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Erbarmen im Recht. Predigt Eröffnungsgottesdienst Sommeruni ...

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Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber<br />

<strong>Predigt</strong> zum Wochenspruch <strong>im</strong> Gottesdienst in der a Lasco Bibliothek zu Emden am<br />

18. August 2013 zur Eröffnung der <strong>Sommeruni</strong>versität der GEKE<br />

Eine notwendige Erinnerung – auch für die GEKE<br />

Text: Jesaja 42, 3f<br />

„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den gl<strong>im</strong>menden Docht wird er nicht auslöschen.“<br />

Liebe Schwestern und Brüder,<br />

die „Ostfriesische Kirchengeschichte“, 1974 von Menno Smid veröffentlicht, schließt mit<br />

dem Kapitel „Die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa“. Smid resümiert: „So heftig<br />

der Entwurf auf Konventen, Kirchenkreistagen und in Pfarrkonferenzen, vor allem bei den<br />

Lutheranern in Ostfriesland, debattiert wurde, ist es umso bemerkenswerter, dass hier<br />

zwischen Reformierten und Lutheranern wohl vor dem Bekanntwerden der ersten Fassung<br />

der Leuenberger Konkordie <strong>im</strong> September 1971 intensive theologische Gespräche<br />

stattfanden, dass diese seit jener Zeit aber nicht fortgesetzt wurden.“<br />

Ja, so habe ich das als Vikar und junger Pastor der evangelisch-reformierten Gemeinde<br />

Greetsiel erlebt oder eben vermisst. Es war nicht selbstverständlich, dass evangelischreformierte<br />

und evangelisch-lutherische Christen und Gemeinden ein<br />

Zusammengehörigkeitsfühl entwickelt und es verband sie nicht - zumindest in der Praxis -<br />

das sakramentale Band der Einheit, das in der Taufe gelegt ist. Für mich, den Unierten aus<br />

Hessen, war das alles sehr eigenartig. Erstaunlich fand ich auch, dass 1974 noch mit<br />

Verwunderung von begonnenen intensiven Gesprächen zwischen den Evangelischen<br />

gesprochen werden musste. Hatte die Enttäuschung über das gescheiterte<br />

Religionsgespräch von Marburg 1529 und über die konfessionelle Entwicklung in der Stadt<br />

<strong>im</strong> 16. Jahrhundert so lange nachgewirkt?<br />

Der reformatorische Aufbruch in Emden war turbulent. 1520, bewegt durch die <strong>Predigt</strong>en<br />

Georg Aportanus‘, setzen die Bürger durch, dass in dieser Kirche <strong>im</strong> reformatorischen Sinne<br />

gepredigt wird. 1530 tauft Melchior Hofmann 300 Erwachsene in einem Vorraum der<br />

Kirche. Damit beginnt die Täuferbewegung in den Niederlanden und Nordwestdeutschland.<br />

1


Johann a Lasco, Albert Ritzaeus Hardenberg, Menso Alting und viele Gemeindeglieder, aber<br />

auch die Landesherren, setzen sich auf je ihre Weise für den neuen gereinigten Glauben und<br />

das neue Kirchenwesen ein. Natürlich hat auch die Kirchenzucht ihre Wirkung. Theologische<br />

Auseinandersetzungen und Klärungen, aber auch das Machtstreben Einzelner und das<br />

Bemühen um die Sicherung der Herrschaft des Fürstenhauses <strong>im</strong> Gegenüber zur städtischen<br />

Obrigkeit Emdens best<strong>im</strong>men das Bild <strong>im</strong> 16. Jahrhundert. Am Ende des Jahrhunderts ist nur<br />

noch der Calvinismus als einzige konfessionelle Gestalt in der Stadt erlaubt.<br />

Aber es soll nicht vergessen werden: In Emden fanden zwischen 1553 und 1557 Fremde, die<br />

um ihres Glaubens willen verfolgt wurden, Fürsorge und He<strong>im</strong>at. Vom „Schepken Christy“<br />

hat man gesprochen. „Godts Kerck vervolgt, verdreven, heft God hyr trost gegeven“, so<br />

lautet die Inschrift über dem Portal dieser Kirche. Und hier hatte das Gremium der Diakone<br />

„der Vremden Neder Duitschen Armen“ seinen Platz, ebenso wie das Konsistorium.<br />

In dieser Kirche – und natürlich auch in den anderen <strong>im</strong> Stadtgebiet - haben die<br />

Einhe<strong>im</strong>ischen und die Fremden die neue Gemeinschaft gelebt und sie zu gestalten gesucht.<br />

Eindrucksvoll und beispielhaft, mitunter auch harsch und uns - vom Geist der Toleranz<br />

geprägten - Protestanten des 21. Jahrhunderts erschreckend in der Härte der<br />

Auseinandersetzung. Als Mutterkirche hat man in den Niederlanden die Emder Kirche<br />

gerühmt, nicht nur weil diese Kirche Flüchtlinge aufnahm, sondern auch, weil von hier<br />

Prediger ausgesandt wurden. Eine französisch Sprechende Wallonengemeinde mit eigenem<br />

Prediger entstand, wohingegen sich die niederländisch sprechenden in die deutsche<br />

Gemeinde eingliederten. Die Emder Synode tagte 1571 <strong>im</strong> Zeughaus am Falderntor. Wir<br />

erinnern uns an die Kernsätze dieser Gemeinde unter dem Kreuz, die auch unseren Kirchen<br />

ins Lehrbuch geschrieben sind, ganz gleich welcher konfessionellen Familie wir zugehören.<br />

Der erste Paragraph ist programmatisch: „Keine Gemeinde soll über andere Gemeinden,<br />

kein Pastor über andere Pastoren, kein Ältester über andere Älteste, kein Diakon über<br />

andere Diakone den Vorrang oder die Herrschaft beanspruchen, sondern sie sollen lieber<br />

dem geringsten Verdacht und jeder Gelegenheit aus dem Wege gehen.“<br />

Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs ging diese Kirche wie weite Teile der Stadt unter.<br />

Aber ein Neubeginn wurde möglich, weil diesmal die Ökumene den Emdern beistand.<br />

2


Warum erzähle ich Ihnen das alles? Nun, ich glaube, die damals hier zusammenkamen,<br />

haben um die evangelische Wahrheit des Bibelwortes aus dem Jesajabuch gewusst, das uns<br />

für diese Woche als Leitwort mit auf den Weg gegeben ist.<br />

"Zur Wahrheit dem <strong>Recht</strong> verhelfen", so wird <strong>im</strong> Buch des Propheten Jesaja der Auftrag des<br />

Gottesknechts beschrieben. Von Gott selber hat er seinen Auftrag: „Das geknickte Rohr wird<br />

er nicht zerbrechen und den gl<strong>im</strong>menden Docht wird er nicht auslöschen."<br />

Kompliziert ist der Auftrag nicht, wir verstehen ihn sofort. Und die Flüchtlinge damals hier in<br />

Emden haben ihn auch verstanden. Es gilt neues <strong>Recht</strong>, nicht mehr das des Stärkeren: das<br />

Geknickte wird nicht zerbrochen, das Gl<strong>im</strong>mende nicht ausgelöscht.<br />

Doch wie soll das geschehen?<br />

Nun es geschieht auf eine ganz ungewöhnliche Weise. Nicht durch Proklamation eines neuen<br />

<strong>Recht</strong>s, sondern durch eine kaum bemerkbare neue Praxis. „Wenn die Wahrheit zu ihrem<br />

<strong>Recht</strong> kommt und das <strong>Recht</strong> sich mit der Wahrheit verträgt, dann geschieht etwas so<br />

Unscheinbares, dass die Tagesordnung der Welt darüber hinweggeht, als wäre nichts<br />

geschehen. Denn Gottes neues <strong>Recht</strong> kommt denen zugute, die von der Tagesordnung der<br />

Welt“, dem <strong>Recht</strong> der Stärkeren, "nichts mehr zu erwarten haben … Denen, die am Ende<br />

sind, deren Lebenswille gebrochen und deren Lebenslicht gerade nur noch am Gl<strong>im</strong>men ist,<br />

ihnen bringt der unbekannte Gottesknecht ein neues Lebensrecht und neuen Lebensmut."<br />

Geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen. Und den gl<strong>im</strong>menden Docht wird er nicht<br />

auslöschen. 1<br />

So ist das!<br />

Das Besondere dieses <strong>Recht</strong>es lässt sich mit wenigen Worten beschreiben:<br />

Es zielt darauf ab, dass Menschen aufhören, zuungunsten der Schwachen, der<br />

Benachteiligten, der Witwen und Waisen, der Armen, der einfluss- und machtlosen<br />

Mitmenschen ihre eigenen Lebensverhältnisse zu verbessern. (EX 20,22-23,19 -<br />

Bundesbuch).<br />

1 Eberhard Jüngel, Der Wahrheit zum <strong>Recht</strong> verhelfen, Stuttgart 1984, 57<br />

3


Und zwar soll dies nicht so geschehen, dass <strong>Erbarmen</strong> vor <strong>Recht</strong> geschieht, sondern indem<br />

<strong>Erbarmen</strong> <strong>im</strong> <strong>Recht</strong> seinen Ort hat. Das <strong>Erbarmen</strong> über die Mühseligen und Beladenen, das<br />

<strong>Erbarmen</strong> mit dem Geknickten und Vergl<strong>im</strong>menden soll nicht etwas Besonderes, sondern<br />

das sicher Erwartbare sein.<br />

Das <strong>Erbarmen</strong> soll fest in die <strong>Recht</strong>spraxis eingespielt sein, denn sonst verdient die<br />

Gerechtigkeit, die in einem Land, einer Stadt, auch in der Kirche oder einer diakonischen<br />

Einrichtung praktiziert wird, nicht den Namen Gerechtigkeit.<br />

„Zur Wahrheit dem <strong>Recht</strong> verhelfen" das heißt dann für uns Christen nichts anderes als in<br />

der Nachfolge des Gottesknechtes uns darum bemühen, dass <strong>Recht</strong> und <strong>Erbarmen</strong><br />

zusammengehen, zusammengehören. Dass das <strong>Recht</strong> des Stärkeren endlich seine Zeit<br />

gehabt hat, es sind schon genug Menschen seinetwegen zerbrochen, verglommen,<br />

ausgelöscht und zertreten worden. 2 Nun ist dies nicht nur ein Wort für solche Menschen, die<br />

Kraft haben, aufzurichten und Gl<strong>im</strong>mendes zu bewahren. Gerade die Hilflosen, also die<br />

„geknickten Menschen und die gebrochenen Existenzen", die vielleicht nur noch darauf<br />

warten, dass sie vollends zerbrochen werden und ihr vergl<strong>im</strong>mendes Licht ganz und gar<br />

ausgelöscht wird, wissen um es. Sie spüren und ahnen, dass es Leben nur in dieser<br />

Verbindung von <strong>Recht</strong> und <strong>Erbarmen</strong> geben kann. Sie spüren und wissen, dass sie und all die<br />

Starken und Kräftigen zum gesegnetem Leben nur kommen können, wenn Gnade, wenn<br />

<strong>Erbarmen</strong> <strong>im</strong> <strong>Recht</strong> geschieht.<br />

Und noch eins: diese Verbindung von <strong>Erbarmen</strong> und <strong>Recht</strong> gilt natürlich nicht nur für die<br />

innerreligiöse Welt, sondern sie ist Grund und Wahrheit allen <strong>Recht</strong>es. „Vom `Knecht Gottes`<br />

wird gesagt: 'Er trägt das <strong>Recht</strong> hinaus' - 'und die Inseln, (d.h. die fernen, unbekannten,<br />

vergessenen geographischen Bereiche) warten auf seine Weisung.' Sie warten auf das<br />

befreiende <strong>Recht</strong>, das ein neues Zusammenleben ermöglicht und verwirklicht." 3<br />

Menschen warten darauf, dass Gnade <strong>im</strong> <strong>Recht</strong> geschieht.<br />

Christus, der so tief unten war, dass alle, die die Verlogenheit des "<strong>Recht</strong>s der Stärkeren"<br />

begriffen habe, bei ihm zu Hause sind, ruft uns zu dieser neuen <strong>Recht</strong>spraxis. Und wir wissen<br />

alle – gerade in der GEKE – wie Konkretionen, gerade auch die politischen, aussehen.<br />

2 Zum Ganzen siehe: Michael Welker, Gottes Geist, Neukirchen-Vluyn 1992, 109ff<br />

3 H.-J. Kraus, GPM31/2,1977,135ff<br />

4


Wir haben in Florenz <strong>im</strong> vergangenen Jahr von der Verantwortung für und der Solidarität mit<br />

dem Europa in der Krise gesprochen und haben <strong>im</strong> Blick auf die Opfer der gegenwärtigen<br />

Krise gesagt: Innerhalb unserer Länder, aber auch weltweit, öffnet sich die Schere zwischen<br />

Arm und Reich. Die Opfer der Krise leben nicht nur in Europa, sondern auch in anderen<br />

Teilen der Erde. Alle Lösungsvorschläge und Entscheidungen müssen sich aber daran messen<br />

lassen, wie sie den betroffenen Menschen und Gesellschaften helfen sowie den<br />

europäischen Einigungsprozess erhalten und weltweite Solidarität fördern.“ 4<br />

Ja, es geht um die Verantwortung für die Eine Welt - Europa ist keine Insel, sondern Teil der<br />

Einen Welt. Es geht um Reform und Konsolidierung des Sozialstaates, um Bekämpfung der<br />

Armut und Bewahrung der Schöpfung und es geht um die Fragen, die Menschen am Anfang<br />

und am Ende ihres Lebens bedrängen.<br />

Für uns in der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa verbundener Christen heißt das<br />

nichts anderes, als uns in der Nachfolge Jesu Christi darum zu bemühen, dass <strong>Erbarmen</strong> und<br />

<strong>Recht</strong> zusammengehen, damit das <strong>Recht</strong> des Stärkeren endlich seine Zeit gehabt hat. Nichts<br />

anderes hat Jesus uns vorgelebt.<br />

Amen<br />

4 Frei für die Zukunft – Verantwortung für Europa. Stellungnahme der Vollversammlung<br />

der GEKE 2012 Florenz<br />

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