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4/2013 Juli | August €5,50 A: € 6,30 CH: sFr 11,00 BeNeLux: € 6,50 SK, I: € 7,45 S: SKR 75 N: NOK 79 FIN: € 8,10<br />
Clausewitz<br />
Clausewitz<br />
Das Magazin für Militärgeschichte<br />
Das modernste<br />
Kampfflugzeug<br />
seiner Zeit<br />
Messerschmitt<br />
Me 262<br />
Charkow 1943<br />
Letzter Ostfronterfolg<br />
der Wehrmacht<br />
Radetzky<br />
Österreichs<br />
legendärer<br />
Heerführer<br />
„Völkerschlacht“ <strong>1813</strong><br />
<strong>Triumph</strong> <strong>über</strong><br />
<strong>Napoleon</strong><br />
Generalfeldmarschall Blücher:<br />
Energischster Gegner <strong>Napoleon</strong>s<br />
„Obersalzberg“<br />
Wohin Hitler vor der<br />
Realität floh<br />
Starke „Alleskönner“:<br />
Pionier- und Bergepanzer<br />
MILITÄR & TECHNIK:<br />
Bergepanzer 2 der<br />
Bundeswehr<br />
T-55T der NVA
Legenden<br />
der Lüfte<br />
Jeden Monat<br />
neu am Kiosk!
Editorial<br />
Liebe Leserin,<br />
lieber Leser,<br />
das Jahr 2013 ist reich an militärgeschichtlich<br />
relevanten Jahrestagen.<br />
Besonders der 200. Jahrestag der<br />
„Völkerschlacht“ bei Leipzig sticht<br />
hier hervor.<br />
Das Aufeinandertreffen der Grande<br />
Armée <strong>Napoleon</strong>s und der militärischen<br />
Allianz aus Preußen, Österreich,<br />
Russland und Schweden gilt mit<br />
mehr als 500.000 beteiligten Soldaten<br />
als die bis dahin größte Feldschlacht<br />
der Weltgeschichte. Völlig zu<br />
Recht wird der mehrtägige Kampf der<br />
Massenheere<br />
bei Leipzig daher<br />
auch als<br />
„Jahrhundertschlacht“<br />
bezeichnet.<br />
Die Auswirkungen<br />
des<br />
<strong>Triumph</strong>es<br />
<strong>über</strong> <strong>Napoleon</strong><br />
für die deutsche<br />
und die europäische Geschichte<br />
waren enorm: Der Sieg der Verbündeten<br />
<strong>über</strong> Frankreich im Oktober <strong>1813</strong><br />
stellt einen Meilenstein auf dem Weg<br />
zur Befreiung des Kontinents von der<br />
napoleonischen Herrschaft dar.<br />
Der großen Bedeutung der „Völkerschlacht“<br />
entsprechend, entschloss<br />
man sich Ende des 19. Jahrhunderts<br />
zum Bau eines monumentalen Denkmals.<br />
Im Jahr 1895 <strong>über</strong>ließ die Stadt<br />
Leipzig dem „Patriotenbund“, der energisch<br />
für den Bau eines Denkmals eintrat,<br />
ein Baugelände von 40.000 Quadratmetern,<br />
doch es sollten drei Jahre<br />
vergehen, bis man sich auf einen Entwurf<br />
einigte. Dieser stammte von Bruno<br />
Schmitz, der bereits die Pläne für<br />
das 1896 eingeweihte „Kyffhäuserdenkmal“<br />
geliefert hatte.<br />
Im Jahr 1913 wurde das 300.000<br />
Tonnen schwere „Völkerschlachtdenkmal“<br />
– anlässlich des 100. Jahrestages<br />
des erfolgreichen Kampfes gegen<br />
<strong>Napoleon</strong> – mit einer feierlichen Zeremonie<br />
eingeweiht.<br />
Heute, weitere 100 Jahre später,<br />
erinnern wir mit unserer Titelgeschichte<br />
„Die Jahrhundertschlacht“ ab Seite<br />
10 an den 200. Jahrestag der „Völkerschlacht“<br />
und die dramatischen<br />
Ereignisse des Jahres <strong>1813</strong>.<br />
Eine kurzweilige Lektüre wünscht Ihnen<br />
Dr. Tammo Luther<br />
Verantwortlicher Redakteur<br />
NEUE SERIE<br />
3. Folge<br />
Krieger, Söldner & Soldaten<br />
Die Elite <strong>Napoleon</strong>s<br />
Die Grenadiere der Alten Garde bilden das Rückgrat der kaiserlichen<br />
Truppen und genießen lange Zeit die Aura der Unbesiegbarkeit.<br />
Sie gelten als die Elite der französischen Armee,<br />
als des Kaisers „Kinder.“ Die Wurzeln<br />
der Alten Garde reichen auf jene Leibkompanien<br />
zurück, die <strong>Napoleon</strong> in Italien und Ägypten<br />
um sich gesammelt hatte. Sie umfassen<br />
schließlich zwei Grenadierbataillone und vier<br />
Kompanien Reiter. 1799 wird hieraus die Konsular-<br />
und 1804 die Kaiserliche Garde. Ihre Grenadiere<br />
sollen wenigstens 1,78 Meter groß sein<br />
und sich in drei Feldzügen bewährt haben. Sie<br />
bekommen einen besseren Sold, und ihre<br />
Dienstgrade sind denen der Linieninfanterie um<br />
eine Stufe höher gestellt. Ihre Uniform besteht<br />
aus auffälligen hohen Bärenfellmützen und<br />
dunkelblauen Röcken. Noch ganz in der Tradition<br />
vergangener Zeiten tragen die Grenadiere<br />
gepuderte Zöpfe und als Zeichen ihres elitären<br />
Status einen Schnurrbart. <strong>Napoleon</strong> schont<br />
die Alte Garde, in vielen Schlachten steht sie<br />
in Reserve und wird nicht eingesetzt. Sie erhält<br />
gute Quartiere, und wenn es dem Kaiser<br />
möglich ist, lässt er sie nicht marschieren,<br />
sondern in Fuhrwerken<br />
fahren, wie etwa 1805 vom Ärmelkanal<br />
bis Ulm. Diese schonende Behandlung<br />
führt zu Spötteleien<br />
im Heer. Im winterlichen Polenfeldzug<br />
1807 beschweren<br />
sich die Grenadiere <strong>über</strong> das<br />
,,Ein Ruf wie Donnerhall“: Die Grenadiere<br />
der Alten Garde sind gefürchtete<br />
Gegner. Die Farblithographie zeigt einen<br />
Angehörigen dieser Eliteeinheit, der alleine<br />
schon durch seine imposante Bärenfellmütze<br />
und den mächtigen Schnurrbart<br />
beeindruckt. Abb.: picture-alliance/akg-images<br />
kalte Wetter, was ihnen den Spitznamen „Grognards“<br />
(Brummbären) einbringt. Trotz alledem<br />
sind sie <strong>Napoleon</strong> treu verbunden. 600 Grenadiere<br />
folgen ihm 1814 ins Exil nach Elba.<br />
Im Laufe der Zeit wächst die Kaiserliche Garde<br />
auf 52.000 Mann an – sie ist eine Armee<br />
in der Armee. Doch die vier Grenadierregimenter<br />
der Alten Garde genießen nach wie vor den<br />
größten Status. Dieser wird jedoch im Laufe<br />
der Zeit angezweifelt, da die Regimenter nach<br />
der Schlacht bei Austerlitz kaum noch in<br />
Kämpfe verwickelt werden. Bei Borodino 1812<br />
bilden sie die letzte Reserve <strong>Napoleon</strong>s, und<br />
er scheut ihren Einsatz. Erst bei Waterloo<br />
1815 wirft er die Grenadiere in einen<br />
vermeintlich entscheidenden<br />
Angriff gegen die englischen<br />
Stellungen – und sie werden zurückgeschlagen!<br />
An der Stelle, wo<br />
das letzte Gardekarree vernichtet wird<br />
steht heute das Denkmal des Aigle<br />
blessé (verwundeter Adler). Die Kaiserliche<br />
Garde wird zuerst 1814<br />
und nach <strong>Napoleon</strong>s zweiter<br />
Abdankung endgültig im<br />
August 1815 durch<br />
Ludwig XVIII. abgeschafft.<br />
FAKTEN<br />
Zeit: 1799 Konsulargarde, ab<br />
1804 Kaiserliche Garde (bis 1815)<br />
Uniform: Bärenfelltschako mit Messingblech,<br />
blauer Rock, weiße Hosen, Kalbfelltornister<br />
Waffen: Muskete M 1777 (mit Messinglaufringen,<br />
nur für die Garde), Grenadiersäbel<br />
(als Ehrenzeichen)<br />
Taktik: Linienformationen und<br />
Angriffskolonnen<br />
Schlachten: Marengo (1800),<br />
Austerlitz (1805), Borodino (1812),<br />
Leipzig (<strong>1813</strong>), Waterloo (1815)<br />
Die Alte Garde im Film: Austerlitz (1960),<br />
Waterloo (1970)<br />
Clausewitz 4/2013
Inhalt<br />
Abb.: picture-alliance/maxppp<br />
Clausewitz 4/2013<br />
Titelthema<br />
Die Jahrhundertschlacht. ....................................................................................................10<br />
„Völkerschlacht“ bei Leipzig <strong>1813</strong><br />
Im Angesicht des Todes. .......................................................................................................24<br />
Das Leid der Menschen in Leipzig <strong>1813</strong><br />
Mittel des Krieges. ..............................................................................................................................28<br />
Waffen und Technik der <strong>Napoleon</strong>ischen Kriege<br />
Titelgeschichte<br />
Die<br />
200 Jahre „Völkerschlacht“ – Leipzig <strong>1813</strong><br />
Jahrhundertschlacht<br />
16. bis 19. Oktober <strong>1813</strong>: Mehr als 500.000 Soldaten stehen sich bei Leipzig gegen<strong>über</strong>.<br />
Der Ausgang der bis dato größten Schlacht der Weltgeschichte hat erhebliche<br />
Auswirkungen auf die Herrschaft <strong>Napoleon</strong>s <strong>über</strong> weite Teile Europas. Von Eberhard Birk<br />
MASSENHEERE IM KAMPF:<br />
Bei Leipzig treffen Mitte Oktober <strong>1813</strong> insgesamt<br />
mehr als eine halbe Million Soldaten beider<br />
Lager im Kampf aufeinander. Die Zahl der<br />
Toten und Verwundeten ist erschreckend hoch.<br />
10<br />
11<br />
Es ist vollbracht: Die Allianz von Preußen,<br />
Österreich und Russland sowie Schweden<br />
erringt bei Leipzig im Oktober <strong>1813</strong> einen<br />
historischen Erfolg. Abb.: ullstein bild – Imagno<br />
Magazin<br />
Neues zur Militärgeschichte, Ausstellungen und Bücher .......................6<br />
Schlachten der Weltgeschichte<br />
Dritte Schlacht um Charkow im März 1943. ...........32<br />
Mansteins „unvollendeter Sieg“<br />
Museen & Militärakademien<br />
West Point. ................................................................................................................................................40<br />
Weltberühmte „Ausbildungsschmiede“ der US-Armee<br />
Titelbild: Kampfszene (Ausschnitt) aus der Schlacht bei Möckern<br />
am 16. Oktober <strong>1813</strong>, Farbdruck, um 1900, nach Richard Knötel.<br />
Schlachten der Weltgeschichte<br />
Wien 1683. ............................................................................................................................................42<br />
Die Schlacht um den „Goldenen Apfel“<br />
Militärtechnik im Detail<br />
Das Maschinengewehr MG42. ...................................................................48<br />
Die gefürchtete Schnellfeuerwaffe der Wehrmacht<br />
Militär und Technik:<br />
Starke „Alleskönner“. .....................................................................................................50<br />
Berge- und Pionierpanzer aus West und Ost<br />
Messerschmitt 262. ...........................................................................................................58<br />
Der erste in Serie gebaute Strahljäger der Welt<br />
4
32<br />
Foto: BW Heer/Carsten Heide<br />
Clausewitz 4/2013<br />
Clausewitz 4/2013<br />
Clausewitz 4/2013<br />
Foto: ullstein bild – Walter Frentz<br />
Foto: picture-alliance/Artcolor<br />
Foto: Sammlung John Provan<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
Foto: Sammlung Dirk Krüger<br />
Foto: Sammlung John Provan<br />
Clausewitz 4/2013<br />
Clausewitz 4/2013<br />
Abb.: picture alliance/akg<br />
Clausewitz 4/2013<br />
Abb.: picture-alliance/akg<br />
Foto: DEHLA<br />
Schlachten der Weltgeschichte<br />
Schlachten der Weltgeschichte<br />
Dritte Schlacht um Charkow 1943<br />
Mansteins<br />
„unvollendeter<br />
Sieg“<br />
SPUREN DES KAMPFES: Schützenpanzerwagen<br />
vom Typ Sd.Kfz. 250 einer<br />
Einheit der Waffen-SS beim Durchqueren<br />
eines von deutschen Truppen<br />
eroberten Dorfes südwestlich von<br />
Charkow.<br />
Wien 1683<br />
Die Schlacht um den<br />
„Goldenen Apfel“<br />
Die Osmanische Armee<br />
Etwa 100.000 Mann<br />
Knapp 200 Geschütze<br />
15. bis 17. Jahrhundert: Neben allen internen<br />
Konflikten hält spätestens seit dem Fall von Konstantinopel<br />
1453 eine große Gefahr Europa in Atem: die<br />
türkische Expansion. 1529 sind die Osmanen bereits<br />
ein erstes Mal die Donau hinauf nach Wien gezogen.<br />
Gut 150 Jahre später stehen sie wieder vor den<br />
Toren der Stadt…<br />
Von Alexander Querengässer<br />
D<br />
ie strategisch wichtige Stadt, die wie ein<br />
Korken zwischen den steilen Bergwänden<br />
der Alpen und den Karpaten sitzt,<br />
gilt den Türken als „Goldener Apfel“. Ein früh<br />
einbrechender Winter und die hartnäckige<br />
Verteidigung der Landsknechtsbesatzung verhinderten<br />
1529 zwar den Fall der Stadt, doch<br />
nicht die Inbesitznahme des gesamten Balkanraums<br />
durch die Heere des Sultans. Im<br />
17. Jahrhundert erreicht die Macht der Osmanen<br />
ihren Höhepunkt.<br />
Die Entwicklung des Reiches beginnt<br />
langsam, aber spürbar zu stagnieren, und es<br />
setzt die innere Fäulnis ein, die das Weltreich<br />
in den nächsten 300 Jahren zernagen wird.<br />
Davon merken die Habsburger jedoch zunächst<br />
nur sehr wenig. In den Siebzigerjahren<br />
befinden sie sich in einem kräftezerrenden<br />
Krieg mit den Armeen des Sonnenkönigs<br />
am Rhein und in Italien, sowie dem<br />
aufsässigen protestantischen Adel in Nordungarn.<br />
Die Osmanen machen sich diese Situation<br />
zunutze und schicken ein neues starkes<br />
Heer, welches den „Goldenen Apfel“ zu Fall<br />
bringen soll, nach Westen. Es untersteht dem<br />
Großwesir Kara Mustafa, einem erfahrenen<br />
und erfolgreichen Soldaten. Den Vortrab seiner<br />
Armee bilden 40.000 Tataren, leichte<br />
schnelle Kavallerie, die die wenigen österreichischen<br />
Verbände westlich Wiens schnell<br />
vertreibt. Die Elite des Heeres besteht aus<br />
den Janitscharen, zum Islam konvertierte<br />
Christenkinder, die nun als Infanterie dienen,<br />
und den Spahis. Diese rekrutieren sich<br />
aus dem niederen Adel und fungieren als<br />
Mehrzweckkavallerie: sie können schnell in<br />
weit entlegene Gebiete vorstoßen und aufklären,<br />
bilden aber auch das berittene Rückgrat<br />
des Heeres in der Schlacht.<br />
Frühjahr 1943: Der gesamte Südflügel der deutschen Ostfront befindet sich auf dem<br />
Rückzug. Um die Front zu stabilisieren, entscheidet sich Hitler für eine Gegenoffensive<br />
unter Mansteins Führung in Richtung Charkow.<br />
Von Lukas Grawe<br />
D<br />
er teilweise ungeordnete Rückzug<br />
nach der Vernichtung der 6. Armee bei<br />
Stalingrad führt zu Beginn des Jahres<br />
1943 zu einer Frontlücke zwischen den Heeresgruppen<br />
(HGr.) Mitte und Süd, durch die<br />
sowjetische Truppen nach Westen durchstoßen<br />
und den Südflügel des deutschen Hee-<br />
HGr. Süd, Generalfeldmarschall Erich von<br />
Hitler weist daher den Befehlshaber der<br />
res bedrohen können. Innerhalb dieser Lücke Manstein, an, die Offensivbemühungen auf<br />
stellt die Großstadt Charkow ein wichtiges die erst wenige Wochen zuvor geräumte<br />
strategisches und prestigeträchtiges Ziel dar. Stadt zu konzentrieren.<br />
Zahlenmäßig ist die HGr. Süd den sowjetischen<br />
Truppen weit unterlegen. Unter hohem<br />
Risiko und mit Hilfe einer Truppenrochade<br />
vom Südflügel der HGr. nach Nordwesten<br />
gelingt es Manstein Mitte Februar<br />
jedoch, einen schlagkräftigen Angriffsverband<br />
zusammenzustellen. Nach den vorangegangenen<br />
Niederlagen im Osten ist die<br />
deutsche Militärführung dringend auf Erfolge<br />
angewiesen, um das sehr angeschlagene<br />
Ostheer zum Weiterkämpfen zu motivieren.<br />
HEERESGRUPPENCHEF:<br />
Generalfeldmarschall Erich<br />
von Manstein kann mit den<br />
Verbänden seiner HGr. Süd<br />
den Gegner aus Charkow verdrängen,<br />
doch dieser Erfolg<br />
ist nicht von langer Dauer.<br />
S.32<br />
33<br />
Das Entsatzheer<br />
39.400 Infanteristen<br />
34.400 Kavalleristen<br />
152 Geschütze<br />
Die verteidiger Wiens<br />
16.000 Soldaten und eingezogene Landwehr<br />
etwa 130 bis 140 Festungsgeschütze<br />
42<br />
IN LETZTER MINUTE: Das christliche<br />
Entsatzheer bringt am 12. September die<br />
Rettung für das belagerte Wien. Das Ölgemälde<br />
zeigt die entscheidende Schlacht<br />
am Kahlenberg.<br />
Anti-Osmanisches Bündnis<br />
Durch das schnelle Vordringen des Feindes<br />
sieht sich Kaiser Leopold am 7. Juli dazu veranlasst,<br />
von Wien nach Linz zu fliehen. In der<br />
bedrohten Stadt verbleiben 16.000 Mann unter<br />
dem Grafen Ernst Rüdiger von Starhemberg.<br />
Einen guten Teil dieser Truppen stellen Landwehrformationen<br />
aus der Studentenschaft<br />
und den einzelnen Zünften dar.<br />
Doch auch Österreich<br />
S.42<br />
ist nicht ganz unvorbereitet.<br />
Am 26. Januar war unter Vermittlung<br />
des Papstes ein Bündnis mit Polen geschlossen<br />
worden. Das Land ist eine alte Großmacht,<br />
deren Niedergang schon viel weiter<br />
voran geschritten ist, als der des Osmanischen<br />
Reiches. Doch unter Jan III. Sobieski kann das<br />
43<br />
Militär und Technik<br />
Militär und Technik | Me 262<br />
Berge- und Pionierpanzer aus West und Ost<br />
Starke „Alleskönner“<br />
Kalter Krieg: Das Herausziehen festgefahrener oder beschädigter Kampfpanzer ist ihr<br />
„Alltagsgeschäft“. Berge-, Pionier- und Kranpanzer sind in beiden deutschen Armeen die<br />
Kraftprotze unter den Fahrzeugen für die Kampfunterstützung. Von Jörg-M. Hormann<br />
BERGEPANZER T-72TK: Das letzte<br />
Modell eines Bergepanzers der NVA<br />
ist vor der Wende noch mit ganzen<br />
drei Exemplaren zum Einsatz gekommen.<br />
Der erste in Serie gebaute Strahljäger der Welt<br />
Messerschmitts<br />
„Turbo“<br />
Ende 1944: Die Me 262 bringt ihren zahlenmäßig <strong>über</strong>legenen Gegnern das Fürchten<br />
bei. Doch es gibt auch Schattenseiten: Unausgereifte Technik und mangelnde Ausbildung<br />
fordern einen hohen Blutzoll in den eigenen Reihen. Von Wolfgang Mühlbauer<br />
D<br />
ie staatlich unterstützte Arbeit an Turbinen-Luftstrahl-Triebwerken<br />
(TL)<br />
nimmt in Deutschland ab Frühling<br />
1938 konkrete Formen an. Das Technische<br />
Amt des Reichsluftfahrtministeriums<br />
(RLM), zuständig für alle Entwicklungsprogramme,<br />
informiert zu Herbstanfang<br />
schließlich führende Vertreter der Zellenund<br />
Flugmotorenindustrie offiziell <strong>über</strong> die<br />
neuen Antriebe. Dabei wird die Bildung eines<br />
„süddeutschen Entwicklungsschwerpunktes"<br />
durch Messerschmitt und BMW<br />
angeregt, die beide noch im selben Jahr erste<br />
Studienaufträge erhalten.<br />
Ambitioniertes Vorhaben<br />
Messerschmitt setzt ab Oktober sein Projektbüro<br />
auf ein entsprechendes Jagdflugzeug<br />
an. Man legt es vorsichtshalber zweistrahlig<br />
aus, da klare Angaben zum An-<br />
triebsaggregat fehlen. Nur ein geplanter Spornradfahrwerk. Die Bordwaffen sind in<br />
Standschub von 600 kp und ein Höchstdurchmesser<br />
von 600 mm stehen im Raum. chen integriert.<br />
die Bugspitze, die Triebwerke in die Flä-<br />
Zwischenzeitlich, am 4. Januar 1939, gibt<br />
das RLM die „vorläufigen Richtlinien für Erstflug mit Kolbenmotor<br />
schnelle Jagdflugzeuge mit Strahltriebwerk“<br />
heraus. Darin sind ein Jäger sowie schmitts Vorstellung einer aerodynamisch<br />
Der Entwurf ist typisch für Willy Messer-<br />
ein Heimatschützer verlangt; beide maximal<br />
900 km/h schnell. Als theoretische Ba-<br />
sieht seine Entwicklungsmannschaft an-<br />
optimalen Gestaltung. Doch vieles davon<br />
sis für das P 1065 genannte Messerschmitt- ders. Zum Beispiel setzt sie in der Folge einen<br />
dreieckigen Rumpfquerschnitt durch:<br />
Projekt dienen zwangsweise oft reine<br />
Schätzwerte. Der Startschuss zur Entwicklung<br />
fällt am 1. April 1939. Etwa zeitgleich ermöglicht problemlos ein Bugrad und ver-<br />
er ist aerodynamisch wie statisch günstiger,<br />
beginnt Bramo (Brandenburgische Motorenwerke),<br />
mittlerweile ein Zweigbetrieb werks, dessen breite Räder nun im auslaeinfacht<br />
die Unterbringung des Hauptfahr-<br />
von BMW, mit der Entwicklung des Strahltriebwerks<br />
P 3302.<br />
genzug kann der Flügel dünn, leicht und<br />
denden Dreiecksrumpf Platz finden. Im Ge-<br />
Das erste Projektangebot zur P 1065 vom damit „schnell“ gehalten werden. Der Bau<br />
7. Juni 1939 zeigt einen kleinen Tiefdecker erster Versuchsmuster (V) wird am 1. März<br />
mit Trapezflügeln, ovalem Rumpf und 1940 freigegeben. Zwischenzeitlich steigen<br />
„BERGELEO“: Die gängige Bezeichnung<br />
der Bundeswehr für den Bergepanzer 2.<br />
S<br />
ommer 1972: Es ist schießfreies Wochenende<br />
auf dem NATO-Truppenübungsplatz<br />
Bergen-Hohne in der Lüneburger<br />
Heide. Doch aus dem erhofften entspannten<br />
Wochenende wird nichts: „Wenn wir nicht<br />
schießen können, weil sich die Touristen die<br />
Hünengräber der ‚Sieben Steinhäuser’ inmitten<br />
des Platzes ansehen wollen, dann fahren<br />
wir eben. Also meine Herren, Fahrübungen<br />
im Kompanieverband“, so der Befehl des<br />
Kompaniechefs. Die rund 80 Mann seiner Panzerbesatzungen<br />
denken alle das Gleiche: Mit<br />
unseren betagten M48-Kampfpanzern sollen<br />
wir stundenlang durch das Gelände preschen?<br />
Na dann viel Spaß!<br />
Panzerschützen ist die imponierende Außenwirkung<br />
ihrer rund 47,5 Tonnen Stahl in<br />
Bewegung oft eher gleichgültig. Für sie ist<br />
die „Innenwirkung“ ihrer Waffe von Bedeutung:<br />
Blaue Flecken beim Durchschlagen der<br />
Fahrwerke in zügiger Fahrt durch welliges<br />
50<br />
Gelände, Rohrreinigen nach Staubwolkenfahrt,<br />
Endverbinder anziehen bei jedem und ich stehe mit meinem M48 in der „Wa-<br />
Besatzung bei mir aufsitzen!“ Weg waren sie<br />
technischen Halt – und so weiter und so weiter.<br />
Alles Dinge, die in der brütenden Somplatz<br />
im Sommer ist der auf dem Tarnnetz in<br />
lachei“. Übrigens: Der bequemste Schlafmerhitze<br />
wahre Freude bei den Männern der Heckablage des Panzerturmes.<br />
aufkommen lassen.<br />
Geweckt werde ich von dem morgendlichen<br />
Vogelgezwitscher und dem näherkommenden<br />
typischen „Leo-Brummen“. Ziem-<br />
Mit Motorschaden im Gelände<br />
Dieses Mal erwischt es meinen Kampfpanzer.<br />
In einem Kusselgelände auf irgendeiner gelbgrauen Staubfahne größer. Wo wir uns<br />
lich schnell wird der dunkle Punkt unter der<br />
Schießbahn bleibt er mit Motorschaden liegen.<br />
Alle Bemühungen des Fahrers, die „al-<br />
Schießbahn gekämpft haben, rauscht der<br />
mit dem M48 durch jede Bodenwelle der<br />
te Dame“ wieder in Gang zu bringen, schlagen<br />
fehl. Nun heißt es: gelbe Signalflagge Bezeichnung, mit Tempo 50 <strong>über</strong> die Wellen<br />
„Bergepanzer 2 Leopard 1“, so die offizielle<br />
raus und warten. In der beginnenden Dämmerung<br />
quält sich der „Munga“ des Chefs gen ist Minutensache. Mit dem Aufbrüllen<br />
hinweg. Das Anschlagen der Schleppstan-<br />
zu seinem fehlenden Panzer. „Fahnenjunker des 830 PS starken Mehrstoffmotors beginnt<br />
Hormann, Sie bleiben beim Fahrzeug, hier das „Alltagsgeschäft“ des Bergepanzers.<br />
haben sie noch ein EPa [Einmannpackung; In diesem Fall ist es das Abschleppen eines<br />
liegengebliebenen Panzers, aber mit im-<br />
kleines Verpflegungspakt der Bundeswehr].<br />
Ich schicke ihnen einen ,Bergeleo’, restliche merhin zehn Tonnen mehr Gewicht auf den<br />
Ketten, als das Schleppfahrzeug. Fast spielerisch<br />
zieht der „Bergeleo“ seine Last durch<br />
das Gelände.<br />
Gepanzertes Arbeitsgerät<br />
Nach offizieller „Lesart“ der Bundeswehr<br />
handelt es sich bei den Bergepanzern um<br />
schwere Kampfunterstützungsfahrzeuge:<br />
„Diese gepanzerten Arbeitsgeräte kommen<br />
im Gefechtsfeld zum Einsatz, um zerstörte<br />
oder beschädigte Panzer, Lkw und schweres<br />
Gerät zu bergen und sie den Instandsetzungseinheiten<br />
zuzuführen. Das Einsatzspektrum<br />
eines modernen Bergepanzers<br />
umfasst auch das Sichern von Kettenfahrzeugen<br />
bei Gewässerdurchfahrten, die Einsatzunterstützung<br />
bei Instandsetzungsarbeiten<br />
und das Bergen von Kampfpanzern<br />
mit Schnellbergeeinrichtung unter Panzerschutz.<br />
Außerdem die Kranassistenz beim<br />
Ein- und Ausbau von Motoren, das Räumen<br />
von Hindernissen und bei Bedarf auch Erdarbeiten.“<br />
Zur Durchführung dieser Aufgaben sind<br />
Berge- und Pionierpanzer im Westen und im<br />
Osten des geteilten Deutschlands mit entsprechenden<br />
Gerätschaften und<br />
Vorrichtungen versehen. Hierzu<br />
gehören Seilwinden, Hebegeräte<br />
und auch Kräne. Außerdem<br />
werden Materialien und gängige<br />
Ersatzteile mitgeführt. Umfangreiche<br />
Werkstattausrüstungen<br />
bis hin zu Schneid- und<br />
HINTERGRUND Bergepanzer im Zweiten Weltkrieg<br />
Solange eingesetzte Panzer kritische Gewichtsgrenzen<br />
nicht <strong>über</strong>schreiten, ist die der Drehturm mit Kanone weggelassen wird.<br />
1943 entsteht der „Bergepanther“, bei dem<br />
Bergung mit üblicher Kranhilfe und Winden Auf dem Fahrgestell des „Panther“ befindet<br />
möglich. Doch im Zweiten Weltkrieg werden sich nun ein quadratischer Holz- und Metallaufbau<br />
und in der Panzerwanne eine Winde<br />
die Kampfpanzer immer schwerer und die<br />
Bergung liegengebliebener oder abgeschossener<br />
Panzer auf dem Gefechtsfeld immer großer Erdsporn dient zu Abstützung und ein<br />
mit einer Längszugkraft von 40 Tonnen. Ein<br />
schwieriger. Es setzt sich die Erkenntnis einfacher Kranausleger mit 1,5 Tonnen Hebekraft<br />
ergänzt die Ausrüstung.<br />
durch, dass nur ein gleichschwerer Panzer<br />
einen „Gewichtskameraden“ bergen kann. Da sind bereits erste Fahrzeugähnlichkeiten<br />
Doch genau solche Bergeaktionen sind auf zu den Bergepanzern zu erkennen, die nach<br />
dem Schlachtfeld verboten, um der Gefahr dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelt<br />
werden.<br />
des doppelten Abschusses zu begegnen.<br />
URVATER „BERGEPANTHER“: Die technische<br />
Grundkonstruktion zukünftiger Bergepanzer ist<br />
beim „Bergepanther“ bereits zu erkennen.<br />
S.50<br />
51<br />
Abb.: Sammlung Jörg-M. Hormann<br />
58<br />
S.58<br />
WUNDERVOGEL: Die Me 262 hat das Potential, jedem Gegner<br />
die Stirn zu bieten. Hier die V6 anlässlich einer Vorführung am<br />
2. November 1943 mit Hermann Göring (in Lechfeld), sie ist<br />
die erste Me 262 mit einziehbarem Bugrad.<br />
59<br />
Spurensuche<br />
„Führersperrgebiet Obersalzberg“<br />
Hitlers Residenz<br />
in den Bergen<br />
68<br />
HERRSCHAFTLICH: Hitlers<br />
Anwesen auf dem<br />
„Obersalzberg“ wird in den<br />
1930er-Jahren mehrfach<br />
aus- und umgebaut.<br />
Hier empfängt der „Führer“<br />
zahlreiche Spitzenpolitiker<br />
und Militärs aus dem<br />
In- und Ausland.<br />
D<br />
Mai 1945: US-Truppen besetzen das<br />
weitläufige Areal um Hitlers „Berghof“ und<br />
bleiben dort bis 1995. Heute sind viele<br />
Spuren der NS-Vergangenheit weitgehend<br />
„verwischt“.<br />
Von John Provan<br />
as Areal „Obersalzberg“ war von<br />
1933/34 bis in den Zweiten Weltkrieg<br />
hinein eines der größten Bauvorhaben<br />
im NS-Staat. Nach der alliierten Bombardierung<br />
wenige Tage vor Kriegsende bleiben<br />
zahlreiche Fundamente und Ruinen zerstörter<br />
oder beschädigter Gebäude des ehemaligen<br />
„Führersperrgebietes Obersalzberg“<br />
noch lange Zeit erhalten.<br />
Mit der Besetzung durch US-Truppen entsteht<br />
das AFRC („American Forces Recreation<br />
Center“), in dem GIs in den alten NS-Gebäuden<br />
entspannen. Die Amerikaner nutzen<br />
und pflegen die Häuser und deren Innenausstattung,<br />
die sie 1945 vorfanden, bis zu<br />
ihrem Abzug im Jahr 1995.<br />
Nach der Übergabe an den Freistaat Bayern<br />
werden die Gebäude und Ruinen des<br />
„Obersalzbergs“, dem Verfall preisgegeben<br />
und schließlich größtenteils abgetragen.<br />
Rückblick: Am 9. November 1923 versuchte<br />
Adolf Hitler durch einen Putsch in<br />
München, an die Macht in Deutschland zu<br />
gelangen. Dieser Putsch misslang und Hitler<br />
wurde zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt.<br />
Während dieser Zeit begann er, sein<br />
Buch „Mein Kampf“ zu schreiben. Nach seiner<br />
vorzeitig beendeten Haft versteckte sich<br />
Hitler – ähnlich wie der „Schriftleiter“ des<br />
NS-Organs „Völkischer Beobachter“ Dietrich<br />
Eckart – in einer kleinen Hütte oberhalb des<br />
„Platterhofs“ am „Obersalzberg“.<br />
Ende der 1920er-Jahre fühlte sich Hitler<br />
nicht mehr verfolgt und mietete zunächst<br />
das „Haus Wachenfeld“. Später – nach der<br />
NS-Macht<strong>über</strong>nahme im Deutschen Reich –<br />
kaufte der neue Reichskanzler das Landhaus,<br />
auf das Hitler bereits 1932 ein Vorkaufsrecht<br />
erworben hatte, und ließ es groß-<br />
PROST AUF DEN SIEG:<br />
Im Mai 1945 kommen die<br />
Amerikaner und<br />
bleiben 50 Jahre.<br />
UNTERSCHLUPF: Erstes Versteck des<br />
gescheiterten Putschisten nach seiner Festungshaft.<br />
Eine primitive Holzhütte oberhalb<br />
des „Platterhofs“.<br />
zügig umbauen und erweitern. Heinrich<br />
Hoffmann, sein Leibfotograf, stellte den<br />
„Berghof“ auf seinen Fotopostkarten anfangs<br />
als bescheidenen Wohnsitz dar.<br />
Nach 1933 erwarb die NS-Führung neue<br />
Gebäude am „Obersalzberg“. Eigentümern,<br />
die nicht bereit waren, ihr Anwesen zu verkaufen,<br />
wurde mit Inhaftierung gedroht. So<br />
konnten Hitler und die NS-Partei innerhalb<br />
kurzer Zeit zahlreiche Gebäude am „Obersalzberg“<br />
erwerben. Das einst abgelegene<br />
Dorf inmitten einer idyllischen Berglandschaft<br />
wurde nun zur größten Baustelle<br />
Deutschlands.<br />
Die rege Bautätigkeit geht in der zweiten<br />
Hälfte der 1930er-Jahre ununterbrochen weiter.<br />
Aber auch im nahe gelegenen Berchtesgaden<br />
wurde viel gebaut. Vor allem Politiker<br />
aus dem Ausland sollten durch den Ausbau<br />
der Infrastruktur einen positiven Eindruck<br />
vom „neuen Deutschland“ bekommen. So<br />
wurden ein am 21. Januar 1934 offiziell<br />
S.68<br />
69<br />
Feldherren<br />
Feldmarschall Radetzky<br />
Österreichs<br />
erfolgreicher<br />
Heerführer<br />
W<br />
enn es eine personalisierte Symbiose<br />
zwischen Militär und Staat im revolutionäre Frankreich kämpft er auf<br />
ersten Jahren der Koalitionskriege gegen das<br />
Kaiserstaat Österreich im 19. Jahrhundert<br />
gab, dann war es der am 2. Novem-<br />
den Jahren bis 1805 zum Generalmajor auf.<br />
Schlachtfeldern Mitteleuropas und steigt in<br />
ber 1766 in Trebnic (Böhmen) geborene, fünf Der Krieg Österreichs gegen <strong>Napoleon</strong><br />
Monarchen dienende Johann Joseph Wenzel von 1809 zeigt ihn dann bereits als souveränen<br />
Truppenführer und gleichzeitig als<br />
Graf Radetzky von Radetz. Der später legendenverklärte<br />
„Soldatenvater“ Feldmarschall furchtlosen Kämpfer. Seine Laufbahn erreicht<br />
ihren ersten großen Höhepunkt in der<br />
Graf Radetzky fand nicht nur in der militärischen<br />
Traditionsbildung allgemein und in Beförderung zum Feldmarschallleutnant<br />
dem bis zum Ende der k.u.k.-Monarchie 1918 und der Ernennung zum Chef des Generalquartiermeisterstabes.<br />
Zu diesem Zeitpunkt<br />
existierenden Husarenregiment Nr. 5 „Radetzky“<br />
seine menschenmögliche „Unsterblichkeit“.<br />
Er war auch der erste Ehrenbürger wie etwa Ritter des Militär-Maria-Theresiaist<br />
er schon längst ein mit mehreren Orden –<br />
Wiens. Für ihn schrieb der Dichter Grillparzer<br />
seine bekannte Grußadresse: „Glück auf, „Kriegsheld“. <strong>1813</strong> wird er folgerichtig zum<br />
Ordens – ausgezeichneter und populärer<br />
mein Feldherr, führe den Streich! Nicht bloß Generalstabschef der großen Allianz gegen<br />
um des Ruhmes Schimmer – In deinem Lager <strong>Napoleon</strong>, die diesen nach dessen gescheitertem<br />
Russlandfeldzug von 1812 aus Zen-<br />
ist Österreich.“<br />
traleuropa <strong>über</strong> den Rhein vertreiben soll.<br />
Ein Leben für Österreich<br />
Radetzkys individuelle militärische Biographie<br />
beeindruckt noch immer: Nach seinem Österreich, Russland und Preußen hatten in<br />
Generalstabschef gegen <strong>Napoleon</strong><br />
Eintritt in das Kürassierregiment Caramelli den Jahren 1805–1809 schmerzhaft die Überlegenheit<br />
<strong>Napoleon</strong>s erfahren, den Radetzky<br />
(Nr. 2) am 1. August 1784 beginnt eine rasante<br />
und abwechslungsreiche Karriere, die als „Schreckensmann unserer Zeit“ bezeichnet.<br />
Der „Frühjahrsfeldzug“ Preußens und<br />
durch einen Wechsel von Truppen- und<br />
Stabsverwendungen, die Teilnahme an vielen<br />
Feldzügen und Schlachten, zahlreichen fenstillstand vom Juni <strong>1813</strong> unentschieden.<br />
Russlands gegen <strong>Napoleon</strong> endete im Waf-<br />
Verwundungen und Auszeichnungen aufgrund<br />
außergewöhnlicher persönlicher Tapreich<br />
im Geheimvertrag von Reichenbach<br />
Diplomatische Verhandlungen führen Österferkeit<br />
und couragierter Führungsleistungen vom 27. Juni <strong>1813</strong> an die Seite von Preußen<br />
geprägt ist. Als junger Ordonnanzoffizier bei Russland und Schweden. Am 11. August <strong>1813</strong><br />
den Feldherren Lacy und Laudon ist er im erklärt Österreich <strong>Napoleon</strong> den Krieg.<br />
„Türkenkrieg“ von 1788/89 dabei. In den Radetzky ist zu dieser Zeit der Chef des<br />
74<br />
22. September 1849: Bei einer Truppenschau<br />
in Wien ertönt zu Ehren des greisen<br />
Feldmarschalls der „Radetzky-Marsch“ –<br />
eine habsburgische „Marseillaise“. Der österreichische<br />
Kaiserstaat feiert sich und seinen<br />
größten Feldherrn.<br />
Von Eberhard Birk<br />
ERFOLGREICHER FELDHERR: Radetzky wirft die<br />
Revolution in Oberitalien nieder und erzwingt einen<br />
Waffenstillstand mit Piemont-Sardinien. Das<br />
Gemälde von Albrecht Adam zeigt den Generalissimus<br />
mit seinem Stab vor Mailand 1848.<br />
FAKTEN Schlachten<br />
16.–19.10.<strong>1813</strong> Völkerschlacht bei Leipzig<br />
06.05.1848 Santa Lucia<br />
11.06.1848 Vicenza<br />
22.08.1848 Custozza<br />
21.03.1849 Mortara<br />
23.03.1849 Novara<br />
S.74<br />
75<br />
Meinung<br />
Die Logik des „Overkill“. ........................................................................................65<br />
US-Atompolitik während des Kalten Krieges<br />
Das außergewöhnliche Exponat<br />
Deutschlands einziger „Tiger“......................................................................66<br />
Das Deutsche Panzermuseum<br />
Munster präsentiert einen restaurierten<br />
Panzerkampfwagen VI („Tiger I“)<br />
Spurensuche<br />
„Führersperrgebiet Obersalzberg“. ...................................................68<br />
Hitlers Residenz in den Bergen<br />
Feldherren<br />
Feldmarschall Radetzky. .........................................................................................74<br />
Österreichs erfolgreicher Heerführer<br />
Ein Bild erzählt Geschichte<br />
Vom Foto zum Gemälde. ........................................................................................80<br />
Marinemaler Olaf Rahardt <strong>über</strong> sein Bild zum<br />
Schlachtschiff BISMARCK<br />
<strong>Vorschau</strong>/Impressum ...........................................................................................................................82<br />
Titelfotos: picture-alliance/Mary Evans Picture Library; picture-alliance/akg-images;<br />
picture-alliance/Judaica-Sammlung Richter; ullstein bild; picture-alliance/akg-images/<br />
Erich Lessing; Sammlung Jörg-M. Hormann; Sammlung Dirk Krüger<br />
Clausewitz 4/2013<br />
5
Magazin<br />
Vielseitige Exponate:<br />
Blick in die Ausstellungsräume.<br />
Foto: © Oberschlesisches<br />
Landesmuseum<br />
VÖLKERSCHLACHT-JUBILÄUM<br />
„Das Vaterland ist frey“<br />
Das Oberschlesische Landesmuseum zeigt bis 27. Oktober eine Sonderausstellung zu den „Befreiungskriegen”<br />
Wesentliche Etappen der „Befreiungskriege“<br />
werden im Oberschlesischen<br />
Landesmuseum in Ratingen mit herausragenden<br />
Leitobjekten dokumentiert.<br />
Rund 500 Exponate beleuchten seit dem<br />
28. April in der neuen Sonderschau „Das Vaterland<br />
ist frey – 200 Jahre antinapoleonische<br />
Befreiungskriege“ die Entwicklungen der napoleonischen<br />
Ära sowie die unterschiedlichen<br />
Sichtweisen darauf.<br />
Die Ausstellung widmet sich besonders<br />
dem Geschehen der napoleonischen Zeit aus<br />
preußischer Sicht. Wie wirkten sich die preußischen<br />
Reformen aus? Was waren die wichtigsten<br />
Ereignisse in Schlesien? Wie gestaltete<br />
sich das Leben unter <strong>Napoleon</strong>s Herrschaft?<br />
Wo gab es Widerstand und wie entwickelte<br />
er sich letztlich zum Aufstand? Wie erlebten<br />
unterschiedliche Bevölkerungsgruppen die<br />
Kriegsjahre <strong>1813</strong> bis 1815? Wie groß war die<br />
Beteiligung wirklich? Und wie wurden die<br />
Befreiungskriege in späterer Zeit bewertet?<br />
Antworten auf diese Fragen geben auf 500<br />
Quadratmeter mehrere hundert Exponate<br />
aus in- und ausländischen Sammlungen.<br />
Besondere Objekte der Ausstellung sind<br />
handschriftliche Entwürfe des berühmten<br />
„Aufrufes an mein Volk“, die Rheinbundakte<br />
von 1806, der Friedensvertrag von Tilsit<br />
(1807) sowie das Schlussdokument des Wiener<br />
Kongresses von 1815. Die Ausstellung<br />
eignet sich nicht nur für den individuellen<br />
Besuch, sondern spricht auch gleichermaßen<br />
Gruppen, Familien und Schulklassen an.<br />
Multimediale Elemente sowie spezielle Texte<br />
für Jugendliche lassen den Ausstellungsbesuch<br />
für Jung und Alt zu einem spannenden<br />
Erlebnis werden.<br />
Kontakt:<br />
Oberschlesisches Landesmuseum<br />
Bahnhofstraße 62 | 40883 Ratingen (Hösel)<br />
Info-Telefon: 0 21 02 / 96 50<br />
E-Mail: info@oslm.de<br />
www.oslm.de<br />
Öffnungszeiten:<br />
Di.–So. 11:00–17:00 Uhr, Mo. geschlossen<br />
DVD-TIPP<br />
Geheimakte Zweiter Weltkrieg<br />
Stalins Beziehungen zu Hitler, Churchill und Roosevelt<br />
Die „offizielle“ Version historischer<br />
Ereignisse ist oft verzerrt<br />
oder geschönt – dies versucht<br />
die Dokumentation „Geheimakte<br />
Zweiter Weltkrieg“ zu demonstrieren.<br />
Die Spielszenen basieren auf<br />
Archivmaterial, das erst zugänglich<br />
wurde, als die von Stalin geschaffene<br />
Welt ab 1989 zerfiel.<br />
Manche Aussage hochrangiger<br />
Politiker wird somit als reine Propaganda<br />
entlarvt.<br />
Der Zweiteiler hat ein ausgewogenes<br />
Verhältnis von Reenactments,<br />
Originalaufnahmen und<br />
Interviews mit Zeitzeugen (darunter<br />
ehemalige Opfer der sowjetischen<br />
Geheimpolizei und Veteranen<br />
aller Kriegsparteien).<br />
Was wussten Churchill und Roosevelt<br />
<strong>über</strong> das wirkliche Vorgehen<br />
ihres Verbündeten im Osten?<br />
Oder: Wie viel wollten sie wissen<br />
und welche Kompromisse war<br />
ihnen der Bund mit Stalin wert?<br />
In der westlichen Öffentlichkeit<br />
wurde der sowjetische Diktator<br />
lange Zeit bewusst falsch dargestellt,<br />
um diese Allianz nicht zu<br />
gefährden (die Vertuschung des<br />
Massakers von Katyn ist nur ein<br />
Beispiel). Erst gegen Ende des<br />
Zweiten Weltkriegs – als bereits<br />
<strong>über</strong> die Neuordnung Europas<br />
verhandelt wurde – traten die<br />
Differenzen offener zu Tage. Wer<br />
wissen will, was hinter verschlossenen<br />
Türen gesprochen wurde<br />
sollte einen Blick in diese Geheimakte<br />
wagen (Originaltitel:<br />
„Behind Closed Doors“).<br />
Geheimakte Zweiter Weltkrieg.<br />
Hitler, Stalin und der Westen.<br />
BBC/Großbritannien 2009, circa<br />
180 Minuten Laufzeit.<br />
Stalin, Hitler, Churchill<br />
und Roosevelt: Die Entscheidungen<br />
einzelner<br />
„Staatslenker“ beeinflussen<br />
das Schicksal<br />
von Millionen Menschen.<br />
Fotos: polyband Medien GmbH<br />
6
Foto: Steffen Verlag<br />
BUCHVORSTELLUNG<br />
Im Dienst der Volksmarine<br />
Innenansichten der DDR-Seestreitkräfte<br />
Interessante und auf diese Weise<br />
bislang unerzählte Innenansichten<br />
der DDR-Seestreitkräfte vermittelt<br />
Herausgeber Fregattenkapitän<br />
a.D. Dieter Flohr in seinem<br />
Buch „Im Dienst der Volksmarine“.<br />
Abseits der gängigen technischen,<br />
historischen und politischen<br />
Publikationen lässt der Journalist<br />
und ehemalige Marineoffizier eben<br />
diejenigen erzählen, die hautnah<br />
dran waren am Geschehen: Vom<br />
Stabsmatrosen bis zum Kapitän<br />
zur See berichten die Protagonisten<br />
in <strong>über</strong>sichtlichen Essays von<br />
ihrem Dienst in der Seepolizei und<br />
in der Volksmarine.<br />
Dabei spannt der Titel einen<br />
großen Bogen <strong>über</strong> die verschiedenen<br />
schwimmenden Einheiten,<br />
die unterschiedlichen Verwendungsreihen<br />
an Bord sowie<br />
34 Jahre Historie der DDR-Mari-<br />
Aus Sicht der<br />
Soldaten: Im Dienst<br />
der Volksmarine,<br />
2010. 328 S. / zahlreiche<br />
Abbildungen.<br />
ne. So manche Anekdote bringt<br />
den Leser zum Schmunzeln, doch<br />
handelt es sich keinesfalls um ein<br />
humoristisches Werk. Nicht selten<br />
werden kritische Worte gefunden<br />
– gegen<strong>über</strong> dem damaligen<br />
„Klassenfeind“, aber auch gegen<strong>über</strong><br />
dem Regime sowie der militärischen<br />
Führung an Bord und in<br />
den Stäben.<br />
Gerade die von Dieter Flohr<br />
gewählte individuelle Erzählform<br />
durch unmittelbar Beteiligte<br />
macht das Buch zu einem spannenden,<br />
subjektiv-wissenschaftlichen<br />
Zeitdokument.<br />
BUCHEMPFEHLUNG<br />
Wie Friedrich „der Große“ wurde<br />
Idealer Einstieg in die Geschichte des<br />
Siebenjährigen Krieges<br />
Facettenreich:<br />
Neue Publikation<br />
<strong>über</strong> den „Siebenjährigen<br />
Krieg”.<br />
Das Militär und die Kriege<br />
Friedrichs des Großen sind<br />
seit jeher ein zentraler Gegenstand<br />
der (Militär-)Geschichtsschreibung.<br />
Gleichwohl fehlt bisher<br />
ein griffiger, in kompakten<br />
Abschnitten flüssig formulierter<br />
Einstieg in die Thematik.<br />
Die in diesem Band vorliegenden<br />
facettenreichen Beiträge<br />
führen in die politischen<br />
und militärischen Grundlagen<br />
des Zeitalters ein. Dabei werden<br />
die gesellschaftlichen Konfliktlinien<br />
genauso behandelt<br />
wie Organisation, Ausbildung,<br />
Schlachten und die Rezeptionsgeschichte<br />
der preußischen<br />
Armee unter dem berühmten<br />
Monarchen. Das mit zahlreichen<br />
Abbildungen und farbigen<br />
Karten versehene, mehr<br />
als 300 Seiten umfassende<br />
Buch wurde in Zusammenarbeit<br />
mit dem Militärgeschichtlichen<br />
Forschungsamt in Potsdam<br />
und dem Militärhistorischen<br />
Museum in Dresden<br />
herausgegeben.<br />
Eberhard Birk, Thorsten Loch<br />
und Peter Andreas Popp (Hg.):<br />
Wie Friedrich „der Große“<br />
wurde – Eine kleine Geschichte<br />
des Siebenjährigen Krieges<br />
1756–1763, Rombach Verlag,<br />
Freiburg/Br. 2012.<br />
Foto: Rombach Verlag<br />
Foto: picture-alliance/akg-images<br />
175<br />
Vor 175 Jahren – am 8. Juli des<br />
Jahres 1838 – wurde Ferdinand Graf<br />
von Zeppelin in Konstanz geboren.<br />
Nach dem berühmten General und<br />
Luftschiffkonstrukteur werden die<br />
von ihm entworfenen sogenannten<br />
Starrluftschiffe noch heute als<br />
„Zeppeline“ bezeichnet. Er starb am<br />
8. März 1917 in Berlin.<br />
AUSSTELLUNGSTIPP<br />
„Nur Fliegen ist schöner...“<br />
Sonderausstellung zur Marinefliegerei<br />
Den in diesem Jahr zu feiernden<br />
100. Geburtstag der Magionalen<br />
Ebene. Neben allgematik<br />
vor allem auf einer rerineflieger<br />
begeht das Deutsche meinen technischen und historischen<br />
Informationen haben<br />
Marinemuseum in Wilhelmshaven<br />
bis zum 3. November 2013 sie den inhaltlichen Schwerpunkt<br />
auf die „fliegenden<br />
mit einer Sonderausstellung. Unter<br />
dem Titel „Nur Fliegen ist blauen Jungs“ in Wilhelmshaven<br />
während der frühen Jahre der<br />
schöner!? Die Marine entdeckt die<br />
dritte Dimension“ nähern sich die militärischen Seefliegerei gesetzt.<br />
Ausstellungsmacher ihrer The-<br />
Zwei Fotoalben aus dem Nachlass<br />
Originalexponate werden in der Ausstellung gezeigt, hier ein Flugfunkgerät der ersten<br />
Generation.<br />
Fotos: Ulf Kaack<br />
Klassiker: Das<br />
Modell der<br />
„Friedrichshafen<br />
F33“ ist eine<br />
Leihgabe des Deutschen<br />
Museums in München und das bekannteste<br />
deutsche Wasserflugzeug seiner Zeit.<br />
des Werkmeisters Tonius Pollmann<br />
mit hochwertigem Bildmaterial<br />
aus der Zeit von 1913 bis<br />
1920 bilden die Basis dazu.<br />
Auf diese Weise ist ein detailliertes<br />
Portrait der Marinefliegerabteilung<br />
II in Wilhelmshaven<br />
und der seinerzeit angeschlossenen<br />
Flugwerft entstanden. Von<br />
dem Fliegerstützpunkt an der Jademündung<br />
wurden während<br />
des Ersten Weltkriegs Aufklärungs-<br />
und Kampfeinsätze <strong>über</strong><br />
der gesamten Nordsee geflogen.<br />
Originalexponate wie eine Bordkanone,<br />
ein Funkgerät oder ein<br />
Propeller veranschaulichen die<br />
Thematik ebenso wie Modelle<br />
der damaligen Flugzeuge und<br />
Luftschiffe.<br />
Clausewitz 4/2013<br />
7
Clausewitz<br />
Magazin<br />
ZEITSCHICHTEN<br />
Die Fotocollage des russischen<br />
Fotografen Sergey Larenkov stellt<br />
eindrucksvoll visualisiert einen<br />
Brückenschlag zwischen Vergangenheit<br />
und Gegenwart her.<br />
www.sergey-larenkov.livejournal.com<br />
Damals: Im Juni 1940 posiert Adolf<br />
Hitler zusammen mit den Architekten<br />
Albert Speer (links) und Arno Breker vor<br />
dem zur Weltausstellung 1889 erbauten<br />
Eiffelturm. Das nationale Symbol Frankreichs<br />
wird somit kurz nach dem Sieg<br />
<strong>über</strong> die „Grande Nation“ propagandistisch<br />
von Hitler ausgenutzt.<br />
Heute: Der 324 Meter hohe Turm<br />
prägt auch heute noch das Stadtbild<br />
der Seine-Metropole und gehört mit<br />
etwa sieben Millionen Besuchern pro<br />
Jahr zu den populärsten Touristenattraktionen<br />
<strong>über</strong>haupt. Menschen aus<br />
aller Welt bestaunen täglich diese<br />
moderne Architektur-Ikone.<br />
www.sergey-larenkov.livejournal.com<br />
ERINNERUNGSTRUNK<br />
„Warrior“-Serie aus Schottland<br />
Whisky-Destillerie ehrt Wikinger<br />
Die schottische Destillerie Highland<br />
Park (HP) liegt als nördlichste<br />
Brennerei des Landes auf<br />
den Orkneys. Tradition und Pflege<br />
des geschichtlichen Erbes sind auf<br />
der alten Wikinger-Insel allgegenwärtig.<br />
HP brachte schon zahlreiche<br />
Abfüllungen mit Skandinavien-Bezug<br />
auf den<br />
Markt. Ganz aktuell ist nun<br />
eine kleine Serie zu Ehren<br />
der Krieger Svein, Einar<br />
Kriegerisches Erbe: Insgesamt<br />
sechs limitierte Flaschen erscheinen<br />
– hier abgebildet „Einar“,<br />
dessen „Wahrzeichen“ eine mächtige<br />
Streitaxt war. Foto: Highland Park<br />
und Harald. Alle drei spielten eine<br />
wichtige Rolle in der Geschichte<br />
der Orkneys. Wie bei Highland<br />
Park üblich, sind alle drei Flaschen<br />
schön aufgemacht und bieten neben<br />
dem hochprozentigen Inhalt<br />
(40%) Informationen <strong>über</strong> die drei<br />
Wikinger. Alle drei Single<br />
Malts sind geschmacklich<br />
komplex und kosten zwischen<br />
50 und 80 Euro.<br />
In nächster Zeit erscheinen<br />
noch Sigurd (43%), Ragnavald<br />
(44,6%) und Thorfinn<br />
(45,1%), um die Reihe komplett<br />
zu machen. Erhältlich<br />
im Fachhandel und an<br />
Flughäfen („Travel Value“).<br />
NEUERSCHEINUNG<br />
„Friedrich der Siegreiche“<br />
Neuer Band der Imhof-Kulturgeschichte<br />
Die Neuerscheinung stellt Kurfürst<br />
Friedrich I. von der<br />
Pfalz – eine der dominierenden<br />
Persönlichkeiten in der Mitte des<br />
15. Jahrhunderts im Heiligen Römischen<br />
Reich Deutscher Nation<br />
– in Wort und Bild ausführlich vor.<br />
Hochgebildet und persönlich<br />
tapfer zeigte er sich seinen Gegnern<br />
gegen<strong>über</strong> kompromisslos,<br />
verfolgte hartnäckig und erfolgreich<br />
seine Ziele. Er regierte<br />
nach dem Tod seines Bruders<br />
und Vorgängers Ludwig IV. von<br />
1449 bis 1451 als Vormund seines<br />
kleinen Neffen Philipp,<br />
adoptierte ihn 1451, verzichtete<br />
selbst (zunächst) auf eine Ehe<br />
Reich illustriert: Das<br />
2013 erschienene<br />
Buch verfügt <strong>über</strong><br />
mehr als 80 farbige<br />
Abbildungen.<br />
Foto: Michael Imhof Verlag<br />
und leitete aus<br />
dieser „Arrogation“ sein Recht<br />
zum wirklichen Kurfürsten ab.<br />
Dadurch zog er sich die<br />
Feindschaft des Kaisers zu,<br />
aber trotz Reichsacht und Kirchenbann<br />
blieb Friedrich I.<br />
siegreich. Unbotmäßige Vasallen<br />
und mächtige Reichsfürsten<br />
bezwang er dank seiner<br />
Feldherrenkunst.<br />
8
Klasse<br />
Westland<br />
„Sea King“<br />
Mi-8T<br />
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo<br />
MULTIMEDIA<br />
Kriegsjahr 1914<br />
Erste iPad-App von SZ Photo:<br />
100 Jahre Erster Weltkrieg<br />
Zum im kommenden Jahr bevorstehenden<br />
100. Jahrestag des Kriegsausbruchs<br />
1914 hat Süddeutsche Zeitung Photo ausgewählte<br />
Bilder aus dem Archiv zu einer<br />
App zusammengestellt, die die vielfältigen<br />
Perspektiven<br />
des Ersten<br />
Weltkriegs zeigen.<br />
Zahlreiche<br />
Bilder illustrieren<br />
die Hauptthemen<br />
Kriegsbeginn,<br />
West- und Ostfront, See- und Luftkrieg,<br />
Kriegsalltag und Kriegsende.<br />
Jedem Thema geht eine kurze Einführung<br />
voraus. Die Fotos der App stehen<br />
stellvertretend für <strong>über</strong> 6.000 Bilder zu<br />
diesem einschneidenden Ereignis, die<br />
in <strong>über</strong> 70 Dossiers auch auf der<br />
Homepage von SZ Photo unter<br />
www.sz-photo.de/erster-weltkrieg zu<br />
finden sind.<br />
Somit steht sowohl foto- und geschichtsinteressierten<br />
Privatkunden als<br />
auch professionellen Bildkunden ein<br />
kompakter Überblick zum Thema<br />
„Erster Weltkrieg“ für das iPad zur<br />
Verfügung. Design und Layout: Fabian<br />
Gampp. Die App ist zum Preis von<br />
1,79 Euro ab sofort im App Store erhältlich.<br />
Weitere Apps von Süddeutsche<br />
Zeitung Photo sind in Planung.<br />
Mehr Infos unter www.sz-photo.de<br />
Briefe an die Redaktion<br />
Zu „Geballte Feuerkraft“<br />
in <strong>CLAUSEWITZ</strong> 2/2013:<br />
Unter den aufgezählten sowjetischen<br />
Panzern fehlt der Pz.Kpfw.III,<br />
von dem mehr als 200 erbeutete<br />
Stücke als Selbstfahrlafette SU-76i<br />
mit festem Kasematt-Aufbau auf<br />
Basis des T 34 umgebaut wurden,<br />
die gegen die Wehrmacht eingesetzt<br />
wurden.<br />
Stefan Semerdjiev, Bulgarien,<br />
per E-Mail<br />
Zu „Hitlers umstrittener Stratege“<br />
in <strong>CLAUSEWITZ</strong> 2/2013:<br />
In Ihrem Bericht <strong>über</strong> Erich von<br />
Manstein haben Sie auf Seite 78<br />
geschrieben: „Zwei eigens aus<br />
Frankreich herangeführte 80-cm-<br />
Eisenbahngeschütze des Typs ,Dora’<br />
schießen die mächtigen Festungsanlagen<br />
sturmreif, bis die Verteidiger<br />
schließlich Anfang Juli kapitulieren.“<br />
Es wurden zwei Geschütze vom Typ<br />
,,Dora" hergestellt, jedoch wurde<br />
nur eins auf der Krim eingesetzt. Die<br />
zwei Geschütze, die hier erwähnt<br />
werden, sind die Mörser ,,Odin" und<br />
,,Thor" vom Kaliber 60 cm.<br />
Dieter Hübner, per E-Mail<br />
Zu „Der gefiederte Tod“ in CLAU-<br />
SEWITZ 3/2013:<br />
Mit Begeisterung habe ich die Ausgabe<br />
3/2013 gelesen. Die Beiträge<br />
sind ordentlich recherchiert und<br />
sehr schön zu lesen.<br />
Allerdings hat sich in Ihrem Editorial<br />
ein kleiner Fehler eingeschlichen.<br />
Zum Thema „Der gefiederte Tod“<br />
wird der englische Langbogen falsch<br />
beschrieben. Sie schreiben:<br />
„Die schweren Kriegsbögen sind<br />
etwa 1,8 Meter lang und bestehen<br />
aus einem Stück Eibenholz, das so<br />
gewählt ist, dass sich das dichte<br />
Kernholz in der Mitte des Bogens<br />
befindet, während das elastischere<br />
Holz die Bogenarme bildet.“<br />
Als traditioneller Bogenschütze<br />
und Militärhistoriker möchte ich diese<br />
Beschreibung verbessern. Das<br />
dunklere Kernholz der Eibe zieht<br />
sich <strong>über</strong> den ganzen Bogen. Er wird<br />
so gebaut, dass Kernholz und Splintholz<br />
wie ein natürlicher Kompositbogen<br />
wirken. Das festere Kernholz<br />
hat bessere Druckeigenschaften,<br />
während das weichere Splintholz die<br />
besseren Zugeigenschaften besitzt.<br />
Bastian Eisenbart, per E-Mail<br />
Clausewitz<br />
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Das Magazin für Militärgeschichte<br />
MILITÄR & TECHNIK:<br />
Zu „Der Krieger auf dem Königsthron“<br />
in <strong>CLAUSEWITZ</strong> 3/2013:<br />
Die Denkweise des Richard Plantagenet,<br />
Coeur de Lion, nachmals „the<br />
Lionheart“, entsprach der praktisch<br />
aller mittelalterlichen Herrscher in<br />
Europa und im Orient: Das imperiale-royale<br />
Streben galt der eigenen<br />
Dynastie, der Familie, der Sippe,<br />
nicht einem Volk oder einer Nation.<br />
Auch die Religion, speziell im Kreuzzug,<br />
war nur Mittel zum Zweck.<br />
Eben diese <strong>über</strong>nationale Denkweise<br />
wird heute gern <strong>über</strong>sehen.<br />
(...)<br />
Interessant ist auch die landsmannschaftliche<br />
Zusammensetzung<br />
des Heeres, mit dem er gegen seinen<br />
Vater zu Felde zog: zu je einem<br />
Viertel Engländer, Flamen, Schotten<br />
und Franzosen.<br />
Nach damaliger Rechtsauffassung<br />
war Herzog Leopold V. von<br />
Österreich nicht berechtigt, sein<br />
Banner neben denen zweier Könige<br />
aufzustellen, zumindest – da er<br />
nicht von ebenbürtigem Adel war –<br />
in gleicher Höhe. In niedrigerer Position<br />
wäre es statthaft gewesen.<br />
Es gibt auch Berichte, dass<br />
Richard Leopolds Banner nicht nur<br />
entfernen, sondern auch in eine<br />
Latrinengrube hat werfen lassen.<br />
Es wäre dann nicht weiter verwunderlich,<br />
dass Leopold auf Vergeltung,<br />
Genugtuung, Rache sann.<br />
Man kann vergangene Zeiten mit<br />
ihren Herrschern nicht so einfach<br />
aus heutiger Sicht beurteilen, Richard<br />
I. von England ist hierfür ein<br />
Paradebeispiel.<br />
Jürgen Kaltschmitt, per E-Mail<br />
Leserbriefe spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Die Redaktion<br />
behält sich vor, Leserbriefe aus Gründen der Darstellung eines möglichst umfassenden<br />
Meinungsspektrums sinnwahrend zu kürzen.<br />
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Ruf der „Acht-Acht“<br />
Krimkrieg 1853<br />
Richard<br />
Löwenherz<br />
König, Krieger<br />
und Kreuzritter<br />
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Independence-<br />
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Hamburgs Brandnächte im Jahr 1943<br />
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Titelgeschichte<br />
200 Jahre „Völkerschlacht“ – Leipzig <strong>1813</strong><br />
Die<br />
Jahrhundert-<br />
schlacht<br />
MASSENHEERE IM KAMPF:<br />
Bei Leipzig treffen Mitte Oktober <strong>1813</strong> insgesamt<br />
mehr als eine halbe Million Soldaten beider<br />
Lager im Kampf aufeinander. Die Zahl der<br />
Toten und Verwundeten ist erschreckend hoch.<br />
Abb.: picture-alliance/maxppp<br />
10
16. bis 19. Oktober <strong>1813</strong>: Mehr als 500.000 Soldaten stehen sich bei Leipzig gegen<strong>über</strong>.<br />
Der Ausgang der bis dato größten Schlacht der Weltgeschichte hat erhebliche<br />
Auswirkungen auf die Herrschaft <strong>Napoleon</strong>s <strong>über</strong> weite Teile Europas. Von Eberhard Birk<br />
Clausewitz 4/2013<br />
11
Titelgeschichte | „Völkerschlacht“<br />
FAKTEN<br />
Befehlshaber:<br />
Truppenstärke:<br />
Frankreich<br />
Geschütze: 690<br />
<strong>Napoleon</strong> I, Kaiser der<br />
Franzosen (1769–1821)<br />
circa 191.000 Mann<br />
(Franzosen, Polen, Italiener, Schweizer,<br />
Holländer, Kroaten;<br />
zudem circa 20.000 Soldaten<br />
aus „Rheinbund“-Staaten)<br />
Verluste:<br />
circa 30.000 Tote<br />
circa 38.000 Verwundete<br />
circa 37.000 Gefangene<br />
12
Krieg gegen die Allianz<br />
UNTER DRUCK: Dem französischen Kaiser<br />
<strong>Napoleon</strong> I und seiner Armee steht im Herbst <strong>1813</strong><br />
auf den Schlachtfeldern bei Leipzig ein mächtiges<br />
Aufgebot der Verbündeten gegen<strong>über</strong>. Sie sind fest<br />
entschlossen, die Grande Armée zu besiegen.<br />
Abb.: ullstein bild – Photo 12/Fondation Napoléon<br />
Clausewitz 4/2013<br />
13
Titelgeschichte | „Völkerschlacht“<br />
FAKTEN Verbündete<br />
Böhmische Armee<br />
Befehlshaber: Karl Philipp Fürst von Schwarzenberg (1771–1820)<br />
Stabschef: Feldmarschallleutnant Joseph Wenzel von Radetzky<br />
(1766–1858)<br />
Truppenstärke: circa 130.000 Mann<br />
Geschütze: 550<br />
Schlesische Armee<br />
Befehlshaber: Gebhard Leberecht von Blücher (1742–1819)<br />
Stabschef: Generalmajor August Neidhart von<br />
Gneisenau (1760–1831)<br />
Truppenstärke: circa 55.000 Mann<br />
Geschütze: 310 Geschütze<br />
Nordarmee<br />
Befehlshaber:<br />
Truppenstärke:<br />
Geschütze:<br />
Kronprinz Karl Johann von Schweden<br />
(1763–1844) (vormals frz. Marschall<br />
Bernadotte)<br />
circa 95.000 Mann<br />
k.A.<br />
Kräfteverhältnis am 18. Oktober <strong>1813</strong><br />
nach Eintreffen der russisch-polnischen<br />
Reservearmee:<br />
Franzosen: circa 160.000 Mann<br />
Geschütze: 630<br />
Verbündete: circa 300.000 Mann<br />
Geschütze: 1.466<br />
Verluste:<br />
Tote und<br />
Verwundete:<br />
22.600 Russen<br />
16.000 Preußen<br />
15.000 Österreicher<br />
200 Schweden<br />
14
Hoffnung auf Befreiung<br />
BIS ZUR TOTALEN ERSCHÖPFUNG:<br />
Die mehrtägige „Völkerschlacht“ verlangt den Soldaten<br />
beider Kriegsparteien alles ab. Für die Verbündeten bietet<br />
die Entscheidungsschlacht bei Leipzig die Möglichkeit,<br />
sich vom Joch der französischen Fremdherrschaft<br />
zu befreien.<br />
Abb.: picture-alliance/akg-images<br />
Clausewitz 4/2013<br />
15
Titelgeschichte | „Völkerschlacht“<br />
ne Schritte können sich die Generale der Alliierten<br />
trotz aller „Lernerfolge“ der vergangenen<br />
Jahre niemals sicher sein. Obwohl der<br />
Russlandfeldzug katastrophal endete, ist es<br />
ihm gelungen, in kürzester Zeit eine neue,<br />
circa 300.000 bis 400.000 Mann starke und<br />
vorwiegend national-französische Truppe<br />
aus dem Boden zu stampfen. Wenn es ihm<br />
gelingt, die einzelnen Kontingente seiner<br />
Gegner zu isolieren und in getrennten<br />
Schlachten zu besiegen, kann er daraus politisches<br />
Kapital schlagen.<br />
Kongeniales Generalstabsduo<br />
Mit den im Mai <strong>1813</strong> gewonnenen Schlachten<br />
von Großgörschen und Bautzen scheinen<br />
seine Soldaten wieder auf der alten napoleonischen<br />
Siegesstraße zu marschieren. Nach<br />
dem österreichischen Allianzbeitritt aber stehen<br />
sie zahlenmäßig weit <strong>über</strong>legenen Armeen<br />
gegen<strong>über</strong>.<br />
Und deren Generalstabschefs heißen Radetzky<br />
und August Neidhardt von Gneise-<br />
TÖDLICH GETROFFEN: Józef Antoni Poniatowski, Befehlshaber des VIII. Korps der Grande<br />
Armée und von <strong>Napoleon</strong> am 16. Oktober <strong>1813</strong> zum Marschall von Frankreich ernannt, fällt<br />
am 19. Oktober <strong>1813</strong> bei einem Rückzugsgefecht der geschlagenen napoleonischen<br />
Armee.<br />
Abb.: picture-alliance/akg-images<br />
Nach dem Scheitern seines Russlandabenteuers<br />
von 1812 befindet sich <strong>Napoleon</strong><br />
in der strategischen Defensive:<br />
Die Unzufriedenheit und Kriegsmüdigkeit<br />
in Frankreich, der Verlust nahezu<br />
sämtlicher kriegsgeübter Soldaten seiner<br />
Grande Armée, die Entwicklung nationaler<br />
Befreiungsbewegungen und die beginnende<br />
Siegeszuversicht bei den Ostmonarchien<br />
Russland, Österreich und Preußen lassen seine<br />
Machtposition erodieren.<br />
<strong>Napoleon</strong> hat genug damit zu tun, den<br />
„Rheinbund“ zusammenzuhalten. Seine gezwungenen<br />
Bündnispartner sind nicht mehr<br />
alle davon <strong>über</strong>zeugt, auf der richtigen Seite<br />
zu stehen. Im Frühjahrsfeldzug <strong>1813</strong> kann er<br />
sich noch gegen die preußisch-russische Allianz<br />
behaupten. Nach einem Waffenstillstand<br />
im Juni läuft die Diplomatie von <strong>Napoleon</strong>s<br />
Gegnern auf Hochtouren – Österreich<br />
wird als Bündnispartner gewonnen.<br />
Freigesetzte Kräfte<br />
Die Chance auf die Befreiung von der französischen<br />
Hegemonie setzt Kräfte frei, während<br />
<strong>Napoleon</strong>s Ressourcen schwinden. Der<br />
Faktor Zeit soll für die Alliierten arbeiten. Ihr<br />
strategisches Ziel ist sehr ehrgeizig: <strong>Napoleon</strong><br />
muss <strong>über</strong> den Rhein zurückgeworfen<br />
werden. Damit wäre ihm der Zugriff auf die<br />
militärischen Ressourcen des Rheinbundes<br />
verwehrt und sein verbleibender strategischer<br />
Radius empfindlich eingeengt.<br />
Den Oberbefehl <strong>über</strong> die alliierten Streitkräfte<br />
besitzt der österreichische Feldmarschall<br />
Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg.<br />
Seine Rolle ist mehr die eines Militärdiplomaten.<br />
Er muss die politischen Ziele der<br />
Bündnispartner, die auch schon auf die<br />
„Nachkriegszeit“ schielen, unter einen Hut<br />
bringen. Nicht alle Monarchen sind bereit,<br />
ihre politischen Bestrebungen von militärischen<br />
Notwendigkeiten diktieren zu lassen.<br />
Schwarzenbergs Generalstabschef Radetzky<br />
(s. a. S. 74) muss daher strategische und operative<br />
Bewegungen mit den <strong>über</strong>geordneten<br />
außenpolitischen Zielen synchronisieren.<br />
<strong>Napoleon</strong> bleibt indes gefährlich: Über sei-<br />
SYMBOLTRÄCHTIG:<br />
Am 10. März<br />
des Jahres <strong>1813</strong><br />
stiftet der preußische<br />
König<br />
Friedrich Wilhelm<br />
III. in der niederschlesischen<br />
Stadt Breslau für<br />
den Verlauf der<br />
„Befreiungskriege“<br />
das von Karl Friedrich<br />
Schinkel entworfene Eiserne<br />
Kreuz.<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
NAH AM ZIEL: Schwarzenberg und die<br />
verbündeten Fürsten auf dem Monarchenhügel<br />
am Abend des 18. Oktober<br />
<strong>1813</strong> – dem Vorabend des alliierten<br />
<strong>Triumph</strong>es <strong>über</strong> <strong>Napoleon</strong>.<br />
Foto: picture-alliance/akg-images<br />
16
Verbündete zahlenmäßig <strong>über</strong>legen<br />
nau, der hinter Blücher die Schlesische Armee<br />
lenkt. Beide sind als kongeniales Generalstabsduo<br />
die Verkörperung eines langen<br />
und erfolgreichen Lernprozesses. Sie haben<br />
<strong>über</strong> Jahre hinweg <strong>Napoleon</strong>s Feldzüge studiert.<br />
Ihre Lehre aus den vorangegangenen<br />
„Wir haben den französischen Kaiser ganz umstellt.<br />
Diese Schlacht wird <strong>über</strong><br />
das Schicksal von Europa entscheiden.“<br />
Blüchers Stabschef General Gneisenau in einem Brief an seine<br />
Frau vom 18.Oktober <strong>1813</strong>.<br />
seiner Marschälle erreicht werden. Dafür stehen<br />
aufseiten der Alliierten zu Beginn des<br />
Feldzuges drei Armeen zur Verfügung: die<br />
Böhmische Armee unter dem Oberbefehl<br />
von Schwarzenberg mit 127.000 Österreichern,<br />
82.000 Russen und 45.000 Preußen;<br />
die Schlesische Armee unter dem Oberbefehl<br />
von dem später so genannten „Marschall<br />
Vorwärts“ Blücher mit 66.000 Russen und<br />
38.000 Preußen sowie die Nordarmee unter<br />
dem Oberbefehl von Bernadotte, dem<br />
schwedischen Kronprinzen und vormaligen<br />
Marschall <strong>Napoleon</strong>s, mit 73.000 Preußen,<br />
29.000 Russen und 23.000 Schweden.<br />
Koalitionskriegen ist es, sich nicht von ihm<br />
auseinanderdividieren zu lassen.<br />
Die militärische Zielsetzung des anstehenden<br />
Feldzuges formuliert Radetzky bereits<br />
am 7. Juli <strong>1813</strong>: Zunächst gilt es zu verhindern,<br />
sich in einzelne Schlachten gegen<br />
<strong>Napoleon</strong> einzulassen, ihn durch kluge Dispositionen<br />
zu zermürben, „um den Hauptzweck<br />
in den gemeinschaftlichen Operationen<br />
nicht zu verfehlen, nämlich: den Hauptschlag<br />
mit Sicherheit zu führen (...) den Kaiser<br />
<strong>Napoleon</strong> von seinen Stützpunkten an<br />
der Elbe abzudrängen, sodann möglichst nahe<br />
zu umstellen, jede teilweise Niederlage<br />
zu vermeiden und am Ende in einer Entscheidungsschlacht<br />
vollends zu vernichten.“<br />
Dieses Ziel soll durch ein elastisches Ausweichen<br />
von weit getrennt stehenden Armeen<br />
vor der Hauptmacht <strong>Napoleon</strong>s bei<br />
gleichzeitigem Schlagen der Nebenarmeen<br />
Beginn des „Herbstfeldzuges“<br />
Sowohl die Alliierten als auch <strong>Napoleon</strong> haben<br />
die Zeit des zwischenzeitlichen Waffenstillstandes<br />
vom 4. Juni <strong>1813</strong> genutzt, um ihre<br />
Truppen aufzustocken. Nach mehr als zwei<br />
Monaten Waffenstillstand, Diplomatie und<br />
Aufrüstung beginnt Mitte August <strong>1813</strong> der<br />
„Herbstfeldzug“: Operatives Zurücknehmen<br />
Clausewitz 4/2013<br />
17
Titelgeschichte | „Völkerschlacht“<br />
BEEINDRUCKEND: Im Jahr 2012 wurden in Leipzig-Markkleeberg<br />
Kampfhandlungen mit mehr als 1.700 Darstellern aus vielen Ländern<br />
Europas nachgestellt. Anlässlich des 200. Jahrestages der<br />
Schlacht bei Leipzig finden <strong>über</strong> einen Zeitraum mehrerer Monate<br />
hinweg zahlreiche Veranstaltungen, darunter auch aufwendig inszenierte<br />
Reenactments, statt.<br />
Foto: Anne Schulz/Westend-PR<br />
der alliierten Truppen vor den zur Schlacht<br />
treibenden napoleonischen Marschällen, gepaart<br />
mit Initiative auf lokaler Ebene, führt<br />
zu einer Reihe von Erfolgen gegen die französischen<br />
Truppen: Den alliierten Erfolgen<br />
bei Großbeeren am 23. August, an der Katzbach<br />
am 26. August, Hagelberg am 27. August,<br />
Kulm am 29. August, Nollendorf am<br />
30. August und Dennewitz am 6. September<br />
steht nur ein Sieg der französischen<br />
Waffen entgegen. <strong>Napoleon</strong> persönlich<br />
führt am 26./27. August <strong>1813</strong> seine Truppen<br />
in der Schlacht bei Dresden zum Erfolg<br />
– sein letzter nennenswerter Schlachtensieg<br />
auf deutschem Boden.<br />
Aber auch die alliierten Erfolge kosten<br />
Blut. Dies können die Österreicher und die<br />
Russen eher „verkraften“ als die Preußen.<br />
Blücher und Gneisenau drängen daher<br />
auf eine schnellere Entscheidung und<br />
JUBILÄUM: Erinnerung an den 100. Jahrestag<br />
der „Völkerschlacht“ mit den siegreichen<br />
„Helden der Befreiungskriege“ und<br />
dem unterlegenen <strong>Napoleon</strong> I. Das im Jahr<br />
1913 eingeweihte, imposante Völkerschlachtdenkmal<br />
wird seit mehreren Jahren<br />
aufwendig restauriert.<br />
Foto: ullstein bild - Photo 12/Fondation Napoléon<br />
DOPPELJUBILÄUM: Erinnerung an den 200. Jahrestag der „Völkerschlacht“ und den 100.<br />
Jahrestag der Einweihung des „Völkerschlachtdenkmals“. Vom 16. bis 20. Oktober 2013<br />
wird in Leipzig aus diesem Anlass eine Gedenkwoche mit zahlreichen Veranstaltungen stattfinden.<br />
Mehr Infos dazu unter: www.voelkerschlacht-jubilaeum.de Foto: Westend-PR/Methode 21<br />
18
Schwarzenbergs Probleme<br />
ergreifen die Initiative. Bei Wartenburg südlich<br />
von Wittenberg <strong>über</strong>schreiten sie am<br />
3. Oktober die Elbe. Damit werden <strong>Napoleon</strong>s<br />
rückwärtige Verbindungen bedroht. Er<br />
belässt 30.000 Mann in Dresden und führt<br />
seine Hauptmacht in Richtung Leipzig.<br />
Am 14. Oktober bereits treffen vor Liebertwolkwitz<br />
und Güldengossa 15.000 Kavalleristen<br />
zum größten Reitergefecht des<br />
Feldzuges aufeinander. Sie werden auch von<br />
starken Infanterieverbänden unterstützt.<br />
Von der Geländeerhebung Galgenberg aus,<br />
auf dem die Franzosen ihren Beobachtungspunkt<br />
und ihre Artillerie haben, starten sie<br />
zur Überraschung der Alliierten einen Kavallerieangriff,<br />
der erst vor Güldengossa<br />
zum Stehen gebracht werden kann. Der im<br />
Gegenzug eroberte Galgenberg wird bei Einbrechen<br />
der Dämmerung von den Verbündeten<br />
ebenso geräumt wie das parallel dazu eroberte<br />
Liebertwolkwitz. Der siebenstündige,<br />
letztlich unentschiedene Kampf verdeutlicht,<br />
dass <strong>Napoleon</strong> bereit ist, sich zur Entscheidungsschlacht<br />
zu stellen.<br />
KARTE<br />
Völkerschlacht bei Leipzig 16.–19. Oktober <strong>1813</strong><br />
VON ALLEN SEITEN: Die Karte zeigt die Ausgangssituation der französischen Truppen<br />
und das Vordringen der verbündeten Armeen zwischen dem 16. und 19. Oktober <strong>1813</strong>.<br />
Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich<br />
Drohende Umklammerung<br />
<strong>Napoleon</strong>s zentrale Position auf der „inneren<br />
Linie“ zwischen Connewitz, Markkleeberg,<br />
Wachau, Liebertwolkwitz und Holzhausen<br />
bildet einen weiträumigen Halbkreis<br />
mit Leipzig im Mittelpunkt.<br />
Seine Armee mit einer Gesamtstärke von<br />
circa 191.000 Mann mit 690 Geschützen<br />
setzt sich aus Franzosen, Polen, Italienern,<br />
Schweizern, Holländern und Kroaten zusammen,<br />
einschließlich circa 20.000 Mann an<br />
„Rheinbund“-Kräften aus Sachsen, Württemberg,<br />
Westfalen und Hessen-Darmstadt.<br />
Seine numerische Unterlegenheit zwingt ihn<br />
zur Schwerpunktbildung: Das Korps Bertrand<br />
mit nur wenigen Tausend Mann und<br />
16 Geschützen soll westlich der Stadt Leipzig<br />
die kleine Ortschaft Lindenau sichern.<br />
Im Norden stehen <strong>über</strong> 40.000 Mann mit<br />
186 Geschützen, um unter dem Oberbefehl<br />
von Marschall Ney den erwarteten Anmarsch<br />
und Angriff der Schlesischen Armee<br />
abzuweisen.<br />
Priorität hat aber der Süden Leipzigs.<br />
Hier ist es <strong>Napoleon</strong>s Absicht, eine drohende<br />
Umklammerung durch die alliierten<br />
Kräfte mit einem wuchtigen Stoß, vorgetragen<br />
von 138.000 Mann und 488 Geschützen<br />
gegen die Böhmische Armee, zu unterbinden.<br />
Diese steht mit 130.000 Mann und<br />
550 Geschützen unter dem Oberbefehl<br />
Schwarzenbergs südlich von Leipzig. Durch<br />
eine Umgehung des rechten Flügels der Böhmischen<br />
Armee mit starken Kavallerieverbänden<br />
will er deren Zentrum erschüttern<br />
und einen frühzeitigen Reserveneinsatz erzwingen,<br />
um dann mit seiner hinter Liebertwolkwitz<br />
stehenden Reserve den finalen<br />
Stoß auf die Reste der Böhmischen Armee<br />
zu führen.<br />
Zeitliche Risiken<br />
Im Gegensatz zu <strong>Napoleon</strong>s Schwerpunktbildung<br />
aber werden deren Kräfte „verzettelt“.<br />
An seinem linken Flügel plant Schwarzenberg<br />
die rund 20.000 Mann starke Abteilung Gyulai<br />
für einen Demonstrationsangriff auf Lindenau<br />
ein. Daneben setzt er etwa 30.000 Mann<br />
im Überschwemmungsgebiet zwischen den<br />
Flüssen Elster und Pleiße auf Connewitz an.<br />
Knapp 72.000 Mann seines Hauptkontingentes<br />
stellt er ostwärts davon <strong>Napoleon</strong> entgegen.<br />
Durch diese Verteilung seiner Kräfte, getrennt<br />
durch Geländehindernisse, muss<br />
Schwarzenberg drei Teilkämpfe führen. Damit<br />
hat er sich Führungs- und Koordinationsprobleme<br />
und <strong>Napoleon</strong> zudem die örtliche<br />
Überlegenheit genau dort geschaffen, wo dieser<br />
seinen Schwerpunkt plant.<br />
Clausewitz 4/2013<br />
19
Titelgeschichte | „Völkerschlacht“<br />
HINTERGRUND<br />
Der Rheinbund<br />
Die Ausdehnung französischer Macht in den napoleonischen<br />
Kriegen führt ostwärts des Rheins zu vielfältigen<br />
politisch-territorialen Flurbereinigungen. Nach dem Frieden<br />
von Lunéville kommt es 1803 zum Reichsdeputationshauptschluss.<br />
Dabei verschwinden freie Reichstädte,<br />
Reichsritterschaften und kleinere Herrschaften im<br />
Zuge der sogenannten Mediatisierung sowie geistliche<br />
Territorien durch die Säkularisation. Dies ändert den<br />
Charakter des Heiligen Römischen Reiches deutscher<br />
Nation grundlegend.<br />
Im Juli 1806 gründet <strong>Napoleon</strong> als „Protektor“ den<br />
Rheinbund – einen Staatenbund mit zunächst 16 Mitgliedern,<br />
denen später noch 23 weitere beitreten. Sie<br />
bilden ohne Preußen und Österreich ein „Drittes<br />
Deutschland“, das sich im Kern gegen „Kaiser und<br />
Reich“ richtet. Am 1. August erfolgt deren formaler Austritt<br />
aus dem Reichsverband, worauf Joseph II. am<br />
6. August 1806 die Kaiserkrone niederlegt.<br />
Viele Mitgliedstaaten – auch die größeren wie Bayern,<br />
Württemberg und Sachsen – beginnen nach dem<br />
Vorbild Frankreichs mit Modernisierungsprozessen in<br />
Staat, Gesellschaft, Bildung und Wirtschaft. Für <strong>Napoleon</strong><br />
ist indes das militärische Potenzial des Rheinbundes<br />
wichtiger. Er bündelt und nutzt dessen personelle<br />
und materielle Ressourcen. Im Jahre 1811 stellt der<br />
Rheinbund circa 120.000 Soldaten. Ein Großteil von ihnen<br />
stirbt beim Russlandfeldzug <strong>Napoleon</strong>s 1812 und<br />
in den <strong>1813</strong> beginnenden „Befreiungskriegen“. Nach<br />
<strong>Napoleon</strong>s Niederlage in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig<br />
im Oktober <strong>1813</strong> bricht der Rheinbund auseinander.<br />
Für <strong>Napoleon</strong> hängt alles vom Gelingen seines<br />
ersten Angriffes ab. Insgesamt ist sein<br />
Plan zwar mit erheblichen zeitlichen Risiken<br />
behaftet, weil er vom stetigen Zuführen alliierter<br />
Verbände auszugehen hat. Zwangsläufig<br />
indes muss er die Schlacht mit diesem<br />
Plan nicht verlieren. Vielleicht setzt er etwas<br />
<strong>über</strong>heblich darauf, dass der Stern seiner<br />
Feldherrentätigkeit auch <strong>über</strong> Leipzig leuchtet,<br />
wenn er sein Schicksal in die eigenen<br />
Hände nimmt.<br />
Entscheidender Stoß<br />
Aber nicht <strong>Napoleon</strong>, sondern die Verbündeten<br />
eröffnen am Morgen des 16. Oktober<br />
kurz nach 8:00 Uhr die Schlacht am südlichen<br />
Frontabschnitt. Auf der Linie Markkleeberg–Wachau–Liebertwolkwitz<br />
stoßen<br />
sie auf die französischen Kolonnen vorwärts,<br />
nehmen die Dörfer ein und verteidigen sie<br />
kurzfristig unter großen Verlusten. Aber die<br />
Dynamik des Angriffs ist gebrochen. Die Geländegewinne<br />
müssen aufgrund eines massiven<br />
französischen Gegenstoßes wieder<br />
aufgegeben werden. Auch der zeitgleich im<br />
sumpfigen Gelände zwischen den Flüssen<br />
Elster und Pleiße von Gautzsch auf Connewitz<br />
vorgetragene Flankenangriff der Alliierten<br />
wird durch französisches Feuer abgewehrt.<br />
Ihr Vorgehen ist dadurch erschwert,<br />
dass am Vortag nahezu alle<br />
Brücken im Vorfeld der französischen<br />
Stellungen gesprengt wurden. Und<br />
die Abteilung Gyulai scheitert trotz deutlicher<br />
Überlegenheit am französischen Widerstand<br />
bei Lindenau.<br />
Nun will <strong>Napoleon</strong> die Initiative auf dem<br />
Gefechtsfeld an sich reißen. Für den entscheidenden<br />
Stoß gegen die Böhmische Armee<br />
wartet er noch auf das Eintreffen seines<br />
VI. Korps. Es gilt mit seinen vier Regimentern<br />
Marineinfanterie unter der Führung von<br />
Marschall Marmont als der kampfkräftigste<br />
Großverband <strong>Napoleon</strong>s. Die bestens ausgebildeten<br />
Soldaten haben im laufenden Feldzug<br />
noch keine Niederlage erlitten. Bereits<br />
um 7:00 Uhr hat er das Korps per Befehl von<br />
TRAGISCH: Gerhard von Scharnhorst erlebte<br />
den Sieg der Verbündeten <strong>über</strong> <strong>Napoleon</strong>s<br />
Truppen bei Leipzig nicht mehr. Er wurde in<br />
der Schlacht von Großgörschen am<br />
2. Mai <strong>1813</strong> verletzt und starb wenige<br />
Wochen später am 28. Juni an den Folgen<br />
dieser medizinisch unzureichend versorgten<br />
Verwundung. Scharnhorst gilt<br />
bis heute als einer der bedeutendsten<br />
preußischen Militärreformer.<br />
Foto: picture-alliance/akg-images<br />
der Nordfront in Richtung<br />
Süden beordert. Mit ihm<br />
will er Schwarzenbergs Armee<br />
zertrümmern.<br />
Aber das Eintreffen von zwei Korps der<br />
Schlesischen Armee vor Möckern erlaubt<br />
kein Abziehen französischer Kräfte im Norden.<br />
Marmonts Korps steht hier in vorberei-<br />
20
Hin und her wogender Kampf<br />
DRAMATISCHER AUGENBLICK: Erstürmung des Grimmaischen<br />
Tores am 19. Oktober <strong>1813</strong>. Die Niederlage der Franzosen nimmt<br />
durch das Vorrücken der Verbündeten in die Leipziger Innenstadt<br />
immer konkretere Züge an.<br />
Abb.: picture-alliance/ZB<br />
teten Stellungen. Er<br />
verfügt <strong>über</strong> eine vortreffliche<br />
Artillerie, die er auf<br />
den Höhen ostwärts von Möckern positioniert.<br />
Da sein Abschnitt im Westen von der<br />
Elster begrenzt wird, können die preußischen<br />
Truppen unter dem Kommando von<br />
Yorck nur frontal vorgehen. Entsprechend<br />
hoch sind die Verluste. Er lässt sie mehrmals<br />
auf Möckern hin zum Angriff antreten. Doch<br />
jedes Mal werden sie nach Austritt aus der<br />
Ortschaft von der französischen Artillerie<br />
mit präzisem Feuer belegt und von der Infanterie<br />
im Gegenstoß abgewiesen.<br />
<strong>Napoleon</strong> will den Sieg erzwingen<br />
Als der Einsatz der französischen Reserve beginnt,<br />
befiehlt Yorck drei Eskadronen Brandenburger<br />
Husaren nach vorne. Sie werfen<br />
die anrückenden französischen Kolonnen zurück,<br />
da diese aufgrund von Gefechtslärm<br />
und Pulverdampf den Angriff zu spät erkennen<br />
und keine Karrees mehr bilden können.<br />
Möckern ist in preußischer Hand. Am Ende<br />
des Tages belaufen sich die Verluste auf beiden<br />
Seiten auf circa 15.000 Mann. Die Bindung<br />
der französischen Kräfte an der Nordfront<br />
durch die Schlesische Armee erzielt<br />
aber eine große Wirkung. Das hier kämpfende<br />
VI. Korps fehlt <strong>Napoleon</strong> im Süden.<br />
Dadurch sind seine Kräfte für die angestrebte<br />
Entscheidung zu schwach. Dennoch<br />
entschließt er sich – alternativlos – gegen<br />
14:00 Uhr zum allgemeinen Angriff auf die<br />
Stellungen der Böhmischen Armee. In den<br />
bis zur Dämmerung verbleibenden Stunden<br />
entbrennt ein zähes Ringen um Vorteile.<br />
Französische Infanterie rückt, unterstützt<br />
von Kavallerie, in tiefgestaffelten Kolonnen<br />
nach vorne, wie sie es in den unzähligen<br />
Schlachten <strong>Napoleon</strong>s gewohnt war. <strong>Napoleon</strong><br />
will den Sieg erzwingen. Sein XI. Korps<br />
unter Macdonald soll Schwarzenbergs Stellung<br />
an deren rechten Flügel umgehen. Diese<br />
Bewegung wird jedoch von<br />
russischer Kavallerie der Böhmischen<br />
Armee und von den ersten<br />
Tipp<br />
www.voelkerschlacht-jubilaeum.de<br />
Internetseite zum Jubiläum<br />
<strong>1813</strong> – 1913 – 2013<br />
Spitzen der anrückenden russisch-polnischen<br />
Armee unter General Bennigsen zurückgeschlagen.<br />
Schwerer Rückschlag<br />
<strong>Napoleon</strong>s massiver Kavallerieangriff mit<br />
circa 8.000 Reitern im Zentrum in Richtung<br />
Güldengossa scheitert ebenfalls. Die russische<br />
Infanterie der Böhmischen Armee steht<br />
unerschüttert. Auch die wankenden Linien<br />
der Alliierten im Raum Markkleeberg halten<br />
gegen einen Angriff der „Jungen Garde“ <strong>Napoleon</strong>s<br />
stand.<br />
Das Durchbrechen der „böhmischen“<br />
Front gelingt <strong>Napoleon</strong> nirgends. Am Abend<br />
des Tages haben die Alliierten die Krise der<br />
Schlacht <strong>über</strong>standen. <strong>Napoleon</strong>s Misserfolg<br />
am Südabschnitt und die Zerschlagung<br />
seines besten Korps im Nordabschnitt<br />
bei Möckern sind der<br />
Grundstein für den alliierten Erfolg<br />
in der Gesamtschlacht. Von nun an<br />
arbeitet die Zeit gegen <strong>Napoleon</strong>.<br />
Der zweite Tag der Schlacht bei<br />
Leipzig ist von einer ausgedehnten<br />
Ruhephase geprägt. Beide Seiten<br />
sind von den schweren Kämpfen am<br />
Clausewitz 4/2013<br />
21
Titelgeschichte | „Völkerschlacht“<br />
Vortag erschöpft. Nur Blücher erobert im<br />
Norden die Flecken Gohlis und Eutritzsch.<br />
<strong>Napoleon</strong> nutzt den Tag zum Umdisponieren<br />
seiner Kräfte. Die Verluste des Vortages<br />
veranlassen ihn, Wachau und Liebertwolkwitz<br />
zu räumen und seine verbliebenen<br />
160.000 Mann näher auf Leipzig zurückzunehmen.<br />
Damit verkürzt er seine Frontlinie<br />
um einige Kilometer.<br />
Auch wenn <strong>Napoleon</strong> ahnt, dass seine<br />
Stellung einen weiteren Schlachttag nicht<br />
<strong>über</strong>stehen wird, denkt er nicht daran aufzugeben<br />
oder seine Truppen aus dem immer<br />
prekärer werdenden Ring der alliierten Kräfte<br />
herauszunehmen.<br />
Bitte um Waffenstillstand<br />
Er setzt nun aber auf familiäre Beziehungen.<br />
Im Lager der Böhmischen Armee befindet<br />
sich sein Schwiegervater – der österreichische<br />
Kaiser Franz. Den bei Connewitz gefangengenommenen<br />
General Merveldt<br />
schickt er mit der Bitte um einen Waffenstillstand<br />
zur Böhmischen Armee. Im Gefühl ihres<br />
nahenden Sieges erhält er von den Alliierten<br />
jedoch nicht einmal eine Antwort auf<br />
seinen letzten diplomatischen Versuch.<br />
Nach der gescheiterten Entscheidung des<br />
Vortages muss sich <strong>Napoleon</strong> nun endgültig<br />
auch Gedanken für den „worst case“, eine<br />
mögliche Niederlage, machen. Der sich abzeichnenden<br />
alliierten Option zur Einkesselung<br />
der französischen Kräfte begegnet <strong>Napoleon</strong><br />
mit einem Truppendetachement im<br />
Westen Leipzigs, um die einzige „Fluchtstraße“,<br />
die <strong>über</strong> Lindenau und Weißenfels<br />
führt, zu sichern.<br />
IN STEIN GEMEIßELT: Gedenkstein mit Inschrift<br />
zur Erinnerung an den Standort von<br />
<strong>Napoleon</strong>s Befehlsstand während der<br />
Schlacht am 18. Oktober <strong>1813</strong>. Ursprünglich<br />
stand hier die Quandtsche Tabaksmühle,<br />
die im Rahmen der „Völkerschlacht“ zerstört<br />
wurde.<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
Auch die Alliierten bleiben nicht untätig. Die<br />
polnisch-russische Reservearmee unter dem<br />
Kommando von General Bennigsen verstärkt<br />
die Böhmische Armee an deren rechten<br />
Flügel südostwärts von Leipzig. Hinzu<br />
kommen die Verstärkungen, die der österreichische<br />
General von Colloredo-Mansfeld<br />
zuführt. Und im Nordosten Leipzigs schließt<br />
die langsam eintreffende Nordarmee unter<br />
Bernadotte den Ring um die napoleonische<br />
Aufstellung. Damit stehen den Franzosen<br />
circa 306.000 Alliierte mit 1.200 Geschützen<br />
gegen<strong>über</strong> – nahezu das Doppelte der napoleonischen<br />
Kräfte.<br />
Für die erhoffte Entscheidung des kommenden<br />
Tages formieren die Alliierten sechs<br />
Angriffskolonnen – die ersten drei bei der<br />
Böhmischen Armee. Die 50.000 österreichische<br />
Truppen umfassende I. Kolonne unter<br />
Hessen-Homburg soll von Markkleeberg<br />
aus in Richtung Leipzig vorstoßen. General<br />
Barclay de Tolly soll mit seinen 50.000 Russen<br />
und Preußen als II. Kolonne von Güldengossa<br />
aus zwischen Wachau und Liebertwolkwitz<br />
die französische Schlüsselposition<br />
Probstheida angreifen, während die III. Kolonne<br />
mit 65.000 Mann unter der Führung<br />
von Bennigsen gegen die französischen Stellungen<br />
bei Zuckelshausen, Holzhausen,<br />
Zweinaundorf und Mölkau marschiert.<br />
Angriff der Verbündeten<br />
Im Nordosten wird die Nordarmee als<br />
IV. Kolonne mit 95.000 Mann unter Bernadotte<br />
von Taucha aus gegen die französischen<br />
Kräfte zwischen Schönefeld und<br />
Paunsdorf angesetzt. Die Blücher nach den<br />
verlustreichen Kämpfen verbliebenen 25.000<br />
Mann seiner Schlesischen Armee sollen als<br />
V. Kolonne versuchen, den Norden Leipzigs<br />
zu erreichen. Die VI. und mit 20.000 Mann<br />
kleinste Kolonne wird erneut in Richtung<br />
Lindenau in Marsch gesetzt.<br />
Die weiträumige Aufstellung der alliierten<br />
Truppen macht deren zentrale Führung<br />
unmöglich. Sie greifen im Verlauf des 18. Oktobers<br />
zu unterschiedlichen Zeitpunkten<br />
und mit unterschiedlichem Erfolg an: Die<br />
ERFOLGREICHE ALLIANZ: Die verbündeten Heere Preußens,<br />
Russlands, Österreichs und Schwedens setzen der napoleonischen<br />
Armee heftig zu. Die „Völkerschlacht“ sollte die Vorentscheidung<br />
im Kampf gegen <strong>Napoleon</strong>s Fremdherrschaft in<br />
Europa bringen, Gemälde von Peter von Hess (1853/54).<br />
Abb.: picture-alliance/akg-images<br />
22
<strong>Napoleon</strong> zieht sich zurück<br />
I. Kolonne erobert zwar Dösen, Dölitz und<br />
Lößnig, wird aber durch französische Truppen<br />
der jungen und alten „Garde“ zurückgeworfen.<br />
Teile der VI. Kolonne greifen zur<br />
Unterstützung ein. Dieses Manöver führt jedoch<br />
dazu, dass die Rückzugsstraße <strong>Napoleon</strong>s<br />
nach Westen offen bleibt.<br />
Das „Finale” beginnt<br />
Die II. Kolonne scheitert mit ihrem Frontalangriff<br />
auf Probstheida, dessen Verteidigung<br />
von <strong>Napoleon</strong> geleitet wird. Nur die III. Kolonne<br />
der Böhmischen Armee kann das Angriffsziel<br />
erreichen. Nach Einnahme der vor<br />
ihm liegenden Dörfer entscheidet sich Bennigsen<br />
zum Sturmangriff auf Stötteritz, der<br />
allerdings erfolglos bleibt.<br />
Der IV. Kolonne gelingt es aufgrund ihrer<br />
drückenden personellen Überlegenheit, den<br />
französischen linken Flügel der Aufstellung<br />
zurückzudrängen. Von der Aussichtslosigkeit<br />
ihrer Situation <strong>über</strong>zeugt, gehen in diesem<br />
Frontabschnitt sächsische und württembergische<br />
Rheinbundsoldaten während der<br />
Schlacht auf die Seite der Alliierten <strong>über</strong>. Im<br />
Norden indes bleiben die Angriffe der V. Kolonne<br />
weitgehend erfolglos ohne größere<br />
Geländegewinne im französischen Gegenfeuer<br />
liegen.<br />
Gleichwohl zwingen die enormen Verluste<br />
<strong>Napoleon</strong> am Abend dazu, seine Niederlage<br />
einzugestehen. Seine Truppen stehen<br />
zwar noch auf der Linie Connewitz–<br />
Probstheida–Stötteritz–Crottendorf–Reudnitz–Gohlis.<br />
Die Gesamtlage ist jedoch hoffnungslos.<br />
Er entschließt sich zum Rückzug.<br />
Um den Vormarsch der Alliierten zu verzögern,<br />
lässt <strong>Napoleon</strong> circa 30.000 Mann<br />
meist nicht-französischer Herkunft – in dem<br />
Wissen, dass die Alliierten diese erst noch<br />
niederzuringen haben – in Leipzig zurück.<br />
Dies verschafft ihm einen Zeitvorsprung.<br />
Am 19. Oktober beginnt das „Finale“ um<br />
10:00 Uhr mit einem Sturmangriff von drei<br />
„Es gibt kein beseligenderes Gefühl als Befriedigung<br />
einer solchen Nationalrache. Unaufhaltsam schreiten<br />
wir jetzt an den Rhein vor, um diesen vaterländischen<br />
Strom von seinen Fesseln zu befreien.“<br />
Literaturtipp<br />
Gneisenau in einem Brief an seine Frau am 24. Oktober <strong>1813</strong>.<br />
<strong>1813</strong> – 1913 – 2013: Leipzig und die<br />
Völkerschlacht (Broschur, dt.-engl., 52 Seiten),<br />
Leipzig 2013.<br />
ERLÖSUNG: Kaiser Franz I. von Österreich (Mitte) und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen<br />
(knieend links im Bild) und Russlands Zar Alexander I.<br />
Foto: ullstein bild - Imagno<br />
alliierten Korps auf die in der Stadt eingekesselten<br />
französischen Kräfte. Im Nordosten<br />
kämpfen sich russische Truppen unter der<br />
Führung von Langeron und von Sacken unter<br />
Verlusten in Richtung Hallesches Tor vor.<br />
Im Südosten dringen preußische Kräfte unter<br />
General von Bülow in die Grimmaische<br />
Vorstadt ein. Im Süden wird neben der Pleißenburg<br />
das Peterstor durch russische Infanteristen<br />
unter Bennigsen genommen. Nach<br />
der Sprengung der Elsterbrücke beim Ranstädter<br />
Tor im Norden Leipzigs – der einzige<br />
Fluchtweg der französischen Truppen –<br />
bricht die Verteidigung der Stadt im Chaos<br />
zusammen. Um 13:00 Uhr ist Leipzig in der<br />
Hand der Verbündeten.<br />
Der französische Herrscher weicht mit seinen<br />
noch immer weit mehr als 100.000 Mann<br />
umfassenden Kräften geordnet zurück.<br />
Durch seinen Rückzug <strong>über</strong>lässt er fast 80.000<br />
Mann seiner Besatzungstruppen in eingeschlossenen<br />
Festungen ihrem Schicksal. Über<br />
Weißenfels, Erfurt, Eisenach, Fulda und<br />
Frankfurt erreicht er am 2. November <strong>1813</strong><br />
Mainz, wo er <strong>über</strong> den Rhein geht. Auch<br />
wenn er nicht energisch genug von den Alliierten<br />
verfolgt wird – nur Blücher und Gneisenau<br />
wollen stärkeren Druck aufbauen –,<br />
schrumpft seine verbliebene Armee auf eine<br />
Stärke von nur noch 60.000 Mann zusammen.<br />
Nach dem Rhein-Übergang der Alliierten<br />
Ende Dezember <strong>1813</strong>/Anfang 1814 führt ihr<br />
Frühjahrsfeldzug 1814 in Frankreich letztlich<br />
zur Abdankung <strong>Napoleon</strong>s und seinem zwischenzeitlichen<br />
Exil auf Elba. Seine „Herrschaft<br />
der 100 Tage“ im folgenden Jahr wird<br />
durch die Schlacht bei Waterloo am 18. Juni<br />
1815 endgültig beendet.<br />
Die „Völkerschlacht“ bei Leipzig hat als die<br />
bis dato größte Feldschlacht der Weltgeschichte<br />
tiefe Spuren im Gedächtnis der europäischen<br />
Völker hinterlassen. Schließlich kämpften<br />
Soldaten aus allen Regionen des Kontinents<br />
vor und in Leipzig. Der Eindruck der an<br />
der Schlacht beteiligten Soldaten und Zeitzeugen<br />
war – in positivem wie negativem Sinn –<br />
<strong>über</strong>wältigend. Gneisenau schrieb <strong>über</strong> das<br />
Ringen in einem Brief an seine Frau am<br />
24. Oktober <strong>1813</strong>: „Es sind dieses Tage gewesen,<br />
wie sie die Geschichte nie gesehen hat.“<br />
Dr. Eberhard Birk, Oberregierungsrat und Oberstleutnant<br />
d.R., Dozent für Militärgeschichte an der Offizierschule<br />
der Luftwaffe (OSLw) in Fürstenfeldbruck.<br />
Clausewitz 4/2013<br />
23
Titelgeschichte | „Völkerschlacht“<br />
200 Jahre „Völkerschlacht“ – Leid der Menschen<br />
Im Angesicht des Todes<br />
Herbst <strong>1813</strong>: Krieg – gemessen an<br />
den Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung<br />
– erfahren die Leipziger in<br />
der selben Dimension wie einst die<br />
Bewohner Magdeburgs, als deren<br />
Stadt von den Truppen des kaiserlichen-katholischen<br />
Feldherrn Tilly im<br />
Jahr 1631 niedergebrannt wurde.<br />
Von Peter Andreas Popp<br />
BELASTEND: Die Totengräber in<br />
Leipzig haben im Oktober <strong>1813</strong> viel<br />
zu tun. Die Gefahr der Ausbreitung<br />
von Seuchen durch die <strong>über</strong>all in<br />
der Stadt herumliegenden Leichen<br />
ist zu dieser Zeit sehr groß.<br />
Abb.: picture-alliance/akg-images<br />
24
Die Entwicklung Leipzigs und Magdeburgs<br />
wurde durch den Krieg um Jahrzehnte<br />
zurückgeworfen. In beiden Fällen<br />
brannte sich das „Ereignis Krieg“ tief in<br />
das Kollektivgedächtnis ein. Und so grenzt es<br />
im Falle Leipzigs fast an ein Wunder, dass diese<br />
Kommune 100 Jahre später, also vor Ausbruch<br />
des Ersten Weltkriegs, zu den bedeutendsten<br />
Großstädten Deutschlands zählen<br />
sollte.<br />
Dabei hatten die Leipziger im Herbst <strong>1813</strong><br />
noch Glück: Die Stadt war in ihrer Bausubstanz<br />
noch intakt, weil <strong>Napoleon</strong> das Terrain<br />
Hals <strong>über</strong> Kopf geräumt, die vorbereite Zerstörung<br />
der Leipziger Vorstädte durch Brand<br />
nicht umgesetzt und seine fürchterlichste<br />
Waffe, die Artillerie, nicht entsprechend zum<br />
Einsatz gebracht hatte. Wie schrecklich diese<br />
Waffe wirkte, belegt die Schlacht von Wagram<br />
(5./6. Juli 1809) – doch dies geschah<br />
nicht auf dicht besiedeltem Boden.<br />
Was macht „Leipzig im Oktober <strong>1813</strong>“ so<br />
besonders? Eine derart große „militärische<br />
Menschenmenge“ auf engstem Raum war<br />
etwas Neues in der Geschichte. Mit etwas ernüchterndem<br />
Blick sei festgestellt: Dies wäre<br />
kein Thema, wenn nicht zahlreiche eindringliche<br />
Erlebnisberichte aus unterschiedlicher<br />
Perspektive existieren würden, die das<br />
Elend der Stadt, ihrer Menschen und der Soldaten<br />
eindringlich beschreiben.<br />
Völkerschlacht und Öffentlichkeit<br />
Die „Völkerschlacht“ wurde zum publizistischen<br />
Ereignis auch aus sozialgeschichtlicher<br />
Perspektive, kaum dass sie geschlagen<br />
war. Sie blieb es bis zu ihrem 100-jährigen<br />
Jahrestag im Jahr 1913. Sie wurde es wieder<br />
anhand des Neudrucks zeitgenössischer<br />
Augenzeugenberichte in der letzten Phase<br />
der DDR. Und spätestens heute zur 200-jährigen<br />
Wiederkehr entgeht dem Interessierten<br />
nicht, was Krieg eben vor allem für die<br />
Zivilbevölkerung bedeutet: Tod, Leid und<br />
Elend.<br />
DOKUMENT<br />
VERLUSTREICH: In Leipzig toben im Oktober <strong>1813</strong> in weiten Teilen der Stadt schwere Straßenkämpfe,<br />
die eine Vielzahl von Opfern fordern. Abb.: picture-alliance/Judaica-Sammlung Richter<br />
Unter den Augenzeugenberichten stechen<br />
zwei Autoren besonders hervor: der Arzt Johann<br />
Christian Reil (1759–<strong>1813</strong>) und der Musikwissenschaftler<br />
Johann Friedrich Rochlitz.<br />
Reil gilt als der Begründer der modernen<br />
Psychiatrie. Dieser Umstand ist besonders<br />
deshalb erwähnenswert, weil die Forschung<br />
<strong>über</strong> Kriegstraumata ein zentrales medizinpolitisches<br />
Aufgabenfeld darstellt. Die sensible<br />
Darstellung des Geschehens aus der Feder<br />
von Rochlitz wertete Goethe als „eine<br />
der wundersamsten Produktionen, die sich<br />
je ereignet haben“. Mit Rochlitz findet die<br />
publizistische Darstellungsform der Kriegsreportage<br />
jenseits der bloßen Kriegsberichterstattung<br />
ihren Ausgangspunkt im deutschsprachigen<br />
Raum.<br />
Augenzeugenbericht eines Totengräbers<br />
„Möchte der allerhöchste Weltregierer nie<br />
wollen, dass die Menschheit dergleichen<br />
Angst- und Schreckensszenen wieder erlebe,<br />
als die guten Bewohner Leipzigs im Jahre<br />
<strong>1813</strong> sahen. (...) Durch die Schrecknisse<br />
der vorhergehenden Tage und die verpestete<br />
Luft starben viele Einwohner Leipzigs an<br />
ansteckenden Krankheiten. Die Sterblichkeit<br />
in den Monaten November und Dezember<br />
<strong>1813</strong> war so groß, dass ich oft nicht<br />
wusste, wie ich die Toten beerdigen sollte,<br />
und oft geschah es, dass die für den folgenden<br />
Tag mit aller Anstrengung gemachten<br />
Gräber schon von den Soldaten mit ihren<br />
Leichen belegt und zugemacht waren, obgleich<br />
zur Aufrechterhaltung der Ordnung<br />
Bürgerwache auf dem Gottesacker war, die<br />
jedoch von den Russen wie von den Franzosen<br />
nicht beachtet wurde.“<br />
Johann Daniel Ahlemann: Erlebnisse des Totengräbers<br />
vom Johannisfriedhof, in: Vor Leipzig<br />
<strong>1813</strong>. Die Völkerschlacht in Augenzeugenberichten,<br />
Hg. Karl-Heinz Börner, Berlin (O)<br />
1988, S. 271 u. 277.<br />
Reils Report<br />
Lassen wir Reil direkt zu Wort kommen –<br />
aus seinen Sätzen spricht tiefste Humanität<br />
und nicht allein dies. In seinem Bericht <strong>über</strong><br />
die Situation in den Lazaretten der mit Preußen<br />
verbündeten Staaten vom 26. Oktober<br />
<strong>1813</strong> schreibt er von „Untaten“, die „nicht<br />
für die Tagesgeschichte verloren gehen<br />
dürf(t)en“ und fährt fort: „In Leipzig fand<br />
ich ungefähr 20.000 Verwundete und kranke<br />
Krieger aller Nationen. Die zügelloseste<br />
Phantasie ist nicht im Stande, sich ein Bild<br />
des Jammers in so grellen Farben auszumalen,<br />
als ich es hier in Wirklichkeit vor mir<br />
fand (...) Die Verwundeten liegen entweder<br />
in dumpfen Spelunken, in welchen selbst<br />
das Amphibienleben nicht Sauerstoffgas genug<br />
finden würde, in scheibenleeren Schulen<br />
und hochgewölbten Kirchen, in welchen die<br />
Kälte der Atmosphäre in dem Maße wächst,<br />
als ihr Verderbnis abnimmt.“<br />
Für Reil ist das Verhalten der Leipziger Behörden<br />
unfassbar: „Bei dem Mangel öffentlicher<br />
Gebäude hat man doch nicht ein einziges<br />
Bürgerhaus den gemeinen Soldaten zum Spitale<br />
eingeräumt. An jenen Orten liegen sie<br />
geschichtet, wie die Heringe in ihren Tonnen,<br />
alle noch in den blutigen Gewändern, in welchen<br />
sie aus der heißen Schlacht hereingetragen<br />
sind. Unter 20.000 Verwundeten hat nicht<br />
ein einziger ein Hemde, Betttuch, Decke,<br />
Strohsack oder Bettstelle erhalten.“<br />
Fassungslos beendet er seinen Report:<br />
„Ich schließe meinen Bericht mit dem grässlichsten<br />
Schauspiel, das mir kalt durch die<br />
Glieder fuhr und meine ganze Fassung<br />
lähmte. Nämlich auf dem offenen Hofe der<br />
Bürgerschule fand ich einen Berg, der aus<br />
Kehricht und Leichen meiner Landsleute bestand,<br />
die nackend lagen und von Hunden<br />
und Ratten angefressen wurden, als wenn<br />
sie Missetäter und Mordbrenner gewesen<br />
wären. So entheiligt man die Überreste der<br />
Helden, die dem Vaterlande gefallen sind!“<br />
Clausewitz 4/2013<br />
25
Titelgeschichte | „Völkerschlacht“<br />
AUGENZEUGE: Der<br />
Arzt, Anatom und<br />
Psychologe Johann<br />
Christian Reil schildert<br />
eindringlich das<br />
Leid und Elend der<br />
an der „Völkerschlacht“<br />
beteiligten<br />
Soldaten und<br />
der Bevölkerung von<br />
Leipzig. Er selbst<br />
stirbt im November<br />
<strong>1813</strong> an den Folgen<br />
einer Fleckfieber-<br />
Erkrankung.<br />
Foto: picture-alliance/<br />
akg-images<br />
Reil starb kurz darauf an einer der Folgen dieser<br />
katastrophalen hygienischen Zustände, an<br />
Fleckfieber. Seine Sätze regen zum Nachdenken<br />
dar<strong>über</strong> an, ob nicht gerade durch die<br />
Kampfhandlungen und die rücksichtslosen<br />
militäradministrativen Maßnahmen aller beteiligten<br />
Kriegsparteien im Vorfeld der<br />
Schlacht die Einwohnerschaft Leipzigs nicht<br />
geradezu zwangsläufig in einen Zustand<br />
tiefster Paralyse versetzt worden war.<br />
Die menschliche Psyche<br />
Krieg stumpft in mehrfacher Hinsicht ab.<br />
Nicht nur die Militärverwaltung, auch die<br />
Zivilbehörden waren total <strong>über</strong>fordert. Zahlreiche<br />
Berichte legen Zeugnis ab <strong>über</strong> die<br />
problematische Ernährungslage vor Wintereinbruch,<br />
<strong>über</strong> Plünderungen und <strong>über</strong> aktiv<br />
betriebene Leichenfledderei auf dem<br />
Schlachtfeld.<br />
Besonders begehrt sind neben dem Uniformtuch<br />
und den Waffen der toten Soldaten<br />
deren Gebisse. Hier entstand ein neuer<br />
„Markt“, und wir dürfen davon ausgehen,<br />
dass besonders skrupellose Zeitgenossen<br />
dem Soldatentod auch etwas nachgeholfen<br />
haben, solange das infolge der Kampfhandlungen<br />
selbst zunächst desorganisierte Militär<br />
nichts dagegen unternahm.<br />
Lebensmittel waren rationiert, und dies<br />
ist wie in anderen Notlagen immer die Ge-<br />
burtsstunde des Schwarzmarktes. An strikt<br />
sachrationaler Herangehensweise zur Lösung<br />
der Not mangelte es deutlich. Stattdessen<br />
gab es – wie fast immer in Zeiten tiefster<br />
Desorientierung – zweifelhafte „Lösungsansätze“!<br />
So wird den Leichenbergen zunächst<br />
mit den „Prendel’schen Räucherkerzen“<br />
– angezündeten Pferdemisthaufen – der Garaus<br />
gemacht. Sie verhindern nicht, dass von<br />
Ende November <strong>1813</strong> bis Anfang April 1814<br />
knapp 2.000 Leipziger an Fleckfieber erkranken<br />
und davon rund 500 sterben – darunter<br />
auch der Vater von Richard Wagner.<br />
Wir kennen von kriegerischen Ereignissen<br />
der Gegenwart, dass sich der Mensch<br />
auch neu organisieren kann. In Leipzig war<br />
Bürgersinn seit den Tagen des Mittelalters<br />
immer vorhanden. So starten drei Vertreter<br />
GEDENKEN: Findling zur Erinnerung an die<br />
in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig gefallenen<br />
Soldaten beider Seiten auf dem Leipziger<br />
Nordfriedhof. Dieses schlichte Denkmal<br />
wurde bereits 1899 eingeweiht, 14 Jahre<br />
vor dem mächtigen „Völkerschlachtdenkmal“.<br />
Abb.: picture-alliance/ZB<br />
der Leipziger Kaufmannschaft am 1. November<br />
<strong>1813</strong> eine Spendenaktion mit der<br />
englischen Öffentlichkeit als Hauptzielgruppe.<br />
Es ist auch die Stunde engagierter Intellektueller.<br />
Der sächsische Buchhändler Rudolph<br />
Ackermann trägt <strong>über</strong> die „Westminster<br />
Association“ circa 250.000 £ zusammen.<br />
Das Geld wird <strong>über</strong> kommunale Beamte und<br />
evangelische Pastoren an die notleidenden<br />
Bürger von Leipzig und Umgebung verteilt.<br />
Quer durch alle Schichten erblüht nach dem<br />
„Noch lagen die Toten und Halbtoten auf dem Gottes-<br />
Acker, von dem vorhergehenden Tag umher, und man<br />
konnte kaum einige Schritte gehen, ohne nicht auf<br />
einen Toten oder verwundeten Menschen zu stoßen (...)“.<br />
Aus: Johann Daniel Ahlemann, Totengräber zu Leipzig, <strong>über</strong> die Verhältnisse im<br />
Umfeld des Leipziger Johannesfriedhofs, in: Zeugen des Schreckens.<br />
Erlebnisberichte aus der Völkerschlachtzeit in und um Leipzig, zusammengestellt<br />
von Thomas Nabert, Leipzig 2012, S. 69.<br />
ersten Schock der Bürgersinn. So steht die<br />
„Völkerschlacht“ mittelbar auch für das, was<br />
der Krieg gemeinhin zerstört: die Überwindung<br />
der Krise durch Bürgerlichkeit und<br />
Bürgersinn.<br />
Dr. phil. Peter Andreas Popp, Oberstleutnant,<br />
Jg. 1958, seit 2005 tätig an der Offizierschule der<br />
Luftwaffe (OSLw), Fürstenfeldbruck, als Lehrstabsoffizier<br />
für Militärgeschichte und Politische Bildung.<br />
Zuvor langjähriger Mitarbeiter im Militärgeschichtlichen<br />
Forschungsamt (MGFA), Potsdam.<br />
26
Schlachten, Technik,<br />
Feldherren<br />
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Titelgeschichte | „Völkerschlacht“<br />
„Völkerschlacht“ – Waffen und Technik<br />
Mittel des<br />
Krieges<br />
Leipzig <strong>1813</strong>: Die Ausrüstung der verfeindeten Armeen<br />
weist in vielen Bereichen Defizite auf. Eine zweckentsprechende<br />
Bewaffnung kann die Voraussetzungen des<br />
kriegerischen Erfolges deutlich erhöhen. Von Holger Hase<br />
Veränderungen in Strategie und Taktik<br />
während der „<strong>Napoleon</strong>ischen Kriege“<br />
sind eher auf organisatorische und effizienzsteigernde<br />
Maßnahmen zurückzuführen<br />
als auf die Einführung technischer Neuerungen.<br />
Die Weiterentwicklung der Linearzur<br />
Kolonnentaktik im Bereich der Infanterie<br />
basiert vor allem auf dem veränderten System<br />
der Heeresaufbringung, mit dem sich zudem<br />
die bestehenden waffentechnischen Defizite<br />
besser ausgleichen lassen.<br />
Die Hauptbewaffnung des wichtigsten<br />
Teils des Heeres, der Infanterie, sind Vorderladergewehre<br />
mit Steinschloss. Diese werden<br />
von den Soldaten aufrecht stehend geladen<br />
und verfügen <strong>über</strong> glatte Läufe. Die Ladung<br />
wird von vorn eingebracht. Die dafür<br />
verwendeten Kugeln sind kleiner als der<br />
Laufinnendurchmesser. Sie rollen in den<br />
Lauf hinein und werden deshalb als „Rollkugeln“<br />
bezeichnet. Dies ist notwendig, weil<br />
sich bei der Verbrennung des Pulvers Rückstände<br />
in den Läufen absetzen. Dies führt<br />
dazu, dass sich das Kaliber der Waffen<br />
„schussweise“ verringert. Das Normkaliber<br />
der Rohre liegt zwischen 17 und 20 Millimetern<br />
je nach Land und Hersteller, weicht aber<br />
aufgrund produktionsbedingter Umstände<br />
oft bis zu 0,5 Millimeter vom Soll ab.<br />
Durch diese Ungenauigkeiten haben die<br />
Kugeln einen großen Spielraum im Lauf. Eine<br />
genaue Führung – und damit einhergehend<br />
ein präziser Schuss – sind somit nicht<br />
möglich. Man verzichtet deshalb fast völlig<br />
auf eine Visiereinrichtung und versucht die<br />
mangelhafte Präzision des Einzelschusses<br />
durch massiertes Salvenfeuer auszugleichen.<br />
Der Einzelschütze besitzt kaum Kampfkraft,<br />
einzig die geschlossene Formation ist durchsetzungsfähig.<br />
Schnelles Laden und gemeinsames Schießen<br />
stehen daher im Vordergrund der infanteristischen<br />
Ausbildung. Sie entscheiden oft<br />
<strong>über</strong> Sieg oder Niederlage auf dem Schlachtfeld.<br />
Die wirksame Schussweite der Gewehre<br />
beträgt in der Regel 300 Meter.<br />
Gefährlich unzuverlässig<br />
Die Lauflänge bestimmt wesentlich die Entfernung,<br />
die die Kugeln bis ins Ziel zurücklegen<br />
können. Zeitgenössische Gewehre besitzen<br />
Lauflängen zwischen 100 und 115<br />
Zentimetern. Das glattläufige Gewehr des<br />
Infanteristen heißt nach dem zur Zündung<br />
benutzten Steinschloss meist Flinte (franz.<br />
fusil), traditionell in manchen Armeen noch<br />
Muskete. Der Name leitet sich vom verwendeten<br />
Feuer- oder Flintstein ab. Mit dessen<br />
Hilfe wird durch ein mechanisches Schlagen<br />
auf eine stählerne Fläche am Schloss des Gewehres<br />
ein Zündfunken erzeugt, der von außen<br />
durch ein in der Laufwandung liegendes<br />
Zündloch das Schwarzpulver im Inneren<br />
zündet. Die Störanfälligkeit ist hoch. Statistisch<br />
gesehen versagt jeder siebente Schuss.<br />
AUSSCHNITT: Steinschloss des 1801 in der<br />
preußischen Armee eingeführten „Nothardt“-<br />
Infanteriegewehrs, benannt nach seinem<br />
Konstrukteur Friedrich Magnus von Nothardt.<br />
Bei dem Modell M/1801 wurde erstmals eine<br />
bahnbrechende Neuerung eingesetzt, die Visiereinrichtung<br />
mit Kimme und Korn, die gezieltes<br />
Feuern ermöglichte. Foto: picture-alliance/Artcolor<br />
MIT VOLLER WUCHT: Szene aus<br />
der Schlacht bei Dennewitz am<br />
6. September <strong>1813</strong> im Vorfeld der<br />
„Völkerschlacht“ von Leipzig. Reiter<br />
des 1. Kurmärkischen<br />
Landwehr-Kavallerie-Regiments<br />
attackieren<br />
ein Karree gegnerischer<br />
Infanterie, Farbdruck,<br />
1890, nach Richard<br />
Knötel. Foto: picture-alliance/akg-images<br />
Bei starkem Wind oder Regen schließt sich eine<br />
Zündung praktisch aus. Nicht selten werden<br />
daher Gefechte mit dem Bajonett ausgetragen.<br />
Dazu wird eine eiserne Hülse, die<br />
„Dille“, <strong>über</strong> die Laufmündung geschoben.<br />
Ein horizontal abgeknickter Arm verbindet<br />
Dille und Klinge und ermöglicht das Laden<br />
und Schießen mit aufgepflanztem Bajonett.<br />
28
Bajonettfechten gehört neben der Schießausbildung<br />
zum „Handwerkszeug“ eines jeden<br />
Infanteristen.<br />
Die nach der Französischen Revolution eingeführte<br />
Kolonnentaktik mit der im Nahkampf<br />
die Entscheidung suchenden Fechtweise trägt<br />
wesentlich zum verstärkten Gebrauch dieser<br />
Blankwaffen bei.<br />
Das in Europa am weitesten verbreitete Gewehr<br />
der Epoche ist das französische Infanteriegewehr<br />
Modell 1777. Bis 1839 werden<br />
davon sieben Millionen Stück gebaut. Mit<br />
113 Zentimetern Lauflänge ist es eine verhältnismäßig<br />
lange Waffe, die es bei aufgepflanztem<br />
Bajonett sogar auf 190 Zentimeter<br />
bringt. Das Laufkaliber beträgt 17,5 Millimeter.<br />
Das zum Teil aus Messing hergestellte,<br />
sehr stabile Schloss der Waffe bietet indes<br />
keine Garantie für einen zuverlässigen<br />
Zündvorgang. Bei den französischen Gewehren<br />
kommt es häufig zu Zündversagern.<br />
Preußen führt 1801 das Nothardt-Gewehr<br />
ein, das ein Laufkaliber von 15,7 Millimetern<br />
besitzt, sehr leicht ist und als das modernste<br />
Infanteriegewehr der Zeit gilt.<br />
DETAIL: Das Steinschloss eines preußischen<br />
Infanteriegewehrs M/1809, auch Neupreußisches<br />
Gewehr genannt, mit einem zwischen<br />
den Lippen des Hahns festgeklemmten Flintstein.<br />
Diese Waffe wurde 1811 eingeführt und<br />
während der „Befreiungskriege“ eingesetzt. Sie<br />
wurde später abgelöst durch Gewehre mit Perkussionsschloss.<br />
Foto: Archiv <strong>CLAUSEWITZ</strong><br />
Uneinheitliche Bewaffnung<br />
Im Zuge der Reorganisation ihres Heeres<br />
führen die Preußen 1809 das „Neupreußische<br />
Gewehr“ ein. Dieses lehnt sich stark an<br />
das französische Modell 1777 an. Österreich<br />
führt 1798 ebenfalls ein Gewehr nach französischem<br />
Vorbild ein, bei dem nur geringe<br />
Adaptionen vorgenommen werden. Die<br />
Engländer setzen hingegen voll und ganz<br />
Clausewitz 4/2013<br />
29
Titelgeschichte | „Völkerschlacht“<br />
NACHGESTELLT: Artilleristen beim Ladevorgang in der „Schlacht von Borodino“ auf einem<br />
Militärhistorischen Festival im Jahr 2000. Der Einsatz leichterer, mobiler Artilleriewaffen ermöglichte<br />
der jeweiligen Kriegspartei eine flexiblere Gefechtsführung. Foto: picture-alliance/akg-images<br />
auf die bereits 1717 eingeführte „Long Land<br />
Musket“, auch „Brow Bess“ genannt. Sie besitzt<br />
ein Kaliber von 19,05 Millimetern und<br />
ein sehr solides Steinschloss. Die Waffe ist in<br />
vielen Heeren der Gegner <strong>Napoleon</strong>s verbreitet.<br />
Alle Armeen der Zeit sind weit davon entfernt,<br />
<strong>über</strong> eine einheitliche Bewaffnung zu<br />
verfügen. So ist die preußische Armee im<br />
Herbstfeldzug <strong>1813</strong> mit 126.000 Gewehren<br />
unterschiedlicher Bauart aus eigener Produktion,<br />
30.000 in Österreich gekauften und<br />
112.000 von England gelieferten französischen<br />
Beutewaffen ausgerüstet. Angesichts<br />
dieser Tatsache versucht man wenigstens auf<br />
der Bataillons-Ebene, taktische Verbände mit<br />
einheitlicher Bewaffnung zu schaffen. Sonderbewaffnung<br />
gibt es für Infanteristen, die<br />
mit gezieltem Feuer vorgehen, wie etwa Jäger<br />
oder „Tirailleure“ (Plänkler). Diese kämpfen<br />
mit gezogen, oft selbstbeschafften Büchsen.<br />
Schwere und leichte Kavallerie<br />
Der zweite, wesentlich kleinere Teil eines jeden<br />
Heeres besteht aus der Kavallerie. Pferde<br />
und Reiter bewegen sich unter Kommando<br />
in geschlossenen Formationen und entscheiden<br />
oftmals den Kampf durch schnelle<br />
und raumgreifende Bewegungen. Speziell<br />
für die Schlacht trainierte Pferde sind daher<br />
unverzichtbar für den Erfolg auf dem Gefechtsfeld.<br />
Dabei können diese selbst als<br />
„Waffe“ eingesetzt werden: Ein Pferd kann<br />
im Schritt einen Menschen umlaufen, stößt<br />
ihn im Trab zur Erde und ist im Galopp sogar<br />
dazu in der Lage, eine Formation zu<br />
durchbrechen.<br />
Diese Wirkung lässt sich steigern, wenn<br />
ein geschlossener Anritt mit großen und<br />
schweren Tieren durchgeführt wird. Einer<br />
im vollen Galopp anreitenden Kavallerieformation<br />
kann freistehende Infanterie in Linie<br />
oder Kolonne nicht viel entgegensetzen. Ein-<br />
WEIT VERBREITET: Das Infanteriegewehr M 1777<br />
(Abb. ganz rechts) wird während der napoleonischen<br />
Epoche in großen Stückzahlen gebaut und<br />
ist in dieser Zeit das Standardgewehr der französischen<br />
Armee. Die Steinschlossgewehre anderer<br />
Armeen, etwas Preußens und Russlands, orientierten<br />
sich an diesem „Vorbild“. Abb.: Militärverlag der DDR<br />
BEWÄHRT: Die Engländer setzen auch noch während der <strong>Napoleon</strong>ischen<br />
Kriege auf die bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts eingeführte und nahezu<br />
unveränderte „Long Land Musket“, auch „Brown Bess“ genannt (siehe<br />
Abb. A).<br />
Abb.: picture-alliance/Mary Evans Picture Library<br />
30
Artillerie von großer Bedeutung<br />
zig das Karree bietet in einem solchen Fall<br />
Schutz.<br />
Die Kavallerie wird nach schwerer und<br />
leichter Kavallerie unterschieden. Zur<br />
schweren Kavallerie zählen Kürassiere, Karabiners,<br />
Grenadiere zu Pferde und Dragoner.<br />
Diese tragen teilweise Brustpanzer – in<br />
Preußen „Kürasse“ genannt. Ausgehend von<br />
Frankreich wird dieser zunächst abgeschaffte<br />
Körperschutz ab 1802 wieder eingeführt,<br />
in Preußen jedoch erst <strong>1813</strong>/14. Bewaffnet<br />
sind die Reiter mit Hieb- und Faustfeuerwaffen<br />
verschiedener Bauart und Herkunft.<br />
Normwaffe der Kürassiere ist der schwere,<br />
mit einer geraden Klinge versehene Reiterdegen,<br />
„Pallasch“ genannt. Dieser hat eine<br />
Länge von 90 bis 100 Zentimetern.<br />
Die Handhabung dieser Waffe erfordert<br />
viel Geschick und Übung, vor allem dann,<br />
wenn Hieb und Stoß miteinander verbunden<br />
werden sollen. Bei einem Hieb muss man zur<br />
optimalen Kraftentfaltung den Gegner mit<br />
dem letzten Viertel der Klinge treffen. Eine<br />
richtige Abstandseinschätzung ist daher<br />
wichtig. Als noch gefährlicher entpuppt sich<br />
der Stoß, welcher für den Stechenden nicht<br />
selten mit einer Verstauchung des Handgelenks<br />
und damit der Wehrlosigkeit endet.<br />
Wirksame Hiebwaffen<br />
Dragoner und Grenadiere zu Pferde sind eigentlich<br />
berittene Infanteristen, die sich im<br />
Laufe der Zeit zu vollgültigen Kavalleristen<br />
gewandelt haben. Bewaffnet sind sie mit Reiterkarabinern,<br />
leichten, kurzläufigen Gewehren,<br />
die ein wesentlich kleineres Kaliber<br />
als Infanteriewaffen besitzen. Zur leichten<br />
Kavallerie zählen Husaren, Chevaulegers,<br />
Jäger zu Pferde, Ulanen bzw. Lanciers sowie<br />
irreguläre Formationen der Kosaken, Baschkiren,<br />
Kalmücken und Tataren. Husaren führen<br />
Hiebwaffen mit gekrümmten Klingen,<br />
die als Säbel bezeichnet werden. Die Klingenlänge<br />
beträgt in der Regel 80 Zentimeter.<br />
Der Säbel ist eine reine Angriffswaffe und<br />
hervorragend im Handgemenge zu gebrauchen.<br />
Er trifft beim Schlag fast <strong>über</strong>all mit<br />
der gleichen Kraft. Das wohl bekannteste<br />
Modell seiner Zeit ist der sogenannte „Blücher-Säbel“,<br />
ein Nachbau des englischen<br />
„Light Cavalry topers sword M 1796“, der<br />
als „Kavalleriesäbel M 1811“ in großen Stückzahlen<br />
eingeführt und bis 1857 als Standardwaffe<br />
in der preußischen Kavallerie Verwendung<br />
findet. Lanzenreiter wie Ulanen oder<br />
Kosaken führen Reiterlanzen mit zweischneidiger<br />
oder vierkantiger Spitze, deren<br />
Längen zwischen 2,65 und 3,15 Meter liegen.<br />
Bewegliche Artillerie<br />
Der dritte wichtige Bestandteil des Heeres<br />
ist die Artillerie. Hier verdient vor allem die<br />
Entwicklung hin zu leichteren und damit<br />
auch mobileren Geschützen Erwähnung.<br />
Dies ist ein wesentlicher Baustein für <strong>Napoleon</strong>s<br />
Erfolge auf dem Schlachtfeld. Der Kaiser<br />
der Franzosen baut anders als die Strategen<br />
des 18. Jahrhunderts nicht auf fest gefasste<br />
Operationspläne, sondern setzt auf<br />
eine flexible Gefechtsführung.<br />
Dazu sind schnelle Schwerpunktverlagerungen<br />
sowohl mit der Infanterie als auch<br />
„Die Franzosen sahen uns kommen und fingen<br />
an zu schießen, dass ich glaubte, wir<br />
müssten alle stürzen. Die Salven krachten und<br />
unsere Leute fielen wie gemäht...“<br />
Johann Karl Hechel, preußischer Soldat, <strong>über</strong> seine Erlebnisse im Gefecht bei<br />
Möckern am 16. Oktober <strong>1813</strong>.<br />
mit der Artillerie notwendig. Die leichte,<br />
sechspfündige Kanone wird zum Standardgeschütz<br />
der Feldartillerie jener Zeit. Sie besitzt<br />
die notwendige Beweglichkeit. Die Geschütze<br />
werden klassifiziert in Kanonen für<br />
den direkten Schuss auf ein Ziel und Mörser<br />
für den indirekten „Wurf“.<br />
Die sogenannten Haubitzen können sowohl<br />
werfen als auch schießen, werden aber<br />
zu den Wurfgeschützen gezählt. Kanonen<br />
werden nach dem Gewicht der eisernen Vollkugeln<br />
bezeichnet, die sie verschießen, Mörser<br />
und Haubitzen analog dazu nach dem<br />
Gewicht der Steinkugeln, welche sie werfen.<br />
Aufgrund der unterschiedlichen Dichte von<br />
Stein und Gusseisen ist das Kaliber der Rohre<br />
bei gleicher Benennung unterschiedlich.<br />
Eine Besonderheit bei der Munition sind die<br />
sogenannten Kartätschen, die gegen massiert<br />
auftretende Kavallerie oder Infanterie<br />
auf kurze Distanz eingesetzt werden. Dabei<br />
handelt es sich um Hohlkugeln, die mit kleinen<br />
Kugeln aus Gusseisen oder Blei gefüllt<br />
Literaturtipp<br />
Georg Ortenburg (Hg.): Heerwesen der Neuzeit,<br />
Abt. III, Bd. 1, Waffe und Waffengebrauch im<br />
Zeitalter der Revolutionskriege, Koblenz 1988.<br />
ÄHNLICHE BAUART: Diese Skizze zeigt ein<br />
Steinschloss eines altpreußischen Infanteriegewehrs.<br />
Die Bauart des Schlosses ist<br />
weitgehend identisch mit der des neupreußischen<br />
Infanteriegewehrs M/1809.<br />
Foto: Archiv <strong>CLAUSEWITZ</strong><br />
sind und als eine Art Schrottschuss aus einer<br />
Kanone heraus abgegeben werden. Die<br />
Schussweite im artilleristischen Feuerkampf<br />
beträgt im Schnitt 1.200 Meter. Die Rohre<br />
sind auf hölzernen Lafetten montiert und<br />
durch Schildzapfen starr miteinander verbunden,<br />
was beim Feuerkampf aufgrund<br />
des Rückstoßes zu einem Herausrollen aus<br />
der Stellung nach hinten führt.<br />
Zum Schießen genügt – unabhängig vom<br />
Kaliber – eine vierköpfige Mannschaft. Der<br />
bei allen Geschütztypen gleiche Ladevorgang<br />
besteht aus folgenden Schritten: Wischen<br />
des Rohres, Ansetzen der Schwarzpulverladung,<br />
Einsetzen des Geschosses, Anrichten<br />
des Zieles, Einsetzen des Zünders,<br />
Abfeuern. Eine geübte Besatzung kann zwei<br />
bis vier Schuss pro Minute abfeuern. Für das<br />
Fahren gehört zu jeder Lafette eine zweirädrige<br />
Protze, die bei der Feldartillerie meist einen<br />
Aufsatzkasten besitzt, in dem Munition<br />
mitgeführt wird.<br />
Als neue Gattung entsteht in den 1780er-<br />
Jahren die reitende Artillerie, deren hoher<br />
Mobilisierungsgrad dem Truppenführer die<br />
Schwerpunktbildung im Gefecht erleichtert<br />
und welche die bis dahin den Regimentern<br />
oder Bataillonen zugeteilten Kanonen entbehrlich<br />
macht.<br />
Holger Hase, Jg. 1976, Major und Lehrstabsoffizier für<br />
Militärgeschichte an der Offizierschule des Heeres in<br />
Dresden.<br />
Clausewitz 4/2013<br />
31
Schlachten der Weltgeschichte<br />
Dritte Schlacht um Charkow 1943<br />
Mansteins<br />
„unvollendeter<br />
Sieg“<br />
Frühjahr 1943: Der gesamte Südflügel der deutschen Ostfront befindet sich auf dem<br />
Rückzug. Um die Front zu stabilisieren, entscheidet sich Hitler für eine Gegenoffensive<br />
unter Mansteins Führung in Richtung Charkow.<br />
Von Lukas Grawe<br />
Der teilweise ungeordnete Rückzug<br />
nach der Vernichtung der 6. Armee bei<br />
Stalingrad führt zu Beginn des Jahres<br />
1943 zu einer Frontlücke zwischen den Heeresgruppen<br />
(HGr.) Mitte und Süd, durch die<br />
sowjetische Truppen nach Westen durchstoßen<br />
und den Südflügel des deutschen Heeres<br />
bedrohen können. Innerhalb dieser Lücke<br />
stellt die Großstadt Charkow ein wichtiges<br />
strategisches und prestigeträchtiges Ziel dar.<br />
Hitler weist daher den Befehlshaber der<br />
HGr. Süd, Generalfeldmarschall Erich von<br />
Manstein, an, die Offensivbemühungen auf<br />
die erst wenige Wochen zuvor geräumte<br />
Stadt zu konzentrieren.<br />
32
SPUREN DES KAMPFES: Schützenpanzerwagen<br />
vom Typ Sd.Kfz. 250 einer<br />
Einheit der Waffen-SS beim Durchqueren<br />
eines von deutschen Truppen<br />
eroberten Dorfes südwestlich von<br />
Charkow.<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
Zahlenmäßig ist die HGr. Süd den sowjetischen<br />
Truppen weit unterlegen. Unter hohem<br />
Risiko und mit Hilfe einer Truppenrochade<br />
vom Südflügel der HGr. nach Nordwesten<br />
gelingt es Manstein Mitte Februar<br />
jedoch, einen schlagkräftigen Angriffsverband<br />
zusammenzustellen. Nach den vorangegangenen<br />
Niederlagen im Osten ist die<br />
deutsche Militärführung dringend auf Erfolge<br />
angewiesen, um das sehr angeschlagene<br />
Ostheer zum Weiterkämpfen zu motivieren.<br />
HEERESGRUPPENCHEF:<br />
Generalfeldmarschall Erich<br />
von Manstein kann mit den<br />
Verbänden seiner HGr. Süd<br />
den Gegner aus Charkow verdrängen,<br />
doch dieser Erfolg<br />
ist nicht von langer Dauer.<br />
Foto: picture-alliance/Artcolor<br />
Clausewitz 4/2013<br />
33
Schlachten der Weltgeschichte | Charkow 1943<br />
IN KOLONNE: SS-Panzergrenadiere<br />
dringen mit ihren Schützenpanzerwagen<br />
ins Stadtinnere des wiedereroberten<br />
Charkow vor. Foto: ullstein bild<br />
Am 19. und 20. Februar beenden die deutschen<br />
Verbände ihren Rückzug und treten<br />
zum Gegenangriff an. Der Schwerpunkt des<br />
Angriffs liegt dabei auf der 4. Panzerarmee<br />
unter Generaloberst Hermann Hoth, die im<br />
Zusammenwirken mit der Armeeabteilung<br />
Kempf und der 1. Panzerarmee unter General<br />
der Kavallerie Eberhard von Mackensen<br />
ein weiteres Vordringen der Roten Armee<br />
nach Westen verhindern soll.<br />
Die sowjetische Führung verkennt die<br />
deutschen Offensivabsichten völlig, da man<br />
mit einem weiteren weiträumigen Rückzug<br />
gerechnet hat. Auf diese Weise stößt Hoths<br />
Panzerarmee erfolgreich vor und Mackensens<br />
Panzer erreichen schon nach kurzer Zeit<br />
HINTERGRUND<br />
den Donez. Während im südlichen Angriffsabschnitt<br />
Erfolge verzeichnet werden, verschlechtert<br />
sich die Lage weiter nördlich bei<br />
„Heißumkämpftes“ Charkow<br />
der geschwächten Armeeabteilung Kempf.<br />
Die Armeeabteilung Kempf zu entlasten und<br />
durch einen weiteren Vorstoß <strong>über</strong> Charkow<br />
nach Norden die HGr. Mitte zu unterstützen,<br />
sind die wesentlichen Ziele Mansteins.<br />
Dabei muss dieser vor allem die Wetterverhältnisse<br />
beachten. Durch das einsetzende<br />
„Trotzdem muss der Feind geschlagen werden. Wenn<br />
wir dennoch stecken bleiben, schadet es nichts.“<br />
Generalfeldmarschall Manstein<br />
am 7. März 1943 zu General der Panzertruppe Werner Kempf.<br />
Die alte Hauptstadt der Ukraine ist zu Beginn<br />
des deutschen Angriffs die viertgrößte<br />
Stadt der Sowjetunion und bildet einen wichtigen<br />
Verkehrs- und Handelsknotenpunkt.<br />
Auch die Rüstungsindustrie spielt eine große<br />
Rolle, unter anderem wird in Charkows<br />
Fabriken der legendäre Kampfpanzer T-34<br />
entworfen. Die Stadt selbst wechselt während<br />
des Krieges mehrmals den „Besitzer“<br />
und ist Schauplatz schwerer Kämpfe.<br />
Im Oktober 1941 erobert die Wehrmacht die<br />
Stadt und kann sie gegen einen sowjetischen<br />
Befreiungsversuch im Mai 1942 verteidigen.<br />
Nach der deutschen Niederlage<br />
bei Stalingrad muss sich der gesamte deutsche<br />
Südflügel zurückziehen, sodass die Rote<br />
Armee am 16. Februar 1943 Charkow zurückerobern<br />
kann.<br />
Hitler hatte zuvor den deutschen Verteidigern,<br />
die sich vor allem aus Soldaten des II.<br />
SS-Panzerkorps von Hausser zusammensetzen,<br />
die Aufgabe der Stadt untersagt.<br />
Auch in diesem Fall handelt Hausser höchst<br />
eigenwillig und gegen anderslautenden Befehl,<br />
um eine drohende Einkesselung seiner<br />
Einheit zu verhindern. Nach der deutschen<br />
Rückeroberung im März 1943 fällt Charkow<br />
im Anschluss an das gescheiterte Unternehmen<br />
„Zitadelle“ im August 1943 endgültig<br />
wieder in russische Hand.<br />
Tauwetter werden viele Straßen und Wege<br />
unpassierbar, der Schlamm erschwert den<br />
Vorstoß erheblich.<br />
Die deutschen Truppen sind nach mehreren<br />
Tagen ohne Gefechtspause am Ende ihrer<br />
Kräfte, doch treibt sie die Aussicht auf einen<br />
prestigeträchtigen Erfolg in Charkow weiter<br />
voran. Besonders das SS-Panzerkorps unter<br />
der Führung von SS-Obergruppenführer und<br />
General der Waffen-SS Paul Hausser mit den<br />
SS-Panzergrenadier-Divisionen „Das Reich“,<br />
„Totenkopf“ und „Leibstandarte Adolf Hitler“<br />
brennt förmlich auf die Rückeroberung<br />
der Stadt. Eben jene Divisionen haben kurz<br />
zuvor noch der Übermacht der Roten Armee<br />
weichen und aus Charkow abziehen müssen,<br />
wobei Hausser gegen den ausdrücklichen<br />
Haltebefehl Hitlers handelte.<br />
Am 5. März 1943 steht die Angriffsfront<br />
der 4. Panzerarmee noch 50 Kilometer südlich<br />
von Charkow, flankiert zur Linken von<br />
der Armeeabteilung Kempf und zur Rechten<br />
34
SS „brennt” auf Rückeroberung<br />
von der 1. Panzerarmee. Hitler befiehlt die<br />
Einnahme der Stadt, während das Vorhaben<br />
Mansteins eher die Vernichtung gegnerischer<br />
Truppen vorsieht. Um die sowjetischen<br />
Armeen im Raum Charkow – Donezbogen<br />
einkesseln zu können, sieht der Feldmarschall<br />
ein Vorgehen der 4. Panzerarmee ostwärts<br />
des Donez und ein anschließendes<br />
Übersetzen <strong>über</strong> den Fluss in Richtung Charkow<br />
vor. Auf diese Weise würden die gegnerischen<br />
Armeen zwischen Hoths Panzerarmee<br />
und der Armeeabteilung Kempf aufgerieben.<br />
KARTE<br />
Kampfhandlungen um Charkow im März 1943<br />
NICHT VON LANGER DAUER: Wenige Monate nach dem deutschen Erfolg gelang der<br />
Roten Armee die erneute und dauerhafte Rückeroberung der Stadt Charkow.<br />
Beginn des deutschen Angriffs<br />
Die Eroberung der Stadt selbst ist für Manstein<br />
zweitrangig, da er auf jeden Fall ein<br />
„zähes Festbeißen“ in den Verteidigungsanlagen<br />
verhindern und ein zweites „Stalingrad“<br />
vermeiden will. Diese „große Lösung“<br />
mit der weiträumigen Umgehung der Stadt<br />
wird jedoch in dem Moment unmöglich, in<br />
dem einsetzendes Tauwetter den Vormarsch<br />
aufhält.<br />
Alternativ arbeiten Manstein und sein<br />
Armeeoberbefehlshaber Hoth daher eine<br />
„kleine Lösung“ aus, die den Vorstoß der<br />
4. Panzerarmee in nördlicher Richtung in<br />
Anlehnung an die Armeeabteilung Kempf<br />
vorsieht. Anschließend soll Charkow nördlich<br />
umgangen und von Nordosten und Osten<br />
her angegriffen werden.<br />
Die Verteidiger sollen auf diese Weise am<br />
Entweichen aus dem entstehenden Kessel<br />
gehindert werden. Der Infanteriedivision<br />
„Großdeutschland“, die dem Verband<br />
Kempfs untersteht, kommt dabei die Rolle<br />
des Flankenschutzes für das II. SS-Panzerkorps<br />
zu, das den linken Flügel von Hoths<br />
4. Panzerarmee bildet. Hoth und Manstein<br />
vertagen jedoch die Entscheidung <strong>über</strong> die<br />
Vorgehensweise, um die weitere Entwicklung<br />
abwarten zu können.<br />
Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich<br />
Am Morgen des 6. März greift Hoths Armee<br />
auf einer 60 Kilometer breiten Front die sowjetischen<br />
Stellungen südlich von Charkow<br />
an. Vor allem das SS-Panzerkorps macht große<br />
Geländegewinne, während der rechte<br />
Flügel der 4. Panzerarmee gegen zähen Widerstand<br />
der sowjetischen Verteidiger kaum<br />
vorankommt.<br />
PROPAGANDAAUFNAHME: Dieses Foto eines Kriegsberichterstatters<br />
der Wehrmacht zeigt sowjetische Kriegsgefangene<br />
nach der 3. Schlacht um Charkow, in der Bildmitte<br />
ein „Kindersoldat“. Foto: ullstein bild – Heinrich Hoffmann<br />
Clausewitz 4/2013<br />
35
Schlachten der Weltgeschichte | Charkow 1943<br />
Marschall der Panzertruppen:<br />
Pawel S. Rybalko<br />
Der spätere Führer der 3. sowjetischen<br />
Panzerarmee wird 1894 in der nördlichen<br />
Ukraine geboren und tritt bereits<br />
in jungen Jahren der kaiserlichen Armee<br />
bei. Nach der Oktoberrevolution<br />
stellt sich Rybalko in den Dienst der<br />
Roten Armee und nimmt am Russischen<br />
Bürgerkrieg und am Russisch-<br />
Polnischen Krieg des Jahres 1920 teil.<br />
Seine Fähigkeiten werden bald erkannt,<br />
sodass Rybalko schnell in der<br />
sowjetischen Militärhierarchie aufsteigt.<br />
Er erwirbt sich den Ruf eines<br />
Fachmanns für Panzerkriegführung.<br />
Bei der Abwehr des deutschen Angriffs<br />
auf den Kursker Frontbogen im<br />
Sommer 1943 zeichnet sich Rybalko<br />
als hervorragender Truppenführer aus<br />
und wird mit dem Titel „Held der Sowjetunion“<br />
geehrt. 1948 erliegt er einem<br />
Krebsleiden.<br />
GESCHLAGEN: Pawel S. Rybalko muss<br />
sich mit seiner 3. sowjetischen Panzerarmee<br />
aus Charkow zurückziehen.<br />
Foto: ullstein bild – rps<br />
SS-Panzerkorps gut voran. Das Heeresgruppenoberkommando<br />
ist zu diesem Zeitpunkt<br />
völlig unentschlossen, wie der Kampf weiter<br />
geführt werden soll. Sogar eine Einstellung<br />
des Angriffs wird erwogen, zu der vor<br />
allem Generaloberst Hoth drängt, da die<br />
eroberte Stellung am Msha leicht zu verteidigen<br />
ist.<br />
Günstige Witterungsverhältnisse<br />
Die Vorhersage der Meteorologen hilft Manstein<br />
bei seinem Entschluss. Diese melden<br />
für die folgenden Tage starken Frost, der die<br />
Schlammmassen wieder passierbar werden<br />
lässt und somit weitere Operationen beweglicher<br />
Verbände sinnvoll macht. Für eine<br />
weiträumige östliche Umfassung der Stadt<br />
fehlt mittlerweile jedoch die Zeit. Auch ein<br />
Weiterführen des frontalen Angriffs auf den<br />
Südteil der Stadt schließt Manstein aus, da<br />
die sowjetischen Verteidigungsstellungen<br />
hier besonders stark ausgebaut sind.<br />
Der Generalfeldmarschall entschließt sich<br />
daher für eine Angriffsstoßrichtung westlich<br />
an Charkow vorbei, um bei erfolgreichem<br />
Verlauf entweder nach Nordwesten einzudrehen<br />
und die sowjetischen Truppen einzukesseln<br />
oder Charkow von Nordosten anzugreifen.<br />
Bedenken seiner Armeeführer weist<br />
Manstein ab.<br />
Die Meteorologen behalten recht. Die<br />
Temperaturen sinken in den folgenden Tagen<br />
deutlich unter null Grad und machen<br />
die Wege und Straßen für Angriffsoperationen<br />
nutzbar. Die Lage der 4. Panzerarmee<br />
bleibt auch in den kommenden Tagen unverändert:<br />
Während der rechte Flügel mit dem<br />
XXXXVIII. und LVII. Panzerkorps gegen<br />
hartnäckigen Widerstand kaum an Boden<br />
gewinnt, macht das II. SS-Panzerkorps auf<br />
dem linken Flügel große Fortschritte und<br />
treibt die schwachen und völlig <strong>über</strong>raschten<br />
sowjetischen Kräfte Richtung Norden.<br />
Die 3. sowjetische Panzerarmee unter dem<br />
Befehl von Generalleutnant Rybalko sammelt<br />
sich daraufhin in und um Charkow und<br />
errichtet Verteidigungsstellungen.<br />
Die deutsche Führung nimmt daher an,<br />
dass der Gegner die Stadt unter allen Umständen<br />
verteidigen will. Auf diese Weise<br />
hält man es für möglich, die neu gebildete<br />
sowjetische Abwehrfront von Norden her zu<br />
umfassen und von Nordosten einen Vorstoß<br />
in den Rücken des Gegners zu wagen.<br />
Generaloberst Hoth weist daher das<br />
SS-Panzerkorps am 9. März an, mit hoher<br />
Geschwindigkeit westlich an Charkow vorbei<br />
vorzustoßen, um die günstige Gelegenheit<br />
wahrzunehmen. Die Einnahme der alten<br />
Haussers Panzerkorps beginnt noch am<br />
selben Tag mit dem Übersetzen <strong>über</strong> den<br />
Fluss Msha, dessen Verlauf südlich von<br />
Charkow ein natürliches Hindernis bildet.<br />
Einen Tag später greift auch die Infanteriedivision<br />
„Großdeutschland“ in die Kämpfe<br />
ein. Sie dringt nach Nordosten vor und soll<br />
so ein Zurückweichen des Gegners aus der<br />
südlichen Msha-Stellung abschneiden.<br />
In den folgenden Tagen entwickelt sich<br />
die Lage südlich von Charkow anders als<br />
von Manstein ursprünglich beabsichtigt:<br />
Anstelle von großen Fortschritten auf dem<br />
rechten Flügel, die eine östliche Umgehung<br />
der Stadt erlauben, kommt besonders das<br />
DRAMATISCHE SZENE: Deutsche Soldaten – darunter auch Verwundete – suchen hinter<br />
ihren Schützenpanerwagen Deckung vor feindlichem Beschuss. Foto: ullstein bild – ullstein bild<br />
36
Haussers umstrittene Entscheidung<br />
AUSGESCHALTET: Ein sowjetischer<br />
Panzer T-34 am Stadtrand von Charkow<br />
nach der Rückeroberung durch deutsche<br />
Truppen.<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
ukrainischen Hauptstadt ist zu diesem Zeitpunkt<br />
nicht vorgesehen, es geht vorrangig<br />
um die Einkesselung des Gegners. Nur für<br />
den Fall, dass Charkow „handstreichartig“<br />
zu nehmen sei, gestatten Hoth und auch<br />
Manstein den direkten Angriff auf die Stadt.<br />
Währenddessen haben das XXXXVIII.<br />
und LVII. Panzerkorps große Mühe, ihre<br />
Front gegen die mit <strong>über</strong>legenen Kräften<br />
vorgetragenen Angriffe der Roten Armee zu<br />
halten. Beide Verbände kommen noch immer<br />
nur langsam voran und müssen Ortschaft<br />
für Ortschaft in erbitterten Kämpfen<br />
erobern. Ihre Beteiligung an den direkten<br />
Gefechten um Charkow ist somit ausgeschlossen.<br />
Unklare Befehle<br />
Entsprechend des letzten Armeebefehls von<br />
Generaloberst Hoth stößt das SS-Panzerkorps<br />
am 9. März gegen Abend weiter nach Norden<br />
vor. Rasch gelingt die Überschreitung des<br />
Flusses Udy, der Charkow von Nordwesten<br />
nach Südosten durchfließt. Immer wieder betont<br />
das Armeeoberkommando (AOK), dass<br />
„das Ziel der Operationen nicht die Wegnahme<br />
der Stadt, sondern die Umfassung und<br />
Vernichtung des Gegners“ sei. Dennoch bleibt<br />
der Befehl des „handstreichartigen Nehmens“<br />
der Stadt, der verschieden interpretiert<br />
werden kann, bestehen.<br />
Nachdem Hausser vom Armeeoberkommando<br />
keine Antwort erhält, ob der bisherige<br />
Auftrag der Umfassung Charkows von<br />
Norden bestehen bleibt, entscheidet er<br />
selbst: Er entschließt sich zu einem konzentrisch<br />
vorgetragenen Angriff auf die Stadt.<br />
Die Division „Das Reich“ soll von Westen<br />
und Nordwesten, die Division „Leibstandarte<br />
SS Adolf Hitler“ von Norden, Nordosten<br />
Eigenwilliger Kommandeur:<br />
Paul Hausser<br />
Hausser wird 1880 als Sohn eines preußischen Offiziers<br />
in Brandenburg/Havel geboren. Unter anderem<br />
im Generalstab ausgebildet, erwirbt er sich im „Dritten<br />
Reich“ schnell den Ruf eines militärsachkundigen Organisators.<br />
Bereits 1934 bietet ihm Reichsführer-SS Heinrich<br />
Himmler an, die neu entstehende SS-Verfügungstruppe<br />
auszubilden. Als im Oktober 1939 die erste Division<br />
der Waffen-SS aufgestellt wird, erhält<br />
Hausser das Kommando <strong>über</strong> den neuen Verband.<br />
Seine erfolgreiche Führung macht die Aufstellung<br />
weiterer Verbände der Waffen-SS möglich.<br />
Während des Zeiten Weltkriegs wird<br />
Hausser auf zahlreichen Kriegsschauplätzen<br />
eingesetzt und erweist sich dabei als durchaus<br />
fähiger, aber eigenwilliger Kommandeur.<br />
Sogar Haltebefehle Hitlers werden<br />
von ihm missachtet, wenn Hausser sie für<br />
falsch hält. Nach 1945 gelangt der hochdekorierte<br />
General in US-Kriegsgefangenschaft,<br />
aus der er 1948 entlassen wird.<br />
Hausser stirbt 1972.<br />
UNFOLGSAM: Paul Hausser, Kommandeur<br />
des (II.) SS-Panzerkorps,<br />
widersetzt sich bei den Kämpfen um<br />
Charkow 1943 einem Befehl Hitlers<br />
und Weisungen des Armeeoberkommandos.<br />
Foto: ullstein bild<br />
Clausewitz 4/2013<br />
37
Schlachten der Weltgeschichte | Charkow 1943<br />
INFO<br />
Zielsetzung<br />
Oberbefehl<br />
Einsatzverbände<br />
Nicht unmittelbar<br />
beteiligte<br />
Verbände<br />
Die Kriegsparteien im Vergleich<br />
Wehrmacht<br />
Stoppen der sowjetischen<br />
Offensive; Wiedererlangen der<br />
Initiative an der Ostfront<br />
Erich von Manstein<br />
(Heeresgruppe Süd)<br />
4. Panzerarmee (Hoth) mit dem<br />
XXXXVIII. und LVII. Panzerkorps<br />
und dem II.* SS-Panzerkorps<br />
(*offizielle Bezeichnung<br />
seit Juni 1943),<br />
Armeeabteilung Kempf mit<br />
der Infanteriedivision<br />
„Großdeutschland“<br />
1. Panzerarmee (Mackensen),<br />
2. Armee (Weiss)<br />
Rote Armee<br />
Zerschlagung des Südflügels<br />
des deutschen Ostheeres;<br />
Weiterer Vormarsch nach<br />
Westen<br />
Nikolai F. Watutin („Südwestfront“),<br />
Filipp I. Golikow<br />
(„Woroneschfront“)<br />
3. Panzerarmee (Rybalko) und<br />
6. Armee (Charitonow)<br />
40. Armee (Moskalenko) und<br />
69. Armee (Kasakow),<br />
Gruppe Popow<br />
Truppenstärke circa 270.000 Mann circa 750.000 Mann (geschätzt)<br />
Verluste k.A.; das II. SS-Panzerkorps<br />
verliert fast 12.000 Mann an<br />
Gefangenen, Verwundeten und<br />
Gefallenen<br />
50.000 Gefallene, 20.000<br />
Soldaten gehen in deutsche<br />
Kriegsgefangenschaft; 3.300<br />
Geschütze und 1.400 Panzer<br />
und Osten gegen die Stadt vordringen. Die<br />
Nordflanke soll währenddessen von der<br />
„Totenkopfdivision“ geschützt werden. Obwohl<br />
noch rechtzeitig vor Angriffsbeginn ein<br />
Befehl des AOK bei Hausser eintrifft, der einen<br />
direkten Stoß auf die Stadt verbietet, ändert<br />
der Panzerkorpsführer seinen Entschluss<br />
nicht mehr.<br />
Angriff auf die Stadt<br />
Am 10. März beginnt Hausser mit dem<br />
Sturm auf die Stadt. Trotz massiver Luftunterstützung<br />
gelingt es jedoch keiner seiner<br />
Divisionen, <strong>über</strong> die Vororte Charkows<br />
hinauszukommen. Die Divisionen „Das<br />
Reich“ und „Leibstandarte“ müssen etwa<br />
zehn Kilometer jenseits des Stadtrandes stehenbleiben.<br />
Im Oberkommando der Heeresgruppe<br />
Süd ist man mittlerweile der Meinung, dass<br />
die Rote Armee Charkow nur noch halten<br />
will, um möglichst viele Truppen aus der<br />
drohenden Einkesselung nach Osten zu retten.<br />
Nach Ansicht von Manstein und Hoth<br />
ist daher Eile geboten. Will man das Entweichen<br />
der 3. sowjetischen Panzerarmee aus<br />
ERSCHÖPFT: Ein Panzer einer SS-Division mit aufgesessenen Grenadieren<br />
im Zentrum von Charkow. Nach heftigem Kampf ist der Widerstand des<br />
Gegners gebrochen. Foto: BArch, Bild 101III-Zschaekel-190-29/Fotograf: Zschäkel, Friedrich<br />
38
Erbitterte Straßenkämpfe<br />
der Stadt verhindern, muss ein zeitraubender<br />
Angriff auf die Verteidigungsanlagen<br />
unterbleiben und die Umfassung von Norden<br />
und Nordosten ist weiter voranzutreiben.<br />
Im Westen soll die Stadt hingegen nur<br />
„abgeriegelt“ werden.<br />
Der Befehl, der Haussers kompletten<br />
Operationsentwurf obsolet macht, wird vom<br />
SS-Obergruppenführer jedoch nicht beachtet.<br />
Seiner Truppe teilt er mit: „Die bereits<br />
am 10. März an die Divisionen gegebenen<br />
Aufträge mit Einzelheiten für die Wegnahme<br />
der Stadt brauchen dadurch nicht geändert<br />
werden.“<br />
Am 11. März beginnen die SS-Divisionen<br />
„Das Reich“ und „Leibstandarte“ den erneuten<br />
Angriff auf die Stadt. Haussers Missachtung<br />
des Armeebefehls vom Vortag sorgt<br />
im Armeeoberkommando und bei der Heeresgruppe<br />
für Verärgerung. Schon längst haben<br />
die sowjetischen Verteidiger mit der Befestigung<br />
der Stadt begonnen, die eine<br />
handstreichartige Eroberung unmöglich<br />
machen.<br />
Generaloberst Hoth und Generalfeldmarschall<br />
Manstein drängen auf einen Abbruch<br />
der Kämpfe, um den Gegner, der vor dem<br />
XXXXVIII. Panzerkorps verbissen verteidigt,<br />
in den Rücken fallen zu können. Doch der<br />
Plan der HGr. wird durch das eigenmächtige<br />
Handeln Haussers gefährdet. Hoth setzt<br />
dem widerspenstigen General der Waffen-<br />
SS daraufhin am 12. März ein Ultimatum:<br />
„Ich mache Komm. General SS-Pz.-Korps für<br />
umgehende Durchführung meines Befehls<br />
verantwortlich, SS-Div. D[as] R[eich] aus<br />
Kampf Charkow herauszulösen und nördlich<br />
Charkow herum auf den Ostflügel heranzuführen.<br />
Vollzugsmeldung ist nunmehr<br />
umgehend vorzulegen.“<br />
Literaturtipp<br />
Eberhard Schwarz: Die Stabilisierung der Ostfront<br />
nach Stalingrad. Mansteins Gegenschlag<br />
zwischen Donez und Dnjepr im Frühjahr 1943<br />
(= Studien und Dokumente zur Geschichte des<br />
Zweiten Weltkriegs 17), Göttingen 1986.<br />
Der Kessel schließt sich<br />
Erst jetzt lenkt Hausser ein und fügt sich dem<br />
Befehl. In aller Eile wird die Division „Das<br />
Reich“ nun nördlich an der Stadt vorbeigeführt<br />
und im Kampf an ihrer östlichen Seite<br />
eingesetzt. Für die deutschen Truppen völlig<br />
<strong>über</strong>raschend räumt die Rote Armee am selben<br />
Tag das bis hierhin verbissen verteidigte<br />
Gelände südlich von Charkow und erlaubt<br />
dem XXXXVIII. und dem LVII. Panzerkorps<br />
somit ein weiteres Vorrücken. Manstein sieht<br />
nun die Gelegenheit gegeben, auch die südliche<br />
Zange zu schließen und die 3. sowjetische<br />
Panzerarmee zu vernichten.<br />
Am 14. März gelingt es den SS-Verbänden<br />
Haussers, in den nördlichen Teil der Stadt<br />
einzudringen und die letzten Widerstände<br />
des Gegners zu brechen. Nach dem Abzug<br />
der Division „Das Reich“ liegt die Hauptverantwortung<br />
vor allem bei der Division<br />
„Leibstandarte SS Adolf Hitler“ unter dem<br />
Kommando von Josef Dietrich. Diese muss<br />
sich von Straßenzug zu Straßenzug vorankämpfen.<br />
GEFALLEN: Im Kampf um Charkow getötete<br />
sowjetische Soldaten. Im Bildhintergrund<br />
sind britische Panzer vom Typ Matilda<br />
II erkennbar, von denen im Zweiten<br />
Weltkrieg mehr als 1.000 an die Sowjetunion<br />
geliefert wurden.<br />
Foto: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo<br />
Vorstoß zum Donez<br />
Doch bereits am Abend desselben Tages können<br />
die Gefechte innerhalb der Stadt erfolgreich<br />
abgeschlossen werden. Jedoch misslingt<br />
die Einkesselung und totale Vernichtung<br />
der sowjetischen 3. Panzerarmee. Zwar<br />
erleidet der Verband große Verluste, doch gelingt<br />
es Generalleutnant Rybalko, den Zeitverlust<br />
Haussers auszunutzen und der deutschen<br />
Zangenbewegung auszuweichen. Er<br />
nimmt seine Armee <strong>über</strong> den Donez zurück.<br />
Die Einnahme Charkows bleibt somit ein<br />
„unvollendeter Sieg“.<br />
Nach der Eroberung Charkows gibt Manstein<br />
seinen Verbänden den Befehl, den letzten<br />
sowjetischen Widerstand westlich des<br />
Donez zu brechen. Im Süden der Stadt gelingt<br />
es dem LVII. Panzerkorps, den Gegner<br />
<strong>über</strong> den Donez zu drängen, nördlich von<br />
Charkow rückt die Infanteriedivision „Großdeutschland“<br />
auf Belgorod vor. Um sowjetische<br />
Gegenmaßnahmen in diesem Abschnitt<br />
zu verhindern, befiehlt der Generalfeldmarschall<br />
auch der 4. Panzerarmee den Stoß<br />
nach Norden, um das Westufer des Donez zu<br />
sichern.<br />
Bereits am 18. März tritt das II. SS-Panzerkorps<br />
zum Angriff auf Belgorod an. Noch am<br />
selben Tag gelingt den deutschen Divisionen<br />
die Einnahme der Stadt und damit die Schaffung<br />
einer zusammenhängenden Front am<br />
Donez. Manstein drängt in der Folge darauf,<br />
den auf diese Weise im Raum Kursk entstandenen<br />
Frontbogen in einem großangelegten<br />
Angriff zu begradigen. Doch Hitler und das<br />
Oberkommando des Heeres lehnen den Vorschlag<br />
ab, da man erst genügend Truppen für<br />
eine Großoffensive sammeln will.<br />
Mit dem erfolgreichen Abschluss der<br />
deutschen Gegenoffensive unterscheidet<br />
sich die Front nur gering von jenem Frontverlauf,<br />
der zu Beginn der deutschen Sommeroffensive<br />
des Jahres 1942 existierte. Vor<br />
allem das strategische Geschick Mansteins,<br />
die gute Kampfmoral der deutschen Truppen<br />
und die Fehleinschätzungen der russischen<br />
Militärführung sorgen auf deutscher<br />
Seite für eine im Osten nicht mehr für möglich<br />
gehaltene – vor<strong>über</strong>gehende – Stabilisierung<br />
der militärischen Lage.<br />
Lukas Grawe, M.A., Jahrgang 1985, Historiker aus<br />
Münster.<br />
Clausewitz 4/2013<br />
39
Museen und Militärakademien<br />
„Ausbildungsschmiede“ der US-Armee<br />
West Point<br />
Etwa 80 Kilometer nördlich von New York befindet sich am Hudson River die Militärakademie<br />
West Point, einfach „The Point“ genannt. Der Campus ist ein populäres Touristenziel,<br />
auch das älteste Museum der US-Armee findet sich hier.<br />
Von Michael Solka<br />
Die Militärakademie West Point wird am<br />
16. März 1802 gegründet. Kadetten im<br />
Alter von 12 bis 37 Jahren besuchen die<br />
Einrichtung sechs Monate bis sechs Jahre lang.<br />
Aufgrund des Krieges von 1812 gegen Großbritannien<br />
bestimmt der Kongress ein formaleres<br />
System der Ausbildung und erhöht die<br />
Anzahl der Kadetten auf 250. Im Jahr 1814<br />
wird durch den Direktor Alden Partridge eine<br />
graue Uniform für die Kadetten eingeführt.<br />
1817 amtiert Oberst Sylvanus Thayer als Leiter<br />
und führt ein Curriculum ein, das bis 2011 Bestand<br />
hat. Als „Vater der Militärakademie“<br />
wird er auf dem Campus durch ein Denkmal<br />
geehrt.<br />
Von 523 Absolventen werden 452 im Verlauf<br />
des Krieges gegen Mexiko 1846-48 befördert<br />
oder ausgezeichnet. Während der<br />
KONTAKT<br />
Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite<br />
der Akademie unter: http://www.usma.edu<br />
Detaillierte Angaben <strong>über</strong> Besuchsmöglichkeiten<br />
und Anfahrt finden sich (in englischer Sprache) auf<br />
folgender Seite: http://www.usma.edu/<br />
Visiting/SitePages/Home.aspx<br />
Das äußerst empfehlenswerte West Point Museum<br />
ist täglich von 10:30 Uhr bis 16:15 Uhr geöffnet.<br />
Angeschlossen sind auch zwei „Historic Sites“<br />
(Constitution Island und Fort Putnam), der West<br />
Point Cemetery sowie ein Visitor Center. Für genauere<br />
Informationen sowie Bilder siehe obige<br />
Website und zudem www.westpointtours.com<br />
1850er-Jahre wird West Point modernisiert.<br />
Neue Baracken werden besser geheizt und<br />
Gasbeleuchtung eingeführt. Einige Generale<br />
des Amerikanischen Bürgerkrieges idealisieren<br />
später die Institution. Im Krieg zwischen<br />
den Nord- und Südstaaten dienen 294 Absolventen<br />
der Akademie für die Union, 151 für<br />
die Konföderation. 105 fallen im Kampf, 151<br />
werden verwundet. Die meisten nehmen an<br />
den 60 wichtigsten Schlachten teil.<br />
Nach dem Bürgerkrieg<br />
Als schwierig erweist sich nach 1865 die<br />
Aufnahme von Kadetten aus der ehemaligen<br />
Konföderation. 1868 werden die Ersten<br />
zugelassen, 1870 wird der Afroamerikaner<br />
James Webster Smith aus South Carolina<br />
Kadett in West Point. 1874 wird er jedoch<br />
unter ungeklärten Umständen entlassen.<br />
1877 graduiert dann schließlich der farbige<br />
Henry O. Flipper in der Akademie. In dieser<br />
Zeit machen auch George W. Goethals und<br />
John J. Pershing ihren Abschluss. Goethals<br />
wird als Chefkonstrukteur des Panamakanals<br />
bekannt werden, Pershing als Kommandeur<br />
der US-Truppen im Ersten<br />
Weltkrieg.<br />
1900 wird die Anzahl der Kadetten<br />
auf 481 erhöht. Im Jahr 1919 erhält Douglas<br />
MacArthur den Posten des Direktors<br />
und legt größeren Nachdruck auf die Unterrichtung<br />
in Geschichte. Außerdem fördert er<br />
die sportliche Ausbildung, wozu er sagt:<br />
„Hinsichtlich des freundschaftlichen Wettbewerbs<br />
werden sich eines Tages die Früchte<br />
des Sieges zeigen.“<br />
1925 wird West Point offiziell als Lehranstalt<br />
anerkannt. Seit 1933 bekommen alle Kadetten<br />
einen wissenschaftlichen Abschluss.<br />
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges<br />
lässt der Kongress die Zahl der Kadetten<br />
1942 auf 2.496 erhöhen. Vier der Fünf-Sterne-<br />
Generale sind Absolventen der Akademie,<br />
an die 500 Abgänger fallen im Krieg. Nach<br />
Ende des Zweiten Weltkriegs ändert der<br />
neue Leiter Maxwell Taylor die Ausbildung<br />
und schafft Kurse im Fechten und Reiten ab.<br />
HOHES RENOMMEE: Die United<br />
States Military Academy in West<br />
Point ist eine der angesehensten<br />
Hochschulen<br />
des Landes. Der<br />
Photochromdruck<br />
von 1901 zeigt<br />
einen Teil des Akademie-Gebäudes.<br />
Abb.: picture alliance/akg<br />
40
HINTERGRUND<br />
John „Black Jack“ Pershing<br />
Ohne Zweifel ist er einer der bekanntesten<br />
Absolventen von West Point.<br />
John Joseph Pershing (1860–1948)<br />
hat zunächst keine Absicht, eine<br />
militärische Laufbahn einzuschlagen.<br />
Dennoch besucht er von 1882<br />
bis 1886 West Point. Obgleich er<br />
eher ein durchschnittlicher Schüler<br />
ist, zeigt er bereits früh beachtliche<br />
Führungsqualitäten. Nach Abschluss<br />
der Ausbildung in West Point wird<br />
Pershing dem 6. Kavallerieregiment<br />
zugeteilt, danach dem 10. Reiterregiment,<br />
das sich aus afroamerikanischen<br />
Soldaten zusammensetzt. Aus<br />
dieser Zeit stammt sein Spitzname<br />
„Black Jack“. Nach mehreren Posten<br />
– u. a. Militärtaktikausbilder in West<br />
Point – wird er 1917 Oberbefehlshaber<br />
der US-Truppen in Europa. Die<br />
von ihm geführten Offensiven helfen<br />
mit, die Deutschen zurückzuwerfen.<br />
Nach dem Krieg wird Pershing 1919<br />
vom Kongress der Rang „General of<br />
the Armies of the United States“ verliehen.<br />
Er dient bis 1924, erhält<br />
1946 die Goldene Ehrenmedaille<br />
des Kongresses. Pershing stirbt am<br />
15. Juli 1948 im Walter-Reed-Militärkrankenhaus<br />
in Washington.<br />
NAMENSGEBER:<br />
Nach dem bekannten<br />
West-<br />
Point-Absolventen<br />
John Pershing<br />
sind die<br />
Pershing-Rakete<br />
sowie ein US-<br />
Kampfpanzer<br />
(M26 Pershing)<br />
benannt.<br />
FAKTEN<br />
Weitere bekannte Absolventen<br />
Ulysses S. Grant<br />
Robert E. Lee<br />
George A. Custer<br />
George W. Goethals<br />
John „Gatling Gun“ Parker<br />
Omar N. Bradley<br />
Douglas MacArthur<br />
George S. Patton<br />
William Westmoreland<br />
Norman Schwarzkopf<br />
In den 1960er-Jahren werden 4.400 Kadetten<br />
zugelassen, darunter Afroamerikaner und<br />
1968 die erste Frau.<br />
Moderne Zeiten<br />
Nach dem Ende des Vietnamkrieges, in dem<br />
333 Absolventen der Akademie ums Leben<br />
kamen, werden 1976 als Kadetten 119 Frauen<br />
aufgenommen. Kristin Baker wird 1989<br />
erster weiblicher Hauptmann. 2004 und 2006<br />
folgen ihr Grace H. Chung und Stephanie<br />
Hightower. Den Rang eines Brigadegenerals<br />
erhält schließlich Rebecca „Becky“ Halstead<br />
aus der Klasse von 1981. Erster weiblicher<br />
Hauptmann afroamerikanischer Abstammung<br />
ist Vincent Brooks.<br />
Curriculum<br />
45 Lehrer unterrichten Fremdsprachen, Management,<br />
Geschichte, Wirtschaftswissenschaften<br />
und Maschinenbau. 75 Prozent der<br />
Fakultätsmitglieder sind Offiziere, die übrigen<br />
zivile Lehrer. Das akademische Programm<br />
beinhaltet 31 Kurse und dauert vier<br />
Jahre. Alle Kadetten haben den Rang eines<br />
Leutnants. In den Sommermonaten können<br />
sie in aktiven Armee-Einheiten oder anderen<br />
Militärschulen tätig sein. Großer Wert<br />
wird natürlich auch auf die körperliche Fitness<br />
gelegt. Männer müssen boxen, Frauen<br />
Selbstverteidigung lernen. Mannschaftsspiele<br />
sind Football, Lacrosse (ein indianisches<br />
Ballspiel), Rugby und Basketball. Zweimal<br />
im Jahr ist ein Fitnesstest zu absolvieren. Zudem<br />
gibt es eine moralisch-ethische Ausbildung.<br />
Der Ehrenkodex besagt, dass „ein Kadett<br />
nicht lügt, betrügt, stiehlt und andere,<br />
die dies tun, nicht deckt.“<br />
Zusammensetzung der Kadetten<br />
Die meisten Kadetten kommen aus den 50<br />
US-Bundesstaaten. Bis zu 60 internationale<br />
Austauschkadetten werden zugelassen. Die<br />
Studiengebühren zahlt die US-Armee. Etwa<br />
15 Prozent der Kadetten sind heute Frauen.<br />
Die meisten Kadetten sind weiße Amerikaner,<br />
gefolgt von Amerikanern spanischer Abstammung,<br />
Afroamerikanern, asiatischen<br />
Amerikanern und einigen Indianern.<br />
Literaturtipps<br />
Maureen Oehler DuRant: West Point.<br />
Charleston 2007.<br />
Agostino Hassell: West Point. Charlottesville<br />
2002.<br />
GRUND ZUM FEIERN: Kadetten einer Abschlussklasse erhalten ihre Diplome und Offizierspatente.<br />
Auf diesem Foto von 1942 sind die typischen Kadetten-Uniformen der West Point<br />
Akademie gut zu erkennen, die heute noch genauso aussehen.<br />
Foto: picture-alliance/akg<br />
Michael Solka, M.A., Jg. 1953, studierte Geschichte<br />
und Amerikanistik in München und Eugene/USA; freier<br />
Autor und Redakteur; Verfasser zahlreicher Bücher.<br />
Clausewitz 4/2013<br />
41
Schlachten der Weltgeschichte<br />
Wien 1683<br />
Die Schlacht um den<br />
„Goldenen Apfel“<br />
Die Osmanische Armee<br />
Etwa 100.000 Mann<br />
Knapp 200 Geschütze<br />
Das Entsatzheer<br />
39.400 Infanteristen<br />
34.400 Kavalleristen<br />
152 Geschütze<br />
Die Verteidiger Wiens<br />
16.000 Soldaten und eingezogene Landwehr<br />
etwa 130 bis 140 Festungsgeschütze<br />
42
15. bis 17. Jahrhundert: Neben allen internen<br />
Konflikten hält spätestens seit dem Fall von Konstantinopel<br />
1453 eine große Gefahr Europa in Atem: die<br />
türkische Expansion. 1529 sind die Osmanen bereits<br />
ein erstes Mal die Donau hinauf nach Wien gezogen.<br />
Gut 150 Jahre später stehen sie wieder vor den<br />
Toren der Stadt…<br />
Von Alexander Querengässer<br />
IN LETZTER MINUTE: Das christliche<br />
Entsatzheer bringt am 12. September die<br />
Rettung für das belagerte Wien. Das Ölgemälde<br />
zeigt die entscheidende Schlacht<br />
am Kahlenberg. Abb.: picture-alliance/akg<br />
Die strategisch wichtige Stadt, die wie ein<br />
Korken zwischen den steilen Bergwänden<br />
der Alpen und den Karpaten sitzt,<br />
gilt den Türken als „Goldener Apfel“. Ein früh<br />
einbrechender Winter und die hartnäckige<br />
Verteidigung der Landsknechtsbesatzung verhinderten<br />
1529 zwar den Fall der Stadt, doch<br />
nicht die Inbesitznahme des gesamten Balkanraums<br />
durch die Heere des Sultans. Im<br />
17. Jahrhundert erreicht die Macht der Osmanen<br />
ihren Höhepunkt.<br />
Die Entwicklung des Reiches beginnt<br />
langsam, aber spürbar zu stagnieren, und es<br />
setzt die innere Fäulnis ein, die das Weltreich<br />
in den nächsten 300 Jahren zernagen wird.<br />
Davon merken die Habsburger jedoch zunächst<br />
nur sehr wenig. In den Siebzigerjahren<br />
befinden sie sich in einem kräftezerrenden<br />
Krieg mit den Armeen des Sonnenkönigs<br />
am Rhein und in Italien, sowie dem<br />
aufsässigen protestantischen Adel in Nordungarn.<br />
Die Osmanen machen sich diese Situation<br />
zunutze und schicken ein neues starkes<br />
Heer, welches den „Goldenen Apfel“ zu Fall<br />
bringen soll, nach Westen. Es untersteht dem<br />
Großwesir Kara Mustafa, einem erfahrenen<br />
und erfolgreichen Soldaten. Den Vortrab seiner<br />
Armee bilden 40.000 Tataren, leichte<br />
schnelle Kavallerie, die die wenigen österreichischen<br />
Verbände westlich Wiens schnell<br />
vertreibt. Die Elite des Heeres besteht aus<br />
den Janitscharen, zum Islam konvertierte<br />
Christenkinder, die nun als Infanterie dienen,<br />
und den Spahis. Diese rekrutieren sich<br />
aus dem niederen Adel und fungieren als<br />
Mehrzweckkavallerie: sie können schnell in<br />
weit entlegene Gebiete vorstoßen und aufklären,<br />
bilden aber auch das berittene Rückgrat<br />
des Heeres in der Schlacht.<br />
Anti-Osmanisches Bündnis<br />
Durch das schnelle Vordringen des Feindes<br />
sieht sich Kaiser Leopold am 7. Juli dazu veranlasst,<br />
von Wien nach Linz zu fliehen. In der<br />
bedrohten Stadt verbleiben 16.000 Mann unter<br />
dem Grafen Ernst Rüdiger von Starhemberg.<br />
Einen guten Teil dieser Truppen stellen Landwehrformationen<br />
aus der Studentenschaft<br />
und den einzelnen Zünften dar.<br />
Doch auch Österreich ist nicht ganz unvorbereitet.<br />
Am 26. Januar war unter Vermittlung<br />
des Papstes ein Bündnis mit Polen geschlossen<br />
worden. Das Land ist eine alte Großmacht,<br />
deren Niedergang schon viel weiter<br />
voran geschritten ist, als der des Osmanischen<br />
Reiches. Doch unter Jan III. Sobieski kann das<br />
Clausewitz 4/2013<br />
43
Schlachten der Weltgeschichte | Wien 1683<br />
STARK BEFESTIGT: Wien verfügt<br />
<strong>über</strong> ein gut ausgebautes Verteidigungssystem,<br />
sodass die Garnison<br />
trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit<br />
lange genug standhalten<br />
kann.<br />
Abb.: IAM/akg<br />
um Wien selbst haben sich die Habsburger<br />
seit 1529 umfangreich gekümmert. Die Stadt<br />
ist nach französischem Vorbild zu einer der<br />
modernsten Festungen Europas ausgebaut<br />
worden. Zwölf mächtige Bastionen und ein<br />
kompliziertes System von Vorwerken schützen<br />
den „Goldenen Apfel“. Die Vorstädte<br />
lässt Starhemberg beim Eintreffen des Feindes<br />
abbrennen, damit die rund 140 Geschütze<br />
freies Schussfeld haben. Auf dem westlichen<br />
Donauufer befindet sich zudem die Kavallerie<br />
des Herzogs Karl von<br />
Lothringen, der auf das Eintreffen<br />
eines Ersatzheeres wartet. Am<br />
13. Juli trifft Kara Mustafas Heer<br />
vor den Toren Wiens ein und errichtet<br />
eine gewaltige Zeltstadt,<br />
die sich zwischen den Vororten St.<br />
Marx und Oberpöltling erstreckt.<br />
Nachdem seine Truppen ihre Stellungen<br />
bezogen haben, bietet er<br />
Starhemberg zwei Tage später die<br />
ehrenvolle Kapitulation an, welche<br />
dieser selbstverständlich umgehend<br />
ablehnt.<br />
Abb.: picture alliance/akg<br />
Land wieder einige militärische Erfolge erringen.<br />
Nun verspricht er 40.000 Mann zu stellen,<br />
wenn ihm der Oberbefehl <strong>über</strong>tragen<br />
wird. Zudem sagen die Kurfürsten von Bayern<br />
und Sachsen jeweils 10.000 Mann für den<br />
bevorstehenden Krieg zu, ebenso die südwestdeutschen<br />
Reichsfürsten.<br />
Keine Kapitulation!<br />
Habsburg selbst ist verpflichtet, 60.000 Soldaten<br />
ins Feld zu führen, kann aber aufgrund<br />
der angespannten Lage am Rhein dieser Verpflichtung<br />
nur schwer nachkommen. Auch<br />
DER VERTEIDIGER<br />
Graf von Starhemberg muss Wien gegen<br />
einen zahlenmäßig weit <strong>über</strong>legenen Angreifer<br />
verteidigen.<br />
Ernst Rüdiger von Starhemberg wird 1638 in<br />
Graz geboren. In den 1660er-Jahren gilt er<br />
als ein bewährter Oberst des Feldmarschall<br />
Montecuccoli, kämpft am Rhein gegen die<br />
Franzosen und in Ungarn gegen die Türken.<br />
Für seine erfolgreiche Verteidigung Wiens ernennt<br />
ihn der Kaiser zum Feldmarschall. Starhemberg<br />
kämpft wieder im Feldheer und wird<br />
1686 bei der Belagerung Ofens so schwer verwundet,<br />
dass er sein aktives Kommando niederlegen<br />
muss. 1691 wird er Präsident des<br />
Hofkriegsrates und macht sich als Reorganisator<br />
des Heeres verdient, ehe er 1701 stirbt.<br />
Krieg unter der Erde<br />
Wie Wien eine moderne Verteidigungsanlage<br />
nach den Prinzipien<br />
des französischen Baumeisters<br />
Vauban darstellt, so gelten die<br />
Türken damals als Meister des<br />
Festungskrieges. Kara Mustafas<br />
Truppen führen 50 schwere Belagerungskanonen<br />
und etwa 150 leichtere Feldgeschütze<br />
mit sich. Außerdem befinden sich in ihren<br />
Reihen Mineningenieure aus Frankreich, die<br />
damit beginnen, Tunnel unter die als<br />
Schwachpunkt in der Stadtbefestigung ausgemachte<br />
Löwenbastion vorzutreiben. Sowie<br />
die Tunnel bis unter die Fundamente der<br />
Mauer vorgetrieben sind, sollen sie mit großen<br />
Mengen Schießpulver gesprengt werden,<br />
damit die Sturmtruppen durch das so<br />
entstandene Loch in die Stadt gelangen können.<br />
Die Wiener Besatzung erkennt das Vorhaben<br />
der Türken und treibt Gegentunnel<br />
vor, um die Sprengladungen zu sabotieren.<br />
Trotzdem gelingt den Angreifern am<br />
23. Juli eine Sprengung an der Burgbastion.<br />
Der darauf folgende Sturmversuch der Janitscharen<br />
kann jedoch abgewehrt werden.<br />
Zwei Tage später verpufft die Wirkung einer<br />
Mine an der Löwenbastei. Auch Starhemberg<br />
lässt Tunnel unter die Schanzen der<br />
Osmanen treiben, wo am 26. Juli eine Mine<br />
explodiert ohne größeren Schaden anzurichten.<br />
Vier Tage später sprengen die französischen<br />
Ingenieure Kara Mustafas eine weitere<br />
Mine vor der Löwenbastei, während die<br />
Wiener eine Gegensprengung unter den<br />
Laufgräben der Türken durchführen. Diese<br />
bringen 30 Geschütze vor den bröckelnden<br />
Mauern in Stellung, um ihren nächsten Angriff<br />
zu unterstützen. Die Kanonen richten<br />
weitere schwere Beschädigungen an den<br />
44
Die Rettung naht<br />
Festungswerken an. Teilweise haben sich<br />
die türkischen Laufgräben den zusammengeschossenen<br />
Vorwerken der Österreicher<br />
schon so sehr genähert, dass es<br />
zu harten Nahkämpfen kommt. Einen<br />
alles entscheidenden Sturm zögern die<br />
Türken aber hinaus.<br />
Das christliche Entsatzheer<br />
Am 14. Juli erfährt der polnische Hof<br />
in Warschau, dass das türkische Heer<br />
vor Wien eingetroffen ist. Der König<br />
erlässt sofort den Befehl zum Sammeln<br />
seines Heeres, was jedoch Zeit<br />
benötigt. Erst am 15. August verlässt<br />
Jan Sobieski mit seinen Truppen Krakau.<br />
Auch die Sachsen, Bayern, Badener und<br />
Schwaben marschieren bereits nach Oberösterreich.<br />
Die verbündete Armee ist nicht nur in ihrer<br />
Zusammensetzung sehr heterogen, auch<br />
die Qualität ist durchwachsen. Sachsen und<br />
Bayern stellen jeweils 10.000 sehr gute Soldaten.<br />
Die beiden Kurfürstentümer haben<br />
erst vor kurzen begonnen, stehende Heere<br />
nach französisch-holländischem Vorbild<br />
aufzubauen. Johann Georg III., der als<br />
„Sächsischer Mars“ bekannt werden sollte,<br />
ist zudem ein erfahrener und ehrgeiziger<br />
Heerführer. Anders steht es um die polnischen<br />
Truppen. Jan Sobieski hatte mit seinen<br />
24.000 Mann nur etwa zwei Drittel der versprochenen<br />
Menge ins Feld gebracht. Die<br />
angeworbene Infanterie gilt als unzuverlässig.<br />
Ein Großteil des Heeres wird von Kosakenaufgeboten<br />
aus der Ukraine gebildet, die<br />
damals Teil des Königreiches ist. Diese haben<br />
einige Erfahrung im Kampf gegen die<br />
Türken. Die polnische<br />
Adelskavallerie,<br />
die Husaren,<br />
zählen zur Elite<br />
der Armee. Sie<br />
DER RETTER<br />
sind mit prächtigen Rüstungen gekleidet<br />
und tragen hohe Flügel mit Federn, die beim<br />
Angriff ein furchteinflößendes Geräusch erzeugen<br />
sollen. Ihre Lanzen (Copias) sind<br />
hohl, sodass sie im Gefecht zerbrechen, damit<br />
der Reiter beim Aufprall nicht aus dem<br />
Sattel gehoben wird. Es gilt als unehrenhaft,<br />
seine Waffe nicht zu zerbrechen. Der Ritter,<br />
dem dies passiert, wird aus dem Korps ausgestoßen.<br />
Die kommende Schlacht sollten<br />
nur sechs Lanzen heil <strong>über</strong>stehen. Trotz ihres<br />
elitären Status gelten die Flügelhusaren<br />
aber ebenfalls als undiszipliniert.<br />
DER ANGREIFER<br />
Kara Mustafa kann Wien nicht erobern und<br />
bezahlt dieses „Versäumnis“ mit dem Leben.<br />
Der Sohn eines kleinen türkischen Ritters (Spahi)<br />
aus Kleinasien wächst als Kind im Kreis des türkischen<br />
Großwesirs auf. Durch eine Mischung aus eigenem<br />
Geschick und Günstlingswirtschaft erringt er<br />
hohe militärische Ämter, wird 1661 Großadmiral<br />
und Stellvertreter des Großwesirs. Dieses Amt <strong>über</strong>nimmt<br />
er 1676 selbst. Er führt lange Kriege gegen<br />
die Kosaken der Ukraine und in Ungarn, ehe er den<br />
alten türkischen Traum der Eroberung Wiens wahr<br />
machen will. Nach seiner Niederlage am Kahlenberg<br />
wird er auf Befehl des Sultans erdrosselt.<br />
Erbitterter Kampf um die Stadt<br />
Im August intensiviert sich der Beschuss<br />
Wiens durch die Türken. Ihre Kanoniere nehmen<br />
die Kirchen der Stadt, vor allem den<br />
prächtigen Stephansdom, ins Visier. Starhemberg<br />
lässt die Lebensmittelpreise regulieren<br />
und die männliche Bevölkerung, die<br />
noch nicht auf den Wällen steht, bewaffnen.<br />
Es nützt wenig. Medikamente, Fleisch und<br />
„Das Heer des Islam wurde von den Kugeln<br />
aus den Geschützen und Flinten der Feinde wie mit<br />
Regen <strong>über</strong>schüttet.“<br />
Seit der Schlacht am Kahlenberg gilt Johann (polnisch:<br />
Jan) III. Sobieski als „Retter Wiens”.<br />
Jan III. aus dem Geschlecht der Sobieskis gehört zu den<br />
führenden Adelsfamilien Polens. In den 1640er- und<br />
1650er-Jahren bekämpft er Kosakenaufstände und die<br />
türkischen Invasoren in der Ukraine. Er ist ein langgedienter<br />
und erfahrener Soldat, als ihn der Sejm 1674 zum polnischen<br />
König wählt. Sein Versuch, die polnische Großmachtstellung<br />
gegen Brandenburg und Schweden wiederherzustellen,<br />
scheitert an mangelnder französischer<br />
Unterstützung. In der Folge konzentriert er sich auf den<br />
Krieg mit den Türken, führt 1683 das christliche Entsatzheer<br />
nach Wien. Nach dem Sieg am Kahlenberg führt er<br />
den Krieg gegen die Osmanen mit wechselnden Erfolgen<br />
in der Ukraine fort, bis er 1696 stirbt.<br />
Abb.: picture-alliance / Mary Evans Picture Library<br />
Der Zeremonienmeister des Sultans<br />
Brot werden von denen, die volle Speicher<br />
haben, zu steigenden Wucherpreisen weiterverkauft.<br />
Dem Einberufungsbefehl muss mit<br />
der Todesstrafe für Wehrverweigerer Gewicht<br />
verschafft werden.<br />
Die Kuriere, die zu Karl von Lothringen<br />
durchbrechen sollen, verlangen immer mehr<br />
Geld. Die Wiener haben eine panische Angst<br />
vor Spionen. Am 26. August wird ein verdächtiger<br />
fünfzehn Jahre alter Junge geköpft.<br />
Währenddessen geht der Kampf vor den<br />
Wällen weiter. Kara Mustafa konzentriert<br />
sich verstärkt auf die Löwenbastei. Ein Minengang<br />
wird unter die Bastei gegraben,<br />
und bei einem Artillerieduell fliegt ein Pulvermagazin<br />
in die Luft.<br />
Am 1. September erreicht ein erschöpfter<br />
Kurier die Stadt. Er meldet, dass die Entsatzheere<br />
sich bald vereinigen würden. Das wird<br />
auch Zeit, denn die Lebensmittelvorräte gehen<br />
zur Neige. Was Starhemberg nicht weiß:<br />
auch Kara Mustafa muss die Rationen seiner<br />
Truppen sparsam verwenden. Daher forciert<br />
der Großwesir den Angriff auf die Löwenbastei<br />
weiter und lässt auch neue Minen unter<br />
die Burgbastei legen. Anfang September<br />
können die Janitscharen in mehreren Sturmangriffen<br />
bis auf die Mauern der Stadt vordringen,<br />
werden aber mit letzter Kraft von<br />
den Verteidigern zurückgeworfen.<br />
Abb.: picture-alliance/akg-images<br />
Clausewitz 4/2013<br />
45
Schlachten der Weltgeschichte | Wien 1683<br />
HAARSCHARF: Anfang September gelingt es den Türken fast die Stadt einzunehmen – osmanische Soldaten sind bereits auf den Mauern.<br />
Das Diorama fängt den kritischen Moment ein, der fast zu einem anderen Ausgang der Schlacht geführt hätte. Foto: akg/De Agostini Pict.Lib.<br />
Da erscheinen in der Nacht vom 11. auf den<br />
12. September große Leuchtfeuer auf dem<br />
Kahlenberg, nordwestlich der Stadt. Belagerer<br />
und Belagerte wissen, dass da das Entsatzheer<br />
naht. Kara Mustafa erfuhr es bereits<br />
vor einigen Tagen durch Gefangene. Trotzdem<br />
haben die Türken die Höhen, welche<br />
die Stadt umgeben, nicht besetzt und zu festen<br />
Stellungen ausgebaut.<br />
Flucht der Osmanen<br />
Am Morgen des 12. September greifen die<br />
Verbündeten an. Karl von Lothringen befehligt<br />
die Reichskontingente auf dem linken<br />
Flügel, Jan Sobieski seine Polen auf dem<br />
Rechten. Kara Mustafa zieht eiligst Truppen<br />
aus dem Belagerungsring ab und wirft sie<br />
dem Entsatzheer entgegen. Gleichzeitig versucht<br />
er den Druck auf Wien aufrecht zu erhalten.<br />
Karl von Lothringens Truppen werden<br />
in schwere Kämpfe mit dem türkischen<br />
„Die ganze Artillerie, das ganze Lager der Osmanen,<br />
unermessliche Reichtümer sind uns in die Hände<br />
gefallen. Gott sei hochgelobt in alle Ewigkeit!“<br />
Jan III. Sobieski an seine Frau<br />
rechten Flügel verwickelt und arbeiten sich<br />
mühsam zu den Zelten der Belagerer vor.<br />
Der sächsische Kurfürst Johann Georg III.<br />
kämpft an der Spitze seiner Regimenter. Jan<br />
Sobieski führt einen wenig koordinierten<br />
Angriff gegen die türkische Linke, der zunächst<br />
von der feindlichen Artillerie abgewehrt<br />
wird. Doch es gelingt dem König, seine<br />
Truppen zu sammeln.<br />
Am Nachmittag preschen seine Reiter ein<br />
zweites Mal die Hänge des Berges hinab.<br />
Die wuchtige Attacke <strong>über</strong>windet den Widerstand<br />
der Janitscharen und der Spahis.<br />
Die Polen dringen in das türkische Lager<br />
ein. Die Fahne des Propheten, eines der<br />
größten Heiligtümer der Osmanen, geht<br />
verloren. Ihre Armee bricht vollständig auseinander<br />
und wälzt sich in wilder Flucht die<br />
Donau hinab.<br />
Die Verluste der Schlacht sind schwer zu<br />
beziffern, besonders bei den Türken, die dar<strong>über</strong><br />
keine verlässlichen Statistiken führten.<br />
Es ist aber davon auszugehen, dass Kara<br />
Mustafa allein in der Schlacht am Kahlenberg<br />
10.000 bis 15.000 Mann verloren hat. Die<br />
Verbündeten lassen 4.000 bis 5.000 Mann auf<br />
dem Feld.<br />
Kara Mustafa versucht die Schuld für die<br />
Niederlage zu vertuschen und lässt einen<br />
seiner Unterführer in Ungarn köpfen. Es rettet<br />
ihn nicht. Auf Befehl des Sultans wird der<br />
Großwesir am 25. Dezember in Belgrad mit<br />
der seidenen Schnur erdrosselt.<br />
Nachdem die kleineren Reichskontingente<br />
in ihre Heimatländer abgerückt waren,<br />
versucht ein österreichisch-polnisches Heer<br />
die Türken zu verfolgen. Sobieskis Truppen<br />
werden am 7. Oktober bei Parkany so schwer<br />
geschlagen, dass er den Kriegsschauplatz<br />
ebenfalls verlässt.<br />
Österreichische Expansion<br />
Das Haus Habsburg hat die letzte große Bedrohung<br />
durch die Türken erfolgreich abgewehrt.<br />
In den folgenden Jahren macht es<br />
sich an die schrittweise Rückeroberung Ungarns.<br />
Alexander Querengässer, Jg. 1987, Militärhistoriker<br />
und Autor aus Dresden.<br />
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NEUE SERIE<br />
„Hitlersäge“<br />
Das deutsche Maschinengewehr (MG)42<br />
Unglaublich schnell und Furcht erregend;<br />
das MG42 war das wohl am meisten gefürchtete<br />
Infanteriemaschinengewehr, das jemals<br />
entworfen wurde. Keiner anderen Waffe<br />
während des Zweiten Weltkrieges fielen<br />
mehr alliierte Soldaten zum Opfer. Die Kadenz<br />
von 1.200 bis 1.500 Schuss pro Minute<br />
war enorm. Die Deutschen nannten das<br />
MG42 daher auch „Hitlersäge“.<br />
Ein Anzio-Veteran behauptete, dass „von<br />
einem MG42 beschossen zu werden, einen<br />
Soldaten lehren würde, mit bloßen Händen<br />
ein Deckungsloch in Beton zu graben.“<br />
Im Jahr 1942 in Dienst gestellt ergänzte<br />
beziehungsweise ersetzte das MG42 in den<br />
meisten Fällen das MG34, obwohl beide bis<br />
zum Ende des Krieges hergestellt und verwendet<br />
wurden.<br />
Wenn es mit der Dreibein-Feldlafette<br />
verwendet wurde, dann diente die ungeladen<br />
10,6 Kilogramm schwere Waffe als<br />
schweres Maschinengewehr und kam üblicherweise<br />
in dieser Rolle hauptsächlich bei<br />
defensiven Aufgaben zum Einsatz. Das<br />
MG42 konnte aber auch mit seinem klappbaren<br />
Zweibein als leichte offensive Waffe<br />
verwendet werden.<br />
Das MG42 war bis 1953 im Dienst, dann<br />
wurde es modifiziert und von MG53, MG1<br />
und dem MG3 ersetzt. Das Letztgenannte ist<br />
immer noch bei der NATO und der deutschen<br />
Bundeswehr im Einsatz.<br />
Der kurz zurücklaufende<br />
Lauf mit Rückstoßverstärkung<br />
durch Mündungsgasdruck<br />
trug<br />
schließlich auch zur<br />
hohen Kadenz des<br />
MG42 bei.<br />
Das MG42 war mit einem<br />
einklappbaren Zweibein<br />
ausgestattet.<br />
Die konventionelle offene<br />
Schiebevisiereinrichtung kam<br />
zur Anwendung in der MG42-<br />
Rolle als leichtes Maschinengewehr.<br />
Der luftgekühlte, auswechselbare<br />
Lauf wurde seitlich<br />
herausgedrückt und<br />
regelmäßig, um Beschädigung<br />
durch Überhitzung zu<br />
vermeiden, ausgetauscht. Den<br />
Rohrwechsel konnten eingespielte<br />
Teams in unter zehn<br />
Sekunden bewerkstelligen.<br />
<strong>CLAUSEWITZ</strong> dankt dem „World War II<br />
magazine“ sowie der Weider History<br />
Group für die Zurverfügungstellung der<br />
Grafiken. Mehr Informationen unter<br />
www.HistoryNet.com.<br />
Gegurtete 7,92-Millimeter-<br />
Mauser-Munition.<br />
Illustration: Jim Laurier<br />
In dieser Serie bereits erschienen:<br />
Kampfpanzer Sherman M4 (2/2013)<br />
Flugzeugträger Independence-Klasse (3/2013)<br />
Deutsches Schnellboot Typ S-100 (3/2013)<br />
Demnächst:<br />
M2A1 105-mm-Haubitze (5/2013)<br />
„Swordfish“ Torpedobomber (6/2013)<br />
48
Das Bild zeigt das Vorgängermodell<br />
des MG42,<br />
ein MG34 (hier auf Fliegerabwehrlafette).<br />
Es<br />
konnte sogar von einem<br />
einzelnen Soldaten eingesetzt<br />
werden, wenn eine<br />
Munitionstrommel<br />
verwendet wurde (siehe<br />
Kreis). Diese Option gab<br />
es auch für das MG42.<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
Das Gehäuse bestand beim MG42<br />
<strong>über</strong>wiegend aus Stanz- und Druckgussmetallteilen<br />
im Gegensatz zum<br />
MG34 mit seinen teuren gedrehten<br />
Metallkomponenten. Somit war es<br />
möglich, ein MG42 in der halben Zeit<br />
zu fertigen, die noch für das MG34<br />
benötigt wurde.<br />
Eine MG42-Besatzung (hier in einer Stellung im feldmäßigen<br />
Ausbau) bestand aus drei Mann: dem Schützen,<br />
dem Munitionsschützen und dem Beobachter. Der<br />
Schütze war darauf trainiert mit dem MG42 kurze Feuerstöße<br />
abzugeben, um den Lauf vor Beschädigung<br />
durch Überhitzung zu bewahren. Dennoch war der Munitionsbedarf<br />
enorm. Daher war es üblich, dass zahlreiche<br />
andere Soldaten zusätzliche Munitionskisten mitführten,<br />
um dem Munitionsbedarf Rechnung zu tragen.<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
Der Kolben wurde meist aus<br />
Kunststoff gefertigt. Wie beim<br />
gesamten Design der Waffe wurde<br />
auch hier Wert auf einfache<br />
Fertigung gelegt.<br />
Der große „Pistolengriff“ war<br />
ergonomisch optimiert worden.<br />
DIE KONKURRENTEN:<br />
Das leichte japanische<br />
Maschinengewehr Typ 99<br />
Feuerrate: 700 Schuss pro Minute<br />
Entwickelt, um die gleiche Munition wie das<br />
Gewehr Arisaka Typ 99 zu verschießen. Die<br />
Munition wurde durch ein oben platziertes<br />
30-Schuss-Magazin zugeführt.<br />
Das russische Degtyaryov<br />
Infanteriemaschinengewehr (DP)<br />
Feuerrate: 500 bis 600 Schuss in der<br />
Minute<br />
Das DP war billig zu produzieren und einfach<br />
in der Handhabung. Doch das Zweibein<br />
brach leicht, und das pfannenförmige<br />
47-Schuss-Magazin war recht unzuverlässig.<br />
Das amerikanische M1918A2<br />
Browning Automatic Rifle<br />
(BAR)<br />
Feuerrate: 500 bis zu 650 Schuss in der Minute<br />
Das BAR war leicht aber schwer zu bedienen und<br />
erforderte häufige Reinigung. Das zu kleine 20-<br />
Schuss-Magazin war nicht dazu geeignet,<br />
durchgehend lange Feuerunterstützung zu liefern.<br />
Das leichte britische<br />
Bren-Maschinengewehr<br />
Feuerrate: 500 bis 520 Schuss in der Minute<br />
Das Bren ging aus einem modifizierten tschechischen<br />
Entwurf hervor. Mit seinem oben liegenden gebogenen<br />
Stangenmagazin und dem wechselbaren Lauf war es<br />
eine zuverlässige und effektive Unterstützungswaffe.<br />
Das leichte<br />
italienische Maschinengewehr<br />
Breda 30<br />
Feuerrate: 500 Schuss in der<br />
Minute<br />
Mit einem einzigartigen auf der<br />
rechten Seite des MG befestigten<br />
schwenkbaren Magazin,<br />
das 20 Schuss fasste, erforderte<br />
das Breda 30 einen geübten<br />
Ladeschützen. Das MG war<br />
anfällig für Störungen und<br />
verfügte nur <strong>über</strong> eine geringe<br />
Feuergeschwindigkeit.<br />
Clausewitz 4/2013 49
Militär und Technik<br />
Berge- und Pionierpanzer aus West und Ost<br />
Starke „Alleskönner“<br />
Kalter Krieg: Das Herausziehen festgefahrener oder beschädigter Kampfpanzer ist ihr<br />
„Alltagsgeschäft“. Berge-, Pionier- und Kranpanzer sind in beiden deutschen Armeen die<br />
Kraftprotze unter den Fahrzeugen für die Kampfunterstützung. Von Jörg-M. Hormann<br />
„BERGELEO“: Die gängige Bezeichnung<br />
der Bundeswehr für den Bergepanzer 2.<br />
Foto: BW Heer/Carsten Heide<br />
Sommer 1972: Es ist schießfreies Wochenende<br />
auf dem NATO-Truppenübungsplatz<br />
Bergen-Hohne in der Lüneburger<br />
Heide. Doch aus dem erhofften entspannten<br />
Wochenende wird nichts: „Wenn wir nicht<br />
schießen können, weil sich die Touristen die<br />
Hünengräber der ‚Sieben Steinhäuser’ inmitten<br />
des Platzes ansehen wollen, dann fahren<br />
wir eben. Also meine Herren, Fahrübungen<br />
im Kompanieverband“, so der Befehl des<br />
Kompaniechefs. Die rund 80 Mann seiner Panzerbesatzungen<br />
denken alle das Gleiche: Mit<br />
unseren betagten M48-Kampfpanzern sollen<br />
wir stundenlang durch das Gelände preschen?<br />
Na dann viel Spaß!<br />
Panzerschützen ist die imponierende Außenwirkung<br />
ihrer rund 47,5 Tonnen Stahl in<br />
Bewegung oft eher gleichgültig. Für sie ist<br />
die „Innenwirkung“ ihrer Waffe von Bedeutung:<br />
Blaue Flecken beim Durchschlagen der<br />
Fahrwerke in zügiger Fahrt durch welliges<br />
Gelände, Rohrreinigen nach Staubwolkenfahrt,<br />
Endverbinder anziehen bei jedem<br />
technischen Halt – und so weiter und so weiter.<br />
Alles Dinge, die in der brütenden Sommerhitze<br />
wahre Freude bei den Männern<br />
aufkommen lassen.<br />
Mit Motorschaden im Gelände<br />
Dieses Mal erwischt es meinen Kampfpanzer.<br />
In einem Kusselgelände auf irgendeiner<br />
Schießbahn bleibt er mit Motorschaden liegen.<br />
Alle Bemühungen des Fahrers, die „alte<br />
Dame“ wieder in Gang zu bringen, schlagen<br />
fehl. Nun heißt es: gelbe Signalflagge<br />
raus und warten. In der beginnenden Dämmerung<br />
quält sich der „Munga“ des Chefs<br />
zu seinem fehlenden Panzer. „Fahnenjunker<br />
Hormann, Sie bleiben beim Fahrzeug, hier<br />
haben sie noch ein EPa [Einmannpackung;<br />
kleines Verpflegungspakt der Bundeswehr].<br />
Ich schicke ihnen einen ,Bergeleo’, restliche<br />
Besatzung bei mir aufsitzen!“ Weg waren sie<br />
und ich stehe mit meinem M48 in der „Walachei“.<br />
Übrigens: Der bequemste Schlafplatz<br />
im Sommer ist der auf dem Tarnnetz in<br />
der Heckablage des Panzerturmes.<br />
Geweckt werde ich von dem morgendlichen<br />
Vogelgezwitscher und dem näherkommenden<br />
typischen „Leo-Brummen“. Ziemlich<br />
schnell wird der dunkle Punkt unter der<br />
gelbgrauen Staubfahne größer. Wo wir uns<br />
mit dem M48 durch jede Bodenwelle der<br />
Schießbahn gekämpft haben, rauscht der<br />
„Bergepanzer 2 Leopard 1“, so die offizielle<br />
Bezeichnung, mit Tempo 50 <strong>über</strong> die Wellen<br />
hinweg. Das Anschlagen der Schleppstangen<br />
ist Minutensache. Mit dem Aufbrüllen<br />
des 830 PS starken Mehrstoffmotors beginnt<br />
das „Alltagsgeschäft“ des Bergepanzers.<br />
In diesem Fall ist es das Abschleppen eines<br />
liegengebliebenen Panzers, aber mit immerhin<br />
zehn Tonnen mehr Gewicht auf den<br />
50
BERGEPANZER T-72TK: Das letzte<br />
Modell eines Bergepanzers der NVA<br />
ist vor der Wende noch mit ganzen<br />
drei Exemplaren zum Einsatz gekommen.<br />
Foto: Sammlung Dirk Krüger<br />
Ketten, als das Schleppfahrzeug. Fast spielerisch<br />
zieht der „Bergeleo“ seine Last durch<br />
das Gelände.<br />
Gepanzertes Arbeitsgerät<br />
Nach offizieller „Lesart“ der Bundeswehr<br />
handelt es sich bei den Bergepanzern um<br />
schwere Kampfunterstützungsfahrzeuge:<br />
„Diese gepanzerten Arbeitsgeräte kommen<br />
im Gefechtsfeld zum Einsatz, um zerstörte<br />
oder beschädigte Panzer, Lkw und schweres<br />
Gerät zu bergen und sie den Instandsetzungseinheiten<br />
zuzuführen. Das Einsatzspektrum<br />
eines modernen Bergepanzers<br />
umfasst auch das Sichern von Kettenfahrzeugen<br />
bei Gewässerdurchfahrten, die Einsatzunterstützung<br />
bei Instandsetzungsarbeiten<br />
und das Bergen von Kampfpanzern<br />
mit Schnellbergeeinrichtung unter Panzerschutz.<br />
Außerdem die Kranassistenz beim<br />
Ein- und Ausbau von Motoren, das Räumen<br />
von Hindernissen und bei Bedarf auch Erdarbeiten.“<br />
Zur Durchführung dieser Aufgaben sind<br />
Berge- und Pionierpanzer im Westen und im<br />
Osten des geteilten Deutschlands mit entsprechenden<br />
Gerätschaften und<br />
Vorrichtungen versehen. Hierzu<br />
gehören Seilwinden, Hebegeräte<br />
und auch Kräne. Außerdem<br />
werden Materialien und gängige<br />
Ersatzteile mitgeführt. Umfangreiche<br />
Werkstattausrüstungen<br />
bis hin zu Schneid- und<br />
HINTERGRUND<br />
Solange eingesetzte Panzer kritische Gewichtsgrenzen<br />
nicht <strong>über</strong>schreiten, ist die<br />
Bergung mit üblicher Kranhilfe und Winden<br />
möglich. Doch im Zweiten Weltkrieg werden<br />
die Kampfpanzer immer schwerer und die<br />
Bergung liegengebliebener oder abgeschossener<br />
Panzer auf dem Gefechtsfeld immer<br />
schwieriger. Es setzt sich die Erkenntnis<br />
durch, dass nur ein gleichschwerer Panzer<br />
einen „Gewichtskameraden“ bergen kann.<br />
Doch genau solche Bergeaktionen sind auf<br />
dem Schlachtfeld verboten, um der Gefahr<br />
des doppelten Abschusses zu begegnen.<br />
Bergepanzer im Zweiten Weltkrieg<br />
URVATER „BERGEPANTHER“: Die technische<br />
Grundkonstruktion zukünftiger Bergepanzer ist<br />
beim „Bergepanther“ bereits zu erkennen.<br />
1943 entsteht der „Bergepanther“, bei dem<br />
der Drehturm mit Kanone weggelassen wird.<br />
Auf dem Fahrgestell des „Panther“ befindet<br />
sich nun ein quadratischer Holz- und Metallaufbau<br />
und in der Panzerwanne eine Winde<br />
mit einer Längszugkraft von 40 Tonnen. Ein<br />
großer Erdsporn dient zu Abstützung und ein<br />
einfacher Kranausleger mit 1,5 Tonnen Hebekraft<br />
ergänzt die Ausrüstung.<br />
Da sind bereits erste Fahrzeugähnlichkeiten<br />
zu den Bergepanzern zu erkennen, die nach<br />
dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelt<br />
werden.<br />
Abb.: Sammlung Jörg-M. Hormann<br />
Clausewitz 4/2013<br />
51
Militär und Technik | Berge- und Pionierpanzer<br />
Schweißanlagen erlauben kleinere Reparaturen<br />
direkt im Einsatzgebiet. Mit vorhandenem<br />
Räum- und Stützschild können auch<br />
leichtere Pionieraufgaben, wie zum Beispiel<br />
die Erdbewegungen für Rampen zur Wasserdurchfahrt,<br />
erledigt werden.<br />
Bei der Aufstellung der Bundeswehr Mitte<br />
der 1950er-Jahre erhalten die Panzer- und<br />
Panzerjägerbataillone als Erstausstattung<br />
den mittleren Bergepanzer M74 aus amerikanischen<br />
Beständen. Das Fahrzeug basiert auf<br />
dem Fahrgestell des im Zweiten Weltkrieg<br />
eingeführten Kampfpanzers M 4 „Sherman“.<br />
„BERGEPANZER 2“ AUF „LEOPARD 1“-FAHRGESTELL<br />
1 Auslass der hydraulischen Hauptwinde mit Seilspannvorrichtung<br />
(90 m langes Seil für max. 350 kN Zugkraft)<br />
2 Räum- und Stützschild mit Öffnungen zum Einhängen<br />
von Reißzähnen<br />
3 Umlenkrolle zur Erhöhung der Zugkraft auf 700 kN<br />
4 Kugelblende für das Bugmaschinengewehr<br />
5 Ersatzkettenglieder<br />
6 Winkelspiegel für den Fahrer<br />
7 Kommandantenluke mit Fliegerabwehrlafette<br />
für das MG 3<br />
8 Rückfahrspiegel<br />
9<br />
8<br />
9 hydraulische Krananlage mit Hebewinde für<br />
Lasten bis 200 kN<br />
10 Abgasgitter der Vielstoffmotorenanlage<br />
11 Werkzeug: Spitzhacke, Spaten,<br />
Hebelvorschneider, Kettenspannschlüssel<br />
12 Fahrgestell des Kampfpanzers „Leopard 1“<br />
13 Seitenluke<br />
14 Lastschild<br />
15 Werkzeug: Axt, Brechstange<br />
16 Kranbettung mit 270 Grad Drehbereich und<br />
für 70 Grad Hebung des Auslegers<br />
17 Fahrscheinwerfer<br />
7 6<br />
5<br />
Der M74 bewährt sich nicht<br />
In der Praxis bewährt sich der bereits relativ<br />
alte M74 bei der Bundeswehr nicht. Zu<br />
schwach, zu langsam und mit unzuverlässigem<br />
Fahrwerk und Motor werden die 300<br />
beschafften Fahrzeuge bis 1960 aus der aktiven<br />
Truppe genommen und durch den Bergepanzer<br />
M88 A1 ersetzt.<br />
Seit 1960 wird der M88, der auf der Fahrzeugkonstruktion<br />
des Kampfpanzers M48<br />
basiert, in den USA – mit entsprechenden<br />
Modernisierungen – bis heute gefertigt. In<br />
der Bundeswehr wird er als „Bergepanzer 1“<br />
ab 1961 eingeführt. An der aus Gussstahl<br />
hergestellten Wanne befinden sich die<br />
Kettenfahrwerke. Ursprünglich sorgt ein<br />
Zwölfzylinder-Benzinmotor mit 47 Litern<br />
Hubraum und 850 PS für den Antrieb. Ein<br />
Handicap stellt der nicht schwenkbare Kranausleger<br />
dar. Krandrehungen müssen mit<br />
dem kompletten Panzer vollführt werden.<br />
Dafür ist der „Bergepanzer 1“ wegen seines<br />
großzügigen Innenraumes und einer<br />
wirkungsvollen Heizung bei den Besatzungen<br />
beliebt – ganz im Gegensatz zur berüchtigten<br />
Innenheizung des M48, die wegen<br />
Vergiftungsgefahr nicht benutzt werden<br />
darf. Ab 1985 werden die „Bergepanzer 1“<br />
Foto: picture-alliance/Sodapix AG<br />
10<br />
11 12 13 14 15 16<br />
der Bundeswehr zum M88 A1 aufgerüstet.<br />
Sie erhalten anstelle des Benzinmotors einen<br />
MTU-Dieselantrieb und eine leistungsstärkere<br />
Bergewinde. Im Jahr 2000 sind alle „Bergepanzer<br />
1“ außer Dienst gestellt. Ein Exemplar<br />
ist heute im Deutschen Panzermuseum<br />
in Munster zu besichtigen.<br />
Gleichzeitige Entwicklung<br />
Parallel zur Entwicklung des Kampfpanzers<br />
„Leopard 1“ beginnt die Entwicklungsplanung<br />
und Baudurchführung für einen Bergepanzer,<br />
der auf dem Fahrgestell des<br />
IN AKTION: Oderflut im August 1997.<br />
Pionierpanzer vom Typ „Dachs” planiert<br />
eine Fläche für den provisorischen Bau<br />
eines Notdeichs. Foto: picture-alliance/dpa<br />
17<br />
Kampfpanzers aufbaut. Durch Verwendung<br />
vieler Gleichteile entsprechen die Einsatzmöglichkeiten<br />
des Bergepanzers in Bezug<br />
auf Marschgeschwindigkeit, Geländegängigkeit,<br />
Tauchfähigkeit, ABC-Schutz und<br />
Dauerstandfestigkeit der des Kampfpanzers.<br />
Der Schutz für Besatzung und Fahrzeug<br />
wurde bei der Fahrzeugentwicklung besonders<br />
berücksichtigt.<br />
Am 9. September 1966 erfolgt die Übergabe<br />
des ersten Bergepanzers – von insgesamt<br />
444 zu bauenden Fahrzeugen – durch den<br />
Hersteller Atlas-MaK an die Bundeswehr.<br />
Drei Jahre später ist der Auftrag abgeschlossen<br />
und zukünftig verrichtet der „Bergepanzer<br />
2“, in der Truppe nur kurz „Bergeleo“<br />
genannt, seinen Dienst.<br />
Seine Wanne besteht aus geschweißtem<br />
Panzerstahl und verfügt <strong>über</strong> eine einlagige<br />
Panzerung, wobei das Schutzniveau dem<br />
des „Leopard 1“ entspricht. Zur Selbstverteidigung<br />
verfügt der „Bergepanzer 2“ <strong>über</strong><br />
zwei Maschinengewehre MG 3, die als Bug-<br />
MG und als Fla-MG auf der Fliegerabwehrlafette<br />
der Kommandantenkuppel installiert<br />
sind. Eine Nebelmittelwurfanlage mit sechs<br />
Wurfbechern an der linken Seite des Aufbaus<br />
ermöglicht es der Besatzung, sich im<br />
Gefecht den Blicken des Gegners zu entziehen.<br />
Zur Bergeausstattung zählen der Kranausleger,<br />
das Räum- und Stützschild am Bug<br />
sowie die Berge- und Windeneinrichtung,<br />
außerdem verschiedene Gerätschaften zur<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
52
Der „Bergeleo” bewährt sich<br />
UNZUVERLÄSSIG: Ein M74 beim Bergeversuch<br />
eines Schützenpanzers im Jahr 1959.<br />
Foto: Sammlung Jörg-M. Hormann<br />
BERGEPANZER 1: Mit A-förmigem und fest<br />
verbundenem Kranausleger.<br />
Foto: Wikimedia/Sammlung Jörg-M. Hormann<br />
KRANPANZER T-55TK: Der große Stützschild zum Stabilisieren des Kranauslegers bei der<br />
Arbeit ist unterhalb der Benzinfässer gut zu erkennen.<br />
Foto: Sammlung Dirk Krüger<br />
Instandsetzung: eine Schneid- und Schweißanlage<br />
sowie ein umfangreicher Satz Werkzeuge.<br />
Auf dem Heck des „Bergepanzers 2“<br />
sind Vorrichtungen zum Transport eines Ersatztriebwerks<br />
für den „Leopard 1“ angebracht.<br />
Somit kann ein Motorenwechsel am<br />
INFO<br />
Clausewitz 4/2013<br />
Technische Daten<br />
Berge- und Pionierpanzer<br />
der Bundeswehr<br />
defekten Fahrzeug direkt im Gelände erfolgen.<br />
Mit einem aufgesetzten Schacht auf der<br />
Kommandantenluke wird der Bergepanzer<br />
tauchfähig bis zu einer Wassertiefe von vier<br />
Metern. Damit ist der Einsatz als Sicherungsfahrzeug<br />
möglich, wenn „Leopard“-Panzer<br />
M74 Bergepanzer 1<br />
M88 A1<br />
Bergepanzer 2<br />
Leopard 1<br />
„Bergeleo“<br />
Gefechtsgewicht 42,5 t 50,8 t 39,8 t<br />
Länge 5,84 m 8,45 m 7,68 m<br />
Breite 2,62 m 3,43 m 3,25 m<br />
Höhe 2,74 m 3,12 m 2,69 m<br />
Panzerung 12–63 mm 50–90 mm 10–35 mm<br />
Besatzung 4 Mann 3 Mann 4 Mann<br />
Hubraum 24 l 37,4 l 37,4 l<br />
Leistung 316 kW/506 PS 640 kW/1.014 PS 610 kW/830 PS<br />
Höchstgeschwindigkeit 34 km/h 42 km/h 62 km/h<br />
Bodenfreiheit – 0,43 m 0,44 m<br />
Watfähigkeit – 1,43 m 1,20 m<br />
Tiefwatfähigkeit mit Ausrüstung – 2,59 m 2,25 m<br />
Unterwasserfahrt mit UWF-Schacht – – 4,00 m<br />
Überschreitfähigkeit – 2,60 m 2,50 m<br />
Steigfähigkeit – 54 Grad 54 Grad<br />
Wendekreis – – 4,96 m<br />
Schleppleistung 42,5 t 44,0 t 44,0 t<br />
Reichweite 125 km Straße 480 km Straße 855 km Straße<br />
Bergeeinrichtung<br />
1 x hydraulischer<br />
Hebekran 22,7 t<br />
1 x hydraulische<br />
Winde 40,9 t<br />
1 x hydraulischer<br />
Hebekran 22,5 t<br />
1 x hydraulische<br />
Winde 35 t<br />
1 x Krananlage<br />
max. 20 t<br />
1 x Hauptwinde<br />
max. 40 t<br />
Baujahre 1946 bis 1952 1958 bis 1964 1966 bis 1970<br />
Verwendung 1956 bis 1960 1961 bis 2000 1966 bis heute<br />
Stückzahl Bundeswehr 300 125 444<br />
Stückzahl gesamt 1.940 1.000 3.800<br />
Quellen: Herstellerangaben<br />
in Tauchfahrt Flüsse durchfahren. Bei der<br />
Einführung des Flugabwehrkanonenpanzers<br />
„Gepard“ und ferner des Kampfpanzers<br />
„Leopard“ der zweiten Generation werden<br />
110 „Bergepanzer 2“ in den Jahren 1977 und<br />
1978 in ihrer Leistung gesteigert und führen<br />
nun die Bezeichnung A2. Damit einher geht<br />
die Lieferung von 75 Fahrzeugen des Bergepanzers<br />
3 „Büffel“, die auf dem Fahrgestell<br />
des „Leopard 2“aufgebaut sind.<br />
Leopard 2 als „Büffel”<br />
Der „Büffel“ besitzt eine um 270 Grad drehbare<br />
Krananlage, die vorne rechts mit dem<br />
Chassis des Fahrgestells verbunden ist. Die<br />
für Bergungszwecke erforderliche Hauptwinde<br />
und eine zusätzliche Hilfswinde sind<br />
im gepanzerten Aufbau platziert. Dieser fungiert<br />
gleichzeitig als Kampfraum für die<br />
dreiköpfige Besatzung.<br />
Eine Innovation gegen<strong>über</strong> dem Bergepanzer<br />
2 ist die Schnellbergeeinrichtung, die<br />
unter Panzerschutz bedient werden kann.<br />
Der Bergepanzer 3 ist in der Lage, am eigenen<br />
Fahrzeug einen Motorwechsel vorzunehmen.<br />
Dazu bedienen sich die Soldaten<br />
des elektrisch betriebenen Kranauslegers.<br />
Wie bereits sein Vorgänger kann der „Büffel“<br />
einen Ersatzmotor des Kampfpanzers auf<br />
seinem Heck mitführen, um diesen abseits<br />
von festen Werkstätten im Gelände auszutauschen.<br />
Eine Elektroschweißanlage sowie<br />
diverse Werkzeuge gehören außerdem zur<br />
Ausrüstung, mit der kleinere Reparaturen<br />
im Gelände erledigt werden.<br />
Die Aufrüstung mit Panzern beginnt in der<br />
jungen DDR bereits unmittelbar nach der<br />
Gründung des „Arbeiter- und Bauernstaats“.<br />
53
Militär und Technik | Berge- und Pionierpanzer<br />
Foto: Sammlung Dirk Krüger<br />
Noch im Jahr 1949 erhält die Kasernierte<br />
Volkspolizei ihre ersten 19 Kampfpanzer vom<br />
Typ T-34/76 vom „großen Bruder“ Sowjetunion<br />
geliefert. Nochmals um 100 Panzer aufgestockt,<br />
ergibt sich schon vor Gründung der<br />
Nationalen Volksarmee (NVA) und der folgenden<br />
Ausrüstung mit modernen Kampfpanzern<br />
ab 1958 der Bedarf eines entsprechenden<br />
„Sicherungsfahrzeugs“. Sicherungsfahrzeug<br />
ist der Oberbegriff aller Fahrzeuge<br />
in der NVA, die irgendwie mit der technischen<br />
Sicherstellung liegengebliebener, festgefahrener,<br />
oder im K-Fall abgeschossener<br />
Panzer und schwerer Fahrzeuge befasst sind.<br />
Der Mangel an solchen Fahrzeugen veranlasst<br />
die NVA, Panzerzugmaschinen auf dem<br />
PANZERZUGMASCHINE T-55T<br />
AUF DEM FAHRGESTELL DES KAMPFPANZERS T-55<br />
1 Bugsier- und Abschleppvorrichtung<br />
2 Fahrscheinwerfer<br />
3 Fahrerluke<br />
4 Stützschild<br />
5 Unterwasserfahrt (UF) Ausstiegsrohr mit Leiter<br />
6 Reling am Ausstiegsrohr<br />
7 Verspannung des Ausstiegsrohres<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
12<br />
13<br />
8 Hauptseilwinde mit 250 kN Zugkraft mit zwei<br />
Seilrollen erweiterbar auf 750 kN<br />
9 Kranausleger mit Hebewinde für Lasten<br />
bis 20 kN (ab 1978)<br />
10 Wanne und Fahrwerk des Kampfpanzers T-54<br />
11 Werkzeugkiste mit Schweißgerät<br />
12 Sechs Meter langes Abschleppseil hier als<br />
Sicherung bei UF-Übung<br />
13 Arbeitsscheinwerfer<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
PANZERZUGMA-<br />
SCHINE T-55T:<br />
Markant ist hier das<br />
verlastete Ausstiegsrohr<br />
für Unterwasserfahrt,<br />
das<br />
beim Einsatz <strong>über</strong><br />
der Kommandantenluke<br />
aufgerichtet<br />
und festgeschraubt<br />
wird.<br />
Foto: Sammlung Dirk Krüger<br />
Fahrgestell des T-34/76 entwickeln zu lassen.<br />
AIs Vorbild dienen seinerzeit sowjetische<br />
Zugmaschinen, von denen die NVA 15 Stück<br />
als Gründungsbestand erhält. So entstehen<br />
die Panzerzugmaschinen T-34T und T-34TB<br />
mit Bergesatz. Eine Panzerplatte ersetzt den<br />
Turm und zusätzliche technische Vorrichtungen<br />
und Geräte ergeben die Einsatzmöglichkeiten<br />
als Bergefahrzeug. Beide Fahrzeugtypen<br />
verfügten <strong>über</strong> Bugsiervorrichtungen,<br />
Abschleppseile sowie Werkzeuge und Gerätschaften<br />
für Instandsetzungsarbeiten. Der<br />
T-34TB konnte mit Zusatzausrüstung, im Flaschenzugeffekt,<br />
eine Zugkraft von bis zu 140 t<br />
entwickeln und damit seine Aufgabe als Bergepanzer<br />
erfüllen.<br />
1959 werden die ersten 15 Panzerzugmaschinen<br />
der Truppe <strong>über</strong>geben. Die folgende<br />
Umrüstung sämtlicher T-34/76 zieht sich bis<br />
Ende 1963 hin. Bis 1970 bleiben sie in den aktiven<br />
Gefechtsstrukturen in Verwendung<br />
und die letzten 33 Fahrzeuge werden erst<br />
1989 verschrottet.<br />
Häufig eingesetztes Modell<br />
Nach Einführung der Kampfpanzers T-54 erweisen<br />
sich die Panzerzugmaschinen T-34T<br />
und T-34TB wegen ihres geringen Eigengewichts<br />
als zu schwach zum Bergen eines havarierten<br />
T 54. Außerdem taugen sie nicht zur<br />
Unterwasserfahrt (UF) und genügen somit<br />
nicht den Anforderungen. Um diesen zukünftig<br />
zu entsprechen, entsteht nach dem sowjetischen<br />
Vorbild des BTS-2 die Panzerzugmaschine<br />
T-54T, versehen mit Bugsier- und Abschleppvorrichtung,<br />
UF-Ausrüstung, autogener<br />
Schweißausrüstung und einem montierbaren<br />
1-Mp-Kran. Beim Bergepanzer<br />
T-54TB wird diese Ausrüstung durch einen<br />
Bergesatz, bestehend aus einer elektrisch betriebenen<br />
Seiltrommel mit 270 Metern Seil<br />
nebst Stromerzeugungsaggregat, erweitert.<br />
Mit einer Zugkraft von maximal 140 t kann jedes<br />
NVA-Fahrzeug geborgen werden. Mit<br />
dem Aussondern der T-54 aus den aktiven<br />
54
Jahrzehntelang im Einsatz<br />
INFO<br />
Technische Daten<br />
Panzerzugmaschinen und<br />
Kranpanzer der NVA<br />
Panzerzugmaschine T-34TB<br />
mit Bergesatz<br />
Panzerzugmaschine T-54TB<br />
mit Bergeausrüstung<br />
Kranpanzer<br />
T-55TK<br />
Bergepanzer<br />
T-55T<br />
Gefechtsgewicht 29,0 t 34,5 t 42,0 t 35 t<br />
Länge 6,10 m 7,05 m 9,74 m 7,12 m<br />
Breite 3,0 m 3,27 m 3,38 m 3,27 m<br />
Höhe 2,6 m 2,65 m 2,90 m 2,84 m<br />
Besatzung 2 Mann 2 Mann 3 Mann 3 Mann<br />
Hubraum 38,88 l 38,88 l 38,88 l 38,88 l<br />
Leistung 368 kW/500 PS 382 kW/520 PS 425 kW/580 PS 425 kW/580 PS<br />
Höchstgeschwindigkeit 55 km/h 50 km/h 35–40 km/h 45–50 km/h<br />
Bodenfreiheit 0,39 m 0,43 m 0,38 m 0.42 m<br />
Watfähigkeit 1,30 m 1,40 m 1,40 m 1,40 m<br />
Unterwasserfahrt mit UF-Schacht – 5,0 m – 5.0 m<br />
Überschreitfähigkeit 2,50 m 2,60 m 2,70 m 2,70 m<br />
Kletterfähigkeit 0,73 m 0,75 m 0,80 m 0,80 m<br />
Steigfähigkeit 30 Grad 30 Grad 32 Grad 32 Grad<br />
Reichweite 540 km Straße 550 km Straße 600 km Straße 600 km Straße<br />
Bergeeinrichtung<br />
Bugsiereinr.<br />
auf Wannenbug<br />
Winde mit 200 m Seillänge<br />
140 t max. Zugkraft<br />
Bugsier- und Abschleppvorrichtung,<br />
elektrische Winde<br />
mit 270 m Seillänge,<br />
140 t Zugkraft UF-Ausrüstung<br />
montierbarer Kran<br />
hydraul. Krananlage,<br />
max. 20 t Planiereinrichtung<br />
BTU-Rammsporn am Heck<br />
Hauptseilwinde<br />
25 t Zugkraft, elektrisch<br />
Hilfsseilwinde 0,8 t Zugkraft,<br />
elektrisch hydraulischer<br />
1,5-t-Kran, Abschlepp- und<br />
Bugsiervorrichtung<br />
Verwendung 1957 bis 1965 1965 bis 1970 1968 bis 1990 1967 bis 1990<br />
Stückzahl NVA 203 20 119 250<br />
Quellen: Herstellerangaben<br />
Verbänden verschwinden auch die T-54T/TB<br />
in die Reserveeinheiten.<br />
Ab Dezember 1964 erhält die NVA ihren<br />
ersten Panzer vom Typ T-55, der seit 1958 in<br />
Serie gefertigt wird. Er kommt nicht aus der<br />
UdSSR, sondern die ersten 376 Stück werden<br />
aus ČSSR-Produktion in die DDR importiert.<br />
Mit mehr als 2.100 Fahrzeugen ist der<br />
T-55 zahlenmäßig der am häufigsten eingesetzte<br />
Panzer bei der NVA.<br />
Import aus der Tschechoslowakei<br />
Wiederum aus der Tschechoslowakei kommen<br />
1967 auch die ersten Panzerzugmaschinen<br />
T-55T. Zu ihrer Ausstattung gehören eine<br />
Hauptseilwinde mit einer Zugkraft von<br />
25 t sowie eine Hilfsseilwinde mit 0,8 t Zugkraft.<br />
Mit Hilfe zweier Seilrollen lässt sich<br />
die Zugkraft auf 50 t erhöhen. Ein hydraulischer<br />
Kran für 1,5 t Hebekraft sowie Abschlepp-<br />
und Bugsiervorrichtungen, eine<br />
UF- und Schweißausrüstung vervollständigen<br />
die Ausrüstung.<br />
Die Aufgabe der Panzerzugmaschine besteht<br />
hauptsächlich im Herausziehen, Bergen,<br />
Bugsieren und Abschleppen beschädigter<br />
Fahrzeuge. Sie unterstützt die Instandsetzung<br />
von Panzern unter feldmäßigen<br />
Bedingungen, die Sicherstellung der Unterwasserfahrt<br />
mit Panzern und die technische<br />
Beobachtung des Gefechtsfeldes.<br />
Bis 1982 erhalten die Instandsetzungseinheiten<br />
und die Panzerwerkstätten 250 Panzerzugmaschinen.<br />
Im Rahmen der Modernisierung<br />
des T-55 werden auch die Zugmaschinen<br />
mit neuen Gleisketten ausgerüstet.<br />
Die Hubleistung des Kranes wird ab Baujahr<br />
1978 auf zwei Tonnen erhöht und die Zugkraft<br />
der Hauptseilwinde auf 30 t (mit Seilrollen<br />
auf 90 t) verstärkt.<br />
1968 importiert die DDR ihren ersten<br />
Kranpanzer T-55TK auf Basis des T-55, ebenfalls<br />
aus der ČSSR. Der Kranpanzer verfügt<br />
<strong>über</strong> eine ähnliche Ausrüstung wie die Panzerzugmaschine.<br />
An Stelle des großen UF-<br />
Ausstiegrohrs ist ein hydraulischer 20-t-<br />
FRONTANSICHT: Kranpanzer T-55TK mit<br />
Stütz- und Räumschild am Bug und Kranausleger.<br />
Foto: Sammlung Dirk Krüger<br />
Kran montiert. Die Planiereinrichtung BTU<br />
und ein Rammsporn am Heck ermöglichen<br />
auch die Bergung von besonders schwer<br />
festgefahrenen Fahrzeugen.<br />
NVA-Kranpanzer<br />
Die Streitkräfte der NVA erhalten 119 Kranpanzer<br />
bis 1979. Auch sie werden einer Leistungssteigerung<br />
wie bei der Panzerzugmaschine<br />
T-55T unterzogen. Die Panzerzugmaschine<br />
T-55T und der „Bergepanzer 2“ der<br />
Bundeswehr lassen sich durchaus miteinander<br />
vergleichen.<br />
Letzter Panzer in der Geschichte der NVA<br />
ist der T-72. Ab 1967 entwickelt, wird er 1973<br />
zunächst in der sowjetischen Armee eingeführt.<br />
Fünf Jahre später rollen die ersten 35<br />
Exemplare des T-72 in der NVA. Zur Bergung<br />
und Unterstützung der feldmäßigen<br />
Instandsetzung kommt der Bergepanzer<br />
T-72TK auf Basis des T-72M1 ab 1989 zur Erprobung<br />
aus der Tschechoslowakei in die<br />
DDR. Nur drei Fahrzeuge mit 19-t-Kran, Planierschild,<br />
Seilwinde (Zugkraft 30 t), Seilhaspe<br />
mit 200 Meter langem Seil und UF-Ausrüstung<br />
kommen noch bis zur Wende 1989<br />
und der anschließenden Auflösung der NVA<br />
zum Einsatz.<br />
Jörg-M. Hormann, Jg. 1949, Freier Journalist und<br />
Sachbuchautor aus Rastede mit Schwerpunkten bei<br />
der deutschen Luftfahrt-, Marine- und Militärgeschichte<br />
mit <strong>über</strong> 30 Buchveröffentlichungen zu den Themen.<br />
Clausewitz 4/2013<br />
55
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Schiff Classic<br />
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erstaunliche Technik, die großen<br />
und kleinen Tragödien – all dies auf den<br />
Planken, die vielleicht nicht die Welt bedeuten,<br />
für die Teilnehmer aber zu unvergesslichen<br />
Momenten ihres Lebens gehörten.<br />
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SCHIFF CLASSIC ist das Nachfolge-Heft von<br />
,,Schiff & Zeit – Panorama maritim“, dem<br />
Hausmagazin der Deutschen Gesellschaft für<br />
Schiffahrts- und Marinegeschichte e.V.<br />
(DGSM). Mit SCHIFF CLASSIC verlässt das<br />
Heft nun den exklusiven ,,Hafen“ des DGSM<br />
und öffnet sich mit neuer Aufmachung jedem<br />
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Leser. SCHIFF CLASSIC lädt Sie ein,<br />
mit uns die ,,Häfen“ der Vergangenheit anzusteuern.<br />
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SCHIFFClassic<br />
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Panzerkreuzer<br />
AVEROFF<br />
Maritime Rarität<br />
TITANIC-Untergang:<br />
Initialimpuls für<br />
die Radartechnik<br />
PIRATEN<br />
Geißel der Weltmeere<br />
Neuer Film:<br />
Die Männer der EMDEN<br />
Schiff & Zeit 77<br />
Magazin für Schifffahrts- und Marinegeschichte<br />
Seeräuber von Störtebeker bis heute<br />
Über den Atlantik:<br />
Flugboote der 30er-Jahre<br />
Schweizer Rarität:<br />
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Aus dem Inhalt<br />
■ ● Piraten – Geißel der Weltmeere<br />
■ ● Die Männer des Kleinen kleine Kreuzers<br />
EMDEN<br />
■ ● Shetland Bus: auf den Spuren<br />
norwegischer Widerständler<br />
Wiederständler<br />
■<br />
● Panzerkreuzer GEORGIOS AVEROFF<br />
■<br />
● Olaf Rahard: ein Marinemaler erzählt<br />
■<br />
● Flugboote und -schiffe<br />
■<br />
● Greif: der letzte Schweizer<br />
Schraubendampfer<br />
Schraubendampfer<br />
■ Funk, ASDIC, Radar: als Schiffe<br />
●<br />
Hören<br />
Funk, ASDIC,<br />
und Sehen<br />
Radar:<br />
lernten<br />
als Schiffe<br />
Hören und Sehen lernten<br />
■ Alexander Behm und sein Echolot<br />
● Alexander Behm und sein Echolot<br />
■ Die Geschichte der Seemannslieder<br />
● Die Geschichte der Seemannslieder<br />
■ H.M.S. WARSPITE als Modell<br />
● H.M.S. WARSPITE als Modell<br />
■ Marinedolch als Kaisergeschenk<br />
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Außerdem in jeder Ausgabe<br />
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Nachrichten zur Schifffahrts- und Marinegeschichte<br />
Aktuelles aus der DGSM<br />
Bücherbord und Veranstaltungen<br />
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Online blättern oder Testabo unter: www.schiff-classic.de/abo<br />
56
Foto: Maurizio Gambarini, picture-alliance/dpa<br />
Foto: Tilemahos Efthimiadis, Wikimedia Commons<br />
Foto: picture alliance/akg images<br />
Foto: Berengar Pfahl Film<br />
Foto: Sammlung Jörg-M. Hormann<br />
Abbildung: Sammlung Gasenzer<br />
TITELGESCHICHTE<br />
MARITIME TECHNIK | Flugboote und -schiffe<br />
Piraten von Störtebeker bis heute<br />
Geißel der Weltmeere<br />
21. Oktober 1401: Von johlenden Hamburgern angefeuert, läuft der geköpfte Klaus<br />
Störtebeker an seinen Kumpanen entlang. Der Legende nach rettet er ihnen so das<br />
Leben. Die Realität der Seeräuberei ist bis heute brutal und gnadenlos. Von Eberhard Kliem<br />
Mittelalterliche Abschreckung<br />
Auf dem Grasbrook in Hamburg werden die Köpfe der enthaupteten<br />
Seeräuber um Klaus Störtebeker auf einen Balken genagelt und als<br />
Mahnung an seine Vitalienbrüder zur Schau gestellt. Die Hanse lässt<br />
nicht mehr mit sich spaßen. Hier als Reproduktion im Museum für<br />
Hamburgische Geschichte.<br />
Beginn des Transatlantikluftverkehrs<br />
Warum Schiffe fliegen mussten<br />
Immer schneller <strong>über</strong> den Atlantik: Zwischen den Weltkriegen geht es nicht nur auf,<br />
sondern auch in hundert Meter Höhe <strong>über</strong> den Wellen nach Amerika. So werden Flieger<br />
zu Seeleuten und Flugzeuge zu Schiffen.<br />
Von Jörg-M. Hormann<br />
ITALIEN WILL MITMISCHEN: Eine der<br />
zwei für Italien gebauten Do X. Sie sollte<br />
den Luftverkehr <strong>über</strong> das Mittelmeer<br />
hinweg mit den italienischen Mandatsgebieten<br />
in Afrika eröffnen.<br />
12<br />
SCHIFFClassic 1/2013<br />
13<br />
48<br />
SCHIFFClassic 1/2013<br />
49<br />
SEERÄUBER: Piraten wie Störtebeker erlebten die letzten Minuten<br />
ihres Lebens häufig im Angesicht des Henkers. Doch dies hält moderne<br />
Piraten wie etwa in Somalia nicht von ihrem ,,Beruf“ ab …<br />
FLUGBOOTE: Wem es nicht schnell genug ging, der nutzt die<br />
,,fliegenden Schiffe“. Doch wie komfortabel, wie sicher waren diese<br />
gewaltigen Vögel?<br />
SCHIFF & ZEIT | GEORGIOS AVEROFF<br />
SCHIFF & ZEIT | S.M.S. EMDEN<br />
Panzerkreuzer als maritime Rarität<br />
Filmkulisse und<br />
Besuchermagnet<br />
Für den Spielfilm „Die Männer der EMDEN“ präsentierte sich der Kreuzer GEORGIOS<br />
AVEROFF im Hafen von Piräus als realistische Filmkulisse. Der Panzerkreuzer aus<br />
dem frühen 20. Jahrhundert ist einer der letzten seiner Art.<br />
Von Ronald Hopp<br />
1914: Legendäre Kriegsepisode als Spielfilm<br />
Matrosen an Land<br />
und in der Wüste<br />
Zerstörung einer alliierten Telegrafenkabelstation auf Direction Island lautet der<br />
Befehl am 9. November 1914. Für fünfzig Mann Marineinfanterie des Kleinen<br />
Kreuzers EMDEN der Anfang einer abenteuerlichen Odyssee… Von Eberhard Kliem<br />
NICHT NUR PLAKATIV: Seit Februar<br />
läuft der Spielfilm, mit Starbesetzung<br />
an weltweiten Schauplätzen gedreht,<br />
in deutschen Kinos. Nächstes Jahr ist<br />
die Ausstrahlung des Zweiteilers im<br />
Fernsehen geplant.<br />
ENDGÜLTIG FESTGEMACHT: Panzerkreuzer<br />
AVEROFF im Yachthafen von Palaio Faliro, bei<br />
Piräus. Position: 37°56'1"N – 23°41'1"O.<br />
36<br />
SCHIFFClassic 1/2013<br />
37<br />
24<br />
SCHIFFClassic 1/2013<br />
25<br />
MUSEUMSSCHIFF: Die Zeiten der Großkampfschiffe sind vorbei,<br />
doch es gibt diese ,,Dinosaurier“ noch. In Griechenland wartet der<br />
Panzerkreuzer GEORGIOS AVEROFF auf Besucher.<br />
BESATZUNG DER EMDEN: Die Seeleute des Kleinen Kreuzers<br />
EMDEN brachen 1914 zu einer abenteuerlichen Odyssee auf.<br />
Ein Spielfilm erzählt ihre spannende Geschichte.<br />
MARITIME TECHNIK | Elektronik auf See<br />
LANDGANG | Shanty<br />
Funk, ASDIC und Radar: zivil entwickelt, militärisch genutzt<br />
Als Schiffe Hören<br />
und Sehen lernten<br />
Der Untergang der TITANIC – nie wieder<br />
sollte die zivile Schifffahrt von einer<br />
solchen Katastrophe heimgesucht werden.<br />
Er war Auslöser für das Bestreben, die<br />
Schifffahrt mithilfe der Funkmesstechnik<br />
sicherer zu machen. Von Sigurd Hess<br />
VERMEIDBAR? In den Augen<br />
der damaligen Fachleute wäre der<br />
Untergang der TITANIC mit der<br />
neuartigen Funkmesstechnik<br />
zu verhindern gewesen. Dieses<br />
Bild von Willy Stöwer gab der<br />
Katastrophe ein Gesicht.<br />
Gesang der Seemänner<br />
Kräftige Lieder an<br />
Bord der Segler<br />
BLICK IN DIE TAKELAGE: Bevor die Segel so<br />
im Wind stehen, ist kräftiges Zupacken angesagt.<br />
Das geht am besten mit einem arbeitsrhythmischen<br />
Lied auf den Lippen.<br />
Was wäre das Meer ohne die alten Gesänge der Segler und Fahrensleute? Die Berichte<br />
von Stürmen, Schiffbrüchen und bezwungenen Gefahren lassen sich viel emotionaler in<br />
Musik ausdrücken. Ein Lied klingt „Meer als 1000 Worte“! Von Elena Romana Gasenzer<br />
W<br />
enn von Musik und Meer die Rede<br />
ist, denkt man an die unzähligen<br />
Seemannslieder, die aus Fernsehen<br />
und Rundfunk jedem geläufig sind. Musikhistorisch<br />
korrekter ist es, von einem Shanty<br />
zu sprechen und damit bereits eine Eingrenzung<br />
hinsichtlich einer bestimmten<br />
Form und Gattung vorzunehmen. Typischerweise<br />
ist ein Shanty ein Seemannslied<br />
mit Refrain. Die Bezeichnung Shanty soll<br />
aus dem Französischen entlehnt sein, von<br />
„chanter“ (singen). Ursprünglich waren<br />
Shanties die Lieder der Seeleute, die auf den<br />
alten Seglern während der Arbeit gesungen<br />
wurden. Der Rhythmus dieser Lieder war<br />
in vielen Fällen derart gestaltet, dass er bei<br />
bestimmten gemeinschaftlichen Arbeiten<br />
wie beim Brassen der Segel oder beim Pumpen<br />
als Taktgeber fungierte, damit alle im<br />
Rhythmus des Gesanges im selben Takt arbeiteten.<br />
Dies zeigt die Form des typischen<br />
Shanty, das aus einer Strophe besteht, die<br />
von einem Vorsänger, dem Shantyman, solo<br />
vorgetragen wurde, und einem Refrain,<br />
der sich strophenweise wiederholt und von<br />
der ganzen Crew im Chor gesungen wurde.<br />
Diese Tradition wurde bis zum Aufkommen<br />
der Dampfschiffe gepflegt.<br />
Erste Shanty-Erwähnung<br />
Erstmals wurden die Arbeitslieder der<br />
englischen Seeleute 1549 in „The Complaynt<br />
of Scotland“ erwähnt. Die Blüte<br />
erreichte das Shanty als musikalische<br />
Gattung zweifellos mit dem Aufkommen<br />
des vollgetakelten Segelschiffs.<br />
Zwar befuhren bereits wagemutige Seefahrer<br />
wie Leif Eriksson, Christopher<br />
Columbus, Bartolomeu Dias, Fernando<br />
Magellan und andere die Meere unter<br />
Segeln und entdeckten dabei neue Kontinente<br />
und Handelswege, und sicher<br />
wurde auch auf ihren Schiffen gern gesungen,<br />
jedoch konnte das Shanty erst<br />
mit dem Aufkommen einer umfangreichen<br />
Seewirtschaft und des Seehandels<br />
zur Blüte gelangen.<br />
In einer Zeit, in der nur die Kraft<br />
des Windes und menschliche Muskelkraft<br />
zur Verfügung standen, um ein Traditionen der Seeleute eine so große Rolle<br />
spielten. Man sagte, ein guter Shanty sei<br />
Schiff zu bewegen, waren die Arbeitsabläufe<br />
und Wachen an Bord streng geregelt. so viel wert wie zehn Mann an einem Tau.<br />
Nicht nur die Segel mussten gehisst und<br />
gebrasst werden, besonders die Arbeit an Shanty als Abgrenzung<br />
den Pumpen galt als Schwerstarbeit. Bis Das Shanteying unterschied auch die<br />
zum Aufkommen der Stahlindustrie und Mannschaft von den Offizieren an Bord.<br />
des Vernietens von Stahlplatten wurden alle<br />
seegängigen Schiffe aus Holzplanken ge-<br />
– demonstrierte, wer die Arbeit machte und<br />
Die Form des Shanty – Vorsänger und Chor<br />
baut. Zum Abdichten standen als einzige wer die Order an Bord gab. Diese Form des<br />
Methoden nur das Kalfatern und das Imprägnieren<br />
mit Pech zur Verfügung. Fast al-<br />
Musikgeschichte schon sehr früh und reicht<br />
Liedgesangs entstand in der europäischen<br />
le hölzernen Schiffe leckten, was kein Problem<br />
darstellte, solange die Crew schneller gorianischen Chorals im 9. Jahrhundert zu-<br />
bis zur kirchlichen Gesangspraxis des gre-<br />
pumpen konnte, als das Schiff Wasser rück. Auch hier drückte sich durch den<br />
machte.<br />
Wechsel von Vorsänger und Chor der Standesunterschied<br />
von Priester und Gemeinde<br />
Gegen Wassermachen anpumpen aus. Der Shantyman war keine offizielle Position<br />
an Bord, auch gab es dafür keine be-<br />
Die Musik sollte dabei die Zusammenarbeit<br />
in der Gruppe vereinfachen und den sondere musikalische Unterweisung. Der<br />
Teamgeist fördern. Rhythmus und Form Rang eines Seemanns innerhalb der Crew<br />
des Shanty koordinierten die Arbeitskräfte, hing von seiner Berufserfahrung ab: Je<br />
richteten die Konzentration der Männer auf mehr Erfahrungen ein Seemann hatte, desto<br />
höher war auch seine Bezahlung. Die Fä-<br />
die Arbeit und lenkten von der Schwere der<br />
Tätigkeit ab – ein Effekt, der heute noch higkeit, Shanties zu singen, und das Repertoire<br />
an Liedern wuchsen ebenfalls mit den<br />
durch Musikbeschallung in Fitnessstudios<br />
erzielt wird. Daneben gaben Shanties der Berufsjahren. Dabei erlernten die Seeleute<br />
Mannschaft die Möglichkeit, ihre Ansichten<br />
und Gefühle auszudrücken, ohne mit eine natürliche Begabung und eine gute<br />
das Singen im Lauf ihrer Fahrenszeit. Wer<br />
Bestrafung rechnen zu müssen. Daher<br />
ist es nicht verwun-<br />
Shantyman akzeptiert und nahm dann<br />
Stimme hatte, wurde von der Crew als<br />
derlich, dass Shanties die Position des Vorsängers ein. Lieder<br />
an Bord und in den wurden von Mann zu Mann weitergegeben.<br />
Typischerweise wurden die Texte<br />
und Melodien aufgrund einer fehlenden<br />
schulmusikalischen Ausbildung der Seeleute<br />
in erster Linie mündlich <strong>über</strong>liefert.<br />
Schriftliche Aufzeichnungen<br />
von Shanties kamen nur zustande,<br />
wenn musikgelehrte<br />
Passagiere die Gesänge der<br />
Seeleute abhörten und in<br />
Notenschrift notierten oder<br />
ein Shanty aus irgendeinem<br />
Anlass selbst komponierten.<br />
ALLE MANN ZUGLEICH: Crew<br />
beim Setzen der Segel.<br />
60<br />
SCHIFFClassic 1/2013<br />
61<br />
68<br />
SCHIFFClassic 1/2013<br />
69<br />
FUNK UND RADAR: Der Untergang der TITANIC brachte vielen Menschen<br />
den Tod, doch war er auch Anstoß für einen technischen<br />
Sprung nach vorne, der die Schifffahrt sicherer machen sollte.<br />
SEEMANNSLIEDER: Die kernigen Seeleute und ihr Gesang sind untrennbar<br />
mit der Segelschifffahrt verbunden. Doch wieviel Romantik<br />
und wieviel harte Realität stand tatsächlich hinter der Musik?<br />
Clausewitz 4/2013<br />
57
Militär und Technik | Me 262<br />
Der erste in Serie gebaute Strahljäger der Welt<br />
Messerschmitts<br />
„Turbo“<br />
Ende 1944: Die Me 262 bringt ihren zahlenmäßig <strong>über</strong>legenen Gegnern das Fürchten<br />
bei. Doch es gibt auch Schattenseiten: Unausgereifte Technik und mangelnde Ausbildung<br />
fordern einen hohen Blutzoll in den eigenen Reihen. Von Wolfgang Mühlbauer<br />
58
Die staatlich unterstützte Arbeit an Turbinen-Luftstrahl-Triebwerken<br />
(TL)<br />
nimmt in Deutschland ab Frühling<br />
1938 konkrete Formen an. Das Technische<br />
Amt des Reichsluftfahrtministeriums<br />
(RLM), zuständig für alle Entwicklungsprogramme,<br />
informiert zu Herbstanfang<br />
schließlich führende Vertreter der Zellenund<br />
Flugmotorenindustrie offiziell <strong>über</strong> die<br />
neuen Antriebe. Dabei wird die Bildung eines<br />
„süddeutschen Entwicklungsschwerpunktes"<br />
durch Messerschmitt und BMW<br />
angeregt, die beide noch im selben Jahr erste<br />
Studienaufträge erhalten.<br />
Ambitioniertes Vorhaben<br />
Messerschmitt setzt ab Oktober sein Projektbüro<br />
auf ein entsprechendes Jagdflugzeug<br />
an. Man legt es vorsichtshalber zweistrahlig<br />
aus, da klare Angaben zum An-<br />
triebsaggregat fehlen. Nur ein geplanter<br />
Standschub von 600 kp und ein Höchstdurchmesser<br />
von 600 mm stehen im Raum.<br />
Zwischenzeitlich, am 4. Januar 1939, gibt<br />
das RLM die „vorläufigen Richtlinien für<br />
schnelle Jagdflugzeuge mit Strahltriebwerk“<br />
heraus. Darin sind ein Jäger sowie<br />
ein Heimatschützer verlangt; beide maximal<br />
900 km/h schnell. Als theoretische Basis<br />
für das P 1065 genannte Messerschmitt-<br />
Projekt dienen zwangsweise oft reine<br />
Schätzwerte. Der Startschuss zur Entwicklung<br />
fällt am 1. April 1939. Etwa zeitgleich<br />
beginnt Bramo (Brandenburgische Motorenwerke),<br />
mittlerweile ein Zweigbetrieb<br />
von BMW, mit der Entwicklung des Strahltriebwerks<br />
P 3302.<br />
Das erste Projektangebot zur P 1065 vom<br />
7. Juni 1939 zeigt einen kleinen Tiefdecker<br />
mit Trapezflügeln, ovalem Rumpf und<br />
Spornradfahrwerk. Die Bordwaffen sind in<br />
die Bugspitze, die Triebwerke in die Flächen<br />
integriert.<br />
Erstflug mit Kolbenmotor<br />
Der Entwurf ist typisch für Willy Messerschmitts<br />
Vorstellung einer aerodynamisch<br />
optimalen Gestaltung. Doch vieles davon<br />
sieht seine Entwicklungsmannschaft anders.<br />
Zum Beispiel setzt sie in der Folge einen<br />
dreieckigen Rumpfquerschnitt durch:<br />
er ist aerodynamisch wie statisch günstiger,<br />
ermöglicht problemlos ein Bugrad und vereinfacht<br />
die Unterbringung des Hauptfahrwerks,<br />
dessen breite Räder nun im ausladenden<br />
Dreiecksrumpf Platz finden. Im Gegenzug<br />
kann der Flügel dünn, leicht und<br />
damit „schnell“ gehalten werden. Der Bau<br />
erster Versuchsmuster (V) wird am 1. März<br />
1940 freigegeben. Zwischenzeitlich steigen<br />
WUNDERVOGEL: Die Me 262 hat das Potential, jedem Gegner<br />
die Stirn zu bieten. Hier die V6 anlässlich einer Vorführung am<br />
2. November 1943 mit Hermann Göring (in Lechfeld), sie ist<br />
die erste Me 262 mit einziehbarem Bugrad.<br />
Foto: DEHLA<br />
Clausewitz 4/2013<br />
59
Militär und Technik | Me 262<br />
AM ANFANG: Die Me 262 V1 mit einem<br />
Kolbenmotor des Typs Jumo 210 absolviert<br />
ihren Erstflug am 18. April 1941.<br />
Erst elf Monate später fliegt sie mit<br />
zusätzlichen Strahltriebwerken. Foto: DEHLA<br />
der Welt. Eine weitere Änderung betrifft<br />
den Einbau der Turbinen in zwei hängende<br />
Gondeln unter den Flügeln.<br />
Im März 1941 ist der erste Prototyp fertig<br />
– ohne Antrieb, denn das P.3302 ist <strong>über</strong><br />
erste Probeläufe noch nicht hinaus. Um aber<br />
die Me 262 V1 dennoch rudimentär zu erproben,<br />
rüstet man im Rumpfbug einen<br />
Kolbenmotor des Typs Jumo 210 G ein. Damit<br />
startet sie am 18. April 1941 zum Erstaber<br />
Gewichte und Ausmaße des Triebwerks<br />
mehr als erwartet an, was gravierende<br />
konstruktive Änderungen am Flugzeug<br />
nach sich zieht. So erhalten die Außenflügel<br />
eine leichte Pfeilung der Vorderkante – eine<br />
Notlösung, um den verschobenen Schwerpunkt<br />
mit wenig Aufwand auszugleichen.<br />
Die Me 262 wird also aus recht profanen<br />
Hintergründen der erste mit pfeilflügelähnlichen<br />
Tragflächen versehene Düsenjäger<br />
Premiere mit Folgeproblemen<br />
Da kein Ende der Misere abzusehen ist, sollen<br />
zunächst die V3, V4 und V5 mit dem<br />
mittlerweile verfügbaren Aggregat Jumo<br />
004 A von Junkers ausgerüstet werden. Es<br />
ist zwar schwerer, aber mit 850 kp auch<br />
schubstärker. Am 18. Juli 1942 kann die V3<br />
damit in Leipheim zum ersten rein strahlgetriebenen<br />
Flug einer Me 262 abheben,<br />
den Wendel als „reines Vergnügen“ bezeichnet.<br />
Die Maschine kann also mit den<br />
Jumo Aggregaten <strong>über</strong>zeugen, wenngleich<br />
noch viel Detailarbeit anfallen wird. Beispielsweise<br />
vergrößert man wenig später<br />
die Tiefe des Innenflügels aus aerodynamischen<br />
Gründen durch ein „Füllstück“. Als<br />
Nebeneffekt reicht die Pfeilung nun <strong>über</strong><br />
die ganze Tragfläche.<br />
Anfang März 1943 wird der Bauzustand<br />
der Me-262-Serienmaschine offiziell verbindlich<br />
festgelegt: als Jäger wie als Jagdbomber<br />
(Jabo) mit 500 Kilogramm Abwurflast.<br />
Das Me-262-Programm als solches hat<br />
schon seit Dezember 1942 eine hohe Dringlichkeitsstufe.<br />
Dass Entwicklung und Er-<br />
flug. Bei BMW gibt es dagegen weitere Verzögerungen<br />
– <strong>über</strong>haupt wird der Antrieb<br />
zum größten Hemmschuh der Me 262 werden.<br />
Erst am 25. März 1942 hebt die V1 endlich<br />
mit Turbinen ab. Zum Glück hat man<br />
den Jumo-Motor beibehalten, denn beide<br />
Düsentriebwerke, die ohnehin nur je 450 kp<br />
Schub liefern, fallen kurz nach dem Start<br />
aus. So gelingt Pilot Fritz Wendel wenigstens<br />
eine glimpfliche Notlandung.<br />
NICHT UNVERWUNDBAR: Nachdem<br />
diese Maschine des JG 7 mehrere Treffer<br />
durch amerikanische P-51D-Begleitjäger<br />
davonträgt, muss ihr Pilot abspringen.<br />
Foto: USAF<br />
INFO<br />
Technische Daten<br />
Messerschmitt<br />
Me 262 A-1a<br />
Besatzung 1<br />
Antrieb 2 x Junkers Jumo 004 B-1<br />
Schubleistung<br />
2 x 900 kp<br />
Spannweite<br />
12,65 m<br />
Länge<br />
10,60 m<br />
Höhe<br />
3,83 m<br />
Flügelfläche 21,70 m 2<br />
Leergewicht<br />
3.800 kg<br />
Rüstgewicht<br />
4.120 kg<br />
Startgewicht max. 6.775 kg<br />
Höchstgeschwindigkeit<br />
Startrollstrecke<br />
Reichweite normal<br />
maximal<br />
Dienstgipfelhöhe<br />
Bewaffnung<br />
Außenlasten<br />
800 km/h in 0 m<br />
870 km/h in 6.000 m<br />
845 km/h in 9.000 m<br />
ca. 920 m<br />
ca. 520 km in 6.000 m<br />
ca. 700 km in 9.000 m<br />
11.800 m (bei 5.100 kg)<br />
4 x MK 108 – 30 mm<br />
(gesamt 360 Schuss)<br />
24 R4M-Raketen<br />
500 kg Bomben (Rüstsatz)<br />
od. 2 x 300 l Zusatztank<br />
60
Noch nicht tauglich für die Front<br />
PREMIERE: Fritz Wendel hebt in Leipheim am 18. Juli 1942 mit der<br />
V3 zum ersten rein strahlgetriebenen Flug einer Me 262 ab. Doch<br />
noch ist die Maschine nicht bereit für den Kampfeinsatz. Foto: DEHLA<br />
VORBEREITUNG FÜR DEN KAMPF: Das Erprobungskommando 262<br />
hat ab Dezember 1943 die Aufgabe, den „Turbo“ für den militärischen<br />
Einsatz als Jäger tauglich zu machen.<br />
Foto: DEHLA<br />
probung trotzdem nur zäh vorankommen,<br />
hängt mit der viel zu geringen Anzahl verfügbarer<br />
Triebwerke zusammen. Sie treffen<br />
lange Zeit nur stückweise ein. Ihre technischen<br />
Probleme werden ebenso unterschätzt<br />
wie die Herstellungsschwierigkeiten<br />
im Rahmen einer Kriegswirtschaft, der<br />
es immer eklatanter an hochwertigen Rohstoffen<br />
(Sparstoffen), Universalwerkzeugmaschinen<br />
oder Facharbeitern fehlt. Unfälle<br />
im Erprobungsbetrieb sorgen zudem dafür,<br />
dass wochenlang oft nur ein einziger<br />
Prototyp startklar ist.<br />
Antrieb bremst Serienlauf<br />
Am 22. Mai 1943 fliegt der General der<br />
Jagdflieger Adolf Galland mit der V4. Er ist<br />
tief beeindruckt und hält den Strahljäger in<br />
erheblicher Verkennung der Realität bereits<br />
für einsatzreif. Drei Tage später ordnet das<br />
RLM den Bau von 100 serienmäßigen Jägern<br />
bis Jahresende an – schon wegen der<br />
nicht vorhandenen Triebwerke utopisch.<br />
Erst im Sommer kann Junkers die ersten<br />
sparstoffarmen 004-B-Turbinen nach Augs-<br />
burg liefern. Sie werden sofort in die V6 eingerüstet,<br />
die damit am 17. Oktober 1943<br />
erstmals abhebt. Zudem ist sie die erste Maschine<br />
mit einziehbarem Bugrad, das erleichtert<br />
die Handhabung am Boden erheblich.<br />
Während bei Messerschmitt die Vorbereitungen<br />
zum Serienbau einigermaßen<br />
planmäßig laufen, hinkt man bei Junkers<br />
weiter hinterher. Zu Weihnachten gilt das<br />
004 B noch immer nicht als betriebsreif.<br />
HINTERGRUND<br />
Das im Dezember 1943 in Lechfeld aufgestellte<br />
Erprobungskommando 262 (EKdo.)<br />
soll den Jäger trotzdem frontreif machen.<br />
Piloten, die zweimotorige Maschinen<br />
gewohnt sind, gelten dafür als am besten<br />
geeignet. Kommandeur wird deshalb<br />
Hauptmann Thierfelder vom ZG 26. Auf<br />
mehr als ein paar V-Muster kann er aber bis<br />
ins Frühjahr 1944 hinein nicht zurückgreifen.<br />
Erst dann sind die ersten Serienjäger<br />
War ein früherer Einsatz möglich?<br />
Glaubt man allen voran Adolf Galland, so<br />
war es nur Hitlers Schuld, dass die Me 262<br />
erst ab Herbst 1944 zum Jagdeinsatz kam.<br />
Einzig und allein der „Führer“ habe, so behauptete<br />
nicht nur er, die Entwicklung um<br />
mehr als ein Jahr verzögert.<br />
Tatsächlich hatten dessen diesbezügliche<br />
Befehle kaum spürbare Auswirkung auf Entwicklungs-<br />
und Erprobungszeit der Me 262,<br />
die mit fünf Jahren im üblichen Zeitrahmen<br />
lag. Selbst das Jumo 004 war schneller produktionsreif<br />
als damalige Kolbenmotoren.<br />
Hitlers nachhaltige Forderung einer bombentragenden<br />
Ausführung – des Blitzbombers –<br />
kam im November 1943 weder <strong>über</strong>raschend,<br />
noch verursachte sie ernsthafte<br />
Störungen im Entwicklungsablauf. Verwendung<br />
und Bau der Me 262 auch als Jabo war<br />
schon Monate zuvor serienmäßig festgelegt.<br />
In Anbetracht aller technischen und<br />
kriegswirtschaftlichen Faktoren, insbesondere<br />
der <strong>über</strong> lange Zeit kaum verfügbaren<br />
Triebwerke, ließ sich die Me 262 schwerlich<br />
früher bereitstellen. Alles andere war<br />
Wunschdenken – oder schlicht das Abwälzen<br />
der eigenen Verantwortung.<br />
FILMOBJEKT: Vor ihrer Überstellung an das<br />
Ergänzungs-Jagdgeschwader 2 (EJG 2) rollt<br />
eine Me 262 A-1a für Filmaufnahmen an<br />
der Kamera vorbei.<br />
Foto: DEHLA
Historisch, authentisch, …<br />
Militär und Technik | Me 262<br />
VARIATION: Im Gegensatz zur Me 262 A-1a<br />
verfügt die serienmäßig als Jagdbomber gebaute<br />
Me 262 A-2a nur <strong>über</strong> zwei Bordkanonen.<br />
Foto: DEHLA<br />
LETZTES AUFBÄUMEN: Als effiziente<br />
Abstandswaffen kommen ab März 1945<br />
R4/M-Raketen zum Einsatz. Sie werden an<br />
zwei Holzrosten unter den Flächen mitgeführt.<br />
Foto: DEHLA<br />
Als junger Eisenbahnpionier im Inferno des Zweiten Weltkriegs: Packend<br />
und detailreich erinnert sich Willy Reinshagen an seine Erlebnisse auf<br />
dem Russlandfeldzug, an Stalingrad, die Landung der Alliierten in Frankreich<br />
und die Kapitulation. Er erzählt von Kameradschaft, vom harten<br />
Alltag an der Front und von vielem mehr. Ein authentischer Bericht eines<br />
der letzten Zeitzeugen der alten Reichsbahn. Reich illustriert mit zahlreichen<br />
Fotoraritäten.<br />
192 Seiten · ca. 40 Abb. · 14,3 x 22,3 cm<br />
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ISBN 978-3-86245-142-5<br />
Me 262 A-1a ausgeliefert. Mittlerweile zwingen<br />
die immer stärkeren Bombenangriffe<br />
zur Dezentralisierung sowie zur zunehmenden<br />
unterirdischen Verlagerung oder<br />
Verbunkerung der Luftfahrzeug- und Motorenfertigung.<br />
Um die Flugzeugproduktion<br />
mit allen Mitteln zu beschleunigen und<br />
zu straffen, wird ab 1. März 1944 der Jägerstab<br />
mit weitreichenden Befugnissen ins<br />
Leben gerufen. Da es an regulären Arbeitskräften<br />
längst mangelt, gewinnt die SS hier<br />
zunehmend an Einfluss, da sie Zehntausende<br />
von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen<br />
bereitstellt.<br />
Zaghaftes Debut<br />
Im Mai wird aus einer Staffel des KG 51 das<br />
Kommando Schenk gebildet, das die Me 262<br />
als Schnellbomber einsetzen soll. Das Kommando<br />
kämpft zwar ab 20. Juli gegen die Invasionstruppen,<br />
bleibt aber relativ erfolglos.<br />
Nicht zuletzt, da man im Kampfgebiet nicht<br />
tiefer als 4.000 Meter fliegen darf. Hitler hat<br />
schlicht Angst, die <strong>über</strong>legene Technik der<br />
Me 262 frühzeitig preiszugeben!<br />
Wie sich zeigt, können selbst erfahrene Piloten<br />
mit dem „Turbo“ und seinen empfindli-<br />
Faszination Technik<br />
www.geramond.de<br />
oder gleich bestellen unter<br />
Tel. 0180-532 16 17 (0,14 €/Min.)<br />
Literaturtipp<br />
Willy Radinger/Walter Schick: Messerschmitt<br />
Me 262 – Entwicklung, Erprobung und Fertigung<br />
des ersten einsatzfähigen Düsenjägers der Welt.<br />
Aviatic Verlag, 4. Auflage 2004.
Mangelhafte Ausbildung<br />
… spannend.<br />
168 Seiten · ca. 220 Abb. · 22,3 x 26,5 cm<br />
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ISBN 978-3-86245-149-4<br />
chen Triebwerken <strong>über</strong>fordert sein. Thierfelder<br />
fällt beispielsweise am 18. Juli 1944<br />
der unausgereiften Technik zum Opfer.<br />
Tückische „Wundertechnik“<br />
Ganz zu schweigen von den hastig eingewiesenen<br />
Umschülern oder den völlig unzureichend<br />
ausgebildeten Neulingen. Außerdem<br />
fehlt es vorerst an passenden Angriffsverfahren<br />
oder taktischen Richtlinien.<br />
Echte Gefechtsvorteile hat die Me 262 nur<br />
dann, wenn sie ihre Geschwindigkeit, die<br />
im Horizontalflug bis zu 860 km/h beträgt,<br />
voll auszuspielen vermag. Erst so wird sie<br />
zur taktisch <strong>über</strong>legenen Waffe, die sich<br />
selbst angesichts einer stetig wachsenden<br />
gegnerischen Luft<strong>über</strong>legenheit behaupten<br />
oder die Initiative ergreifen kann. Dabei beschränkt<br />
sich der sinnvolle Einsatz als Jäger<br />
jedoch auf die Abfangrolle – für den klassischen<br />
Kurvenkampf fehlt es dem „Turbo"<br />
nämlich an ausreichender Wendigkeit und<br />
vor allem an passendem Antrieb. Denn<br />
wenn der Pilot wie bisher gewohnt die Leistung<br />
ruckartig oder schnell erhöht, reagieren<br />
die Jumo-004-Turbinen im Regelfall mit<br />
einem Flammabriss. Beim Wegnehmen der<br />
Leistung ist ebenfalls viel Aufmerksamkeit<br />
verlangt, da bereits eine nur geringe Reduktion<br />
den Triebwerksschub <strong>über</strong>proportional<br />
stark sinken lässt. Probleme, die nie vollständig<br />
gelöst werden, so dass hier bis zuletzt<br />
das Fingerspitzengefühl der Piloten<br />
entscheidet.<br />
GEGEN KRIEGSENDE: Die 7. (J)/KG 54<br />
liegt mit ihren bunt zusammengewürfelten<br />
Maschinen im März 1945 auf dem Fliegerhorst<br />
Neuburg an der Donau. Foto: DEHLA<br />
144 Seiten · ca. 200 Abb. · 22,3 x 26,5 cm<br />
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Faszination Technik<br />
Clausewitz 4/2013
Militär und Technik | Me 262<br />
AUSGIEBIGE TESTS: In Lechfeld unterzieht man<br />
jede ausgelieferte Maschine, sofern sie dort ankommt,<br />
einer strengen Abnahmeprüfung. Erst<br />
dann gelangt sie zum Einsatz.<br />
Foto: DEHLA<br />
Eine Herausforderung stellen zudem einige<br />
der aerodynamischen Eigenheiten dar. Zum<br />
Beispiel nimmt die Me 262 im Stech- und<br />
Sturzflug ungewöhnlich schnell Fahrt auf,<br />
wird zunehmend kopflastig und dringt<br />
rasch in den transsonischen Geschwindigkeitsbereich<br />
<strong>über</strong> 950 km/h vor. Die dann<br />
lokal auftretenden Kompressionswellen<br />
gaukeln in Einzelfällen gar den Durchbruch<br />
der Schallmauer vor – was nach allen heutigen<br />
Erkenntnissen mit der Me 262 unmöglich<br />
ist. Werkseitig gelten Mach 0,86 (1.042<br />
km/h) als Höchstgrenze, um sie noch sicher<br />
abzufangen.<br />
HINTERGRUND<br />
Von Ernst Heinkel privat finanziert, gelingt<br />
es dem Team um Hans Joachim von Ohain<br />
im Februar/März 1937, das weltweit erste<br />
lauffähige TL-Triebwerk in Betrieb zu nehmen.<br />
Die Arbeiten bilden den Grundstein für<br />
Heinkels eigene Turbinen- und Strahlflugzeugentwicklung.<br />
Wie Messerschmitt arbeitet<br />
man ab Frühjahr 1939 an einem zweistrahligen<br />
Jäger, später He 280 genannt.<br />
Als Antrieb sind zunächst Triebwerke eigener<br />
Herstellung geplant, deren Entwicklung aber<br />
schwer vorankommt. Die He 280 V1 steigt<br />
darum als Segler in die Luft – erstmals am<br />
22. September 1940. Der erste strahlgetriebene<br />
Flug bleibt am 30. März 1941 der V2<br />
vorbehalten. Heinkels Jäger ist der Me 262<br />
Glückloser Konkurrent: Heinkel He 280<br />
jedoch konzeptionell unterlegen, so dass<br />
die Entwicklung im Juli 1943 eingestellt werden<br />
muss.<br />
OHNE ERFOLG: He 280 mit Triebwerken<br />
des Typs Heinkel He S 8 A. Foto: DEHLA<br />
Kampf gegen Bomber<br />
Das EKdo.262 erzielt die ersten Luftsiege im<br />
August 1944; Anfang Oktober wird es zur<br />
regulären Jagdstaffel umgebildet. Zeitgleich<br />
steigt die Fertigungsrate der Me 262 stetig.<br />
Doch von den insgesamt wohl 1.433 „Turbos“,<br />
die unter oft unmenschlichen Bedingungen<br />
gebaut werden, kommen etwa nur<br />
20 Prozent an die Front. Der Rest fällt mehrheitlich<br />
den permanenten Angriffen auf das<br />
Transportnetz zum Opfer. Trotzdem sind<br />
zum Spätherbst 1944 mit dem JG 7, dem<br />
KG(J) 54 sowie dem EJG 2 weitere Jagdeinheiten<br />
aufgestellt. Daneben rüstet das gesamte<br />
KG 51 auf den „Turbo“ um, nutzt ihn<br />
bis Februar 1945 als Jabo und dann als Jäger.<br />
Weiterhin steht er in geringer Zahl in der<br />
zweisitzigen, mit Funkmessanlagen bestückten<br />
Nachtjagdversion B-1a/U-1 beim<br />
Kommando Welter im Dienst. Am bekanntesten<br />
dürfte der Jagdverband 44 sein, der<br />
im Januar 1945 unter Gallands Führung entsteht.<br />
Während die wenigen Behelfsaufklärer<br />
Me 262 A-1a/U3 eine Randerscheinung<br />
bleiben, tauchen die zweisitzigen Schulmaschinen<br />
Me 262 B-1a häufiger auf.<br />
Bevorzugte Ziele im Luftkampf sind<br />
Bomberverbände, wobei es nicht leicht ist,<br />
die hohe Angriffsgeschwindigkeit, die<br />
kaum Zeit zum Zielen lässt, mit der niedrigen<br />
Mündungsgeschwindigkeit der vier<br />
schweren Bordkanonen in Einklang zu<br />
bringen. Als Abstandswaffe führt man darum<br />
ab Februar 1945 die ungelenkte R4/M-<br />
Rakete, die in Salve verschossen wird, ein.<br />
Übliche Angriffsformation sind Dreieroder<br />
Viererkette, die sich im Stechflug von<br />
hinten mit etwa 850 km/h dem Bomberverband<br />
nähert, kurz zum Geradeausflug<br />
<strong>über</strong>geht, um zu schießen, und dann im flachen<br />
Steigflug wegzieht. Auch wenn das<br />
Auftauchen der Me 262 die Alliierten anfangs<br />
wie ein Schlag trifft, haben sie die<br />
größte Schwachstelle der „Jetfighter“ rasch<br />
erkannt: Bei Start und Landung sind sie<br />
langsam und extrem verwundbar. Bald lassen<br />
sie keinen ihrer Einsatzplätze mehr aus<br />
den Augen und verursachen herbe Verluste.<br />
Zudem wird systematisch versucht, jedes<br />
geeignete Flugfeld auszuschalten, so<br />
dass die Me 262 zuletzt teilweise von Autobahnteilstücken<br />
aus operiert.<br />
Nachhaltige Wirkung<br />
Obwohl sie eine technische Spitzenleistung<br />
ist, bleibt die Me 262 für das Kriegsgeschehen<br />
unbedeutend. Ihre Erfolge – grob 150<br />
Luftsiege – werden durch eigene Verluste<br />
bei Einsatz und Ausbildung mehr als aufgewogen,<br />
während das Produktionsumfeld<br />
wenigstens 15.000 Menschenleben fordert.<br />
Für die Alliierten ist die Me 262 zwar bevorzugte<br />
Kriegsbeute und interessanter Technologieträger,<br />
doch haben deutsche Forschung<br />
und Entwicklung bis Kriegsende<br />
nicht nur bei Messerschmitt weit fortschrittlichere<br />
Konzepte hervorgebracht.<br />
Auf die taktischen Anforderungen an künftige<br />
Jagdflugzeuge hat der „Turbo“ dagegen<br />
nachhaltig Einfluss.<br />
Wolfgang Mühlbauer, Jg. 1963, studierte physische<br />
Geographie an der Universität München. Seit 2001<br />
arbeitet er freiberuflich als Autor für Luftfahrtgeschichte<br />
und veröffentlicht regelmäßig Fachartikel.<br />
64
Meinung<br />
US-Atompolitik im Kalten Krieg<br />
Von Benjamin Richter<br />
ber mehr als 30.000 Atomwaffen<br />
verfügten die USA auf dem Höhepunkt<br />
des Kalten Krieges, zur Zeit der Kuba-<br />
Krise. Kritiker der amerikanischen Nuklearpolitik<br />
sahen darin eine irrationale „Overkill“-Kapazität,<br />
den Beleg dafür, dass Washington<br />
nicht etwa auf sowjetische<br />
Aufrüstung reagiere, sondern den Forderungen<br />
eines militärisch-industriellen Komplexes<br />
entspreche. Dagegen wiederum wurde argumentiert,<br />
dass das nukleare Arsenal seinen<br />
Zweck, die UdSSR von einem Angriffskrieg<br />
abzuschrecken, erfüllt habe. Und hat man den<br />
Osten am Ende nicht sogar „totgerüstet“? Ein<br />
genauerer Blick zeigt jedoch, dass die Dinge<br />
nicht so einfach liegen.<br />
Die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki<br />
waren kaum gefallen, da begannen Intellektuelle,<br />
die Implikationen des Atomzeitalters<br />
zu durchdenken. Weitgehende Einigkeit<br />
herrschte dar<strong>über</strong>, dass Kriege künftig noch<br />
viel zerstörerischer sein könnten als die beiden<br />
Weltkriege und dass die Staaten vom<br />
Gebrauch von Atomwaffen abgeschreckt<br />
werden sollten. Über die Frage jedoch, wie<br />
Abschreckung erreicht werde, entwickelten<br />
sich zwei unterschiedliche Denkschulen, die<br />
meist Minimalismus und Maximalismus genannt<br />
werden.<br />
Bernard Brodie, der Gründervater des<br />
Minimalismus, bezeichnete die Atombombe<br />
als „absolute Waffe“, weil es gegen sie keine<br />
Verteidigung gebe. Bei konventionellen Luftangriffen<br />
sei es für die Luftabwehr schon ein<br />
ERSCHRECKENDES VERNICHTUNGSPOTENZIAL:<br />
Unser Hintergrundbild zeigt die weltweit erste Kernwaffenexplosion,<br />
die im Rahmen des Manhattan-Projekts<br />
am 16. Juli 1945 in New Mexico durchgeführt<br />
wurde („Trinity-Test“).<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
Erfolg, einen Teil der Flugzeuge abzuschießen.<br />
Nun aber reiche ein einziges mit Atombomben<br />
bestücktes Flugzeug aus, um jedes<br />
beliebige Ziel zu zerstören. Und da es praktisch<br />
unmöglich sei, alle Angreifer abzufangen,<br />
mache Verteidigung von vornherein<br />
keinen Sinn. Brodie folgerte daraus, dass ein<br />
minimales nukleares Arsenal zur Abschreckung<br />
reiche. Es müsse nur groß genug sein,<br />
um den Gegner glauben zu machen, dass seine<br />
Städte ausgelöscht werden könnten, falls<br />
er angriffe.<br />
William Borden, ein früher Maximalist,<br />
teilte diese Zuversicht nicht. Seiner Prognose<br />
nach würden Städte in einem Atomkrieg<br />
gar nicht das primäre Ziel bilden. Denn es<br />
brauche viel Zeit, um deren Ressourcen für<br />
den Kampf zu mobilisieren, und ein Atomkrieg<br />
werde nicht lange dauern. Daher seien<br />
Was halten Sie von der Meinung Benjamin Richters? Schreiben Sie uns!<br />
Clausewitz, Infanteriestr. 11a, 80797 München oder an redaktion@clausewitz-magazin.de<br />
Städte als Ziele bedeutungslos. Stattdessen<br />
würden beide Seiten alles daransetzen, die<br />
feindlichen Streitkräfte zu zerschlagen, von<br />
denen im Atomzeitalter eine tödliche Bedrohung<br />
ausgehe. Und um dieses Ziel zu erreichen,<br />
könne man gar nicht zu viele Atomwaffen<br />
haben.<br />
Die tatsächliche US-Atompolitik entsprach<br />
während des Kalten Krieges eher<br />
dem maximalistischen als dem minimalistischen<br />
Ideal. Schon die in den 1950er-Jahren<br />
geltende Strategie der „massiven Vergeltung“<br />
setzte zur Abschreckung auf ein gewaltiges<br />
nukleares Arsenal. Als die sowjetische<br />
Atomrüstung nachzog, ging der Westen<br />
zur Strategie der „flexiblen Reaktion“ <strong>über</strong>,<br />
im Zuge derer insbesondere die konventionellen<br />
Truppen aufgerüstet wurden. Das nukleare<br />
Arsenal wuchs nun nicht mehr, aber<br />
seine Ausrichtung zielte mehr denn je auf<br />
die gegnerischen Streitkräfte ab.<br />
Damit ist freilich nicht ausgeschlossen,<br />
dass ein militärisch-industrieller Komplex<br />
bei der US-Atompolitik seine Finger im Spiel<br />
hatte. Andererseits lässt sich die pauschale<br />
Behauptung, <strong>über</strong> 30.000 Atomwaffen seien<br />
eine „Overkill“-Kapazität und mithin irrational,<br />
vor maximalistischem Hintergrund<br />
auch nicht halten.<br />
Die gleiche Zurückhaltung ist bei der Bewertung<br />
der Argumente von Regierungsunterstützern<br />
angebracht. Die „Totrüstungs“-<br />
These ist sehr gewagt. Gorbatschows Reformen,<br />
die den Zerfall der UdSSR einleiteten,<br />
haben sicherlich eine komplexere Erklärung<br />
verdient und waren – wenn man sich etwa die<br />
Entwicklung Chinas vor Augen führt – keineswegs<br />
alternativlos. Und wie steht es mit<br />
der Abschreckung? Wir können lediglich vermuten,<br />
dass es Atomwaffen waren, die einen<br />
Dritten Weltkrieg verhindert haben. Womöglich<br />
wäre er auch ohne „die Bombe“ nicht ausgebrochen.<br />
Nur wenn die Abschreckung versagt<br />
hätte, könnten wir das mit Sicherheit sagen.<br />
Oder auch nicht – denn dann wären wir<br />
jetzt höchstwahrscheinlich nicht am Leben.<br />
Dr. Benjamin Richter, Jahrgang 1977, hat an der Universität<br />
Mannheim Politikwissenschaft und Philosophie<br />
studiert. Seine Dissertation <strong>über</strong> US-Nuklearpolitik nach<br />
dem Ost-West-Konflikt ist im Verlag Dr. Kovač erschienen.<br />
Clausewitz 4/2013<br />
65
Das außergewöhnliche Exponat<br />
Sensation im Panzermuseum Munster<br />
Deutschlands<br />
einziger „Tiger“<br />
Frühjahr 2013: Einen spektakulären<br />
Neuzugang kann das<br />
Panzermuseum in Munster<br />
verzeichnen. Seit April komplettiert<br />
ein Kampfpanzer VI „Tiger“ die<br />
Sammlung – der einzige auf<br />
deutschem Boden... Von Ulf Kaack<br />
EINZIGARTIG IN DEUTSCHLAND: Seine<br />
Restaurierung war ein riesiges Puzzlespiel<br />
aus großdimensionierten Stahlteilen. Foto: DPM<br />
GROßER ERFOLG: Mit dem „Tiger“ ist<br />
die größte Lücke im Panzermuseum<br />
Munster geschlossen – zumindest für<br />
die nächsten drei Jahre. Foto: Ulf Kaack<br />
GEFECHTSPAUSE: Ein „Tiger“<br />
und seine Besatzung atmen<br />
vor ihrem nächsten Einsatz<br />
während einer „Zigarettenlänge“<br />
tief durch. Foto: Alfred Rubbel<br />
66
MÄCHTIG: Die Hauptbewaffnung des „Tiger“,<br />
die 8,8-cm-KwK, erzielte eine enorme<br />
Durchschlagsleistung.<br />
Foto: Ulf Kaack<br />
RÄTSELHAFT: Ein Einschuss auf der rechten<br />
Seite der Wanne. Ursache und Wirkung<br />
liegen im Verborgenen.<br />
Foto: Ulf Kaack<br />
SICHTBAR: Treffer auch am Turm, die der<br />
Tiger mutmaßlich bei der Kesselschlacht<br />
von Falaise einstecken musste. Foto: Ulf Kaack<br />
Auf internationaler Ebene nimmt das<br />
Deutsche Panzermuseum im niedersächsischen<br />
Munster unter den militärhistorischen<br />
Sammlungen einen Spitzenplatz<br />
ein. Lediglich eine „ Lücke“ gab es in der<br />
schwergewichtigen Kollektion: Es fehlte ein<br />
Panzerkampfwagen VI „Tiger“.<br />
Weltweit haben nach offiziellem Kenntnisstand<br />
nur sechs Kampfpanzer „Tiger I“<br />
den Zweiten Weltkrieg „<strong>über</strong>lebt“. Zwei befinden<br />
sich in Russland, zwei in Frankreich<br />
und jeweils einer in Großbritannien und den<br />
USA. Im Magazin des Panzermuseums Kubinka<br />
bei Moskau sollen zwei weitere Exemplare<br />
stehen, doch das wird von offizieller<br />
Seite nicht bestätigt.<br />
„In der Vergangenheit stand uns bereits<br />
zweimal ein ,Tiger’ für einen begrenzten<br />
Zeitraum zur Verfügung,“ berichtet Museumsdirektor<br />
Ralf Raths. „Aber natürlich<br />
wollten wir ein Exemplar dauerhaft in unserer<br />
Sammlung haben. Ein solcher Panzer gehört<br />
einfach aus technikhistorischen Gründen<br />
nach Deutschland und natürlich in die<br />
Lücke innerhalb der unserer Sammlung.“<br />
Vollkommen unerwartet klingelte Ende Fe-<br />
BUCHTIPP<br />
Persönliches Kriegstagebuch<br />
Im Panzer IV und Tiger an der Ostfront<br />
Es ist ein relativ kurzer Abschnitt aus einem<br />
langen Soldatenleben, den Alfred Rubbel detailliert<br />
in seinem persönlichen Kriegstagebuch<br />
beschreibt – für den heute 91-Jährigen<br />
der wichtigste.<br />
Nüchtern und sachlich erzählt Alfred Rubbel<br />
seine ganz individuelle Geschichte in Tagebuchchronologie.<br />
Dabei reichert er die<br />
einzelnen Abschnitte mit historischem, militärischem<br />
und technischem Hintergrundwissen<br />
an. Der ehemalige Panzersoldat erzählt<br />
von der Euphorie, mit der er wie nahezu seine<br />
gesamte Generation damals in den Krieg<br />
zog. Und er nennt die Gründe dafür. Er schildert<br />
seine dramatischen Erlebnisse an der<br />
ZEITZEUGE: Alfred Rubbel schildert<br />
seine persönlichen Erlebnisse vom<br />
Einsatz an der Front. Foto: Flechsig Verlag<br />
bruar 2013 Raths Telefon. Der Teilnehmer am<br />
anderen Ende der Leitung sagte: „Ich besitze<br />
den ,Tiger’, der Ihnen fehlt, und stelle ihn<br />
dem Panzermuseum zunächst für drei Jahre<br />
als Leihgabe zur Verfügung.“ Für den engagierten<br />
Museumschef ging ein Traum in<br />
Erfüllung.<br />
Die Herkunft dieses „Tigers I“ (Ausf. E)<br />
liegt teilweise im Verborgenen. Fakt ist, dass<br />
sich das Exemplar aus mindestens zwei unterschiedlichen<br />
Panzern zusammensetzt, die<br />
vermutlich bei der Kesselschlacht von Falaise<br />
im August 1944 in der Normandie aufgegeben<br />
oder ausgeschaltet worden waren.<br />
Metallverwerter haben nach den Kampfhandlungen<br />
die Reste der Schlacht auf einem<br />
Schrottplatz zusammengetragen. Ralf Raths:<br />
„Der Eigentümer unseres Ausstellungsstücks<br />
hat in Frankreich praktisch einen ganzen<br />
Berg Panzerschrott gekauft und den ,Tiger’<br />
aus diesem gigantischen Puzzlespiel aus<br />
Stahl neu aufgebaut.“<br />
Wanne und Turm – sie stammen nachweislich<br />
von zwei unterschiedlichen Fahrzeugen<br />
– waren in mehrere Teile zerlegt. Da<br />
die Schnittstellen exakt aneinander passten,<br />
Ostfront, darunter die berühmte Panzerschlacht<br />
bei Kursk. Alfred Rubbel erlebt den<br />
Krieg im Panzer IV, im „Tiger“ und im „Königstiger“.<br />
Mehrfach wird er abgeschossen<br />
und verwundet, erzielt selbst mit seiner Besatzung<br />
57 Panzerabschüsse.<br />
Im Panzer IV und Tiger an der Ostfront. Das<br />
persönliche Kriegstagebuch des Alfred Rubbel<br />
Dezember 1939–Mai 1945, Flechsig<br />
Verlag Würzburg,<br />
256 Seiten, gebunden<br />
mit Schutzumschlag,<br />
350 Bilder,<br />
Karten und Abbildungen.<br />
ISBN 978-3-<br />
8035-0008-3,<br />
24,95 Euro.<br />
KONTAKT<br />
Das Deutsche Panzermuseum in Munster hat<br />
täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Ab<br />
dem 1. Oktober ist montags Ruhetag. Der Eintritt<br />
für Erwachsene beträgt 7 Euro. Kinder im Alter<br />
von 6 bis 13 Jahren sowie Schüler, Studenten<br />
und Bundesfreiwilligendienst Leistende zahlen<br />
3,50 Euro. Für Gruppen, Familien und<br />
Führungen gibt es spezielle Tarife.<br />
www.panzermuseum-munster.de<br />
konnten sie wieder zusammengesetzt werden.<br />
Die Herkunft des Fahrwerks, der Waffenanlage<br />
sowie diverser Anbauteile ist nicht<br />
mehr nachvollziehbar. Eine Antriebsanlage<br />
besitzt der „Tiger“ nicht. Ebenso fehlt ein<br />
Großteil der Innenausstattung.<br />
„Der Panzerkampfwagen VI ,Tiger‘ ist<br />
von 1941 bis 1942 entwickelt und von 1942<br />
bis 1945 eingesetzt worden“, berichtet Direktor<br />
Raths <strong>über</strong> den spektakulären Neuzugang.<br />
„Nur 1.350 Exemplare dieses extrem<br />
teuren und aufwendig zu bauenden Panzers<br />
wurden hergestellt, weil er nur für eine spezielle<br />
Aufgabe entwickelt worden ist: Es sollte<br />
mit hoher Feuerkraft und stark gepanzert<br />
Löcher in die feindlichen Linien reißen. Der<br />
,Tiger’ war somit ein teurer Vorschlaghammer<br />
für Spezialeinsätze.“<br />
Die hohe Feuerkraft und starke Panzerung<br />
in Verbindung mit einer markanten Formgebung<br />
führten dazu, dass der „Tiger“ zum Inbegriff<br />
motorisierter Kampfkraft wurde. Die<br />
NS-Propaganda griff diese Symbolik auf und<br />
konstruierte damals in den Medien aktiv das<br />
Bild eines „Superpanzers“ – ein Image, das<br />
trotz der zahlreichen Schwächen des Panzers<br />
bis heute weitgehend Bestand hat.<br />
Ulf Kaack, Jg. 1964, Redakteur und Autor aus<br />
Bassum mit den Spezialgebieten Marine und Panzer.<br />
Demnächst erscheint sein Buch „Panzer. Alle Fahrzeuge<br />
von 1956 bis heute“ in der Reihe „Typenatlas<br />
Bundeswehr“. Er steht in engem Kontakt zum<br />
Panzermuseum Munster.<br />
Clausewitz 4/2013<br />
67
Spurensuche<br />
„Führersperrgebiet Obersalzberg“<br />
Hitlers Residenz<br />
in den Bergen<br />
68
HERRSCHAFTLICH: Hitlers<br />
Anwesen auf dem<br />
„Obersalzberg“ wird in den<br />
1930er-Jahren mehrfach<br />
aus- und umgebaut.<br />
Hier empfängt der „Führer“<br />
zahlreiche Spitzenpolitiker<br />
und Militärs aus dem<br />
In- und Ausland.<br />
Foto: ullstein bild – Walter Frentz<br />
Das Areal „Obersalzberg“ war von<br />
1933/34 bis in den Zweiten Weltkrieg<br />
hinein eines der größten Bauvorhaben<br />
im NS-Staat. Nach der alliierten Bombardierung<br />
wenige Tage vor Kriegsende bleiben<br />
zahlreiche Fundamente und Ruinen zerstörter<br />
oder beschädigter Gebäude des ehemaligen<br />
„Führersperrgebietes Obersalzberg“<br />
noch lange Zeit erhalten.<br />
Mit der Besetzung durch US-Truppen entsteht<br />
das AFRC („American Forces Recreation<br />
Center“), in dem GIs in den alten NS-Gebäuden<br />
entspannen. Die Amerikaner nutzen<br />
und pflegen die Häuser und deren Innenausstattung,<br />
die sie 1945 vorfanden, bis zu<br />
ihrem Abzug im Jahr 1995.<br />
Nach der Übergabe an den Freistaat Bayern<br />
werden die Gebäude und Ruinen des<br />
„Obersalzbergs“, dem Verfall preisgegeben<br />
und schließlich größtenteils abgetragen.<br />
Rückblick: Am 9. November 1923 versuchte<br />
Adolf Hitler durch einen Putsch in<br />
München, an die Macht in Deutschland zu<br />
gelangen. Dieser Putsch misslang und Hitler<br />
wurde zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt.<br />
Während dieser Zeit begann er, sein<br />
Buch „Mein Kampf“ zu schreiben. Nach seiner<br />
vorzeitig beendeten Haft versteckte sich<br />
Hitler – ähnlich wie der „Schriftleiter“ des<br />
NS-Organs „Völkischer Beobachter“ Dietrich<br />
Eckart – in einer kleinen Hütte oberhalb des<br />
„Platterhofs“ am „Obersalzberg“.<br />
Ende der 1920er-Jahre fühlte sich Hitler<br />
nicht mehr verfolgt und mietete zunächst<br />
das „Haus Wachenfeld“. Später – nach der<br />
NS-Macht<strong>über</strong>nahme im Deutschen Reich –<br />
kaufte der neue Reichskanzler das Landhaus,<br />
auf das Hitler bereits 1932 ein Vorkaufsrecht<br />
erworben hatte, und ließ es groß-<br />
PROST AUF DEN SIEG:<br />
Im Mai 1945 kommen die<br />
Amerikaner und<br />
bleiben 50 Jahre.<br />
Foto: Sammlung John Provan<br />
UNTERSCHLUPF: Erstes Versteck des<br />
gescheiterten Putschisten nach seiner Festungshaft.<br />
Eine primitive Holzhütte oberhalb<br />
des „Platterhofs“. Foto: Sammlung John Provan<br />
zügig umbauen und erweitern. Heinrich<br />
Hoffmann, sein Leibfotograf, stellte den<br />
„Berghof“ auf seinen Fotopostkarten anfangs<br />
als bescheidenen Wohnsitz dar.<br />
Nach 1933 erwarb die NS-Führung neue<br />
Gebäude am „Obersalzberg“. Eigentümern,<br />
die nicht bereit waren, ihr Anwesen zu verkaufen,<br />
wurde mit Inhaftierung gedroht. So<br />
konnten Hitler und die NS-Partei innerhalb<br />
kurzer Zeit zahlreiche Gebäude am „Obersalzberg“<br />
erwerben. Das einst abgelegene<br />
Dorf inmitten einer idyllischen Berglandschaft<br />
wurde nun zur größten Baustelle<br />
Deutschlands.<br />
Die rege Bautätigkeit geht in der zweiten<br />
Hälfte der 1930er-Jahre ununterbrochen weiter.<br />
Aber auch im nahe gelegenen Berchtesgaden<br />
wurde viel gebaut. Vor allem Politiker<br />
aus dem Ausland sollten durch den Ausbau<br />
der Infrastruktur einen positiven Eindruck<br />
vom „neuen Deutschland“ bekommen. So<br />
wurden ein am 21. Januar 1934 offiziell<br />
Mai 1945: US-Truppen besetzen das<br />
weitläufige Areal um Hitlers „Berghof“ und<br />
bleiben dort bis 1995. Heute sind viele<br />
Spuren der NS-Vergangenheit weitgehend<br />
„verwischt“.<br />
Von John Provan<br />
Clausewitz 4/2013<br />
69
Spurensuche | „Obersalzberg“<br />
BEEINDRUCKEND: Vom Kehlsteinhaus in 1.800<br />
Metern Höhe bietet sich ein fantastischer Ausblick.<br />
Hitler weilte hier nur selten. Foto: picture-alliance/dpa<br />
REICHSKANZLEI:<br />
Die sogenannte<br />
„Kleine Reichskanzlei“<br />
ist seit<br />
1945 bis zu deren<br />
Abzug das US-<br />
Hauptquartier.<br />
Foto: Sammlung John<br />
Provan<br />
eingeweihter Flugplatz in Ainring und später<br />
eine große Empfangshalle für den bereits<br />
bestehenden Bahnhof in Berchtesgaden gebaut.<br />
Weiterhin wurden zwei Zufahrtsstraßen<br />
zum „Obersalzberg“ ausgebaut, die mit<br />
ihrer starken Straßenneigung damaligen<br />
Kraftfahrzeugen durchaus zu schaffen<br />
machten. Hitler sollte zu jeder Zeit und bequem<br />
zu seiner neuen Alpen-Residenz gelangen<br />
können, die sich im Laufe der Jahre<br />
zu einer Art zweitem Regierungssitz des<br />
„Dritten Reiches“ entwickelte.<br />
AUSGEBRANNT: Ein US-Soldat vor<br />
dem scheibenlosen Panoramafenster<br />
in der zerstörten Ruine des<br />
„Berghofes“. Die Brandruine des<br />
Hauptgebäudes wurde 1952 gesprengt.<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
„Berghof” als Pilgerstätte<br />
Zu den Räumlichkeiten in Hitlers 1936 weitgehend<br />
fertig gestelltem „Berghof“ führte eine<br />
lange Außentreppe. Zahlreiche zeitgenössische<br />
Propagandafotos zeigen Staatsgäste<br />
und führende Militärs beim Hinaufsteigen<br />
der Stufen. Charakteristisch für das Hauptgebäude<br />
war vor allem das circa 9 x 3,6 Meter<br />
große Panoramafenster, von dem aus sich<br />
dem Betrachter ein malerischer Blick auf die<br />
Berglandschaft bot. Das Fenster konnte mithilfe<br />
eines elektrischen Antriebs in die Kellerräume<br />
herunter gelassen werden. Von dieser<br />
Empfangshalle führte eine Tür zum alten<br />
Teil des „Hauses Wachenfeld“.<br />
In der ersten Etage befanden sich die<br />
Schlafzimmer von Adolf Hitler und Eva<br />
Braun, Lebensgefährtin und spätere Ehefrau<br />
des „Führers“, sowie sein Arbeitszimmer. In<br />
der zweiten und dritten Etage waren die<br />
Schlafzimmer für Gäste und die Kammern<br />
für das Hauspersonal untergebracht.<br />
Zahlreiche bekannte Staatsgäste empfing<br />
Hitler auf seinem „Berghof“, darunter – im<br />
Jahr 1938 im Vorfeld des „Münchener Abkommens“<br />
– den britischen Premierminister<br />
Arthur Neville Chamberlain, außerdem 1939<br />
den italienischen Außenminister Graf Ciano<br />
sowie im Jahr 1942 den „Duce“.<br />
In diesen Jahren wurden mehrfach Erweiterungs-<br />
und Umbaumaßnahmen am „Berghof“<br />
durchgeführt. Der „Obersalzberg“ entwickelte<br />
sich besonders während der Friedensjahre<br />
zu einer wahren Pilgerstätte. Tausende<br />
„treuer Anhänger“ kamen, um das<br />
Anwesen ihres „Führers“ zu sehen. Um zumindest<br />
einen Teil dieser Besucher unterzubringen,<br />
wurde das Hotel „Platterhof“, zuvor<br />
bekannt als „Pension Moritz“, errichtet.<br />
Der Bau wurde allerdings erst 1941 vollendet<br />
und wurde nie für seinen ursprünglichen<br />
Zweck genutzt.<br />
In den Nachkriegsjahrzehnten war der<br />
„Platterhof“ bei den Amerikanern als „Hotel<br />
General Walker“ besonders beliebt. Heute,<br />
nach dem Abriss des Hauptgebäudes der alten<br />
Anlage im Jahr 2000, steht dort das Luxushotel<br />
„InterContinental Berchtesgaden“.<br />
Unweit vom einstigen „Platterhof“ lag ein<br />
Postamt und unterhalb in Richtung „Berghof“<br />
stand bis 1935 die Pension „Haus Hoher<br />
Göll“. Das Gebäude wurde von der NSDAP<br />
gekauft und als Gästehaus für Parteimitglieder<br />
ausgebaut. Martin Bormann nutzte es<br />
zudem als Büro und zum Empfang von Besuchern.<br />
Nach dem Abzug der US-Truppen in der<br />
zweiten Hälfte der 1990er-Jahre wurde auf<br />
den Fundamenten dieses Hauses ein Neubau<br />
im Stile moderner Architektur errichtet,<br />
der heute dem Zentrum „Dokumentation<br />
70
Großer Touristenmagnet<br />
BRÖCKELNDER PUTZ: Nebengebäude des ehemaligen Hotels, rechts<br />
im Bild sind Teile des Neubaus zu erkennen. Foto: Sammlung John Provan<br />
KOSTSPIELIG: Der Abriss des ehemaligen Krankenhauses<br />
in Stanggaß wird teurer als gedacht und schreckt<br />
Investoren ab.<br />
Foto: Sammlung John Provan<br />
Obersalzberg“ dient und die Vielzahl der<br />
Touristen <strong>über</strong> die Geschichte des ehemaligen<br />
„Führersperrgebietes“ im Berchtesgadener<br />
Land informiert.<br />
Geschenk an den „Führer”<br />
„Reichsleiter“ Martin Bormann war die zentrale<br />
Figur beim Umbau des „Obersalzbergs“.<br />
Er kontrollierte alle Baumaßnahmen.<br />
Anlässlich des 1939 bevorstehenden 50. Geburtstags<br />
von Hitler hatte Bormann den Bau<br />
eines „Teehauses“ am 1.834 Meter hohen<br />
Kehlsteingipfel als Geschenk der Partei angeordnet.<br />
Fritz Todt, Generalinspektor für das deutsche<br />
Straßenwesen, wurde im Jahr 1938 die<br />
Leitung für den Bau einer Straße bis zum geplanten<br />
„Kehlsteinhaus“ <strong>über</strong>tragen. In der<br />
kurzen Bauzeit von Mai bis Oktober sind<br />
3.000 Arbeiter rund um die Uhr an dem Bau<br />
dieser Zufahrtsstraße beschäftigt. Die noch<br />
heute erhaltene Straße ist sieben Kilometer<br />
lang, verfügt <strong>über</strong> mehrere Tunnel und eine<br />
Haarnadelkurve.<br />
Der Bau des<br />
„Kehlsteinhauses“<br />
begann unter der<br />
Leitung von Prof. Roderich Fick. Die Steinblöcke<br />
wurden im Tal gemeißelt und mit einem<br />
Flaschenzug nach oben gezogen. Um<br />
den Fertigstellungstermin einhalten zu können,<br />
wurden die Straße und das Kehlsteinhaus<br />
gleichzeitig gebaut. Die Straße endet<br />
an einem kleinen Platz, 124 Meter unterhalb<br />
des Kehlsteinhauses. Vom dort aus führt ein<br />
stollenartiger Gang in den Fels hinein. Ein<br />
prachtvoll ausgekleideter Aufzug aus Kupfer<br />
und Messing bringt die Touristen nach<br />
oben ins „Kehlsteinhaus“, das die US-Amerikaner<br />
unter dem Namen „Eagle’s Nest“<br />
kennen. Heute ist dieses Haus, von dem<br />
sich ein beeindruckender Blick <strong>über</strong> das<br />
umliegende Berchtesgadener Land bietet,<br />
eine der populärsten Sehenswürdigkeiten<br />
der Region.<br />
Vom Aufzug geht man durch einen Gang<br />
bis zum ehemaligen Wachzimmer, daneben<br />
befinden sich Toiletten und die Küche. In<br />
entgegengesetzter Richtung gelangt man in<br />
ein holzvertäfeltes Esszimmer und von dort<br />
in das runde „Konferenzzimmer“. Dieser<br />
Raum wird von einem großen Kamin aus rotem<br />
Carrara-Marmor beherrscht, einem Geschenk<br />
von Benito Mussolini.<br />
Hitler weilte jedoch nur selten in seinem<br />
Teehaus knapp unterhalb des Kehlsteingipfels.<br />
Zu seinen Lieblingsorten auf dem Areal<br />
des „Obersalzbergs“ zählte dagegen der<br />
1937 errichtete Pavillon am Mooslahnerkopf.<br />
Hitler ist oft mit Vertrauten und Besuchern<br />
zu dem kleinen Gebäude spaziert. Der Teepavillon<br />
bot einen faszinierenden Ausblick<br />
und lag nicht weit vom Berghof entfernt, etwa<br />
eine dreiviertel Stunde zu Fuß. Er existiert<br />
heute nicht mehr.<br />
Sorge um Hitlers Sicherheit<br />
Um die Sicherheit des „Führers“ und die Unterbringung<br />
der entsprechenden Wachpersonals<br />
zu gewährleisten, wurden laufend neue<br />
Bunker, Sicherungsanlagen und Kasernen<br />
auf dem Areal des „Obersalzbergs“ bzw. im<br />
Berchtesgadener Land errichtet. Oberhalb<br />
des „Berghofs“ entstand eine SS-Kaserne als<br />
Quartier für Soldaten der „Leibstandarte“.<br />
Im in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hitlers<br />
Residenz gelegenen Gasthof „Zum Türken“<br />
waren zeitweise Beamte und Angehörige des<br />
ZUSÄTZLICH GEBAUT: Kaserne der „Leibstandarte“ und Quartier<br />
der SS-Bewacher für Hitlers „Berghof“. Foto: Sammlung John Provan<br />
QUALMENDER REST: Von den Alliierten zerbombt und von der SS<br />
angesteckt. Der „Berghof“ im Mai 1945. Foto: Sammlung John Provan<br />
Clausewitz 4/2013<br />
71
Spurensuche | „Obersalzberg“<br />
PILGERZUG: Vor Kriegsausbruch<br />
kommen täglich Tausende, um zu<br />
sehen, wo ihr „Führer“ wohnt.<br />
Foto: Sammlung John Provan<br />
Sicherheitsdienstes und der Geheimen<br />
Staatspolizei untergebracht. Hier errichtete<br />
man einen noch heute vorhandenen Zugang<br />
zu einem Bunkersystem. Heute wird das<br />
„Hotel Zum Türken“ wieder für touristische<br />
Zwecke genutzt.<br />
Unterirdisches Bunkersystem<br />
Während der Kriegsjahre wurden zahlreiche<br />
Einheiten zur Abwehr feindlicher Fliegerangriffe<br />
in stationären Stellungen aufgestellt.<br />
Dazu zählten neben zehn Flakbatterien auch<br />
270 Nebelmaschinen. Letztere konnten weite<br />
Teile des Tales innerhalb von 20 bis 30 Minuten<br />
einnebeln. Hinzu kam in der ersten<br />
Hälfte der 1940er-Jahre ein kilometerlanges<br />
unterirdisches und weit verzweigtes Bunkersystem,<br />
das vor möglichen alliierten<br />
Bombenangriffen Schutz bieten sollte: zum<br />
Beispiel um Hitlers „Berghof“ herum, nahe<br />
Görings Haus, am „Platterhof“ sowie bereits<br />
erwähnt am Gasthaus. Zur Versorgung mit<br />
Lebensmitteln wurde unterhalb des „Berghofs“<br />
ein Gutshof mit Wirtschaftsanlagen errichtet.<br />
Führende Nationalsozialisten legten sich<br />
einen Wohnsitz am oder in der näheren Umgebung<br />
des „Obersalzbergs“ zu. Während<br />
HINTERGRUND<br />
Seit dem Abzug der US-Amerikaner im Jahr<br />
1995 wurden zahlreiche Bauwerke und Ruinen<br />
des ehemaligen NS-Areals auf Anordnung<br />
der Behörden des Freistaates Bayern<br />
abgetragen, darunter auch die von Bäumen<br />
und Sträuchern <strong>über</strong>wucherte Garage der<br />
1952 gesprengten Ruine des „Berghofes“.<br />
Nun existiert eine „Application Software“,<br />
mit der US-Historiker Dr. John Provan<br />
modernste Technologie einsetzt, um die<br />
Möglichkeit zu bieten, vor allem Angehörigen<br />
sich beispielsweise Hermann Göring ein vergleichsweise<br />
bescheidenes Haus unweit des<br />
„Berghofs“ errichten ließ, baute man für<br />
Martin Bormann und seine Familie ein bereits<br />
bestehendes Haus in eine luxuriöse Villa<br />
um. Auch Hitlers bevorzugter Architekt,<br />
Albert Speer, und Reichsführer-SS Heinrich<br />
Himmler verfügten <strong>über</strong> eigene Domizile<br />
am „Obersalzberg“.<br />
In Stanggaß wurde zudem der Bau der<br />
„Reichskanzlei Dienststelle Berchtesgaden“,<br />
auch „Kleine Reichskanzlei“ genannt, in Angriff<br />
genommen. Vor knapp zehn Jahren<br />
wurden diese Gebäude an eine Gruppe privater<br />
Investoren verkauft.<br />
Dar<strong>über</strong> hinaus entstanden Wohnsiedlungen<br />
für Mitarbeiter der Einrichtungen<br />
des „Führersperrgebietes“. Etwa 3.000 Bauarbeiter<br />
wurden in einer großen Siedlung, im<br />
„Lager Antenberg“ unweit des „Platterhofes“<br />
untergebracht. Später kam eine zweite<br />
Arbeitersiedlung hinzu.<br />
Audio-Guide zum „Obersalzberg”<br />
der jüngeren Generationen die Vergangenheit<br />
des „Obersalzbergs“ näher zu bringen.<br />
Um mehr <strong>über</strong> die Geschichte des „Obersalzbergs“<br />
nicht nur vor Ort, sondern auch<br />
zu Hause erfahren zu können, hat der LZC-<br />
Verlag in Zusammenarbeit mit der Virtual-<br />
Realtity-Fabrik in Halle/Saale eine „App“ in<br />
englischer Sprache erstellt, die mit den<br />
GPS-Koordinaten die verschiedenen ehemaligen<br />
NS-Gebäude und deren Vergangenheit<br />
mit Fotos und Bauplänen verbindet.<br />
VERSCHWUNDEN: Das aus dem wiederhergestellten<br />
ehemaligen „Platterhof” errichtete Hotel „General<br />
Walker” musste dem Neubau eines Luxushotels<br />
weichen.<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
KONTAKT<br />
Dokumentation Obersalzberg<br />
Salzbergstraße 41<br />
D-83471 Berchtesgaden<br />
Tel.: +49 (0) 8652 / 947960<br />
Fax: +49 (0) 8652 / 947969<br />
E-Mail: info@obersalzberg.de<br />
www.obersalzberg.de<br />
Öffnungszeiten:<br />
Montag–Sonntag<br />
9:00–17:00 Uhr, letzter Einlass 16:00 Uhr<br />
Zerstörung des Areals<br />
Am 25. April 1945 begann der Anfang vom<br />
Ende des „Führersperrgebietes“. Gegen 9:30<br />
Uhr wurde Fliegeralarm ausgelöst. Zunächst<br />
warfen britische Lancaster-Bomber Luftminen<br />
ab. Anschließend legten mehr als 300 alliierte<br />
Bomber einen Bombenteppich <strong>über</strong><br />
den „Obersalzberg“. Ein Großteil des Gebietes<br />
wurde in Schutt und Asche gelegt.<br />
Hitlers „Berghof” wurde durch das Bombardement<br />
der Alliierten nahezu vollkommen<br />
zerstört. Kurze Zeit später erreichten<br />
die ersten US-Soldaten Hitlers ausgebrannte<br />
Residenz. US-Leutnant Sherman Pratt<br />
war einer der ersten Soldaten, die am „Berghof“<br />
ankamen. Er erinnerte sich später:<br />
„Wir waren alle still, beeindruckt von diesem<br />
Moment und diesem Ort. Nach so viel<br />
Kampf, Zerstörung, Elend, Schmerz und<br />
Tod, hier am Obersalzberg war jetzt alles<br />
vorbei.“<br />
Dr. John Provan, US-Amerikaner, seit 1974 bei Frankfurt<br />
heimisch, promovierte in Deutschland, präsentierte<br />
unter anderem zahlreiche Bücher und Ausstellungen<br />
zum Kalten Krieg.<br />
Foto: picture-alliance/chromorange<br />
72
Schiffe und Meer ...<br />
Das neue Schifffahrt-Magazin ist da!<br />
Jetzt am Kiosk!<br />
Clausewitz 4/2013<br />
Online blättern oder Abo mit Prämie unter:<br />
73<br />
www.schiff-classic.de/abo
Feldherren<br />
Feldmarschall Radetzky<br />
Österreichs<br />
erfolgreicher<br />
Heerführer<br />
Wenn es eine personalisierte Symbiose<br />
zwischen Militär und Staat im<br />
Kaiserstaat Österreich im 19. Jahrhundert<br />
gab, dann war es der am 2. November<br />
1766 in Trebnic (Böhmen) geborene, fünf<br />
Monarchen dienende Johann Joseph Wenzel<br />
Graf Radetzky von Radetz. Der später legendenverklärte<br />
„Soldatenvater“ Feldmarschall<br />
Graf Radetzky fand nicht nur in der militärischen<br />
Traditionsbildung allgemein und in<br />
dem bis zum Ende der k.u.k.-Monarchie 1918<br />
existierenden Husarenregiment Nr. 5 „Radetzky“<br />
seine menschenmögliche „Unsterblichkeit“.<br />
Er war auch der erste Ehrenbürger<br />
Wiens. Für ihn schrieb der Dichter Grillparzer<br />
seine bekannte Grußadresse: „Glück auf,<br />
mein Feldherr, führe den Streich! Nicht bloß<br />
um des Ruhmes Schimmer – In deinem Lager<br />
ist Österreich.“<br />
Ein Leben für Österreich<br />
Radetzkys individuelle militärische Biographie<br />
beeindruckt noch immer: Nach seinem<br />
Eintritt in das Kürassierregiment Caramelli<br />
(Nr. 2) am 1. August 1784 beginnt eine rasante<br />
und abwechslungsreiche Karriere, die<br />
durch einen Wechsel von Truppen- und<br />
Stabsverwendungen, die Teilnahme an vielen<br />
Feldzügen und Schlachten, zahlreichen<br />
Verwundungen und Auszeichnungen aufgrund<br />
außergewöhnlicher persönlicher Tapferkeit<br />
und couragierter Führungsleistungen<br />
geprägt ist. Als junger Ordonnanzoffizier bei<br />
den Feldherren Lacy und Laudon ist er im<br />
„Türkenkrieg“ von 1788/89 dabei. In den<br />
ersten Jahren der Koalitionskriege gegen das<br />
revolutionäre Frankreich kämpft er auf<br />
Schlachtfeldern Mitteleuropas und steigt in<br />
den Jahren bis 1805 zum Generalmajor auf.<br />
Der Krieg Österreichs gegen <strong>Napoleon</strong><br />
von 1809 zeigt ihn dann bereits als souveränen<br />
Truppenführer und gleichzeitig als<br />
furchtlosen Kämpfer. Seine Laufbahn erreicht<br />
ihren ersten großen Höhepunkt in der<br />
Beförderung zum Feldmarschallleutnant<br />
und der Ernennung zum Chef des Generalquartiermeisterstabes.<br />
Zu diesem Zeitpunkt<br />
ist er schon längst ein mit mehreren Orden –<br />
wie etwa Ritter des Militär-Maria-Theresia-<br />
Ordens – ausgezeichneter und populärer<br />
„Kriegsheld“. <strong>1813</strong> wird er folgerichtig zum<br />
Generalstabschef der großen Allianz gegen<br />
<strong>Napoleon</strong>, die diesen nach dessen gescheitertem<br />
Russlandfeldzug von 1812 aus Zentraleuropa<br />
<strong>über</strong> den Rhein vertreiben soll.<br />
Generalstabschef gegen <strong>Napoleon</strong><br />
Österreich, Russland und Preußen hatten in<br />
den Jahren 1805–1809 schmerzhaft die Überlegenheit<br />
<strong>Napoleon</strong>s erfahren, den Radetzky<br />
als „Schreckensmann unserer Zeit“ bezeichnet.<br />
Der „Frühjahrsfeldzug“ Preußens und<br />
Russlands gegen <strong>Napoleon</strong> endete im Waffenstillstand<br />
vom Juni <strong>1813</strong> unentschieden.<br />
Diplomatische Verhandlungen führen Österreich<br />
im Geheimvertrag von Reichenbach<br />
vom 27. Juni <strong>1813</strong> an die Seite von Preußen<br />
Russland und Schweden. Am 11. August <strong>1813</strong><br />
erklärt Österreich <strong>Napoleon</strong> den Krieg.<br />
Radetzky ist zu dieser Zeit der Chef des<br />
74
22. September 1849: Bei einer Truppenschau<br />
in Wien ertönt zu Ehren des greisen<br />
Feldmarschalls der „Radetzky-Marsch“ –<br />
eine habsburgische „Marseillaise“. Der österreichische<br />
Kaiserstaat feiert sich und seinen<br />
größten Feldherrn.<br />
Von Eberhard Birk<br />
FAKTEN<br />
Schlachten<br />
16.–19.10.<strong>1813</strong> Völkerschlacht bei Leipzig<br />
06.05.1848 Santa Lucia<br />
11.06.1848 Vicenza<br />
22.08.1848 Custozza<br />
21.03.1849 Mortara<br />
23.03.1849 Novara<br />
ERFOLGREICHER FELDHERR: Radetzky wirft die<br />
Revolution in Oberitalien nieder und erzwingt einen<br />
Waffenstillstand mit Piemont-Sardinien. Das<br />
Gemälde von Albrecht Adam zeigt den Generalissimus<br />
mit seinem Stab vor Mailand 1848.<br />
Abb.: picture alliance/akg<br />
Clausewitz 4/2013<br />
75
Feldherren<br />
MONARCHEN UND FELDHERREN: Radetzky zusammen mit Alexander I., Friedrich Wilhelm III. sowie Blücher, Gneisenau und anderen Militärs<br />
auf dem Marktplatz von Leipzig. Der österreichische Feldherr hat maßgeblichen Anteil am Sieg <strong>über</strong> <strong>Napoleon</strong>. Abb.: picture-alliance/akg-images<br />
Generalquartiermeisterstabes der alliierten<br />
Gesamtarmee unter dem Oberbefehl des<br />
Fürsten Schwarzenberg. Hier steht er vor politischen<br />
und militärischen Herausforderungen.<br />
Die Führungs- und Koordinationsarbeit<br />
für ein Koalitionsheer mit auseinander strebenden<br />
nationalen Zielsetzungen für die<br />
Zeit nach dem Krieg bleibt nicht ohne Auswirkungen<br />
auf Planung und Verlauf der<br />
Operationen.<br />
Operative Idee<br />
Das Operieren <strong>Napoleon</strong>s auf der „inneren<br />
Linie“ zwingt die alliierten Heere auf die<br />
„äußere Linie“. Damit wird – ohne moderne<br />
„Man soll nicht wagen, solange man ohne Wagnis<br />
ausreichen kann, wenn man aber wagen muß,<br />
dann soll man seinen Entschluß<br />
rasch fassen und kühn durchführen.“<br />
Zit. nach Oskar Regele: Feldmarschall Radetzky, Wien 1957, S. 391f.<br />
Kommunikations- und Transportmöglichkeiten<br />
– die Konzentration auf das Wesentliche<br />
schwierig.<br />
Radetzky formuliert am 7. Juli <strong>1813</strong> seine<br />
Zielsetzung, die als Grundlage des nicht<br />
schriftlich niedergelegten „Trachenberger-<br />
Reichenbacher Operationsplanes“ in die Militärgeschichte<br />
eingeht: „In allen, wie immer<br />
angenommenen, Wechselfällen bleibt es bei<br />
dem gegenwärtigen Stand der Armee stets<br />
die erste und wesentlichste Hauptbeobachtung,<br />
dass keine Armee einzeln und auf keine<br />
Weise sich gegen eine ihr <strong>über</strong>legene Macht in<br />
ein Hauptgefecht einlasse, um den Hauptzweck<br />
in den gemeinschaftlichen Operationen<br />
nicht zu verfehlen, nämlich: den Hauptschlag<br />
mit Sicherheit zu führen.“<br />
Radetzky will damit dem napoleonischen<br />
Vorteil von innerer Linie und Führungseinheit<br />
entgegentreten und diesem die Option<br />
zur operativen Isolierung einzelner Armeen<br />
und deren Ausschaltung im Gefecht nehmen.<br />
Dieses Ziel soll durch ein elastisches Ausweichen<br />
von drei weit getrennt stehenden Armeen<br />
vor der Hauptmacht <strong>Napoleon</strong>s bei<br />
gleichzeitigem Schlagen der Nebenarmeen<br />
seiner Marschälle erreicht werden. „Die alliierte<br />
Strategie zahlte sich mithin aus: Für <strong>Napoleon</strong><br />
bot sich keine Gelegenheit, einen großen<br />
Schlag zu führen; er sah sich wie ein Stier<br />
in der Arena hin und her gehetzt und seine<br />
ständig marschierenden Truppen fielen vor<br />
Müdigkeit fast um“ – so der britische Militärhistoriker<br />
David Chandler. Eine Serie von<br />
Niederlagen seiner nachgeordneten Truppenführer<br />
– Katzbach, Kulm, Dennewitz,<br />
Groß-Beeren und Hagelsberg – bringen den<br />
„Schlachtenkaiser“ schließlich dazu, bei<br />
Leipzig am 16. Oktober <strong>1813</strong> die von den Alliierten<br />
angebotene Entscheidungsschlacht<br />
anzunehmen. Nach dem Sieg in der „Völker-<br />
76
Vorbild für Europa<br />
schlacht“ erhält Radetzky noch auf dem<br />
Schlachtfeld den kaiserlich-österreichischen<br />
Leopolds-Orden und den russischen Georgs-<br />
Orden. Radetzkys Strategie ist der Grundstein<br />
für <strong>Napoleon</strong>s Niedergang im Jahr<br />
<strong>1813</strong>. In der Folge ist er zusammen mit Blüchers<br />
Generalstabschef Gneisenau der treibende<br />
Kopf, um die Herrschaft des „Schreckensmannes“<br />
endgültig zu beseitigen.<br />
Zwischenkriegszeit<br />
Nach den „Befreiungskriegen“ wird Radetzky<br />
zwar weiterhin mit scheinbar höherwertigen<br />
Aufgaben betraut – Divisionär in<br />
Ödenburg und später in Ofen 1816 bis 1829<br />
sowie Festungskommandant in Olmütz von<br />
1829 bis 1831 –, die de facto aber einen seinen<br />
Fähigkeiten diametral entgegengesetzten<br />
„Karriereknick“ bedeuten. Er verfasst jedoch<br />
wieder viele militärpolitische und militärhistorische<br />
Schriften, wie er es zuvor schon in<br />
der napoleonischen Ära machte. Darin beklagt<br />
er die ungenügende Weiterentwicklung<br />
der österreichischen Armee in der nach<br />
dem Wiener Kongress beginnenden Restaurationszeit.<br />
Am 2. März 1831 wird Radetzky – fast 65-<br />
jährig – im Arbeitszimmer von Kaiser Franz<br />
Joseph I. zum Generalkommandanten der<br />
österreichischen Armee im lombardo-venezianischen<br />
Königreich ernannt. In seinen unterstellten<br />
Generalen sieht er „alte Faulpelze,<br />
die nicht wollen, dass man sie aus ihrem behaglichen<br />
Schlaf wecken soll.“ Resolut, tatkräftig<br />
und energisch geht Radetzky an seine<br />
Transformation der österreichischen Italienarmee.<br />
Sein Ziel: Umsetzung der von<br />
ihm als unabdingbar betrachteten Herstellung<br />
und Steigerung der Kriegstauglichkeit.<br />
Ab 1833 werden jährliche freilaufende Manöver<br />
mit Großverbänden in Oberitalien<br />
durchgeführt.<br />
Bis 1835 arbeitet Radetzky mit seinem<br />
Generalquartiermeister Freiherr von Heß<br />
zahlreiche bis dato in ihrer schriftlichen<br />
Präzision unerreichte Feld- und Manöverinstruktionen<br />
aus. Für die Ausbildung werden<br />
alle Jahreszeiten genutzt. „Winterspiele“<br />
dienen dazu, taktische Zusammenhänge<br />
auf unteren Führungsebenen an Geländemodellen<br />
einzustudieren. Die von Radetzky<br />
eingeführten Manöver erstrecken sich<br />
von Mai bis Mitte Oktober. Dabei sind die<br />
Manöver methodisch und didaktisch so<br />
aufgebaut, dass, beginnend vom einzelnen<br />
Soldaten aufwärts <strong>über</strong> die Unteroffiziere,<br />
Offiziere, Stabsoffiziere und Generale sämtliche<br />
militärischen Führungsebenen von<br />
den kleinsten Teileinheiten <strong>über</strong> Bataillone<br />
und Brigaden bis hinauf zu den Divisionen<br />
und Korps ihr Zusammenwirken erproben<br />
können.<br />
ABERMALS SIEGREICH: Radetzky auf dem<br />
Schlachtfeld von Novara 1849 inmitten seiner<br />
Soldaten. Der erste italienische Unabhängigkeitskrieg<br />
ist mit dem österreichischen<br />
Sieg beendet.<br />
Abb.: picture alliance/Mary Evans Picture Library<br />
Den Abschluss bilden einwöchige, freilaufende<br />
Übungen in einer Stärke von ca. 60.000<br />
Mann. Diese Großmanöver erfreuten sich<br />
bald einer großen europäischen militärischen<br />
Öffentlichkeit – Manöverbeobachter<br />
aus Preußen, Russland, England und Frankreich,<br />
aber auch aus Sardinien, erhalten so einen<br />
Eindruck von der Leistungsfähigkeit der<br />
Armee Radetzkys. Seine Italienarmee<br />
wird zur Mustertruppe und<br />
er damit auch zum „Schulmeister<br />
Europas“. Ihre Bewährung<br />
sollte der von Radetzky in<br />
17 Jahren nach seinen Vorstellungen<br />
geformten Armee<br />
Verehrt<br />
Radetzky ist der volkstümlichste<br />
Heerführer Österreichs<br />
im 19. Jahrhundert. Heute<br />
lebt sein Andenken vor<br />
allem im Radetzky-Marsch<br />
fort. Porträt-Gemälde von<br />
Georg Decker.<br />
Abb.: picture alliance/akg<br />
in den oberitalienischen Revolutions- und<br />
Kriegsjahren 1848/49 bevorstehen.<br />
Der Frühling von 1848 wird zum europäischen<br />
Völkerfrühling. Nationale und demokratische<br />
Sehnsüchte führen zu Aufständen,<br />
Barrikadenkämpfen und Kriegen.<br />
Die Restaurationsphase stößt an ihre Grenzen.<br />
Insbesondere der Habsburgerstaat als<br />
<strong>über</strong>nationales Gebilde, das im Kern nur<br />
durch Krone, Klerus, Beamtenschaft und<br />
Militär zusammengehalten wird, driftet in<br />
einen Existenzkampf.<br />
Radetzkys Krieg in Oberitalien<br />
Auch auf der italienischen Halbinsel ist der<br />
Eingang der Meldung von der Demission des<br />
österreichischen Staatskanzlers Metternich<br />
der Auslöser für vielfältige Erhebungen. Am<br />
18. März beginnt der Aufstand in Mailand.<br />
Der 1836 zum Marschall beförderte Radetzky<br />
verfügt in seiner Mailänder Garnison <strong>über</strong><br />
14.000 Mann. Doch seine Truppen sind in „le<br />
cinque giornate di Milano“ dem Häuser und<br />
Barrikadenkampf nur bedingt gewachsen –<br />
insbesondere wegen logistischer Probleme.<br />
Radetzky führt seine Truppen aus der Stadt.<br />
Kurz darauf erfolgt die Kriegserklärung<br />
durch König Carl Albert von Piemont-Sardinien<br />
an Österreich.<br />
Clausewitz 4/2013<br />
77
Feldherren<br />
gelungen, der den Fortbestand der Monarchie<br />
als europäische Großmacht sichert.<br />
Nach dem Krieg wird er Generalgouverneur.<br />
Der mit unzähligen in- und ausländischen<br />
Orden ausgezeichneten Radetzky<br />
wird am 28. Februar 1857 nach 72 Dienstjahren<br />
vom letzten seiner fünf Kaiser, Franz Joseph<br />
I, ,,pensioniert“. Er stirbt am 5. Januar<br />
1858 und wird in Niederösterreich beigesetzt.<br />
KRIEG IN ITALIEN: In der Schlacht von Santa Lucia 1848 besiegt Radetzky seinen Gegenspieler<br />
Carl Albert. Die Abbildung zeigt ein österreichisches Jäger-Regiment bei der Verteidigung<br />
ihrer Stellung im Dorf (heute ein Stadtteil von Verona). Abb.: picture-alliance/akg-images<br />
Radetzky marschiert zunächst in das Festungsviereck<br />
Mantua–Peschiera–Verona–<br />
Legnano. Eintreffende Truppenverstärkungen<br />
verleihen neue Zuversicht. Die Schlacht<br />
bei Santa Lucia bei Verona am 6. Mai 1848<br />
gilt als wichtiger Abwehrerfolg, der einen<br />
Kulminationspunkt darstellt. Im Juni ergreift<br />
er die Initiative und geht zur Gegenoffensive<br />
<strong>über</strong>. Der Sieg bei Vicenza am 11. Juni hat<br />
zur Folge, dass fast ganz Venetien von Radetzkys<br />
Truppen kontrolliert wird. Den entscheidenden<br />
Sieg erringt Radetzky mit seinen<br />
Truppen am 25. Juli 1848 bei Custozza<br />
südlich des Gardasees <strong>über</strong> die piemontesischen<br />
Streitkräfte. Am 6. August erfolgt der<br />
triumphale Einmarsch in das im März noch<br />
so verzweifelt umkämpfte und von Radetzky<br />
verlassene Mailand.<br />
Parallele Erfolge österreichischer Truppen<br />
in Böhmen und Ungarn restabilisieren<br />
den Kaiserstaat, der noch wenige Monate zuvor<br />
zu zerfallen schien. Der Habsburgerstaat<br />
hat dank Radetzkys <strong>Triumph</strong>en zunächst alle<br />
äußeren und inneren Erschütterungen<br />
<strong>über</strong>standen. Aber in Ungarn und Oberitalien<br />
ist die Lage weder ruhig noch stabil. Carl<br />
Albert drängt auf eine Revanche. Bereits im<br />
Herbst 1848 werden hierfür erneut große<br />
Rüstungsanstrengungen unternommen. Im<br />
März 1849 stehen 150.000 Mann unter dem<br />
Kommando des polnischen Generals Albert<br />
Chrzanowski für einen neuen Feldzug bereit.<br />
Auch Radetzky bleibt nicht untätig;<br />
für ihn ist klar, „dass Piemont uns wieder<br />
angreift, ich bin (...) auf alles gefasst.“ Seine<br />
Vorbereitungen lassen ihn für das Frühjahr<br />
auf einen eher kurzen Feldzug hoffen. Am<br />
23. März kommt es bei Novara tatsächlich<br />
zur schnellen, katastrophalen Niederlage<br />
Carl Alberts gegen Radetzky, obwohl dieser<br />
nur <strong>über</strong> rund 73.000 Mann verfügt. Damit<br />
ist ihm ein Sieg in einem 100-Stunden-Krieg<br />
Feldherrenpose<br />
Radetzky auf einem Schlachtfeld. In<br />
der österreichischen Hauptstadt sind<br />
Straßen und Plätze nach ihm und<br />
seinen Schlachtensiegen benannt.<br />
Abb.: picture-alliance/<br />
akg-images/<br />
Erich Lessing<br />
Fazit und Tradition<br />
Radetzky ist ein militärischer Führer, der zu<br />
Recht das Interesse der Militärgeschichtsschreibung<br />
auf sich zog. Dass hierbei seine<br />
Rolle in der Bezwingung <strong>Napoleon</strong>s einen<br />
geringeren Stellenwert einnahm, mag darin<br />
begründet sein, dass es <strong>1813</strong> nicht, so wie es<br />
eben 1848/49 der Fall war, um den Fortbestand<br />
der Habsburgermonarchie ging. Für<br />
die Donaumonarchie erwies sich 1848/49 als<br />
die ultimative Herausforderung. Der österreichische<br />
Kaiserstaat <strong>über</strong>steht das Krisenjahr<br />
maßgeblich durch die Erfolge des Feldmarschalls.<br />
Seiner anhaltenden Popularität kommt<br />
zugute, dass er vornehmlich einen „normalen“’<br />
Staatenkrieg gegen einen äußeren<br />
Feind des Reiches führt, der dar<strong>über</strong> hinaus<br />
1848 und 1849 ein Verteidigungskrieg ist. Es<br />
muss an dieser Stelle jedoch auch der Hinweis<br />
erlaubt sein, dass Radetzky während<br />
seiner Feldzüge von 1848/49 im Gegensatz<br />
zu <strong>1813</strong> keine gleichrangigen Truppenführer<br />
gegen<strong>über</strong> stehen – wer würde etwa die nominellen<br />
Oberbefehlshaber Carl Albert oder<br />
Chrzanowski als solche betrachten wollen?<br />
Gleichwohl würdigt das militärhistorisch-wissenschaftliche<br />
Urteil neben seiner<br />
individuellen Tapferkeit, seinen militärpolitischen<br />
Schriften und organisatorischen<br />
Konzepten auch seine Führungsleistung in<br />
den „Befreiungskriegen“ und seine Feldherrntätigkeit<br />
im italienischen Krieg. Dabei<br />
werden seine unorthodoxen Bewegungsmanöver<br />
mit den napoleonischen und sein Operationsstil<br />
mit einer „fast spielerisch-tänzerischen<br />
Kampfweise“ verglichen. Oft gelang<br />
es ihm tatsächlich, sein Feldherrn-Credo umzusetzen<br />
– nämlich „den Hauptstoß mit Sicherheit<br />
zu führen“. Was <strong>1813</strong> zur Zerschlagung<br />
der französischen Machtstellung in<br />
Zentraleuropa führt, ist auch die Grundlage<br />
für seinen Erfolg in den beiden Feldzügen<br />
von 1848 und 1849, durch die das Phänomen<br />
Radetzky zum „Mirakel des Hauses Österreich“<br />
beiträgt.<br />
Dr. Eberhard Birk ist Oberregierungsrat und Oberstleutnant<br />
d.R. sowie Dozent für Militärgeschichte an der<br />
Offiziersschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck.<br />
78
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Ein Bild erzählt Geschichte<br />
IMPOSANTE DARSTELLUNG: Das Gemälde<br />
(Öl auf Leinen) „Schlachtschiff BISMARCK im<br />
Gefecht“ von Olaf Rahardt aus dem Jahr 2000.<br />
Ziel war es, die unbeschädigte BISMARCK<br />
darzustellen. Deshalb zeigt das Bild die<br />
Anfangsphase des Gefechts gegen die HOOD.<br />
Abb.: Olaf Rahardt<br />
Ein Gemälde mit Geschichte<br />
„Die BISMARCK im Gefecht“<br />
Die BISMARCK gehört zu den beliebtesten Motiven maritimer Malerei. Gründe dafür<br />
sind sicherlich Technikbegeisterung und Schiffbauästhetik. Aber auch die Brutalität des<br />
Krieges, die sich im Schicksal des Schiffes manifestiert.<br />
Von Olaf Rahardt<br />
Ich habe mich in den letzten Jahren mehrmals<br />
mit dem Thema „Schlachtschiff BIS-<br />
MARCK“ befasst und dabei immer wieder<br />
erlebt, was für ein faszinierendes Sujet es<br />
für mich als Kunstmaler ist. Hier tritt vor allem<br />
ein Gemälde in den Vordergrund, welches<br />
ich im Jahre 2000 angefertigt habe. Vor<br />
dem Hintergrund der historischen Ereignisse<br />
1941 ist es nur allzu verständlich, dass die<br />
BISMARCK auch heute noch von einem ganz<br />
besonderen Nimbus umgeben ist. Schon der<br />
Name erzeugt Bilder im Kopf eines Jeden, der<br />
um diese Geschichte weiß. Allerdings sind<br />
historische Motive mit einer solchen Popularität<br />
nicht einfach darzustellen. Die erste Frage,<br />
die sich mir stellte, war die nach dem Zeitpunkt,<br />
zu dem das Schiff im Gemälde zu sehen<br />
sein soll. Die Faszination an dem Schiff<br />
kommt natürlich nur in seiner Unversehrtheit<br />
zum Ausdruck. Will man die Kampfkraft,<br />
die es verkörperte, und sein tragisches<br />
Schicksal dokumentieren, braucht man allerdings<br />
ein Schlachtengemälde.<br />
Will man mit seiner Arbeit dann auch kritischen<br />
Betrachtern gerecht werden, muss<br />
bereits den Vorzeichnungen ein umfangreiches<br />
Quellenstudium zugrunde liegen. Für<br />
meine Gemälde habe ich mich auf den Bericht<br />
von Freiherr von Müllenheim-Rechberg<br />
gestützt, der das Unternehmen „Rheinübung“<br />
miterlebte. Das erste Gefecht gegen<br />
die HOOD und PRINCE OF WALES ist noch<br />
gut durch Fotos eines Kriegsberichters von<br />
der PRINZ EUGEN aus dokumentiert.<br />
Das letzte Gefecht der BISMARCK jedoch<br />
ist uns heute nur noch aus Texten <strong>über</strong>liefert.<br />
Meines Wissens werden diese Berichte lediglich<br />
durch eine farbige Skizze eines begabten<br />
Seemanns von der DORSETSHIRE ergänzt.<br />
Bekannter ist uns heute das Gemälde mit<br />
dem Titel „Schlachtschiff BISMARCK im<br />
Endkampf am 27. Mai 1941“. Claus Bergen<br />
malte es 1949, also einige Jahre nach dem<br />
Krieg und auf der Grundlage von Erlebnisberichten.<br />
Dieses Bild avancierte, trotz einiger<br />
historischer Unkorrektheiten, zu einem<br />
der meist publizierten der BISMARCK im<br />
Endkampf.<br />
Im typischen Bergen-Stil zeigt diese <strong>über</strong>aus<br />
dynamische und aktionsreiche Darstellung<br />
in grau-braunen Farbtönen die von<br />
Granataufschlägen, Salven- und Feuerrauch<br />
umwölkte BISMARCK durch die See jagen.<br />
Besser geht es gestalterisch kaum. Und so ist<br />
die Masse der neuzeitlichen Darstellungen<br />
dieser Szenerie bestenfalls eine Annäherung<br />
an das bekannte Bergen-Bild. Mit dieser Ge-<br />
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UMFANGREICHE STUDIEN: Dies ist<br />
die finale Entwurfsskizze zum Ölgemälde<br />
von 2000. Im Gegensatz zum späteren<br />
Bild zeigt der Entwurf noch beide<br />
Schiffe im Artillerieduell. Dies hätte<br />
aber ein extremes Querformat erfordert<br />
und wurde deshalb letztendlich<br />
vom Künstler verworfen. Abb.: Olaf Rahardt<br />
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Schlachtschiff BISMARCK<br />
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Verhängnisvolle<br />
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Versenkung der<br />
HMS Hood<br />
An Bord der BISMARCK<br />
Kommandant Lindemann<br />
und seine Männer<br />
DAS NEUE<br />
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HINTERGRUND<br />
Bei der Erarbeitung des Gemäldes und seiner<br />
Vorstudien waren besonders historische<br />
Fotos von enormer Wichtigkeit, da sie neben<br />
dem Schiff vor allem die Dimensionen der<br />
WICHTIGE QUELLE: Da hier zu erkennen<br />
ist, dass der frühere Tarnanstrich während<br />
des Kampfeinsatzes <strong>über</strong>tönt wurde, spielt<br />
dieses Foto für das Gemälde eine große<br />
Rolle.<br />
Zeitgenössische Fotos als Vorlage<br />
Abschüsse, Qualmwolken und Granateinschläge<br />
zeigen. Die Beispielfotos unten<br />
stammen von einem Fotografen auf der<br />
PRINZ EUGEN.<br />
IM KAMPF: Die BISMARCK feuert eine<br />
eindrucksvolle Salve ab.<br />
Fotos: Sammlung Marinemaler Olaf Rahardt<br />
wissheit machte ich mich in der Vorbereitungsphase<br />
<strong>über</strong> eine lange Zeit hinweg mit<br />
den Geschehnissen im Mai 1941 vertraut.<br />
Ich studierte Gefechtsskizzen, notierte<br />
die Wetter- und Lichtverhältnisse und die<br />
Folgen der Granateinschläge. Da der Rumpf<br />
im Vorschiff aber schon im Duell gegen die<br />
HOOD schwere Treffer hinnehmen musste,<br />
kam für mich nur der Anfang dieses Gefechts<br />
in Frage. Da ich die Faszination an diesem<br />
Schiff und seiner Geschichte wiedergeben<br />
wollte, konnte es nur das intakte Äußere<br />
der BISMARCK sein. Die Beurteilung liegt<br />
letztlich allein beim Betrachter.<br />
Der Marinemaler Olaf Rahardt, Jg. 1965, ist Autor und<br />
Illustrator mit dem Schwerpunkt Geschichte der Marine.<br />
Informationen unter: www.marinemaler-olaf-rahardt.de<br />
Clausewitz 4/2013 81
<strong>Vorschau</strong><br />
Nr. 14 | 4/2013 | Juli-August | 3.Jahrgang<br />
Internet: www.clausewitz-magazin.de<br />
Dünkirchen 1940<br />
Das „alliierte Wunder“ in Frankreich<br />
Mai 1940: Die deutsche Wehrmacht stößt während des „Westfeldzuges“<br />
unerwartet schnell bis zur Kanalküste durch. Als den bei Dünkirchen eingekesselten<br />
Alliierten – mehr als 350.000 Mann – die Vernichtung droht, trifft Hitler<br />
mit seinem „Halt-Befehl“ eine folgenschwere Entscheidung...<br />
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Ein Vergleich lohnt sich!<br />
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als kompetenter Partner, jederzeit gern zur Verfügung:<br />
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