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<strong>Monique</strong><br />
<strong>Schwitter</strong><br />
<strong>Wendel</strong> <strong>wartet</strong><br />
No.3
<strong>Monique</strong> <strong>Schwitter</strong>, in Zürich geboren,<br />
lebt als Schriftstellerin und Schauspielerin<br />
in Hamburg. Für ihren Erzählband<br />
»Wenn’s schneit beim Krokodil« (2005 im<br />
Droschl-Verlag) erhielt sie unter anderem<br />
den Robert-Walser-Preis. 2008 erschien<br />
der Roman »Ohren haben keine Lider«<br />
im Residenzverlag. Im Mai 2009 kam ihr<br />
Sohn Lou Aurel zur Welt.<br />
Impressum<br />
2. Auflage 2010<br />
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des<br />
Droschl-Verlag, Graz, Österreich;<br />
Copyright für diese Geschichte beim Droschl-Verlag<br />
Literatur-Quickie, Probsthayn & Gerlach<br />
Baumkamp 44, 22299 Hamburg, Germany<br />
Satz und Gestaltung: Ulrike Köhn, Hamburg<br />
Foto: Florian Thiele<br />
www.literatur-quickie.de<br />
www.bar439.de
<strong>Wendel</strong><br />
<strong>wartet</strong><br />
Eine Geschichte von <strong>Monique</strong> <strong>Schwitter</strong>
<strong>Wendel</strong> <strong>wartet</strong><br />
<strong>Wendel</strong> <strong>wartet</strong>. Das hat er immer getan, seit er denken kann.<br />
Eines Tages hat <strong>Wendel</strong> seinen Bruder in der Großstadt besucht und<br />
ist dageblieben.<br />
Er bezog die Abstellkammer und <strong>wartet</strong>e.<br />
Nach einer Weile schrieb er sich an der Uni ein, im selben Fach wie<br />
der Bruder und sein Mitbewohner, um Geld von seinen Eltern zu<br />
bekommen.<br />
<strong>Wendel</strong> studiert gerade soviel, daß er keine Unannehmlichkeiten mit<br />
seinen Eltern und den Studiengesetzen bekommt.<br />
<strong>Wendel</strong> gibt sein Geld im Wirtshaus aus. Das Geld muß im Umlauf<br />
bleiben, sagt er, das ist wichtig für eine gesunde Wirtschaft.<br />
Er geht jeden Abend spät weg und trinkt Bier. Wenn er länger bleibt,<br />
trinkt er Bier und Schnaps.<br />
Nach dem Aufstehen trinkt er zwei Gläser Wasser mit Vitaminen,<br />
Magnesium und Kalzium.<br />
Man kann nie wissen, sagt er. <strong>Wendel</strong> raucht einen halben Beutel<br />
schwarzen Krauser am Tag.<br />
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Als sein Bruder nach dem Studium die Stadt verließ, zog <strong>Wendel</strong> von<br />
der Abstellkammer in sein Zimmer um.<br />
Er konnte den Mitbewohner nicht leiden, noch nie. Er hatte Angst<br />
vor ihm.<br />
Der Mitbewohner magerte ab und begann, Selbstgespräche zu führen.<br />
Manchmal schrie er jemanden an, der nicht da war. <strong>Wendel</strong><br />
kaufte sich Ohropax.<br />
<strong>Wendel</strong> hat Geduld, und alles, was er hat und erlebt hat, ist zu ihm<br />
und über ihn gekommen. <strong>Wendel</strong> hat keinen Grund, das Warten aufzugeben.<br />
Nacheinander gingen die Durchlauferhitzer in der Küche und im Bad<br />
kaputt. Es gab kein Warmwasser mehr in der Wohnung. <strong>Wendel</strong> gewöhnte<br />
sich an die kalte Dusche und war mit sich zufrieden. Er fing<br />
an, andere Männer als Warmduscher und Weicheier zu beschimpfen.<br />
Die Öfen im Flur, im Bad und in der Küche fielen aus. <strong>Wendel</strong> verließ<br />
sein warmes Zimmer winters kaum noch, im Sommer ging er<br />
manchmal ins Bad und rasierte sorgfältig die kümmerlichen Haare<br />
vom Kopf. Dann rieb er sich den kahlen Schädel mit Vaseline ein.<br />
Als der Rasierapparat nicht mehr funktionieren wollte, benutzte er<br />
hin und wieder eine Klinge des Mitbewohners.<br />
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In der Küche oder im Flur, wo das Telefon stand, hielt er sich hingegen<br />
niemals länger als unbedingt nötig auf. Das Risiko, dem Mitbewohner<br />
zu begegnen, war zu groß.<br />
Die sonntäglichen Anrufe seiner Mutter hielt er von Woche zu Woche<br />
knapper. Mit der Zeit wußte er schon, daß sie pünktlich um halb<br />
zwölf nach ihrem Kirchgang anrief.<br />
Er stellte den Wecker und lauerte hinter seiner Zimmertür aufs Klingeln.<br />
Mit ein paar schnellen Bewegungen war er am Apparat und<br />
sagte, ohne die Begrüßung oder eine Frage abzuwarten: Guten Tag,<br />
Mutter.<br />
Er verlor kein Wort zuviel: Ja, alles in Ordnung hier … nein, hab<br />
keinen Grund zu klagen … ja, schönen Sonntag, und legte auf, um<br />
in sein Zimmer zurückzukommen.<br />
In der Küche hatte er ohnedies nicht viel zu schaffen. Dienstags<br />
kochte er sich eine riesige Reispfanne mit Hähnchenfleisch, während<br />
der Mitbewohner bei irgendeiner Behandlung war, von der <strong>Wendel</strong><br />
niemals Grund und Wesen erfuhr.<br />
Von der Reispfanne zehrte er eine Woche.<br />
Er wärmte sich jeden Tag eine Portion auf, immer nachmittags. Er<br />
klapperte laut mit Töpfen und Geschirr, seit er herausgefunden hatte,<br />
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daß der Mitbewohner eine Abscheu vor Essen hatte. Das Geklapper<br />
war das Signal: Achtung, hier wird gleich gegessen. Unter Garantie<br />
ließ der Mitbewohner sich nicht blicken.<br />
Irgendwann gab auch der Gasherd den Geist auf und das Telefon<br />
wurde gesperrt, weil die Rechnungen nicht bezahlt wurden. <strong>Wendel</strong><br />
war viele Sorgen los.<br />
<strong>Wendel</strong> trägt die Kleider seines Vaters. Alle drei Monate bringt der<br />
Postbote ein Paket.<br />
<strong>Wendel</strong> läßt den Boten jedesmal in den vierten Stock hochkommen.<br />
Er wird dafür bezahlt, sagt er, und Laufen ist gesund.<br />
Er öffnet die Kleiderpakete immer sofort. Ohne Hast oder Neugierde.<br />
Stück für Stück zieht er die Kleider aus dem Karton, faltet sie<br />
sorgfältig auf dem Bett und legt sie in den Kleiderschrank, den sein<br />
Bruder zurückließ. Jacken und Mäntel hängt er auf Bügel und bürstet<br />
sie, bevor er sie in den Schrank hängt.<br />
Bevor <strong>Wendel</strong> abends ins Wirtshaus geht, öffnet er in Unterhemd<br />
und -hose den Schrank und hebt vorsichtig Kleidungsstücke heraus,<br />
die er dann anzieht. Er nimmt immer die Stücke heraus, die zuoberst<br />
auf den ordentlichen Stapeln liegen. Er nimmt das oberste Hemd<br />
7
vom Hemdenstapel, den obersten Pullunder vom Pullunderstapel,<br />
die oberste Hose vom Hosenstapel, und zieht sich an. Die Socken<br />
sind im Sockenfach, die Schuhe stehen aufgereiht auf dem Schrankboden.<br />
In Mantel und Hut steht er dann vor dem Spiegel im Flur und<br />
betrachtet sich. Er betrachtet die Kleider. Er betrachtet sich in den<br />
Kleidern seines Vaters.<br />
<strong>Wendel</strong> hat kein Bild von seinem Vater im Kopf.<br />
Wenn er aber in den Kleidern seines Vaters vor dem Spiegel steht,<br />
sieht er ihn.<br />
Er verwechselt sich nicht mit seinem Vater, er sieht die Kleider, er<br />
spürt die Kleider, er sieht sich ins Gesicht und sieht das Gesicht seines<br />
Vaters.<br />
<strong>Wendel</strong> haßt seinen Vater. Immer schon.<br />
Er <strong>wartet</strong> darauf, daß sein Vater stirbt.<br />
Wenn <strong>Wendel</strong> an seinen Vater denkt, sieht er die Vorzimmerdame<br />
vor sich.<br />
Als Kind mußte <strong>Wendel</strong> seinen Vater jeden Mittag pünktlich im Büro<br />
abholen.<br />
Er betrat das Vorzimmer und sagte: Guten Tag, Frau Schneider, ich<br />
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komme meinen Vater zum Mittagessen abholen. Frau Schneider nickte.<br />
Setz dich, sagte sie dann. Jeden Tag sagte sie setz dich und schob<br />
ihr Kinn in Richtung des Stuhles, der ihrem Schreibtisch gegenüber<br />
stand. Jeden Mittag saß <strong>Wendel</strong> auf diesem Stuhl und <strong>wartet</strong>e, daß die<br />
Bürotür seines Vaters sich öffnete und sein Vater mit der Aktentasche<br />
herauskam. Oft saß <strong>Wendel</strong> lange auf dem Stuhl und <strong>wartet</strong>e.<br />
Frau Schneider sprach niemals mit ihm. Alles, was er aus ihrem Mund<br />
je gehört hat, ist: Setz dich. Tausendfach. Frau Schneider schrieb immer<br />
mit einem Kugelschreiber in ein Buch, während <strong>Wendel</strong> sie anstarrte.<br />
Ihr Gesicht, die Nase, die groben Poren ihrer Wangen, die Härchen an<br />
ihrem Kinn, die dicken Wimpern. <strong>Wendel</strong> wußte, daß sie solange nicht<br />
aufblicken würde, bis sein Vater herauskam. Er starrte sie unverwandt<br />
und schamlos an. Kein anderes Frauengesicht hat <strong>Wendel</strong> so oft, so<br />
genau und so lange betrachtet wie das von Frau Schneider.<br />
Wenn die Bürotür aufging, hob Frau Schneider den Kopf und machte<br />
das Ja-bitte-was-gibt-es-Chef-Gesicht, das sein Vater jedesmal ignorierte,<br />
um unverzüglich zum Stuhl zu schreiten, auf dem sein Sohn<br />
saß. Je nach Jahreszeit trug sein Vater einen der Mäntel und Hüte,<br />
die <strong>Wendel</strong> nun trägt. Sein Vater sagte: Grüß Gott, nahm <strong>Wendel</strong> bei<br />
der Hand und führte ihn schweigend nach Hause.<br />
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Wasch dir die Hände, sagte er dann und ließ ihn los.<br />
Eines Tages klopfte jemand an <strong>Wendel</strong>s Zimmertür. <strong>Wendel</strong> wußte,<br />
daß außer ihm und dem Mitbewohner niemand in der Wohnung<br />
war. Trotzdem erschrak er. Er hatte den Mitbewohner seit Wochen<br />
nicht gesprochen oder gesehen.<br />
Ja, wollte er knurren. Um zu signalisieren, daß er gestört wurde.<br />
Ja, flüsterte er ängstlich, räusperte sich, weil er sein Ja selber kaum<br />
gehört hatte, zählte auf drei, um sich Mut zu machen, und sagte sehr<br />
ernsthaft: Ja.<br />
Ich zieh aus, hörte er die Stimme des Mitbewohners durch die Tür<br />
sagen.<br />
Okay, sagte <strong>Wendel</strong>.<br />
Ein paar Wochen später hörte er in der Wohnung dumpfen Lärm.<br />
<strong>Wendel</strong> wollte unbedingt vermeiden, zum Kistenschleppen eingespannt<br />
zu werden, und harrte in seinem Zimmer aus, bis er fast ohnmächtig<br />
wurde vor Harndrang. Er hatte Bauch- und Blasenkrämpfe.<br />
Er öffnete vorsichtig die Tür wie eine mißtrauische Rentnerin und<br />
lugte hinaus. Da sah er ihn. Von hinten, wie er einen Gegenstand<br />
durch die Wohnungstür in den Hausflur schob. <strong>Wendel</strong> war zu erstarrt,<br />
um zurückzuschrecken. Vom Mitbewohner waren nur noch<br />
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Haut und Knochen übrig. <strong>Wendel</strong> starrte auf den Hintern, den Rücken,<br />
die Kniekehlen des Mitbewohners, bis er ihn im Treppenhaus<br />
nicht mehr sehen konnte. <strong>Wendel</strong> <strong>wartet</strong>e kurz und hastete ins Bad.<br />
Um Zeit zu sparen, pinkelte er ins Waschbecken. Zurück in seinem<br />
Zimmer, schloß er die Tür ab. Er setzte sich auf seinen Holzsessel am<br />
Schreibtisch und machte sich unsichtbar.<br />
Als der Mitbewohner später seinen Namen rief, stellte er sich tot.<br />
Die beiden sahen sich nie wieder.<br />
<strong>Wendel</strong> ist 37. Bereits mit 18 lichteten sich seine Haare. Er hatte<br />
eigentlich nichts dagegen und gewöhnte sich schnell daran. Mit 24<br />
war sein Haar so schütter wie das seines Vaters. Damals begann er,<br />
genau wie sein Vater, sich den Kopf gänzlich kahl zu rasieren.<br />
<strong>Wendel</strong> studiert, seit sein Haar so schütter wie das seines Vaters ist.<br />
Obwohl er sich immer bemüht hat, bestehende Verhältnisse nicht<br />
zu ändern, nähert er sich unweigerlich dem Studienabschluß. <strong>Wendel</strong><br />
weiß das. Er macht sich keine Sorgen darüber, <strong>Wendel</strong> macht<br />
sich niemals Sorgen. Aber er empfindet großes Unwohlsein, wenn<br />
er daran denkt. Ein Unwohlsein, das viel größer ist als das Unwohlsein<br />
nach dem Aufstehen am Morgen, und wesentlich größer als das<br />
Unwohlsein, das ihn täglich begleitet, bis er das erste Bier getrunken<br />
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hat. Am wohlsten ist <strong>Wendel</strong> im Wirtshaus und in den abendlichen<br />
Momenten vor dem Spiegel, wenn er sich in den Kleidern des Vaters<br />
beschaut.<br />
Eines Tages kam die Liebe zur Tür herein.<br />
Sie sagte: Ich hab gehört, hier ist ein Zimmer frei.<br />
<strong>Wendel</strong> starrte sie an. Aha, sagte er.<br />
Sie sah sich in der Wohnung um.<br />
Der Ofen in deinem, also in dem Zimmer, der tut’s noch, sagte <strong>Wendel</strong><br />
und hatte Lust, sie in die feuchtglänzende Unterlippe zu beißen.<br />
Sie legte eine Monatsmiete auf den Küchentisch und verschwand.<br />
Zwei Wochen <strong>wartet</strong>e <strong>Wendel</strong> darauf, daß sie wiederkam. Er stand<br />
am Fenster und bemerkte die grünende Kastanie im Hinterhof. Er<br />
räumte sein Zimmer auf. Er fand ein altes Zeitungsfoto von Stan<br />
und Ollie, das er ihr schenken wollte, wenn sie wiederkäme. Er hörte<br />
sich eine frühe Platte von Frank Zappa an. Er fand sich über einem<br />
Gedichtband von Rilke wieder und rief sich zur Vernunft.<br />
Als sie wiederkam, war sie in Begleitung eines Herrn, der sich als<br />
<strong>Wendel</strong>s Nachbar herausstellte. Sie hatte ihn gerade im Treppenhaus<br />
kennengelernt.<br />
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Der Nachbar stellte seinen Werkzeugkoffer im Bad ab und machte<br />
sich am Ofen zu schaffen.<br />
Gibt es Kaffee, fragte sie.<br />
Der Herd geht nicht, sagte <strong>Wendel</strong>.<br />
Sie verschwand im Bad.<br />
Sie kam mit dem Nachbarn wieder heraus. Tschüss, sagte der Nachbar<br />
zu <strong>Wendel</strong> und ging.<br />
Im Lauf der Woche kam er täglich wieder, schleppte Geräte in die Wohnung<br />
und aus der Wohnung, reparierte, installierte und schwitzte.<br />
Sie schlief die erste Nacht auf dem Boden, ging am andern Morgen<br />
los und kam abends mit zwei Kerlen zurück, die ein Bett in ihr Zimmer<br />
trugen.<br />
Jeden Morgen verließ sie die Wohnung und kam abends mit Möbeln,<br />
Kisten, Koffern und Kerlen wieder.<br />
<strong>Wendel</strong> <strong>wartet</strong>e in seinem Zimmer auf ein Ende der Betriebsamkeit<br />
und eine Möglichkeit, einmal mit ihr zu reden.<br />
Am Ende der Woche war Ruhe. Sie stand plötzlich in seinem Zimmer<br />
und sagte: Schau dich um. <strong>Wendel</strong> ging hinter ihr her und schnupperte<br />
an ihren Haaren. Sie führte ihn durch die Wohnung, die nicht<br />
mehr seine war. Er fühlte Unbehagen und Glück.<br />
13
Warm, warm, alles warm, sagte sie, drehte an den Wasserhähnen<br />
und Öfen und küßte ihn auf die Wange. Ja, sagte <strong>Wendel</strong>, ja, warm.<br />
Sie umarmten sich.<br />
<strong>Wendel</strong> klebte das Foto von Stan und Ollie an die Kacheln über dem<br />
neuen Herd.<br />
Er kaufte ein Kochbuch, das er beim täglichen Stuhlgang auswendig<br />
lernte.<br />
Er kaufte ein und kochte für sie. Sie hatte einen guten Appetit und<br />
lobte seine Kochkünste.<br />
Er duschte weiterhin kalt und empfahl ihr, aus Gründen der Gesundheit<br />
und Sparsamkeit dasselbe zu tun. Sie lachte ihn aus.<br />
Abends ging sie aus. Früher als <strong>Wendel</strong>, und ohne zu sagen, wohin.<br />
Wenn er vom Wirtshaus nach Hause kam, war sie meist noch nicht<br />
zurück. Oft kam sie gar nicht. <strong>Wendel</strong> lag dann in seinem Bett und<br />
<strong>wartet</strong>e auf sie. Falls sie irgendwann nach Hause kam, überlegte er<br />
bis zum Morgengrauen, ob er sich in ihr Zimmer schleichen und zu<br />
ihr legen sollte.<br />
Niemand weiß, warum <strong>Wendel</strong> <strong>Wendel</strong> heißt. <strong>Wendel</strong> selber hat<br />
längst aufgehört, darüber nachzudenken. Er hat diesen Namen, der<br />
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nicht einmal im Klang an den Namen in seinem Ausweis erinnert,<br />
seit er denken kann. Den Namen, der in seinem Ausweis steht, kann<br />
er nicht leiden. Es ist der Name seines Vaters. Wenn er auf einem<br />
Amt seinen Ausweis vorlegt, denkt er manchmal darüber nach, warum<br />
seine Eltern ihm, dem Zweitgeborenen, den Namen des Vaters<br />
gegeben haben. Dann überlegt er, wie es wohl wäre, den Namen<br />
seines Bruders bekommen zu haben. Und zuletzt findet er es ganz in<br />
Ordnung, wie es ist. Meistens enden <strong>Wendel</strong>s Gedankengänge damit.<br />
Daß es ganz in Ordnung ist, wie es ist.<br />
Seine Liebe nannte <strong>Wendel</strong> Lavendel. Er erlaubte es ihr.<br />
Sie klopfte niemals an. Sie rief immer gleichzeitig Lavendel und riß<br />
seine Zimmertür auf. Dann sagte sie: Stör ich.<br />
<strong>Wendel</strong> sagte nie was und schüttelte immer den Kopf. Natürlich<br />
störte sie.<br />
Sie störte seinen Schlaf und sein ausgeglichenes Unwohlsein. Sie störte<br />
sein gleichmäßiges Warten. Sie brachte alles durcheinander. Es war<br />
laut, wenn sie da war, und zu still, wenn nicht. Er war aufgeregt, wenn<br />
sie da war, und unruhig, wenn nicht. Er fing an, Pläne zu machen.<br />
Gemeinsame Pläne. Angefangen bei den Menüplänen für die Mahlzeiten,<br />
die er ihr kochte, bis hin zu Kinobesuchen, die nie stattfanden.<br />
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Er plante wochenlang, ihr Blumen zu schenken, sie ins Wirtshaus<br />
mitzunehmen, mit ihr einen Spaziergang zu machen. Und natürlich,<br />
sich nachts in ihr Zimmer zu schleichen und zu ihr zu legen. Niemals<br />
hatte <strong>Wendel</strong> Pläne gehabt, gemacht, gehegt. Niemals. Er hatte keine.<br />
Keine Pläne, keine Ziele, keine Absichten. Er <strong>wartet</strong>e.<br />
Eines Winternachts fand <strong>Wendel</strong> sein Zimmer beim Heimkommen eiskalt<br />
vor. Er war zu lang geblieben, er hatte zu viele Biere und Schnäpse<br />
getrunken, die Kohle in seinem Ofen war verglüht. Sein Laken war<br />
klamm, er war besoffen. Er entschied sich nicht. Sein Körper erhob<br />
sich von seinem Bett und ging der Wärme nach. Sein Körper suchte<br />
die Wärme ihres Körpers. Er lag neben ihr. Er bemerkte plötzlich,<br />
wie er tatsächlich neben ihr lag. Er wagte sich nicht zu bewegen. Sie<br />
schlief. Er versuchte, lautlos zu atmen. Es war dunkel in ihrem Zimmer,<br />
er hatte sich unterwegs an etwas, ihrem verdammten Schaukelstuhl<br />
wahrscheinlich, gestoßen. Er konnte kaum etwas von ihr sehen.<br />
Sein Knie schmerzte. Seine rechte Hand suchte ihre Hüfte, seine linke<br />
das schmerzende Knie. Sie atmete gleichmäßig. Er spürte ihre warme<br />
Haut und warf sich auf sie. Er grub sein Gesicht in ihre Haare und<br />
umklammerte ihren Leib. Sie wachte auf. Sie erschrak. Geh in dein<br />
Bett, Lavendel, sagte sie. Er verharrte reglos. Sie wälzte sich unter<br />
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ihm, um ihn abzuwerfen. Er lag wieder neben ihr, immer reglos. Sie<br />
kniete sich hin. Lavendel, sagte sie, geh in dein Bett. Er sagte nichts.<br />
Sie schob ihn von der Matratze, ihre Füße gegen die Wand gepreßt,<br />
mit beiden Händen. Wortlos, aber ächzend vor Anstrengung. <strong>Wendel</strong><br />
fiel zu Boden. Er rappelte sich auf und ging. Wortlos, lautlos. Er legte<br />
sich auf den Boden vor sein Bett und schlief sofort ein.<br />
<strong>Wendel</strong> weiß nicht genau, in welcher Reihenfolge die Dinge geschahen.<br />
Sie sind passiert, gleichzeitig oder nacheinander oder einfach<br />
so. Sie zog aus. Seine Liebe ließ nach. Sein Mitbewohner von damals<br />
starb. Ob es hier einen Zusammenhang gibt, einen anderen als den<br />
zeitlichen, weiß er nicht.<br />
Sagte sie, sie ziehe aus, bevor seine Liebe nachließ;<br />
ließ seine Liebe nach, bevor der Mitbewohner starb;<br />
starb der Mitbewohner, bevor sie beschloß, auszuziehen; <strong>Wendel</strong><br />
weiß es nicht.<br />
Aber er denkt manchmal darüber nach.<br />
Er erinnert sich, daß die Polizei vor der Tür stand. Ihr, äh, Freund,<br />
oder Partner, wurde aufgefunden, sagte der Polizist. Der Mitbewohner<br />
hatte keine Familie, keine Verwandten, er hatte nur <strong>Wendel</strong>, mit<br />
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dem er laut Ausweis seit Jahren zusammenlebte. In seinem Ausweis<br />
stand noch die alte Adresse. Die Polizei hielt die beiden für ein Paar,<br />
<strong>Wendel</strong> und den Mitbewohner.<br />
Der Mitbewohner wurde in seinem Klappbett in einem Schrebergartenhäuschen<br />
gefunden. Seine Leiche wog 38 Kilo. Er war verhungert.<br />
<strong>Wendel</strong> beerbte den Mitbewohner. Er räumte das Klappbett und<br />
Bettzeug, einen Kleiderkoffer, eine Kompakt-CD-Anlage, ein Fahrrad,<br />
eine Bücherkiste, eine Schachtel CDs, einen Stuhl, zwei Holzböcke<br />
und eine Kiste mit Kleinteilen aus dem Gartenhaus, fuhr alles mit<br />
einem Taxi zu sich, schleppte es in den vierten Stock und stellte es in<br />
dem Zimmer ab, aus dem sie ausgezogen war. Das Zimmer, aus dem<br />
der Mitbewohner ausgezogen war.<br />
Die Anstrengung hatte <strong>Wendel</strong> erschöpft. Er war froh, als alles verräumt<br />
war.<br />
So. Drin, sagte er und machte die Tür zu. Er wollte zur Ruhe kommen.<br />
Er schwor sich, die Wohnung nicht so bald wieder zu verlassen.<br />
Nicht vor dem späten Abend. Um sich ins Wirtshaus zu begeben.<br />
Nicht so bald je wieder vor einem späteren Abend.<br />
Er setzte sich auf den Holzsessel an seinem Schreibtisch und <strong>wartet</strong>e.<br />
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<strong>Monique</strong> <strong>Schwitter</strong><br />
Wenn’s schneit beim Krokodil<br />
Diese Geschichten sind geschrieben mit<br />
einem unerbittlichen Auge für Situationen,<br />
in denen alles offen ist und aus denen noch<br />
alles werden kann, und mit dem scharfen<br />
Gehör für die Sätze, die Menschen im<br />
Offenen miteinander wechseln<br />
«Sehr starke Frauenfiguren... <strong>Monique</strong><br />
<strong>Schwitter</strong> hat eine spannende, harte und<br />
eindringliche Art zu schreiben.» (DRS)<br />
«<strong>Schwitter</strong> versetzt ihre Figuren mitten hinein in<br />
tragische oder komische, verstörende oder ganz<br />
alltägliche Situationen. Und was dort mit ihnen<br />
passiert, ist nicht nur für den Leser überraschend.<br />
Denn wie Schauspieler schlüpfen sie plötzlich in<br />
Rollen, die nicht die ihren sind und werden von<br />
den Ereignissen mitgerissen.» (Brigitte)<br />
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<strong>Monique</strong> <strong>Schwitter</strong> – <strong>Wendel</strong> <strong>wartet</strong><br />
Während <strong>Wendel</strong> <strong>wartet</strong>, geht allerlei Seltsames in seiner Wohnung<br />
vor. Das Heißwasser bleibt kalt, der Herd ist defekt, der Mitbewohner<br />
stirbt, die Heizung geht nicht mehr, bis die Liebe ungefragt<br />
bei ihm einzieht und sein Warten verändert.<br />
Selten wird Warten mit Worten so gekonnt beschrieben wie von<br />
<strong>Monique</strong> <strong>Schwitter</strong>.<br />
Katrin<br />
Seddig<br />
Von der Anstrengung<br />
des Lebens<br />
Michael<br />
Weins<br />
Das Loch<br />
Gustav<br />
Meyrink<br />
Die Pflanzen des<br />
Dr. Cinderella<br />
No. 1<br />
No.4<br />
No. 5<br />
No. 1<br />
Katrin Seddig<br />
No. 4<br />
Michael Weins<br />
No.5<br />
Gustav Meyrink<br />
Die besten Autoren Deutschlands<br />
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mit ihren besten Kurzgeschichten!<br />
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