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Interview Heidi! (Vorschau)

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INHALT<br />

MÄRZ 2013<br />

START<br />

SMALL TALK<br />

Kleine Gespräche mit großen Leuten:<br />

RYAN McGINLEY, DAPHNE GUINNESS, NORA<br />

TSCHIRNER, KERRY WASHINGTON & JAMIE FOXX<br />

Seite 43<br />

Foto GIAMPAOLO SGURA<br />

Styling KLAUS STOCKHAUSEN<br />

Komplettlook mit Accessoires & Schmuck<br />

GIORGIO ARMANI FRÜHJAHR/SOMMER 2013<br />

ITALIENISCHER EXPRESSIONISMUS:<br />

ARMANI SOMMER 2013<br />

SUPERSTARS<br />

Auf dem Weg nach vorn: Die Schauspielerin MARIA EHRICH<br />

& der Künstler ARTIE VIERKANT<br />

Seite 46<br />

NAOMI CAMPBELL<br />

trifft die Schauspielerin CAMERON DIAZ<br />

Seite 50<br />

WOW!<br />

Schöne Dinge, komplizierte Uhren, Antonio Lopez und die zwei<br />

meistbeschäftigten Models der Saison – die Gebrauchs anweisung<br />

für den März<br />

Seite 54<br />

JEANS<br />

Blaues tragen wie die Supermodels in den Neunzigern<br />

Seite 64<br />

HELENE HEGEMANN<br />

CLASSICS: Die Kolumne über das, was bleibt<br />

Seite 68<br />

DIE PANZERKNACKERINNEN<br />

Nachts im KaDeWe: Neue Mode als Comic<br />

Seite 75<br />

JOHN IRVING<br />

Eine Zugfahrt mit dem großen amerikanischen Literaten<br />

Seite 78<br />

NOW!<br />

Neue Musik, gute Filme, interessante Ausstellungen und die<br />

Formel Beyoncé Knowles<br />

Seite 82<br />

<strong>Heidi</strong> Klum<br />

Foto RANKIN<br />

Styling MARYAM MALAKPOUR<br />

Haare MICHEL ALEMAN/<br />

BRYAN BANTRY<br />

Make-up LINDA HAY/WALL GROUP<br />

MIT PRODUKTEN VON ASTOR<br />

Body JEREMY SCOTT<br />

Strumpfhose WOLFORD<br />

27<br />

BEAUTY<br />

NEWS:<br />

Make-up, Düfte, Beauty-Beichten<br />

Seite 84<br />

KOLUMNE:<br />

Basisarbeit für die Haut<br />

Seite 86<br />

INSPIRATION:<br />

Back to BLACK<br />

Seite 87


STORIES<br />

inhalt<br />

Illustration: Grace Coddington, Grace. A Memoir/Random House<br />

HEIdI Klum<br />

Am 29. April 1992 schrieb ein Moderator Fernsehgeschichte:<br />

Thomas Gottschalk kürte aus 25 000 Mädchen das „Model 92“.<br />

20 Jahre später baten wir den blonden Entertainer,<br />

seine größte Entdeckung noch einmal zu treffen<br />

Von THOMAS GOTTSCHALK<br />

Seite 92<br />

AGYNESS dEYN<br />

Von den Laufstegen in Paris auf die Boulevards von Hollywood:<br />

In ihrem neuen Film spielt das Exmodel eine Stripperin<br />

Von DAVID AMSDEN<br />

Seite 104<br />

KENNETH ANGER<br />

Seine Filme beeinflussten Generationen von Regisseuren und<br />

Künstlern. Bekannt wurde der Avantgarde-Regisseur jedoch erst<br />

mit seinem Skandalbestseller Hollywood Babylon. In den<br />

Neben rollen: Tom Cruise, Charles Manson und der Leibhaftige<br />

Von JÖRG HARLAN ROHLEDER<br />

Seite 110<br />

lENA duNHAm<br />

Sex? Peinlich bis normal. Aussehen? Unterdurchschnittlich<br />

bis okay. Mit ihrer Serie Girls wurde die 26-jährige Amerikanerin<br />

zur Stimme einer neuen Frauengeneration<br />

Von MIRANDA JULY<br />

Seite 116<br />

GRACE COddINGTON<br />

Der Teufel trägt vielleicht Prada, doch Grace Coddington<br />

ist die Seele der amerikanischen Vogue.<br />

Ein Gespräch mit der einzigen Frau, die keine Schnappatmung<br />

bekommt, wenn Anna Wintour den Raum betritt<br />

Von NICOLAS GHESQUIÈRE<br />

Seite 124<br />

ARmANI<br />

Ein leicht verhangener Blick auf die aktuelle Kollektion<br />

des Großmeisters italienischer Eleganz<br />

Fotografiert von GIAMPAOLO SGURA<br />

Seite 132<br />

OSKAR ROEHlER<br />

Provinzflüchtling, Punk, Regisseur: Die Filme dieses Mannes<br />

sind das Gegengift zur neuen deutschen Volkskomödie<br />

Von LAURA EWERT<br />

Seite 140<br />

FASHION I<br />

Der letzte Tango<br />

Fotografiert von HORST DIEKGERDES<br />

Seite 146<br />

JOAQuIN PHOENIX<br />

Die Dokumentation I’m Still Here war der goldene Airbag für die<br />

implodierte Karriere des amerikanischen Schauspielers.<br />

Seine neue Rolle ist nicht weniger exzentrisch: The Master erzählt<br />

lose das Leben des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard<br />

Von ELVIS MITCHELL<br />

Seite 158<br />

FASHION II<br />

Haute Couture Frühjahr/Sommer 2013<br />

Fotografiert von MARKUS JANS<br />

Seite 164<br />

Foto rankin, styling MaryaM MalakPoUr,<br />

Make-up linda hay/Wall groUP Mit ProdUkten Von astor<br />

haare Michel aleMan/bryan bantry<br />

kleid t by alexander Wang, Jacke kenzo,<br />

strumpfhose WolFord, kette & armband (rechts oben)<br />

delFina delettrez, armband (rechts unten) a Peace treaty,<br />

Manschette (links) Maiyet, schuhe gUcci<br />

Fashion Police: anna WintoUr,<br />

Marc Jacobs & grace coddington<br />

29<br />

Uns heidi,<br />

los angeles, 2013<br />

PS<br />

KuRzGESCHICHTE<br />

Die öffentliche Ordnung<br />

Von OLGA GRJASNOWA<br />

Seite 176<br />

PARTY<br />

Fashion Week Berlin,<br />

backstage bei Hugo Boss,<br />

Pret a Diner<br />

Seite 178<br />

FlASHBACK<br />

London swingt, Twiggy tanzt<br />

Seite 186<br />

editoriAl s. 33<br />

iMPressUM s. 36<br />

MitArbeiter s. 40<br />

AbonneMent s. 181<br />

herstellernachWeis s. 184


editoriAl<br />

Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser,<br />

anlässlich unserer Modeausgabe<br />

zur neuen Saison hier nun die ewigen<br />

Weisheiten von MADONNA.<br />

Dress You Up, leicht modifiziert:<br />

You’ve got style, that’s what people say<br />

Satin sheets and luxuries so fine<br />

All your suits are custom made in London<br />

But we’ve got something that you’ll really like<br />

Gonna dress you up in our love<br />

All over, all over<br />

We gonna dress you up with love<br />

All over your body<br />

Feel the silky touch of the caresses<br />

They will keep you looking so brand new<br />

Let’s cover you with velvet kisses<br />

We’ll create a look that’s made for you<br />

Gonna dress you up in our love, in love<br />

All over your body, all over your body<br />

with love<br />

All over, all over<br />

From your head down to your toes<br />

Foto: Oliver Helbig<br />

Herzlichst<br />

Ihr Joerg Koch<br />

33


ITALSERVICES S.p.A. www.cycleonweb.com<br />

ITALSERVICES S.p.A. www.cycleonweb.com


Editor in Chief Joerg Koch<br />

HUGO BOSS AG Phone +49 7123 940<br />

Executive Editors Jörg harlan RohledeR, Adriano SAcK<br />

Art Director Mike MeiRé<br />

Fashion Director Klaus StocKhAuSen<br />

Photography Director Frank Seidlitz<br />

Redaktion<br />

Editors laura eweRt, harald PeteRS, Beauty Editor Bettina BRenn<br />

Assistant Photography dorothea FiedleR, Assistant Fashion caroline leMBlé<br />

Assistant Redaktion Rebecca hoFFMAnn, Praktikant Fashion Adrian FeKete<br />

digital<br />

Editor nina Scholz<br />

International Editor Aliona doletSKAyA<br />

International Editor at Large naomi cAMPBell<br />

Art<br />

tim GieSen<br />

hannes AechteR, Agnes GRüB<br />

Managing Editor und Chef vom Dienst Silke Menzel<br />

Textchefin elisabeth SchMidt<br />

Schlussredaktion ulrike MAtteRn, Ralph SchünGel<br />

Mitarbeiter dieser Ausgabe<br />

david AMSden, Bendix BAueR, heike BlüMneR, Katharina BÖhM, ludger BooMS,<br />

Jan BRAndt, Gro cuRtiS, nicolas GheSquièRe, thomas GottSchAlK,<br />

olga GRJASnowA, Sönke hAllMAnn, helene heGeMAnn,<br />

Miranda July, Setsuko KloSSowSKA de RolA, Maryam MAlAKPouR,<br />

elvis Mitchell, ingo nAhRwold, niki PAulS, elin SvAhn,<br />

Karl teMPleR, christina vAciRcA, Patti wilSon<br />

Fotografen dieser Ausgabe<br />

Maxime BAlleSteRoS, dAniele + iAnGo, Amanda deMMe,<br />

horst dieKGeRdeS, christian FeRRetti, Amos FRicKe, Gregory hARRiS, Markus JAnS,<br />

Bella lieBeRBeRG, Jonas lindStRÖM, Michael MAnn, craig McdeAn,<br />

Stefan Milev, RAnKin, Giampaolo SGuRA, Alexander StRAulino<br />

Produktion<br />

Lithografie MAx-coloR, wrangelstraße 64, 10997 Berlin<br />

Druck Mohn MediA MohndRucK GMBh, carl-Bertelsmann-Straße 161 M, 33311 Gütersloh<br />

Manufacturing Director oleg noviKov<br />

verantwortlich für den redaktionellen inhalt<br />

Joerg Koch<br />

Board of directors interview Publishing house Germany<br />

vladislav doRonin, Bernd RunGe<br />

BMP Media holdings, llc<br />

Chairman Peter M. BRAnt<br />

www.iNterview.De<br />

36<br />

SHOP ONLINE HUGOBOSS.COM


Herausgeber und Geschäftsführer Bernd Runge<br />

Publishing Director Anja Schwing<br />

Anzeigen<br />

Sales Director (Nielsen I, II, IIIa, V, VI, VII) iris gRäBneR<br />

Tel.: 030/2000 89-120, iris.graebner@atelier-publications.de<br />

Sales Director (Nielsen II, IIIb, IV, Österreich) Tanja SchRADeR<br />

Tel.: 089/35 63 77 44, tanja.schrader@atelier-publications.de<br />

Frankreich Valérie DeSchAMPS-wRighT<br />

escalier D, 2 étage gauche, 25–27 rue Danielle casanova, 75001 Paris<br />

Tel.: 00 33/6/04 65 26 51, valerie.deschamps-wright@interviewint.com<br />

Italien Fabio MonToBBio<br />

Rock Media, Largo cairoli, 2, 20121 Mailand<br />

Tel.: 00 39/02/78 26 08, info@rockmedia.it<br />

Advertising Service Manager Jacqueline ZioB (Ltg.), Susann BuchRoTh<br />

Tel.: 030/2000 89-121, jacqueline.ziob@atelier-publications.de<br />

Director of Marketing & Communications Stephanie FReSLe<br />

Project Manager Marketing & Special Projects charlotte wieDeMAnn<br />

Project Manager Sales wilkin SchRÖDeR, Interns eva BAuReiS, Kara woLF<br />

Assistenz Rafael hAyMAnn, Tel.: 030/2000 89-122,<br />

Kathleen MASSieReR, Tel.: 030/2000 89-165<br />

Cagol Fashion Company Düsseldorf, t. +49 211 458 22 00 * www.blumarine.com<br />

IT Manager Patrick hARTwig<br />

Office Manager hilko RenTeL<br />

Verantwortlich für Anzeigen<br />

Atelier Publications Deutschland gmbh & co. Kg<br />

Mommsenstraße 57, 10629 Berlin<br />

Tel.: 030/2000 89-0, Fax: 030/2000 89-112<br />

Geschäftsführer Anja Schwing<br />

Vertrieb<br />

Pressup gmbh, Postfach 701311, 22013 hamburg<br />

vertrieb@pressup.de<br />

einzelheftbestellungen<br />

Preise, Verfügbarkeit und Bestellungen unter www.interview.de/einzelheft,<br />

bei weiteren Fragen Tel.: 030/2000 89-164<br />

Abonnentenbetreuung<br />

interview-Leserservice, Pressup gmbh, Postfach 701311, 22013 hamburg<br />

abo@interview.de, Tel.: 0 40/41 448-480<br />

interview erscheint zehnmal im Jahr in der interview Ph gmbh.<br />

Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste vom 1. Januar 2013.<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Für unverlangt eingesandtes Text- und Bildmaterial wird<br />

keine haftung übernommen.<br />

Andy warhol’s interview (TM). All rights reserved.<br />

interview germany is published under a sublicense from LLc Publishing house interview;<br />

interview is a registered trademark of interview inc.<br />

Reproduction in any manner in any language in whole or in part<br />

without prior written permission is prohibited.<br />

interview Ph gmbh, Mommsenstraße 57, 10629 Berlin, Tel.: 030/2000 89-0<br />

38


MITARBEITER<br />

Thomas GOTTSCHALK<br />

„Mein Name ist Thomas Rottschalk, ich möchte zu<br />

meinem Bruder Gregor“, meldet ein Schlaks auf Klassenfahrt<br />

dem Pförtner des Radiosenders RIAS. Minuten<br />

später steht der sehr junge Thomas Gottschalk<br />

einem staunenden Starmoderator Gregor Rottschalk<br />

im Studio gegenüber. Wie Millionen andere Menschen<br />

nach ihm muss der echte Rottschalk über die<br />

Chuzpe von Gottschalk einfach nur lachen. Der Rest<br />

ist Geschichte. Dass Thomas Gottschalk, 62, in dieser<br />

Ausgabe das Gespräch mit der anderen berühmtesten<br />

Blondine Deutschlands, <strong>Heidi</strong> Klum, führt, ist kein<br />

Zufall. 1992 orakelte Thomas Gottschalk das Model<br />

mit einem „Dein Leben wird sich jetzt beträchtlich<br />

verändern“ von der Bühne, nachdem die 19-Jährige<br />

gerade den Modelwettbewerb der Sendung Gottschalk<br />

Late Night gewonnen hatte. Deshalb ist niemand besser<br />

geeignet, um in Los Angeles bei <strong>Heidi</strong> Klum nach<br />

einem turbulenten Jahr den aktuellen Stand der Dinge<br />

zu erfragen.<br />

Seite 92<br />

Nicolas GHESQUIÈRE<br />

Für Nicolas Ghesquière ist Grace Coddington, die<br />

Kreativdirektorin der amerikanischen Vogue, das Beste,<br />

was einem Designer passieren kann. „Eine respektvollere<br />

Zusammenarbeit kann man sich eigentlich gar<br />

nicht vorstellen“, sagt der Modeschöpfer, der Coddington<br />

in Paris im Rahmen der Fashion Week gesprochen<br />

hat. Ghesquière spricht aus eigener Erfahrung.<br />

Beide hatten bereits oft miteinander zu tun,<br />

unter anderem bei der Arbeit an einer Taschen- und<br />

Schalkollektion, die nach Grace Coddingtons Katze<br />

benannt war und folglich den Namen Pumpkin, also<br />

Kürbis, trug. „Es geht ihr dabei nicht nur um die Geschichte“,<br />

sagt Ghesquière, „sie interessiert sich auch<br />

für das Design und den Herstellungsprozess.“ Anderthalb<br />

Jahrzehnte war Ghesquière der gefeierte Kreativdirektor<br />

von Balenciaga. Zurzeit wartet die Modewelt<br />

auf seinen nächsten Karriereschritt.<br />

Seite 124<br />

Miranda JULY<br />

Filmemacherin, Schauspielerin, Künstlerin, Musikerin,<br />

Schriftstellerin, Feministin, Modeliebhaberin,<br />

Sockenmodel und rundherum aparte Erscheinung.<br />

Die Amerikanerin Miranda July, die auch mal ganz<br />

kurz in Berlin-Kreuzberg wohnte, ist 1974 geboren<br />

und sozusagen ein Allroundtalent. Eine ihrer letzten<br />

Großtaten war der Film The Future, der die problematische<br />

Geschichte eines Liebespaares vor dem<br />

Hintergrund einer sprechenden Katze erzählt, die mit<br />

dem Tod kämpft. Für <strong>Interview</strong> hat sich July mit der<br />

ebenfalls vielseitigen Regisseurin, Schauspielerin und<br />

Autorin Lena Dunham unterhalten, seit dem durchschlagenden<br />

Erfolg ihrer Serie Girls dem unwahrscheinlichsten<br />

Darling unserer Zeit.<br />

Seite 116<br />

vtwob.com<br />

RANKIN<br />

Es ist nicht möglich, die Arbeit des Fotografen Rankin,<br />

46, zu beschreiben, ohne dass es wie ein angeberischer<br />

Wikipedia-Eintrag klingt: Nach seinem Studium<br />

in London gründete er 1991 zusammen mit<br />

Jefferson Hack das Magazin Dazed & Confused. Er ist<br />

Herausgeber von Another Magazine und außerdem<br />

seines eigenen Fashion-Magazins Rank. Das hält ihn<br />

natürlich nicht davon ab, auch noch die schönsten<br />

und berühmtesten Menschen der Welt zu fotografieren,<br />

von Kate Moss über Damien Hirst, Queen Elizabeth,<br />

Madonna, David Bowie bis Cate Blanchett,<br />

um nur einige zu nennen. Für uns fotografierte er in<br />

dieser Ausgabe <strong>Heidi</strong> Klum, die seine Bilder so sehr<br />

liebt, dass sie sich mit ihm schon in ihrem Coffee-<br />

Table-Buch <strong>Heidi</strong>licious verewigt hat.<br />

Seite 92<br />

Olga GRJASNOWA<br />

Mit ihrem Debütroman Der Russe ist einer, der Birken<br />

liebt war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert,<br />

für uns schrieb sie jetzt exklusiv eine Kurzgeschichte.<br />

Grjasnowa ist 1984 in Aserbaidschan geboren, studierte<br />

in Polen, Russland und Israel, besuchte das Literaturinstitut<br />

in Leipzig, mag Bernhardiner-Hunde<br />

und sagt, sie habe eine langweilige Biografie. Ihr<br />

schriftstellerisches Werk zumindest kann nicht als<br />

langweilig bezeichnet werden.<br />

Seite 176<br />

Bendix BAUER<br />

Er kam in München zur Welt, wuchs in St. Peter-<br />

Ording auf, studierte in Hamburg und lebt heute in<br />

Berlin. Der Illustrator Bendix Bauer, Jahrgang 1972,<br />

war sozusagen an allen gesellschaftlichen Knotenpunkten<br />

des Landes aktiv. Hinsichtlich seiner Arbeit ist<br />

Bendix ähnlich breit aufgestellt. Ob nun Mode, Werbung<br />

und Magazine oder Zeichnung, Scherenschnitt<br />

oder Drucke. Neben dem Comic über modebewusste<br />

Kaufhausräuberinnen, das er exklusiv für <strong>Interview</strong> gezeichnet<br />

hat, nennt er die Tom Of Sinland-Reihe für das<br />

Horst-Magazin als einen Höhepunkt seines Schaffens.<br />

Dafür hat er Modemacher als nackig-muskulöse Pornokerls<br />

gezeichnet. Jean Paul Gaultier fand sich derart<br />

gut getroffen, dass er sein Porträt prompt kaufte.<br />

Seite 75<br />

Fotos: Michael Kovac/Getty Images; Getty Images; David Livingston/Getty Images; René Fietzek; Oliver Mark<br />

Yvonne Catterfeld<br />

for<br />

semi-couture.it<br />

40


henrycottons.it<br />

Spring / Summer 2013<br />

pEopLE<br />

SmallTaLK<br />

Kleine Gespräche mit großen Leuten:<br />

Ryan McGINLEY, Daphne GUINNESS, Nora TSCHIRNER,<br />

Kerry waSHINGToN & Jamie foxx<br />

„tRäuMen<br />

leMuRen<br />

von<br />

eineR ModelkaRRieRe?”<br />

Der Künstler RYaN<br />

McGINLEY erklärt,<br />

warum Tiere Menschen<br />

interessanter machen<br />

a<br />

at the<br />

HolIDaY Il PellIcano DIaRY<br />

Monte argentario<br />

Porto ercole<br />

Italy<br />

Foto: Ryan McGinley, Lemur (Carolina Blue), 2012, c-print, 24 x 16 inches, 61 x 40.6 cm, courtesy of the artist and Team Gallery, New York<br />

Je unheiMlicheR, desto besseR:<br />

Lemur (CaroLina BLue) aus deR seRie animaLs<br />

43<br />

Foto Ryan McGinley<br />

inteRview: Ich würde gern mit Ihnen über Tiere reden.<br />

Betreiben Sie eigentlich immer noch Ihre Party<br />

Beast in dem New Yorker Restaurant Broadway East?<br />

Ryan McGinley: Ach, waren Sie mal da?<br />

inteRview: Ziemlich oft. Ich wohnte eine Zeit lang<br />

um die Ecke.<br />

McGinley: Das freut mich zu hören. Mochten Sie<br />

die Party?<br />

inteRview: Na ja. Ich war nie ein großer Fan des Ladens.<br />

Komische Architektur und schlechtes Essen.<br />

Aber bei den Beast-Partys waren so angenehm viele<br />

Kunststudenten. Außerdem wohnte Terence Koh um<br />

die Ecke und kam oft im Pelzmantel vorbei – und ich<br />

konnte zu Fuß nach Hause gehen. Also ja.<br />

McGinley: Wir haben irgendwann damit aufgehört.<br />

Eigentlich wollten wir nur eine Party für Freunde<br />

machen, aber irgendwann wurde das wie ein zweiter<br />

Job.<br />

inteRview: Wie heißt das Pferd auf dem Foto, das Sie<br />

für die Mercedes-Benz Fashion Week gemacht haben?<br />

Und warum musste es ein weißer Hengst sein?<br />

McGinley: Der Hengst heißt Ice. Es ist ein Andalusier.<br />

Ich fand, dass der die Dynamik und Kraft der<br />

Marke verkörpert. Und die Eleganz der Mode. Oder<br />

umgekehrt.<br />

inteRview: Wie haben Sie ihn dazu gebracht, mit<br />

den Vorderfüßen in die Luft zu steigen?<br />

McGinley: Gar nicht. Dafür gab es einen Fachmann.<br />

inteRview: Auf dem Bild sieht man das Supermodel<br />

Karlie Kloss, einen Mercedes CLA und das Pferd.<br />

Aus wie vielen Fotos ist das Bild komponiert?<br />

McGinley: Oh, das ist tatsächlich nur ein einziges<br />

Foto.<br />

inteRview: Sind Sie selbst ein guter Reiter?<br />

McGinley: Nein. Habe ich auch noch nie versucht.<br />

inteRview: Mit welchen anderen Tieren, echten<br />

oder erfundenen, sind Sie aufgewachsen?


PEOPLE/SmallTALK<br />

K<br />

RYAN McGINLEY (O.), KARLIE KLOSS,<br />

MERCEDES-BENZ CLA UND ANDALUSIERHENGST ICE<br />

McGINLEY: Ich hatte leider gar keine Tiere, als ich<br />

ein Kind war. Vor einiger Zeit ist mir eine Katze zugelaufen.<br />

Die lebt jetzt bei mir.<br />

INTERVIEW: Sie haben vergangenes Jahr eine Serie<br />

gezeigt, die Animals heißt. Darunter sind wunderschöne<br />

Bilder wie das nackte Mädchen mit dem Kojoten<br />

über den Schultern, aber auch etwas unheimliche<br />

wie der Leguan, dessen fleischige Zunge das<br />

Gesicht eines liegenden Models erforscht. Wie haben<br />

Sie die Tiere ausgesucht?<br />

McGINLEY: Wir haben genommen, was wir gekriegt<br />

haben. Aber je seltsamer und unheimlicher die Tiere<br />

waren, desto lieber war es mir. Die Tieragenturen,<br />

mit denen ich gearbeitet habe, brachten häufig Arten<br />

mit, die ich gar nicht kannte. Diese Zufälle finde ich<br />

interessant.<br />

INTERVIEW: Sind Menschen dabei verletzt worden?<br />

McGINLEY: Nein. Schauen Sie sich die Bilder an:<br />

Genau da, wo das Foto aufhört, saß der Tiertrainer<br />

und hat aufgepasst, dass nichts passiert.<br />

INTERVIEW: Hm. Auf den Körpern der Menschen,<br />

die mit den Tieren posieren, sind viele Kratzer und<br />

Narben zu sehen …<br />

McGINLEY: Dafür können die Tiere nichts. Die<br />

Haut der Models war schon vorher so, und ich habe<br />

die Spuren bei der Nachbearbeitung verstärkt.<br />

INTERVIEW: Die Tiere auf den Fotos umarmen die<br />

Menschen, liegen auf ihnen oder scheinen in sie reinzukriechen.<br />

Lässt auch ein kleines Tier den Menschen<br />

schwach und verletzlich aussehen?<br />

McGINLEY: Genau. Und ich wollte, dass die nackten<br />

Körper wie Landschaften für die Tiere sind, die sie<br />

erkunden. Außerdem lässt ein kleiner Affe oder ein<br />

Pfau die Menschen anders vor der Kamera agieren.<br />

Sie sind gewissermaßen abgelenkt. Deswegen habe<br />

ich auch so oft Leute in der Natur fotografiert. Sie<br />

verstellen sich weniger, und man kommt der Wahrheit<br />

näher.<br />

INTERVIEW: Was also die Höhlen, in denen Sie viel<br />

fotografiert haben, für die Menschen waren, waren<br />

die Menschen für die Tiere?<br />

McGINLEY: Nicht ganz. Aber was stört, hilft.<br />

INTERVIEW: Merken Tiere, dass sie<br />

fotografiert werden?<br />

McGINLEY: Sie merken auf jeden<br />

Fall, dass sie in einer besonderen<br />

Situation sind. Ich glaube nicht,<br />

dass sie wirklich posieren.<br />

INTERVIEW: Ist ein Affe spürbar<br />

intelligenter als ein Pfau?<br />

McGINLEY: Oh ja. Die sind beängstigend<br />

schlau.<br />

INTERVIEW: Mit welchem Tier haben<br />

Sie am liebsten gearbeitet?<br />

McGINLEY: Mit dem kleinen Lemuren vor<br />

dem lila Hintergrund. Ein großer Komiker.<br />

INTERVIEW: Wie unterscheiden Sie zwischen<br />

Ihrer Kunst und kommerziellen Aufträgen?<br />

McGINLEY: Eigentlich gar nicht. Ich versuche,<br />

bei allen Projekten etwas zu lernen. Einer<br />

meiner Lieblingsfilme ist The Shining<br />

von Stanley Kubrick. Ganz am Anfang gibt<br />

es eine unglaubliche Kamerafahrt in den<br />

Bergen von Colorado. Bei dem Film, den ich<br />

für Mercedes gemacht habe, konnten wir<br />

auch mit einem Helikopter arbeiten. Wer<br />

weiß, wofür ich die Erfahrung noch mal brauchen kann.<br />

ge-<br />

<strong>Interview</strong> ADRIANO SACK<br />

RYAN McGINLEY WIRD<br />

VON DER TEAM GALLERY/NEW YORK<br />

REPRÄSENTIERT<br />

„SIND SIE<br />

LINKSTRÄGERIN?”<br />

Mode-Ikone DAPHNE<br />

GUINNESS über Jagen<br />

mit Adlern und ihre Liebe<br />

zu Uhren und Rüstungen<br />

INTERVIEW: Hallo, Daphne, wir haben uns zuletzt bei<br />

der Uhrenmesse in Genf gesehen. Wie war der Rückweg<br />

nach London?<br />

DAPHNE GUINNESS: Horror! Ich hatte Riesenprobleme<br />

an der Grenze, weil ich eine Uhr von Roger Dubuis<br />

dabei hatte. Die Schweizer lassen einen nicht raus,<br />

wenn man eine Uhr im Gepäck hat. Ausgerechnet!<br />

INTERVIEW: Sie sind die Markenbotschafterin für die<br />

Damenlinie „Velvet“ von Roger Dubuis. Wie kam es<br />

dazu?<br />

GUINNESS: Klingt jetzt vielleicht komisch, aber ich<br />

war schon immer ein Uhrenmensch. Als kleines<br />

Mädchen wollte ich unbedingt wissen, wie die funktionieren.<br />

Einer meiner Großonkel hatte die weltweit<br />

größte … oder jedenfalls eine sehr bedeutende Sammlung<br />

von Spieluhren und anderer Kleinmechanik.<br />

Die hat mich unendlich fasziniert. Als Roger Dubuis<br />

auf mich zukam, war meine erste Forderung: Ich will<br />

die Manufaktur sehen. Von A bis Z.<br />

INTERVIEW: Ach so. Ich dachte, es sei vielleicht das<br />

mittelalterliche Thema der „Excalibur“-Serie von<br />

Roger Dubuis gewesen.<br />

GUINNESS: Wo denken Sie hin? Allerdings interessiere<br />

ich mich sehr für Rüstungen.<br />

INTERVIEW: Vielleicht ist das naiv, aber<br />

man stellt sich vor, dass Sie in Häusern voller<br />

Rüstungen aufgewachsen sind …<br />

GUINNESS: Das war auch so. Die standen<br />

überall herum. Nicht unbedingt immer im<br />

besten Zustand, weil wir sie nicht alle fünf Minuten<br />

poliert haben. Ich habe schon mit meinem<br />

Analytiker darüber gesprochen: Persönlich<br />

mag ich es einfach, eine Schutzhülle<br />

zu haben. Deswegen habe ich mir auch<br />

eine Rüstung selbst gebaut. Gar nicht<br />

so einfach heutzutage – die Handwerker<br />

müssen Sie erst mal finden.<br />

INTERVIEW: Sie behaupten, dass<br />

Mode Sie nicht interessiert. Klingt<br />

komisch aus dem Mund einer sogenannten<br />

Mode-Ikone.<br />

GUINNESS: Ich glaube, dass Kleidung<br />

und Kostüme ein wichtiger<br />

Teil der menschlichen Zivilisation<br />

sind. Was ich nicht verstehe, ist die<br />

Modeindustrie, sind die Trends, die<br />

Zeitschriften. Modemagazine deprimieren<br />

mich. Ich habe ein Jahrzehnt<br />

verpasst, als meine drei Kinder da waren.<br />

Meine Weltsicht, was Mode betrifft,<br />

stammt aus den Siebzigern und<br />

Achtzigern. Da war es normal, sich<br />

selbst auszudrücken – als Punk oder<br />

Hippie oder Dragqueen oder alles gleichzeitig.<br />

Meine Erfahrung ist: Je extremer<br />

die Menschen aussehen, desto feinsinniger<br />

sind sie. Es sind die Menschen in<br />

Anzügen, vor denen man sich in Acht<br />

nehmen muss.<br />

INTERVIEW: Das American Psycho-Syndrom?<br />

GUINNESS: Ganz genau. Ich bin dazu übergegangen,<br />

einen Großteil meiner Garderobe selbst zu<br />

schneidern.<br />

INTERVIEW: Muss man sich selbst gut kennen, um für<br />

sich selbst zu entwerfen?<br />

GUINNESS: Man sollte seine Größe kennen.<br />

INTERVIEW: Bei unserem Abendessen in Genf flog<br />

ein Mietadler durch den Bankettsaal. Hatten Sie vor<br />

dem Angst?<br />

GUINNESS: Machen Sie Witze? Ich habe mit Adlern<br />

gejagt, ich hatte zwei Falken, ich habe mit Eulen gearbeitet.<br />

INTERVIEW: Haben Sie mit den Falken auch gejagt?<br />

GUINNESS: Nein. Meine Mutter hatte die gekauft,<br />

und die waren ein bisschen verwahrlost. Als ich endlich<br />

an die rankam, waren die untrainierbar. Mit den<br />

Adlern habe ich in Kasachstan gejagt. Das ist wahnsinnig<br />

anstrengend, weil man eine Eisenstange halten<br />

muss, auf denen die landen, und sie sind wirklich<br />

schwer. Das war aber unsere einzige Möglichkeit,<br />

etwas zu essen zu finden damals. Hatten Sie denn<br />

Angst vor dem Adler?<br />

INTERVIEW: Nicht direkt. Aber als man den Wind<br />

unter seinen Schwingen auf dem Gesicht spürte, war<br />

das sehr poetisch.<br />

GUINNESS: Das stimmt. Ich hätte mir gewünscht,<br />

dass er während des gesamten Abendessens über uns<br />

kreist, aber der war sehr wohlerzogen.<br />

INTERVIEW: Letzte Uhrenfrage: Sind Sie Links- oder<br />

Rechtsträgerin?<br />

GUINNESS: Beides. Ich habe Rechts-links-Schwierigkeiten.<br />

Beim Malen ist das sehr praktisch. Aber<br />

ich fahre nicht gern Auto. Ich habe immer das Gefühl,<br />

auf der falschen Spur zu sein.<br />

Fotos: Mercedes-Benz Fashion; Maxime Ballesteros; Wire Image/Getty Images; © 2013 Sony Pictures Releasing GmbH; Victoria Lindt/WENN.com<br />

INTERVIEW: Zuletzt: Worin genau besteht Ihre Arbeit<br />

bei der Isabella Blow Foundation?<br />

GUINNESS: Uns geht es darum, jungen Kreativen<br />

Stipendien bereitzustellen. Und die unglaubliche<br />

Kleidersammlung von Isabella zu erhalten und der<br />

Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich habe dafür<br />

2012 meine eigene Sammlung bei Christie’s versteigern<br />

lassen. Natürlich wäre es mir lieber, wenn Isabella<br />

noch am Leben wäre, aber ich bin froh, dass wir<br />

mit dieser Arbeit vorankommen. Auch wenn ich auf<br />

keinen Fall die große Klagefrau meiner toten Freunde<br />

aus der Modewelt sein will.<br />

<strong>Interview</strong> ADRIANO SACK<br />

DAPHNE GUINNESS IST MARKENBOTSCHAFTERIN<br />

DER DAMENLINIE „VELVET” VON<br />

ROGER DUBUIS UND AKTIV<br />

BEI ISABELLABLOWFOUNDATION.COM<br />

„WAS IST<br />

DAS GRÖSSTE<br />

VORURTEIL<br />

ÜBER SIE?”<br />

NORA TSCHIRNER<br />

hat großen Respekt<br />

vor romantischen<br />

Komödien<br />

INTERVIEW: Wie oft sind Sie schon darauf angesprochen<br />

worden, dass Sie in Ihrem neuen Film blonde<br />

Haare haben?<br />

NORA TSCHIRNER: Wie? Was meinen Sie?!<br />

INTERVIEW: Verstehe. Wie gehen Sie mit Langeweile<br />

um?<br />

TSCHIRNER: Manchmal fange ich<br />

schon an, mir in <strong>Interview</strong>s Quatsch<br />

auszudenken. Wenn ich mit Christian<br />

Ulmen zusammensitze, ist es am<br />

schlimmsten. Dann stimmt kaum noch<br />

ein Wort. Das ist immer ganz schwer<br />

für die Presseleute.<br />

INTERVIEW: Ist man darauf nicht<br />

ein gestellt, wenn man Sie interviewt?<br />

TSCHIRNER: Das könnte man denken,<br />

aber es gibt einfach Leute<br />

ohne Humor.<br />

INTERVIEW: Wie war das, als<br />

Sie selbst noch <strong>Interview</strong>s<br />

geführt haben?<br />

TSCHIRNER: Gavin<br />

Ross dale fand mich<br />

scheiße, und das war<br />

so ziemlich das<br />

Letzte, was ich<br />

damals wollte. Ich<br />

hatte eigentlich<br />

gehofft, dass er<br />

nach unserem<br />

Gespräch<br />

denkt, er<br />

könne nie wieder ohne mich leben. Leider<br />

hatte ich irgendeine Fehlinformation<br />

und habe eine falsche Frage gestellt.<br />

Er hat ziemlich doof reagiert.<br />

INTERVIEW: Mittlerweile drehen Sie<br />

ohnehin lieber romantische Komödien.<br />

TSCHIRNER: Zumindest sind das die Filme,<br />

mit denen man mich am stärksten<br />

assoziiert, weil sie am breitesten vermarktet<br />

werden. Ich mache aber auch ganz andere<br />

Sachen, zum Beispiel synchronisiere<br />

ich Lara Croft. Trotzdem, ich liebe romantische<br />

Komödien und habe größten<br />

Respekt vor dem Genre.<br />

INTERVIEW: Da fällt mir ein, dass ich Ihnen<br />

unser neues Heft mitgebracht habe.<br />

TSCHIRNER: Wow, ist das Ryan Gosling<br />

auf dem Titelblatt?<br />

INTERVIEW: Das ist Matthias Schweighöfer,<br />

ihr Kollege oder Freund? Je<br />

nachdem, wie Sie ihn bezeichnen<br />

würden.<br />

TSCHIRNER: Wenn ich mir das so<br />

ansehe: als meinen zukünftigen<br />

Ehemann! Matze! Es ist ja schon<br />

immer etwas amüsant, jemanden,<br />

den man so gut kennt, plötzlich<br />

in einem völlig anderen<br />

Licht zu sehen.<br />

INTERVIEW: Sie sind nicht die Erste, die ihn zunächst<br />

für Ryan Gosling gehalten hat.<br />

TSCHIRNER: Ich glaube, es liegt an diesem typischen<br />

Ryan-Gosling-Beleuchtungsszenario. Es ist immer<br />

ein emotionaler Zugewinn, wenn dieser Mann irgendwo<br />

abgelichtet ist.<br />

INTERVIEW: Wohl wahr. Welches ist eigentlich das<br />

größte Vorurteil, das über Sie kursiert?<br />

TSCHIRNER: Hm. Ich wollte gerade sagen, dass ich<br />

arrogant sei. Aber das stimmt tatsächlich (lacht).<br />

<strong>Interview</strong> KATHARINA BÖHM<br />

NORA TSCHIRNER IST AB DEM 7. MÄRZ<br />

IN DEM FILM LIEBE UND<br />

ANDERE TURBULENZEN ZU SEHEN<br />

„HAT IHRE<br />

STUTE SCHON<br />

STARALLÜREN?”<br />

KERRY WASHINGTON<br />

und JAMIE FOXX<br />

drehten Django Unchained<br />

mit eigenem Pferd<br />

INTERVIEW: Nach Ray spielen Sie beide ein zweites<br />

Mal ein Ehepaar. Hat Ihnen das beim Dreh von<br />

Django Unchained geholfen?<br />

KERRY WASHINGTON: Ich würde sogar sagen, dass es<br />

überlebensnotwendig war. Quentins Darstellung der<br />

Sklaverei hat mich physisch und psychisch derart<br />

mitgenommen, dass ich Jamie noch bis zum Rest<br />

meines Lebens für seine Unterstützung danke.<br />

AMIE FOX<br />

KERRY WASHINGTON UND JAMIE FOXX<br />

INTERVIEW: Was<br />

wussten Sie über die<br />

Geschichte der Sklaverei?<br />

JAMIE FOXX: Mein Stiefvater<br />

war Geschichtslehrer. Seit ich<br />

14, 15 Jahre alt bin, hat er mir<br />

davon erzählt. Allein die<br />

Zahlen sprengen das Vorstellungsvermögen:<br />

80 Millionen Sklaven sind getötet<br />

worden, und das sind nur die, die dokumentiert<br />

worden sind.<br />

WASHINGTON: Man fragt sich: Wie stark muss eine<br />

schwarze Frau sein, um den Horror auf einer Plantage<br />

zu überleben?<br />

FOXX: Die Plantagenbesitzer sind nach Afrika gereist,<br />

haben sich 120 Sklaven ausgesucht und auf ein<br />

Schiff gepackt. Unendlich viele sind schon bei der<br />

Überfahrt gestorben. Wenn es 13 oder 14 schafften,<br />

wurde das als „gute Ernte“ angesehen. Alles, was die<br />

Schwarzen in Amerika gelernt haben, wurde Ihnen<br />

durch Schmerz beigebracht.<br />

INTERVIEW: Und wie sah es mit dem Schießen und<br />

Reiten aus?<br />

FOXX: Schießen ist mir leichtgefallen. Ich komme<br />

schließlich aus Texas. Vorm Reiten hatte ich Respekt.<br />

Ich kann zwar reiten, aber so selbstverständlich<br />

wie bei einem Cowboy sieht es bei mir natürlich<br />

nicht aus. Also habe ich Quentin gefragt, ob ich mein<br />

eigenes Pferd mitbringen kann.<br />

INTERVIEW: Sie haben ein Pferd?<br />

FOXX: 2008 ging es mir sehr schlecht, also habe ich<br />

mir ein Pferd gekauft. Von meinem Haus aus kann<br />

man bis zum Strand reiten. Ich bin einfach nur geritten.<br />

Jeden Tag.<br />

INTERVIEW: Wie heißt Ihr Pferd?<br />

FOXX: Cheetah. Sie ist ein Mädchen.<br />

INTERVIEW: Wie ist Cheetah mit den Explosionen<br />

beim Django-Dreh klargekommen?<br />

FOXX: Wir haben sie langsam dran gewöhnt. Erst<br />

haben wir kleine Sachen vor ihr in Brand gesteckt<br />

und haben uns dann langsam bis hin zu großen Explosionen<br />

gesteigert. Am Ende konnte sie nichts<br />

mehr erschrecken. Erinnern Sie sich an die Dressurkunststücke,<br />

die sie in der letzten Szene aufführt?<br />

INTERVIEW: Natürlich.<br />

FOXX: Nichts davon konnte sie zu Beginn des Drehs.<br />

INTERVIEW: Und hat sie schon Starallüren?<br />

WASHINGTON: Cheetah ist jetzt eine Diva und lässt<br />

sich von keinem was sagen. Sie lässt sich vertraglich<br />

zusichern, dass niemand ihr in die Augen schauen<br />

darf. Sie verlangt bestimmtes Essen und weiße Lilien.<br />

OX<br />

O<br />

<strong>Interview</strong> NINA SCHOLZ<br />

X<br />

44<br />

45


SUPERSTAR<br />

Spring / Summer 2013<br />

MARIA EHRICH<br />

henrycottons.it<br />

DIE DURCH<br />

DIE ZEIT<br />

SPRINGT:<br />

MARIA EHRICH<br />

SPIELT<br />

IN RUBINROT<br />

Bluse DRYKORN, Jeans & Lederjacke (in der Hand gehalten) FREEMAN T. PORTER<br />

Mittlerweile wird sie schon von Fremden nen Kinofilm wurde eine Kinderhauptdarstellerin baden ging, was die Bild-Zeitung zu der sensiblen<br />

erkannt. Neulich etwa, am Flughafen, gesucht. Für ihre Rolle in Mein Bruder ist ein Hund Schlagzeile „Heiße Lesbenspiele“ inspirierte – dabei<br />

war Maria Ehrich plötzlich von einer wurde sie prompt für den Undine Award als beste war das Wasser bestimmt ziemlich kalt.<br />

Horde Teenager umringt, die sie mühelos<br />

als Gwendolyn Sheperd identifizierten, der zeitsagt,<br />

dass ich Schauspielerin werden will, ich habe in sich hinein: „Als ich die Zeitung aufgeschlagen<br />

Filmdebütantin nominiert. „Dabei habe ich nie ge-<br />

Maria Ehrich verdreht die Augen und seufzt leise<br />

a<br />

reisenden Heldin aus der weltbekannten Rubinrot- bloß immer viel gespielt und erzählt“, sagt Ehrich. habe, dachte ich nur, oh Gott, warum ich? Aber da<br />

Trilogie von Kerstin Gier. Bislang gibt es Rubinrot nur Und so erzählte und spielte at sie the immer weiter, und irgendwann,<br />

so nach dem fünften oder sechsten Film, man wahrscheinlich. Denn die Zeit, in der sie ihrer<br />

muss man wohl anscheinend durch.“ Ja, das muss<br />

als Buch, demnächst aber auch als Film – aber eben<br />

HolIDaY<br />

erst demnächst (Start 14. März). Doch die zu allem dachte<br />

Il<br />

sie, na<br />

PellIcano DIaRY<br />

ja, das läuft ja ganz gut, vielleicht kann Arbeit zwar erfolgreich, aber von der Öffentlichkeit<br />

entschlossene Zielgruppe war bereits informiert, und ich ja dabei bleiben.<br />

weitgehend unbemerkt nachgehen konnte, ist offenbar<br />

vorbei. Maria Ehrich scheint bestens darauf vor-<br />

da es bei der Begegnung zu keinen Ausschreitungen Inzwischen hat die knapp 20-jährige Erfurterin in<br />

gekommen ist, kann man wohl sagen, dass man sie als über 20 Filmen und Serien mitgewirkt und damit bereitet zu sein.<br />

Gwendolyn akzeptiert.<br />

auch den alles<br />

Monte<br />

entscheidenden<br />

argentario<br />

Übergang von der<br />

Das erste Mal stand sie 2003 vor der Kamera, damals<br />

war sie zehn. Sie hatte sich auf einen Zeitungs-<br />

Zuletzt war sie zum Porto Beispiel ercole in dem TV-Mehrteiler<br />

Kinder- zur Erwachsenenschauspielerin geschafft.<br />

Von HARALD PETERS<br />

Foto BELLA LIEBERBERG<br />

Styling CAROLINE LEMBLÉ<br />

artikel in der Thüringer Allgemeinen beworben, für ei-<br />

Das Adlon zu sehen, wo sie nackt mit Christiane Paul<br />

Haare & Make-up SORAYA AURAD<br />

Italy<br />

46<br />

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SUPERSTAR<br />

ARTIE<br />

VIERKANT<br />

JEDE VERSION<br />

EINES WERKES<br />

TRÄGT DEN<br />

TIMECODE IM TITEL:<br />

DER KÜNSTLER<br />

ARTIE VIERKANT<br />

Digitaler Verwirrspieler und trotzdem Produzent von Unikaten: Mr Vierkant aus Brooklyn<br />

Das Ikea-Preisschild hätte er doch wenigstens<br />

abmachen können“, monierte ein<br />

Gast der Vernissage anschließend. Den<br />

Künstler Artie Vierkant – freundlich, gemütlich,<br />

nur ein bisschen verkatert von der Vornacht<br />

– freut diese Kritik. Für seine Ausstellung in der Berliner<br />

Exile Galerie baute er einen Stuhl des schwedischen<br />

Möbelhauses absichtlich falsch zusammen.<br />

„Ikea ist eine total globalisierte Marke. Indem ich das<br />

als Rohstoff für meine Arbeit verwende, unterlaufe ich<br />

die großartige Künstlergeste.“ Das Unterlaufen von<br />

Erwartungen und Gewissheiten ist genau das, worum<br />

es ihm geht. Neben der Ikeaskulptur hingen in der<br />

Galerie noch kleine, digital verwischte Farbabgleichstabellen.<br />

Vierkant, Jahrgang 1986, zählt vom Alter und<br />

der Interessenlage zur Gruppe der sogenannten Post-<br />

Internet-Generation. Jenen Künstlern also, die eine<br />

nicht digitale Welt nie erlebt haben und die Frage<br />

nach Autorschaft, Authentizität und Original noch<br />

einmal neu bearbeiten. Er hat die Filme Daylight und<br />

Twilight (inhaltlich durchaus unterschiedliche Werke)<br />

jeweils Bild für Bild nach Helligkeit sortiert und das<br />

Ergebnis in umgekehrter Reihenfolge nebeneinander<br />

abgespielt – mit gesunder Freude an der Zersetzung<br />

formelhafter Kulturprodukte. In seinen Augen sind<br />

diese Arbeiten zwei Jahre und damit unendlich alt.<br />

Den unbedarften Besucher wird seine Website,<br />

das selbstverständlichste Spielfeld des Künstlers, verwirren,<br />

denn das Wesen der Bilder ist hier zweifelhaft:<br />

Was ist hier Foto, was ist Simulation, was ist Website,<br />

was ist Materie? „Wichtiger Bestandteil eines Werkes<br />

ist dessen Dokumentation“, sagt Vierkant. Und bei<br />

48<br />

ihm heißt das auch: Jede neue Abbildung ist eine Variation,<br />

ergänzt um digitale Schlieren, Fotos im Foto<br />

oder andere visuelle Schichten. Diese Variationen tragen<br />

jeweils Datum und Uhrzeit im Titel. Kein Werk<br />

ist jemals fertig. Die Kunst von Artie Vierkant ist ein<br />

digitales, ästhetisches und intellektuelles Spiegelkabinett<br />

mit unendlichem Potenzial.<br />

Zum konsequenten Spiel mit Gewissheiten gehören<br />

allerdings zwingend auch echte Werke an echten<br />

Galeriewänden. Die Arbeit Color Rendition Chart<br />

Tuesday 4 December 2012 3:57pm – schon der Titel ist<br />

pure Poesie – ist selbstverständlich ein Unikat.<br />

Von ADRIANO SACK<br />

Foto AMOS FRICKE<br />

Hintergrund gestaltet von ARTIE VIERKANT<br />

HAVE YOU SEEN PEPE?<br />

SHOP THE FILM AT PEPEJEANS.COM


Naomi<br />

Campbell<br />

trifft<br />

CameroN<br />

diaz<br />

Sie bekam zwar nur<br />

eine auszeichnung für<br />

den besten Filmrülpser,<br />

dennoch hat<br />

CameroN diaz<br />

eigentlich alles erreicht:<br />

Sie stand für<br />

Martin SCorSeSe<br />

vor der Kamera, drehte<br />

mit Tom CruiSe<br />

und ist neben Justin<br />

TimberlaKe<br />

aufgewacht<br />

Fotos<br />

DANiele + iANgo<br />

styliNg<br />

pAtti WilsoN<br />

people<br />

Naomi Campbell: Hi, Cameron!<br />

CameroN Diaz: Hi, Naomi!<br />

Campbell: Du hast wie ich als Model angefangen.<br />

Diaz: Ja, und ich verdanke dem Modeln alles: Es<br />

hat mich aus Long Beach rausgeholt, ich konnte damit<br />

mein erstes Geld verdienen, und eigentlich hat es<br />

mich auch zur Schauspielerei gebracht. Deshalb finde<br />

ich es rückblickend toll. Allerdings wäre ich als Model<br />

nie auf dem Cover der Vogue gelandet. Der Wettbewerb<br />

ist unglaublich hart!<br />

Campbell: Deine erste Rolle beim Film hattest du<br />

an der Seite von Jim Carrey in Die Maske. Ein wahnsinnig<br />

komischer Film! Stimmt das Gerücht, dass du<br />

nie eine Stunde Schauspielunterricht besucht hattest?<br />

Diaz: Nein, nie. Deshalb ließen sie mich auch<br />

zehn oder zwölf Mal vorsprechen.<br />

Campbell: Wie bitte?<br />

Diaz: Ich war mit Sicherheit zehnmal im Studio.<br />

Damals war Jim noch kein Kassengarant, die Produktion<br />

war überschaubar, sie wollten sich einfach absichern.<br />

Dafür habe ich die Rolle von der ersten Sekunde<br />

an geliebt – wie eigentlich alle meine Rollen, die ich<br />

bislang spielen durfte. Ich wünschte, ich könnte noch<br />

einmal in sie hineinschlüpfen. Lotte aus Being John<br />

Malkovich liebe ich besonders …<br />

Campbell: Die Frau aus dem 7 1/2 Stock!<br />

Diaz: Ganz genau. Die Geschichte des Stockwerks<br />

geht so: Der Mann, dem das Gebäude ursprünglich gehörte,<br />

heiratete eine Kleinwüchsige. Und da er wollte,<br />

dass sie sich ganz normal fühlt, baute er für sie dieses<br />

Zwischengeschoss ein. Ist das nicht romantisch?<br />

Campbell: Er hat sie wirklich geliebt!<br />

Diaz: Ja!<br />

Campbell: Welche andere Rolle ist dir wichtig?<br />

Diaz: Natalie aus 3 Engel für Charlie. Was für eine<br />

coole Frau! Vor den Dreharbeiten wurden wir über<br />

Monate von einem Kung­Fu­Meister trainiert. Acht<br />

Stunden am Tag, fünf Tage pro Woche.<br />

Campbell: Eure Gang war unglaublich: du, Drew<br />

und Lucy Liu. Im zweiten Teil kam dann noch Demi<br />

Moore dazu …<br />

Diaz: … und der Titelsong war von Destiny’s Child.<br />

Campbell: So toll!<br />

Diaz: Im Song hieß es: „Lucy Liu, with my girl,<br />

Drew, Cameron D. and Destiny“ – mehr geht eigentlich<br />

nicht.<br />

Campbell: In deiner Welt sind Superlative ja irgendwie<br />

normal: Du darfst auch neben den tollsten<br />

50<br />

Männern des Planeten spielen: Matt Dillon, Leonardo<br />

DiCaprio, Tom Cruise, Keanu Reeves …<br />

Diaz: Jude Law!<br />

Campbell: Daniel Day­Lewis. Und alle Männer<br />

finden dich toll. Du bist eher ein Jungs­Mädchen, oder?<br />

Diaz: Irgendwie schon. Ich mag Jungs lieber.<br />

Campbell: Fällt es dir eigentlich schwer, nach<br />

einem Dreh die eigenen Filme anzuschauen?<br />

Diaz: Manchmal gelingt es gut, meistens ist es<br />

aber schrecklich. Oder therapeutisch und reinigend,<br />

je nachdem. Nein, eigentlich ist es bei 99,9 Prozent<br />

schlimm. So schlimm, dass ich depressiv werde.<br />

Campbell: Wirklich?<br />

Diaz: Dann wünsche ich mir immer eine Zeitmaschine,<br />

um alles noch einmal drehen zu können. Die<br />

Schauspielerei ist merkwürdig, man ist nie von Anfang<br />

an wirklich in der Rolle. Und da fast alle Filme<br />

nicht chronologisch gedreht werden, kann man nie<br />

sagen, was man gerade genau fühlt und wie die Figur<br />

jetzt genau sein muss.<br />

Campbell: Viele Schauspieler versuchen sich irgendwo<br />

auf der Theaterbühne oder dem Broadway –<br />

wäre das etwas für dich?<br />

Diaz: Oh, ich weiß nicht. Erstens fehlt mir das<br />

Handwerk, da ich ja keine Ausbildung habe. Zweitens<br />

tue ich mich wirklich schwer damit, mir meinen Text zu<br />

merken. Schon der Gedanke an die Bühne gruselt mich.<br />

Campbell: Dafür gibt es dort Zuschauer, die reagieren<br />

und die dich antreiben.<br />

Diaz: Das ist auch merkwürdig beim Film: Man<br />

erfährt meist erst ein Jahr später, ob der Film den<br />

Leuten wirklich gefällt. Die Crew applaudiert ja nicht.<br />

Und das große Ganze kennt auch keiner, da man ja<br />

immer nur kleine Schnipsel dreht.<br />

Campbell: Jetzt ist ja gerade die Zeit der großen<br />

Auszeichnungen, Oscars, Emmys, Golden Globes –<br />

die meisten Schauspieler behaupten immer, sie würden<br />

keine Reden vorbereiten …<br />

Diaz: … dazu kann ich gar nichts sagen, weil ich ja<br />

nie einen Award gewonnen habe (lacht). Außer irgendwelche<br />

MTV Awards und so. Moment, stimmt<br />

gar nicht, ich habe einmal einen Preis bei Nickelodeon<br />

für den „Besten Rülpser“ gewonnen (lacht).<br />

Campbell: (lacht) Wie hat dir Django Unchained<br />

gefallen? Ich fand den Film super.<br />

Diaz: Ich auch. Er ist genial.<br />

Campbell: Als farbige Frau verstehe ich überhaupt<br />

nicht, warum sich die Leute darüber aufregen.<br />

Diaz: Kann ich auch nicht nachvollziehen.<br />

Campbell: Der Film ist lustig. Und er erzählt<br />

eine großartige Liebesgeschichte.<br />

Diaz: Zudem erfüllt er doch alle Wünsche, die damals<br />

ein schwarzer Mann hatte: endlich mal den ganzen<br />

Laden in die Luft sprengen. Weg mit der Plantage.<br />

Campbell: Genau! Sag mal Cameron, liest du<br />

eigentlich über dich selbst im Internet oder in den<br />

Gossip­Magazinen? Als Superstar bekommst du ja<br />

doch etliche Schlagzeilen ab.<br />

Diaz: Nur bei der Maniküre. Ins Internet gehe ich<br />

nie, und auch sonst schaue ich mir nichts an. Ich bekomme<br />

lediglich mit, dass eine Geschichte über mich<br />

geplant wird, wenn jemand mich direkt kontaktiert,<br />

weil er das muss. Dann kann ich reagieren und sagen:<br />

„Wenn ihr das schreibt, verklage ich euch.“ Dann hetze<br />

ich meine Anwälte los. Da fackel ich auch nicht<br />

lange. Einfach, weil es mich nervt, wenn Lügen über<br />

mich verbreitet werden.<br />

Campbell: Du schützt eben deine Privatsphäre.<br />

Diaz: All die Mädchen, die heute Schauspielerinnen<br />

werden wollen, wissen und akzeptieren, wie das Spiel<br />

heute läuft. All dieses Celebrity­Gehabe. Sie wissen es.<br />

Foto links: Kevin Mazur/WireImage/Getty Images<br />

top & shorts<br />

versAce<br />

ringe<br />

chrishAbAnA<br />

51


ustier & rock<br />

miu miu<br />

strumpfhose<br />

cAvAllini<br />

ringe<br />

chrishAbAnA<br />

people<br />

52<br />

hair luigi murenu<br />

make-up kabuki (www.kabukimagic.com)<br />

for mac cosmetics<br />

tailor susan b/lars nord<br />

manicure bernadette thompson<br />

casting piergiogio del moro/streeters<br />

photography assistants matt roady,<br />

dean dodos, manfredi gioacchini<br />

digital operator James needham/d touch ny<br />

retouching lorenzo irico/babygrand studios<br />

styling assistant taryn shumway<br />

hair assistants mari watase,<br />

gonn kinoshita<br />

make-up assistant alexis williams<br />

production rebecca lovern/north six<br />

production assistant david morett<br />

Meine Karriere hat jedoch nicht in der Boulevardpresse<br />

begonnen. Ich habe dafür gearbeitet. Deswegen ärgert<br />

es mich auch, wenn die Leute sagen: „Ach, du<br />

wusstest doch, auf was du dich da einlässt.“ Es stimmt<br />

einfach nicht. Früher wurden Karrieren nicht in Boulevardschlagzeilen<br />

geboren. Man wurde bekannt wegen<br />

eines Films, nicht wegen irgendeiner Paparazzi-Geschichte.<br />

Früher wurdest du eine Berühmtheit, weil du<br />

für etwas berühmt warst. Heute benutzen die Leute die<br />

Schundblätter, um berühmt zu werden, und versuchen,<br />

daraus dann eine Karriere zu stricken.<br />

Campbell: Du hast einmal gegen den National<br />

Enquirer geklagt. Haben Medien heute zu viel Macht?<br />

Diaz: Der Appetit der Menschen, Dinge aus anderer<br />

Leute Leben zu erfahren, ist ungleich höher als<br />

früher. Die meisten Menschen können sich nicht vorstellen,<br />

wie schrecklich es ist, wenn ständig dein Privatleben<br />

in die Öffentlichkeit gezerrt wird. Das merken<br />

sie erst, wenn sie mitbekommen, dass Facebook<br />

und Instagram ihre privaten Bilder verkaufen. Dann<br />

kapieren sie, dass das ein nerviges Problem sein kann.<br />

Plötzlich stört es, wenn jemand ein Geschäft aus deinem<br />

Leben macht. Dabei ist das doch klar: Facebook<br />

hat Instagram für eine Milliarde gekauft – ohne wirkliches<br />

Geschäftsmodell, also verkaufen sie irgendwann<br />

die Bilder der User.<br />

Campbell: Wir hatten beide unsere Zusammenstöße<br />

mit Paparazzi. Man steigt irgendwo aus dem<br />

Flieger, Brasilien, London, ist gerade aufgewacht,<br />

plötzlich hält dir jemand eine Kamera ins Gesicht,<br />

was nichts anderes ist als ein Angriff auf die Privatsphäre.<br />

Die Schlagzeile lautet: „Naomi tobt wieder!“<br />

Diaz: Ein ganz normaler Abwehrmechanismus.<br />

Mich haben sie nach Mitternacht direkt vor meiner<br />

Haustüre abgefangen. Dort lagen sie in den Büschen.<br />

Campbell: Deswegen könnte ich nicht in Los<br />

Angeles leben. Ich mag die Stadt, aber …<br />

Diaz: Früher konnte ich meinen Müll selbst rausbringen,<br />

einkaufen gehen, all das. Den Leuten war es<br />

scheißegal, wer wann wo was macht. Denen ging es<br />

darum, gerade nicht beeindruckt von dir zu sein. Das<br />

hat sich leider geändert, seit in Hollywood keine Filme<br />

mehr gedreht werden.<br />

Campbell: Wie meinst du das?<br />

Diaz: Es ist mittlerweile zu teuer, in Los Angeles<br />

und Kalifornien zu drehen. In anderen Städten oder<br />

Ländern gibt es Zuschüsse, Steuererleichterungen,<br />

flexiblere Lohn- und Arbeitsstrukturen. Deswegen ist<br />

der Celebrity-Tourismus das einzige Geschäft, was<br />

der Stadt von Hollywood geblieben ist.<br />

Campbell: Du hast kürzlich in einem <strong>Interview</strong><br />

gesagt, dass du dich mit 40 besser fühlst als mit 25.<br />

Diaz: Ja.<br />

Campbell: Du hast also keine Angst davor, älter<br />

zu werden?<br />

Diaz: Nein, überhaupt nicht. Ich denke, die Welt<br />

zollt dem Älterwerden nicht genug Respekt. Es wird<br />

oberflächlich abgetan als ein rein ästhetischer Prozess.<br />

So bescheuert es klingen mag: älter werden bedarf<br />

Zeit. Man muss sich daran gewöhnen, daran, sich<br />

selbst anders zu sehen. Angefangen mit dem eigenen<br />

Spiegelbild: Man läuft an einem Spiegel, einer Scheibe<br />

vorbei und sieht aus dem Augenwinkel die eigene<br />

Reflexion. Anfangs fragt man sich: Wer ist das? Bin<br />

ich das? Kann ich das sein? Mit der Zeit schließt man<br />

jedoch damit Frieden und kann die Reflexion als Teil<br />

seiner selbst anerkennen.<br />

Campbell: Du hast leicht reden. Dein Körper ist<br />

perfekt! Was ist dein Geheimnis?<br />

Diaz: Der Quell der Jugend ist sportliche Ertüchtigung<br />

und gute Ernährung. Alles andere bringt nichts.<br />

“<br />

Im Song zu<br />

3 Engel für Charlie<br />

hieß es: ,Lucy Liu,<br />

with my girl, Drew,<br />

Cameron D. and<br />

Destiny‘ – mehr geht<br />

eigentlich nicht!<br />

”<br />

– Cameron Diaz<br />

Campbell: Bevor ich meinen Mann Vlad getroffen<br />

habe, war mir nicht bewusst, wie wichtig es eigentlich<br />

ist, auf den Körper zu achten. Ich habe meinen<br />

Körper irgendwie immer als gegeben angesehen.<br />

Diaz: So geht es uns allen (lacht).<br />

Campbell: Verrätst du mir, wie viel du tatsächlich<br />

trainierst, um so blendend auszusehen?<br />

Diaz: Eigentlich trainiere ich jeden Tag, mindestens<br />

jedoch fünf Tage die Woche.<br />

Campbell: Surfst du noch?<br />

Diaz: Klar! Allerdings nicht so viel wie früher.<br />

Dafür snowboarde ich viel. Letztendlich geht es nie<br />

darum, wahnsinnig viel für den Körper zu machen,<br />

sondern immer darum, regelmäßig Sport zu treiben.<br />

Campbell: Gibt es Dinge in deiner Vergangenheit,<br />

die du bereust?<br />

Diaz: Ich bau allerlei Mist, wenn du das meinst<br />

(lacht). Nein, ansonsten bereue ich nicht viel. Es gibt<br />

Dinge, die hätten rückblickend sicher anders laufen<br />

können, grundsätzlich denke ich jedoch, es macht keinen<br />

Sinn, Dinge zu bereuen. Ich halte bereuen für<br />

eine zu einfache Ausrede.<br />

Campbell: Du hast vorhin gesagt, dass Rollen<br />

eine therapeutische Funktion für dich haben können.<br />

Einer deiner letzten Filme war What To Expect When<br />

You’re Expecting. Hat dieser Film deine mütterlichen<br />

Instinkte geweckt?<br />

Diaz: Er hat mich in meinem Wunsch bestärkt,<br />

eine Familie zu wollen. Und ich werde diese in jeglicher<br />

Form, die es gibt, annehmen.<br />

Campbell: Glaubst du an die ewige Liebe?<br />

Diaz: Ich glaube an Seelenverwandtschaft. Und<br />

ich denke, es gibt mehr als nur eine. Deshalb kann<br />

man auch mehr als einmal lieben – wenn auch auf unterschiedliche<br />

Weise.<br />

Campbell: Was macht den perfekten Mann aus?<br />

special thanks pier 59 studios<br />

53<br />

Diaz: Wenn ich eine Antwort wüsste, dann wäre ich<br />

jetzt bei ihm. Aber derzeit weiß ich die Antwort nicht.<br />

Campbell: Wie schätzt du dein Leben selbst ein?<br />

Diaz: Einfach, unkompliziert, praktisch.<br />

Campbell: Wollen wir zum Abschluss noch ein<br />

paar schnelle Fragen durchpeitschen?<br />

Diaz: Schieß los!<br />

Campbell: Dein Kühlschrank ist leer ohne …<br />

Diaz: … Quinoa, braunen Reis, Kohl, Hühnerbrust,<br />

Hühnerbrühe. Ansonsten nur Grünzeug. Und<br />

zwar so viel, wie irgend reinpasst.<br />

Campbell: Was würde man niemals in deinem<br />

Kühlschrank finden?<br />

Diaz: Plätzchenteig!<br />

Campbell: (lacht)<br />

Diaz: Würde ich sofort aufessen.<br />

Campbell: Dein Lieblingsgeruch in der Küche?<br />

Diaz: Knoblauch!<br />

Campbell: Was kannst du besonders gut kochen?<br />

Diaz: Hühnchen! Habe ich das nie für dich auf<br />

Hawaii gekocht?<br />

Campbell: Nein!<br />

Diaz: Holen wir nach.<br />

Campbell: Letztes Mahl oder letzter Drink?<br />

Diaz: Letztes Mahl.<br />

Campbell: Was würdest du an die Wand sprühen,<br />

wenn ich dir eine Sprühdose geben würde?<br />

Diaz: Faith (Glaube, Treue, Zuversicht).<br />

Campbell: Champagner oder Wodka?<br />

Diaz: Ich liebe Champagner!<br />

Campbell: Fenster oder Gang?<br />

Diaz: Fenster.<br />

Campbell: HipHop oder Rock?<br />

Diaz: Beides.<br />

Campbell: Welche Superhelden-Fähigkeit hättest<br />

du gerne?<br />

Diaz: Ich fände es chic, unsichtbar zu sein.<br />

Campbell: Wo kaufst du all die schönen Kleider,<br />

die du immer bei öffentlichen Anlässen trägst?<br />

Diaz: Du kennst mich doch! Ich trage Jeans und<br />

Sweatshirt!<br />

Campbell: Ich finde, wir sollten heute Abend das<br />

kleine Schwarze rausholen.<br />

Diaz: So etwas besitze ich doch gar nicht.<br />

Campbell: Dafür hattest du mal ein T-Shirt, auf<br />

dem stand: „I won’t vote for a son of a Bush.“<br />

Diaz: Ja! Irgendwo habe ich das auch noch.<br />

Campbell: Denkst du, Hillary könnte die erste<br />

Präsidentin der Vereinigten Staaten werden?<br />

Diaz: Ich würde es lieben! Erst der erste schwarze<br />

Präsident, dann die erste Frau im Amt!<br />

Campbell: Du bist sehr engagiert, wenn es darum<br />

geht, Spenden für die Veteranen der Kriege im<br />

Irak und in Afghanistan zu sammeln. Machst du das,<br />

weil du denkst, dass die Gesellschaft ihre Verdienste<br />

übersieht und die Soldaten nach ihrer Rückkehr zu<br />

wenig unterstützt?<br />

Diaz: Zu 100 Prozent!<br />

Campbell: Obwohl die Kriege an sich teilweise<br />

zu Unrecht geführt werden?<br />

Diaz: Was keineswegs die Schuld der Soldaten ist!<br />

Campbell: Die verrichten ihren Dienst, folgen<br />

einem Befehl. Und stehen für uns in der Schusslinie.<br />

Diaz: Wir brauchen eine Armee. Wir brauchen unsere<br />

Marines, unsere Soldaten, unsere Navy, unsere Air<br />

Force. Das ist Teil unseres Selbstverständnisses als Nation.<br />

Wir haben uns die vergangenen 150 Jahre imperial<br />

verhalten. Das ist jedoch nicht die Schuld der Soldaten.<br />

Sie bezahlen den Preis. Mit ihrem Leben. Und das<br />

selbst, wenn sie überleben. Wenn sie nach Hause kommen,<br />

wird ihr Leben nie wieder so sein wie zuvor.


WOW!<br />

WOW!<br />

WIE DIE GASSENHAUER<br />

VON DAFT PUNK:<br />

HELME AUS DER<br />

„LAB”-SERIE VON LACOSTE<br />

ZUKUNFT plus<br />

bisher unbekannter FETISCH<br />

Es ist schlichtweg unmöglich, diese Helme aus der neuen Lacoste-<br />

„Lab“-Kollektion zu betrachten, ohne die elektronischen Gassenhauer<br />

von Daft Punk auf dem inneren iPod krächzen zu hören.<br />

Das französische Duo ließ sich mit Vorliebe (oder war es<br />

ausschließlich?) mit Motorradhelmen auf dem Kopf fotografieren,<br />

natürlich mit Visieren, deren schillernde Oberflächen wie Insektenaugen<br />

aussahen. Zukunft plus bisher unbekannter sexueller<br />

Fetisch lautete die Erfolgsformel. Für seine „Lab“-Serie hat sich<br />

Lacoste ein paar Klassiker der internationalen Jugend- und<br />

Sportkulturen vorgenommen. Den American Football, das Skateboard,<br />

das Surfbrett. Nur mit Polohemden, auch wenn sie zu den<br />

bewährtesten ihres Genres gehören, kommt man eben nur so<br />

und so weit. Am gelungensten aber sind diese Schutzhelme, mit<br />

denen jeder Snowboard-Trip zu eben genau dem wird.<br />

PSYCHO-POP<br />

AUS JAPAN<br />

Die putzig-bizarren Holzskulpturen des<br />

Künstlers Keiichi Tanaami, bis zum<br />

3. März im Schinkel Pavillon/Berlin.<br />

In dieser Ausgabe pflegen wir eine gewisse Obsession mit dem ewig jungen<br />

Thema Jeans. Die einen wollen Denim-Couture, die anderen einfach nur die perfekte<br />

Hose. Wie die beiden Schweden Jens Grede und Erik Torstensson, die von London<br />

aus das Superinsider-Modemagazin Industry verantworten und nun in Kalifornien<br />

das Jeans-Label Frame gründeten. Klingt kompliziert? Das End ergebnis ist es nicht.<br />

Richtig geschnitten, perfekt gewaschen – und natürlich wissen die beiden auch,<br />

wen sie darin fotografieren lassen müssen.<br />

54<br />

IN PERFEKTER WASCHUNG, DAS MODEL JESSICA MILLER<br />

Foto ERIK TORSTENSSON<br />

DIE PERFEKTE<br />

Jeans (MAL WIEDER)<br />

Fotos: Photographer: Erik Torstensson, Model: Jessica Miller; Courtesy Nanzuka Gallery; Lacoste copyright Frederic Jacquet; Gucci(2); Karim Sadli; Julian Zigerli, Foto: Amanda Camenisch<br />

STIL plus ST. GALLEN<br />

Außer einer Kunstgießerei von Weltrang beherbergt St. Gallen vor<br />

allem das Modelabel Akris, dessen Creative Director Albert Kriemler<br />

mit einer völlig unschweizerischen Verve – und einer sehr<br />

schweizerischen Materialbesessenheit – am Werk ist. Für Freunde<br />

der Auf-die-Zwölf-Mode (think: Roberto Cavalli) sind die strengverspielten<br />

Entwürfe eher nichts, für Kennerinnen ein unverwüstlicher<br />

Geheimtipp (auch Charlène von Monaco zählt seit Jahren<br />

zu den Hardcore-Fans). Zum 90. Geburtstag ist jetzt ein Feierbuch<br />

erschienen: 1922–2012 (Assouline) – so viel Präzision muss sein.<br />

JODIE FOSTER<br />

(CA. TAXI DRIVER)<br />

MIT SKATEBOARD<br />

UND<br />

GUCCI-LOAFERN<br />

BEQUEMLICHKEIT<br />

plus REITSPORTZITAT<br />

Wer will schon als Klassiker durchs Leben latschen?<br />

Mode sollte idealerweise genau das Gegenteil sein:<br />

Wagnis, Wahnsinn, Wechselspiel. 60 Jahre lang<br />

überleben und dabei gut aussehen kann nur, wer sich<br />

intelligent erneuert und dabei dem eigenen Wesenskern<br />

treu bleibt. Vorbildlich hat das der Gucci-Horse bit-<br />

Loafer erledigt. Die Kombination „Bequemlichkeit plus<br />

Reitsportzitat“ verzückte schon die alte Hollywood-<br />

Garde (Gable, Wayne, Astaire), die nächste Generation<br />

ebenso, und heute ist jeder Schuhschrank zu bedauern,<br />

der Loafer-los sein Dasein fristet. Obwohl ursprünglich<br />

unisex, ist der Loafer ein Frauentyp – und die Palette,<br />

die Gucci-Designerin Frida Giannini fürs Geburtstagsjahr<br />

vorschlägt, ist pure joy!<br />

55<br />

Post-Rave-Mode<br />

Vielleicht eine komische Pose fürs<br />

Lookbook, aber die neue Kollektion<br />

des Schwei zer Designers Julian<br />

Zigerli überzeugt.


ZIEMLICH NEU UND<br />

GUT: LIEBLINGSLABELS,<br />

GESEHEN IN BERLIN<br />

MICHAEL SONTAG<br />

Die Models wurden von<br />

ihren Kleidern umschmiegt,<br />

als handele<br />

es sich um besonders<br />

weiches Wasser – noch<br />

dazu in einer wunderbar<br />

abgeschmeckten Palette<br />

zwischen Kupfer und<br />

Greige. Brillanter<br />

Kontra punkt: die runtergekrempelten<br />

Stiefel aus<br />

diversen Materialien.<br />

Sehr gelungen war die Glitter-Variante,<br />

die beim Gehen<br />

Schleifgeräusche macht.<br />

ACHTLAND<br />

Würde Kleopatra heute in<br />

Berlin-Tiergarten eine<br />

Galerie betreiben, dann<br />

würde sie die dritte<br />

Kollektion von Achtland<br />

tragen. Die raffiniert einfachen<br />

Silhouetten, die<br />

pudrigen, aber nie blassen<br />

Farben, die futuristischen<br />

Details und natürlich die<br />

luxuriöse Ausstattung, die<br />

nicht „Hier!“ schreit und<br />

trotzdem nicht zu übersehen<br />

ist. Erfreulich klare Mode mit<br />

Wachstumspotenzial.<br />

ÉTUDES<br />

Wenn man nach den<br />

Sternen greifen will, und<br />

das tun die beiden Herrenmodedesigner<br />

Aurélien<br />

Arbet und Jérémie Egry,<br />

dann könnte man sagen:<br />

Givenchy-Streetstyle plus<br />

das Understatement von<br />

A.P.C. Die ganze Kollektion<br />

basiert auf dem<br />

legendären Blau von Yves<br />

Klein, die Bomberjacke aus<br />

Velours ist fast unwiderstehlich,<br />

und die Hüte – bei<br />

Männern fast immer ein Stolperstein<br />

– waren auch gelungen:<br />

irgend wo zwischen<br />

Wandergeselle und Saint Laurent.<br />

1<br />

WOW!<br />

HERMÈS & COMME DE GARÇONS:<br />

seidenweiche Spiele zwischen<br />

HOMMAGE und DEKONSTRUKTION<br />

Eine klitzekleine Ermüdung stellt sich ein, wenn es eine weitere Kooperation zwischen Designer und Traditionsmarke<br />

zu vermelden gilt. In geradezu Schnitzler’schem Furor erleben wir seit Jahren einen Reigen an immer neuen Paarungen.<br />

In diesem Fall jedoch merkt man auf: Comme des Garçons und Hermès ist tatsächlich ein Gipfeltreffen von Avantgarde und<br />

Luxus. Insgesamt elf Seidentücher hat Rei Kawakubo entworfen (radikalerweise in die Produktgruppen „Black and White“<br />

und „Color“ geteilt). Wie es ihre Art ist, hat sie den ästhetischen Markenkern – Pferde, Zaumzeug, Uniformen, historisierendes<br />

Dekor – mit ironischen Interventionen umgedeutet. Das abgebildete Carré etwa setzt sich aus sieben anderen<br />

zusammen, als sei es ein seidenweiches Origami-Spiel: eine Mischung aus Hommage und Dekonstruktion.<br />

NUTZFREI-EXQUISIT<br />

Wenn eine Marke schon Nymphenburg heißt,<br />

muss sie eigentlich nur noch entsprechend<br />

poetische Produkte ersinnen. Der Münchner<br />

Porzellanmanufaktur gelingt dies (mithilfe von<br />

Experimentierfreude) regelmäßig. Die Koi-Karpfen-<br />

Amulette von Patrik Muff sind so nutzfrei und<br />

exquisit wie der echte Fisch.<br />

56<br />

Auf schnellem Fuß<br />

KOI-KARPFEN<br />

VON<br />

NYMPHENBURG<br />

Welche Zeitmanagementtechnik der Designer Raf Simons anwendet, ist nicht<br />

verbürgt. Vermutlich ist er einer von den Menschen, die mit drei Stunden Schlaf<br />

auskommen. Neben seinem umfassenden und vorerst absolut gelungenen<br />

Relaunch von Dior hat er noch schnell ein paar Sneakers für adidas entworfen.<br />

Eine extraskelettale Optik, eine nuancenreich-sportliche Farbpalette – Couture<br />

für Transformer-Fans. Ab Juli erhältlich, unbedingt jetzt schon bestellen.<br />

Fotos: Michael Sontag, Corina Lecca; Achtland; Études; Hermès/Comme des Garçons; Nymphenburg/Patrik Muff; Raf Simons x Adidas; Alexander McQueen/ Thomas Larcher; Proenza Schouler;<br />

Copyright LOC, LC-DIG-prokc-21887, Nostalgia, Gestalten; Lady Arpels Ballerine Enchantée watch - Van Cleef & Arpels; Piaget 2012; Vacheron Constantin; Jaeger-LeCoultre; Cartier<br />

VERGANGENHEITSGETRÄNKTE ZUKUNFT: McQUEEN 2013<br />

WOW!<br />

KRASSE ANSAGE<br />

Dass Sarah Burton als Chefdesignerin bei Alexander McQueen einen hervorragenden Job<br />

macht, hat sich inzwischen herumgesprochen. Derzeit scheint es, als eile die eher zurückhaltende<br />

Modeschöpferin von einem Highlight zum nächsten. Ihre Kollektion für diesen<br />

Sommer knüpft an die rigiden Schnitte und die düsteren Fantasien des Markengründers an –<br />

und doch schafft es Burton, eine weniger makabere Note einzuarbeiten. Laienhafte<br />

Psychoanalyse verbietet sich hier (es ist ja nur Kleidung …), aber diese Mode scheint<br />

für Frauen geschaffen, die in einer vergangenheitsgetränkten Zukunft leben.<br />

McQueen 2013 ist eine krasse Ansage, aber viel besser geht es derzeit nicht.<br />

Ganz neu: die ME-BAG<br />

Für diese Handtasche des New Yorker Duos Proenza Schouler muss eigentlich<br />

ein neuer Begriff gefunden werden. Eine It-Bag ist es nicht, denn dafür ist<br />

die Metall-Kettelung am Rand ein bisschen zu rabiat und der Photoshop-Druck<br />

nicht lieblich oder sexy genug. Es handelt sich eher um eine Me-Bag –<br />

für ausgesuchte Radikalindividualistinnen.<br />

Russische<br />

NOSTALGIE<br />

Für den russischen Zaren Nikolaus<br />

II. dokumentierte Sergei<br />

Michailowitsch Prokudin-Gorski<br />

zwischen 1909 und 1915<br />

dessen Reich und seine Bewohner.<br />

Da die Farbfotografie noch<br />

nicht erfunden war, musste jede<br />

Aufnahme mit drei verschiedenen<br />

Filtern angefertigt werden.<br />

Der Herr mit dem Lilienkostüm<br />

(links) muss also lange stillgehalten<br />

haben. Der Titel des<br />

Bildbands Nostalgia (Gestalten<br />

Verlag) stimmt doppelt: fototechnisch<br />

und was ein versunkenes<br />

Reich betrifft.<br />

57<br />

VACHERON<br />

CONSTANTIN<br />

Minimalinvasiv:<br />

Das Model „Queen”<br />

aus der Serie<br />

„Florilège” mit<br />

aufwendig bemaltem<br />

Zifferblatt<br />

auf Goldgrund.<br />

VAN CLEEFS &<br />

ARPELS<br />

Die Flügel der Elfe<br />

heben sich bei<br />

der „Lady Arpels<br />

Ballerine Enchantée<br />

Poetic Complication”<br />

im Zeitlupentempo.<br />

BLING WITH A TWIST<br />

NEUE<br />

Frauen-UHREN<br />

Frisch von der Uhrenmesse in Genf:<br />

Modelle, die uns wegen handwerklicher,<br />

technischer oder optischer Raffinesse<br />

begeistert haben (nächsten Monat<br />

sind die Männer dran)<br />

JAEGER-<br />

LECOULTRE<br />

Die „Rendez-Vous<br />

Celestial”: Himmelsscheibe<br />

mit Sternzeichenanzeige<br />

und<br />

Extrazeiger, um die<br />

Uhrzeit einer Verabredung<br />

einzustellen.<br />

Für technoide<br />

Romantikerinnen.<br />

CARTIER<br />

Die „Crash” gibt es<br />

bereits seit 1967,<br />

nun zum ersten Mal<br />

mit Armband aus<br />

Rotgoldtropfen. Der<br />

Autounfall-Look ist<br />

zeitlos brillant.<br />

PIAGET<br />

Aus der Serie<br />

„Limelight Gala”<br />

mit Satinband und<br />

62 Diamanten.<br />

Was die „Beine”<br />

können? Sie sehen<br />

gut aus! Reicht ja.


LOUIS VUITTON<br />

VERSUS<br />

VIKTOR & ROLF<br />

CARA<br />

DELEVINGNE<br />

HEIMAT: London<br />

ALTER: 20<br />

WISSENSWERT: Der Vater ist<br />

Immobilienmogul, die Schwester<br />

Poppy ist ebenfalls Model,<br />

die Augenbrauen von Cara sind<br />

weltberühmt.<br />

WOW!<br />

CARA vs. MARIE*<br />

Die zwei MÄDCHEN der Saison!<br />

Und wo sie überall gelaufen sind<br />

*CARA DELEVINGNE<br />

(38 FASHION SHOWS) UND<br />

MARIE PIOVESAN (58)<br />

ACNE<br />

ANTHONY<br />

VACCARELLO<br />

BURBERRY<br />

CACHAREL<br />

CAROLINA<br />

HERRERA<br />

CHANEL<br />

COSTUME<br />

NATIONAL<br />

DKNY<br />

DOLCE &<br />

GABBANA<br />

FENDI<br />

GABRIELE<br />

COLANGELO<br />

GILES<br />

DSQUARED<br />

LOUIS<br />

VUITTON<br />

VALENTINO<br />

ISSA<br />

THAKOON<br />

JASON WU<br />

SPORTMAX<br />

JUST CAVALLI<br />

SALVATORE<br />

FERRAGAMO<br />

MARCHESA<br />

ROBERTO<br />

CAVALLI<br />

MARY<br />

KATRANTZOU<br />

PROENZA<br />

SCHOULER<br />

MATTHEW<br />

WILLIAMSON<br />

NARCISO<br />

RODRIGUEZ<br />

MISSONI<br />

MARC<br />

JACOBS<br />

MARC<br />

JACOBS<br />

MOSCHINO<br />

MAX MARA<br />

MARNI<br />

OSCAR<br />

DE LA RENTA<br />

PAUL & JOE<br />

JASON WU<br />

PREEN<br />

HAIDER<br />

ACKERMANN<br />

GILES<br />

FENDI<br />

GAR NICHT VERKOPFT<br />

Ach, die schöne Welt der cross-references und collaborations! Der in Mailand lebende Fotograf<br />

Hugh Findletar ließ von dem venezianischen Glaskünstler Oscar Zanetti Vasen in Form<br />

von gemalten Köpfen blasen – und die Designerin Michelle Elie kuratierte damit eine Ausstellung<br />

in der Kölner Modeboutique Heimat. Verwirrend? Die Kopfvasen sind es nicht –<br />

einfach nur charmant und schlau.<br />

TOPSHOP<br />

UNIQUE<br />

TRUSSARDI<br />

ETRO<br />

BOTTEGA<br />

VENETA<br />

DIOR<br />

DEREK<br />

LAM<br />

COSTUME<br />

NATIONAL<br />

KANE<br />

CHRISTOPHER<br />

ANN DEMEULEMEESTER<br />

DONNA<br />

KARAN<br />

BLUMARINE<br />

ANTHONY<br />

VACCARELLO<br />

ACNE<br />

MARIE<br />

PIOVESAN<br />

HEIMAT: Paris<br />

ALTER: 26<br />

WISSENSWERT: Raf Simons<br />

liebt sie (aktuelle Dior-<br />

Kampagne!), ihre<br />

Wangenknochen sind<br />

derzeit einzigartig.<br />

Fotos: Costume National; Blumarine<br />

58


2<br />

RETROMANIA.<br />

DINGE<br />

VON GESTERN<br />

FÜR HEUTE<br />

HINTEN IM BUS SITZEN<br />

Warum wollte man eigentlich<br />

früher immer hinten im Bus sitzen?<br />

Weil man mit den anderen nichts zu tun<br />

haben wollte. Weil es cooler war. Weil<br />

hinten aussteigen viel besser war. Weil<br />

man Quatsch machen konnte. Weil der<br />

strenge Busfahrer so weit wie möglich<br />

entfernt saß. Zwischenzeitlich dachten wir,<br />

dass sei gar nicht so wichtig. Ganz großer<br />

Irrtum.<br />

TOLL:<br />

SOMMER-<br />

PELZ<br />

WOW!<br />

KOMPRESSIONSSTRÜMPFE<br />

Außen knackig, innen pulsierend. Haben Sie<br />

die mal probiert? Man hat das Gefühl, es<br />

kommt endlich wieder Blut in den Kopf, und<br />

dass man die Beine nicht mehr selbstständig<br />

tragen muss. Somit besser als jede Droge.<br />

WOHNLANDSCHAFTEN<br />

Faszination Sofakauf: Braucht man einen<br />

Zweisitzer oder einen Dreisitzer? Wie viele<br />

Leute müssen darauf Platz haben? Und was<br />

ist, wenn mal mehr Besuch kommt? Die<br />

Wohnlandschaft, deren Erfindung wir in den<br />

70er-Jahren vermuten, liefert die passende<br />

Antwort für alle Leute, die keine Antwort<br />

haben, und ist insofern im Zeitalter der<br />

Unentschlossenheit und Unwägbarkeiten<br />

das perfekte Möbelstück. Schatz, schiebst du<br />

mir mal den Quader rüber? Ich würd’ so<br />

gern die Beine hochlegen.<br />

FLANELLHEMDEN<br />

Sie sind bunt, sie sind weich, man kann sie<br />

auch ungebügelt tragen. Man könnte sagen,<br />

dass sie das flamboyanteste Kleidungsstück<br />

sind, das unter der Grundvoraussetzung<br />

von Bodenständigkeit denkbar ist. Und<br />

John Irving, seit 70 Jahren ganz weit vorn,<br />

trägt es auch.<br />

ZIRKELTRAINING<br />

In diesem Jahr feiert das Zirkeltraining 60.<br />

Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch,<br />

denn in Zeiten von EMS, Speed-Fit und<br />

anderen Schaufenstersportarten erfreuen<br />

sich diese 24 im Kreis angelegten Übungen<br />

bleibender Beliebtheit. Kein Wunder, Liegestütz,<br />

Kniebeuge, Strecksprung oder<br />

Durchstützeln am Barren werden für immer<br />

cooler sein als Spinning!<br />

RECYCLING<br />

Die kalte Jahreszeit ist vorbei, das Recyceln<br />

kann wieder beginnen. Wir wissen nicht,<br />

wie es Ihnen geht, aber wir trennen im<br />

Winter nie den Müll.<br />

MUSICALS<br />

Seit wir Anne Hathaway in Les Miserables<br />

als singenden Tod (so kam es uns jedenfalls<br />

vor) auf der Leinwand gesehen haben,<br />

wissen wir: Das Genre lebt.<br />

PRALINEN<br />

Noch mal schnell,<br />

bevor’s warm wird.<br />

FENDI<br />

Eines der ältesten Schönheitsideale<br />

der Welt: der Kubus. Fendi hat ihn<br />

diese Saison durch diverse Farben<br />

und Stoffe dekliniert, hier als Nerz-<br />

Taschenanhänger.<br />

Prada<br />

Ob schwarz oder weiß, die mit<br />

stili sierten Sonnenblümchen<br />

verzierten Taschen sind auch aus<br />

Nerz gefertigt.<br />

60<br />

JAPANISCHER PELZ? DIE NEUE KOLLEKTION VON PRADA<br />

WAR EIN MASH-UP, DEN MAN SEHEN MUSSTE, UM IHN ZU VERSTEHEN<br />

Wie ein Powerlunch zwischen Peta-<br />

Funktionär (kontra) und Anna Wintour (pro):<br />

Birkenstock-Sandalen mit Nerzsohle. Der High Heel<br />

wiederum, es gibt ihn auch in anderen Farbvarianten, ist<br />

ein zärtliches Meret-Oppenheim-Zitat. Über<br />

Alltags- und Straßentauglichkeit reden wir<br />

ein andermal.<br />

So unverzichtbar wie<br />

die eigene PERÜCKE<br />

CÉLINE<br />

Wahnsinn: eine Kamera, die das Ergebnis des Auslöserdrucks relativ unmittelbar<br />

danach ausspuckt! Jeder nach 1980 Geborene muss sich in die<br />

Faszination, die Polaroidkameras einmal ausgeübt haben, wohl erst mal<br />

reindenken. Dass die Schnelligkeit meist mit dürftiger Optik erkauft<br />

werden musste, machte das Ergebnis nur interessanter. From Polaroid to<br />

Impossible. Masterpieces of Instant Photography – The WestLicht Collection<br />

(Hatje Cantz) zeigt Bilder aus der Sammlung des Wiener WestLicht<br />

Museums. Vertreten sind Großmeister der klassischen Fotografie wie<br />

Ansel Adams oder Aaron Siskind, aber auch Künstler, deren Werk<br />

ohne Polaroidkamera ein ganz anderes gewesen wäre: Oliviero Toscani,<br />

Robert Mapplethorpe und natürlich Andy Warhol, für den die<br />

Sofortbildkamera jahrelang genauso unverzichtbar war wie die eigene<br />

Perücke. Wie man die Technik optimal nutzte, zeigt zum Beispiel<br />

die wunderbar-ökonomische, nachträglich kolorierte Aktstudie<br />

von Sahin Kaygun (links).<br />

Fotos: Fendi; Prada(3); Céline (2); Sahin Kaygun, Nude, 1983, Polaroid 600 HS, Hand-colored, © Burçak Kaygun<br />

Vision Von Multimedia bis Multifunktion –<br />

USM Möbelbausysteme sind das flexible Programm<br />

für wechselnde Ansprüche und neue Ideen.<br />

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DER<br />

GRÜNE STOFF<br />

Miuccia Prada hält sich normalerweise zurück,<br />

wenn es um die Ausstattung von Filmen<br />

geht. Aber zu Der große Gatsby (Filmstart:<br />

16. Mai) von Baz Luhrmann konnte selbst sie<br />

nicht Nein sagen und kleidete Leonardo<br />

DiCaprio, Tobey Maguire und vor allem<br />

natür lich Carey Mulligan ein. Was auch<br />

immer der etwas unberechenbare Regisseur<br />

mit dem Stoff angestellt hat: Alles,<br />

was man bisher gesehen hat, sieht so<br />

traumhaft und schrecklich aus, wie es<br />

F. Scott Fitzgerald gewünscht hätte.<br />

LILIANA DE LA BARBARA,<br />

NEW YORK CITY 1978,<br />

EINE DER INSTAMATIC-SERIEN DES<br />

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ANTONIO LOPEZ<br />

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SUPERMARKT-<br />

KAMERA<br />

Der Modeillustrator Antonio Lopez ist 26<br />

Jahre nach seinem Tod noch immer Inspiration<br />

für Designer, Fotografen und Stylisten.<br />

Nun sind gleich zwei Bücher erschienen, die<br />

Beleg sind für die Kraft und den Glamour, die<br />

er wie aus dem Ärmel zu schütteln schien. Vor<br />

allem seine mit einer Kodak Instamatic 100<br />

(also einer totalen Schrottkamera) produzierten<br />

Fotos fühlen sich heute noch so frisch an<br />

wie in jenen Tagen, als Jerry Hall, Grace<br />

Jones, Jessica Lange und ein Haufen begnadet<br />

hübscher Männer für ihn posierten. „Er holte<br />

mehr Sex aus einem Schuh und einer Supermarktkamera<br />

als die meisten Modefotografen<br />

aus Aktaufnahmen in einem Millionen-Dollar-<br />

Studio“, heißt es im Nachwort von Instamatics<br />

(Twin Palms Publishers). Stimmt.<br />

62<br />

Fotos: Prada; Liliana De La Barbara, New York City, 1978, Antonio Lopez, Instamatics, Twin Palms Publishers, www.twinpalms.com<br />

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marJana von berlepscH<br />

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Fotos<br />

Jonas Lindström<br />

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Model KATRIN THORMANN/SEEDS<br />

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MAXIMILIAN SCHLOSSER<br />

Haar-Assistenz JULIA BARDE<br />

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kultur<br />

FASHion<br />

Die AbschAffung der Geschlechter<br />

ist schlechterdings nicht möglich<br />

Menschen sind soziale Wesen und auf Geschichten über<br />

sich und ihre Beziehungen angewiesen, wir ahmen<br />

nach, wir brauchen die abgebildete Fantasie eines<br />

anderen, um nach ihrem Muster handeln zu können.<br />

Wir brauchen Bilder, die unsere Bedürfnisse<br />

konkretisieren. Ein Mensch, der sein Leben<br />

“<br />

Die Kolumne von helene hegemann<br />

Und jetzt zum<br />

eigentlichen Thema,<br />

das, wenn dieser Text<br />

in absehbarer Zeit<br />

erscheint, hoffentlich schon<br />

abgearbeitet und einer<br />

,Debatte‘ über<br />

Gewürzgurken gewichen ist:<br />

lang von hetero normativen Bebilderungen von<br />

Liebe (also Disney, eternal love-Ansätzen und<br />

Hochzeit im Prinzessinnenkostüm) fern gehalten<br />

wird und stattdessen nur Kran kenhausserien<br />

zu sehen kriegt, wird eine Blinddarm<br />

entzündung zwangsläufig für ro man tisch<br />

halten. Ein Mensch, dem der Wehrdienst<br />

aufgrund körperlicher Einschränkungen zu<br />

einer Zeit verwehrt wurde, in der es als angemessen<br />

galt, sein Land mit seinem Leben<br />

zu verteidigen, wird, wenn seine Persönlichkeit<br />

das zulässt, aus dieser Entsagung heraus<br />

”<br />

ver suchen, seine Fantasien auf eine andere<br />

Weise auszuleben, und Kriegsfilme drehen:<br />

als oberer Feldherr choreografieren, wie sich<br />

gegenseitig abgeballert wird, also seine Idealvorstellung<br />

von Helden haftigkeit im Krieg ab bilden,<br />

möglichst so ergreifend, dass man sich ihr<br />

nicht entziehen kann, diesen Vorgang als Kritik<br />

an Gewalt tarnen und damit trotzdem nur einen<br />

weiteren, nachzuahmenden Standard etablieren.<br />

Wenn in der als wertvoll, weil hochrealistisch geadelten<br />

Teenieserie Skins die von allen Parteien am meisten<br />

begehrte Figur, eine 14­jährige Nymphomanin namens<br />

Effy, eine ernsthafte schizophrene Störung und mehrere<br />

Selbstmordversuche hinter sich hat, werden das 14­jährige<br />

Mädchen in Oer­Erkenschwick nicht als traurige Analyse eines<br />

verkorksten Innenlebens verstehen, sondern sich als eine Art Versprechen<br />

auf Intensität Prospekte über Schizo phrenie durchlesen<br />

und die dort beschriebenen Verhaltensmuster nachzuahmen versuchen.<br />

So. Und jetzt zum eigentlichen Thema, das, wenn dieser Text in absehbarer<br />

Zeit erscheint, hoffentlich schon abgearbeitet und einer „Debatte“ über<br />

Gewürzgurken gewichen ist: Wenn in Deutschland ein 67­jähriger<br />

Mann zu einer Frau, die ihm gewissermaßen sogar körperlich überlegen<br />

und deshalb nicht direkter Gefahr ausgesetzt ist, nach einer<br />

dreistündigen politischen Diskussion, also schlicht im falschen<br />

Kontext, etwas sagt, was darauf anspielt, dass sie eine Frau ist, und<br />

dieser Fauxpas dann in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer absolut<br />

falsch geführten Debatte darüber wird, was Männer Frauen antun,<br />

ist das nicht nur eine Bankrotterklärung sämtlicher an der Diskussion Beteiligter,<br />

und auch nicht nur ein harmloser Ausläufer dieser pedantischen deutschen<br />

Neotugendhaftigkeit. Es ist ein subtiler antifeminis tischer, gefährlicher Unterdrückungsmechanismus,<br />

der wirkt, als wäre er von Männern ausgedacht worden, um<br />

Frauen schwächer zu machen, als sie sind.<br />

Wenn in Deutschland<br />

ein 67-jähriger Mann<br />

zu einer Frau …<br />

So werden Abertausende Mädchen, die im<br />

Gegensatz zu ihren Müttern oder Großmüttern<br />

nie auch nur im Ansatz vermittelt<br />

gekriegt haben, sie seien weniger<br />

wert als Männer, in ein Konstrukt gezwängt,<br />

in dem sie auf Altherrenwitze<br />

reagieren müssen wie auf einen Vergewaltigungsversuch.<br />

Wenn ein Mann<br />

den Inhalt einer mit einer Frau geführten<br />

Diskussion nach ein paar Stunden<br />

entkräftet, weil auf Sex reduziert, indem er<br />

sagt: „Wenn Sie so weitermachen, ejakuliere<br />

ich gleich in Ihren Ausschnitt“, sollte diese<br />

Frau möglichst antworten: „Und wissen Sie, wie<br />

Sie besser aussähen? Mit meinem Schwanz in Ihrem<br />

Mund.“ Vielleicht ist man als jahrtausendelang unterdrücktes<br />

Geschlecht dazu aufgefordert, Kultur techniken zu<br />

entwickeln, die unangenehme Situationen entschärfen, aber<br />

bestimmt nicht dazu, die Polizei zu rufen, sobald man nicht mehr<br />

nur als Kopf auf zwei Beinen verstanden wird. Wenn Patrick Nuo im<br />

Dschungelcamp zehn Minuten lang seine Fresse halten und der Kamera<br />

seinen nackten Oberkörper zeigen muss, gilt das als okay und lustig, weil es<br />

mal kurz die in jeder Form zwischenmenschlicher Beziehungen mitschwingenden<br />

Gedanken über Verführungsstrategien offenlegt. Völlig okay auch, wenn ein<br />

Chefredakteur nur blonde Frauen einstellt, weil er nicht auf Dunkelhaarige steht,<br />

selber schuld. Völlig okay auch, wenn ein Chefredakteur nur Frauen einstellt, die<br />

nicht im Geringsten sein Typ sind, damit er nicht Gefahr läuft, sich an seinem<br />

Arbeitsplatz zu verlieben, auch selber schuld. Eine Abschaffung der Geschlechter<br />

ist schlechterdings nicht möglich, es sei denn, alle äußeren Geschlechtsmerkmale<br />

werden außer Acht gelassen und die von der Gender­Theoretikerin Beatriz<br />

Preciado erfundene Dildokratie bricht aus: keine Penetration, also kein gewalttätiger<br />

Akt mehr jenseits von Dildo und Anus. Für Frauen wäre das nicht<br />

sonderlich gewinnbringend, aber ich schweife ab.<br />

Die Brüderle­Debatte jedenfalls ist keine Sexismusdebatte, sondern<br />

eine Debatte darüber, dass sich ein Mensch nicht adäquat und der Situation<br />

entsprechend verhalten konnte. Unterdrückung durch Männer<br />

68<br />

ist in unserer Gesellschaft aufgrund verbliebener biologischer<br />

Voraus setzungen auf zwei Ebenen möglich. Einige, also ehrlich<br />

gesagt, die meisten Männer können Frauen 1. körperlich unterdrücken,<br />

also einer Gewalt aussetzen, gegen die sie sich ohne<br />

Selbstvertei digungskurs nicht wehren können, und 2. sehr viel problem<br />

loser als eine Frau ihr Kind beziehungsweise ihre Familie verlassen.<br />

Wenn eine Mutter abends ausgeht, wird sie grundsätzlich<br />

gefragt, WO ihr Kind ist; wenn ein Vater abends ausgeht, wird er<br />

im äußersten Fall gefragt, wie es dem Kind denn so geht. Anstatt<br />

mit der Stillosigkeit eines alten schwächlichen Mannes sollte man<br />

sich also eher mal mit der Abschaffung diskursiv erzeugter, unangreifbarer<br />

und über allem stehender Mutterliebe auseinandersetzen,<br />

aber dazu später mehr.<br />

Illustration: Sandra Buergel<br />

Die Girls tragen durchgehend (von links nach rechts): LOUIS VUITTON, MARC JACOBS und DOLCE & GABBANA. Alle Schuhe von BOTTEGA VENETA.<br />

75


Fashion<br />

FASHion<br />

Bild unten rechts: LV-2013 trägt Hut sowie Tasche (links am Arm) von SAINT LAURENT, die Tasche am rechten Arm ist von MARNI. Auf dem kleinen<br />

Präsen tiertisch vorne (von oben nach unten): Schuh von SAINT LAURENT, Brille von MOSCHINO und Tasche von HOGAN. MJ-2013 trägt eine Tasche<br />

von MARC JACOBS und Schuhe von CHANEL. An dem Haken im Hintergrund hängt eine Tasche von CHLOÉ.<br />

Bild o. l.: Kleid BALMAIN, Schuhe MARC JACOBS, Stiefelette (vorne) BALMAIN, Sandalette neben Spiegel (auf Schuh karton) TOD’S. Bild o. r.: Kette auf<br />

Schmuckständer GUCCI, Minikleid, Tasche, Kette & Armband CHANEL, Kleid mit Volants BALENCIAGA. Mitte: Beute von DG-2013 sind je eine Tasche von<br />

PRADA (mit Blumenmotiv) und LOUIS VUITTON, von MJ-2013 eine Tasche von MARC JACOBS und Schuhe von CHANEL. Die Taschen im Vordergrund<br />

sind von OLYMPIA LE-TAN (l.) und HERMÈS (r.). Die Schaufenster puppen im Hintergrund tragen (v. l. n. r.): LOUIS VUITTON, DIOR und DOLCE & GABBANA.


John Irving duckt sich über seine Notizen.<br />

Mit der Brille auf der Nase und dem Stift<br />

in der Hand ist er mit den Gedanken gerade<br />

irgendwo, nur nicht in diesem Abteil,<br />

in diesem Zug, der langsam Fahrt aufnimmt<br />

und ihn in den nächsten drei Stunden von<br />

München nach Frankfurt bringen wird. Kurz schaut<br />

er zur Begrüßung auf, dann taucht er wieder in seine<br />

Aufzeichnungen ab.<br />

Ihm gegenüber hat seine Gattin und Agentin Janet<br />

Turnbull Platz genommen, neben ihr die Pressechefin<br />

vom Diogenes­Verlag, gewissermaßen seine<br />

Entourage, die ihn auf seiner kleinen Lesereise begleitet.<br />

Anlass ist sein neuer Roman In einer Person, in<br />

dem der 70­jährige Schriftsteller Irving den fast<br />

70­jährigen Schriftsteller Billy Abbott sein Leben als<br />

bisexueller Mann rekapitulieren lässt. Die Erzählung<br />

beginnt in den 50er­Jahren in First Sister, einer über<br />

alle Maßen theaterbegeisterten Kleinstadt in Vermont.<br />

Dort wächst Billy Abbott auf und erlebt sein<br />

sexuelles Erwachen, als er der deutlich älteren Bibliothekarin<br />

Miss Frost begegnet, einer Transsexuellen,<br />

die in ihrem früheren Leben einmal der beste Ringer<br />

des örtlichen Jungeninternats gewesen ist.<br />

John<br />

IrvIng<br />

78<br />

MaN trägt wieder FlaNell: aus deM dOkuMeNtarFilM John IrvIng<br />

und wIe er dIe welt sIeht VON aNdré schäFer (IrvIng.wfIlm.de)<br />

VON<br />

hArAld peters<br />

Fotos: Florianfilm GmbH/André Schäfer<br />

Seine Bücher sind so weit und so<br />

freiheitlich wie das große Versprechen<br />

Amerika. Doch wie das Land verzetteln<br />

sich auch seine Helden in den<br />

Verhältnissen. In seinem neuen Roman<br />

„In einer Person“ erzählt John Irving<br />

eine Geschichte zwischen sexueller<br />

Befreiung und dem Ausbruch von Aids.<br />

Eine Zugfahrt mit dem großen<br />

amerikanischen Schriftsteller<br />

79<br />

IntervIew: Herr Irving, kann es sein, dass in dem<br />

Städtchen First Sister, in dem Ihr neuer Roman<br />

spielt, vornehmlich Radikalindividualisten und sexuelle<br />

Außen seiter leben? Die Bibliothekarin ist transsexuell,<br />

der Erzähler bi, sein Vater schwul, die Cousine<br />

lesbisch und der Großvater ein Crossdresser.<br />

John IrvIng: Man muss dazu wissen, dass die<br />

Kleinstädte New Englands nicht mit jenen in Mississippi<br />

oder im Mittleren Westen vergleichbar sind.<br />

New England war immer von einem libertären Geist<br />

beseelt. Hinzu kamen die vielen Internate, die es vor<br />

allem in ziemlich abgelegenen Kleinstädten gab.<br />

Dank der Internate waren die Städte von 16, 17 Jahre<br />

alten Jungen bevölkert, die aus der ganzen Welt kamen,<br />

aus Paris, aus New York, aus Beirut …<br />

IntervIew: Warum? Warum schicken Eltern aus<br />

Frankreich ihren Sohn auf ein Internat in New England?<br />

IrvIng: Diplomatenfamilien! Vielleicht machten<br />

die Väter Bankgeschäfte, arbeiteten im internationalen<br />

Recht, so etwas in der Art. Als ich Ende der Fünfziger,<br />

Anfang der Sechziger auf einem dieser Internate<br />

war, habe ich dort jedenfalls Jungs getroffen, die<br />

sexuell erfahrener waren als alle anderen Menschen,<br />

die ich kannte. Das waren exotische Geschöpfe, wie<br />

sie mir erst wieder in New York in den Achtzigern<br />

begegnet sind – und ich hatte zwischenzeitlich in<br />

Pittsburgh gelebt und in Europa studiert. Aber bis zu<br />

meiner Zeit in New York habe ich nie wieder Leute<br />

getroffen, die es mit den Jungs, die ich in den Fünfzigern<br />

gekannt habe, hätten aufnehmen können.<br />

IntervIew: Verstehe. Ich hatte mich nämlich gewundert,<br />

wie weltoffen und liberal die Kleinstadt First<br />

Sister doch wirkt.<br />

IrvIng: Noch einmal: Eine Kleinstadt im New<br />

England der 50er­Jahre war ungefähr 90­mal liberaler<br />

als eine ähnlich große Stadt irgendwo sonst in den<br />

USA. Es gab im New Yorker eine Rezension, die von<br />

jemandem geschrieben wurde, der zu der Zeit, als Billy<br />

das Internat in First Sister besuchte, vielleicht acht<br />

oder neun Jahre alt war. Dieser Autor ist in der<br />

Gegend von Washington D.C. aufgewachsen, also<br />

eigentlich in den Südstaaten. Ich meine, in direkter<br />

Umgebung von Maryland und Virginia wächst man<br />

zwangsläufig in einer eher konservativen Umgebung


KULTUR/John Irving<br />

KULTUR/John Irving<br />

auf. Heute lebt dieser Autor übrigens immer noch<br />

dort. Er war also noch gar nicht alt genug, um die<br />

Situation in New England in den Fünfzigern zu<br />

kennen.<br />

IntervIew: Ich glaube, ich habe den Text gelesen.<br />

IrvIng: Wissen Sie, wer dieser Autor ist?<br />

IntervIew: Nein.<br />

IrvIng: Er ist ein Log Cabin Republican. Wissen<br />

Sie, was ein Log Cabin Republican ist?<br />

IntervIew: Nein, aber ich glaube, ich kann es mir<br />

vorstellen.<br />

IrvIng: Können Sie?<br />

IntervIew: Okay, wahrscheinlich kann ich es<br />

nicht. Erklären Sie es mir.<br />

IrvIng: Ein Log Cabin Republican ist ein schwuler<br />

Mann, der die Republikaner wählt, oder mit anderen<br />

Worten: ein Schwuler, der sich mehr um sein<br />

Geld sorgt als um die sexuelle Minderheit, der er angehört.<br />

Er war jedenfalls einer der Ersten, die behauptet<br />

haben, dass jemand wie Billy in den Fünfzigern gar<br />

nicht in Vermont habe existieren können. Daraus<br />

kann ich nur den Schluss ziehen, dass er niemals dort<br />

war und dass er nicht auf ein Internat gegangen ist.<br />

John Irving kommt 1942 als John Wallace<br />

Blunt Jr. in Exeter/New Hampshire zur<br />

Welt, die Mutter ist Krankenschwester,<br />

den Vater lernt er nie kennen. Als Teenager<br />

entwickelt Irving ein Interesse am<br />

Schreiben und Ringen, weshalb in seinen Romanen<br />

häufig Schriftsteller auftauchen, die nebenbei Ringkämpfer<br />

sind. Auch kommen des Öfteren alleinerziehende<br />

Mütter und Krankenschwestern vor, während<br />

Väter wiederum oft tot sind, niemals da waren oder so<br />

schwach sind, dass man sie nicht weiter bemerkt.<br />

Mit 26 veröffentlicht Irving seinen ersten Roman<br />

Lasst die Bären los!, der angeblich von Günter<br />

Grass’ Blechtrommel inspiriert ist, was man zum<br />

Glück aber nicht merkt. Der Roman bleibt ein überschaubarer<br />

Erfolg, ebenso die beiden Nachfolger<br />

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker und Eine Mittelgewichts-Ehe.<br />

Der große Durchbruch kommt dann<br />

1978 mit Garp und wie er die Welt sah, seither ist Irving<br />

einer der erfolgreichsten amerikanischen Gegenwartsautoren.<br />

IntervIew: Sie lesen also die Kritiken Ihrer Bücher …<br />

IrvIng: Ja, aber ich lese nicht alle. Und lese sie<br />

auch nicht dann, wenn sie erscheinen, außer es weist<br />

mich jemand gezielt darauf hin. Meistens bekomme<br />

ich sie gesammelt vom Verlag, und dann sehe ich sie<br />

durch. Das ist interessant, weil man merkt, wer bei<br />

wem abgeschrieben hat.<br />

IntervIew: Lustig.<br />

IrvIng: Ich bekomme vielleicht 50 Rezensionen,<br />

aber nur die Hälfte davon ist originell, und der Rest<br />

besteht aus Versatzstücken anderer Rezensionen.<br />

IntervIew: Ein Satz, der schon seit Jahrzehnten<br />

immer wieder in den Rezensionen steht, geht etwa so:<br />

„Gutes Buch, aber längst nicht so gut wie die frühen<br />

Bücher.“<br />

IrvIng: In der Regel handelt es sich dabei um<br />

Lügen. Die meisten Leute, die das schreiben, mochten<br />

nicht einmal die Bücher, die sie angeblich besser<br />

fanden. Es gibt einen Fall, wo der Kritiker geschrieben<br />

hat, dass das Buch zwar ganz in Ordnung sei,<br />

aber längst nicht so perfekt wie Gottes Werk und Teufels<br />

Beitrag. Wobei ausgerechnet dieser Kritiker damals<br />

über Gottes Werk und Teufels Beitrag meinte, es<br />

sei ein schlechtes Buch. Es wäre ja okay, wenn einer<br />

schreiben würde: „Ich kann John Irving nicht ausstehen,<br />

und ich hasse alles, was er macht.“ Das passiert<br />

aber nicht.<br />

IntervIew: Warum nicht?<br />

IrvIng: Weil die Leser, die das eine oder andere<br />

meiner Bücher mögen, die Texte des Rezensenten<br />

fortan nicht mehr ernst nehmen würden – schon deshalb,<br />

weil sie einen ganz anderen Geschmack haben.<br />

Also steht in den Texten immer: „Ich kann sein neues<br />

Buch nicht leiden, aber denken Sie ja nicht, dass ich<br />

etwas gegen John Irving habe. Tatsächlich fand ich<br />

dieses frühe Werk von ihm ganz wunderbar.“<br />

IntervIew: Und solche Sachen merken Sie sich?<br />

IrvIng: Wissen Sie, es gibt Dinge, an die man<br />

sich zwar nicht erinnern will, die man aber doch nicht<br />

vergisst. Es ist nicht so, dass ich nachts wach liege und<br />

schlechte Rezensionen abrufe, aber ich kenne sie. Ich<br />

kenne die Leute, die meine Bücher nicht nur einmal<br />

oder zweimal verrissen haben, sondern fünf- und<br />

sechs mal. Ich kenne sie.<br />

IntervIew: Es wird sich auch gerne darüber beschwert,<br />

dass Sie mit wiederkehrenden Motiven arbeiten:<br />

Die Hauptfiguren sind meist Schriftsteller,<br />

Ringer tauchen auf, Bären kommen vor.<br />

IrvIng: Man fragt sich, was diese Leute über König<br />

Ödipus oder Antigone schreiben würden: „Herrgott,<br />

schon wieder ein Stück über Inzest!“ Oder Richard<br />

III.: „Nicht schon wieder ein fieser König. Wie<br />

viele Stücke über fiese Monarchen kann man ertragen?“<br />

Haben Sie jemals solch einen Text über Shakespeare<br />

gelesen?<br />

IntervIew: Nein, aber ich glaube, so ein Text<br />

würde mich amüsieren.<br />

IrvIng: Wirklich?<br />

„Mir war es wichtig,<br />

dass Miss Frost<br />

nicht an Aids<br />

stirbt. Sie musste<br />

ermordet werden.<br />

Von jemandem, der<br />

sie hasst. Davon<br />

handelt das Buch:<br />

vom Hass auf<br />

sexuelle Außenseiter“<br />

– John Irving<br />

John Irvings Frau schaut bereits seit einer<br />

Weile verstimmt aus dem Zugfenster und<br />

schnaubt. Vielleicht kann sie die immer<br />

gleichen Fragen an ihren Mann nicht<br />

mehr ertragen, vielleicht sind es auch seine<br />

Antworten. Doch wie sich herausstellt, ist es nicht<br />

das Gespräch, sondern ein Hörbuch, das ihr den Nerv<br />

raubt. Entschlossen rupft sie sich die Kopfhörer aus<br />

dem Ohr und tut laut ihren Unmut kund. Von wem<br />

denn das beklagenswerte Hörbuch sei? Das könne sie<br />

leider nicht verraten, sagt sie, sonst schreibe man<br />

80<br />

noch: „John Irvings Frau hasst das Buch von XY.“ Nur<br />

so viel: Es sei überall gelobt worden, überall. Wie nebenbei<br />

verrät Irving dann den Namen des Kollegen.<br />

Großes Geschrei im Zug von München nach Frankfurt.<br />

Irvings Gattin und die Dame vom Verlag werfen<br />

aufgeregt die Arme in die Luft und verlangen einen<br />

Schwur darauf, dass der Name für immer ein Geheimnis<br />

bleibe.<br />

IntervIew: Ein anderes wiederkehrendes Motiv in<br />

Ihren Romanen sind sexuelle Außenseiter.<br />

IrvIng: Stimmt, Billy hat eine Reihe von Vorläufern.<br />

Garps Mutter hatte zum Beispiel nur einmal<br />

in ihrem gesamten Leben Sex, ebenso Dr. Larch aus<br />

Gottes Werk und Teufels Beitrag – nur einziges Mal.<br />

Also für mich sind diese Figuren sogar weitaus größere<br />

Außen seiter. Mir fiel es jedenfalls leichter, mich in<br />

die Figur eines bisexuellen Mannes hineinzudenken,<br />

der mit allen schlafen will, als in jene Figuren, die nie<br />

Sex haben. Solche Figuren sind viel extremer.<br />

IntervIew: In einer Person war also kein besonders<br />

schwieriges Buch für Sie?<br />

IrvIng: Ja, es war jedenfalls einfacher als manch<br />

anderes meiner Bücher. Oft muss ich 18 Monate oder<br />

noch länger auf Recherche gehen und mir Dinge aneignen,<br />

von denen ich sonst nicht viel weiß. Aber dieses<br />

Mal war es anders. Ich bin Ende der Fünfziger auf<br />

einem Internat in New England gewesen, und als in<br />

den frühen Achtzigern Aids zugeschlagen hat, habe<br />

ich in New York gelebt. Das Thema der sexuellen Intoleranz<br />

gab es schon in Garp, und einen vergleichbaren<br />

Ich-Erzähler gab es in Owen Meany. Vieles in<br />

dem neuen Roman war in meinen vorherigen Werken<br />

bereits angelegt.<br />

IntervIew: Mir hat gefallen, wie Sie den Coming-out-Prozess<br />

beschrieben haben, die Selbstverleugnung,<br />

die Vermeidungsstrategien …<br />

IrvIng: Wissen Sie, manchmal muss ich mich<br />

sehr über meine alten schwulen Freunde wundern. Es<br />

kommt mir so vor, als könnten sie es gar nicht fassen,<br />

wie leicht es Schwule heute angeblich haben. Mitunter<br />

erinnern sie mich an die Generation meines Großvaters:<br />

„Als ich zur Schule gegangen bin, musste ich<br />

jeden Tag drei Stunden lang zu Fuß durch den Schnee<br />

gehen“, solche Sachen. Und ja, es mag heute für einen<br />

Teenager leichter sein, sein Coming-out zu haben,<br />

keine Frage. Aber ich kann es nur schwer ertragen,<br />

wenn man mir erzählen will, dass es heute überhaupt<br />

kein Problem sei. Das wird wahrscheinlich niemals<br />

einfach sein, schon deshalb, weil kein pubertierender<br />

Teenager anders sein will. Wer 13, 14 Jahre alt ist, will<br />

so sein wie seine gleichaltrigen Freunde und nicht als<br />

Außenseiter gelten.<br />

IntervIew: Sie meinen: Nur weil der Umgang<br />

offener ist, heißt es nicht, dass es dadurch automatisch<br />

kinderleicht geworden ist.<br />

IrvIng: Ja, und das war ja auch eines der vielen<br />

erschütternden Dinge am Ausbruch von Aids. Endlich<br />

hatten viele junge Männer den Mut gefunden, die<br />

klaustrophobischen Kleinstädte hinter sich zu lassen<br />

und nach New York zu gehen – und dann schlug der<br />

Tod zu. Diese jungen Männer hatten gerade erst die<br />

Schwelle zu dem Leben überschritten, das sie eigentlich<br />

führen wollten, und in der Sekunde, in der sie<br />

angekommen waren, war es schon wieder vorbei. Dieser<br />

Teil des Buches war einer der Hauptgründe, warum<br />

ich es geschrieben habe, aber es war auch der Teil<br />

des Buches, den ich am wenigsten schreiben wollte.<br />

Da kamen all die Dinge wieder hoch, an die ich mich<br />

lieber nicht erinnert hätte. Allerdings war es mir<br />

wichtig, dass Miss Frost, das emotionale Zentrum des<br />

Buches, nicht an Aids stirbt. Sie musste ermordet werden.<br />

Von jemandem, der sie hasst. Davon handelt das<br />

Buch: vom Hass auf sexuelle Außenseiter.<br />

Essenszeit. Die Dame von Diogenes<br />

sagt, dass die Irvings bei Lesereisen<br />

gern die Bahn nähmen, nur gebe es im<br />

Zug nie etwas Anständiges zu essen,<br />

jedenfalls nicht in Deutschland. Eindringlich<br />

und mit wachsender Fassungslosigkeit wird<br />

die Speisekarte angestarrt, aber das Angebot wird<br />

nicht besser. Irving wählt eine Erbsensuppe, seine<br />

Frau ein Sandwich. Beim Essen erzählt er, dass er seit<br />

über einem Jahr eigentlich keinen Alkohol mehr anrühre,<br />

aber seit wenigen Monaten trinke er hin und<br />

wieder ein Bier. Das finde sie gut, sagt seine Frau, er<br />

sei einfach viel lustiger, wenn er was getrunken habe.<br />

Und sonst sei er nicht lustig? Doch, na klar, aber nach<br />

einem Bier sei er eben noch viel, viel lustiger.<br />

Fängt seIne romane von hInten an: John IrvIng beI Der arbeIt<br />

„Mir fiel es leichter,<br />

mich in die Figur<br />

eines bisexuellen<br />

Mannes hineinzudenken,<br />

der mit allen<br />

schlafen will, als<br />

in jene Figuren, die<br />

nie Sex haben. Die<br />

sind viel extremer“<br />

– John Irving<br />

IntervIew: Der letzte Satz eines Romans ist bei Ihnen<br />

immer der erste, den Sie schreiben. Wie detailliert<br />

ist die Handlung eigentlich festgelegt, bevor Sie<br />

mit dem eigentlichen Schreiben beginnen?<br />

IrvIng: Ziemlich detailliert. Die ersten Notizen<br />

zu In einer Person habe ich im Dezember 2000, Januar<br />

2001 gemacht, aber den ersten Satz habe ich erst im<br />

Juni 2009 geschrieben. Da liegen also immerhin acht,<br />

neun Jahre dazwischen.<br />

IntervIew: Und in der Zeit haben Sie sich vor<br />

allem Gedanken und Notizen gemacht.<br />

IrvIng: Nur Notizen. Die Notizen sind der Straßenplan.<br />

Aber diese Notizen beinhalten auch Dia loge<br />

und Szenen, die später im Roman auftauchen. Es gibt<br />

Dinge, Szenen, Vorfälle, von denen ich weiß, dass sie<br />

für die Handlung wichtig sind, nur weiß ich oft nicht,<br />

an welcher Stelle der Handlung ich sie einbauen soll.<br />

Muss diese eine Fotografie schon im dritten Kapitel<br />

auftauchen oder besser erst im neunten oder zehnten?<br />

Was die Feinheiten angeht, ändere ich also oft meine<br />

Meinung, den großen Plan habe ich allerdings fertig,<br />

be vor ich mit dem Buch beginne. Anders geht es<br />

nicht.<br />

IntervIew: Und wenn Sie dann einmal angefangen<br />

haben, wie lange schreiben Sie dann an einem Buch?<br />

IrvIng: Zunächst einmal habe ich es mir angewöhnt,<br />

sieben, acht Jahre zu warten, bevor ich überhaupt<br />

mit dem Schreiben anfange, manchmal sind es<br />

sogar 15 Jahre. Ein Grund dafür ist, dass ich die erste<br />

Fassung so schnell wie möglich schreiben möchte.<br />

Hätte ich nicht bereits alles fertig im Kopf, müsste<br />

ich oft innehalten, um nachzudenken, wie es eigentlich<br />

mit der Handlung weitergeht. Das würde den<br />

Schreibprozess erheblich verlangsamen. Denn was<br />

die Architektur eines Romans angeht, bin ich nicht<br />

besonders schnell. Deswegen schreibe ich also lieber<br />

in einem Zug. Hinterher drossele ich dann das Tempo<br />

und mache mich ans Feintuning. Mit der ersten<br />

Fassung habe ich im Juni 2009 angefangen und war<br />

damit im Dezember 2010 fertig. Das ist ziemlich<br />

schnell. Dann habe ich aber noch mal so lange für<br />

die Kleinigkeiten gebraucht.<br />

IntervIew: Werden die Kleinigkeiten in so einem<br />

Notizbuch, wie Sie es bei sich haben, vermerkt?<br />

IrvIng: Ja, das ist das Notizbuch, das ich mit auf<br />

Reisen nehme. Wenn ich morgens aufwache und denke:<br />

Ich sollte dieses Detail in Kapitel drei erwähnen<br />

und jenen Sachverhalt in Kapitel vier anschneiden,<br />

um ihn in Kapitel acht zu wiederholen, dann brauche<br />

ich so ein Notizbuch, um hinterher die Punkte zu verbinden.<br />

Für jeden Roman brauche ich im Durchschnitt<br />

ungefähr drei bis vier. Dieses hier ist ganz neu,<br />

das habe ich extra für die Reise mitgenommen. Sie<br />

können es sich ruhig mal ansehen.<br />

81<br />

Irving reicht sein Notizbuch rüber, ein etwa<br />

DIN A4 großes Heft mit verstärkten Pappdeckeln.<br />

Die rechten Seiten sind jeweils vollgeschrieben<br />

mit Regieanweisungen an sich<br />

selbst, die linke Seiten sind frei, damit Platz<br />

ist, um die Regieanweisungen mit weiteren Regieanweisungen<br />

zu ergänzen. Ich könne ruhig darin lesen,<br />

ich würde es sowieso nicht verstehen. Ich lese und<br />

verstehe nichts. Irving nickt zufrieden und nimmt das<br />

Buch wieder an sich.<br />

IntervIew: Beim Lesen von In einer Person dachte<br />

ich, dass mit einer Figur wie Billy Zuschreibungen<br />

wie hetero, schwul oder bi im Grunde überflüssig<br />

sind. Im Prinzip ist Billy doch eigentlich alles, oder?<br />

IrvIng: Ja, aber je mehr einem das Umfeld zu<br />

verstehen gibt, dass man zu einer Minderheit gehört,<br />

desto mehr fühlt man sich auch dieser Minderheit zugehörig,<br />

ob nun in sexueller oder einer anderen Hinsicht.<br />

Wenn man Teil einer Minderheit ist, muss man<br />

seinen Status, wer oder was man ist, erkämpfen, behaupten<br />

und verteidigen. Aber das heißt nicht, dass<br />

andere deswegen das Recht haben, einen als was auch<br />

immer zu bezeichnen. Keiner darf sagen: „Oh, sie ist<br />

eine Lesbe!“, so als würde diese Kategorie alles erklären,<br />

was es über diese Person zu sagen gibt. Man<br />

macht sie dadurch kleiner, wenn man versucht, ihre<br />

Persönlichkeit mit einem einzigen Aspekt zu erklären.<br />

Miss Frost kann über sich sagen: „Ich bin eine Transgender­Frau!“<br />

Aber wenn man über sie sagen würde,<br />

dass sie eine Transgender­Frau sei, wird sie sich das<br />

nicht gefallen lassen. Weil es da einen Unterschied<br />

gibt.<br />

IntervIew: Das dürfte allerdings für viele Leute<br />

schwer verständlich sein.<br />

IrvIng: Natürlich. Aber nehmen wir das Beispiel<br />

der jüngeren schwulen Schriftstellerkollegen, mit denen<br />

ich befreundet bin. Die können es nicht leiden,<br />

wenn man sie als schwule Schriftsteller bezeichnet.<br />

IntervIew: Natürlich nicht.<br />

IrvIng: Während hingegen Edmund White, einer<br />

meiner ältesten schwulen Freunde, darauf besteht,<br />

dass man ihn als schwulen Autoren bezeichnet. Das ist<br />

auch eine Generationenfrage. Beide haben recht mit<br />

ihren Positionen. Edmund ist zwei Jahre älter als ich<br />

und hat allen Leuten stets sehr kämpferisch zu verstehen<br />

gegeben: Das bin ich. Während seine jungen<br />

Kollegen sagen: Klar sind wir schwul, aber das steht<br />

jetzt nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit<br />

unseren Texten.<br />

Bahnhof Frankfurt. Die Koffer werden<br />

aus der Ablage gewuchtet. Irvings Frau<br />

zieht ihr raumgreifendes Gepäck durch<br />

den Gang und stellt ernüchtert fest,<br />

dass es keinen Sinn mehr mache, shoppen<br />

zu gehen: In die Koffer bekomme man nichts<br />

mehr rein. Irving sagt, ihm gehe es ganz anders. Zu<br />

Beginn einer Reise stopfe er sein Gepäck bis zum Anschlag<br />

voll, und wenn er dann irgendwo haltmache,<br />

falle ihm auf, dass er diese Hose nicht mehr mag und<br />

jenes Hemd erst recht nicht. Dann werde aussortiert.<br />

Und wenn der Mann, der seine Romane vom Ende<br />

her schreibt, dann wieder zu Hause ist, sind seine<br />

Koffer ziemlich leer.<br />

In eIner Person Ist<br />

beI DIogenes erschIenen


:<br />

KULTUR<br />

1Katharina Grosse<br />

Die wunderbare und eigensinnige Künstlerin zeigt großformatige, fast abstrakte Malerei und installiert<br />

einen Parcours aus Styropor-Objekten und traubenförmig gehängten, riesigen Ballons. Der Betrachter<br />

wird zu Stellungswechseln genötigt, denn frontal lassen sich die Arbeiten nicht erfassen. Und gäbe es<br />

eine Goldmedaille für den besten Ausstellungsnamen, wäre hier ein Anwärter. Two Younger Women Come<br />

In And Pull Out A Table, bis 9. Juni im De Pont Museum of Contemporary Art/Tilburg (Niederlande).<br />

INSTALLATIONS -<br />

P LAN FIFTEEN<br />

MINUTES OF<br />

FAME<br />

IM KUNSTHAUS<br />

BREGENZ<br />

GRUNDRISS<br />

2<br />

Kein Medium faszinierte Warhol stärker als der<br />

große Gleichmacher Fernsehen. Fifteen Minutes of<br />

Fame heißt die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz<br />

(bis 14. April), in der die Versuche des<br />

Künstlers als Moderator und Produzent gezeigt<br />

werden: unvorteilhaftes Studiolicht, begnadetes<br />

Gestammel, berühmte Freunde. Ganz klar ein<br />

Kunsthighlight dieses Frühjahrs. Die Installation<br />

der Monitore erledigten, wie immer makellos<br />

und stimmig, Oda Pälmke und Etienne Descloux<br />

vom Berliner Architekturbüro PE-P.<br />

DIE FORMEL BEYONCÉ Die Komponenten, aus denen die Sängerin zusammengesetzt ist<br />

TINA TURNER<br />

(ZIRKUSPFERD)<br />

MILLI VANILLI<br />

(PLAYBACK-VIRTUOSEN)<br />

James Franco<br />

Entschlossen, wirklich jede Tätigkeit<br />

auszuüben, zeigt sich der<br />

Schauspieler in seiner Ausstellung<br />

Gay Town als selbstverständlich<br />

hervorragender Maler. Bis 9.<br />

März bei Peres Projects/Berlin.<br />

+ x =<br />

IPOD<br />

(PERFEKTES PRODUKT)<br />

82<br />

Anschauen!<br />

FILME<br />

„LES MISÉRABLES“<br />

Frankreich: Entlassener Häftling verletzt Bewährungsauflagen<br />

und wird Bürgermeister einer mittelgroßen<br />

Stadt, wo er sich um das Schicksal einer<br />

Pros tituierten sorgt, die von Anne Hathaway gespielt<br />

wird. Alle haben schlechte Zähne und schmutzige<br />

Füße, alle haben ein trauriges Lied auf den Lippen.<br />

Stimmungsvoll (ab 21. Februar).<br />

„SIGHTSEERS“<br />

England: Tina und Chris machen mit dem Wohnwagen<br />

eine Fahrt zu allen Sehenswürdigkeiten des Landes<br />

und killen auf dem Weg Leute, die nerven. Das<br />

schweißt einerseits zusammen, sorgt aber auch für<br />

Verstimmungen. Lustig (ab 28. Februar).<br />

„HÄNSEL & GRETEL: HEXENJÄGER“<br />

Deutschland: Geschwisterpaar rächt sich mit Waffengewalt<br />

für eine schlimme Kindheit im Märchenwald.<br />

Killer (ab 28. Februar).<br />

RICHTIG SAUER: JEREMY RENNER UND<br />

GEMMA ARTERTON IN HÄNSEL & GRETEL<br />

„DIE FANTASTISCHE WELT VON OZ“<br />

Kansas: Ein fahrender Magier gerät im Mittleren<br />

Westen der USA in einen Wirbelsturm, der ihn nach<br />

Oz transportiert, wo er es mit ein paar eigensinnigen<br />

Hexen zu tun bekommt, die Hänsel und Gretel<br />

durch die Lappen gegangen sind. Wird er sich<br />

durchsetzen können? Beziehungsreich (ab 7. März).<br />

„HAI-ALARM AM MÜGGELSEE“<br />

Brandenburg: Bewegendes Drama um den Hai-Jäger<br />

Snake Müller, der nach langen Jahren nach Friedrichshagen<br />

zurückkehrt, um einem blutrünstigen<br />

Süßwasserfisch das Handwerk zu legen, der sich an<br />

dem Bademeister der Touristenhochburg vergriffen<br />

hat. Spannend (ab. 14. März).<br />

DONALD TRUMP<br />

(TYCOON)<br />

BEYONCÉ<br />

KNOWLES<br />

Fotos: Olaf Bergmann, Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn, 2013; David Appleby/2012 Paramount Pictures Corporation and Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved; James Franco, White Snow (2012), courtesy of Peres Projects; GAB Archive/Redferns/Getty Images; action press; Jim Spellman/WireImage/Getty Images;<br />

Bryan Bedder/Getty Images; Martin Kippenberger und Elfie Semotan, Venedig 1996 © Elfie Semotan, courtesy Distanz Verlag Berlin; Kiepenheuer & Witsch; mute; Ulrike Ottinger, Landkartenobjekt mit Zeichnungen und applizierten Postkarten III, 2011©Ulrike Ottinger<br />

Anmachen!<br />

PlAtteN<br />

CRiMe & THe CiTy SOLUTiOn<br />

„AMeRiCAn TwiLigHT“ (MUTe)<br />

Herausragend lichtscheuer Heroinrock<br />

der großen alten australischen Post-<br />

Punk-Band, die sich nach rund 22-jähriger<br />

Kreativpause in der Besetzung<br />

ihrer Berlin-Phase wieder zusammengerauft<br />

hat. Die Songs heißen Goddess und Domina, der<br />

Sound ist entsprechend.<br />

JOHn gRAnT<br />

„PALe gReen gHOSTS“ (COOPeRATive)<br />

Der tollste, melancholischste und bärtigste Sänger<br />

unserer Zeit hat bei einer Stippvisite in island seine<br />

Liebe zur elektronischen Musik entdeckt, weshalb<br />

Pale Green Ghosts zwar ganz anders als sein Comingout-Album<br />

The Queen of Denmark klingt, aber genauso<br />

wunderbar.<br />

COHeeD AnD CAMBRiA<br />

„THe AFTeRMAn: DeSCenSiOn“<br />

(COOPeRATive)<br />

Zweiter Teil des herausragend überspannten Konzeptwerks<br />

der new yorker Progressive-Rock-Band<br />

Coheed and Cambria, die von der schwierigen<br />

Heimkehr des Kosmonauten Sirius Amory nach einer<br />

expeditionsreise durch ferne galaxien erzählt.<br />

DePTFORD gOTH<br />

„LiFe AFTeR DeFO“<br />

(COOPeRATive)<br />

So ein welthingewandtes gothic-Album bekommt<br />

man nicht oft zu hören, ein glück, dass der Urheber<br />

seinen Lehrerjob aufgegeben hat und sehr bald der<br />

neue UK-Hype nach James Blake sein wird.<br />

Mitgeschrieben<br />

kultur<br />

“Nicht der<br />

einzelne blöde Witz”<br />

Kollegen und Weggefährten über den<br />

Künstler martin kiPPeNBerger<br />

„1978 sprach ich (oder war es umgekehrt?) seine damalige Freundin mit offenkundig lüsternen Absichten in<br />

einer tadellos verkommenen Kneipe namens gans in Hamburg an.“<br />

Werner büttner, Künstler<br />

„Kippenberger konnte einen motivieren, riskante oder folgenreiche entscheidungen zu treffen. wesentlich<br />

bei allem, was man mit ihm unternahm, war die hundertprozentige Konzentration und intensität, die man<br />

seiner und der eigenen Sache zu widmen hatte. Lauwarm war verboten.“<br />

gisela capitain, galeristin<br />

„Denn was Kippenberger ausmacht, ist nicht die einzelne Story oder der einzelne blöde witz, sondern seine<br />

Fähigkeit, sich zu öffnen, die welt abzutasten und zu kommentieren, sich in mäandernder weise damit zu<br />

befassen und dabei auch mal aggressiv oder konkret zu werden.“<br />

Jutta Koether, Künstlerin<br />

„Profitiert habe ich von der Freiheit seiner einfälle, die durchaus auch konzeptueller Art sein konnten.<br />

Da trafen wir uns.“<br />

albert oehlen, Künstler<br />

„Die Kippenberger-Party war ja in ihrer radikalen Attacke gegen alles trotzdem so etwas wie eine warme,<br />

herzliche Liebesbeziehung und nicht wie die witzfreie Kälte der in den neunzigern folgenden wiederkehr<br />

der institutionskritik.“<br />

heiMo Zobernig, Künstler<br />

Kippenberger & Friends,<br />

herausgegeben von Josephine von<br />

perfall, ist bei DistanZ erschienen<br />

LiCHTSCHeUeR<br />

HeROinROCK<br />

aus Australien:<br />

Crime & the City<br />

Solution<br />

Ulrike Ottinger<br />

3Umfassende Retrospektive: verzierte<br />

Landkarten, gefundene Objekte,<br />

Fotografie und ein Teil-<br />

Screening des rätselhaften<br />

Meisterwerkes<br />

Taiga. Ottinger<br />

schlingert souverän<br />

zwischen Fiktion und<br />

Dokumentation. Ab<br />

22. Februar in der<br />

Kestnergesellschaft,<br />

Hannover.<br />

Zitat<br />

Duchamp hatte gewiss viele Facetten. Nebenbei<br />

war er auch ein Schachspieler, ein käsehändler,<br />

ein Erfinder, ein Kunsthändler, ein Theoretiker,<br />

er sprach von sich selbst als AtmeNDer, als<br />

Bricoleur oder als der berüchtigte AN-ArtiSt.<br />

83<br />

Aufschlagen!<br />

Bücher<br />

RAineR MeRKeL<br />

„BO“<br />

S. Fischer, März<br />

ein blinder Junge, ein Held ohne eigenschaften, ein<br />

unerträglich verzogenes gör – klingt nach einer eher<br />

bescheidenen Besetzung, ist allerdings die denkbar<br />

beste gang für diesen afrikanischen Abenteuerurlaub<br />

entlang an irrenhäusern und Millionärsjachten.<br />

MADiSOn SMARTT BeLL<br />

„Die FARBe DeR nACHT“<br />

Liebeskind, Februar<br />

Dieses Buch knuspert im Kopf beim Lesen – schöner<br />

sind die Turmeinstürze des 11. Septembers nie beschrieben<br />

worden. Der inhalt ist ein andauernder<br />

einsatz von vereisungsspray am offenen Herzen:<br />

ground Zero, Helter Skelter, Kojoten und gewehre<br />

– geschichten aus den schaurig-schönen USA eben.<br />

evA MenASSe<br />

„QUASiKRiSTALLe“<br />

Kiepenheuer & Witsch, Februar<br />

Die überflüssige Hommage an<br />

Sally Bowles und das berechenbare<br />

Berlin sind schnell weggelesen:<br />

Die Autorin erzählt die geschichte<br />

einer Frau aus Sicht von Menschen,<br />

die ihr im Laufe des Lebens<br />

begegnen, mit der Präzision einer Samsung-entwicklerin,<br />

mit unkorrumpierbarem einfühlungsvermögen<br />

– und eisernem willen zur Unterhaltung.<br />

Thomas girst in seinem neuen Buch The Indefinite Duchamp (Hatje Cantz)


LES EXCLUSIFS<br />

1932: das Jahr von<br />

CHANELS erster<br />

Schmuckkollektion.<br />

Jetzt als DUFT!<br />

Ab 75 ml, um 130 Euro<br />

WIMPERN BIS ZUM HIMMEL? KEIN PROBLEM<br />

BEAUTY<br />

STREETART<br />

NAGELLACK<br />

& SPRAYDOSE<br />

Die Produkte des Berliner Labels Uslu<br />

Airlines um Make-up-Artist Feride Uslu<br />

und ihren Partner Jan Mihm standen von<br />

Beginn an in den weltweit richtigsten<br />

Fashion- und Design-Stores. Begehrt<br />

sind nicht nur die Nagellacke (benannt<br />

nach internationalen Flughafenkürzeln)<br />

und das Airbrush-Make-up, sondern<br />

auch die Sondereditionen mit Sammlerwert.<br />

Die aktuelle capsule collection entstand<br />

mit dem Graffitikünstler Superblast<br />

und dem Spraydosenhersteller Montana.<br />

Mit den Farben des Heidelberger Unternehmens<br />

hat nicht nur Superblast seine<br />

Tags auf der ganzen Welt hinterlassen. LACK FÜR JEDE STRASSENLAGE VON USLU AIRLINES<br />

1Powder-Clutch<br />

Rosa, Pink und ein Hauch Golden Glow – das sind die<br />

Farben des Frühlings. Ob Sisleys Multicolour Blush<br />

„Palette L’Orchidée“ (um 77 Euro) aus der California<br />

Soul Collection oder Diors „Palette Chérie Bow“<br />

(limitiert, in zwei Nuancen, um 80 Euro) aus der<br />

gleichnamigen Edition – beide Looks vereinen das<br />

Mädchen hafte. Die Powder-Clutch in Form einer adaptierten<br />

Dior-Schleife gestaltete das Team rund um Camille Miceli,<br />

Diors Creative Director of Accessories.<br />

OBEN: EIN SEIDIGES ROUGE<br />

IN FORM EINER ORCHIDEE.<br />

RECHTS: DREI LIDSCHATTEN,<br />

EYELINER UND EIN LIPGLOSS<br />

IN EINER CLUTCH<br />

2Neue<br />

Mascaras<br />

Niemals ohne<br />

meine Wimperntusche!<br />

Das sind<br />

unsere derzeitigen<br />

Favoriten: „Surrealist<br />

Everfresh Mascara“ mit<br />

einer tropfenförmigen Bürste<br />

für den perfekten Farbauftrag.<br />

Von Helena Rubinstein, um<br />

40 Euro. Bei „Le Volume de<br />

Chanel“ verspricht das patentierte<br />

Snowflakes-Bürstchen<br />

XL-Volumen. Von Chanel, um<br />

30 Euro. „Dior show Iconic<br />

Overcurl“ sorgt mit einer<br />

extrem geschwungenen Bürste<br />

und Polymer-Formel für<br />

maximalen Wimpernschwung.<br />

Von Dior, um 32 Euro.<br />

84<br />

DIE NEUEN<br />

TUSCHEN DER<br />

LUXUSKLASSE:<br />

HELENA<br />

RUBINSTEIN,<br />

CHANEL, DIOR<br />

Porträt: Marni<br />

NELKE & MINZE<br />

Dieses Mouthwash/Bain<br />

de Bouche<br />

erfrischt den Atem<br />

mit Nelke, Anissamen<br />

und Minze<br />

und sieht aus, als<br />

habe man es in<br />

einer altmodischen<br />

Apotheke von<br />

Hand abgefüllt.<br />

Perfekt für<br />

Designerbad und<br />

Landhaus.<br />

BEAUTY-TALK<br />

VON AESOP. IN EDLER 500-ML-GLASFLASCHE,<br />

UM 20 EURO<br />

CAROLINA CASTIGLIONI<br />

HAUTE BEAUTÉ<br />

HYALURON &<br />

NAPPALEDER<br />

Frühjahrsduft<br />

Die Tochter von Marni-Chefin Consuelo Castiglioni ist verantwortlich für das<br />

Online-Business der italienischen Marke. Zum Launch des ersten Marni-Duftes<br />

sprach sie über echte und falsche Schönheit<br />

INTERVIEW: Wie lange brauchen Sie morgens im Bad?<br />

CAROLINA CASTIGLIONI: Nicht länger als 15 Minuten. Duschen,<br />

Feuchtigkeitscreme, ein Hauch Rouge, fertig.<br />

INTERVIEW:<br />

Und welche sind Ihre Lieblingsprodukte?<br />

CASTIGLIONI:<br />

Die „Calendula“-Gesichtscreme von Weleda, die<br />

hatte ich eigentlich für meinen Sohn gekauft<br />

(Filippo, 14 Monate).<br />

Aber sie riecht so lecker, dass ich sie jetzt selbst benutze. Mein<br />

pinkfarbenes Rouge ist von MAC und lässt meinen olivefarbenen<br />

Teint frischer wirken. Dann habe ich noch einen klassischen<br />

Labello und vielleicht eine wasserfeste Mascara – mehr brauche<br />

ich nicht.<br />

INTERVIEW: Erinnern Sie sich an den ersten Duft, den Sie be-<br />

wusst wahrgenommen haben?<br />

CASTIGLIONI: „Caron pour homme“! Dieser Duft erinnert mich an<br />

meinen Vater – und er benutzt ihn heute noch!<br />

BEAUTY<br />

Edle Chypreakkorde, kräftige Blumenbouquets<br />

oder warme Holznoten – die Kreationen der<br />

französischen Modehäuser vereinen die zarten<br />

Pudernuancen der Düfte. „Bottega Veneta Eau<br />

3Légère“ in einer frischen Neuinterpretation<br />

und mit einem Hauch Gardenie, ab 47 Euro.<br />

Bei „L’Eau Rose“ von<br />

Balenciaga gesellt sich<br />

zur eleganten Veilchennote<br />

eine moderne Rose,<br />

64 Euro. Mit welchen<br />

Blütenaromen sich „ME“<br />

von Lanvin umgibt,<br />

bleibt vorerst noch ein<br />

Geheimnis. Ab Mai im<br />

Handel, ab 40 Euro.<br />

BOTTEGA<br />

85<br />

Das französische Modehaus mit der langen Haute-Couture-Tradition setzt nun<br />

neue Maßstäbe der Handwerkskunst im Make-up-Bereich. Riccardo Tisci,<br />

kreativer Kopf von Givenchy, verwendete zum ersten Mal sein Lieblingsmaterial<br />

für ein Beautyprodukt: Schwarzes Nappaleder ziert die silberne Verschlusskappe<br />

von „Le Rouge“, dem neuen Lippenstift der Marke. Das very fashionable<br />

Beauty-Must-have gibt es in zwölf Couture-Nuancen, es spendet Feuchtigkeit<br />

durch einen Hyaluronsäure-Komplex und duftet nach dem Aroma von Schwarzen<br />

Johannisbeeren. Um 35 Euro.<br />

BALENCIAGA LANVIN<br />

INTERVIEW: Was war Ihr erstes Parfüm?<br />

CASTIGLIONI: (lacht) Das verrate ich nicht! Ich finde es heute schrecklich.<br />

INTERVIEW: Was benutzen Sie dann heute?<br />

CASTIGLIONI: Unseren neuen Duft „Marni“ natürlich (lacht). Nein, im Ernst:<br />

Ich mag würzige Düfte, auf keinen Fall blumig und süß, da bin ich meiner<br />

Mutter sehr ähnlich. Ich liebe auch die würzigen Duftkerzen von Mizensir –<br />

die erinnern mich an zu Hause, weil immer irgendwo eine brennt.<br />

INTERVIEW: Was tun Sie für Ihre Haare?<br />

CASTIGLIONI: Ich gehe schon ewig zu Di Luca<br />

(www.dilucamilano.com), dort gibt<br />

es spezielle Kopfhaut-Treatments, Massagen<br />

und die eigene Produktlinie zum Mitnehmen.<br />

INTERVIEW: Was ist die größte Beautysünde,<br />

die eine Frau begehen kann?<br />

CASTIGLIONI: Zu viel Make-up, zu viel<br />

surgery! Als ich auf der Art Basel Miami war,<br />

war ich schockiert – weil alle gleich aussahen.<br />

Gleich schlimm!<br />

LINKS: MARKENBOTSCHAFTERIN DES<br />

MARNI-DUFTES – EINE PUPPE<br />

RECHTS: CAROLINA CASTIGLIONI


Beauty<br />

Man hat ja schließlich nicht<br />

nur ein Paar SCHUHE<br />

Diskutiert werDen:<br />

Markentreue, Hautstruktur unD Die<br />

founDation fürs leBen<br />

Daywear BB anti OxiDant Beauty<br />

Benefit CreaM LSf 35<br />

von ESTÉE LAUDER, um 35 Euro<br />

LeS BeigeS HeaLtHy gLOw SHeer<br />

POwDer SPf 15 in sieben natürlichen<br />

Nuancen. Von CHANEL, um 48 Euro,<br />

ab Mitte März im Handel<br />

MaeStrO fuSiOn Make uP SPf 15<br />

von GIORGIO ARMANI, um 60 Euro<br />

foto MicHael Mann<br />

PerfeCt HyDrating BB CreaM SPf 30<br />

von SHISEIDO, um 34 Euro<br />

DiOrSkin nuDe BB CreaM SPf 10<br />

mit einem Rosy-Glow-Pigmentkomplex,<br />

in drei Nuancen. Von DIOR, um 41 Euro<br />

BB VenOM Skin tint mit dem<br />

hautstraffenden Peptid-Komplex Syn-Ake,<br />

in den Nuancen Capri, Hamptons und<br />

St. Barth. Von RODIAL, um 38 Euro<br />

86<br />

eine kolumne von Bettina Brenn<br />

Ist da nicht eins wie das andere, irgendwie hautfarben und<br />

hoffentlich deckend? Wer bei Make-up beziehungsweise<br />

Foundations so etwas denkt, liegt völlig falsch. Denn<br />

kaum ein anderer Bereich der Beautybranche hat in den<br />

vergangenen Jahren so viel Neues entwickelt. Ein Puder ist nicht<br />

unbedingt mattierend, und ein cremiges Fluid kann ebenso ein<br />

pudriges Er gebnis erzielen. Wahre Hybride an Texturen und<br />

komplex ummantelte Farbpigmente sind dabei entstanden. Da<br />

ist es wohl an der Zeit, seinen eigenen, vielleicht schon etwas in<br />

die Jahre gekommenen nudefarbenen Dauerbrenner zu überdenken.<br />

Zugegebenermaßen war auch ich eine treu ergebene<br />

Verwenderin meines Lieblingsprodukts. Rund zehn Jahre lang<br />

begleitete mich einzig und allein Diors „Diorskin Forever Compact“<br />

in der Farbe 300. Regelmäßig griff ich blind ins Regal, um<br />

für die nächsten Monate hauttechnisch wieder safe zu sein. Die<br />

Farbe entsprach rund zehn Monate im Jahr meinem Hautton,<br />

die Textur vertrug sich gut mit meinem nicht ganz unkomplizierten<br />

Teint, und kleine Makel verschwanden besonders lange unter<br />

der cremigen Puderschicht. Doch plötzlich änderte sich meine<br />

Hautstruktur, und ich probierte etwas Neues aus. Eine bis dato<br />

für mich undenkbare Textur passte zur neuen Situation: „Vitalumière<br />

Aqua Teint Compact Crème Frais Hydratant“. Das Produkt<br />

mit dem unendlich langen Namen ist von Chanel und fühlt<br />

sich auf der Haut kühl und frisch an – ich fand es herrlich. Seitdem<br />

war ich wie angefixt vom Neuen und wartete sehnsüchtig<br />

auf die lange angekün digte Foundation von YSL, die das Pendant<br />

zu „Touche Éclat“ sein soll. Endlich war „Le Teint Touche<br />

Éclat“ da und wanderte mit gleich zwei Nuancen in mein Bad –<br />

denn meinen exakten Hautton fand ich nur in meiner persönlichen<br />

Mischung. Das nächste Highlight ließ nicht lange auf sich<br />

warten. Linda Cantello, Giorgio Armanis International Make-up<br />

Artist, kündigte es mir backstage an und prophezeite, dass ich<br />

sofort „in love“ sein würde. „Maestro Fusion Make up“ fühlt<br />

sich an wie ein Öl, legt sich federleicht aufs Gesicht, ist transparent,<br />

aber trotzdem deckend und passt sich hundert Prozent<br />

meinem Hautton an.<br />

Aber nicht nur Foundations sind die neuen Lieblinge der<br />

Beautybranche, sondern ebenso nudefarbene BB Cremes. Was<br />

vor geraumer Zeit noch als Hype erschien, mausert sich zum<br />

Dauerbrennerthema, ganz egal, ob bei Kiehl’s, Clarins oder Clinique.<br />

Die Geschichte um die Wundercreme, die in den Sechzigern<br />

von der deutschen Dermatologin Dr. Christine Schrammek<br />

entwickelt wurde, haben wir hier ja bereits erzählt. Doch die heutigen<br />

Beauty Balms sind wahre Multitalente – Serum, Moisturizer,<br />

Foundation und Sunblock stecken jetzt in jeder Tube. Zu<br />

meinem Bedauern muss ich zugeben: Ich habe bisher noch keine<br />

BB Creme ausprobiert (und das, obwohl sie sogar meine Initialen<br />

trägt). Aber lange wird es nicht dauern – ich bin ja offenbar gerade<br />

im tried & tested-Modus. Denn in meinem Beautyschrank, in<br />

dem jahrelang nur ein Produkt stand, steht jetzt bereits eine kleine,<br />

feine Sammlung hautfarbener Highlights. Und mal ehrlich:<br />

Man hat ja schließlich auch nicht nur ein Paar Schuhe, oder?<br />

Und ja: LOVE*<br />

BEAUTY<br />

BACK<br />

TO<br />

BLACK<br />

DAS KLEINE SCHWARZE IST IN DER MODE EIN<br />

KLASSIKER – UND AUCH BEIM MAKE-UP<br />

IST ES IN DIESER SAISON FAST UNVERMEIDLICH.<br />

EINE GEBRAUCHSANLEITUNG IN VIER<br />

SCHWIERIGKEITSGRADEN<br />

FOTOS<br />

ALEXANDER STRAULINO<br />

ASIAN TALES<br />

Der Gel-Eyeliner „Fluidline” in der Farbe Blacktrack wurde mit<br />

dem Pinsel No. 266 aufgetragen. Etwas beigefarbener Lidschatten<br />

in der Nuance „Vapour” unterstützt den Look. Auf Mascara<br />

wird verzichtet. Die Lippen wurden mit „Lipstick” in Up The Amp betont.<br />

Nägel mit „Nail Lacquer” in Nocturnelle. Alle Produkte von MAC<br />

87


BEAUTY<br />

NEW DOLL<br />

Fake Lashes No. 35 mit viel „Studio Fix Lash”-Mascara<br />

in Schwarz. Zudem weißer „Eye Khol” in der Nuance<br />

Fascinating auf die Wasserlinie des Auges auft ragen.<br />

Auf das Unterlid ebenfalls viel Mascara geben und kräft ig<br />

verwischen. Auf den Wangen leuchtet das „Blush” in<br />

Sunbasque. Die Lippen wurden lediglich mit „Lipstick”<br />

in Shy Girl betupft. Alle Produkte von MAC<br />

88<br />

FREESTYLE<br />

Auf dem Auge: Gel-Eyeliner „Fluidline” in der Farbe Blacktrack.<br />

Auf der Wasserlinie des Auges wurde „Eye Khol” in<br />

Smolder aufgetragen. Unter dem Auge ein Lidschatten-<br />

Mix „Eye Shadow” in den Farben Stars ’N Rockets und Parfait Amour.<br />

Darüber ein Mix mit „Chromacake” in Black und Purple.<br />

Für den Glosseffekt: „Gloss Crème Brillance”. Auf den Lippen ein Mix<br />

aus „Lipstick” in Crème Cup und Freckletone.<br />

Alle Produkte von MAC


PoP-Art<br />

die Augen wurden komplett mit dem gel-eyeliner „Fluidline” in der Farbe Blacktrack umrandet. den inneren Augenwinkel betont der<br />

nachtschwarze „eye Shadow” in deep truth. das highlight: „neon Pigment” in magenta madness – es wird sowohl unter der<br />

Augenbraue, entlang der schwarzen eyeliner-kontur als auch auf die Schläfen aufgetragen. die lippenstiftfarbe ist ein mix aus<br />

„neon Pigment” in magenta madness und neo orange plus „lipstick” in lady danger. Alle Produkte von mAC<br />

StoriES<br />

90<br />

Fotos AlexAnder StrAulino/Shotview<br />

haare hAuke krAuSe/klAuS Stiegemeyer<br />

make-up ChriStinA vACirCA Für mAC<br />

model AlexAndrA tretter/m4 modelS<br />

Foto-Assistenz ClemenS PorikyS<br />

Produktion BettinA Brenn<br />

retusche mit bestem dank an<br />

www.elektroniSCheSChoenheit.de<br />

Project <strong>Heidi</strong><br />

Dass diese Dame – Frau HeiDi Klum aus Bergisch Gladbach, derzeit in los Angeles ansässig – ein Vollprofi ist, hat sich<br />

inzwischen herumgesprochen. Dass sie gleichzeitig sexy, glamourös und selbstironisch aussehen kann, zeigt sie auf den nächsten Seiten.<br />

ihr entdecker THomAS GoTTScHAlK traf die entertainerin zum Gespräch über Job und die Welt. Außerdem in dieser Ausgabe:<br />

Das model AGyneSS Deyn über sich selbst. Die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin lenA DunHAm über ihre<br />

bahnbrechende Serie Girls. Die Fashion-ikone GRAce coDDinGTon im Gespräch mit dem Designer nicolAS GHeSquièRe.<br />

Der underground-Filmemacher KenneTH AnGeR über den Teufel und seine Freunde.<br />

und wahnsinnig viel mode zum mitträumen.<br />

Foto rAnkin<br />

Styling MaryaM Malakpour<br />

Haare MiCHEl alEMan/Bryan BanTry<br />

Make-up linDa Hay/Wall Group<br />

MiT proDukTEn Von aSTor<br />

91<br />

Top & Hose ManiSH arora,<br />

Strumpfhose WolForD, Manschette roBErT lEE MorriS,<br />

ringe (rechts) rEpoSSi, ring (links) laDy GrEy,<br />

Schuhe GiuSEppE ZanoTTi


<strong>Heidi</strong>!<br />

von<br />

Thomas gottscHalk<br />

Fotos<br />

rAnkin<br />

styling<br />

MAryAM MAlAkpour<br />

92<br />

choker<br />

robert lee Morris<br />

kette & ringe<br />

delFinA delettrez


Es gab tatsächlich eine Zeit,<br />

in der deutsches Fernsehen<br />

ohne HEidi Klum auskommen<br />

musste. das änderte sich<br />

jedoch am 29. April 1992, als<br />

THomAs GoTTscHAlK<br />

in seiner sendung nach<br />

“Germany’s first Top model”<br />

suchte: Gegen 25 000 Bewerberinnen<br />

setzte sich am Ende<br />

ein brünettes mädchen aus<br />

Bergisch Gladbach durch,<br />

“die <strong>Heidi</strong>”, wie Gottschalk<br />

sie bereits damals taufte.<br />

Als Prämie erhielt das mädchen,<br />

das mit der ganzen<br />

schüchternheit einer 18-Jährigen<br />

in die Kameras lächelte,<br />

einen modelvertrag und zwei<br />

schmatzende sieger küsse vom<br />

blonden Gastgeber. 20 Jahre<br />

später baten wir Thomas<br />

Gottschalk, seine größte<br />

Entdeckung noch einmal<br />

zu besuchen<br />

kleid<br />

michAel kors<br />

armband<br />

delfinA delettrez<br />

kette<br />

lAdy grey<br />

choker<br />

AnndrA neen


“<br />

Der Einstieg<br />

war eher holprig<br />

und der Weg von<br />

Bergisch Gladbach<br />

nach New York<br />

keine Schnellstraße<br />

”– <strong>Heidi</strong> Klum<br />

kleid<br />

gucci<br />

strumpfhose<br />

wolford<br />

kette & choker<br />

delfinA delettrez<br />

manschetten<br />

lAdy grey<br />

ohrringe<br />

A peAce treAty


<strong>Interview</strong>. Eine schöne Idee. Menschen unterhalten<br />

sich miteinander. Ohne die lauernden Blicke eines<br />

Journalisten, der vor allem auf den Satz wartet, den<br />

er zum Promoten des Gespräches schon vorab in den<br />

Umlauferhitzer der öffentlichen Erregungsspirale<br />

ein speisen kann. Also, die Gottschalks machen mit den Klums<br />

ungestört ein gemütliches Dinner “bei uns oder bei euch”,<br />

und wenn <strong>Heidi</strong>s Martin dann was sagt, was er lieber nicht<br />

gesagt hätte (was weiß man schon als Neuer über die Tretminen<br />

in diesem Geschäft), dann lassen wir’s halt am Ende<br />

weg. <strong>Heidi</strong>s Terminkalender und meine Frau, die nicht so neu<br />

ist in diesem Geschäft, machen diesen Plan zunichte: “Also,<br />

ich sag da nix!” So wird aus dem Dinner<br />

“<br />

zu viert, das wir<br />

demnächst “bei uns oder bei euch” nachholen, ein Besuch<br />

von mir in <strong>Heidi</strong>s Trailer auf dem Set von Germany’s next<br />

Top model am kalifornischen Venice Beach. <strong>Heidi</strong> freut sich:<br />

“Hättest du gedacht, dass ich mal in deine Fußstapfen<br />

treten würde? Als ich da vor 20 Jahren<br />

bei dir auf dem Sofa saß, wäre es mir<br />

nicht im Traum eingefallen, dass ich selber<br />

mal im Fernsehen moderieren würde.<br />

Obwohl mich bei den großen Shows dieser<br />

Teleprompter immer noch verrückt<br />

macht. Ich hab jedes Mal Herzklopfen<br />

und keine Spucke mehr im Mund, bevor<br />

es losgeht!”<br />

Nein, das hätte ich nicht gedacht.<br />

Und schon gar nicht, dass <strong>Heidi</strong> Klums<br />

Biografie eine der wenigen Chancen ist,<br />

mich selbst im amerikanischen TV zu<br />

sehen. Ich werde dort, völlig zu Recht,<br />

als der Mensch interviewt, der sie entdeckt<br />

hat. Vor allen Castingformaten<br />

hatte ich, Anfang der Neunziger, in meiner<br />

Fernsehshow sozusagen “Germany’s<br />

first Topmodel” gesucht und <strong>Heidi</strong> Klum<br />

gefunden.<br />

“Mein Gott, war das alles aufregend. Und ein Raketenstart<br />

war das keineswegs. Der Einstieg war eher holprig<br />

und der Weg von Bergisch Gladbach nach New York keine<br />

Schnellstraße. Ich versuche, das den Mädchen in meiner<br />

Show auch immer klarzumachen, wenn ich sehe, was die für<br />

lange Gesichter machen, wenn’s mal nicht so läuft, wie sie<br />

sich das vorstellen. Die gucken sich alle Staffeln an und denken<br />

dann, es wird immer ein bisschen leichter. Das Gegenteil<br />

ist der Fall. Im Modelgeschäft wird niemand auf Rosen gebettet.<br />

Aber die Mädchen begreifen nicht, dass das hier nur<br />

der erste Schritt ist. Ich kann sie nur auf einen Weg stellen,<br />

den sie dann alleine weitergehen müssen. Trotzdem fragen<br />

einige immer wieder, wann’s denn mal wieder was geschenkt<br />

gibt, oder beschweren sich, wie schlimm das alles ist, wenn<br />

sie interviewt werden.”<br />

Trotzdem merke<br />

ich, dass der Gegenwind,<br />

vor allem in<br />

Deutschland, stärker<br />

wird. Vor vielen<br />

Jahren konnte ich<br />

dort nichts falsch<br />

machen, inzwischen<br />

hat sich das Blatt<br />

gewendet<br />

98<br />

Das <strong>Interview</strong> als Beschwerdestelle. Seit ich gemerkt<br />

habe, dass das nicht funktioniert, habe ich aufgehört, welche<br />

zu geben. Der Versuch, sich einem Menschen zu erklären, damit<br />

dieser dann dem Rest der Welt vermittelt, wie großartig<br />

man ist, muss scheitern. Warum sollte ein Journalist sich<br />

selbst zum Fanclubleiter degradieren? Und das hauptberuflich<br />

und immer wieder für jemand anderen? Also lässt man<br />

es irgendwann bleiben. Jedes <strong>Interview</strong>, das ich gebe, ist definitiv<br />

mein letztes. Und wie weit ist <strong>Heidi</strong> auf diesem Weg?<br />

“Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. <strong>Interview</strong>s<br />

zu geben gehört ja auch zu unserer Arbeit, und deswegen<br />

ist das Ganze irgendwie ein Teufelskreis. Ich nutze solche<br />

Gespräche dazu, ein Bild von mir in die Öffentlichkeit zu<br />

bringen, das den Tatsachen entspricht. Leider sind die wenigsten<br />

Journalisten an Fakten interessiert. Die haben ihre<br />

Geschichte schon geschrieben, bevor sie dich treffen. Und<br />

manchmal merkst du ihnen sogar die Enttäuschung an,<br />

wenn du ihnen ihre schöne Story kaputtmachst,<br />

weil deine Geschichte eine andere<br />

ist als die, die sie wollen.”<br />

Die Geschichte ist immer eine andere<br />

als die, die man über sich lesen möchte,<br />

und man lebt im öffentlichen Dienst in<br />

ständiger Besorgnis, dass die letzte Story<br />

über privates oder öffentliches Versagen<br />

einem beim Publikum nun endgültig das<br />

Genick brechen könnte, wo doch die vorletzte<br />

gerade mal erst in Vergessenheit<br />

geraten ist. Hat man aber genügend dieser<br />

Panikattacken überlebt und begriffen,<br />

dass sich die Menschen ihr Weltbild<br />

doch nicht nur aus dem Internet und<br />

den Zeitungen zusammenklauben, ist die<br />

Gefahr groß, dass man darüber zur misslaunigen<br />

oder misstrauischen Diva verkommen<br />

ist. Aber wir beide doch nicht.<br />

Wir sind unerschütterliche Frohnaturen<br />

und obendrein blond …<br />

“… aber ich bin nicht blauäugig, auch wenn das mit der<br />

Frohnatur stimmt, das ist Teil meiner Persönlichkeit. Deswegen<br />

suche ich auch, wo es geht, den direkten Kontakt zu den<br />

Menschen. Ich bin immer gerne ,live‘. Da stehe ich dann auch<br />

Rede und Antwort, und jeder kann sich selber ein Bild von<br />

mir und dem, was ich sage, machen. Ich habe keine Leichen<br />

im Keller, es gibt keine Fragen, vor denen ich mich fürchte,<br />

und ich muss mich vor niemandem verstecken. Trotzdem<br />

merke ich natürlich, dass der Gegenwind, vor allem in<br />

Deutschland, stärker wird. Vor vielen Jahren konnte ich dort<br />

nichts falsch machen, inzwischen hat sich das Blatt gewendet.<br />

Manchmal werde ich da total zerfleischt!”<br />

Vorsicht! Es gibt keine größere Gefahr für mehr oder weniger<br />

beliebte Deutsche, als sich unter kalifornischer Sonne<br />

”<br />

– <strong>Heidi</strong> Klum<br />

kleid<br />

roberto cAvAlli<br />

armreife (links)<br />

cArA croninger<br />

manschette (rechts)<br />

delfinA delettrez


“<br />

Ich habe keine Leichen im Keller,<br />

es gibt keine Fragen,<br />

vor denen ich mich fürchte<br />

”<br />

– <strong>Heidi</strong> Klum<br />

top<br />

jeremy scott<br />

strumpfhose<br />

wolford<br />

hut<br />

thomAs wylde<br />

vintage<br />

kette mit blume<br />

gucci<br />

kette & armband<br />

A peAce treAty<br />

ring<br />

repossi<br />

schuhe<br />

nicholAs<br />

kirkwood


darüber zu beklagen, dass man in der Heimat gerade mehr<br />

oder weniger beliebt ist. In Deutschland frieren sich derzeit<br />

Millionen Menschen unter einem grauen Himmel den Arsch<br />

ab. Und die haben alle andere Sorgen, als sich darüber den<br />

Kopf zu zerbrechen, ob sich <strong>Heidi</strong> oder Thommy nun gerade<br />

von der Welt verstanden fühlen oder nicht. Trotzdem rede<br />

auch ich mir manchmal ein, dass Medien und Publikum in<br />

den USA sehr viel schneller applaudieren, sehr viel weniger<br />

mäkeln, und wenn sie überhaupt etwas infrage stellen, dann<br />

zuallerletzt ihre Publikumslieblinge. Aber was weiß ich denn.<br />

Mich kennt in den USA kaum einer, <strong>Heidi</strong> kennen sie alle.<br />

“Da muss man die professionelle und die private Seite<br />

auseinanderhalten. In meiner US-Show<br />

“<br />

Project Runway<br />

stelle ich junge Designer vor, die unglaublich heiß sind. Die<br />

hängen sich mit aller Kraft rein, die begreifen einerseits, welche<br />

Chance sie haben, aber sehen auch, dass sie gleichzeitig<br />

Teil eines Unterhaltungsformates sind, das gefüttert werden<br />

muss. Also liefern sie, indem sie mitspielen.<br />

Meinen Mädchen in der deutschen<br />

Show muss ich manchmal regelrecht in<br />

den Hintern treten, damit sie begreifen,<br />

worum es geht. Und die erwarten sich<br />

vom Fernsehen eine Traumwelt, die ich<br />

ihnen einfach nicht bieten kann. Privat<br />

lebt es sich in meiner Situation natürlich<br />

in den USA leichter. Klar, an meinem<br />

Leben wollen sie hier auch alle teilhaben,<br />

das ist nicht immer leicht, aber<br />

man gewöhnt sich dran. That’s the price<br />

you pay! Was hier in den Medien und<br />

bei den Menschen, die ich auf der Straße<br />

treffe, völlig wegfällt, ist der Neidfaktor.<br />

Und man wird hier auch nicht<br />

dauernd in andere Zusammenhänge<br />

gestellt oder mit anderen verglichen.<br />

In Deutschland wird ein Erfolg von Bar<br />

Refaeli sofort auch zu einem Misserfolg für mich umgedeutet.<br />

Ich sehe das überhaupt nicht so, wir sind Freundinnen,<br />

ich gönn ihr alles.”<br />

Na klar, menschlich gönne ich meinen Kollegen auch alles,<br />

deswegen müssen sie ja nicht gleich eine höhere Einschaltquote<br />

haben. Qualität ist ohnehin nichts mehr, über das<br />

man heute noch streiten könnte, abgerechnet wird in Zahlen<br />

– Marktanteilen, Umfrageergebnissen, Zielgruppen. Ich mach<br />

das knappe 20 Jahre länger als <strong>Heidi</strong> und so toll, wie’s mal<br />

war, kann’s nicht mehr werden. Nichts ist schöner, als zur<br />

richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, ein Medium<br />

auf der Höhe seiner Möglichkeiten erlebt zu haben. Zu wissen,<br />

in dieser Phase dabei gewesen zu sein, führt zu großer<br />

Entspannung. Vielleicht sogar zu einer gewissen Wurstigkeit,<br />

die in Lethargie enden könnte. Ich weiß das, weiß <strong>Heidi</strong><br />

es auch?<br />

Ich bin zu 100<br />

Prozent Kontrollfreak<br />

und habe überall<br />

meinen Daumen drauf.<br />

Die Konkurrenz,<br />

gegen die ich antrete,<br />

ist gewaltig, das ist<br />

aber auch Teil des<br />

Ansporns<br />

102<br />

“Ich habe einen irren Drive und bin jemand, dem nichts<br />

entgeht, was am Set passiert. Ich bin zu 100 Prozent Kontrollfreak<br />

und habe überall meinen Daumen drauf. Ich will<br />

immer das Beste aus allem machen. Auf jeden Fall einen guten<br />

Job. Wenn ich merke, dass irgendwas verschlampt wird<br />

oder die Produktion wieder mal auf den Geldbeutel schielt<br />

und dadurch Sachen nicht so gut werden, wie ich sie gerne<br />

hätte, dann ärgert mich das. Mein Job und meine Show sind<br />

ja irgendwie auch meine Fantasiewelt. Und wenn das nicht<br />

rüberkommt, dann hab ich nicht das Optimale abgeliefert.<br />

Die Konkurrenz, gegen die ich antrete, ist gewaltig, das ist<br />

vielleicht auch ein Teil des Ansporns. Aber ich nehme das<br />

nicht persönlich, sondern als Motivation für meine Sache.”<br />

Sollte ich von <strong>Heidi</strong> noch was lernen können? In den Medien<br />

werde ich inzwischen eher als Showfossil wahrgenommen,<br />

als Relikt des guten alten Familienfernsehens, das keiner<br />

mehr so recht braucht. Ich tröste mich damit, dass Kuli,<br />

Carrell und Rosenthal mein Leben lang<br />

graue Haare hatten. Und richtige Sorgen<br />

macht mir das nicht, ich habe früh<br />

genug angefangen. Aber als Model spielst<br />

du ja mit 30 schon in der Seni orenliga.<br />

Wird’s da für <strong>Heidi</strong> langsam Zeit, sich<br />

neu zu orientieren?<br />

“Ich mache zwar noch verschiedene<br />

Kampagnen und Modestrecken, aber<br />

inzwischen nicht mehr als Model, sondern<br />

als Person. Mein Gesicht und mein<br />

Körper sind zu einer Marke geworden.<br />

Ich merke, wie sich mein Aufgabenfeld<br />

langsam verändert. Ich möchte gerne<br />

mehr hinter der Kamera machen und<br />

im Designbereich aktiver werden und<br />

bin sehr glücklich, dass Amerika mich<br />

mit so offenen Armen empfangen hat.<br />

Mein Abschiedsgruß ,Auf Wiedersehen‘,<br />

mit dem ich Kandidaten bei Project Runway verabschiede,<br />

ist hier Kult geworden, die Leute auf der Straße kennen und<br />

mögen mich.”<br />

Das stimmt, als ich mit <strong>Heidi</strong> den Trailer verlasse, knipsen<br />

auch die amerikanischen Fotografen. Als <strong>Heidi</strong> zum Set abbiegt,<br />

biegen sie mit ab. Ich bin unsichtbar geworden. Nicht<br />

ganz. “Thommy, Thommy, ich bin aus Bautzen und mach<br />

hier Urlaub. Krieg ich ein Foto mit dir?”<br />

“Kriegst du!”<br />

”<br />

– <strong>Heidi</strong> Klum<br />

Styling MaryaM Malakpour/ClM<br />

Haare MICHEl alEMaN/BryaN BaNTry<br />

Make-up lINDa Hay/Wall Group MIT proDukTEN VoN aSTor<br />

Maniküre MICHEllE SauNDErS/CElESTINE<br />

Digital operator JIMMy DoNElaN<br />

Foto-assistenz MaX MoNTGoMEry, roB oaDES,<br />

TrISHa WarD, NICo TErraNEo<br />

Styling-assistenz CaTlIN MyErS, EMIly Mazur<br />

produktion NINa raSSaBy-lEWIS, aNDrEW DaVIES<br />

Dank an HollyWooD loFT STuDIoS<br />

kleid<br />

louis vuitton<br />

strumpfhose<br />

wolford<br />

ringe<br />

repossi<br />

ohrringe<br />

delfinA delettrez


top<br />

reed krAkoFF<br />

höschen<br />

cAlvin klein<br />

underwear<br />

strumpFhose<br />

FogAl<br />

kette<br />

(durchgehend getragen)<br />

Ariel gordon<br />

104<br />

Agyness<br />

Fotos<br />

crAig mcdeAn<br />

styling<br />

kArl templer<br />

deyn<br />

Als model gelang es der<br />

engländerin Agyness deyn,<br />

innerhalb kürzester Zeit einen<br />

eigenen Look zu etablieren.<br />

doch nun will die 30-Jährige<br />

die Laufstege in Paris und<br />

mailand gegen die Boulevards<br />

von Hollywood eintauschen<br />

und schauspielerin werden.<br />

Bon voyAge!<br />

von<br />

david Amsden<br />

top<br />

chloé<br />

höschen<br />

cAlvin klein<br />

underwear<br />

strumpfhose<br />

fogAl


“<br />

Eine Frau muss<br />

dies, eine Frau muss<br />

das … All diese Projektionen,<br />

die nirgendwo<br />

hinführen. Damit ist<br />

mit 30 Schluss. Ich<br />

dachte: Fuck yeah,<br />

jetzt kann ich einfach<br />

nur ich selbst sein<br />

– Agyness Deyn”<br />

bluse & bH<br />

mArc jAcobs<br />

HöscHen<br />

AmericAn AppArel<br />

strumpfHose<br />

fogAl<br />

scHuHe<br />

tHeory


DaviD amsDen: Eigentlich wollten wir um zehn<br />

Uhr morgens miteinander sprechen, aber da dachte<br />

ich: Das geht ja gar nicht. Das widerspricht doch jedem<br />

Klischee, das ich über den dekadenten Lebensstil<br />

von Leuten wie dir habe, du stehst doch nie vor<br />

15 Uhr auf!<br />

agnes Deyn: Ich wünschte, es wäre so. Leider<br />

weckt mich meine innere Uhr jeden Morgen zwischen<br />

6.30 und 7.30 Uhr. Dementsprechend muss<br />

ich, wenn ich wirklich genug Schlaf bekommen will,<br />

eigentlich um 22 Uhr ins Bett. Wie sich das für eine<br />

Oma wie mich gehört.<br />

amsDen: Als Model hast du Dinge erreicht, von<br />

denen sehr viele nur träumen können. Du warst ganz<br />

oben. Hast du denn keine Angst, als Schauspielerin<br />

noch einmal von ganz unten anzufangen?<br />

Deyn: Als ich anfing zu modeln, hatte ich keinen<br />

Schimmer, was ich eigentlich mache. Ich fragte ständig<br />

nach, ob das, was ich tue, irgendwie okay ist. Und<br />

so halte ich es jetzt als Schauspielerin.<br />

amsDen: Stimmen die Gerüchte, dass du mit<br />

dem Modeln aufhören willst? Für immer?<br />

Deyn: Ach, ganz so eng sehe ich das nicht. Ich<br />

wurde beispielsweise gerade für <strong>Interview</strong> fotografiert.<br />

Und das war toll!<br />

top<br />

reeD krAkoff<br />

höschen<br />

cosAbellA<br />

amsDen: Das musst du ja jetzt sagen.<br />

Deyn: Nein, es war großartig. Dennoch fragte<br />

ich mich auf dem Weg ins Studio, ob ich überhaupt<br />

noch modeln kann.<br />

amsDen: Gab es denn einen Punkt in deiner<br />

Karriere als Model, an dem du gemerkt hast, dass es<br />

dich nicht mehr so interessiert?<br />

Deyn: Ja, den gab es. Auf einmal war der Funke<br />

weg. Und selbst das war mir egal. Letztendlich wollte<br />

ich nie Model werden. Ich wurde auf der Straße angequatscht,<br />

habe das ein paar Jahre gemacht und gut.<br />

Ich habe keine Lust, mir einzureden, dass der Funke<br />

noch da ist. Ich will auch nicht behaupten: „Yeah, this<br />

is so great“, wenn es das nicht ist. Die Fähigkeit, so zu<br />

tun, als sei alles okay, habe ich verloren.<br />

amsDen: Ich habe mir Pusher angeschaut, den<br />

Film, in dem du eine Stripperin spielst. Wie hast du<br />

dich auf die Rolle vorbereitet?<br />

Deyn: Oh, zuerst habe ich alles gelesen, was ich<br />

zu diesem Thema finden konnte, unendlich viele<br />

Biografien von Strippern und Süchtigen. Das eigentliche<br />

Tanzen lernte ich bei einem Mädchen aus der<br />

Londoner Stripper-Szene, eine unglaubliche Frau.<br />

amsDen: Hingst du früher in Strip-Clubs rum?<br />

Deyn: Nicht wirklich. Aber plötzlich war es das<br />

Spannendste überhaupt. Ich konnte nicht genug davon<br />

bekommen und lief nur noch rum und überredete<br />

alle, mit mir in Strip-Clubs zu gehen. Frauen,<br />

Sex, Sinnlichkeit, alles da.<br />

amsDen: Als Model hast du einen eigenen, einen<br />

signifikanten Look. Wenn die Leute deinen Namen<br />

hören, geht sofort das Kopfkino los. Hilft das<br />

bei der Schauspielerei, wo generell ja eher chamäleonartige<br />

Fähigkeiten gefragt sind?<br />

Deyn: Weder noch. Es hilft nicht, schaden wird<br />

es aber auch nicht. Außerdem bin ich gerade mal 30.<br />

amsDen: Das stimmt! Wie fühlen sich die 30<br />

eigentlich an für jemanden, der lange in einem so von<br />

Jugend besessenen Gewerbe gearbeitet hat?<br />

Deyn: Vor allem aufregend. Ich habe mich als<br />

Frau gefunden. Jeder sagt und denkt etwas anderes<br />

darüber, wer wie was sein soll und muss. Eine Frau<br />

muss dies, eine Frau muss das … All die Projek tionen,<br />

die nirgendwo hinführen. Damit ist mit 30 Schluss.<br />

Ich habe meinen Platz gefunden. Als plötzlich die 30<br />

da waren, wusste ich: Fuck yeah, jetzt kann ich einfach<br />

nur ich selbst sein.<br />

amsDen: Deshalb auch Los Angeles?<br />

Deyn: Viele meiner Freunde wohnen hier, ich<br />

habe sechs Jahre in New York gelebt und wollte einfach<br />

mal wieder eine Veränderung. Außerdem hätte<br />

ich keinen weiteren Winter in New York überlebt.<br />

amsDen: Vermisst du New York?<br />

Deyn: Nicht den Winter. Aber ich war vergangene<br />

Woche da, und es war toll. Ein wenig fühlte es<br />

sich an, wie einen Exfreund wieder zu treffen.<br />

amsDen: Wo wir schon von älter und erwachsen<br />

werden sprechen: Du hast im vergangenen Jahr geheiratet!<br />

Erzählst du mir von eurer Hochzeit?<br />

Deyn: Der Tag war fantastisch, toll, aber ich<br />

möchte mein Privatleben lieber privat halten. Ich<br />

hoffe, du verstehst das.<br />

amsDen: Absolut. Allerdings frage ich mich,<br />

wie du dann mit der öffentlichen Inszenierung deines<br />

Privatlebens umgehst, die in den vergangenen<br />

Jahren stattfand. Die Vogue druckte beispielsweise<br />

mal eine Geschichte mit dir und deinem Exfreund,<br />

dem The-Strokes-Gitarristen Albert Hammond Jr.,<br />

die jetzt für immer da sein wird.<br />

Deyn: Ja, manchmal nervt es eben, wenn dein<br />

Leben öffentlich dokumentiert wird. Aber irgendwie<br />

ist es auch okay, ich will mich nicht beschweren. Und<br />

schämen muss ich mich dafür nicht.<br />

amsDen: Ein Detail zu deinem Ehemann schlug<br />

ziemlich hohe Wellen in der Presse: Er ist Scientologe.<br />

Die Medienvertreter spekulierten, ob auch du<br />

nun konvertierst?<br />

Deyn: Es ist wirklich erstaunlich: Früher hat<br />

mich nie jemand nach meiner Religion gefragt. Und<br />

auch nicht: „Wie ist es so, mit einem Christen zusammen<br />

zu sein?“<br />

amsDen: Zum Abschluss noch einmal eine<br />

leichte Frage zu einem schweren Anliegen: Hast du<br />

in L.A. endlich aufgehört zu rauchen? Ich habe immer<br />

das Gefühl, die Stadt sei eigentlich ideal dafür.<br />

Deyn: Yeah. Ich rauche seit fast einem Jahr nicht<br />

mehr. Als ich am West End in einem Stück spielte und<br />

wie ein Schornstein qualmte, meinte irgendwann der<br />

Regisseur zu mir, dass es nicht gerade förderlich für<br />

mein Bühnendasein sei. Also habe ich aufgehört.<br />

amsDen: Glückwunsch!<br />

Deyn: (lacht) Vielen Dank! Dennoch schaue ich<br />

immer sehnsüchtig drein, wenn ich irgendwo ein<br />

paar Raucher stehen sehe. Dann denke ich immer:<br />

Ach, ich war mal eine von euch. Und ich habe es<br />

geliebt.<br />

Alle Fotos: Craig McDean/Art+Commerce<br />

BH & HöSCHEN<br />

AMERICAN APPAREL<br />

ROCK<br />

ALBERTA fERRETTI<br />

109<br />

Hair ESTHER LANGHAM<br />

Make-up MARK CARRASQUILLO<br />

Manicure ALICIA TORELLO/THE WALL GROUP<br />

Casting MICHLLE LEE/KCD, INC.<br />

Set Design PIERS HANMER<br />

Retouching GLOSS STUDIO NEW yORK<br />

Digital Technician NICHOLAS ONG<br />

Photography Assistants SIMON ROBERTS,<br />

HUAN NGUyEN, MARU TEPPEI<br />

Styling Assistants JOSHUA COURTNEy,<br />

MATTHEW TAUGER<br />

Hair Assistant DAVID COLVIN<br />

Make-up Assistant EMI KANEKO<br />

Set Assistants LOUIS SAROWSKy, SEAN BARTH<br />

Special thanks INDUSTRIA SUPER STUDIOS,<br />

ELITE MODELS Ny


Wer<br />

hat<br />

angst<br />

vor<br />

Kenneth<br />

anger?<br />

Seine Filme beeinflussten Generationen von Regisseuren und Künstlern.<br />

Wirklich bekannt wurde der Avantgarde-Filmemacher Kenneth Anger<br />

jedoch erst mit seinem Skandalbuch Hollywood Babylon.<br />

Während in Berlin eine Ausstellung Leben und Werk Angers feiert,<br />

empfing uns der 83 – 86-jährige Amerikaner in den Privaträumen<br />

der Galerie Sprüth Magers. In den Nebenrollen: JAyNe MANSFIeLd,<br />

ChARLeS MANSoN, MARIANNe FAIthFuLL, der teuFeL<br />

und andere Weggefährten<br />

von<br />

Jörg HArlAn roHleder<br />

porträt<br />

MAxiMe bAllesteros<br />

110<br />

KennetH Anger, der leibHAftige,<br />

berlin, JAnuAr 2013


IntervIew: Herr Anger, Sie halten vehement daran<br />

fest, am 3. Februar um Mitternacht im Jahr 1930 geboren<br />

zu sein. Etliche Quellen behaupten indes, Sie<br />

wären am 3. Februar 1927 zur Welt gekommen. Bitte<br />

klären Sie uns auf.<br />

kenneth Anger: Ich bin 1930 geboren. Das<br />

sieht man mir doch an.<br />

IntervIew: Ich dachte, Sie hätten vielleicht das<br />

Jahr verändert, weil die Sterne im Jahr 1930 an Mitternacht<br />

günstiger standen.<br />

Anger: Das ist Unfug. Ich glaube an viel, aber<br />

nicht an Horoskope. Horoskope sind etwas für Lutscher.<br />

Allerdings liebe ich es, derlei Verwirrung zu<br />

stiften. Das ist eine meiner Spezialitäten.<br />

IntervIew: Ebenso fraglich scheint Ihr erstes Engagement<br />

in Hollywood: Haben Sie als kleiner Junge<br />

in Max Reinhardts Verfilmung des Sommernachtstraums<br />

mitgespielt – oder war der Prinz in Wirklichkeit<br />

ein kleines Mädchen namens Sheila Brown?<br />

Anger: Nein, das war ich! Ich war der Changeling<br />

Prince! Ich ritt allerdings auf einem Hund, nicht<br />

auf einem Pferd. Der große deutsche Regisseur Max<br />

Reinhardt war ein Freund meiner Großmutter Bertha,<br />

so kam ich an die Rolle. Und bevor Sie jetzt nachfragen:<br />

Ich war vier oder fünf Jahre alt, nicht sieben<br />

oder acht!<br />

IntervIew: Ihren ersten eigenen Film haben Sie<br />

mit elf gedreht.<br />

Anger: Leider ist Who Has Been Rocking My<br />

Dreamboat verloren gegangen. Er war sieben Minuten<br />

lang, gedreht im Sommer 1941, kurz vor dem Angriff<br />

auf Pearl Harbor – im Film schwingt das drohende<br />

Engagement Amerikas im Zweiten Weltkrieg mit.<br />

Ich hatte die Furcht, dass Giftgas eingesetzt werden<br />

könnte. Dies war jedoch nicht der Fall. Zumindest<br />

nicht außerhalb der Gaskammern.<br />

IntervIew: Wie kamen Sie als Elfjähriger darauf,<br />

einen Film zu drehen?<br />

Anger: Ich bin in Hollywood aufgewachsen, war<br />

Schüler der Beverly Hills High School. Wir Kinder<br />

spielten Film, atmeten Film, träumten Film. Das<br />

Kino begleitete uns ständig. Glücklicherweise besaß<br />

meine Familie eine 16-Millimeter-Kamera. Und da<br />

ich nicht wollte, dass mir jemand in meine Angelegenheiten<br />

reinredet, entschied ich, Regisseur zu werden.<br />

IntervIew: Wie hat sich Hollywood seit Ihrer<br />

Kindheit verändert?<br />

Anger: Eigentlich war der Stern Hollywoods<br />

schon verglüht, als ich ein Teenager war. Schauen Sie<br />

sich doch das Personal heute an – all diese Angelinas,<br />

schrecklich beliebig. Oder fällt Ihnen ein echter<br />

Hollywoodstar dieser Tage ein, der mit Göttinnen wie<br />

Clara Bow, Joan Crawford oder Jayne Mansfield mithalten<br />

könnte? Nennen Sie mir nur einen!<br />

IntervIew: Lindsay Lohan, Kristen Stewart, Angelina<br />

Jolie?<br />

Anger: Die können Sie behalten.<br />

IntervIew: Die Damen sind also kein Material<br />

für die lang ersehnte Fortsetzung Ihres Skandalbuchs<br />

Hollywood Babylon?<br />

Anger: Ich bitte Sie!<br />

IntervIew: Was war der letzte in Ihren Augen<br />

würdige Skandal in Babylon? Whitney Houstons Tod?<br />

Oder das Ableben von Michael Jackson?<br />

Anger: Whitney ist in der Badewanne eingeschlafen<br />

und ertrunken. Es war ein dummer Unfall,<br />

tragisch sogar. Aber kein Fall für mich: Es fehlt die Intrige.<br />

Denken Sie nur an Fatty Arbuckle in den Zwanzigern<br />

– er ruinierte seine Karriere, weil ein Mädchen<br />

auf einer seiner berüchtigten Partys starb. Oder der<br />

Schauspieler Wally Reid, der drogensüchtig war und<br />

“<br />

Ich kann erklären,<br />

warum Tom Cruise<br />

und John Travolta<br />

enthusiastische<br />

Voll idioten im Dienste<br />

von Scientology sind.<br />

Aber es sind Vollidioten<br />

mit einer Armee von<br />

Anwälten<br />

”<br />

– Kenneth Anger<br />

aus Scham darüber vom Filmstudio in ein Irrenhaus<br />

verfrachtet wurde, wo er starb. Aus Versehen. Da war<br />

was los!<br />

IntervIew: Vielleicht haben die Stars im 21.<br />

Jahrhundert einfach bessere Agenten als der Stummfilmkomiker<br />

Arbuckle. Oder sie haben gelernt, nach<br />

einer Linie Kokain nicht zu dritt von der Toilette zu<br />

kommen.<br />

Anger: Jedenfalls ist es heute sehr ruhig. Auch<br />

wenn Kokain immer für eine paar ernsthafte Probleme<br />

gut ist.<br />

IntervIew: Eigentlich haben Sie mit Ihrem Buch<br />

den Gossip, den Schmutz, nach Hollywood gebracht.<br />

Die Aufmachung Ihres Skandalbuchs, die Zeilen, die<br />

Paparazzi-Ästhetik, all das sieht aus wie die Blaupause<br />

des heutigen Boulevardjournalismus. Auf dem Cover<br />

fliegen einem die Brüste von Jayne Mansfield geradezu<br />

entgegen …<br />

Anger: Was Jayne unfassbar peinlich war. Das<br />

Bild entstand auf der Geburtstagsparty von Sophia<br />

Loren. Jayne kam wie immer zu spät. Sie trug dieses<br />

unmögliche Kleid mit einem unfassbar tief geschnittenen<br />

Dekolleté. Als sie sich zu Sophia runterbeugt,<br />

um zu gratulieren, springen ihre Brüste einfach nur<br />

raus. Eigentlich ein tolles Geschenk, finden Sie nicht?<br />

IntervIew: Das liegt im Auge des Betrachters.<br />

Anger: Den Erzählungen nach fand es Sophia<br />

durchaus amüsant. Jayne keineswegs. Ihr war all das<br />

schrecklich peinlich, weswegen sie heulend davonrannte.<br />

IntervIew: Wahrscheinlich fand Ms Mansfield es<br />

nicht gerade schmeichelhaft, dass Sie dieses Bild als<br />

Cover für Ihr Buch ausgewählt haben, oder?<br />

Anger: Sie konnte sich nicht beschweren. Sie<br />

war tot. Verunglückt bei einem tragischen Autounfall.<br />

IntervIew: Wie kamen Sie eigentlich an all die<br />

Geschichten für Hollywood Babylon? Sie behaupten in<br />

Ihrem Buch unter anderem, Bette Davis habe ihren<br />

zweiten Mann ermordet, Lucille Ball habe ihre Karriere<br />

in Hollywood als Prostituierte begonnen und<br />

James Dean sei einem zwölfjährigen Jungen hinterhergestiegen.<br />

Anger: Das wusste man damals. Es hat nur vor<br />

mir niemand aufgeschrieben. Schon als kleiner Junge<br />

sammelte ich alle Anekdoten, die mir zugetragen<br />

wurden, und schrieb sie auf. Und als Schüler der Beverly<br />

Hills High School hatte ich einen Logenplatz:<br />

Ich konnte aus dem Fenster des Chemieunterrichts in<br />

den Hinterhof von 20 th Century Fox schauen. Und da<br />

mein bester Freund André Previn (später ein berühmter<br />

Pianist, Komponist und Dirigent) und ich keine Lust<br />

hatten, am Sportunterricht teilzunehmen, schauten wir<br />

den anderen dabei zu, wie sie schwitzten, und tratschten<br />

über die Gerüchte und Geheimnisse, die uns unser<br />

Mitschüler Harry Brand Jr. in den Pausen verriet. Sein<br />

Vater war Produktionsleiter bei 20 th Century Fox, eine<br />

unfassbar ergiebige Quelle.<br />

IntervIew: Wie sind Sie denn um den Sportunterricht<br />

herumgekommen?<br />

Anger: Ich gab vor, Nasenbluten davon zu bekommen.<br />

IntervIew: Als Schüler haben Sie schließlich Ihr<br />

erstes heute noch erhaltenes Werk gedreht: Fire works.<br />

Anger: Das auf einer sexuellen Fantasie, einem<br />

Traum von mir basiert.<br />

IntervIew: Eine Horde Seefahrer fällt über Sie<br />

her, am Ende reißen die Matrosen Ihnen die Brust auf,<br />

doch anstelle des Herzens sieht man dort eine tickende<br />

Uhr. Ein sehr ästhetischer erster Film, Herr Anger!<br />

Anger: Danke! Ich muss jedoch betonen, dass<br />

die Seeleute keineswegs solche Rüpel waren, wie es im<br />

Film scheint. Die Jungs wollten Kameramänner werden<br />

und waren begeistert von meiner Idee. Aber es<br />

waren echte Seeleute in echten Uniformen. Ich hätte<br />

es mir auch gar nicht leisten können, Uniformen für<br />

Statisten zu leihen. Letztendlich musste ohnehin alles<br />

sehr schnell passieren. Wir haben Fireworks in gerade<br />

mal 72 Stunden gedreht. Mehr Zeit hätten wir auch<br />

gar nicht gehabt.<br />

IntervIew: Weil die Jungs zurück in den Dienst<br />

mussten?<br />

Anger: Nein. Meine Eltern fuhren zur Beerdigung<br />

eines Onkels nach Pittsburgh. Ich nutzte die<br />

Gelegenheit, räumte das Wohnzimmer aus, rief die<br />

Seeleute an, und los ging’s.<br />

IntervIew: Ihre Eltern ahnten nichts von dem<br />

Unterfangen?<br />

Anger: Nein, die haben den Film auch nie zu<br />

Gesicht bekommen. Glücklicherweise regnete es während<br />

der drei Tage nicht. Sonst wäre es zu einer Katastrophe<br />

gekommen – ich hatte die Möbel einfach nur<br />

in den Garten getragen –, und das hätte mein Vater<br />

gar nicht lustig gefunden.<br />

IntervIew: Wie muss man sich Kenneth Anger<br />

als Schuljungen vorstellen?<br />

Anger: Eigenwillig. Neugierig. Meine Eltern<br />

wussten nie so recht, was sie mit mir anfangen sollten.<br />

Meine wichtigste Bezugsperson war deshalb meine<br />

Großmutter. Ihr zeigte ich auch Fireworks.<br />

IntervIew: Und wie fand die alte Dame den Film?<br />

Anger: Sie fand Fireworks großartig. Dabei war<br />

sie eine alte Frau, die durchaus geschockt hätte sein<br />

können. Sie ahnte vermutlich, dass ihr Lieblingsenkel<br />

schwul sein könnte.<br />

IntervIew: Fürchteten Sie eigentlich keine Probleme<br />

mit dem Gesetz? Die Anspielungen im Film<br />

sind nicht gerade schwer zu lesen. Und Homosexualität<br />

stand damals noch unter Strafe in Amerika.<br />

Anger: Ich war jung, und mir war egal, welche<br />

Konsequenzen oder Scherereien der Film mir bereiten<br />

könnte. Es war auch keine Frage der Courage:<br />

Mir ging es nur darum, meine Vision umzusetzen. Sie<br />

dürfen zudem nicht vergessen, dass Fireworks ein Undergroundfilm<br />

ist, ein Film für ein ausgewähltes, elitäres<br />

Publikum. Das einzige Problem war, ein Labor zu<br />

finden, das Fireworks entwickelt. Heute leben wir ja in<br />

einer Zeit, in der irgendwie alles geht, alles vertretbar<br />

Fotos: Kenneth Anger, 'ICONS', Sprüth Magers, Berlin, January 25 - February 23, 2013; Kenneth Anger, Firework, 1947, Copyright Kenneth Anger, Courtesy of the artist and Sprüth Magers Berlin London; PUCK FILM PRODUCTIONS/Kobal Collection/fotofinder; Kobal Collection/fotofinder; FANTOMA FILMS/Kobal Collection/fotofinder<br />

ist. Früher musste man auf Zehenspitzen angeschlichen<br />

kommen. Deshalb finden Sie in meinen Filmen<br />

auch nichts Explizites. Man findet Anspielungen, und<br />

davon jede Menge, diese sind jedoch so symbolhaft,<br />

dass ich damit immer durchkam.<br />

IntervIew: Wie das Feuerwerk, das in der Hose<br />

losgeht?<br />

Anger: Na gut, zugegeben, das ist vielleicht etwas<br />

offensichtlicher.<br />

IntervIew: Parallel zu Fireworks änderten Sie auch<br />

Ihren Namen: Aus Kenneth Wilbur Anglemyer wurde<br />

Kenneth Anger. Sie hätten sich auch Kenneth Angel<br />

nennen können – oder waren Sie dafür zu wütend?<br />

Anger: Das hätte in meinem Fall wirklich nicht<br />

gepasst (lacht). Kennen Sie das Tattoo auf meiner Brust<br />

(Lucifer)? Nein, mir ging es darum, aus meinem Namen<br />

eine Marke zu erschaffen, ein Logo, eine Ansage.<br />

IntervIew: Bei der ersten Vorführung des Films,<br />

die nach einer Aufführung von Brechts Galilei um<br />

Mitternacht im Coronet Theatre, Los Angeles, stattfand,<br />

kam sogar Dr. Alfred Kinsey vorbei.<br />

Anger: Er kaufte die erste Kopie des Films. Sie<br />

steht noch heute in dem nach ihm benannten Institut<br />

an der Universität von Indiana. Kinsey interviewte<br />

mich damals für sein Buch Sexual Behavior in the<br />

Human Male – acht Stunden lang. Die Gespräche<br />

wurden allerdings anonymisiert. Sie können sich also<br />

die Mühe sparen, nach mir zu suchen. Kinsey und ich<br />

wurden gute Freunde, ich besuchte ihn oft an seinem<br />

Institut in Bloomingdale.<br />

IntervIew: Sie drehten zudem den Film Thelema<br />

Abbey mit ihm.<br />

Anger: Ja, bei Kinseys erster Reise nach Italien.<br />

Ich hatte mich ausführlich mit Aleister Crowleys<br />

Landhaus beschäftigt, das Crowley die Abbey of Thelema<br />

nannte. Er hatte die Wände mit erotischen, von<br />

Gaugin inspirierten Bildern bemalt, die ich wieder<br />

freilegen wollte. Ich schrubbte einen ganzen Sommer<br />

lang die Wände, um zu sehen, was Crowley hinterlassen<br />

hatte: Scarlet Woman, die von einem Ziegenbock<br />

bestiegen wird. Das war wohl zu obszön für Italien<br />

unter Mussolini (lacht).<br />

IntervIew: Dabei haben die Römer doch all das<br />

erfunden!<br />

Anger: Ha, das stimmt! So habe ich das noch gar<br />

nicht gesehen.<br />

IntervIew: Die Schriften des Okkultisten Aleister<br />

Crowley haben Ihr Werk maßgeblich beeinflusst.<br />

Wie haben Sie als Teenager in Los Angeles überhaupt<br />

vom berüchtigten Frater Perdurabo gehört?<br />

Anger: Als Teenager lernte ich Jack Parsons kennen,<br />

einen der wichtigsten Jünger Crowleys. Parsons<br />

leitete die Agape-Loge in Kalifornien und war einer<br />

der intelligentesten Männer, die ich kennenlernen<br />

durfte. Er arbeitete in der Raumfahrt und entwickelte<br />

den Treibstoff, der die ersten Raketen ins Weltall beförderte.<br />

Jack gab mir Crowleys wichtigste Schriften,<br />

die ich eifrig studierte. Der Hintergrund war folgender:<br />

Crowley starb 1947, da war ich 17, er gründete<br />

den Ordo Templi Orientis, eine Geheimorganisation,<br />

zu dessen Anhängern ich mich bis heute zähle. Leider<br />

starb Jack bei einem Experiment in seiner Garage in<br />

Pasadena. Er sprengte sich selbst in die Luft. Glücklicherweise<br />

überlebte seine Frau Cameron, da sie gerade<br />

einkaufen war. Die beiden wollten eigentlich nach<br />

Mexiko abhauen, da das FBI hinter Jack her war.<br />

IntervIew: Muss man sich den Ordo Templi<br />

Orientis wie eine Loge der Freimaurer vorstellen?<br />

Anger: Er ist ähnlich strukturiert.<br />

IntervIew: Besuchen Sie regelmäßig die Logenabende?<br />

Szenen AuS den FIlmen von Kenneth Anger<br />

(von oben nAch unten): Airship (2010–2012),<br />

Fireworks (1947), Kenneth Anger In scorpio<br />

rising (1963), eAux d’ArtiFice (1953),<br />

inAugurAtion oF the pleAsure dome (1954)<br />

Anger: Nicht mehr. Ich habe zwar die elfte Stufe<br />

erreicht, was ziemlich weit oben in der Hierarchie ist,<br />

bin aber ganz froh, nie auf die zwölfte aufgestiegen<br />

zu sein und somit keine aktiven Pflichten zu haben.<br />

Es ist jedoch gut zu wissen, dass es andere wie mich<br />

gibt. Der Orden ist jedoch keine Angelegenheit für<br />

die Massen. Er ist etwas für elitäre Geister. Und das<br />

meine ich nicht in einem Scientology-Sinn.<br />

IntervIew: Was geschieht bei den Treffen des<br />

Ordens? Muss man sich das ähnlich vorstellen wie das<br />

Ritual, das Sie in Inauguration Of The Pleasure Dome<br />

vollführen?<br />

Anger: Bevor Sie weiterfragen: Nein, ich bin<br />

kein Satanist. Ich bin Heide, pagan. Das war ich lange,<br />

bevor ich von Aleister Crowley zum ersten Mal<br />

hörte. Ich errichtete schon als Teenager einen Schrein<br />

für Pan im Garten meines Elternhauses. Das störte<br />

meine Eltern jedoch keineswegs. Die waren froh, dass<br />

der Junge endlich mal draußen ist.<br />

IntervIew: Und ich hatte kurz überlegt, ob dieses<br />

Gespräch nicht besser im Pergamonmuseum vor<br />

dem Pergamonaltar, dem vermeintlichen „Thron des<br />

Satans“, zu führen sei.<br />

Anger: Der Altar ist wunderschön. Ich werde<br />

ihn auch diesmal wieder besuchen (lacht).<br />

IntervIew: Dank Fireworks gelten Sie als Pionier<br />

des Queer Cinema, eigentlich wäre doch Vater des<br />

okkultistischen Films fast mehr gerechtfertigt.<br />

Anger: Ich mag den Ausdruck Queer Cinema<br />

nicht. Das klingt nach Kino für Mädchen. Zudem<br />

lehne ich es ab, in Schubladen und Kategorien gesteckt<br />

zu werden. Und die okkulte Dimension meines<br />

Werkes wissen die wenigsten zu lesen. Ich sehe mich<br />

als Vorreiter der amerikanischen Avantgarde. Nicht<br />

mehr, nicht weniger.<br />

IntervIew: Ist eine Karriere innerhalb der Riesenmaschine<br />

Hollywood nach dem Erfolg von Fireworks<br />

für Sie nie infrage gekommen?<br />

Anger: Nicht in den frühen Fünfzigern. Damals<br />

betrieb Amerika eine regelrechte Hexenjagd auf die<br />

Roten. Sie brachten niemanden um, und ich war nie<br />

Kommunist, aber McCarthys Schergen konnten einem<br />

das Leben ziemlich versauen. Gale Sonder gaard,<br />

eine sehr gute Freundin von mir, stand auf den schwarzen<br />

Listen der Kommunistenjäger, weil sie mit einem<br />

Linken verheiratet war und einer linken Jugendgruppe<br />

angehört hatte. Gale bekam über Jahre keine Rollen<br />

mehr angeboten, und das, obwohl sie einen Oscar gewonnen<br />

hatte. In so einem System wollte ich nicht anheuern,<br />

da fühlte ich mich in Europa sehr viel wohler.<br />

IntervIew: Dort schrieben Sie auch Hollywood<br />

Babylon und drehten Filme wie Eaux d’artifice.<br />

Anger: Ja, Hollywood Babylon wurde zuerst in<br />

Frankreich ein Bestseller, später dann in Amerika<br />

und der restlichen Welt. Die Dreharbeiten zu Eaux<br />

d’artifice führten mich nach Italien, in die Villa d’Este,<br />

um genau zu sein. Es war eine kleine Sen sation, dass<br />

ich dort überhaupt drehen durfte. Ich, ein junger,<br />

amerikanischer Underground-Filmemacher im Garten<br />

d’Este. Die Tivoli-Gärten sind schließlich eine<br />

bekannte Touristenattraktion. Die zuständige Behörde<br />

meinte jedoch nur: „Mach keine Statue kaputt. Dreh<br />

nur eine Stunde am Stück. Sperr weiträumig ab. Viel<br />

Glück.“ Das war’s.<br />

IntervIew: Wie haben Sie die eigentlich kleinwüchsige<br />

Frau gefunden, die Hauptfigur des Films?<br />

Anger: Fellini gab mir den Tipp. Er kannte sie.<br />

Sie war entzückend.<br />

IntervIew: Wie muss man sich das vorstellen?<br />

Einfach mal so Fellini anrufen und fragen, ob er eine<br />

Zwergin zur Hand hat?<br />

112<br />

113


Anger: Nein, ich kannte ihn natürlich. Die kleine<br />

Dame ist der Schlüssel zum Film, weil ich das Umfeld,<br />

die Fontänen und Skulpturen, größer erscheinen<br />

lassen wollte.<br />

IntervIew: War es von Anfang an Ihre Idee, die<br />

Fontänen zu Vivaldi sprudeln zu lassen?<br />

Anger: Vom ersten Tag an. Ich liebe Die vier<br />

Jahreszeiten, und ich wusste immer, dass ich irgendwann<br />

das Wintermotiv in meiner Arbeit verwenden<br />

würde.<br />

IntervIew: Der Titel Eaux d’artifice …<br />

Anger: … ist ein Wortspiel, auf das ich stolz<br />

bin: Feu d’artifice bedeutet Feuerwerk auf Französisch,<br />

ich verweise also mit einem Augenzwinkern auf<br />

Fireworks.<br />

IntervIew: Sie drehen ausschließlich Kurzfilme.<br />

Hatten Sie nie Lust, etwas in Spielfilmlänge zu drehen?<br />

Anger: Schon, aber dafür fehlte mir immer das<br />

Budget. Mein Geld reichte meistens für 15 Minuten,<br />

manchmal auch für eine halbe Stunde oder 40 Minuten.<br />

Aber das ist nicht tragisch: Ich vergleiche meine<br />

Filme gerne mit Gedichten. Von denen erwartet auch<br />

keiner, dass sie ein Roman sind.<br />

Eine Angestellte der Galerie Sprüth Magers, die Kenneth<br />

Anger betreut, kündigt an, dass die verabredete<br />

Gesprächszeit bald vorüber sei. Anger schaut auf, sagt:<br />

„Wir haben noch keinen Kaffee bekommen. Bieten<br />

Sie diesem Gentleman erst einmal ein Getränk an.“<br />

Anger: Bitte fahren Sie fort!<br />

IntervIew: Weinen Sie im Kino?<br />

Anger: Nein, ich bin keine Heulsuse, wenn Sie<br />

das meinen. Aber Filme berühren mich durchaus.<br />

IntervIew: Inauguration Of The Pleasure Dome<br />

war der erste und einzige Film, den ich auf LSD gesehen<br />

habe.<br />

Anger: War es aufregend?<br />

IntervIew: Schön. Verstörend. Und rätselhaft.<br />

Anger: Ich habe nicht viel mit Drogen experimentiert,<br />

schon gar nicht mit harten Drogen. Allerdings<br />

versuchte ich einst, auf LSD zu filmen. Das<br />

klappte überhaupt nicht! Ich bekam das Bild nie<br />

scharf. Vielleicht lag das aber auch an meinen Augen -<br />

oder das LSD war einfach zu stark. Sie wissen schon:<br />

Das war in den Sechzigern in San Francisco …<br />

IntervIew: Dort arbeiteten Sie an einem Ihrer<br />

Hauptwerke, an Lucifer Rising.<br />

Anger: Ein durchaus kompliziertes Unterfangen.<br />

IntervIew: Es scheint nicht gerade einfach, einen<br />

adäquaten Luzifer zu finden.<br />

Anger: Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise:<br />

Es war die Hölle.<br />

IntervIew: Dabei war Ihr Luzifer nicht der Leibhaftige<br />

nach der christlichen Lesart, sondern der Luzifer<br />

nach der Interpretation Aleister Crowleys.<br />

Anger: Luzifer als der Lichtbringende, ja. Tief<br />

in mir spüre ich eine Stimme, die sagt: Du bist noch<br />

nicht fertig mit dem Thema. Irgendwann werde ich<br />

wohl zu Lucifer Rising zurückkehren. Aber das ist<br />

Zukunftsmusik.<br />

IntervIew: Gerüchteweise sollte Mick Jagger die<br />

Rolle übernehmen …<br />

Anger: … dann seine Bruder Chris, Chris Jagger,<br />

der mir jedoch viel zu viele Fragen stellte. Wir<br />

drehten in Ägypten, und der Kerl wollte ständig wissen,<br />

warum dies oder jenes geschieht, was all das zu<br />

bedeuten hat. Dabei war er nur ein Erfüllungsgehilfe,<br />

eine Marionette. Ich brüllte ihn an: „Halt die Klappe.<br />

Das verstehst du nicht.“ Letztendlich musste ich ihn<br />

nach Hause schicken.<br />

“<br />

DAs jüngste gerücht:<br />

Hollywood BaBylon, 1959<br />

Ich mag den Ausdruck<br />

Queer Cinema<br />

nicht. Das klingt<br />

wie Kino für Mädchen.<br />

Und die okkulte<br />

Dimension meines<br />

Werkes wissen die<br />

wenigsten zu lesen<br />

”<br />

– Kenneth Anger<br />

IntervIew: Die Rolle der Lilith übernahm Marianne<br />

Faithfull.<br />

Anger: Und sie war schrecklich, grauenhaft, die<br />

Schlange im Garten Eden. Sie trug alles Böse, was<br />

Frauen zu bieten haben, in sich. Wegen ihr wären<br />

wir beinahe im Knast gelandet. Schlimmer noch: Wir<br />

hätten wegen Marianne Faithfull hingerichtet werden<br />

können. Damals drohte in Ägypten die Todesstrafe<br />

für Heroinbesitz …<br />

IntervIew: Heroin?<br />

Anger: Marianne war zu dieser Zeit hochgradig<br />

süchtig. Sie schmuggelte ihr Rauschgift im Makeup<br />

nach Ägypten. Ungeachtet aller Konsequenzen.<br />

Mir fiel das auf, weil sie plötzlich mit diesem grauen<br />

Gesicht an meinem Set erschien. Sie war total zugedröhnt<br />

und merkte nicht einmal mehr, dass ihr Makeup<br />

eigentlich Heroin war.<br />

IntervIew: Den Soundtrack zu Lucifer Rising sollte<br />

Jimmy Page beisteuern.<br />

Anger: Ja, aber Jimmy schickte nur 20 Minuten.<br />

Ich brauchte jedoch 40 Minuten. Er hatte damals<br />

ebenfalls ein ziemlich heftiges Heroinproblem, was<br />

kein Geheimnis war. Mit solchen Leuten kann ich<br />

einfach nicht arbeiten.<br />

IntervIew: Stattdessen steuerte Ihr alter Freund<br />

Bobby Beausoleil den Soundtrack bei. Er nahm die<br />

Musik im Gefängnis auf.<br />

Anger: Das stimmt. Und zwölf verurteilte Mörder<br />

halfen ihm dabei.<br />

IntervIew: Bobby Beausoleil sitzt eine lebenslange<br />

Haftstrafe für den Mord am Musiker Gary<br />

Hinman ab.<br />

Anger: Er war Mitglied der Manson Family,<br />

Bobby Beausoleil ist einer der Manson-Mörder, richtig.<br />

Ich habe ihn einmal hinter Gittern besucht, aber<br />

das war ganz furchtbar. All die Kontrollen, Stahltüren,<br />

Gitter, Schlüsselringe. Einfach nicht meine Welt.<br />

Seither haben wir uns nur noch geschrieben.<br />

IntervIew: Vor der Tat lebten Bobby und Sie zusammen<br />

in San Francisco. Sie waren ein Paar. Was ist<br />

schiefgelaufen?<br />

Anger: Ich machte Schluss und schmiss Bobby<br />

raus.<br />

IntervIew: Warum?<br />

Anger: Bobby war jung, viel jünger als ich. Er<br />

bat mich um 700 Dollar, um Verstärker für seine<br />

Band The Magick Powerhouse of Oz zu kaufen. Ich<br />

gab ihm das Geld, er fuhr nach Südkalifornien. Doch<br />

anstatt mit Lautsprechern kam er mit diesen Paketen<br />

zurück, die fortan in seinem Zimmer lagerten. Wir<br />

hatten damals einen Hund, Snowfox, einen Husky.<br />

Und der fing an, ständig an diesen ominösen Paketen<br />

rumzuschnüffeln. Irgendwann fiel mir das auf.<br />

Ich fand es merkwürdig. Also schnitt ich ein Loch<br />

in eines der Pakete – und was bröckelt raus? Marihuana!<br />

IntervIew: Jetzt klingen Sie aber spießig, Herr<br />

Anger! Wir reden schließlich über die Sixties! Haight-<br />

Ashbury! San Francisco!<br />

Anger: Na und? Bobby war jung, viel zu jung. Er<br />

war minderjährig. Und er log mich an.<br />

IntervIew: Was passierte dann?<br />

Anger: Ich setzte ihn vor die Tür. Ich war verletzt.<br />

Und sauer. Daraufhin stahl Bobby meinen Van<br />

und brauste davon. Er wollte runter nach Südkalifornien,<br />

doch der Van blieb auf halber Strecke liegen.<br />

Unglücklicherweise genau vor der Ranch, die damals<br />

Charlie Manson und seine Bande bewohnten. Das<br />

mag jetzt wie eine schlecht konstruierte Geschichte<br />

klingen, aber ich schwöre Ihnen: Sie entspricht der<br />

Wahrheit. Die Girls entdeckten den hübschen Jungen,<br />

tanzten um ihn rum, rauchten sein Gras, da war<br />

es um ihn geschehen. Bobby war sehr jung. Wahrscheinlich<br />

fand er in Charlie Manson eine Vaterfigur.<br />

IntervIew: Immerhin brachte Manson ihn dazu,<br />

einen Menschen umzubringen. Angeblich wegen eines<br />

missglückten Drogendeals.<br />

Anger: Schrecklich. Und traurig. Sehr traurig.<br />

IntervIew: Während Bobby einer von Mansons<br />

Todesengeln wurde, schalteten Sie eine Todesanzeige<br />

für Kenneth Anger in der Village Voice. Eine ziemlich<br />

drastische Maßnahme, finden Sie nicht auch?<br />

Anger: Nein, wieso? Ich wollte meine Karriere<br />

als Filmemacher tatsächlich beerdigen. Kenneth<br />

Anger. Filmmaker. 1947–1967. Aus. Schluss. Vorbei.<br />

Bobby hatte mir das Material meines wichtigsten Projekts<br />

gestohlen, und ich war wirklich am Ende. Und<br />

da ich gerade in New York war, dachte ich, dies sei<br />

eine adäquate Reaktion.<br />

IntervIew: Dachten Sie tatsächlich, dass Ihre<br />

Foto: Lucifer Rising Poster, designed by Page Wood<br />

„ICH BIN KEIN SATANIST, ICH BIN HEIDE” – FILMPLAKAT ZU LUCIFER RISING, 1970<br />

Freunde und Familie es amüsant finden, Ihre Todesanzeige<br />

zu lesen?<br />

ANGER: Teilweise. Die meisten wussten natürlich,<br />

wie verrückt und gestört Kenneth Anger ist. Sie<br />

dachten wahrscheinlich: „Ach, schau her. Ein echter<br />

Kenneth Anger.“ Ich hatte immer einen Hang zu<br />

Drama und zur Inszenierung. Das verdanke ich wahrscheinlich<br />

einem meiner früheren Leben.<br />

INTERVIEW: Vor der Halloweennacht 2008 kündigten<br />

Sie ebenfalls an zu sterben. Dennoch sitzen<br />

Sie heute hier.<br />

ANGER: Daran kann ich mich nicht einmal mehr<br />

erinnern. Aber ein gelungener Publicity-Stunt, wie es<br />

scheint, oder nicht?<br />

INTERVIEW: Prägnante Schlagzeilen scheinen jedenfalls<br />

eine Ihrer Gaben zu sein. Eine andere lieferten<br />

Sie in den Achtzigern: Nach wie vor hält sich<br />

das Gerücht, Sie hätten dem Gründer des <strong>Interview</strong>-<br />

Magazins einen Eimer Farbe vor die Haustüre gekippt.<br />

Hegten Sie gegen Andy Warhol einen besonderen<br />

Groll?<br />

ANGER: Ich war auf Krawall gebürstet, ein Hitzkopf.<br />

Außerdem konnte es sich Warhol leisten, die<br />

rote Farbe wegmachen zu lassen.<br />

INTERVIEW: Kannten Sie ihn denn?<br />

ANGER: Nein. Wir waren zwar einmal im selben<br />

Raum in New York, aber Warhol hatte ja ständig<br />

seine Rasselbande um sich, all die Taugenichtse und<br />

Möchtegerns. Eigentlich wollte ich ihn ansprechen,<br />

von Underground-Filmemacher zu Underground-<br />

Filmemacher. Aber dieses Spektakel war mir dann zu<br />

doof. Zumal Warhol dafür bekannt war, ohnehin nur<br />

„Yes“, „No“, „Really“ und „Amazing“ zu sagen.<br />

INTERVIEW: War das während der Zeit, als Sie<br />

Scorpio Rising in New York drehten?<br />

ANGER: Nein, später. Als ich Scorpio Rising drehte,<br />

hatte Warhol noch keinen Schimmer von Filmen.<br />

INTERVIEW: Der Film entstand lange vor Easy Rider,<br />

lange vor Hell’s Angels von Hunter S. Thompson,<br />

lange bevor die Jungs auf den schweren Maschinen zu<br />

Outlaws und Helden der Gegenkultur wurden.<br />

ANGER: Er symbolisiert auf eine Art den Anfang<br />

all dessen. Ich kannte die ersten Hells Angels, und die<br />

waren keineswegs so degeneriert wie die Saat, die sie<br />

säten. Die Jungs im Film, meine Jungs, waren geradezu<br />

unschuldig, verglichen mit der späteren Brut. Sie<br />

arbeiteten tagsüber auf dem Fulton Fish Market, dem<br />

örtlichen Fischmarkt, und steckten jeden Cent in ihre<br />

handgefertigten Feuerstühle.<br />

INTERVIEW: Im Film schneiden Sie gekonnt zwischen<br />

Motorradaufnahmen, Hakenkreuz- und Passionsbildern<br />

umher. Hat sich darüber nie jemand beschwert?<br />

ANGER: Wer sollte sich beschweren?<br />

INTERVIEW: Vielleicht irgendwelche Nazis. Eine<br />

Motorradgang. Oder ein paar aufgebrachte Christen,<br />

denen der Zusammenhang zwischen Rockern, Hakenkreuzen<br />

und dem Heiland nicht sofort einleuchten<br />

will.<br />

ANGER: Na ja, gerüchteweise haben sich ein paar<br />

Nazis anonym bei irgendeiner Behörde in Los Ange les<br />

tatsächlich wegen des Films beschwert. Sie monierten,<br />

ich habe ihre Flagge besudelt. Aber das war Kokolores.<br />

Und die christlichen Aufnahmen, entliehen einem<br />

Film namens The Last Journey To Jerusalem, landeten<br />

durch einen obskuren Zufall in meinem Briefkasten.<br />

Stellen Sie sich das mal vor: Der Film einer<br />

Kirchengruppe im Briefkasten von Kenneth Anger!<br />

Man könnte behaupten: Eine göttliche Fügung.<br />

Vielleicht war es auch nur ein sehr guter Witz eines<br />

Freundes. Wie dem auch sei – mir gefiel die Parallele<br />

zwischen Heiland, seinen Jüngern und der Motorradgang.<br />

Irgendwann bekamen jedoch ein paar Nonnen<br />

aus Los Angeles Scorpio Rising zu Gesicht …<br />

INTERVIEW: … und die drohten, Sie ins ewige<br />

Höllenfeuer zu stoßen?<br />

ANGER: Nein. Die Damen fanden es okay, wie ich<br />

die Aufnahmen verwendet habe. Sie meinten, mein<br />

Film sei auf eine Art auch sehr religiös (lacht). Die<br />

Nonnen bedankten sich sogar bei mir dafür.<br />

INTERVIEW: Herr Anger, der dritte Teil von Hollywood<br />

Babylon ist seit mehr als zehn Jahren angekündigt.<br />

Es gibt eine Menge Leute, die sich darauf freuen<br />

würden, das jüngste Gerücht von Ihnen serviert zu<br />

bekommen.<br />

ANGER: Ein schönes Kompliment. Leider glaube<br />

ich nicht daran, dass die Kapitel, die ich schon lange<br />

fertig habe, jemals das Licht der Welt sehen werden.<br />

Meine Anwälte raten mir davon ab.<br />

INTERVIEW: Wieso das?<br />

ANGER: Ach, etliche Dinge, die ich schreiben<br />

würde, sind ziemlich heikel. Beispielsweise das Kapitel<br />

über Tom Cruise und Scientology. Ich habe das<br />

gründlich recherchiert, mit vielen Menschen gesprochen,<br />

ich kann erklären, warum Tom Cruise und John<br />

Travolta solch enthusiastische Vollidioten im Dienste<br />

dieser Sekte sind. Aber es sind Vollidioten mit einer<br />

Armee von Anwälten. Irgendwie ist das Ganze ohnehin<br />

ein trauriger Verein. Wen haben die schon groß<br />

geködert? Außer Tom Cruise, Karen Black und John<br />

Travolta? Und die werden immer älter – Tom ist mittlerweile<br />

schon jenseits der 50! Wissen Sie, letztendlich<br />

bin ich Underground-Filmemacher. Kein Romancier,<br />

kein Regisseur für Musikvideos. Ich habe die amerikanische<br />

Avantgarde erfunden. Ich bin Kenneth Anger!<br />

KENNETH ANGER BEI SPRÜTH MAGERS/BERLIN<br />

BIS 23. FEBRUAR 2013<br />

114<br />

115


lena<br />

dunham<br />

Sex? Peinlich bis normal.<br />

aussehen? unterdurchschnittlich bis okay.<br />

leben in new York? nicht vorhanden bis verregnet:<br />

mit der Serie Girls wurde die 26-jährige amerikanerin<br />

lena dunham zur Stimme einer neuen Generation.<br />

Sie ist der zeitgemäße Gegenentwurf zu Sex And The City –<br />

und so erfolgreich, dass ein Verlag dem Girls-Girl gerade<br />

3,5 millionen dollar als Vorschuss zahlte<br />

von<br />

miranda julY<br />

116<br />

fotos<br />

gregory hArris<br />

styling<br />

elin svAhn<br />

“<br />

Iss eier, Eier, geh joggen,<br />

hab ganz viel Sex –<br />

genau das werde ich tun<br />

”<br />

Lena Dunham<br />

Mantel<br />

Miu Miu<br />

t-shirt<br />

Apc


mantel<br />

jil sAnder<br />

brosche<br />

miu miu<br />

Fotos: © 2012 HOME BOX OFFICE, INC. ALL RIGHTS RESERVED (3); © 2013 HOME BOX OFFICE, INC. ALL RIGHTS RESERVED (1)<br />

Miranda July: Auf meinem Schoß sitzt ein Baby, ich<br />

brauche noch eine Minute.<br />

lena dunhaM: Oh, alles klar. Hi, Hopper!<br />

July: „Hi, Lena!“ Er fängt gerade an zu reden!<br />

dunhaM: Wirklich? Was für Geräusche macht<br />

er denn?<br />

July: Ah-blah-blah-blah-blah.<br />

dunhaM: Toll! Ich habe ihn gerade gehört!<br />

July: Das war aber nur ein Lachen.<br />

dunhaM: Für mich klang das wie das Kichern<br />

eines Erwachsenen.<br />

July: Ganz genau.<br />

dunhaM: Süß. Entschuldige bitte, dass ich mich<br />

verspätet habe. Mein Akupunkteur hat sich eine halbe<br />

Stunde verspätet – und er hat es irgendwie geschafft,<br />

mich davon zu überzeugen, dass mir etwas Furchtbares<br />

droht, wenn ich eine Sitzung verpasse.<br />

July: Wahrscheinlich hat er recht.<br />

dunhaM: Außerdem sitzt hier Jack (Antonoff,<br />

Lena Dunhams Freund, Gitarrist der Band Fun), den du<br />

kürzlich auf dem Sunset Boulevard gesehen hast.<br />

July: Wirklich?<br />

dunhaM: Ja, ich habe ihm davon erzählt, und<br />

er meinte: „Ach, ich habe diese Frau in einem Auto<br />

vorbeifahren sehen und dachte, es sei Miranda.“ Er<br />

war sich jedoch sicher, er habe sich das alles nur eingebildet.<br />

July: Nein, ich habe ihn erkannt. Obwohl ich ihn<br />

nur von Google kenne. Er trug allerdings kreischend<br />

bunte Sachen. Das hat mich ein wenig verwirrt.<br />

dunhaM: Wahrscheinlich auch diese Neon-<br />

Turn schuhe. Eigentlich wollte er sie nur einmal tragen,<br />

jetzt gehören sie zum Standardrepertoire. Als ich Jack<br />

mit zu meinem Akupunkteur nahm, meinte der: „Jack<br />

hat zu viel Energie.“ Ich scheine zu wenig zu haben.<br />

July: Du solltest einfach einen Teil davon aus ihm<br />

raussaugen.<br />

dunhaM: Genau mein Plan.<br />

July: Nicht durch seinen Penis, so war das nicht<br />

gemeint (lacht).<br />

dunhaM: Da fällt mir gerade ein: Falls es etwas<br />

gibt, das in diesem Gespräch auftaucht und nicht<br />

gedruckt werden soll, rufen wir einfach: „Off the record.“<br />

Und wenn es wieder offiziell wird, rufen wir:<br />

„Okay, back on record.“<br />

July: Okay. Aber dann musst du auch daran denken,<br />

wieder „back on record“ zu sagen. Sonst gibt es<br />

kein <strong>Interview</strong>.<br />

dunhaM: Stimmt. Dann kann nichts gedruckt<br />

werden nach „off the record“.<br />

July: Von jetzt bis in alle Ewigkeit (lacht). Seit wir<br />

unser Dinner hatten, muss ich ständig an dich denken.<br />

dunhaM: Es war so nett! Und auch sehr belebend.<br />

Ich sollte meinem Akupunkteur sagen, dass<br />

ein Essen mit dir Wunder wirkt.<br />

July: Ich habe seither oft darüber nachgedacht,<br />

dass die Menschen gar nicht wissen, wie du wirklich<br />

bist. Ich wusste das nach Tiny Furniture ja auch nicht.<br />

Ich kann mich jedoch noch gut an den ersten Abend<br />

erinnern, als du zu Mike und mir nach Hause kamst.<br />

Wir hatten noch nie eine Person mit so gutem Benehmen<br />

zu Gast, niemanden, der so warmherzig und<br />

angenehm ist. Als Mike später ein Screening mit dir<br />

sah, kam er heim und meinte: „Lena war exakt so,<br />

wie wir sie erlebt haben.“ Selbst im Gespräch mit<br />

den Agenten, den Presseleuten. Das hat mich umgehauen.<br />

Auch als du ein Taxi gerufen hast, nach dem<br />

Essen vergangene Woche. Du riefst bei der Zentrale<br />

von Uber Taxi an, und als du sagtest: „How are you?“,<br />

dachte ich nur: Mit wem telefoniert Lena gerade?<br />

Spricht sie mit ihrem besten Freund?<br />

Sex and the City 2013:<br />

Szenen auS der erfolgSSerie Girls<br />

119<br />

dunhaM: Ich möchte Uber Taxi gerne loben,<br />

auch wenn mich deren neue App sehr verwirrt.<br />

July: Ich merkte in dem Moment, in dem du mit<br />

der Taxizentrale sprachst, dass du tatsächlich jeden<br />

Menschen gleich behandelst. Wahrscheinlich gleitest<br />

du deshalb mit einer solchen Leichtigkeit durch die<br />

Welt. Hast du eine Ahnung, was ich meine?<br />

dunhaM: Irgendwie schon, zumal die Menschen<br />

wegen meiner Serie Girls ohnehin immer denken,<br />

sie kennen mich. Selbst vor dem ersten tatsächlichen<br />

Treffen. So läuft das jetzt schon seit einem Jahr: Viele<br />

Menschen, denen ich begegne, Menschen, die ich<br />

noch nie getroffen habe, verhalten sich, als seien sie<br />

alte Bekannte. Das kann ganz schön merkwürdig sein.<br />

Deshalb habe ich mir eine Strategie zurechtgelegt:<br />

Ich bin einfach genauso freundschaftlich zu ihnen.<br />

Das ist viel angenehmer, als es komisch zu finden.<br />

Die Schattenseite dieser Variante ist aller dings, dass<br />

manche dann sofort denken, wir hätten eine total tiefe<br />

Freundschaft. Da das nicht der Fall ist und ich mich<br />

auch um meine eigenen Angelegenheiten kümmern<br />

muss, fühle ich mich dann schlecht, wenn ich sie enttäuschen<br />

muss. Gleichzeitig habe ich Angst, dass meine<br />

echten Freundschaften darunter leiden, weil meine<br />

wirk lichen Freunde denken könnten: Ach, jetzt ist sie<br />

auch mit dieser Person so eng, vielleicht …<br />

July: … ist Lena mit allen so.<br />

dunhaM: Ja, genau. Ich bin ohnehin jemand, der<br />

gerne „I love you“ sagt und schnell Liebesbekundungen<br />

macht. Auch wenn es mir danach manchmal Sorgen<br />

bereitet. Jack hörte mal, wie ich einen anderen<br />

Typen „Babykäfer“ oder sonst irgendetwas Komisches<br />

nannte, aber das war mein Spitznamen für ihn. Ich<br />

fürchtete sofort: „Was, wenn er jetzt denkt, ich sei ein<br />

unaufrichtiges Stück Scheiße?“ So etwas macht mir<br />

dann Angst. Einfach, weil ich will, dass alle wissen,<br />

wie sehr ich sie liebe.<br />

July: Wie alt warst du eigentlich, als du Tiny Furniture<br />

gemacht hast?<br />

dunhaM: Als wir den Film drehten, war ich 23,<br />

bei der Premiere dann 24.<br />

July: Die Arbeiten, die ich mit 23 gemacht habe,<br />

waren lauter so Beinahe-Prostitutions-Sachen, die ich<br />

anfertigte, um meine Eltern zu schocken. Und das ist<br />

„on the record“, falls es jemanden interessiert.<br />

dunhaM: I love it!<br />

July: Was? Dass ich gesagt habe, es sei „on the<br />

record?“ Das ist definitiv „off the record“ (Dunham<br />

lacht). Deine Eltern sind ja auch Künstler (Carroll<br />

Dunham und Laurie Simmons). Meine Eltern sind<br />

Schriftsteller. Wir hatten also ähnlich großartige Vorbilder,<br />

was Arbeitsweisen und Lebensmodelle angeht.<br />

Dennoch denke ich, dass Künstler, die sich so in den<br />

Mittelpunkt ihrer Werke stellen, früher oft Angst hatten,<br />

übersehen zu werden. Es war einfach schwer, in<br />

so einem Umfeld wahrgenommen zu werden. Zumindest<br />

bei mir ist das der Fall, glaube ich.<br />

dunhaM: Ich weiß ganz genau, was du meinst.<br />

In meiner Familie, abgesehen von massiver Unterstützung<br />

und Liebe, wird man als Person, die etwas<br />

zur Welt beisteuert, erst dann wahrgenommen, wenn<br />

man etwas Kreatives schafft. Schauspielerei beispielsweise<br />

ist für meine Eltern nur dann wirklich interessant,<br />

wenn man dabei etwas erschafft. Wäre ich also<br />

eine geradlinige Schauspielerin geworden, hätte sie<br />

diese Entscheidung sicher verwirrt – dabei schätzen<br />

und lieben sie die Arbeit und Filme von Schauspielerinnen<br />

wie Cate Blanchett oder Meryl Streep. Bei<br />

meinen Eltern ist das so, einfach weil sie glauben,<br />

dass es dafür nicht genügend Selbstkontrolle und<br />

Ausdruck des eigenen Willens und Schaffens bedarf.


Früher dachte ich immer, ich würde<br />

die Schauspielerei nur so lange machen,<br />

bis ich jemand Geeigneteren finde,<br />

der mich ersetzt<br />

Kleid<br />

diAne von<br />

furstenberg<br />

Pullover<br />

burberry<br />

london<br />

gürtel (vintage)<br />

lynn bAn<br />

brosche<br />

miu miu<br />

strumPfhose<br />

fogAl<br />

schuhe<br />

cAlvin Klein<br />

collection<br />

“<br />

”<br />

Lena Dunham<br />

Mir ist erst kürzlich bewusst geworden, wie viel Spaß<br />

mir die Schauspielerei eigentlich macht. Früher dachte<br />

ich immer, ich würde es nur so lange machen, bis<br />

ich jemand Geeigneteren finde, der mich ersetzt. Mir<br />

selbst einzugestehen, dass mir das Spielen gefällt, dass<br />

es mir wichtig ist, fühlte sich falsch an, als hätte ich<br />

ein fürchterliches Ego. Zumal ich früher schon immer<br />

von diesen zwei unterschiedlichen Gefühlsrichtungen<br />

getrieben wurde: Zu Hause wurde ich respektiert und<br />

fühlte mich verstanden – während in der Schule nichts<br />

klappte. Die anderen Kids begriffen einfach nicht, wer<br />

ich eigentlich bin. Das wiederum regte mich erst total<br />

auf, dann langweilte es mich, gleichzeitig fand ich<br />

die anderen unaussteh lich. Es war letztendlich meine<br />

Schuld. Ich musste sogar die Schule wechseln, weil ich<br />

einfach keine Freunde hatte, und kann mich sehr gut<br />

daran erinnern, wie meine Eltern meinten: „Sie wird<br />

zum Opfer gemacht. Deshalb wechselt sie jetzt die<br />

Schule.“ Ich dachte jedoch: Ich wechsle die Schule,<br />

weil ich mich wie ein Arsch verhalten habe (July lacht).<br />

Um auf deine Frage zurückzukommen: Ich wurde von<br />

meinen Eltern nicht übersehen, sondern stand viel zu<br />

sehr im Mittelpunkt.<br />

July: Im Gegensatz zur Schule.<br />

dunham: Ja, beispielsweise wenn es um die<br />

Theater aufführungen dort ging. Ich bereitete mich<br />

wie eine Irre vor, las alle Bücher, lernte Sätze, lag<br />

fanta sierend in der Badewanne und bekam am Ende<br />

die Rolle eines Springballs, eines dicken Mannes oder<br />

die eines Wachbeamten.<br />

July: Wobei ich mir beim Springball den Daniel-<br />

Day-Lewis-Ansatz sehr gut vorstellen kann.<br />

dunham: Klar, deshalb habe ich die Rolle auch<br />

mit großem Ernst gespielt, was allerdings nie funktionierte.<br />

Und dann meine Eltern … Die liefen einfach<br />

raus, wenn ihnen das Stück nicht gefiel. Was<br />

nichts mit meiner Rolle zu tun hatte. Sie sagten dann:<br />

„Wir haben deine Stelle abgewartet, aber das Stück<br />

war einfach nicht gut, die Hauptrollen schlecht besetzt,<br />

deshalb sind wir früher abgehauen.“<br />

July: Genau wie mein Vater auch! Er behauptet,<br />

alles andere sei nicht ehrlich.<br />

dunham: Als ich meinen ersten Kurzfilm fertig<br />

hatte, meinte mein Dad: „Es ist großartig, dass du es<br />

versucht hast, und ich denke, das Medium könnte dir<br />

liegen. Aber du solltest den Film wirklich niemandem<br />

zeigen.“ Dabei ist der Film genau das, was mich zu<br />

der Person hat werden lassen, die ich heute bin. Wenn<br />

ich den Film nicht bei einem Festival eingereicht und<br />

darüber Leute kennengelernt hätte, die ihn mögen,<br />

würde ich heute vermutlich nichts mit Film und Fernsehen<br />

zu tun haben. Das war damals übrigens ein großer<br />

Schritt für mich: Mein Vater mag den Film nicht,<br />

aber ich reiche ihn trotzdem ein.<br />

July: Eine Frage, die mich sehr beschäftigt hat,<br />

nachdem ich deinen ersten Film gesehen hatte, war:<br />

Wieso schämt sich dieses Mädchen, das diesen Film<br />

gemacht hat, nicht dafür, wie speziell sie doch aufgewachsen<br />

ist? Versteh mich bitte nicht falsch: Die<br />

Art, wie du aufgewachsen bist, bietet ebenso viel oder<br />

ebenso wenig einen Grund, sich zu schämen, wie<br />

jede andere Form des Aufwachsens. Dennoch denke<br />

ich, dass es eigentlich total normal ist, sich davon zu<br />

distan zieren, damit abzurechnen. Du hast dieses Anliegen<br />

jedoch erstaunlich schnell hinter dir gelassen.<br />

dunham: Eine interessante Frage. Und ich weiß<br />

nicht, ob Geschwindigkeit da von Vorteil, ob sie gut<br />

oder schlecht ist. Gleichzeitig finde ich es komisch,<br />

wenn man von einem Typen liest, der in der Playboy<br />

Mansion oder sonst wo Wildes aufgewachsen ist und<br />

der sagt: „Ich kenne nichts anderes und dachte immer,<br />

so sei das Leben eben.“ So fühlte ich mich nie.<br />

Ich wusste, dass unser Leben speziell ist, dass meine<br />

Künstlereltern etwas Besonderes sind. Mit einem<br />

speziellen Lebensentwurf, der sich nun mal in einem<br />

großen Loft abspielte … wobei das Loft nicht so groß<br />

war, ich war nur sehr klein. Ich fand all das gut, wusste,<br />

wie besonders es ist, und musste nicht dagegen aufbegehren.<br />

Wobei ich andere Fälle kenne: Meine beiden<br />

besten Freunde aus Kindheitstagen haben ebenfalls<br />

Künstlereltern. Und die fanden es schrecklich.<br />

Die eine wollte selbst Künstlerin werden, studierte<br />

Kunst, arbeitete fleißig – doch die Leute interessierten<br />

sich nur für sie wegen ihrer verrückten Kindheit.<br />

Sie fühlte sich plötzlich wie ein Spektakel. Das konnte<br />

ich bis vor Kurzem nie wirklich verstehen. Erst seit<br />

ich vorsichtig darüber nachgedacht habe, wie es wohl<br />

wäre, meine Tochter zu sein, dämmert es mir langsam.<br />

July: Du hast darüber nachgedacht, wie es wäre,<br />

deine Tochter zu sein?<br />

dunham: Ja. Als ich dich mit Hopper gesehen<br />

habe. Du bist so cool als Mutter. Du versuchst es<br />

nicht, du bist es. Es ist ganz normal für dich.<br />

July: Mutter zu sein ist wahrscheinlich das Normalste,<br />

was ich je gemacht habe.<br />

121<br />

mantel<br />

miu miu<br />

pullover<br />

burberry<br />

london<br />

dunham: Du scheinst auch eine gute Balance<br />

gefunden zu haben. Ich weiß noch, wie du Hopper erklärt<br />

hast: „Das ist eine Orange, und sie ist orange. Sie<br />

ist auf diese Weise einzigartig.“ Ich könnte mir vorstellen,<br />

so einen Satz auch in deinen Texten zu lesen.<br />

July: Wenn du nicht da gewesen wärst, hätte ich<br />

den Satz vielleicht nicht gesagt, da er an Hopper total<br />

verschwendet ist. Hopper versteht das noch nicht.<br />

dunham: Er spricht eben noch kein Englisch.<br />

July: Dennoch vergleiche ich meinen zehn Monate<br />

alten Sohn gerne mit dir. Einfach, weil du ein gutes<br />

Beispiel für ein wohlgeratenes Künstlerkind bist.<br />

dunham: Wobei ich von den Tagebüchern meiner<br />

Mutter besessen bin. Darin beschreibt sie die<br />

unfassbar romantische Liebesbeziehung zu meinem<br />

Vater, die ich auch in Tiny Furniture verarbeite.<br />

July: Romantisch ist ein gutes Stichwort: Du hast<br />

dich vor nicht allzu langer Zeit unsterblich verliebt<br />

und mir davon erzählt. Würdest du auch seinen ganzen<br />

Namen öffentlich nennen?<br />

dunham: Klar, er heißt Jack Antonoff. Ich weiß<br />

sehr wohl von der Regel, dass man Privates und Öffentliches<br />

trennen und niemals den Namen seines<br />

Boyfriends verraten sollte. Aber ich verstehe dieses


ungeschriebene Gesetz der Starlets unter 33 ohnehin<br />

nicht. Warum darf man nicht dazu stehen, wenn man<br />

jemand Großartiges liebt? Das muss man doch in die<br />

Welt rausschreien! Vielleicht nicht mit Nacktfotos im<br />

Netz oder däm lichen Weihnachts-Tweets, aber sonst?<br />

Auf eine gewisse Art halte ich ihn für meine größte<br />

Errungenschaft. Warum sollte ich es nicht jedem erzählen?<br />

Vor allem nicht denen, die danach fragen?<br />

July: Eigentlich hatte ich mir eine Frage aufgeschrieben,<br />

doch dann habe ich sie wieder verworfen,<br />

weil ich sie schlecht und komisch fand. Es ging<br />

darum, ob es ein Frauending sei, sich für seine Arbeit<br />

schlecht zu fühlen. Es gibt diese Herangehensweise,<br />

die wir beide bis zu einem gewissen Grad teilen, es ist<br />

fast schon eine Art Berufung, Dinge schlecht zu finden.<br />

Gleichzeitig schleudern wir es raus in die Welt,<br />

und vielleicht verändert es sich ja dadurch, dass es geteilt<br />

wird, man kann es in einem anderen Licht sehen.<br />

Dunham: Genauso fühle ich mich auch. Oft geht<br />

es darum, es erst einmal überhaupt zuzugeben. Oder<br />

am Beispiel eines Typen erzählt, mit dem ich geschlafen<br />

habe. Da denke ich immer: Du wirst meinen Film<br />

sehen, und dann kapierst du, dass ich schlauer bin als<br />

du, dass ich all das vorhergesehen habe und du nichts<br />

gecheckt hast. Ich weiß nicht, ob du eine solche Art<br />

der Vorsehung kennst?<br />

July: Du machst jedenfalls genau damit einen<br />

großartigen Job bei Girls. Jeder liebt die Szene, in der<br />

Adam Drivers Figur den Spieß umdreht und plötzlich<br />

sagt: „Du fragst mich nie etwas.“ In diesem intimen<br />

Moment weiß man, dass du selbst da warst, dass die<br />

Regisseurin Lena einfach so viel mehr weiß als ihre<br />

Figur Hannah und du nicht predigst oder einen Selbsthass<br />

auslebst, sondern den Moment selbst erlebt hast.<br />

Dunham: Es freut mich, dass du das so siehst. Ich<br />

höre nicht auf jede Meinung, die ich zur Serie bekomme,<br />

aber es gibt durchaus Leute, die es nicht tolerieren<br />

können, dass die Figuren so sehr mit sich selbst<br />

beschäftigt sind, die den Sinn dessen nicht erkennen.<br />

July: Ich stelle mir die Arbeit an einer Fernsehserie<br />

immer als eine Art Kulturdialog in Echtzeit vor.<br />

Aber man kann natürlich nicht auf jeden neuen Einfluss<br />

und jede Stimmung achten, muss aber offen und<br />

wach bleiben. Über manche Dinge kann man sehr<br />

lange nachdenken, bevor sie in die Arbeit einfließen,<br />

auf anderes muss man spontan reagieren und kann es<br />

nicht immer erst einmal sacken lassen und einordnen.<br />

Das finde ich so spannend an Girls: Viele Dinge sind<br />

durchdacht, andere Momente passieren einfach, werden<br />

in die Mischung geworfen, unverdaut und roh.<br />

Dunham: Deshalb ist die Arbeit an Fernsehformaten<br />

so besonders. Man muss oft einfach nur<br />

fertig werden, egal wie eigentlich der Stand ist. Es ist<br />

ein wenig so wie am College: Man muss den Essay<br />

abgeben, ob man eine These hat oder nicht. Einfach<br />

weil morgen Weihnachtsferien sind.<br />

July: Für uns Zuschauer ist es so viel spannender,<br />

dass du deine Energie nicht in detailverliebte und<br />

zeitfressende Filme mit Überlänge steckst. Ich weiß,<br />

dass du Pläne hast, Filme zu drehen – viele Filme –,<br />

aber jetzt, in diesem Moment, ist es toll, dass wir nicht<br />

allzu lange warten müssen, um zu sehen, was du als<br />

Nächstes planst.<br />

Dunham: Frustriert es dich denn, wenn die Arbeit<br />

an einem Film sich zäh hinzieht?<br />

July: Klar, es macht mich total fertig. Das ist mit<br />

ein Grund, warum ich in unterschiedlichen Medien<br />

arbeite. So kann ich mich diesen quälend langsamen<br />

Prozessen zumindest ein wenig entziehen.<br />

Dunham: Manche Leute behaupten, es habe<br />

etwas Schizophrenes, die künstlerische Energie in<br />

122<br />

unter schiedlichen Disziplinen auszuleben. Ich denke<br />

aber, es entsteht einfach eine neue Auffassung davon,<br />

was es bedeutet, Künstler zu sein. Ein Künstler, der<br />

für einen bestimmten Standpunkt steht, nicht für die<br />

Perfektion eines bestimmten Materials oder Mediums.<br />

July: Wenn Journalisten mit mir darüber reden<br />

wollen, warum ich in unterschiedlichen Medien arbeite,<br />

denke ich immer: Oh, wie altmodisch! Aber<br />

irgendwie auch okay.<br />

Dunham: Ich kann mich noch daran erinnern,<br />

wie J.Lo ein Album veröffentlichen wollte, und das<br />

als Schauspielerin. Ein Unding! Alle reagierten so:<br />

„Die kriegt wohl nicht genug.“ Aber Geschichten<br />

schreiben, Drehbücher schreiben und Performances<br />

schrei ben ist ja nicht dasselbe, wie einen Nachtclub zu<br />

betreiben und gleichzeitig einen Oscar einzufordern.<br />

Du weißt schon: Miranda, Nachtclub-Königin und …<br />

July: … Model!<br />

Dunham: Für Socken!<br />

July: Ja, für Hansel aus Basel. Meine Karriere als<br />

Model, als Sockenmodel. Immerhin habe ich angeboten,<br />

für dich ein paar kostenlose Socken aufzutreiben,<br />

als ich gesehen habe, dass du auch Socken von Hansel<br />

trägst. Ich hoffe, du erinnerst dich daran.<br />

Dunham: Ernsthaft, ich wollte dir deswegen<br />

schon eine E-Mail schreiben.<br />

July: Es ist komisch, über Geld zu sprechen, aber<br />

als ich von deinem Buchvertrag las, sagte ich zu Mike:<br />

„Hm, Lena kann sich jetzt wahrscheinlich ihre eigenen<br />

Socken kaufen“ (beide lachen). Du warst einfach zu<br />

beschäftigt, Millionen zu verdienen, anstatt ein paar<br />

kostenlose Socken abzuholen.<br />

Dunham: Ich schätze aber das Gefühl, das<br />

kosten lose Dinge in mir auslösen, selbst wenn ich sie<br />

nicht so nötig habe wie Socken. Diese Dinge fühlen<br />

sich dann wirklich an, als gehörten sie mir.<br />

July: Deswegen klauen Menschen im Kaufhaus.<br />

Dunham: Warst du als Kind ein versierter Dieb?<br />

July: Ich habe als Erwachsener mehr gestohlen.<br />

Dunham: Ich war nie tapfer genug, obwohl<br />

Klau en ein Riesentrend während der Highschool war.<br />

Dafür habe ich jedes Mal totale Angst, wenn ich einen<br />

Laden verlasse, dass irgendein touretteartiger Trieb in<br />

mir plötzlich erwacht und ohne mein Wissen einfach<br />

so wahllos Dinge in meine Tasche stopft. Ich werde<br />

schon panisch, wenn ich mit einer Flasche Wasser im<br />

Rucksack in einen Laden komme, in dem dasselbe<br />

Wasser verkauft wird. Dann murmele ich los: „Damit<br />

bin ich schon reingekommen, damit bin ich schon<br />

reingekommen, damit bin ich schon reingekommen.“<br />

July: Ich gehöre definitiv zu den Menschen, die<br />

mit kleinen Diebstählen die Leere ihrer Seele zu füllen<br />

versuchen. Aber ich interessiere mich auch für<br />

Geld, nicht dafür, es per se zu haben, aber an sich.<br />

Deswegen würde ich dich gerne noch ein bisschen<br />

mehr über deinen Buch-Deal (angeblich über 3,5 Millionen<br />

Dollar) ausfragen. Als die ersten Details durchsickerten,<br />

redeten viele meiner Bekannten darüber,<br />

dass es erstaunlich sei, wie viel Geld ein Verlag bereit<br />

ist, an ein Mädchen zu zahlen, das ihre Kunst aus ihren<br />

Gefühlen speist. Viele Künstlerinnen haben sich<br />

gedacht: Wow, das verändert die Spielregeln. Und<br />

langfristig ist das auch toll für mich!<br />

Dunham: Es freut mich, so etwas zu hören. Die<br />

meisten Reaktionen, die ich sonst bekomme, sind entweder<br />

totale Ignoranz oder Internetkommentare, in<br />

denen Leute lästern und sich fragen, wer so viel Geld<br />

für so etwas ausgibt. Anfangs fand ich es furchtbar,<br />

dass die Details des Vertrages überhaupt publik wurden<br />

– was ja eigentlich total meinem Grundsatz widerspricht,<br />

nichts zu verheimlichen. Da alles irgendwie<br />

in meine Arbeit einfließt, fände ich es auch total<br />

bescheuert, eine Show abzuziehen und so zu tun, als<br />

wäre alles wie immer, als habe sich in meinem Leben<br />

überhaupt nichts verändert.<br />

July: Zumal ich denke, dass Frauen, die offen und<br />

ehrlich über sich, ihre Probleme und ihre Freundschaften<br />

sprechen, die Dinge zur Sprache bringen,<br />

die nie gesagt werden durften, ohnehin Gefahr laufen,<br />

ständig belächelt zu werden. Allein weil diese Dinge<br />

historisch betrachtet als noch unwichtiger als unwichtig<br />

gelten. Aber dein Verlag ist schlau: Er betrachtet<br />

die kulturelle Relevanz, den gesellschaftlichen Diskurs,<br />

die Einschaltquoten und denkt sich: Hey! Die<br />

Menschen sind hungrig danach! Nach Offenem und<br />

Wahrhaftem.<br />

Dunham: Dennoch benehmen sich einige Leute<br />

so, als sei ich Paris Hilton oder sonst wer – obwohl ich<br />

sagen muss, dass all diese Mädels, die ein Millionengeschäft<br />

aufgebaut haben, weil sie schöne Haare und<br />

eine ziemlich spezielle Attitüde haben, auch kein Unfall<br />

waren. In meinem Fall wunderten sich die Leute<br />

einfach und dachten: Was für ein kleines, dickliches<br />

Arschloch ist denn da ins Glück gestolpert? Das tat<br />

weh und weckte nicht gerade wenige Ängste – da ich<br />

mich tatsächlich manchmal genauso fühle.<br />

July: Aber du bekommst das Geld nicht, weil<br />

du gemein oder krass oder käuflich bist. Es haben<br />

schon andere Junge viel Geld bekommen – aber eben<br />

nicht dafür. Du schlägst damit ein neues Kapitel auf<br />

und schreitest für Mädchen wie Tavi (Gevinson, eine<br />

16-jährige amerikanische Modebloggerin) mutig voran.<br />

Alle werden es wegen dir einfacher haben.<br />

Dunham: Toll, oder?<br />

July: Mir ist auch noch etwas sehr positiv aufgefallen:<br />

Es gibt ein neues Level an Freundlichkeit<br />

zwischen uns Frauen. Ich kenne ja ein paar ziemlich<br />

interessante Frauen. Aber wir haben es den jungen<br />

Frauen zu verdanken, dass diese neue Freundlichkeit<br />

Einzug gehalten hat. Das ist ein Schritt weiter als<br />

Riot Grrrl. Da gab es immer diesen Grrr-Anteil. Man<br />

musste immer auf die Barrikaden gehen.<br />

Dunham: Das stimmt total. Zudem bestimmte<br />

Ablehnung einen großen Teil der Riot-Grrrl-Kultur. Es<br />

ging immer darum, wer dazugehört – und wer nicht.<br />

July: Deswegen brauchen wir dringend Frauen<br />

wie dich. Du hast die Welt so vieler positiv verändert.<br />

Sogar auf den Kopf gestellt. Du hast einen Wandel<br />

hervorgerufen. Manche mögen dies als störend empfunden<br />

haben – selbst jene, die sich nichts mehr wünschen.<br />

Und ich weiß, dass es auch nicht immer einfach<br />

ist, das neue Gesicht, die neue Kraft zu sein.<br />

Dunham: Na, du weißt ja, dass ich schon ziemlich<br />

darunter leide, kaum einen Pulsschlag zu haben.<br />

July: Ich kann dir nur raten: Iss Eier, geh joggen,<br />

hab viel Sex. Oder so ähnlich.<br />

Dunham: Iss Eier, geh joggen, hab viel Sex –<br />

großartig, genau das werde ich tun. Du hattest in<br />

einer E-Mail von einem Paradigmenwechsel gesprochen,<br />

dazu wollte ich dir noch eine Geschichte erzählen:<br />

Als ich mit meinem Dad bei einer Woman-of-the<br />

Year-Auszeichnung war, fürchtete er, sich schrecklich<br />

zu langweilen. Aber das Gegenteil war der Fall. Er<br />

fand es großartig. Danach meinte er nur: „Watch out,<br />

boys. The girls are comin’ for your toys.“<br />

hair BREnT laWlER FOR ORIBE haIRCaRE/STREETERS<br />

make-up JO STRETTEll FOR naRS/<br />

ThE maGnET aGEnCy<br />

manicure EmI KuDO FOR ChanEl/OPuS BEauTy<br />

Production ChElSEa Ryan<br />

Retouching KEn haRRIS<br />

Photo assistants ERIC hOBBS, PhIl SanChEZ<br />

Styling assistants JOShua COuRTnEy,<br />

lInDSay GROSSWEnDT<br />

Special thanks SIREn STuDIOS<br />

Alle Fotos: Gregory Harris/Trunk Archive<br />

“<br />

Ich bin jemand,<br />

der schnell ,I love you‘<br />

sagt und Liebesbekundungen<br />

macht.<br />

Auch wenn mir<br />

das danach Sorgen<br />

bereitet<br />

”<br />

– Lena Dunham


Saving<br />

Grace<br />

Der Teufel mag vielleichT PraDa Tragen,<br />

Doch grAce coDDingTon isT Die seele<br />

Der amerikanischen Vogue. in Der<br />

DokumenTaTion The SepTember ISSue war<br />

sie Die heimliche helDin – JeTzT haT Die<br />

kreaTivDirekTorin Der Vogue ihre memoiren<br />

vorgelegT. in Den nebenrollen:<br />

viDal sassoon, mick Jagger, helmuT<br />

newTon, Diverse kaTzen. unD naTürlich:<br />

anna winTour<br />

von<br />

Nicolas GhesquiÈre<br />

Mantel & Ohrringe<br />

Privat<br />

rOllkragenPullOver<br />

herMès<br />

Foto: Craig McDean/Art+Commerce<br />

PorTräT<br />

crAig mcDeAn<br />

sTyling<br />

elin svAhn<br />

laDy in black:<br />

grace coDDingTon, 2012<br />

125


eit Ende der 50er-Jahre arbeitet die Waliserin Grace Coddington<br />

in der Mode. Zuerst als Model, dann als Redakteurin,<br />

heute als Creative Director der amerika nischen Vogue.<br />

Sie hat legendäre Frisuren getragen, mit fast allen wichtigen<br />

Fotografen gearbeitet, und wenn man The September Issue<br />

glauben darf, ist sie eine der wenigen Menschen, die vor<br />

Anna Wintour keine Angst haben. In dem Dokumentarfilm<br />

von 2009 war sie die Königin der Herzen: eine Frau, die nach<br />

Jahrzehnten in der Modebranche noch immer an Schönheit,<br />

Kreativität und den gerade jetzt richtigen Schnitt<br />

eines Kleides glaubt – und für ihren Glauben in jede Schlacht<br />

zu ziehen bereit ist. Nach einem mittlerweile vergriffenen<br />

Bildband über ihr Lebenswerk von 2002 und einem selbst gezeichneten Büchlein<br />

über ihre Katzen hat Coddington nun ihre Memoiren veröffentlicht. Nicolas Ghesquière,<br />

der bis vor Kurzem Modedesigner bei Balenciaga war, befragte sie dazu.<br />

Nicolas Ghesquière: Du hast einen Großteil deiner Karriere hinter den Kulissen<br />

verbracht und dich vom Rampenlicht ferngehalten. Wieso hast du dich jetzt<br />

dafür entschieden, deine Memoiren zu schreiben? Warum war jetzt der richtige<br />

Zeitpunkt?<br />

Grace coddiNGtoN: Tja. Ich fürchte, das war ein Fall von Selbstbetrug.<br />

Bevor September Issue lief, sagten alle: „Danach werden dich Leute auf der Straße<br />

um ein Autogramm bitten.“ Ich habe kein Wort geglaubt und antwortete: „Mein<br />

Leben wird sich nicht ändern.“ Hat es dann aber – und zwar dramatisch. Vorher<br />

hat mich kein Mensch auf der Straße erkannt. Das ist natürlich immer noch was<br />

ganz anderes, als von der Presse regelrecht verfolgt zu werden, wie es bei echten<br />

Stars der Fall ist. Dafür bin ich einfach zu alt. Und ich habe auch keine Affären mit<br />

hübschen Schauspielern. Die Medien brauchen Klatsch und Skandale, und das<br />

kriegen sie nicht von mir, denn ich bin zu alt für Skandale. Auch mein Buch ist<br />

nicht besonders skandalös.<br />

Ghesquière: Und wieso hast du es jetzt veröffentlicht?<br />

coddiNGtoN: Tja, warum eigentlich? Irgendwer hat mich gedrängt. Und<br />

dieses Mal war es ausnahmsweise nicht Anna. Nach dem Film bekam ich sehr viele<br />

Projekte angeboten.<br />

Ghesquière: Der Film war also schuld.<br />

coddiNGtoN: Der Film – und mein Alter. Wenn man schon seine Memoiren<br />

schreibt, dann ist das richtige Alter dafür Ende 60, Anfang 70. Ich verstehe<br />

nicht, wie 20-Jährige das schon machen können. Die meisten Menschen brauchen<br />

ein bisschen länger, um sie selbst zu werden. Eigentlich hört man ja nie damit auf.<br />

Nach dem Film also kamen alle möglichen Angebote, und ich antwortete stets:<br />

„Das ist mir zu privat. Das mache ich nicht.“ Ich ließ mich dann doch irgendwie<br />

überzeugen. Vor September Issue galt ich als kühl und unnahbar. Es gab immer mich<br />

und Liz Tilberis, und Liz war die Freundliche, die immer mit allen geplaudert hat,<br />

während ich mit niemandem sprach. Nach dem Film sahen die Leute mich im<br />

anderen Licht. Es gibt eine Szene, auf die ich immer wieder angesprochen werde.<br />

Ghesquière: Die Szene in Versailles?<br />

coddiNGtoN: Genau. Das war der Moment, in dem die Leute mich zum<br />

ersten Mal verstanden.<br />

Ghesquière: Was ich so daran liebe: Die Szene zeigt die empfindsame und<br />

emotionale Seite von Mode – und von dir –, und sie zeigt die Romantik und den<br />

Humor in deiner Arbeit.<br />

coddiNGtoN: Na ja, ich hoffe, der Humor vermittelt sich auch in meinem<br />

Buch. Ich will mich nicht als Historikerin aufspielen oder mich zu wichtig nehmen.<br />

Ich nehme meinen Job sehr ernst. Aber ohne Lachen geht es nicht.<br />

Ghesquière: In der Szene sagst du, du seist eine Romantikerin und dass du<br />

wie aus einer anderen Zeit auf die Welt blickst.<br />

coddiNGtoN: Ich glaube, ich habe gesagt, ich hätte in einem anderen Jahrhundert<br />

geboren werden sollen. Ich bin zu altmodisch für die verrückte Modewelt.<br />

Ich meinte allerdings nicht die Mode an sich, sondern die Tatsache, dass sich alles<br />

um Computer, Blogs und andere Dinge dreht, die mich nicht besonders interessieren.<br />

Jeder muss heute Multitasking betreiben, und deswegen kann sich niemand<br />

darauf konzentrieren, was er gerade macht und wo er gerade ist. Dabei geht leider<br />

viel verloren. Ich glaube, man muss im Moment leben. Das habe ich mein ganzes<br />

Leben lang getan. Deswegen fahre ich auch so gern U-Bahn. Da gibt es so viele<br />

wunderbare Menschen. Es macht mich traurig, dass ich nur drei Stationen von der<br />

Redaktion entfernt wohne, weil ich immer gerade dann aussteigen muss, wenn ich<br />

eine verrückte Person in meinem Waggon entdeckt habe.<br />

Ghesquière: Vergisst du deswegen manchmal auszusteigen?<br />

coddiNGtoN: Oh ja, das ist mir schon passiert. Und dann bin ich panisch<br />

geworden, weil ich überhaupt keinen Orientierungssinn habe. Aber um noch mal<br />

auf den Film zurückzukommen: Das Tolle an der Szene war ja, dass man keinen<br />

strahlend blauen Himmel und schöne Blumen zu sehen bekam. Es war ein grauer<br />

Tag, Regen hing in der Luft, und mein Haar wehte im Wind. Ich weiß nicht, ob du<br />

den Film mochtest, weil viele Franzosen ihn hassten, aber mich erinnert der Moment<br />

an Marie Antoinette von Sofia Coppola. Als ich über die Gärten von Versailles<br />

schaute, dachte ich an die ganzen historischen Persönlichkeiten, die der Film zum<br />

Leben erweckt hatte.<br />

Ghesquière: Ich habe dich immer nur gut gelaunt und lächelnd erlebt. Du<br />

bist niemals genervt oder arrogant. Woher hast du diese positive Energie?<br />

coddiNGtoN: Genervt bin ich eigentlich nie. Manchmal vielleicht ein bisschen<br />

verzweifelt, wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht erreiche, was ich mir<br />

vorgenommen habe. Aber es gibt immer wieder Momente, in denen … Du weißt<br />

schon … Zum Beispiel, als wir mit Annie Leibovitz fotografiert haben und sie<br />

plötzlich meinte: „Bei diesem Kleid sind die Rüschen auf der falschen Seite. Dreh<br />

es einfach um.“ Du warst gerade nicht im Zimmer, und ich bin durchgedreht.<br />

Ghesquière: Ich erinnere mich.<br />

coddiNGtoN: Ich wurde ganz bleich im Gesicht und sagte mir: Ich kenne<br />

Nicolas nicht so gut, und wenn Annie darauf besteht, haue ich ab (Ghesquière lacht).<br />

Doch dann meinte Annie nur: „Es reicht ja, wenn du die Rüschen auf die andere<br />

Seite machst.“ Es war allerdings ein wahnsinnig kompliziertes Kleid, und ich wusste<br />

überhaupt nicht, wie das gehen sollte. Deine Reaktion war ganz zauberhaft:<br />

„Klar. Versuchen wir es einfach.“ Ich kenne eine Menge Designer, die nicht so<br />

gelassen reagiert hätten – nicht einmal mit einer Fotografin wie Annie Leibovitz.<br />

Für mich war das ein toller Modemoment, denn wenn man so was hinkriegt, dann<br />

ist alles möglich.<br />

Ghesquière: Wir haben das Kleid in 45 Minuten noch mal neu entworfen.<br />

Ich glaube, das war der Beginn unserer Freundschaft. Das hat das Eis gebrochen.<br />

Ich glaube, deine Energie und dein Enthusiasmus haben dazu geführt, dass du mit<br />

praktisch allen großen Fotografen arbeiten konntest. Wer war dir da besonders<br />

wichtig?<br />

coddiNGtoN: Na ja, die Großen eben. Ich wollte immer mit Irving Penn<br />

arbeiten. Das tat ich dann auch, als ich bei Calvin Klein und später dann bei der<br />

amerikanischen Vogue war. Mit Richard Avedon hat es nicht geklappt. Aber mit<br />

Guy Bourdin habe ich ein klein bisschen gearbeitet, als ich Model war und später<br />

Redakteurin. Bei Helmut Newton das Gleiche. Eigentlich habe ich mit fast allen<br />

gearbeitet, die ich wollte.<br />

Ghesquière: Du schreibt in deinem Buch viel über deine Kindheit. Du bist<br />

auf einer kleinen Insel in Wales aufgewachsen, stimmts?<br />

coddiNGtoN: Ja.<br />

Ghesquière: Deine erste Begegnung mit der Modewelt waren die Ausgaben<br />

der Vogue, die du dir als Teenager hast schicken lassen. Was hat dich daran fasziniert?<br />

Deine Eltern hatten ein Hotel. Gab es da irgendwelche Frauen unter den<br />

Gästen, die Eindruck auf dich machten?<br />

coddiNGtoN: Na ja, es war ein kleines Familienhotel in Trearddur Bay auf<br />

einer Insel nahe einer anderen Insel. Keine Ahnung, wie es da heute aussieht, denn<br />

seit dem Tod meiner Mutter war ich nicht mehr dort. Und das ist eine ganze Weile<br />

her. Aber damals konnte man da keine vernünftige Kleidung kaufen. Im Winter<br />

lebte dort fast niemand. Es war total verlassen und stürmisch, und die Wellen<br />

krachten bis auf die Straßen. Das Hotel war nah am Meer und musste im Winter<br />

schließen. Und es gab definitiv keine role models auf der Insel. Es klingt, als würde<br />

ich Werbung machen wollen, aber bei mir war es wirklich die Vogue, was die Mode<br />

betrifft. Am Anfang haben mich die Fotos mehr interessiert als die Kleider. Und<br />

ich sah auf den Bildern eine wunderbare Welt. Ich träumte von einem unkomplizierten,<br />

glamourösen Leben als Model. Was natürlich eine Illusion ist.<br />

Ghesquière: Wie bist du dann Model geworden?<br />

coddiNGtoN: Hast du das Kapitel in dem Buch gar nicht gelesen? (Ghesquière<br />

lacht) Weißt du, die Leute sagten immer: „Du solltest Model werden“ – weil ich<br />

relativ groß war.<br />

Ghesquière: Und schön.<br />

coddiNGtoN: Überhaupt nicht schön. Aber ich war groß im Vergleich zu<br />

den meisten Engländern. Und im Vergleich zu den Walisern war ich richtig groß.<br />

Ich wusste einfach, dass ich von zu Hause weg und Geld verdienen musste, und<br />

habe mich bei einem Modelkurs in London angemeldet. Nebenbei habe ich in einem<br />

Café gearbeitet. Einer der Kunden war ein Männermodel und Maler. Er stellte<br />

mich dem Fotografen Norman Parkinson vor. Ich kannte den Namen aus der<br />

Vogue. Er war ein Starfotograf, der häufig selbst auf seinen eigenen Bildern zu sehen<br />

war. Er schaute sich meine Mappe an und meinte: „Du wärst perfekt für den<br />

Job am nächsten Samstag. Du müsstest dich allerdings ausziehen. Ist das okay?“<br />

Ghesquière: Der erste Job und gleich nackt.<br />

coddiNGtoN: Ich habe das gar nicht registriert. Ich verstand nur, dass ich<br />

einen Job angeboten bekam, und sagte: „Klar.“ Auf dem Weg nach Hause dachte<br />

ich: Oh Mist. Nackt. Aber das war halt der Job, dachte ich. Kurz danach sagte mir<br />

Foto Nr. 3: Marina Schiano, 1992; Nr. 4: Arthur Elgort, i-D, Winter 2012<br />

1<br />

1 GracinG cHarles: Die junGe stylistin Grace cODDinGtOn<br />

puDert prinz cHarles für Dessen Offizielle investitur.<br />

WinDsOr castle 1969 2 never tHinner, pOrträt aus Der<br />

italieniscHen Vogue, 1992, fOtO: steven Meisel 3 Mit DiDier<br />

MaliGe beiM Vogue-eMpfanG, neW yOrk 1992 4 titelHelDin:<br />

Die stylistin auf DeM cOver Des MaGazins i-D, Winter 2012,<br />

fOtO: artHur elGOrt 5 blick in Die zukunft, lOnDOn 1974,<br />

fOtO: Willie cHristie 6 cODDinGtOn in bellpOrt/lOnG islanD<br />

1982, fOtO: bruce Weber<br />

6<br />

2<br />

4<br />

3<br />

126<br />

5


MODEPRODUKTIONEN VON GRACE CODDINGTON<br />

(VON OBEN NACH UNTEN, VON LINKS NACH<br />

RECHTS): HELMUT NEWTON (1973), ARTHUR<br />

ELGORT (2001), STEVEN KLEIN (2003), MARIO<br />

TESTINO (1998), BRUCE WEBER (1989), ELLEN VON<br />

UNWERTH (1992), BRUCE WEBER (1981),<br />

BRUCE WEBER (1984)<br />

MODEPRODUKTIONEN VON GRACE<br />

CODDINGTON (VON OBEN NACH UNTEN,<br />

VON LINKS NACH RECHTS): STEVEN KLEIN (2003),<br />

CRAIG McDEAN (2007), STEVEN KLEIN (2003),<br />

MERT & MARCUS (2009), NORMAN PARKINSON<br />

(1971), ANNIE LEIBOVITZ (2005)<br />

128<br />

129


MODEPRODUKTIONEN VON GRACE<br />

CODDINGTON (VON OBEN NACH UNTEN,<br />

VON LINKS NACH RECHTS):<br />

BRUCE WEBER (1990), DAVID SIMS (2010),<br />

HELMUT NEWTON (1973), PETER LINDBERGH<br />

(1991), DAVID SIMS (2007), GUY BOURDIN (1971),<br />

ARTHUR ELGORT (1995), STEVEN KLEIN (2003)<br />

ein anderer Kunde in dem Café, dass die Vogue einen Modelwettbewerb veranstalte<br />

und er ein Foto von mir einschicken wolle. Ich gab ihm meine Sedcard von der<br />

Agentur.<br />

Ghesquière: Ist es das Bild mit dem Pullover?<br />

CoddinGton: Genau. Mit dem dicken Pullover, dem Strohhut, den schwarzen<br />

Strumpfhosen und den Zöpfen.<br />

Ghesquière: Tolles Bild.<br />

CoddinGton: Na ja. Ich habe in einer Kategorie gewonnen.<br />

Ghesquière: Hast du die Kleidung selbst ausgesucht?<br />

CoddinGton: Natürlich.<br />

Ghesquière: Gutes Styling.<br />

CoddinGton: Findest du? (lacht) Ich glaube, es ist ein Mohairpullover. Ich<br />

habe den geliebt und jahrelang getragen.<br />

Ghesquière: Der würde heute noch funktionieren. Du bist also in London, es<br />

sind die Sechziger. Das muss eine aufregende, glamouröse Zeit gewesen sein, um<br />

dort zu leben. Und sehr wichtig, was Mode betrifft. War es Swinging London?<br />

CoddinGton: Später ja. Aber ich bin schon 1959 dort angekommen, da<br />

schwang noch nichts.<br />

Ghesquière: Gar nichts?<br />

CoddinGton: Das ging erst los, als die Pille auf den Markt<br />

“<br />

kam. Die änderte<br />

alles.<br />

Ghesquière: Wie fühlte sich das für dich an: vom Model in den Mittelpunkt<br />

einer Kulturrevolution. Du hingst mit den Rolling Stones ab …<br />

CoddinGton: Sagen wir mal so: Ich kannte sie. Die Beatles auch und die<br />

wichtigen Fotografen. Ich war zur richtigen Zeit dort und traf die richtigen Leute.<br />

Insofern war ich Teil dieser Szene.<br />

Ghesquière: Im Buch ist ein Foto von dir und Vidal<br />

Sassoon.<br />

CoddinGton: Das war 1964.<br />

Ghesquière: Es ist ein Bild, das die Leute im Kopf<br />

haben, wenn sie ans London der Sechziger denken.<br />

CoddinGton: Ich habe einfach das Glück, sehr gute<br />

Haare zu haben. Friseure mochten mich immer, weil es so<br />

kräftig ist, die Wirbel an der richtigen Stelle und so weiter.<br />

Ich war bei verschiedenen Friseuren, bevor ich Vidal kennenlernte.<br />

Ich glaube, das erste Mal war ich 1960 bei ihm,<br />

insofern war der Five-Point-Cut nicht mein erster Haarschnitt<br />

von ihm. Aber dieser wurde berühmt.<br />

Ghesquière: Wie lange bist du damit herumgelaufen?<br />

CoddinGton: Ein paar Jahre. Danach hatte ich eine<br />

asymmetrische Frisur, bei der ein Auge verdeckt war.<br />

Ghesquière: Irgendwie habe ich das Gefühl, dass dir<br />

deine Haare von Anfang an sehr wichtig waren.<br />

CoddinGton: Sind sie immer noch. Ohne die richtigen<br />

Haare will ich eigentlich gar nicht anfangen.<br />

Ghesquière: Das ist eins deiner Markenzeichen.<br />

CoddinGton: Die rote Mähne. Das sieht jeder sofort,<br />

wenn ich mich nähere. Mein Look ist immer ziemlich eindeutig, weil ich<br />

keine halbherzigen Sachen mag. Auch jetzt. Schwarz und rot. Sehr praktisch.<br />

Ghesquière: Und das sieht man deinen Fotoproduktionen an. Ich sehe immer<br />

eine Grace darin. Wie war der Übergang vom Model zur Stylistin?<br />

CoddinGton: Relativ leicht. Wenn du beim Modeln die Augen offen hältst,<br />

lernst du eine Menge über Mode und Fotoshoots. Ich dachte, ich wüsste alles. Bis<br />

ich merkte, wie viel Verantwortung man tragen muss.<br />

Ghesquière: Wie hast du deinen eigenen Stil beim Styling entwickelt?<br />

CoddinGton: Das ist genau der Punkt. Ich mache kein Styling. Ich krempel<br />

nicht die Ärmel, klappe nicht den Kragen hoch – oder was Stylisten sonst so machen.<br />

Ich kombiniere nicht einen Pullover von dir mit einer Hose von Marc Jacobs.<br />

Oder selten. Ich lasse die Kleider, wie sie sind, denn ich bilde mir nicht ein,<br />

ein besserer Designer zu sein als Marc.<br />

Ghesquière: Deine Geschichten haben oft eine verträumte Atmosphäre, was<br />

ich sehr mag. Sie sind großzügig und barock – was derzeit nicht unbedingt im<br />

Trend liegt.<br />

CoddinGton: Ich hoffe, ich kann es mir leisten, keine von diesen jungen<br />

Leuten zu sein, die genau das machen, was gerade in ist.<br />

Ghesquière: Ich glaube nicht, dass das eine Altersfrage ist.<br />

CoddinGton: Na ja, das war ein bisschen sarkastisch. Ich tendiere dazu,<br />

romantisch, weich und hübsch zu arbeiten. Obwohl ich deine Arbeit sehr schätze,<br />

passen deine Kollektionen oft nicht dazu. Das nervt mich. Und Anna presst mich<br />

immer in diese romantische Nische, du weißt schon: mit Kaninchen und Tauben<br />

und so.<br />

Mein Look<br />

ist ziemlich<br />

eindeutig, weil ich<br />

keine halbherzigen<br />

Sachen mag.<br />

Auch jetzt.<br />

Schwarz und rot.<br />

Sehr praktisch<br />

130 131<br />

Ghesquière: Wie habt ihr euch kennengelernt?<br />

CoddinGton: Weiß ich gar nicht mehr. Sie ist eine ganze Ecke jünger als<br />

ich. Sie war eines der coolen Mädchen, das in London mit anderen coolen Mädchen<br />

abhing, und wir liefen uns immer mal über den Weg. Ich traf sie ein paarmal<br />

bei Joan Buck zu Hause, aber sie hat damals nicht viel geredet. Und sie war immer<br />

… ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, weil so viel Haar davor war.<br />

Ghesquière: Wie bist du nach Amerika gekommen?<br />

CoddinGton: Ich hatte 18 Jahre bei der britischen Vogue gearbeitet, als Anna<br />

dort Chefredakteurin wurde. Das war eine schwierige Zeit, weil plötzlich diese<br />

junge, intelligente, scharfe Person da war. Sehr effizient, aber auch mit einem vollkommen<br />

anderen Geschmack als ich damals. Ein neuer Chef ist immer schwierig,<br />

auch weil man nach fast 20 Jahren bei derselben Zeitschrift vielleicht ein bisschen<br />

faul wird. Anna weckte jeden auf – und ich fühlte mich irgendwie im Weg. Damals<br />

war ich eine der ersten europäischen Moderedakteurinnen, die regelmäßig zu den<br />

Schauen in New York fuhr. Was Calvin Klein machte, fand ich zeitgemäß und interessant.<br />

Und der Creative Director Zack Carr wurde ein Freund von mir. Außerdem<br />

lebte mein damaliger Partner Didier (Malige, mit dem sie noch immer zusammen<br />

ist) in New York. Als mir Calvin Klein einen Job anbot, habe ich Ja gesagt.<br />

Ghesquière: Du bist also für die Liebe dorthin gezogen.<br />

CoddinGton: Ja. Ich dachte, er würde mich ein bisschen ernster nehmen,<br />

wenn ich in derselben Stadt bin. So kam ich zu Calvin Klein.<br />

Ghesquière: Wie lange warst du da?<br />

CoddinGton: Nur anderthalb Jahre. Wenn du für einen Designer arbeitest,<br />

musst du dessen Ästhetik treu bleiben.<br />

Ghesquière: Ja, man konvertiert zu einer Religion, wenn man bei einem<br />

Haus mit derartig klarer Ästhetik und Vision arbeitet.<br />

CoddinGton: … und zwar vom Scheitel bis zur Sohle.<br />

Ich mochte Calvins Stil, aber in Wirklichkeit bin ich ein<br />

Chamäleon. Wenn ich irgendetwas entdecke, wechsle ich<br />

sofort die Farbe oder Richtung. Und genau als mir das klar<br />

wurde, wurde Anna Chefredakteurin der amerikanischen<br />

Vogue. Wir waren die ganze Zeit in Kontakt geblieben, darin<br />

ist sie sehr gut, und ich rief sie an, um ihr zum neuen Job<br />

zu gratulieren. Halb im Spaß fragte ich: „Willst du mich<br />

zufälligerweise zurück?“ – „Wir treffen uns um sechs auf<br />

einen Drink“, sagte sie und legte auf, wie es ihre Art ist. Als<br />

wir uns trafen, sagte sie, noch bevor ich mich setzen konnte:<br />

„Ich fange am Montag an. Du auch.“ Der Rest ist Geschichte.<br />

Ghesquière: Weißt du, ob sie das vorhatte, bevor du<br />

angerufen hast?<br />

”<br />

CoddinGton: Nein.<br />

Ghesquière: Hast du sie nie gefragt?<br />

CoddinGton: Nein, nie. Aber Anna weiß genau, was<br />

sie tut, weil sich ihr jeder anvertraut. Vielleicht hatte ich<br />

mal bei irgendeinem Abendessen irgendetwas in dieser<br />

Richtung gesagt. Jedenfalls wollte sie das Heft verändern<br />

und brauchte Leute, die sie kannte. Ihr Team.<br />

Ghesquière: Gibt es Fotoproduktionen, die dir besonders am Herzen liegen?<br />

Ich weiß, das ist eine schreckliche Frage …<br />

CoddinGton: Ich behaupte immer, meine Lieblingsgeschichte sei Alice in<br />

Wonderland mit Annie Leibovitz. Sie versteht nichts von Mode, aber dafür ist sie<br />

eine Intellektuelle. Das finde ich sehr stimulierend. Wichtig war auch die Produktion<br />

mit Bruce Weber, die auf den Tagebüchern von Edward Weston basierte. Im<br />

Anschluss schenkte mir Bruce ein kleines Skizzenbuch mit echten Prints, die er mit<br />

schwarzem Tesafilm aufklebte und Notizen drumherum kritzelte. Das ist eins meiner<br />

liebsten Andenken.<br />

Ghesquière: Wie war die Arbeit mit Steven Meisel?<br />

CoddinGton: Der ist toll, weil er sich wirklich mit Mode auskennt. Der<br />

weiß viel mehr als ich. Ich sollte viel mehr mit ihm arbeiten! Ich vermisse ihn ein<br />

bisschen.<br />

Ghesquière: Zum Schluss müssen wir noch kurz über deine Katzen reden.<br />

CoddinGton: Ich habe Katzen schon immer geliebt. Ich mag alle Tiere,<br />

aber ich konzentriere mich auf Katzen. Ich finde sie sehr menschlich, denn sie<br />

spüren genau, wie es dir geht. Mein erster Ehemann, Michael Chow, war allergisch,<br />

deswegen konnten wir keine haben. Mit meinem zweiten Mann kaufte ich<br />

Brian und Stanley – das ist jetzt 30 Jahre her. Im Moment leben wir mit Pumpkin<br />

und Bart, die vorerst letzten in einer langen Reihe von Mitbewohnern. Es muss<br />

immer ein Weibchen dabei sein, damit sie auf meinen Zeichnungen Kleider tragen<br />

kann. Ich will den Jungs keine Kleider anziehen.<br />

Grace. a MeMoir ist bei random house ersChienen


GiorGio<br />

Was braucht eine überzeugte Exzentrikerin mehr<br />

als eine Dänische Dogge als Accessoire und ein paar perfekte<br />

Kleider? Ein leicht verhangener Blick auf die aktuelle<br />

Kollektion des Großmeisters italienischer Eleganz<br />

ArmAni<br />

Fotos<br />

giAmpAolo sguRA<br />

styling<br />

klAus stockhAusen


alle looks, accessoires & schmuck<br />

giorgio ArmAni<br />

frühjahr/sommer 2013<br />

134


137


Fotos giampaolo sgura/Close up<br />

Haare andrew guida/Close up<br />

make-up JessiCa nedza/Close up<br />

mit produkten von lord & Berry<br />

maniküre annarel innoCente/Close up<br />

set-design serena groppo<br />

model siBui/next<br />

Foto-assistenz angela improta, Filippo tarentini<br />

digital operator giuliano Carparelli<br />

138


Brille<br />

toM Ford<br />

gesehen Bei<br />

dePartMentstore<br />

quartier 206<br />

heMd<br />

MArni<br />

von<br />

Laura ewert<br />

Oskar<br />

rOehler<br />

Fotos<br />

steFAn Milev<br />

styling<br />

niki PAuls<br />

“<br />

Leck mich doch, ganze Filmbranche!<br />

Leckt mich doch alle am Arsch!<br />

Oskar Roehler<br />

privat<br />

hemd & hose<br />

”brille<br />

dries vAn noten<br />

socken & schuhe<br />

mArni<br />

141


Er ist das Gegengift<br />

zur neuen deutschen<br />

Volkskomödie.<br />

Oskar ROEHLER –<br />

Pro­vinzflüchtling,­<br />

Punk,­­Reg isseur,­<br />

Autor. In dem Film<br />

Quellen des Lebens<br />

erzählt er nun seine<br />

Geschichte,­die­auchdie<br />

Geschichte der<br />

BRD ist. Ein Gespräch<br />

über­das­Geräuschwachsender<br />

Knochen<br />

und das Geld der RAF<br />

IntervIew: Herr Roehler, Ihr neuer Film Quellen des<br />

Lebens dauert drei Stunden. Muss das denn wirklich<br />

sein?<br />

oskar roehler: Ich hatte im Prinzip auch überhaupt<br />

keine Lust auf den Film. Es gab ein sehr umfangreiches<br />

Drehbuch, das hatte ich irgendwann mal<br />

geschrieben, das war noch unter Eichinger als Serie<br />

gedacht. Und dann lag es da und lag und lag, und ich<br />

war so unglücklich, dass ich mich davon verabschiedet<br />

hatte, und dachte: „Leck mich doch, ganze Filmbranche!<br />

Leckt mich doch alle am Arsch!“ Zwei Monate<br />

totaler Frust, ich erzähl jetzt mal aus dem Nähkästchen.<br />

Das ging dann irgendwann vorüber, und ich<br />

habe aus diesem ganzen Material einen Roman gemacht.<br />

Ein großes Wagnis. Über zwei Jahre Arbeit.<br />

IntervIew: Ihr Roman Herkunft erschien 2011<br />

und ist nun die Vorlage für den Film.<br />

roehler: Genau. Ein Roman ist eine Kunstform,<br />

vor der ich viel Respekt hatte, wie Bergsteigen. Es<br />

wurden plötzlich 600 Seiten. Die habe ich dann noch<br />

mal für ein neues Drehbuch adaptiert. Ich war praktisch<br />

gezwungen, ich war es meinem neuen Produzenten<br />

schuldig, auch wenn ich unheimlich unleidlich<br />

und paranoid war in den Vorbereitungen.<br />

IntervIew: Auch noch beim Dreh?<br />

roehler: Da hat es sich dann aufgelöst, auch einfach,<br />

weil ich mit so tollen Leuten wie Jürgen Vogel<br />

zusammenarbeiten konnte, mit Moritz Bleibtreu,<br />

Lavinia Wilson oder Meret Becker oder Wilson<br />

Ochsenknecht, die menschlich alle auf einem tollen<br />

Level sind. Die haben mich da durchgetragen. Wie<br />

sagt der Beleuchter in dem Fassbinder-Film so schön<br />

zum Aufnahmeleiter: „Du Arschloch, wennst nichts<br />

arbeiten mogst, dann machst halt Regie.“<br />

IntervIew: Wie lief es denn mit den Kinderdarstellern?<br />

roehler: Ich hatte schlimme Ängste. Ich habe ja<br />

keine Kinder und musste mit einem Sechsjährigen<br />

drehen. Ich kenne Hunde besser als Kinder. Was soll<br />

ich jetzt mit so einem Alien anfangen? Das dachte ich.<br />

IntervIew: Dabei haben Sie das gut hingekriegt,<br />

die Kinder im Film spielen großartig!<br />

roehler: Ja, aber ich hatte eben überhaupt keine<br />

Ahnung mehr, was es bedeutet, ein Sechsjähriger oder<br />

ein Neunjähriger zu sein. Den 18-Jährigen, den kannte<br />

ich dann wieder, wie man so tickt, auch mit den<br />

Mädels und so. Also, alles war fürchterlich. Und dann<br />

bin ich in diese Herstellungsleitersitzungen gegangen<br />

und habe gehört, wie viele Millionen das alles kostet.<br />

Dieser Film, der mir schon so lange auf der Seele lag.<br />

IntervIew: Sollte man als Regisseur nicht sowieso<br />

unbedingt aus den Budgetbesprechungen herausgehalten<br />

werden?<br />

roehler: Ach, manchmal guckt man schon besser<br />

mit, wo noch Geld zu sparen ist. Eigentlich gehe<br />

ich sonst pragmatisch mit so etwas um, aber bei diesem<br />

Film habe ich die Zahlen gesehen und mich wie<br />

in einem Kafka-Roman gefühlt. Ich dachte, ich muss<br />

nach Hause gehen und mich hinlegen, weil ich mit<br />

der Verantwortung nicht klarkomme. Die Kosten für<br />

den Roman haben sich ja auf maximal 40 Euro belaufen,<br />

wenn man den Strom noch mit einrechnet.<br />

IntervIew: Aber Sie müssen noch Ihre Arbeitskraft<br />

hinzuaddieren.<br />

roehler: Gut, ich meine jetzt einfach die Herstellungskosten.<br />

Und beim Film stehen dann plötzlich<br />

5 000 Liter Farbe für 10 000 Euro rum, ja? Also, ich<br />

war dann irgendwann nicht mehr anwesend, war im<br />

Bett oder hab geheult oder so.<br />

IntervIew: Ach, ich würde sagen, dafür ist doch<br />

alles geradezu hervorragend geworden.<br />

roehler: Ja, weil man dann doch immer wieder<br />

merkt, wie toll es ist, einen Film mit Schauspielern zu<br />

drehen, die man mag. Und dann wurden eben allen<br />

Beteiligten die Sinne für ihre Arbeit geschärft.<br />

IntervIew: Wieso?<br />

roehler: Na, weil ich habe ja schon zehn Leute<br />

rausgeworfen, bevor wir überhaupt angefangen hatten<br />

zu drehen. Heads of irgendwelchen Departments.<br />

Aber dann hatten wir ein Team beisammen, wie es<br />

besser nicht hätte sein können. Erstaunlich cool.<br />

IntervIew: Wie oft haben Sie sich am Set vor<br />

Jürgen Vogel oder Meret Becker erschrocken, als die<br />

aus der Maske kamen?<br />

roehler: Jedes Mal. Unglaublich, so eine Maske<br />

hat einen dollen Effekt. Man muss aber auch wissen,<br />

die Meret liebt alte Menschen und beobachtet die<br />

schon seit 100 Jahren. Und sie kommt ihrem Vorbild,<br />

also meiner Großmutter, von der Art sehr nahe.<br />

IntervIew: Dass das Romanschreiben für Sie wie<br />

Bergsteigen war: Lag das an dem Umfang oder dem<br />

Inhalt, also der Aufarbeitung Ihrer Kindheit?<br />

roehler: Es ist einfach nicht vergleichbar mit<br />

jeder Arbeit, die ich vorher gemacht hatte, 600 Seiten,<br />

das ist ja ein halber Krieg und Frieden! Allerdings war<br />

das für die Arbeit am Drehbuch sehr hilfreich. Welche<br />

Stellen die wichtigen sind, war ganz klar. Ich habe<br />

das alte Drehbuch in den Müll geworfen, mir meinen<br />

Roman genommen und so Striche am Rand gemacht.<br />

Damals war ich da gerade in Zürich. Warum bin ich<br />

da eigentlich in Zürich gewesen? Ich weiß es nicht<br />

mehr, ich glaube, ich wollte kurzzeitig nach Zürich<br />

ziehen, weil ich Angst hatte, dass ich hier zu viel Steuern<br />

zahle – natürlich vollkommener Humbug. Ich saß<br />

da drei Tage im Hotel, habe meine Striche gemacht,<br />

und dann war ich fertig.<br />

IntervIew: Aber kam Ihnen da nicht noch mal<br />

der Gedanke, eine Serie daraus zu machen?<br />

roehler: Ja, das wäre reizvoll gewesen, hätte ich<br />

gerne gemacht. Aber ich mache jetzt ja quasi noch einen<br />

weiteren Teil, der heißt Punk, und den drehe ich<br />

im Sommer. Über Berlin in den Achtzigern. Tod den<br />

Hippies, es lebe der Punk! Eine Serie wäre zu aufwendig<br />

und auch zu kostspielig gewesen. Es ist ja ein<br />

großes zeitliches Panorama, das wir da erzählen.<br />

IntervIew: Stimmt. Warum fängt der Film eigentlich<br />

nicht mit Ihrer Geburt an? Warum wollten<br />

Sie auch noch die Geschichte Ihrer Großeltern erzählen,<br />

da hätte man doch Geld und Zeit sparen können.<br />

roehler: Ach, weil ich es schon interessant fand,<br />

wo dieses Liebespaar, das sich dann in der Liebe entzweit<br />

– also meine Eltern – herkommt. Ich stamme ja<br />

sozusagen aus drei unterschiedlichen Haushalten: Da<br />

waren einmal die Superintellektuellen, dann die Neureichen<br />

aus der Provinz, die fast nach amerikanischem<br />

Vorbild gelebt haben, und dann die mit einem fundamentalistischen<br />

Nazibackground, wo man ein archaisches,<br />

einfaches Leben geführt hat. Und diese Zusammenführung<br />

war für mich erzählenswert. Wenn du 50<br />

wirst, kommen so viele Erinnerungen und so viel Klarheit,<br />

warum Dinge schiefgelaufen sind, wer die wichtigen<br />

Figuren in der Familie sind, wer dich gestärkt hat.<br />

Aber eben auch, wie wichtig gesellschaftspolitische<br />

Themen sind. Diese Konfrontation zwischen den Generationen<br />

gibt es ja heute in dem Maße gar nicht<br />

mehr. Erst aus diesem Clash konnte sich eine gewichtige<br />

politische Gegenbewegung entwickeln.<br />

IntervIew: Aber was ist dann die Gegenbewegung<br />

von Robert, wie Sie in Herkunft heißen. Wo hat<br />

es bei Ihnen damals geclasht?<br />

roehler: Berlin. 80er-Jahre. Weg aus der Mittelschichtsgesellschaft,<br />

weg von diesen ästhetisch minderbemittelten<br />

Leuten, die dann Ökos wurden. Also<br />

hin zu einem Ästhetizismus, einer Dekadenz, die ja<br />

gelebt wurde in den Achtzigern, da gab es ja die wirklich<br />

verrückten Leute, die es haben krachen lassen. Da<br />

war was los, da gab es kein Morgen. Das war zwar keine<br />

politische Rebellion, aber das war eben das, was<br />

übrig blieb, wenn man aus Westdeutschland kam. Entweder<br />

du hast dich in München als Stricher mit Koks<br />

zudröhnen und dich von Filmproduzenten durchvögeln<br />

lassen, oder du bist nach Berlin gegangen.<br />

IntervIew: Aber was war so schlimm, dass man<br />

dort weg musste?<br />

roehler: Das war die Provinz. Die eigene Familie<br />

war gruselig geworden. Die waren erstarrt in den<br />

Lügen über sich selber. Außerdem habe ich viel Blödsinn<br />

gemacht, aber in einem Rahmen, der mich immer<br />

hysterischer hat werden lassen, weil ich merkte,<br />

dass das nichts bringt, nur den Klassenclown zu spielen.<br />

Dieses Universum war zwei oder drei Dimensionen<br />

zu klein, ich wollte in kaltes Wasser springen.<br />

IntervIew: Es gibt diese Szene im Film, in der<br />

Ihre beiden Hauptdarsteller in weißen Kleidern in<br />

einem Flussbett stehen und sich mit Schlamm beschmieren.<br />

Ich hab das Gefühl, das zeigt die Befreiung<br />

von dieser Vorstellung, dass die Jugend immer<br />

eine Antwort auf ihre Elterngeneration haben muss.<br />

roehler: Absolut. Das ist eine tief greifende Szene.<br />

IntervIew: Merkt man.<br />

roehler: Meine Lieblingsszene, weil sie so irrational,<br />

aber so beseelt ist. Ursächlich, kreatürlich,<br />

Liebe, Mann und Frau. Es gibt wichtige Dinge, und<br />

die passieren nicht oft. Und das ist so ein Momentum<br />

zwischen den beiden. Danach gibt es nicht mehr viel<br />

zu sagen, man wird es nie vergessen.<br />

IntervIew: Man fragt sich nach dem Film, wie<br />

Sie es geschafft haben, nicht abzurutschen.<br />

roehler: Mit irrsinnig viel Disziplin und auch<br />

Schutzengeln. Ein Schutzengel war vor allem meine<br />

Oma Gertrud, meine liebste Freundin. Mir hat mal<br />

eine Wahrsagerin gesagt, dass sie immer noch ihre<br />

brille<br />

privat<br />

hemd<br />

dries vAn noten<br />

142


ille<br />

tom ford<br />

gesehen bei<br />

departmentstore<br />

quartier 206<br />

hemd & hose<br />

belstAff<br />

Hand über mich hält, und das habe ich auch beim<br />

Schreiben des Romans gemerkt, das ging so weit,<br />

dass ich mit einem guten Gefühl aufgewacht bin und<br />

meine Frau sagte, das Telefon habe gerade geklingelt.<br />

Ich war mir sicher, dass das die Oma war. In<br />

negativer Variante hatte ich das mit meiner verstorbenen<br />

Mutter.<br />

IntervIew: Wie ist das eigentlich, wenn man sein<br />

Leben so sichtbar für alle erzählt?<br />

roehler: Wie jeder andere Künstler beschäftigte<br />

ich mich mit Figuren, die ich kenne, das ist mein Material.<br />

Aber es geht doch auch um Gesellschaftspanoramen,<br />

wie war so ein Haushalt in den Sechzigern, ja?<br />

Bei mir geht es um 50 Jahre und da kommen wirklich<br />

wilde Figuren drin vor. Ich zieh mir diesen Schuh,<br />

dass immer alles über mich ist, überhaupt nicht mehr<br />

an. Der Grund, warum der Spiegel ein <strong>Interview</strong> zum<br />

Buch gebracht hat, war die Existenz meiner Eltern.<br />

Warum haben die beschissenen 68er ihre Kinder so<br />

faschistoid und kaputt behandelt?<br />

IntervIew: Die Szenen Ihrer Kindheit sind wirklich<br />

am Rande des Ertragbaren. Damit machen Sie<br />

sich auch zum Opfer, was doch recht mutig ist.<br />

roehler: Ja, aber es ist doch auch irgendwie Ironie<br />

des Schicksals und hat einen gewissen Witz. Es ist<br />

ja kein selbstmitleidiges Erzählen. Es sind Anekdoten<br />

von den Irrungen einer Zeit. Der Alte, der mit seinem<br />

Sohn in Italien in den Ferien hockt und eigentlich nur<br />

schnell was zum Ficken finden will und vergisst, dass<br />

sein Kind den ganzen Tag in der prallen Sonne sitzt,<br />

das fand ich einen brillanten Moment meiner Vita.<br />

Diese Triebhaftigkeit und Unverantwortlichkeit. Und<br />

es passieren ja auch immer wieder Wunder in dem<br />

Film. Das war mir wichtig, diese Selbstmitleidsfilme<br />

habe ich ja nun schon hinter mir.<br />

IntervIew: Zum Erscheinen Ihres Romans mussten<br />

Sie all die Fragen zur RAF und Ihren Eltern schon<br />

beantworten. Haben Sie Angst, dass die jetzt zum<br />

Filmstart alle wiederholt werden?<br />

roehler: Ja, das ist furchtbar, deswegen wollte<br />

ich auch den Film nicht machen. Nein, Quatsch. Mir<br />

fällt immer wieder was Neues ein, solange die Fragen<br />

gestellt werden und es die Leute hören wollen … Zur<br />

RAF gibt es ja hübsche Anekdoten.<br />

IntervIew: Welche?<br />

roehler: Mein Vater war zum Beispiel Kassenwart<br />

der RAF. Zumindest behauptete er das. Ich kann<br />

das nicht nachweisen. Und auf dem Zwischenboden<br />

über dem Badezimmer sollte das Geld in einer Kassette<br />

lagern. Wenn er betrunken war, hat er immer die<br />

genaue Zahl genannt, mit Komma. Das hatte er alles<br />

tabellarisch angeordnet, mit ganz kleiner Schrift, er<br />

hatte offenbar eine buchhalterische Fähigkeit. Irgendwann<br />

haben mein Kumpel und ich mal versucht,<br />

das Geld zu finden, weil ich was für das Internat<br />

brauchte, aber es war nicht mehr da. Das war 1977.<br />

Also, ich weiß, mein Vater hat es nicht ausgegeben.<br />

IntervIew: Und über Grass müssen Sie auch oft<br />

reden, mit dem war Ihre Familie bekannt. Der hat ja<br />

eine Tochter namens Laura, und nun gibt es in dem<br />

Film auch eine Laura. Hängt das zusammen?<br />

roehler: In die kleine Laura war ich damals verliebt,<br />

als ich noch ganz klein war. Das war immer eine<br />

Sensation, wenn die da auf der Treppe aufgetaucht ist.<br />

Aber es ist ein Zufall, dass ich den Namen gewählt<br />

habe. Im wahren Leben hieß diese Figur Beatrix.<br />

IntervIew: Dann ist doch Laura sehr angebracht.<br />

roehler: Das finde ich auch.<br />

IntervIew: Welche Teile Ihres Lebens haben es<br />

eigentlich nicht in den Film oder das Buch geschafft?<br />

roehler: Na ja, in den Film ist schon einiges aus<br />

“<br />

Ich habe ja keine<br />

Kinder und musste<br />

mit einem Sechsjährigen<br />

drehen. Ich<br />

kenne Hunde besser<br />

als Kinder. Was soll<br />

ich jetzt mit so einem<br />

Alien anfangen?<br />

Das dachte ich.<br />

”<br />

– Oskar Roehler<br />

dem Buch nicht reingekommen. Man möchte ja immer<br />

viel mehr erzählen, das ist ja das Tolle an den<br />

Serien heutzutage. Von denen kann man ja fast süchtig<br />

werden. Die sind ja die Fortsetzung der großen<br />

Romane des 19. oder 20. Jahrhunderts.<br />

IntervIew: Deswegen ist es auch so ärgerlich,<br />

wenn es in Deutschland immer heißt: zu teuer, kein<br />

Geld da für eine Serie.<br />

roehler: Und Mut fehlt auch. Man weiß ja nicht,<br />

ob etwas Erfolg hat. Das Geld ist da, natürlich. Ich<br />

hätte 25 Millionen gebraucht, das erschöpft viele<br />

Etats. Da muss der Erfolg eben sicher sein. Aber der<br />

ist schwer einschätzbar.<br />

IntervIew: Aber es herrscht ja allgemeines Einverständnis<br />

darüber, wie großartig es wäre, auch solche<br />

tollen Serien zeigen zu können.<br />

roehler: Gut, aber es gibt diese Konkurrenz, die<br />

man erst Mal ausschalten muss. Denn um 18.15 Uhr<br />

läuft dieser günstig produzierte Schund, und anspruchsvollere<br />

Formate sind da schwer zu platzieren.<br />

IntervIew: Es gibt in Ihrem Film zwei Nebenfiguren:<br />

einmal den Ackermann, der im Unterricht<br />

stört, und den Precht, der seine Knochen wachsen<br />

hört. Habe ich die Andeutungen richtig verstanden?<br />

roehler: Ja, ja. In meinem Roman gibt es ja dieses<br />

Kapitel über den Precht. Er hört seine Knochen<br />

wachsen, und das ist ganz schön schauderhaft, der<br />

dreht am Rad irgendwann, weil er in einem Jahr wirklich<br />

40 Zentimeter gewachsen ist. Der drehte dann<br />

durch, der wusste einfach nicht, wie groß er wird!<br />

IntervIew: Schrecklich, und wann hörte das auf?<br />

roehler: Schlagartig. Es gab Spekulationen, wie<br />

groß er wohl sein würde, wenn die großen Ferien vorbei<br />

sind, ob er dann noch durch die Tür passen würde,<br />

aber es hörte schlagartig auf. Mit zwei Meter neun.<br />

IntervIew: Dirk von Lowtzow sagte kürzlich in<br />

einem <strong>Interview</strong> für uns, dass der deutsche Film Angst<br />

davor habe, nicht verstanden zu werden. Stimmt das?<br />

roehler: Ach, die sind halt alle immer von Ratio<br />

geprägt. Und haben so einen äußeren Entwurf davon,<br />

wie eine Sache zu sein hat. Der Helmut Dietl hat das<br />

ja schon vor 20 Jahren gesagt, dass die einzig guten<br />

Geschichten die sind, in denen man seine Figuren die<br />

Geschichten bestimmen lässt und nicht umgekehrt.<br />

Du kannst nicht eine Geschichte erzählen und dann<br />

Figuren wie Mensch­ärgere­Dich­nicht­Steinchen<br />

hineinsetzen. Aber das versuchen sie halt immer. Sie<br />

sind keine großen Architekten, sondern bauen lieber<br />

145<br />

Reihenhäuser. Es gibt ganz nette Komödien, aber wenig<br />

gute Filme in Deutschland.<br />

IntervIew: Hm.<br />

roehler: Gute Romane gibt es hingegen schon.<br />

Die Autoren haben keine Angst vor verrückten Ideen.<br />

Also die Sprache ist da. Aber die Filme sind alles<br />

Klone. Aus einem geistigen Niemandsland. Vollkommen<br />

lächerlich. Alles, was kritisch ist, fliegt raus. Die<br />

Selbstreflexion liegt bei null. Denn die Geschichten,<br />

die da eigentlich erzählt werden, diese Event­Movies,<br />

werden in bester Nazitradition erzählt. Die sind genauso<br />

aufgebaut: Blonde Krankenschwester verliebt<br />

sich in blonden Fliegeroffizier, während sie seine<br />

Wunden vom Gefecht pflegt. Wie damals bei<br />

Goebbels. Nur dass diese Filme nicht mehr der Indoktrination<br />

dienen, sondern dem billigen geistigen<br />

Leerlauf. Das gucken freiwillig nur noch Leute, die<br />

entweder schon ihre Tabletten genommen haben<br />

oder die eh nicht mehr weglaufen können.<br />

IntervIew: Wie war das, als ihr Film Jud Süß auf<br />

der Berlinale lief und die Kritiker buhten?<br />

roehler: Das Hässliche daran war, dass man versucht<br />

hat, mich als Nazi hinzustellen. Wie soll ich das<br />

sagen, da gab es eine kollektive Antistimmung, aber<br />

man wusste auch, wo sie herkam. Die waren da eingepfercht<br />

in der Pressevorführung kurz vor Ende des<br />

Festivals, und ich kenne diesen Überdruss, den brachialen<br />

Frust, den man nach neun Tagen Berlinale<br />

gucken hat. Man ist fertig, die meisten sind krank,<br />

müssen verschwitzt und in ihren alten Mänteln auf die<br />

Galavorstellungen, haben ihre Butterbrote dabei und<br />

müssen wie die Legehennen dasitzen. Deswegen akzeptiere<br />

ich auch eine etwaige Ungerechtigkeit. Die<br />

herrschte in meinem Fall, niemand hat ihn sich angeschaut<br />

und fünf Minuten nachgedacht. Da wurde abgeschrieben.<br />

Mein Fehler waren ein paar Schwächen,<br />

die ihnen die Möglichkeit für Unterstellungen gaben.<br />

IntervIew: Sie haben aus einer Nichtjüdin eine<br />

Halbjüdin gemacht.<br />

roehler: Diese Punkte wurden nicht von Journalisten,<br />

sondern von einem Gegner des Films aufgedeckt.<br />

Der fühlte sich nicht genügend einbezogen und<br />

hat von Anfang an Antipropaganda betrieben und unterstellte<br />

mir eine Reinwaschung. Das Gegenteil war<br />

der Grund. Aber es war ein Fehler.<br />

IntervIew: Aber Kritik spornt Sie nicht auch an?<br />

roehler: Ich fand das irgendwie scheiße. Und<br />

gleichzeitig war es für uns natürlich auch super: Die<br />

Pressedamen hatten bleiche Gesichter, weil klar war,<br />

die Kritiken werden mies, aber vorne stand Moritz<br />

Bleibtreu im Smoking und hat gewunken. Ein halber<br />

Hitlergruß quasi, und das wurde dann zum Aufmacherbild<br />

auf den ersten Seiten der Zeitungen. Die<br />

Kehrseite war natürlich, dass ich plötzlich den Ruf<br />

hatte, ein Nazi zu sein, ja?<br />

IntervIew: Nicht so schön. Und in Ihrem aktuellen<br />

Film ist schon wieder der Nazi­Opa der Nette.<br />

Was ist da bloß los, Herr Roehler?<br />

roehler: Ach, nein. Er ist überhaupt nicht der<br />

Nette, aber bloß weil er im Krieg gedient hat, heißt es<br />

ja noch lange nicht, dass ich ihn später als bösen Menschen<br />

wahrnehmen musste. Er hat sich nämlich geändert.<br />

Menschen ändern sich. Ich weiß nicht, wie kleinlich<br />

die Leute sind, aber das geht mir dann auch am<br />

Arsch vorbei. Wie heißt es: Die Hunde bellen und die<br />

Karawane zieht weiter.<br />

jetZt IM KIno: Quellen des lebens<br />

Styling nIKI PAUlS/ShotvIew<br />

Grooming PAtrICK GlAtthAAr<br />

Foto-Assistenz DUnjA AntIć, FABIenne<br />

KArMAnn, KSenIA PoSADSKovA<br />

Styling-Assistenz jeSSICA jerSey<br />

Produktion FrAnK SeIDlItZ, DorotheA FIeDler<br />

Dank an StUDIo FISChnAller


der letzte<br />

Fotos<br />

horst diekgerdes<br />

styling<br />

klAus stockhAusen<br />

tAngo<br />

komplettlook<br />

céline


diese seite:<br />

komplettlook<br />

louis vuitton<br />

linke seite:<br />

komplettlook<br />

dolce & gAbbAnA<br />

149


diese seite:<br />

komplettlook<br />

versAce<br />

rechte seite:<br />

komplettlook<br />

jil sAnder 151


top<br />

sAlvAtore ferrAgAmo


diese seite:<br />

kleid<br />

gucci<br />

rechte seite:<br />

kleid & schuhe<br />

chAnel<br />

strumpfhose<br />

fAlke<br />

154


diese seite:<br />

kleid & sChuhe<br />

Fendi<br />

strumPFhose<br />

item m6<br />

linke seite:<br />

komPlettlook<br />

PrAdA<br />

157<br />

Fotos horst diekgerdes/shotview<br />

haare tomohiro ohashi/management+artists<br />

mit Produkten von John Frieda<br />

make-up stePhanie kunz/Calliste Paris mit<br />

Produkten von armani CosmetiCs<br />

set-design Pierre glanddier/Quadriga<br />

model malgosia Bela/elite<br />

digital operator david BornsCheuer<br />

Foto-assistenz mitko Frangov,<br />

Julien goniChe, davide Cassinari<br />

styling-assistenz miCkael CarPin<br />

Casting oliver hess/artForm grouP<br />

Produktion zo’estiCa, shotview Berlin<br />

PhotograPhers management gmBh<br />

retusche dtouCh


Er sei raus, hatte Joaquin PhoEnix lauthals<br />

verkündet, verabschiede sich von der Schauspielerei,<br />

ziehe die Notbremse und entfliehe dem Wahnsinn.<br />

Die Gemeinde in hollywood wusste nicht so recht,<br />

wie sie auf die ankündigung reagieren sollte –<br />

dann erschien jedoch die Dokumentation I’m Still Here,<br />

ein goldener airbag für die implodierte Karriere des<br />

amerikanischen Schauspielers. Spätestens da wusste<br />

man: Dieser Kerl hat einen Hang zu exzessiven Rollen.<br />

Womöglich war das auch ein Grund, warum er in<br />

ThE MaSTER mitspielt, einem Film, der lose auf dem<br />

Leben des Scientology-Gründers und Science-Fiction-<br />

Romanciers L. Ron Hubbard basiert<br />

porträt<br />

AmAndA demme<br />

Joaquin<br />

Phoenix<br />

PhoEnix<br />

von<br />

Elvis MiTchELL<br />

159


2<br />

11<br />

3<br />

1<br />

12<br />

4 5<br />

13<br />

9<br />

14<br />

6 7<br />

Phoenix Rising: 1 Joaquin mit hund (1987) 2 Familie Phoenix auF FahR-<br />

RadtouR (1984) 3 Joaquin im Film Parenthood (1989) 4 die Phoenix-Kids<br />

als menschliche PyRamide (1987) 5 und mit sonnenbRillen im KoFFeR-<br />

Raum 6 Joaquin mit geschwisteRn in deR KaliFoRnischen stePPe (1984)<br />

7 Joaquin als taugenichts mit nicole Kidman in to die for (1995)<br />

8 Joaquin als taugenichts ohne nicole Kidman im selben Film<br />

10<br />

Fotos: 1. Phillip Saltonstall/Corbis; 2. Stephen Ellison/Shooting Star/<br />

interTOPICS; 3. Everett Collection/Rex Feature; 4., 5., 6. Stephen<br />

Ellison/Shooting Star/interTOPICS; 7. ITV/Rex Features; 8. ITV/<br />

Rex Features; 9. dpa Picture-Alliance; 10. Corbis; 11. John Paul Filo/<br />

dpa Picture-Alliance; 12., 13. Splash News; 14. dpa Picture-Alliance/<br />

Koch Media; 15. Senator Entertainment AG<br />

8<br />

9 & 10 Joaquin Phoenix als Johnny Cash in<br />

Walk the line (2005) 11 – 14 Joaquin Phoenix ruiniert<br />

seine Karriere in i’m Still here (2010), u. a. bei DaviD<br />

letterman in Der late ShoW unD bei P. DiDDy im stuDio.<br />

15 Das PortrÄt ist eine aufnahme aus the maSter (2012)<br />

15


Eine Viertelstunde vor <strong>Interview</strong>beginn ist Joaquin<br />

Phoenix bereits da – und den Zigarettenstummeln im<br />

Aschenbecher nach zu urteilen sogar schon länger.<br />

Der 38-jährige Schauspieler feiert gerade mit Paul<br />

Thomas Andersons epischem Werk The Master seine<br />

Rückkehr ins Kino, nachdem er seine Karriere mit der<br />

Mockumentary I’m Still Here erfolgreich zerstört hatte.<br />

In The Master spielt Phoenix den einigermaßen<br />

orientierungslosen Weltkriegsveteranen Freddie Quell,<br />

der wieder in die Spur zu kommen versucht. Er trifft<br />

den charismatischen Autor Lancaster Dodd, dessen<br />

rhetorische Fähigkeiten derart herausragend sind,<br />

dass er beinahe Gefahr läuft, sich mit seinen Worten<br />

selbst zu hypnotisieren – etwaige Ähnlich keiten zwischen<br />

Lancaster Dodd und dem Sciento logy-Gründer<br />

L. Ron Hubbard sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.<br />

Der Film folgt Freddie auf seiner Sinnsuche<br />

durchs Nachkriegs amerika, wobei Regisseur Paul<br />

Thomas Anderson die innere Unruhe seines Schauspielers<br />

zu beanspruchen weiß. Wahrscheinlich gibt<br />

es keinen anderen Filmemacher, der aus der Unsicherheit<br />

seiner Schauspieler so gnadenlos Nutzen zieht.<br />

Wenn Phoenix jemals ein Tagebuch über den Dreh<br />

von The Master schreiben sollte, wird wohl jeder Tag<br />

mit folgendem Eintrag beginnen: „Heute werde ich<br />

wahrscheinlich gefeuert …“<br />

IntervIew: Warst du eigentlich überrascht, als du das<br />

Drehbuch gelesen hast, diese Aneinanderreihung von<br />

Szenen und Szenen und Szenen?<br />

JoaquIn PhoenIx: Ich war vor allem verwirrt.<br />

Nein, ich war überrascht. Ich meine, es war seltsam,<br />

dass ich plötzlich das Angebot für den Film hatte. In<br />

der Regel ist es so, dass man mit der Arbeit an einem<br />

Film beginnt, dass man das Drehbuch liest und ganz<br />

nervös wird, weil man dem Regisseur unbedingt gefallen<br />

will. Aber als ich dann das erste Mal mit Paul<br />

(Thomas Anderson) und Philip (Seymour Hoffman) zusammensaß<br />

und wir gemeinsam eine Szene durchgegangen<br />

sind, war ich fest davon überzeugt, dass sie<br />

mich nicht nehmen. Ich war mir sicher, dass es nichts<br />

wird. Ich dachte nur: Ich glaub’s einfach nicht! Einmal<br />

bin ich morgens um fünf aufgestanden und habe diese<br />

eine verdammte Szene auf dem Boot einstudiert, weil<br />

ich wusste, dass wir die proben würden. Ich musste es<br />

einfach hinkriegen. Also bin ich in die nächste Probe<br />

gegangen und kam mir vor wie bei einem beschissenen<br />

Vorsprechen. Ich war mir sicher, dass Philip sagt:<br />

“<br />

Wahrscheinlich<br />

dachte er sich: Der<br />

Typ hat offensichtlich<br />

’nen Knall. Den<br />

nehme ich. Der Affe<br />

macht nämlich alles,<br />

was ich von ihm verlange.<br />

Am Ende der<br />

Dreharbeiten nannte<br />

er mich Bubbles<br />

rIder on the storm: JoaquIn PhoenIx sPIelt FreddIe quell In The MasTer …<br />

”<br />

– Joaquin Phoenix<br />

„Das funktioniert nicht.“ Und dass Paul denkt: Ich<br />

weiß. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll. – Das mag<br />

komisch klingen, aber, hey, das ist kein Witz. Denn<br />

die Sache ist die: Philip ist ein gottverdammtes Genie.<br />

Der Typ könnte einen blöden Einkaufszettel vorlesen,<br />

und du würdest denken: Wow, wie faszinierend. Es ist<br />

einfach unglaublich, mit ihm zu arbeiten. Also war ich<br />

nur so: Scheiße, Mann. Die fragen mich, ob ich in ihrem<br />

Film mitmachen will, wir proben, und ich bin so<br />

mies, dass Paul Zweifel bekommt. Aber dann haben<br />

wir einfach weitergeprobt und am nächsten Tag darüber<br />

geredet, und dann hat Paul wahrscheinlich gedacht:<br />

Okay, lass es uns mit ihm versuchen.<br />

IntervIew: Findest du auch, dass deine Figur<br />

Freddie Quell keinen Schimmer hat, was mit ihm und<br />

um ihn herum passiert?<br />

PhoenIx: Absolut. Anfangs hab ich noch versucht,<br />

mit Paul über Freddies Motivation zu reden,<br />

um herauszufinden, warum er die Sachen macht, die<br />

er macht, aber er gab nie eine Antwort. Das war echt<br />

frustrierend. Hinzu kommt, dass ich kein Schnell-<br />

checker bin, ehrlich gesagt, habe ich eine ziemlich<br />

lange Leitung. Manchmal brauche ich einen halben<br />

Film, um herauszufinden, wovon er eigentlich handelt.<br />

Es gibt doch diese Szene, in der davon geredet<br />

wird, mit einem Drachen zu ringen. Irgendwann hatte<br />

ich kapiert, dass ich der Drache bin, da war es dann<br />

leichter, die Szene zu spielen. Ich meine, es ist wie mit<br />

meinem Hund. Mein Hund liebt mich, wir haben ein<br />

gutes Verhältnis. Aber wenn ich das blöde Tor aufmache,<br />

dann haut er einfach ab. Nicht, weil er von mir<br />

fort will, sondern weil noch immer etwas Wildes in<br />

ihm steckt. Das passiert nicht absichtlich, das ist nur<br />

Impuls. Und Impuls bedeutet auch, dass man nicht<br />

weiß, warum man etwas macht und warum man etwas<br />

gemacht hat. Freddie ist auch gar nicht klar, was ihn<br />

treibt und zieht und wohin und warum. Also, sobald<br />

mir das klar war … Deswegen meinte ich vorhin auch,<br />

dass der Film perfekt für mich war, weil er genau meinem<br />

derzeitigen Ansatz als Schauspieler entspricht.<br />

IntervIew: Und was für ein Ansatz ist das?<br />

PhoenIx: Ich will einfach offen und empfänglich<br />

für das sein, was in dem Moment passiert, ich will<br />

nichts erzwingen. Unehrlichkeit auf der Leinwand ist<br />

so hässlich. Leuten dabei zuzusehen, wie sie nur so<br />

tun als ob, ist hässlich. Damit will ich nichts zu tun<br />

haben. Alles, was sie dir als Anfänger über das Schauspielern<br />

beibringen, ist so was von falsch. Sie erzählen<br />

dir, dass du deinen Text auswendig lernen sollst, dass<br />

du dem Licht folgen musst, dass du dich immer auf<br />

die Markierungen stellst, die man für dich festgelegt<br />

hat. Aber genau das sollte man auf keinen Fall tun. Du<br />

solltest deinen Text nicht lernen, du solltest dich<br />

nicht auf deine Markierungen stellen, und du solltest<br />

nie dem Licht folgen. Meine Meinung ist: Finde das<br />

Licht!<br />

IntervIew: Seit wann arbeitest du so?<br />

PhoenIx: Kurz bevor wir mit I’m Still Here angefangen<br />

haben. Danach hat es sich verfestigt. Um<br />

Walk The Line herum habe ich eine Menge Filme gedreht,<br />

aber diese konventionelle Art von Schauspielerei<br />

hat mich einfach nicht mehr interessiert.<br />

IntervIew: Du suchst nach Aufrichtigkeit?<br />

PhoenIx: In der Schauspielerei?<br />

IntervIew: Ja … Willst du mit dieser unorthodoxen<br />

Herangehensweise vielleicht auch vermeiden,<br />

dich zu wiederholen?<br />

PhoenIx: Mir geht es darum, etwas Wahrhaf tiges<br />

zu tun, und wenn das bedeutet, dass es einer anderen<br />

Arbeit ähnelt, die ich bereits gemacht habe, ist das<br />

kein Problem. Das ist mir sogar scheißegal. Mir ist<br />

wichtig – ach, wenn ich nur wüsste, was mir wichtig<br />

ist. Es ist eher ein Gefühl, dem ich hinterherjage. Und<br />

ich glaube, dass ich diesem Gefühl näherkomme,<br />

wenn es so wenig Kontrolle wie möglich gibt, aber<br />

dafür eine gewisse Dosis Gefahr. Ansonsten würde ich<br />

eine Szene zigmal wiederholen, dies und das verändern,<br />

mit dem Ergebnis, dass es unglaublich clever<br />

und klugscheißermäßig wirken würde. Aber das kann<br />

ich bei Schauspielern nicht ausstehen. Das kann ich<br />

auch an mir selbst nicht ausstehen. Wenn ich mir alte<br />

Filme von mir anschaue, denke ich: Du machst doch<br />

dieses komische Gesicht nur, um zu zeigen, dass du<br />

irre wütend bist, und dieses komische Gesicht hältst<br />

du jetzt direkt in die Kamera. Es ist beschämend. Ich<br />

habe Paul gleich zu Beginn gesagt: „Ich werde mein<br />

Spiel nicht verfeinern, ich werde nicht versuchen, es<br />

anzupassen. Ich werde versuchen, ein Gefühl für die<br />

Szene zu finden, und du musst mir sagen, ob ich Gas<br />

geben kann oder ob das alles zu viel ist.“ Manchmal<br />

hat man zu viel Energie, dann klappt es nicht.<br />

IntervIew: Und das ist kein Problem?<br />

Fotos (2): Senator Entertainment AG<br />

Phoenix: Ich habe natürlich Glück, weil ich mit<br />

diesen großartigen Regisseuren arbeiten kann, die mir<br />

ermöglichen, das zu tun, was ich tue. Nämlich die<br />

Wahrheit in etwas zu finden, und genau darum geht es<br />

ihnen auch. Wenn es Regisseuren um etwas anderes<br />

geht, dann kann man es vergessen. Regisseure sind alles,<br />

Schauspieler sind egal. Es ist so lustig, wenn Leute<br />

von großartigen Schauspielern sprechen und die<br />

Schauspieler dann anfangen, an ihre Großartigkeit zu<br />

glauben. Als Schauspieler ist man nur die Geisel des<br />

Regisseurs. Der Regisseur ist die wichtigste Person<br />

für mich, für ihn arbeite ich, mein Job ist es, seine<br />

Vision zum Leben zu erwecken. Mir gefällt es, Angestellter<br />

zu sein. Ich mag es, andere Leute glücklich zu<br />

machen. Wenn es mir nicht gelingt, bin ich am Boden<br />

zerstört.<br />

interview: Geht es dir darum, den Regisseur<br />

glücklich zu machen, oder um dein eigenes Glück?<br />

Phoenix: Ich werde wahrscheinlich nie glücklich<br />

sein … Obwohl, das ist natürlich Quatsch. Es ist so:<br />

Wenn ich mit einer Sache, die ich gemacht habe, richtig<br />

glücklich bin, dann ist sie wirklich schlimm. Ohne<br />

Ausnahme. Wenn ich eine Szene gespielt habe und<br />

denke: Super, das hat gesessen! – dann war das garantiert<br />

die schlimmste Szene überhaupt.<br />

interview: Ach so.<br />

Phoenix: Es steckt natürlich immer viel Geld in<br />

den Filmen, weshalb jeder auf Nummer sicher gehen<br />

und alles unter Kontrolle haben will. „Wir wollen<br />

wissen, dass an dieser Stelle der dritte Akt beginnt und<br />

dass der Typ eine Rede vor den Geschworenen hält,<br />

und diese Rede muss knallen, die muss einfach sitzen.“<br />

Genau das hasse ich so sehr: Das etwas sitzen<br />

muss. Natürlich beeindruckt es mich, wenn einer so<br />

spielen kann, dass es sitzt. Aber so will ich nicht sein.<br />

Ich will in den Gerichtssaal gehen und das Gefühl haben,<br />

dass ich den Fall möglicherweise verliere. Ich will<br />

Angst haben. Und diese Angst habe ich auch immer<br />

noch. Ich bin jetzt 38 und spiele seit 30 Jahren. Aber<br />

am Tag vor Drehbeginn wird mir immer noch<br />

schlecht, und die Wochen davor habe ich panische<br />

Angst. Man muss mir beschissene Schwämme unter<br />

die Achselhöhlen kleben, damit der Schweiß nicht die<br />

Klamotten nass tropft. Und zwar für die ersten drei<br />

Wochen des Drehs.<br />

interview: Kann es sein, dass du in deinen letzten<br />

Filmen Two Lovers, I’m Still Here und jetzt The<br />

Master vorzugsweise Typen spielst, die keine Ahnung<br />

haben, wohin sie gehen? Steckst du in einer Phase der<br />

Ahnungslosigkeit?<br />

Phoenix: Vielleicht, keine Ahnung. Für mich als<br />

Schauspieler sind diese Filme einfach interessanter.<br />

interview: Hat die Arbeit mit Casey Affleck an<br />

I’m Still Here Spaß gemacht?<br />

Phoenix: Ja und nein. Wir haben uns oft gestritten.<br />

Es ist ziemlich schwer, mit jemandem zu arbeiten,<br />

mit dem man so gut befreundet ist – und er ist mein<br />

bester Freund. Ich respektiere das, was er macht. Als<br />

wir jung waren, war es mein Traum, mit ihm gemeinsam<br />

zu drehen. Aber bei dem Film war es schwierig,<br />

weil Casey die Sache geheim halten wollte und ich<br />

manchmal zu feige war und meinte: „Kann ich nicht<br />

wenigstens meinen Freund anrufen, der schon seit einem<br />

Monat versucht, mich zu erreichen? Nur um ihm<br />

zu sagen, dass er sich keine Sorgen machen muss?“<br />

Deswegen gab es zum Beispiel Streit. Eigentlich war<br />

der Film ja nur als grandioser, schlechter Saturday<br />

Night Live-Sketch gedacht. Aber Casey wollte, dass<br />

ich in die Öffentlichkeit trete und mich so schlimm<br />

blamiere, wie es geht. Casey liebt Peinlichkeiten, das<br />

ist sein Humor. Also hat er mich ständig gedrängt. Oft<br />

sagte ich: „Keine Chance. Ich werde mich nicht in Las<br />

Vegas auf die Bühne stellen.“ Dann habe ich es doch<br />

getan. Anschließend kamen die <strong>Interview</strong>anfragen,<br />

also habe ich auch diese komischen <strong>Interview</strong>s gegeben.<br />

Um die Sache am Laufen zu halten.<br />

interview: Mit dem Auftritt bei Letterman zum<br />

Beispiel?<br />

Phoenix: Ja, aber auch für Zeitungen und Magazine.<br />

Ich habe wirklich die schlimmsten Dinge gesagt.<br />

Hinterher dachte ich nur: Das wird mir noch Ewigkeiten<br />

nachhängen. Andererseits war die Arbeit an<br />

dem Film großartig. Casey hat mich immer weiter<br />

angespornt, ohne ihn hätte ich das nicht machen können.<br />

Und der Film hat mir viel Aufmerksamkeit beschert,<br />

so viel Aufmerksamkeit hatte ich noch nie.<br />

interview: Du bist offenbar der Typ, der sich in<br />

ein Auto setzt und Spaß daran hat, mit hundert Sachen<br />

rückwärts zu fahren.<br />

Phoenix: Es war toll. Wir haben Sachen gemacht,<br />

die nicht wiederholbar wären. Es gibt da diese Szene,<br />

wo ich mit 500 Leuten in einem Club bin. Und da war<br />

dieser eine Typ, ein Freund von Casey, den haben wir<br />

im Publikum platziert. Ich meinte zu ihm: „Bleib in<br />

der Nähe der Bühne, sonst finde ich dich nie.“ – Ich<br />

stand auf der Bühne, es war stockdunkel, und dann<br />

musste ich mit dem Song anfangen. Hinterher sollte es<br />

noch eine Schlägerei mit diesem Typen, dem Freund<br />

von Casey, geben. Du kannst dir meine Panik vorstellen.<br />

Ich habe gezittert, aber es war ein unglaubliches<br />

Gefühl. Dummerweise wäre der Typ, mit dem ich<br />

mich schlagen sollte, beinah nicht an den Türstehern<br />

vorbeigekommen. Er musste sich den Weg bis zur<br />

ersten Reihe freikämpfen. Fast wäre er zu spät gekommen.<br />

Auch die Szene mit Diddy war großartig.<br />

interview: Wusste Diddy, dass es sich um eine<br />

fiktive Dokumentation handelt?<br />

Phoenix: Ja, er wusste es von Anfang an. Wir sind<br />

nach Miami gefahren und haben ihm von unserer Idee<br />

erzählt und er meinte: „Du solltest nicht nur so tun,<br />

als ob du rappen würdest, du solltest tatsächlich versuchen,<br />

Songs zu schreiben. Versuche, die Sache ernst<br />

zu nehmen.“ Die Songs haben wir ihm dann vorgespielt.<br />

Beim Dreh hat er so getan, als hätte er von<br />

der ganzen Sache noch nie gehört. Er ist ein verdammtes<br />

Genie.<br />

interview: Es muss schwer sein, wieder einen<br />

herkömmlichen Film zu drehen, wenn man vorher etwas<br />

gedreht hat, bei dem man eigentlich alles spontan<br />

erfunden hat.<br />

Phoenix: Ja, aber genau das ist die Idee, dass man<br />

das auch bei einem herkömmlichen Film versucht.<br />

interview: Weißt du, ob Paul I’m Still Here gesehen<br />

hat?<br />

Phoenix: Ja, deswegen habe ich die Rolle in The<br />

Master ja bekommen. Wir haben bei unserem ersten<br />

Treffen darüber geredet.<br />

interview: Weißt du noch, was er damals gesagt<br />

hat?<br />

Phoenix: Nicht so genau. Wahrscheinlich dachte<br />

er sich: Der Typ hat ganz offensichtlich ’nen Knall.<br />

Den nehme ich. Der Affe macht nämlich alles, was ich<br />

von ihm verlange. Toll, ich werde ihm sagen, dass er<br />

sich mit Scheiße bewerfen soll. Das wird toll. – Und<br />

genau das ist auch passiert. Gegen Ende der Dreharbeiten<br />

hat er mich nur noch Bubbles genannt. Er<br />

war nur so: „Mal sehen, was mein kleiner Affe sonst<br />

noch für mich macht“ (macht Affengeräusche).<br />

interview: Wie war es, als du den Leuten erzählen<br />

musstest, dass du von der Schauspielerei die<br />

Schnauze voll hast?<br />

Phoenix: Nun ja, zu einem gewissen Teil war es<br />

ja auch wahr. Ich mag es nicht, am Set zu sein, ich mag<br />

die Warterei nicht, ich mag es nicht, den ganzen Tag<br />

Smalltalk zu führen, weil man ständig von mehr als 60<br />

Leuten umgeben ist. Ein Grund, warum wir den Film<br />

gemacht haben, war ja, dass sowohl Casey als auch ich<br />

jedes Mal von einem Dreh nach Hause kamen und wir<br />

dachten: Es reicht. In der Hinsicht war I’m Still Here<br />

der ultimative Erfolg, weil ich meine Karriere damit<br />

komplett zerstört habe. Aber das war Absicht. Der<br />

Film war das Beste und wird das Beste sein, was ich<br />

mache.<br />

interview: Und was passiert, wenn jetzt die Oscar-Saison<br />

beginnt?<br />

Phoenix: Du spinnst.<br />

interview: Ich dachte, wir reden die ganze Zeit<br />

darüber, dass du derjenige bist, der spinnt. Abgesehen<br />

davon: Du bist für The Master nominiert.<br />

Phoenix: Ach, das ist alles Bullshit, damit will ich<br />

nichts zu tun haben. Die Zeit, als ich mit Walk The<br />

Line für alle möglichen Dinge nominiert war, ist eine<br />

der schlimmsten Phasen meines Lebens gewesen. An<br />

einer Wiederholung besteht keinerlei Bedarf. Ich bin<br />

nicht der 20-Millionen-Dollar-Schauspieler. Ich habe<br />

Angst. Wenn du mir den Ring geben würdest, keine<br />

Ahnung, ob ich ihn nehmen würde und ihn nach<br />

Ozamorph tragen könnte, oder wie auch immer man<br />

diesen Ort nennt.<br />

… einen ziemlich verwirrten weltkriegsveteran und transzendental-obdachlosen<br />

162<br />

163


Cou<br />

tu re<br />

Fotos<br />

mArkus jAns<br />

styling<br />

klAus stockhAusen<br />

komplettlook<br />

mAison<br />

mArtin<br />

mArgielA<br />

ArtisAnAl


diese seite:<br />

komplettlook<br />

chAnel<br />

hAute<br />

couture<br />

linke seite:<br />

komplettlook<br />

iris vAn<br />

herpen<br />

hAute<br />

couture


komplettlook<br />

ArmAni privé


diese seite:<br />

KomplettlooK<br />

elie sAAb haute<br />

couture<br />

rechte seite:<br />

KomplettlooK<br />

dior hAute<br />

couture


komplettlook<br />

Atelier versAce<br />

Haare cHristian eberHard/<br />

Julian Watson agency<br />

make-up Jessica nedza/close up<br />

mit produkten von lord & berry<br />

set-design nadine sticH<br />

model Franziska müller/<br />

seeds management<br />

Foto-assistenz Julia von der Heide,<br />

Jasmin Walter<br />

styling-assistenz uli semmler<br />

retusche adrien blancHat


diese seite:<br />

komplettlook<br />

gAultier pAris<br />

rechte seite:<br />

komplettlook<br />

vAlentino hAute<br />

couture


Baias Zelle maß drei<br />

mal zwei Meter, eine<br />

harte Pritsche und ein<br />

vergittertes Fenster,<br />

kaum größer als eine Schießscharte.<br />

Die Luft war stickig. Die<br />

meiste Zeit über lag Baia auf dem<br />

Bauch, ihre Hände waren mit<br />

Handschellen auf den Rücken<br />

gefesselt.<br />

Vor neun Tagen war sie wegen<br />

eines illegalen Autorennens<br />

in der Innenstadt von Baku festgenommen<br />

worden. Die offizielle<br />

Anklage hätte „Rowdytum“ lauten<br />

können, doch eine Anklage<br />

wurde nicht erhoben. Autorennen<br />

gehörten zu den Hobbys<br />

der Goldenen Aseri­Jugend, und<br />

sie waren die letzte Möglichkeit<br />

zur Revolte. Reiche Sprösslinge<br />

kauften sich von ihrem Taschengeld<br />

alte sowjetische Autos, auf<br />

die man einst ein Jahrzehnt warten<br />

und sparen musste. Die Rennen<br />

fanden bei Nacht und ausschließlich<br />

in belebten Gegenden<br />

statt, nicht selten starben Fußgänger,<br />

was den Reiz erhöhte.<br />

Einmal wurde ein betrunkener<br />

Familienvater überfahren, dann<br />

ein obdachloser Veteran, und<br />

dann gab es noch einen Unfall,<br />

bei dem eine Schwangere und<br />

deren Ehemann starben, doch da<br />

der Fahrer des Wagens ebenfalls<br />

am Unfallort starb, gab es keine<br />

juristischen Konsequenzen.<br />

Niemand wusste mehr sicher,<br />

wer diese Autorennen erfunden<br />

hatte, doch es gab Gerüchte, es<br />

sei eins der unehelichen Kinder<br />

des Präsidenten gewesen. Die<br />

Inhaftierten gaben von sich aus<br />

nichts preis, und die Wärter fragten<br />

vorsichtshalber nicht nach.<br />

Bei der Präsidentenfamilie<br />

waren diese Autorennen verpönt,<br />

Die öffentliche<br />

Ordnung<br />

weil sie eins der sehr wenigen<br />

Vergehen waren, von denen man<br />

sich nicht freikaufen konnte. Die<br />

jungen Fahrer – es war noch nie<br />

jemand festgenommen worden,<br />

der älter als 26 gewesen wäre –<br />

wurden für zehn Tage auf der<br />

Polizeiwache festgehalten und<br />

von mehreren Beamten abwechselnd<br />

misshandelt. Eine durchaus<br />

gängige, ja sogar für diese Breitengrade<br />

harmlose Praxis.<br />

Baia wurde dreimal täglich<br />

von einem jungen Polizeischüler<br />

abgeholt und in Handschellen ins<br />

Untersuchungszimmer geführt.<br />

Es war derselbe Junge, der ihr<br />

das Wasser und das Essen brachte<br />

– schmächtig, von kleinem<br />

Wuchs und mit dem traurigen<br />

Blick des ewigen Verlierers. Das<br />

Untersuchungszimmer war geräumig<br />

und leer, bis auf einen<br />

schmalen Tisch und zwei Stühle.<br />

An dem einen Stuhl band man<br />

Baias Hand­ und Fußgelenke<br />

fest. Auf dem anderen nahm der<br />

eine Polizeischüler Platz. Erst<br />

nach der Fixierung kam der zweite<br />

Polizeischüler hinzu. Baia versuchte,<br />

sich sein Gesicht so gut<br />

wie möglich einzuprägen: eine<br />

operierte Hasenscharte, zwei<br />

Goldzähne, symmetrische Gesichtszüge<br />

und zart geschwungene<br />

Augenbrauen, die nicht zum<br />

unteren Teil seines Gesichtes<br />

passen wollten. Sie würde ihn<br />

wiedererkennen, egal wann und<br />

wo. Seine rechte Hand wanderte<br />

langsam über Baias Oberschenkel,<br />

verblieb bei der Scham, fand<br />

ihren Weg in ihre Hose und ließ<br />

nur ab, um sich den Rotz aus<br />

dem Gesicht zu wischen, den<br />

Baia tief aus ihrer Kehle in sein<br />

Gesicht schleuderte. Als er fertig<br />

war, schlug er Baia mehrmals<br />

kurzgeschichte<br />

von<br />

Olga grjasnOwa<br />

176<br />

und mit solcher Wucht, dass sie<br />

das Bewusstsein verlor. Beim<br />

Aufwachen schmeckte sie Blut in<br />

ihrem Mund, und sie spürte eine<br />

Hand auf ihrer Brust.<br />

Ihre Ballettlehrerin hatte<br />

sie schon früh die drei<br />

Grundarten des Schmerzes<br />

gelehrt: konstruktiv, destruktiv<br />

und chronisch. Der<br />

menschliche Körper war nicht<br />

für Ballett geeignet; um tanzen<br />

zu können, musste man zuerst<br />

sich selbst besiegen. Baia gewöhnte<br />

sich daran, unter<br />

Schmerzen zu tanzen, am häufigsten<br />

waren es Prellungen, aus<br />

Überbeanspruchung oder Überlastung<br />

resultierende Entzündungen,<br />

Schmerzen in der Lendenwirbelsäule<br />

und in den Gelenken.<br />

Solange er konstruktiv blieb, war<br />

der Schmerz nebensächlich.<br />

Wenn Baia wegen einer Verletzung<br />

nicht auftreten konnte,<br />

heulte sie. Alleine und im Bett,<br />

wie die meisten Menschen. Abgesehen<br />

davon wiederholte sich<br />

die Lehrerin ständig: Stets ging<br />

es um die heilige Tradition,<br />

Haltung, Kontrolle, Unterordnung,<br />

Disziplin – und um den<br />

Unterschied zwischen Bühne und<br />

Übungsraum, zwischen Technik<br />

und Kunst. Minus Esoterik.<br />

Plus Pathos. Da verstand Baia,<br />

weshalb Ballett unter Despoten<br />

florierte.<br />

Eine halbe Stunde lang<br />

passierte nichts.<br />

Ein untersetzter<br />

Mann kam langsam<br />

mit einem Glas Tee herein. Er<br />

stellte sich ihr nicht vor, aber sie<br />

nahm an, dass er der Kommissar<br />

war, der sie verhören sollte. Er<br />

hatte kleine Zähne, dicke rissige<br />

Lippen und winzige Augen. Jedes<br />

Mal stellte er die gleichen Fragen,<br />

ob Baia sich ihrer Schuld<br />

bewusst sei, mit ihrem Verhalten<br />

die öffentliche Ordnung gefährdet<br />

zu haben, und ob sie eigentlich<br />

wisse, was mit anderen Rowdys<br />

geschehe. Während des<br />

Verhörs steckte er sich ein Stück<br />

Zucker in den Mund, hinter die<br />

vergilbten Zahnstummel, und<br />

schlürfte laut Tee durch den Zucker<br />

hindurch. Baia sehnte sich<br />

nach dem Dreck ihrer Zelle.<br />

Dort, wo nur kleine Bewegungen<br />

möglich waren, erinnerte<br />

sich Baias Körper an ganze Ballette,<br />

an die Ausschüttung von<br />

Endorphinen nach einer gelungenen<br />

Aufführung. Schwanensee<br />

war das erste Ballett, das Baia im<br />

Bolschoi­Theater gesehen hatte.<br />

Mit Vater und Mutter, dieses Detail<br />

kam ihr nun absurd vor. Baia<br />

hätte am liebsten die Rolle des<br />

Prinzen getanzt: ein ungeheures<br />

Verlangen zu einem seltsamen<br />

Wesen, eine nicht vorprogrammierte<br />

Liebe. Sie sah sich vor<br />

den gemalten Wäldern im sanften<br />

violetten Licht. Die Agonie<br />

des Schwans befreite sie von ihrer<br />

eigenen, sie berauschte sich<br />

an der Form, am Pas de deux,<br />

selbst an den Strumpfhosen und<br />

dem Tutu. Sie ging auf Spitze.<br />

Ihre Bewegungen wurden schneller,<br />

klarer, und sie selbst wurde<br />

vollkommen. Sie war wieder<br />

Tänzerin, konzentrierte sich, ihr<br />

Partner hob sie in die Luft, sie<br />

wagte kaum noch zu atmen.<br />

Schwanensee hatte sie mehrmals<br />

mit Altay gesehen, er liebte<br />

es, in der Dunkelheit des Theaters<br />

die muskulösen Tänzer ungestraft<br />

zu betrachten. An einem<br />

Abend im Mariinsky-Theater<br />

– da waren sie beide bereits verlobt<br />

– fing Altay an, während der<br />

Vorstellung zu kichern, die Sitznachbarn<br />

schauten sich in russischer<br />

Manier empört nach dem<br />

Unruhestifter um. „Baia, der See,<br />

die Schwäne, das ist doch die<br />

reinste Cruising-Area.“ Baia<br />

brach ebenfalls in Lachen aus, sie<br />

verließen die Aufführung unter<br />

entrüsteten Blicken.<br />

Das erste Jahr am Choreografischen<br />

Institut war todlangweilig,<br />

jeden Tag stand Baia an<br />

der Stange mit dem Gesicht zur<br />

Wand. Die Anweisungen lauteten:<br />

beide Hände an der Stange,<br />

anderthalb Stunden ohne Pause<br />

Beine und Füße strecken, die<br />

Wirbelsäule trainieren. Erst nach<br />

sechs Monaten durfte sie sich<br />

zur Seite drehen, nach weiteren<br />

Monaten auf Zehenspitzen stehen.<br />

Abends kroch Baia ins Bett<br />

ihrer Zimmergenossin, und sie<br />

erzählten sich ihre Geheimnisse.<br />

Sie lästerten über die anderen<br />

Mädchen und manchmal auch<br />

über die Jungs. Ihre Zimmergenossin<br />

verliebte sich oft, und<br />

Baia suchte sich dann ebenfalls<br />

einen Jungen aus der Klasse aus<br />

und tat, als wäre sie verliebt. Außerdem<br />

malten die beiden sich<br />

ihr Leben aus, ihr richtiges Leben,<br />

das nach dem Internat, ein<br />

Leben mit Tourneen, großen<br />

Bühnen, Ruhm und wunderschönen<br />

Ehemännern. Eines Tages<br />

verkündete ihre Zimmergenossin,<br />

dass sie niemals heiraten<br />

werde, und Baia war erleichtert,<br />

denn das bedeutete, dass sich<br />

nichts ändern, dass sie immer mit<br />

ihr zusammen sein würde.<br />

Während der<br />

nächsten Befragung<br />

wollte der<br />

Kommissar über<br />

Baias Vater reden, der sich, wie<br />

er sagte, große Sorgen um sie<br />

mache. Außerdem fragte er, ob<br />

ihr Ehemann sie jetzt, nach<br />

allem, was hier mit ihr geschehen<br />

sei, überhaupt noch zur Frau<br />

haben wolle und weshalb sie die<br />

Ehre ihrer ganzen Familie in<br />

den Dreck gezogen habe. Er<br />

sprach atemlos und beugte sich<br />

so nah an Baias Gesicht, dass sie<br />

seinen warmen, säuerlichen Atem<br />

riechen konnte. Baia schrie, er<br />

solle ihren Vater und vor allem<br />

ihren Ehemann in Ruhe lassen.<br />

Da raufhin erhielt sie drei Schläge.<br />

Sie schrie, bis die Polizeischüler<br />

sie packten und ihr Gesicht<br />

auf den Boden drückten, in<br />

den Rotz aus Speichel, Zigarettenstummeln<br />

und Sonnenblumenkernschalen.<br />

Kakerlaken<br />

hasteten dicht an ihrem Mund<br />

vorbei.<br />

Mit der Direktive,<br />

die selbst ernannten<br />

Autorennfahrer<br />

festzuhalten, wollte<br />

man zeigen, dass eine Revolte,<br />

ob aus Langweile oder als eine<br />

Art Ausweitung des Arabischen<br />

Frühlings aufs aserbaidschanische<br />

Territorium, vollkommen sinnlos<br />

sei. Normalerweise wurde man<br />

für zehn Tage eingesperrt und<br />

ein wenig misshandelt, unabhängig<br />

von Einfluss, Einkommen<br />

oder Clanzugehörigkeit. Erst<br />

nach Ablauf dieser Frist erhielten<br />

die Angehörigen das Angebot,<br />

das eigene Kind freizukaufen.<br />

Während dieser Zeit, sagte der<br />

Kommissar zu ihr, zerbreche er<br />

sich den Kopf darüber, wie er<br />

den verwöhnten reichen Kindern<br />

Reue beibringen könne, wo<br />

doch die einzigen Werte, die der<br />

postsowjetischen Jugend etwas<br />

bedeuteten, Geld und Macht seien.<br />

Für die Bekehrung, sagte er,<br />

seien zehn Tage zu lang, für<br />

die Umerziehung zu kurz.<br />

Deshalb wünsche er sich die<br />

Lager zurück.<br />

Baia hatte die zweifelhafte<br />

Ehre, die erste Frau zu sein, die<br />

wegen der Autorennen verhaftet<br />

worden war, und ihr wurde die<br />

entsprechende Behandlung zuteil.<br />

Sie spürte, wie ihre Füße<br />

angehoben wurden und trat mit<br />

voller Wucht um sich. Baia vernahm<br />

eine Flut von Stimmen,<br />

schwankend in Lautstärke und<br />

Ton. Sie schloss die Augen und<br />

horchte auf ihren Atem, brachte<br />

ihn wieder unter Kontrolle und<br />

wünschte sich fort.<br />

kurzgeschichte<br />

Wenn Baia an das Ballett<br />

Giselle dachte, war alles wieder da:<br />

Levys Geruch stieg ihr in die<br />

Nase, sie erinnerte sich an die<br />

feinen blonden Härchen an Levys<br />

Oberschenkeln und an Levys<br />

bernsteinfarbenes Haar, in das sie<br />

so gerne eingetaucht war. Die<br />

Sehnsucht nach Levy wurde zu<br />

einem dumpfen Schmerz. Nachdem<br />

Levy sie verlassen hatte, hatte<br />

Baia endlose Diskussionen mit<br />

Altay geführt. Sie hatte gehofft,<br />

er würde ihr sagen, sie täusche<br />

sich, Levy komme zu ihr zurück.<br />

Aber Levy war nicht zu ihr zurückgekommen.<br />

Dann war sie ins<br />

Flugzeug nach Baku gestiegen.<br />

Am Ende des Gangs erklangen<br />

spitze Schreie, und Baia träumte<br />

sich zurück in die Giselle, in den<br />

Tanz der Willis. Altay war ihr<br />

Mann – und ihr Alibi. Schon bei<br />

ihrer ersten Begegnung hatte sie<br />

um ihn geworben, aber nicht, wie<br />

sie um eine Frau geworben hätte,<br />

sie wollte sein Vertrauen, seine<br />

Freundschaft. Sie bemühte sich<br />

um ihn wie um einen besonders<br />

begehrten Tanzpartner. Ihre<br />

Hochzeit war eine Notwendigkeit.<br />

Für Aserbaidschaner und das<br />

deutsche Ausländeramt waren sie<br />

nichts weiter als ein glückliches<br />

frisch verheiratetes Paar.<br />

Als der Kommissar den<br />

Verhörraum betrat,<br />

zitterte Baia. Sie<br />

wusste nicht mehr,<br />

wo sie war, die Luft war verbraucht,<br />

sie bat darum, ein Fenster<br />

aufzumachen. Ballettsequenzen<br />

rasten vorbei, Gesichter, an<br />

die sie sich schon lange nicht<br />

mehr erinnert hatte. Es gelang<br />

ihr nicht, eine Erinnerung festzuhalten.<br />

Speichel und Blut rannen<br />

über ihre Lippen. Der Kommissar<br />

wurde rot, hatte Angst,<br />

bleibende Spuren in Baias Gesicht<br />

zu hinterlassen, immerhin<br />

hatte ihr Vater Verbindungen. Er<br />

schrie lauter, dann musste er<br />

inne halten und sich beruhigen.<br />

Dann machte er mit frischer<br />

Kraft weiter, seine Fantasie ließ<br />

ihn nicht im Stich.<br />

Baia ekelte sich vor sich<br />

selbst. Seit einer Woche trug sie<br />

dieselben Sachen. Auf ihrem<br />

Kleid lagen mehrere Schichten<br />

Blut, Schweiß und Sperma. Nie<br />

mehr würde sie eine Ballerina<br />

sein. Das hatte sie entschieden.<br />

Natürlich hatte sie die Schmerzen<br />

einkalkuliert, das war nicht<br />

das Problem – Schmerzen und<br />

Hunger war Baia gewohnt. Womit<br />

sie nicht gerechnet hatte,<br />

war, dass das Ballett ihr fehlen<br />

würde. Nicht wie ein Mensch,<br />

nach dem man sich sehnt, sondern<br />

wie eine Droge, die einem<br />

entzogen wird, und Baias Suchtgedächtnis<br />

war ausgeprägt. Immer,<br />

wenn ihr eine Bewegung<br />

oder eine Drehung besonders gut<br />

gelungen war, wurde sie high.<br />

Was sie vermisste, war der Triumph<br />

über den Willen und die<br />

Lenkbarkeit der Bewegung.<br />

Sie hatte versucht, dieses Gefühl<br />

mit Koks oder MDMA zu<br />

erreichen, aber es war nicht dasselbe.<br />

Sie hatte gedacht, dass sie<br />

erleichtert sein würde, nicht mehr<br />

tanzen zu müssen – sie hatte die<br />

ständigen Schmerzen, die Überforderung,<br />

Erschöpfung, die<br />

Konkurrenz und permanenten<br />

Intrigen satt. Was sie wollte, war<br />

Ruhe, doch ihr Körper hatte sich<br />

an den täglichen Schmerz gewöhnt<br />

und verlangte nach mehr.<br />

Nachdem sie aufgehört hatte zu<br />

tanzen, verlor sie ihre Form, die<br />

Selbstverständlichkeit, die Leichtigkeit,<br />

die Körperbeherrschung.<br />

Sie hörte den Schlüssel in der<br />

Tür. Der Kommissar kam herein<br />

und sagte, er habe noch eine<br />

aller letzte Frage. Baia wandte<br />

sich zur Wand wie zu einem<br />

Spiegel und drehte ihre Beine<br />

nach außen. „Wer“, keuchte er<br />

ihr ins Ohr, „ist Levy?“<br />

OlgA grJAsnOwA wurde 1984<br />

in Baku/Aserbaidschan geboren<br />

und wuchs im kaukasus auf. sie<br />

lebte längere zeit in Polen, russland<br />

und Israel, absolvierte das<br />

deutsche literaturinstitut in leipzig<br />

und studiert derzeit tanzwissenschaft<br />

in Berlin.<br />

Im vergangenen Jahr erschien im<br />

hanser-Verlag ihr debüt roman<br />

Der Russe ist einer, der Birken liebt,<br />

der mit dem Anna-seghers-Preis<br />

aus gezeichnet wurde.<br />

diese kurzgeschichte erscheint<br />

exklusiv in <strong>Interview</strong>.<br />

177 Ausgewählt von JAn Brandt


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Was treiben die Models bei<br />

der Hugo-Boss-Show eigentlich<br />

vor und nach dem Laufsteg?<br />

Einige der Antworten finden<br />

sich auf diesen Seiten:<br />

Sie rauchen Zigaretten,<br />

lesen Comics und er zählen<br />

sich Witze. Außerdem:<br />

Berlin Fashion Week,<br />

Zehn-Jahre-Premium-Party,<br />

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… den Auftritt erwarten …<br />

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… mit Kopfbedeckungen experimentieren …<br />

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… die Haare nicht berühren …<br />

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Styling KLAUS STOCKHAUSEN


FLASHBACK, MÄRZ 1983<br />

TWIGGY<br />

Als London anfing zu swingen, wurde LESLEY<br />

HORNBY zu Twiggy, zum ersten wirklichen<br />

SUPERMODEL in der Geschichte der Mode.<br />

Später versuchte sich Twiggy als Schauspielerin und<br />

Designerin, blieb aber vor allem eins: eine IKONE<br />

TWIGGY, TWIGGY, TWIGGY, CAN’T YOU SEE … YOUR FLASHY<br />

LOOKS JUST HYPNOTIZE ME, MÄRZ 1983<br />

ROBERT HAYES: Du spielst auch Theater – hast du<br />

keine Angst davor?<br />

TWIGGY: Oh, doch. Am schlimmsten ist der Moment,<br />

bevor man die Bühne betritt. Diese wenigen<br />

Sekunden. Man steht da und fragt sich: Wieso stehst<br />

du hier? Wieso sitzt du nicht einfach bei Woolworth<br />

an der Kasse? Als ich das erste Mal in einem Stück<br />

spielen sollte, setzte mich der Regisseur auf die Bühne<br />

– bevor der Vorhang aufging. Er ahnte wohl, dass ich<br />

es nie geschafft hätte, auf eigenen Beinen hinauszulaufen.<br />

HAYES: Welches Stück war das?<br />

TWIGGY: Cinderella.<br />

HAYES: Woher kommt die Angst?<br />

TWIGGY: Es sind die Gesichter der Menschen.<br />

Du kannst zehn Millionen Kameras auf mich richten,<br />

das macht mir überhaupt nichts aus. Aber Menschen,<br />

Menschen fallen mir schwer …<br />

HAYES: … kann man die überhaupt von der Bühne<br />

aus sehen?<br />

TWIGGY: Nicht, wenn alle Lichter an sind. Allerdings<br />

genügen meiner Panik schon die ersten Reihen.<br />

(…)<br />

HAYES: Du reist ja sehr viel. Nimmst du dein Kind<br />

eigentlich immer mit?<br />

TWIGGY: Ja. Meine Tochter ist vier. Und wenn<br />

ich sie nicht mitbringen darf, lehne ich den Job ab.<br />

Ohne sie mache ich gar nichts mehr.<br />

(…)<br />

HAYES: Gehst du gerne shoppen?<br />

TWIGGY: Früher war ich das, ja. Heute, mit dem<br />

Kind, läuft das nicht mehr. Solche Dinge machen einfach<br />

keinen Spaß mit einem Kind auf dem Arm, das<br />

kann man sich abschminken. Auch was die eigene<br />

Garderobe angeht: Wenn ich mit Carly zu Hause bin,<br />

trage ich Jeans und T-Shirts, irgendetwas Bequemes.<br />

Zumal ich auch ein Problem mit meinen Beinen habe<br />

und ungern Kleider trage, vor allem lange Kleider<br />

stehen mir gar nicht. Kurze Kleider sind okay, dazu<br />

kann ich Stiefel tragen. Die liebe ich ohnehin. Aber<br />

zurück zur Frage: Shoppen nur im Spielzeugladen.<br />

Ein Kind verändert alles, die eigenen Werte, das<br />

Lebensmodell, Wünsche, Träume, Sehnsüchte.<br />

Das Kind ist das Erste, an das man nach dem Aufwachen<br />

denkt, und das Letzte kurz vor dem Einschlafen.<br />

Seit Carly da ist, lebe ich auch zurückgezogen<br />

wie ein Eremit. Ich gehe nie aus, koche am<br />

liebsten zu Hause – und finde all das wunderbar.<br />

HAYES: Wo wohnt ihr derzeit?<br />

TWIGGY: Wir sind gerade aus Los Angeles zurück<br />

nach England gezogen. Wegen meiner Tochter.<br />

Die englischen Schulen sind einfach besser.<br />

Und ich würde auch um keinen<br />

Preis der Welt ein Kind in Los<br />

Angeles großziehen. Die Schulen,<br />

die Drogen … All das ist<br />

furchtbar und bereitet mir große<br />

Sorgen. Zumal Werte wie Loyalität,<br />

Ehrlichkeit und Integrität in<br />

Los Angeles keinerlei Bedeutung<br />

haben. Dort dreht sich alles nur<br />

um Geld, Aussehen und Jugendwahn<br />

– und das hat mit echtem<br />

Leben einfach nichts zu tun.<br />

DIE NÄCHSTE AUSGABE<br />

VON INTERVIEW<br />

ERSCHEINT AM<br />

20. MÄRZ 2013<br />

Fotos: Cris Alexander für <strong>Interview</strong> Magazine, März 1983

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