicher nicht der beste Katholik bin.<br />
Das meint jedenfalls meine <strong>Mutter</strong>!<br />
Eine große Schwäche von mir ist, dass ich<br />
keine Geduld mit oberflächlichen Menschen<br />
habe <strong>und</strong> mit verwöhnten Frauen überhaupt<br />
nicht umgehen kann. Aber von denen gibt es in<br />
Paris, wo ich wohne, leider eine ganze Menge.<br />
Sie leben wie in einer Blase <strong>und</strong> zeigen nicht<br />
einmal ein Mindestmaß an Empathie. Einfühlungsvermögen<br />
braucht es aber in dieser Welt.<br />
Die meisten meiner Fre<strong>und</strong>e, die Menschen, die<br />
ich liebe, sind sensible Seelen, haben oftmals<br />
Krieg am eigenen Leib erlebt. Für mich sind sie<br />
einfach die Interessantesten. Denn man wächst<br />
an den Unwägbarkeiten des Lebens. Leid <strong>und</strong><br />
Verlust gehören dazu. Man muss lernen, damit<br />
umzugehen.<br />
Ich war auf dem letzten Weltwirtschaftsforum<br />
in Davos. Ich traf dort einen guten Fre<strong>und</strong>. Er<br />
erzählte mir ständig: „Dies ist der reichste Hedgefondsmanager<br />
der Welt, <strong>und</strong> dies ist der bedeutendste<br />
Silicon-Valley-Typ überhaupt. Irgendwann<br />
reichte es mir <strong>und</strong> ich sagte ihm: „Wen interessiert<br />
das denn, bitte?! Ich finde den Wissenschaftler da<br />
drüben, der den Nobelpreis gewonnen hat, viel<br />
spannender!“ Wir hatten fast Streit deswegen. Er<br />
sagte mir, ich sei ein Snob. Ich würde Menschen,<br />
die es zu etwas gebracht haben, aus Prinzip<br />
ablehnen. Aber darum geht es doch gar nicht. Ich<br />
mag genauso schöne Dinge um mich haben. Doch<br />
sie haben für mich keine Priorität.<br />
Vor Kurzem bin ich von einer Reportagereise<br />
aus Syrien zurückgekommen. Das Ausmaß der<br />
Gewalt dort ist kaum vorstellbar. Der Konflikt<br />
hat eine ganz neue Dimension erreicht. Ich habe<br />
einen meiner „Fixer“, einen Assistenten vor Ort,<br />
verloren, bin traumatisierten Menschen begegnet.<br />
In meinem Artikel „Sieben Tage in Syrien“<br />
beschreibe ich, wie ein junger Mann bestialisch<br />
gefoltert wurde. Man lud ihn auf einen Transporter<br />
voller Leichen, brachte ihn in ein Krankenhaus,<br />
stach in seinen Oberkörper <strong>und</strong> brachte<br />
seine Lunge zum Kollabieren. Einfach so. Er hat<br />
es überlebt. Doch um seine Würde zu erhalten,<br />
muss man ihm eine Stimme geben. Man muss<br />
diese Geschichten aufschreiben <strong>und</strong> sie den<br />
Lesern zugänglich machen. So gelangen sie in ein<br />
kollektives Archiv <strong>und</strong> der Protagonist wird in<br />
gewisser Weise unsterblich. Zumindest für mich.<br />
In Davos sprach mich ein reicher, griechischer<br />
Reeder auf diese Geschichte an. Er sagte: „Sagen<br />
Sie mir, dass das nicht wahr ist. Das kann einfach<br />
nicht sein!“. Doch es ist wahr. Es passiert Tag<br />
für Tag, während das Leben bei uns im Westen<br />
seinen normalen Gang geht.<br />
Mir ist auf meinen Reisen zum Glück noch<br />
nie ernsthaft etwas passiert. Bruno, dem Vater<br />
meines Sohnes Luca, wurde in Libyen während<br />
des Niedergangs von Muammar al-Gaddafi von<br />
einem Scharfschützen in den Kiefer geschossen.<br />
Das war knapp. Aber er hat überlebt. Woran das<br />
liegt, weiß ich nicht. Vielleicht steht irgendwo<br />
geschrieben, wann wir an der Reihe sind. Wann<br />
wir in die Ewigkeit übergehen sollen.<br />
Nr.10<br />
136 137<br />
Nr.10
horoskop<br />
Zeichnung: Zora Mann<br />
alles halb so schlimm<br />
Dies wird ein guter Sommer. Für die meisten von uns stehen die Sterne<br />
günstig. Widder geben ihren Brüsten Namen, Jungfrauen könnte das Finanzamt<br />
drohen <strong>und</strong> wASSErmänner sollten endlich mal Fehler machen. Alles<br />
weitere erfahren Sie im <strong>Fräulein</strong>-Horoskop.<br />
Widder<br />
21. März – 20. April<br />
Es gibt diese schöne Zeile in dem<br />
Van-Morrison-Song „Wild Nights“:<br />
„Everything looks so complete when<br />
you're walking out on the street<br />
and the wind catches your feet and<br />
sends you flying“. Auch Sie fliegen<br />
durch den Juni. Sie sind wild. Ein<br />
Zauber umgibt Sie. Für ein paar Wochen<br />
erleben Sie einen Sommer, wie<br />
man ihn eigentlich nur aus Filmen<br />
kennt. Sie lieben, leben, lachen. Ihr<br />
Körper ist ihre beste Fre<strong>und</strong>in. Sie<br />
geben Ihren Brüsten Kosenamen.<br />
So etwas haben Sie noch nie getan.<br />
Sie lernen endlich, was es bedeutet,<br />
glücklich zu sein. Dass Sie in puncto<br />
Kommunikation zu Hochform auflaufen,<br />
spielt Ihnen übrigens auch<br />
beruflich in die Karten. In Ihnen<br />
schlummert ein soziales Genie, das<br />
Menschen zusammenbringt. Von<br />
diesen neuen Allianzen können<br />
auch Sie profitieren. Trinken Sie<br />
Champagner <strong>und</strong> entschuldigen Sie<br />
sich nicht für die roten Wangen, die<br />
er Ihnen ins Gesicht malt. Das macht<br />
Sie sexy.<br />
Stier<br />
21. April – 20. Mai<br />
Bekanntschaften mit Widdern<br />
könnten für Sie in diesem Sommer<br />
schwierig werden, denn ihr Leben<br />
verläuft in Gegensätzen. Haben<br />
Widder bis Ende Juni die Zeit ihres<br />
Lebens, so sieht es bei Ihnen gerade<br />
Anfang Juli nicht sehr rosig aus. Sie<br />
haben nicht richtig in den Sommer<br />
gef<strong>und</strong>en, finanzielle Altlasten holen<br />
Sie ein. Halten Sie Ihre Ausgaben im<br />
Griff! Fahren Sie weniger Taxi <strong>und</strong><br />
öfter mal mit dem Bus. Rufen Sie<br />
sich ins Gedächtnis: Ausgeglichen<br />
fühlen man sich nur von innen heraus.<br />
Da hilft kein Bling-Bling <strong>und</strong> bemühtes<br />
Make-up. Nehmen Sie sich<br />
zurück <strong>und</strong> genießen Ihren Sommer<br />
entspannt. Ihr berufliches Leben<br />
<strong>und</strong> ihre finanzielle Lage kosten Sie<br />
bereits genug Nerven. Gegen Ende<br />
Juli haben Sie das Gröbste überstanden<br />
<strong>und</strong> Sie blühen wieder auf.<br />
Essen Sie frische Früchte. Erinnern<br />
Sie sich an all die einfachen Freuden,<br />
die Ihren Geschmacksnerven <strong>und</strong><br />
Ihrer Seele schmeichelt – <strong>und</strong> nehmen<br />
Sie es sich.<br />
Zwilling<br />
21. Mai – 21. Juni<br />
Wahrscheinlich haben Sie in diesen<br />
Wochen Geburtstag. Herzlichen<br />
Glückwunsch! Ergreifen Sie die<br />
Chance <strong>und</strong> lassen Sie sich feiern.<br />
Vor allem: Feiern Sie sich selbst.<br />
Feiern Sie mal, was Sie erreicht<br />
haben. Feiern Sie Ihre besonderen<br />
Qualitäten, Ihre Talente, Ihre Klugheit.<br />
In Ihnen steckt so viel Energie<br />
<strong>und</strong> Sie bremsen sich viel zu oft<br />
selber aus. Versuchen Sie mal dies<br />
zu vermeiden. Loben Sie sich selbst.<br />
Auch in der Gegenwart anderer.<br />
Setzen Sie Ihre Eitelkeit strategisch<br />
ein. Denn auch Sie sind eitel. Stehen<br />
Sie dazu. Wir wollen Ihnen nicht<br />
verhehlen, dass Ihnen ein durchwachsener<br />
Sommer bevorsteht. Das<br />
bedeutet nicht, dass Sie keinen Spaß<br />
haben werden. Im Gegenteil. Aber<br />
bei Ihnen ist etwas anders wichtiger:<br />
die Suche nach sich selbst.<br />
Lassen Sie dabei die Finger von der<br />
Psychoanalyse. Wühlen Sie nicht in<br />
Ihrem Unterbewusstsein herum.<br />
Gehen Sie raus <strong>und</strong> finden Sie sich<br />
im Austausch mit den anderen.<br />
Krebs<br />
22. Juni – 22. Juli<br />
Ihnen steht ein zärtlicher Sommer<br />
bevor. Gerade für die grübelnden<br />
Krebse ist dies ein wichtiger Ausgleich:<br />
Ihr Körper steht im Mittelpunkt.<br />
Lassen Sie sich streicheln,<br />
haben Sie so viel Sex, wie es geht,<br />
<strong>und</strong> genießen Sie ihn. Die Chancen<br />
stehen gut, dass Sie dafür einen<br />
passenden Partner finden. Oder Sie<br />
haben Ihn bereits. Das gibt Ihrer<br />
Beziehung neue Energie im Bett.<br />
Bleiben Sie ruhig mal zu Hause,<br />
auch wenn draußen schönes Wetter<br />
ist. Spüren Sie die Haut des anderen.<br />
Fassen Sie sich an <strong>und</strong> lassen Sie<br />
sich anfassen. Entschuldigen Sie,<br />
dass wir an dieser Stelle so softerotisch<br />
werden, aber für die Krebse<br />
wird dies ein körperlicher Sommer.<br />
Das bedeutet übrigens auch, dass<br />
Sie endlich mit Sport anfangen<br />
sollten. Suchen Sie sich eine Jogging-<br />
Route, die Sie an Ihre Grenzen<br />
bringt, <strong>und</strong> genießen Sie, das Radler<br />
im Anschluss. Spüren Sie wie der<br />
Alkohol <strong>und</strong> Zucker Ihren Körper<br />
angenehm schwer macht.<br />
Löwe<br />
23. Juli – 23. August<br />
Es gibt zwei Dinge, auf die Sie in den<br />
nächsten Wochen achten sollten: Bemühen<br />
Sie sich zunächst um Ihren<br />
Partner. Und wenn Sie keinen haben,<br />
dann ergreifen Sie die Chance,<br />
wenn Sie jemanden treffen, mit dem<br />
Sie sich eine Beziehung vorstellen<br />
können. Die Sterne stehen gut, dass<br />
daraus eine lange Bindung werden<br />
könnte. Gegen Ende Juni schwindet<br />
Ihre Fähigkeiten zur Liebe<br />
allerdings. Alte Konflikte kehren in<br />
Ihr Leben zurück. Aber keine Angst!<br />
Es geht nicht um Ihre Existenz,<br />
sondern vielmehr darum, dass Sie<br />
sich über Ihre Rolle im Leben klar<br />
werden müssen. Vor allem die in<br />
Bezug auf enge Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Familie.<br />
Wir geben Ihnen den Rat: Emanzipieren<br />
Sie sich! Fühlen Sie sich wohl<br />
in Ihrer Unabhängigkeit. Besinnen<br />
Sie sich auf die große Kraft, die in<br />
Ihnen schlummert.<br />
Jungfrau<br />
24. August – 23. September<br />
Finanziell haben Sie die Zügel in der<br />
Hand. In Sachen Geld kann Ihnen<br />
keiner etwas vormachen. Aber<br />
Obacht. Hochmut kommt vor dem<br />
Fall. Gerade gegen Ende des Monats<br />
könnte Ihre Situation ins Schleudern<br />
geraten. Haben Sie die Tilgung Ihres<br />
Kredits zu hoch angesetzt? Kommt<br />
eine späte unangenehme Nebenkostennachzahlung<br />
auf Sie zu? Haben<br />
Sie sich eine <strong>Birkin</strong>-Bag gegönnt<br />
<strong>und</strong> nun flattert doch noch ein Brief<br />
vom Finanzamt mit der Ankündigung<br />
einer Steuerprüfung für Sie<br />
in den Briefkasten. Tja, so kann's<br />
gehen. Aber hey, Sie haben ja das<br />
<strong>Fräulein</strong>-Horoskop. Sagen Sie also<br />
nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt.<br />
Abgesehen davon steht bei Ihnen<br />
vor allem Berufliches im Mittelpunkt.<br />
Ihre Arbeit strengt Sie an <strong>und</strong><br />
Sie schauen neidisch auf Kollegen,<br />
die sich in den Urlaub verabschieden.<br />
Wir raten Ihnen, ab Ende Juni<br />
das Gleiche zu tun. Fliehen Sie vor<br />
den Rechnungen, dem Finanzamt<br />
<strong>und</strong> dem Stress. Im Herbst sind Sie<br />
weniger vom Wetter abgelenkt. Da<br />
ist das alles halb so schlimm.<br />
Waage<br />
24. September – 23. Oktober<br />
Sie sind eine der charmantesten Personen<br />
unter der Sonne. Vergessen<br />
Sie dies nicht. Lassen Sie sich davon<br />
nicht ablenken, wenn Familienkonflikte<br />
hochkochen oder ein<br />
Streit mit Fre<strong>und</strong>en eskaliert. Dies<br />
könnte nämlich in den nächsten<br />
Wochen passieren. Aber ziehen Sie<br />
sich deshalb nicht zurück. Fliehen<br />
Sie nicht vor dem Leben, sondern<br />
stürzen Sie sich hinein. Sie haben<br />
keine Probleme, auf Menschen<br />
zuzugehen. Erweitern Sie einfach Ihren<br />
Fre<strong>und</strong>eskreis. Suchen Sie nach<br />
Menschen, die Ihnen Geborgenheit<br />
vermitteln. Lassen Sie Streit <strong>und</strong><br />
Stress an sich abprallen <strong>und</strong> denken<br />
Sie mit Zuversicht an die Zukunft.<br />
Am Horizont ziehen große Ereignisse<br />
herauf, die Ihr Leben verändern<br />
werden. Empfangen Sie die Zukunft<br />
mit offenen Armen. Sie wird Ihnen<br />
Gutes bringen.<br />
Skorpion<br />
24. Oktober – 22. November<br />
Sie wollten immer schon mal<br />
Nacktfotos von sich machen lassen?<br />
Nun, vielleicht ist es jetzt an der Zeit,<br />
dies zu tun. Ernsthaft: Gerade gegen<br />
Ende des Monats ist eine gute Zeit,<br />
sich zu offenbaren. Sind Sie verliebt<br />
<strong>und</strong> Ihr Angehimmelter merkt es<br />
nicht? Oder Sie beide trauen sich<br />
nicht, sich gegenseitig ihre Liebe zu<br />
gestehen? Riskieren Sie es, setzen<br />
Sie alles auf eine Karte. Kaufen<br />
Sie Blumen oder einen Ring <strong>und</strong><br />
schenken Sie sie einem Mann. Machen<br />
Sie einen Heiratsantrag, wenn<br />
dieses Thema in Ihrer Beziehung im<br />
Raum steht. Seien Sie ehrlich <strong>und</strong><br />
sprechen Sie sich aus. Die Chancen<br />
stehen gut, dass Ihr Mut belohnt<br />
wird. Irgendwo platzt da bei Ihnen<br />
ein Knoten. Und glauben Sie uns, es<br />
wird eine Erlösung für Sie sein.<br />
Nr.10<br />
138 139<br />
Nr.10
impressum<br />
horoskop<br />
<strong>Fräulein</strong> ist eine<br />
Off One’s Rocker Ltd. Produktion<br />
mit Redaktionssitz:<br />
<strong>Fräulein</strong> Magazin<br />
Kurfürstenstraße 31-32<br />
10785 Berlin<br />
Telefon: +49 (0)30 2888 40 43<br />
Fax: +49 (0)30 2888 40 44<br />
info@fraeulein-magazin.com<br />
www.fraeulein-magazin.com<br />
Chefredakteur <strong>und</strong> Kreativdirektor<br />
V.i.S.d.P.<br />
Götz Offergeld<br />
Art Direktion<br />
Aoife Wasser<br />
Redaktion<br />
Stellvertretender Chefredakteur<br />
Hendrik Lakeberg<br />
Redaktionsleitung<br />
Anna Klusmeier<br />
Redaktion<br />
Ruben Donsbach, David Torcasso,<br />
Vanessa Obrecht<br />
Schlussredaktion<br />
Eckart Eisenblätter<br />
Grafik Department<br />
Jan-Nico Meyer<br />
Fotografen<br />
Debora Mittelstaedt, Katharina Poblotzki,<br />
Sabine Volz, Stefan Armbruster,<br />
Heiko Richard, Irina Gavrich, Bela Borsodi,<br />
Saskia Lawaks, Sandra Kaufmann,<br />
Marcel Schwickerath, Fridolin Schöpper,<br />
Jan Grarup<br />
RetuSChe<br />
Simon Geis/Recom, Lutz + Schmitt<br />
Illustratoren<br />
Anje Jager, Katrin Funcke, Zora Mann<br />
Autoren<br />
Olga Schlosser, Wäis Kiani, Mirna Funk,<br />
Daniel Seetal, Dirk Peitz, Katharina Finke,<br />
Michael Obert, Lisa Leinen<br />
Styling<br />
Christian Fritzenwanker, Felix Leblhuber,<br />
June Nakamoto @ Shotview<br />
Verlag<br />
Off Ones Rocker Publishing Ltd.<br />
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Herausgeber: Götz Offergeld<br />
Verlagsleiter: Hannes von Matthey<br />
Idee <strong>und</strong> Konzept: Götz Offergeld<br />
Vertrieb<br />
BPV Medien Vertrieb GmbH & Co. KG<br />
Römerstr. 90<br />
79618 Rheinfelden<br />
www.bpv-medien.com<br />
Druckerei<br />
Dierichs Druck+Media GmbH & Co. KG<br />
Frankfurter Str. 168<br />
34121 Kassel<br />
www.ddm.de<br />
Cover<br />
Foto: Heiko Richard<br />
Besonderer Dank an<br />
Malte Rettberg, Linda Sinewe<br />
Anzeigenverkauf:<br />
Nielsen 1 (Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein,<br />
Niedersachsen)<br />
Dirk Struwe, Medienvermarktung e.K.<br />
Poelchaukamp 8, 22301 Hamburg<br />
Telefon: +49 (0)40 280 580 80<br />
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Nielsen 2 (Nordrhein-Westfalen)<br />
Andreas Fuchs, Medienservice + Beratung<br />
Vereinsstr. 20, 41472 Neuss<br />
Telefon: +49 (0)2131 406 370<br />
Fax: +49 (0)2131 406 3710<br />
kontakt@medienservice-<strong>und</strong>-beratung.de<br />
Nielsen 3a (Hessen, Rheinland Pfalz, Saarland)<br />
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Palais Kronberg, Frankfurter Str. 111,<br />
61476 Kronberg<br />
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Nielsen 3b (Baden-Württemberg)<br />
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Bruno Marrenbach, MMS Marrenbach<br />
Medien-Service<br />
Lachenmeyerstr. 25, 81827 München<br />
Telefon: +49 (0)89 430 88 555<br />
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ITALIEN<br />
JB Media surl, Jeffrey Byrnes<br />
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Schütze<br />
23. November – 21. Dezember<br />
Es gibt viele Menschen, die lernen<br />
müssen, (sich) gehen zu lassen. Es<br />
wird viel zu viel gegrübelt auf dieser<br />
Welt! Aber Ausnehmen bestätigen<br />
bekanntlich die Regeln. Schützen<br />
sind im Moment so eine Ausnahme.<br />
Wir müssen Ihnen zunächst sagen,<br />
dass wir es begrüßen, wenn Sie<br />
sich auf Partys auf Kronleuchtern<br />
umherschwingen. Wir finden es unterhaltsam,<br />
Sie zu beobachten, wie<br />
Sie immer wieder die Stimmungskanone<br />
geben. Wir schätzen Ihren<br />
exzentrischen Stil <strong>und</strong> die Fähigkeit,<br />
Oberflächlichkeit als Kunstform<br />
zu zelebrieren. Aber Sie sind auch<br />
ein Meister der Verdrängung. Das<br />
könnte Ihnen in den nächsten<br />
Wochen zum Verhängnis werden.<br />
Denn einige von Ihnen werden sich<br />
erschöpft <strong>und</strong> ausgelaugt fühlen.<br />
Es könnten Sie Gedanken über die<br />
Sinnlosigkeit Ihres Lebens plagen.<br />
Deshalb: Vielleicht wenden Sie sich<br />
ab <strong>und</strong> zu mal mehr nach innen.<br />
Kommen Sie zur Ruhe <strong>und</strong> lassen<br />
Sie Ihre Traurigkeit zu. Hören Sie<br />
hin, wenn jemand redet, ohne gleich<br />
dazwischenzuquatschen. Versenken<br />
Sie sich in die Bilder von Casper<br />
David Friedrich oder in die Songs<br />
von Leonard Cohen. Lassen Sie sich<br />
mal richtig trösten.<br />
Steinbock<br />
22. Dezember – 20. Januar<br />
Sie haben keine einfache Zeit. Sie<br />
wissen nicht mehr, wo oben <strong>und</strong><br />
unten ist. Sie haben das Gefühl, alle<br />
zerren an Ihnen. E-Mails, SMS, Telefon,<br />
Facebook, Instagramm – überall<br />
will man was von Ihnen, aber Sie<br />
fragen sich: Was will ich eigentlich?<br />
Es sieht so aus, als würde für Sie<br />
die St<strong>und</strong>e der Wahrheit kommen.<br />
Wahrscheinlich unverhofft in einem<br />
Gespräch mit einer guten Fre<strong>und</strong>in<br />
oder zu Hause bei der Familie. Und<br />
glauben Sie uns, das wird gut sein.<br />
Auch wenn es Sie zunächst niederschmettert:<br />
Sie werden weinen <strong>und</strong><br />
dann von ganzem Herzen lachen.<br />
Beruhigen Sie sich, indem Sie sich<br />
sagen, dass all dies zum Leben dazugehört.<br />
Wir sind uns sicher, dass Sie<br />
wissen, dass es das Glück nicht ohne<br />
den Schmerz gibt. Wir raten Ihnen:<br />
Schalten Sie das Telefon mal aus,<br />
rufen Sie einen Tag keine E-Mail ab<br />
<strong>und</strong> spüren Sie sich selbst. Konzentrieren<br />
Sie sich dann auf die Arbeit.<br />
Sie werden so kreativ <strong>und</strong> produktiv<br />
sein wie lange nicht.<br />
Wassermann<br />
21. Januar – 19. Februar<br />
Sie sind ein Meister der Kommunikation.<br />
Eine geschickt <strong>und</strong> elegante<br />
Vermittlerin, eine Katalysator, der<br />
anderen zum Erfolg verhilft <strong>und</strong><br />
deshalb erfolgreich ist. Das gilt für<br />
das Berufs- wie für das Privatleben.<br />
Doch Ihre brillante Selbstbeherrschung<br />
wird herausgefordert: Gegen<br />
Ende des Monats Juni könnte es gut<br />
sein, dass Sie sich verlieben oder<br />
eine andere emotionale Erschütterung<br />
über Sie hereinbricht. Soweit<br />
wir das in den Sternen sehen<br />
können, hat dies keine negativen<br />
Konsequenzen. Im Gegenteil. Doch<br />
es verunsichert Sie. Bemühen Sie<br />
sich, Ihre Angst zu überwinden. Lassen<br />
Sie sich auf eine leidenschaftliche<br />
Affäre ein. Tuen Sie allgemein<br />
mal etwas Unvernünftiges. Plaudern<br />
Sie Betriebsgeheimnisse aus oder<br />
kaufen Sie sich einen teuren SUV,<br />
obwohl Sie mitten in der Stadt leben.<br />
Verstehen Sie, was wir meinen?<br />
Machen Sie einfach mal Fehler, denn<br />
nur aus denen lernt man.<br />
Fische<br />
20. Februar – 20. März<br />
Das Leben geht Ihnen leicht von<br />
der Hand, trotzdem haben Sie eine<br />
bewegende Zeit, in der in Ihrem<br />
Gefühlsleben viel passiert. Doch das<br />
überfordert Sie nicht, sondern bringt<br />
Sie weiter. Sie befinden sich in einer<br />
Zeit der Reife. Sie haben viel erreicht<br />
<strong>und</strong> ernten nun die Erfolge. Sie sind<br />
frei, sich zu entscheiden, wohin Sie<br />
gehen wollen. Einen neuen Job annehmen?<br />
Die Beziehung verfestigen?<br />
Kinder bekommen? Alles ist möglich<br />
<strong>und</strong> keine der Alternativen macht<br />
Ihnen Angst. Folgen Sie Ihrer Intuition.<br />
Sie sind in tune mit der Welt<br />
<strong>und</strong> die Chancen stehen bestens,<br />
dass alles an den richtigen Platz fällt.<br />
An alle Neider: Sorry, Leute, aber<br />
Fischen geht es einfach gut.<br />
Nr.10<br />
140 141<br />
Nr.10
händlerverzeichnis<br />
rätsel<br />
Illustration: Anje Jager<br />
Acne<br />
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Münzstr. 21<br />
10178 Berlin<br />
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American Apparel<br />
Deutschland GmbH<br />
Zollhof 10<br />
40221 Düsseldorf<br />
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American Apparel<br />
Münzstraße 19<br />
10178 Berlin<br />
Ann Demeulemeester<br />
Michèle Montagne<br />
184 rue Saint Maur<br />
75010 Paris<br />
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Ann Demeulemeester<br />
Leopold de Waelplaats<br />
2000 Antwerp<br />
A.P.C.<br />
Hommes Femme<br />
Magasin General<br />
112 Rue Vielle du Temple<br />
75003 Paris<br />
Shop:<br />
A.P.C.<br />
Hommes Femme<br />
Magasin General<br />
Fasanenstr. 22<br />
10719 Berlin<br />
Artdeco<br />
ARTDECO cosmetic<br />
GmbH<br />
Gaußstr. 13<br />
85757 Karlsruhe<br />
Shop:<br />
GALERIA KAUFHOF<br />
GMBH<br />
Parfümerie Fabiani<br />
Alexanderplatz 9<br />
10178 Berlin<br />
Balmain<br />
KDC Worldwide<br />
13, rue du Mail<br />
75002 Paris<br />
Shop:<br />
Balmain<br />
135, rue de la Pompe<br />
75016 Paris<br />
Bottega Veneta<br />
Loews GmbH<br />
LENBACHPLATZ 3<br />
80333 MÜNCHEN<br />
Shop:<br />
Departmentstore<br />
Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Brunello Cucinelli<br />
Brunello Cucinelli<br />
Via Dell'Industria 5<br />
Frazione Solomeo<br />
Shop:<br />
Brunello Cucinelli<br />
Kurfürstendamm 194<br />
10707 Berlin<br />
Burberry<br />
Loews GmbH<br />
LENBACHPLATZ 3<br />
80333 MÜNCHEN<br />
Shop:<br />
Burberry<br />
Kurfürstendamm 183<br />
10707 Berlin<br />
Cartier<br />
Cartier<br />
Richemont Northern<br />
Europe GmbH<br />
Landsberger Str. 302-306<br />
80687 München<br />
Shop:<br />
Cartier<br />
Kurfürstendamm 188-189<br />
10707 Berlin<br />
Céline<br />
Céline Press Office<br />
23-25, rue du Pont-Neuf<br />
75001 PARIS<br />
Shop:<br />
Céline Boutique Kadewe<br />
Tauentzienstr. 21<br />
10785 Berlin<br />
Chloé<br />
Chloé<br />
5-7 Av Percier<br />
75008 Paris<br />
Shop:<br />
Galerie Lafayette<br />
Friedrichstr. 76<br />
10117 Berlin<br />
Comme des gArçons<br />
Comme des Garçons<br />
16, place Vendôme<br />
75001 Paris<br />
Shop:<br />
Comme des Garçons<br />
Linienstrasse 115<br />
10115 Berlin, Germany<br />
Converse<br />
Schröder+Schömbs PR<br />
GmbH<br />
Torstr. 107<br />
10119 Berlin<br />
Shop:<br />
Converse Store<br />
Münzstr. 18<br />
10178 Berlin<br />
Diesel<br />
DIESEL DEUTSCHLAND<br />
GMBH<br />
RATHER STRASSE 49b<br />
40476 DÜSSELDORF<br />
Shop:<br />
Diesel<br />
Neue Schönhauser Str. 21<br />
10178 Berlin<br />
Diesel Black Gold<br />
Henri + Frank Public<br />
Relations<br />
Schopenstehl 22<br />
20095 Hamburg<br />
Shop:<br />
Diesel<br />
Neue Schönhauser Str. 21<br />
10178 Berlin<br />
Dries van Noten<br />
henri+frank public<br />
relations<br />
Hegestr. 40<br />
20251 Hamburg<br />
Shop:<br />
SOTO Store Berlin<br />
Torstraße 72<br />
10119 Berlin<br />
DSTM<br />
DSTM<br />
Zehdenickerstr. 25<br />
10119 Berlin<br />
Shop:<br />
DSTM<br />
Zehdenickerstr. 25<br />
10119 Berlin<br />
Emilio PuCCi<br />
Karla Otto Milan<br />
Via dell’Annunciata 2<br />
Milan, 20121<br />
Shop:<br />
KaDeWe<br />
Tauentzienstraße 21-24<br />
10789 Berlin<br />
Filippa K<br />
Fake PR<br />
Münzstr. 13-15<br />
10178 Berlin<br />
Shop:<br />
Alte Schönhauser<br />
Straße 11<br />
10119 Berlin<br />
G-Star Jeans<br />
Schöller&von<br />
Rehlingen PR<br />
Johnsallee 22<br />
20148 Hamburg<br />
Shop:<br />
G-Star Jeans<br />
Oranienburger Straße 12<br />
10178 Berlin<br />
Giorgio Armani<br />
Giorgio Armani Retail<br />
s.r.l.<br />
Maximilianstraße 32<br />
80539 München<br />
Shop:<br />
Eporio Armani Berlin<br />
Friedrichstr. 169/170<br />
10117 Berlin<br />
Givenchy<br />
Givenchy Press Department<br />
2, avenue Montaigne<br />
75008 Paris<br />
Shop:<br />
Quartier 207<br />
Friedrichstraße 76-78<br />
10117 Berlin<br />
Gucci<br />
Network Public Relations<br />
GmbH<br />
Hallerstraße 76<br />
20146 Hamburg<br />
Shop:<br />
Gucci Store<br />
Französische Straße 23<br />
10117 Berlin<br />
Haider Ackermann<br />
Michèle Montagne<br />
184, rue Saint Maur<br />
75010 Paris<br />
Shop:<br />
Atelier Haider Ackermann<br />
Populierenlaan 34<br />
2020 Antwerp<br />
Hermès<br />
Hermès GmbH<br />
Marstallstr. 8<br />
80539 München<br />
Shop:<br />
Hermès Store<br />
Kurfürstendamm 58<br />
10707 Berlin<br />
Isabel Marant<br />
KCD Paris<br />
13, rue du Mail<br />
75002 Paris<br />
Shop:<br />
16, rue de Charonne<br />
75011 paris<br />
James CAStle<br />
James Castle<br />
Kastanienallee 56<br />
10119 Berlin<br />
Shop:<br />
James Castle<br />
Kastanienallee 56<br />
10119 Berlin<br />
Jeonga Choi<br />
Jeonga Choi Berlin<br />
Zellestr. 2a<br />
10247 Berlin<br />
Shop:<br />
Jeonga Choi Berlin<br />
Zellestr. 2a<br />
10247 Berlin<br />
Jil Sander<br />
Loews GmbH<br />
LENBACHPLATZ 3<br />
80333 MÜNCHEN<br />
Shop:<br />
Jil Sander<br />
Kurfürstendamm 185<br />
10707 Berlin<br />
Layer-0<br />
Layers London<br />
16 Conduit Street<br />
London<br />
W1S 2XL<br />
Shop:<br />
Boutique Chegini<br />
Kohlmarkt 7<br />
1010 Wien<br />
Levi’s<br />
Silk Relations GmbH<br />
Rückerstr. 4<br />
10119 Berlin<br />
Shop:<br />
Buttenheim Levis Store<br />
Memhardstraße 7<br />
10178 Berlin<br />
Lick my Legs<br />
contact@lick-my-legs.<br />
com<br />
Shop:<br />
BE A GOOD GIRL<br />
Westbahnstrasse 5a<br />
1070 Wien<br />
Liebeskind<br />
LIEBESKIND GmbH &<br />
Co. KG<br />
Alter Fischmarkt 1<br />
48143 Münster<br />
Shop:<br />
Liebeskind Berlin Store<br />
Alexa Shopping Centre<br />
Grunerstr. 20<br />
10179 berlin<br />
<strong>Lou</strong>is Vuitton<br />
<strong>Lou</strong>is Vuitton Deutschland<br />
GmbH<br />
Maximilianstraße 2a<br />
80539 München<br />
Shop:<br />
<strong>Lou</strong>is Vuitton<br />
Maximilianstraße 12<br />
80539 München<br />
M Missoni<br />
VALENTINO FASHION<br />
GROUP S.p.A.<br />
Via Ferrante Aporti 8<br />
5th floor<br />
20125 Milano – Italy<br />
Shop:<br />
Departmentstore Quartier<br />
206<br />
Friedrichstraße 71<br />
10117 Berlin<br />
Maison Martin Margiela<br />
henri+frank public<br />
relations<br />
Hegestr. 40<br />
20251 Hamburg<br />
Shop:<br />
Greta + Luis<br />
Rosenthaler Straße 15<br />
10119 Berlin<br />
Marc by mArc Jacobs<br />
Store:<br />
Departmentstore<br />
Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Marc Jacobs<br />
Store:<br />
Departmentstore<br />
Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
MM6<br />
henri+frank public<br />
relations<br />
Hegestr. 40<br />
20251 Hamburg<br />
Shop:<br />
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Rosenthaler Straße 15<br />
10119 Berlin<br />
MTWTFSS Weekday<br />
Agency V<br />
Graefestraße 71<br />
10967 Berlin<br />
Shop:<br />
Weekday Store<br />
Friedrichstraße 140<br />
10117 Berlin<br />
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Graefestraße 71<br />
10967 Berlin<br />
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Strasse 6<br />
10178 Berlin<br />
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New York, NY 10001<br />
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New York, NY 10013<br />
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1060 Wien<br />
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1010 Wien<br />
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Prada<br />
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10707 Berlin<br />
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Rosenheimer Str. 145e<br />
81671 München<br />
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Tauentzienstr. 21-24<br />
10785 Berlin<br />
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Andrea leitnner Public<br />
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Wollzeile 22/15<br />
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Nr.10<br />
142 143<br />
Nr.10
sachen gibt es<br />
Text: David Torcasso<br />
frauen <strong>und</strong> macht<br />
Das 21. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
gilt als DAs<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert der<br />
Frau. Auch wenn<br />
es noch viel<br />
NachholbeDArf<br />
gibt, besetzen<br />
Frauen weltweit<br />
immer häufiger<br />
Machtpositionen.<br />
Was zeichnet<br />
sie aus?<br />
Die KäMPFERIn: SHERYLL SANDBERG<br />
Letztes Jahr wurde Sheryll Sandberg durch das US-Magazin „Forbes“ zur fünftmächtigsten<br />
Frau der Welt gewählt. Die operative Geschäftsführerin von Facebook setzt sich wie kaum<br />
eine andere für die Rolle der Frau in der Geschäftswelt ein. Gleichzeitig kritisiert sie, Frauen<br />
stünden sich beim beruflichen Aufstieg selbst im Weg . „Übernehmt Verantwortung!“,<br />
verlangt Sandberg in ihrem neuen Buch „Lean In: Frauen <strong>und</strong> der Wille zum Erfolg“. Mit ihrer<br />
musterhaften Biografie kann sie sich das erlauben: Die Amerikanerin arbeitete schon bei<br />
Google <strong>und</strong> als Stabschefin im US-Finanzministerium. Dank ihres Aktien-Besitzes gehört sie<br />
nicht nur zu den mächtigsten, sondern auch zu den reichsten Frauen der Welt.<br />
Die Jongleurin: CHRISTINE LAGARDE<br />
Christine Lagarde ist mächtig, weil Geld Macht verleiht. Seit vergangenem Jahr ist sie die<br />
erste Frau an der Spitze des Internationalen Währungsfonds <strong>und</strong> führt den IWF durch die<br />
Banken- <strong>und</strong> Finanzkrise. Kein einfacher Job. Als Bestandteil der „Troika“ (bestehend aus<br />
IWF, Europäischer Kommission <strong>und</strong> Zentralbank) entscheidet sie aktiv über den Ankauf<br />
von Staatsanleihen in Krisenländern wie Griechenland, Spanien oder Zypern mit. Das hat ihr<br />
nicht nur Fre<strong>und</strong>e gemacht. Trotzdem wird die elegante Dame mit den schwarzen Blousons,<br />
der französischen Eleganz <strong>und</strong> den würdevoll ergrauten Haaren wie keine andere geschätzt.<br />
Lagarde wird respektiert, weil sie eine klare Linie hat <strong>und</strong> sich durchsetzen kann, ohne laut<br />
zu werden. Sie nutzt ihren Stand als Frau selbstbewusst in einer von Männern dominierten<br />
(Finanz-)Welt. Bisher mit Erfolg.<br />
Die AUSERWähLTE: JILL ABRAMSON<br />
Es gibt zwar mehr Journalistinnen als Journalisten - aber nicht in Spitzenpositionen. Jill Abramson ist da eine große Ausnahme. Sie ist die Chefredakteurin<br />
der wichtigsten Zeitung der Welt: der New York Times. Wie allerorten brechen im amerikanischen Printjournalismus die Gewinne ein. Gleichzeitig muss<br />
die New York Times gegen harte Konkurrenz um ihren Ruf kämpfen. Bei der diesjährigen Verleihung der Pulitzerpreise, der Oscarverleihung des amerikanischen<br />
Journalismus- <strong>und</strong> Literaturbetriebs, wurde die Times dann gleich viermal ausgezeichnet. Abramson selbst sagt, sie sei stolz darauf, es als erste<br />
Frau in der 100-jährigen Zeitungsgeschichte an die Spitze geschafft zu haben. Fast wäre es dazu aber gar nicht erst gekommen. Vor vier Jahren wurde die<br />
zierliche Frau, die seit einer Dekade bei der New York Times arbeitet, von einem Lastwagen überfahren. Nach einigen Wochen war sie wieder im Büro. Das<br />
nennt man wohl Durchsetzungswillen.<br />
Die Aufsteigerin: DILMA ROUSSEFF<br />
Dilma Rousseff ist seit Januar 2011 die erste Präsidentin von Brasilien. Ein besonderer Posten, da Brasilien als eine der aufstrebenden Nationen der Welt gilt<br />
<strong>und</strong> sich in den letzen Jahren zur sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt gemausert hat. Die 63-jährige Linkspolitikerin hat eine bewegte Vergangenheit. In<br />
den 60er-Jahren schloss sie sich der Guerilla gegen die damalige Militärdiktatur an. 1970 wurde sie verhaftet <strong>und</strong> nach eigenem Bek<strong>und</strong>en 22 Tage lang gefoltert.<br />
Nach dem Ende der Diktatur ging sie in die Politik. Eine starke Frau, gewiss. Gefördert wurde Rouseff jedoch von einem Mann: von Lula da Silva. Als<br />
der 2002 Präsident wurde, beorderte er Rouseff in sein Kabinett. 2010 schlug er sie als seine Nachfolgerin vor. Nun will die nicht unumstrittene Präsidentin<br />
Zeichen setzen: Oberste Priorität hat für sie die Armutsbekämpfung in Brasilien sowie der Schutz natürlicher Ressourcen. An Mut mangelt es ihr jedenfalls<br />
nicht. Selbst mit Angela Merkel hat sie sich schon wegen ihrer Fiskalpolitik in der Eurozone angelegt.<br />
Die Mächtige: ANGELA MERKEL<br />
Natürlich darf Angela Merkel in einer Liste der mächtigsten Frauen der Welt nicht fehlen. Nicht nur, weil sie als unangefochtene B<strong>und</strong>eskanzlerin die<br />
viertgrößte Volkswirtschaft der Welt lenkt, sondern auch, weil sie in der Finanzkrise zur wichtigsten Politikerin in Europa <strong>und</strong> damit der Welt geworden ist.<br />
Zugute kam der studierten Physikerin, dass sie von Anfang an unterschätzt wurde. Niemand wollte der leisen Protestantin aus dem Osten zutrauen, den<br />
katholischen Männerverein CDU hinter sich zu bringen. Demütigungen nahm sie ungerührt hin. Mit Kalkül <strong>und</strong> Beharrlichkeit stach sie ihre Kontrahenten<br />
aus: ob Roland Koch, Christian Wulff oder Friedrich Merz. Dabei zeigt Merkel, die privat sehr humorvoll sein soll, kaum Emotionen, wägt Entscheidungen<br />
ab wie ein Manager. Ihr geht es nicht um das Prinzip. Merkel ist eine Sachverwalterin der Macht <strong>und</strong> vielleicht gerade darum in Zeiten der Krise so beliebt<br />
wie nie zuvor. Gewinnt sie die nächste Wahl, dann könnte sie, so heißt es im politischen Berlin, zur Mitte der kommenden Legislaturperiode auf dem Höhepunkt<br />
ihrer Macht freiwillig zurücktreten.<br />
Nr.10<br />
144<br />
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