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Die Rolle von Gerichten im internationalen Wirtschaftsrecht

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<strong>Die</strong> <strong>Rolle</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerichten</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>internationalen</strong> <strong>Wirtschaftsrecht</strong><br />

Prof. Dr. Carl Baudenbacher<br />

Wirtschaftsfragen<br />

Heft 36


Impressum<br />

Herausgeberin:<br />

Verwaltungs- und Privat-Bank Aktiengesellschaft<br />

Corporate Communications<br />

Aeulestrasse 6<br />

FL-9490 Vaduz<br />

Tel +423 235 66 35<br />

Fax +423 235 76 19<br />

corporate.communications@vpbank.com<br />

www.vpbank.com<br />

Gestaltung:<br />

TANGRAM, Vaduz<br />

Druck:<br />

BVD Druck+Verlag AG, Schaan<br />

© Verwaltungs- und Privat-Bank Aktiengesellschaft, Vaduz 2004<br />

Publikation anlässlich der 20. Jahrestagung des<br />

Internationalen Beirates am 28./29. Oktober 2004 in Vaduz/Triesen


Vorwort<br />

<strong>Die</strong> Verwaltungs- und Privat-Bank AG hat vor 20 Jahren einen Internationalen Beirat<br />

ins Leben gerufen. Er setzt sich zusammen aus Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft<br />

und Politik und berät die Bank bei der Analyse der ihre Tätigkeit best<strong>im</strong>menden <strong>internationalen</strong><br />

Rahmenbedingungen. Damit trägt er bei zur Qualität der Grundlagen für<br />

die Entwicklung der strategischen Ziele der Bank.<br />

Im Rahmen der 20. Jahrestagung des Internationalen Beirates hielt Professor Dr. Carl<br />

Baudenbacher, Präsident des EFTA-Gerichtshofes in Luxemburg, ein Referat zum Thema<br />

«<strong>Die</strong> <strong>Rolle</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerichten</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Wirtschaftsrecht</strong>». Angesichts der heute<br />

viel diskutierten Globalisierung und der zunehmenden Verlagerung der Rechtssetzung<br />

<strong>von</strong> der nationalen auf die multinationale Ebene ist dieses Thema <strong>von</strong> grosser Bedeutung.<br />

Hinzu kommt, dass neben der klassischen völkerrechtlichen Ebene gerade <strong>im</strong> Finanzdienstleistungsbereich<br />

die Entwicklung zunehmend durch Standards beziehungsweise<br />

«Blacklists» geprägt ist, welchen nicht <strong>im</strong>mer objektive und rechtlich definierte Prinzipien<br />

zugrunde liegen.<br />

Gerade aus der Sicht eines kleinen Landes wie Liechtenstein müssen diese Fragen eine<br />

hohe Aufmerksamkeit finden. Das Referat <strong>von</strong> Professor Dr. Carl Baudenbacher vermag<br />

die Problematik sehr klar aufzuzeigen und auch darzulegen, wie die anstehenden<br />

Aufgaben gelöst werden können.<br />

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Wir danken Professor Dr. Carl Baudenbacher für seine erhellenden und kompetenten<br />

Ausführungen und seine Bereitschaft, sein Referat in der Reihe «Wirtschaftsfragen»<br />

unserer Bank zu veröffentlichen. Wir sind überzeugt, dass seine Ausführungen<br />

viele interessierte Leserinnen und Leser finden.<br />

Vaduz, <strong>im</strong> Dezember 2004<br />

Hans Brunhart<br />

Präsident des Verwaltungsrates<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Rolle</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerichten</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>internationalen</strong> <strong>Wirtschaftsrecht</strong><br />

Mein Thema lautet: «<strong>Die</strong> <strong>Rolle</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerichten</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Wirtschaftsrecht</strong>.»<br />

Bei der <strong>von</strong> Präsident Brunhart angesprochenen Veranstaltung «zehn Jahre EFTA-<br />

Gerichtshof» letzte Woche in Luxemburg hat sich der frühere norwegische Premierminister<br />

Jagland zu Wort gemeldet und gesagt, dass für ihn als Politiker Probleme dann<br />

am besten gelöst werden können, wenn kein Gericht irgendetwas zu sagen hat. Das bedeutet,<br />

dass die Politik für sich in Anspruch n<strong>im</strong>mt, <strong>internationalen</strong> <strong>Gerichten</strong> überlegen<br />

zu sein. Nehmen wir das als Ausgangspunkt. Ich werde diese Aussage hinterfragen,<br />

und ich sage jetzt schon, dass ich glaube, dass das zu kurz gegriffen ist.<br />

Lassen Sie mich eine kurze Übersicht über das geben, was ich heute Abend ansprechen<br />

will: Ich werde zunächst die <strong>Rolle</strong> <strong>von</strong> nationalen <strong>Gerichten</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Wirtschaftsrecht</strong><br />

beleuchten und dann auf die Entwicklung zu sprechen kommen, die man als<br />

Justizialisierung des <strong>internationalen</strong> Rechts bezeichnet. <strong>Die</strong> Justizialisierung wird <strong>im</strong><br />

Zentrum meiner Ausführungen stehen. Ganz wichtig, Herr Brunhart hat es angesprochen,<br />

ist dabei auch die Frage, wie Konflikte entschieden werden, wenn es keine <strong>internationalen</strong><br />

Gerichte gibt. Konkret werde ich mich mit den regionalen <strong>Gerichten</strong> befassen, die<br />

vor allem in Europa eine grosse <strong>Rolle</strong> spielen und mich dann den globalen <strong>Gerichten</strong><br />

zuwenden. Schliesslich werde ich etwas sagen zur Interaktion internationaler Gerichte.<br />

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A. Nationale Gerichte<br />

I. Was ist internationales Recht?<br />

Wie man in jedem Lehrbuch des Völkerrechts nachlesen kann, wird <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong><br />

Recht zwischen Verträgen, Völkergewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsprinzipien<br />

unterschieden. Völkergewohnheitsrecht entsteht, wenn eine allgemeine Übung (Staatenpraxis)<br />

vorhanden ist gepaart mit Rechtsüberzeugung. Ein historisches Beispiel ist das<br />

Gewaltverbot, das Angriffskriege untersagt. Ein allgemeines Rechtsprinzip ist beispielsweise<br />

der Grundsatz, dass Verträge eingehalten werden müssen («pacta sunt survanda»).<br />

II. Ist internationales Recht Recht?<br />

Schon früh hat man die Frage gestellt, ob internationales Recht überhaupt Recht ist.<br />

Es gab schon <strong>im</strong>mer Leute, die das deshalb bezweifelt haben, weil internationales Recht<br />

nicht <strong>im</strong> gleichen Masse durchsetzbar ist wie nationales Recht. Auf diese historischen<br />

Debatten will ich nicht eingehen, sondern feststellen, dass heute kein Zweifel daran<br />

besteht, dass internationales Recht Rechtsqualität aufweist. Allerdings handelt es sich<br />

um Recht eigener Art, bei dem das Element des Konsenses eine grosse <strong>Rolle</strong> spielt.<br />

Ich will aber doch sagen, dass die Frage in den letzten Jahren wieder aktuell geworden<br />

ist. <strong>Die</strong>se Diskussion entzündet sich vor allem am Verhalten der letzten verbliebenen<br />

Supermacht, allerdings nicht so sehr <strong>im</strong> <strong>Wirtschaftsrecht</strong>, wo es noch Gegenkräfte gibt,<br />

die für eine gewisse Mässigung sorgen, wohl aber <strong>im</strong> Kriegsvölkerrecht. Hauptstichwort<br />

dazu ist die preemptive strike doctrine, die v. a. <strong>von</strong> der Administration <strong>von</strong> Präsident<br />

George W. Bush formuliert und <strong>im</strong>plementiert worden ist. Wenn es um die Frage geht,<br />

wer unter welchen Umständen einen Krieg beginnen darf, so hat man dementsprechend<br />

das Gefühl, dass das internationale Recht – hier: das Gewaltverbot der UN-Charta –<br />

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nicht mehr <strong>von</strong> allen Staaten anerkannt wird, vor allem nicht <strong>von</strong> der letzten verbliebenen<br />

Supermacht, den USA. <strong>Die</strong> Durchsetzungsschwäche des <strong>internationalen</strong> Rechts hat sich<br />

also <strong>im</strong> Bereich des Kriegsvölkerrechts akzentuiert.<br />

III. <strong>Die</strong> Durchsetzung des <strong>internationalen</strong> Rechts<br />

Wenn wir uns die Frage stellen, welche Mechanismen die Durchsetzung des <strong>internationalen</strong><br />

Rechts sichern sollen, so kommen wir zu einer interessanten Feststellung. Internationale<br />

Gerichte hat es traditionell kaum gegeben, das sind eigentlich neuere Entwicklungen.<br />

Traditionell war es <strong>im</strong>mer Aufgabe der nationalen Gerichte, das internationale Recht<br />

durchzusetzen. <strong>Die</strong> Höchstgerichte der einzelnen Staaten, der amerikanische Supreme<br />

Court, das schweizerische Bundesgericht, der liechtensteinische Staatsgerichtshof,<br />

sollen das internationale Recht anwenden. Der zweite Mechanismus zur Sicherung der<br />

Durchsetzung ist der Reziprozitätsgrundsatz, auch Gegenseitigkeitsprinzip genannt.<br />

<strong>Die</strong> Amerikaner umschreiben das ganz einfach mit «tit for tat»: Wenn ich mich nicht an<br />

das internationale Recht halte, wird sich der andere auch nicht daran halten. Also halte<br />

ich mich deswegen daran, weil ich sonst riskiere, dass der andere es ebenfalls nicht tut.<br />

Das Reziprozitätsprinzip ist also kein christlicher Grundsatz, sondern ein berechnender.<br />

Damit zusammen hängt die Angst vor Retaliation. Wer internationales Recht bricht,<br />

riskiert, dass gegen ihn Vergeltung geübt wird. Ich erinnere mich, dass Italien vor einigen<br />

Jahrzehnten Vergeltungsmassnahmen gegen die Schweiz getroffen hat, weil Italiener in<br />

der Schweiz entgegen einem Staatsvertrag nicht frei Grundstücke kaufen konnten.<br />

Schliesslich ist auch die Sorge um den eigenen guten Ruf ein Mechanismus zur Sicherung<br />

der Durchsetzung <strong>internationalen</strong> Rechts. <strong>Die</strong>se Sorge treibt nicht nur die Kleinstaaten<br />

um, sondern auch die Supermacht USA. Auch die Amerikaner wollen <strong>im</strong> Grunde genommen<br />

geliebt werden. Auch sie kümmern sich – nicht alle <strong>im</strong> gleichen Masse, aber einige<br />

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doch und manchmal zeitverschoben – um den eigenen guten Ruf. Insgesamt ergibt<br />

sich, dass die traditionellen Mechanismen der Durchsetzung <strong>internationalen</strong> Rechts<br />

überwiegend politischer Natur sind. <strong>Die</strong> erste Geige spielen die Regierungen und ihre<br />

aussenpolitischen und aussenhandelspolitischen Vertreter, die Diplomaten.<br />

Wenn ich nochmals auf die <strong>Rolle</strong> der nationalen Gerichte zurückkommen darf:<br />

Ein wichtiges Beispiel sind die Genfer Konventionen zum Kriegsvölkerrecht <strong>im</strong> Sinne des<br />

«jus in bello». Sie regeln, was man <strong>im</strong> Krieg tun darf und nicht tun darf. <strong>Die</strong>se Konventionen<br />

werden <strong>von</strong> nationalen <strong>Gerichten</strong> angewandt, da gibt es keine internationale Instanz.<br />

Dass dies z. Zt. in den USA <strong>im</strong> Zusammenhang mit den Folterungen <strong>im</strong> Irak nur gegenüber<br />

unteren Chargen geschieht, steht freilich auf einem anderen Blatt.<br />

Es gibt nun zur Durchsetzung des <strong>internationalen</strong> Rechts ein berühmtes Statement<br />

eines berühmten amerikanischen Professors auf diesem Gebiet: Louis Henkin hat 1967<br />

geschrieben, dass die genannten Mechanismen dazu geführt haben, dass «(al)most all<br />

nations observe almost all principles of international law and almost all of their obligations<br />

almost all of the t<strong>im</strong>e» (How Nations Behave, 1968, 42). Das war vielleicht damals<br />

berechtigt. In der Zwischenzeit haben wir Zweifel, ob das noch so ist, und das führt dann<br />

eben zur Frage, ob man nicht besser dran ist, wenn man anstelle der nationalen Gerichte<br />

und aller übrigen Mechanismen, die ich hier aufgeführt habe, internationale Gerichte<br />

schafft. Darauf werde ich zurückkommen.<br />

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IV. Extraterritoriale Rechtsanwendung<br />

<strong>Die</strong> «normale» <strong>Rolle</strong> nationaler Gerichte bei der Implementierung <strong>internationalen</strong> Rechts<br />

ist die, welche ich <strong>im</strong> Zusammenhang mit den Genfer Konventionen umschrieben habe.<br />

Nationale Gerichte stellen aber auch in einer ganz anderen Form internationale Bezüge<br />

her. Ich meine ein Phänomen, das Herr Professor Hirsch gut kennt, die extraterritoriale<br />

Anwendung nationalen Rechts durch nationale Gerichte. Das ist eine amerikanische<br />

Erfindung. In best<strong>im</strong>mten Rechtsgebieten, insbesondere <strong>im</strong> Kartellrecht, aber auch <strong>im</strong><br />

Steuerrecht und <strong>im</strong> Börsenrecht wird amerikanisches Recht unter best<strong>im</strong>mten Voraussetzungen<br />

auch auf Sachverhalte angewandt, welche sich <strong>im</strong> Ausland ereignet haben.<br />

Amerikanische Richter wenden z. B. das amerikanische Kartellrecht auf Verhaltensweisen<br />

an, die <strong>von</strong> Wirtschaftsakteuren irgendwo auf der Welt veranlasst worden sind, wenn sie<br />

sich auf dem amerikanischen Markt in best<strong>im</strong>mter Weise auswirken. Vor allem schweizerische<br />

Unternehmen haben schmerzlich erfahren müssen, dass die Reichweite des amerikanischen<br />

<strong>Wirtschaftsrecht</strong>s hier unter Umständen eine globale ist. In der Zwischenzeit<br />

beschränkt sich die extraterritoriale Rechtsanwendung nicht mehr auf die USA, sondern<br />

ist auch in Europa übernommen worden. Das europäische Kartellrecht findet Anwendung<br />

auf Fusionen zwischen amerikanischen Gesellschaften. Es ist aber auch, um ein Beispiel<br />

mit local content zu nennen, auf ein best<strong>im</strong>mtes Verhalten der Firma HILTI angewandt<br />

worden (EuGH Rechtssache C-53/92 P, Hilti/Kommission, Slg. 1994, I-667). Sogar die<br />

Schweizer, die jahrzehntelang geltend gemacht haben, die extraterritoriale Rechtsanwendung<br />

sei völkerrechtswidrig, haben jetzt in ihrem eigenen Kartellgesetz dieses<br />

Prinzip kodifiziert (Art. 2 II KG).<br />

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B. Justizialisierung <strong>internationalen</strong> Rechts<br />

I. Das Phänomen<br />

Der Begriff «Justizialisierung <strong>internationalen</strong> Rechts» bezeichnet die Schaffung internationaler<br />

Gerichtshöfe, welchen die Aufgabe übertragen wird, ein best<strong>im</strong>mtes<br />

internationales Abkommen anzuwenden. M. a. W. wird die Konfliktlösung auf Gerichte<br />

übertragen. Damit stellt sich natürlich die Frage, wer bislang dafür zuständig war.<br />

Es waren (und sind in den nicht justizialisierten Bereichen <strong>im</strong>mer noch) die Regierungen<br />

bzw. die Diplomaten. Konfliktlösung mit diplomatischen Mitteln erfolgt i. d. R. durch<br />

Organe, welche für den Einzelfall einberufen werden, nachdem sich die Fakten ereignet<br />

haben. Solche Ausschüsse unterliegen weder einer Entscheidungspflicht noch einer<br />

Begründungspflicht. Es besteht keine Präjudizienbindung, was sich negativ auf die<br />

Rechtssicherheit auswirkt. Soweit Verfahrensgarantien bestehen, sind sie mit denen eines<br />

Gerichtsverfahrens nicht vergleichbar. Bei der diplomatischen Konfliktlösung kann insbesondere<br />

die Machtfrage eine ganz andere <strong>Rolle</strong> spielen, als bei einem Verfahren<br />

vor einem <strong>internationalen</strong> Gerichtshof. Auch die fehlende Transparenz ist ein Problem.<br />

Diplomaten pflegen die Tatsache, dass man hinter verschlossenen Türen tagt und<br />

die Presse nicht dabei ist, allerdings als Vorteil zu sehen. <strong>Die</strong> Rechtsdurchsetzung kann<br />

Schwierigkeiten bereiten. <strong>Die</strong> Mechanismen, die hier zur Verfügung stehen, haben<br />

durchaus etwas Archaisches. Im Vordergrund steht die Androhung <strong>von</strong> Vergeltungsmassnahmen.<br />

Strafzölle treffen aber in der Regel die Falschen. Man bewegt sich also<br />

durchaus nicht auf dem Niveau, auf dem die internationale Justiz operiert. Präsident<br />

Brunhart hat das Phänomen angesprochen, dass gewisse Staaten und gewisse internationale<br />

Organisationen sich das Recht herausnehmen, darüber zu befinden, welche anderen<br />

Staaten die <strong>von</strong> ihnen definierten Standards einhalten und welche nicht. Es werden<br />

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dann unilateral so genannte Watchlists erstellt, auf welche so genannte nicht kooperierende<br />

Staaten gesetzt werden, möglicherweise sogar Blacklists. Dadurch entstehen<br />

natürlich für die betroffenen Staaten und Unternehmen enorme Wettbewerbsnachteile.<br />

Man fragt sich manchmal nicht nur warum best<strong>im</strong>mte Staaten auf solchen Listen stehen,<br />

sondern auch warum andere nicht drauf sind. Hier geht es offensichtlich auch um<br />

Beziehungen, um geschicktes Verhalten, hier geht es auch um Macht.<br />

Eine Zwischenstufe zwischen der Streitbeilegung durch Diplomaten und der Justizialisierung<br />

stellt die Einsetzung <strong>von</strong> Ad-hoc-Schiedsgerichten dar. Sie werden für einen<br />

konkreten Fall eingesetzt, nachdem sich die Fakten ereignet haben. Der grösste Nachteil<br />

ist mit Sicherheit die fehlende Permanenz. Ich spreche nicht <strong>von</strong> den Schiedsgerichten<br />

in Handelsstreitigkeiten oder in vertragsrechtlichen Streitigkeiten. Ich spreche <strong>von</strong> den<br />

völkerrechtlichen Schiedsgerichten.<br />

II. Beispiele<br />

Das älteste Beispiel ist der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH), den ich der<br />

Vollständigkeit halber nenne. Sehr viel wichtiger sind <strong>im</strong> <strong>Wirtschaftsrecht</strong> der Gerichtshof<br />

der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), der 1952 gegründet wurde, als die Gemeinschaft<br />

für Kohle und Stahl zustande kam, und der 1992 geschaffene EFTA-Gerichtshof<br />

(EFTA-GH), der 1994 die Tätigkeit aufnahm. Auch der 1959 etablierte und 1998 neu strukturierte<br />

Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EuMRGH) ist hier zu nennen, der sich<br />

zwar nur mit Menschenrechtsfragen befasst, dabei aber Einfluss auf das <strong>Wirtschaftsrecht</strong><br />

n<strong>im</strong>mt. Denken Sie nur an die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Durchsuchung<br />

in einem Unternehmen durchgeführt werden darf, dem kartellrechtswidrige Praktiken<br />

vorgeworfen werden. Hier hat sich das Problem gestellt, ob das Recht auf Schutz der<br />

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Privatheit der Wohnung zum Tragen kommt. Ganz wichtig ist sodann der WTO Appellate<br />

Body, die obere Instanz der Welthandelsorganisation. Es handelt sich um ein besonders<br />

ausgeprägtes Beispiel der Ersetzung des diplomatischen Konfliktlösungsmodells durch ein<br />

Gericht, diesmal ein globales Gericht.<br />

III. Gründe<br />

Warum ist das internationale <strong>Wirtschaftsrecht</strong> in den letzten Jahrzehnten in einem Masse<br />

justizialisiert worden, das früher kaum vorstellbar gewesen wäre? Wenn wir den auf<br />

das Jahr 1922 zurückgehenden Internationalen Gerichtshof beiseite lassen, so kann man<br />

sagen, dass es v. a. der Siegeszug der Marktwirtschaft war, der zur Schaffung internationaler<br />

Gerichte geführt hat. In der europäischen Integration hat sich die Marktwirtschaft<br />

<strong>im</strong> Grundsatz schon seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts durchgesetzt. Ich erinnere<br />

mich, dass in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Frage diskutiert wurde,<br />

ob Portugal, das nach der Revolution der Nelken dem Sozialismus zuzuneigen schien,<br />

überhaupt einer Gemeinschaft beitreten konnte, die auf Grundfreiheiten und auf Wettbewerbsfreiheit<br />

beruht. Nach dem Fall der Berliner Mauer haben auch die ehemals<br />

kommunistischen Staaten Osteuropas das marktwirtschaftliche Modell übernommen.<br />

Hinzu kommt, v. a. seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, der Siegeszug<br />

des Freihandels und der Menschenrechte. Alle diese Entwicklungen stellen das<br />

Individuum ins Zentrum. Mit Individuum meine ich sowohl den einzelnen Bürger als auch<br />

den Wirtschaftsakteur, das Unternehmen. Und den Wirtschaftsakteuren und den individuellen<br />

Bürgern ist wohl mit <strong>Gerichten</strong> besser gedient, als wenn sie sich nur an Regierungen<br />

wenden und um Problemlösung auf diplomatischem Weg bitten können. Das gilt<br />

jedenfalls dann, wenn Einzelne und Unternehmen direkten Zugang zu den <strong>internationalen</strong><br />

<strong>Gerichten</strong> haben, wie es in Europa der Fall ist. Umgekehrt blieb den betroffenen<br />

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Schweizer Unternehmen einzig der Gang nach Bern, als die EU <strong>im</strong> Frühling dieses Jahres<br />

ankündigte, sie werde auf Waren mit EU-Ursprung, die in die Schweiz exportiert und<br />

unverarbeitet in die EU zurückexportiert werden, künftig Zoll erheben. Das Problem konnte<br />

unter dem Freihandelsabkommen EU-Schweiz nur auf dem diplomatischen Wege<br />

gelöst werden.<br />

IV. Merkmale internationaler Gerichtshöfe<br />

Damit komme ich zur Frage, welche Elemente vorliegen müssen, damit ein Organ als<br />

internationaler Gerichtshof bezeichnet werden kann. Ich schicke voraus, dass das <strong>im</strong>mer<br />

vor dem Hintergrund dessen zu sehen ist, was historisch vorher da war: des diplomatischen<br />

Konfliktlösungsmodells.<br />

• Permanenz bedeutet, dass ein Gerichtshof nicht erst aus Anlass eines konkreten Falles<br />

gebildet wird, sondern laufend angerufen werden kann. Das ist bei allen in Rede stehenden<br />

Instanzen der Fall. Auch der EFTA-Gerichtshof ist ein permanenter Gerichtshof.<br />

Er wird also nicht erst einberufen, wenn ein Fall eingegangen ist, anders als ein<br />

Schiedsgericht.<br />

• Entscheidungspflicht heisst, dass ein internationaler Gerichtshof einen Fall nicht ohne<br />

Entscheidung abschliessen kann. Das Argument, man habe sich nicht einigen können,<br />

gibt es nicht.<br />

• <strong>Die</strong> Anwendung vorbestehender Regeln ist ein sehr wichtiges Strukturmerkmal.<br />

<strong>Die</strong> Rechts- und Beweisvorschriften werden nicht ad hoc, d. h. für den konkreten Fall,<br />

festgelegt, sondern sie haben schon <strong>im</strong> Voraus bestanden.<br />

• Transparenz bedeutet, dass die Verhandlung und die Urteilsverkündung öffentlich<br />

sind. Zwischen den einzelnen <strong>internationalen</strong> Gerichtshöfen bestehen insoweit<br />

erhebliche Unterschiede.<br />

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• <strong>Die</strong> Begründungspflicht ist ein ganz zentraler Punkt. <strong>Die</strong> französische Tradition<br />

kennt eine Pflicht zur Begründung <strong>von</strong> Gerichtsurteilen nicht. Vom angelsächsischen<br />

Raum her, aber auch unter deutschem Einfluss, stehen internationale Gerichte heute<br />

unter einem Druck, ihre Entscheidungen umfassend zu begründen und v. a. die wahren<br />

Motive der Urteilsfindung anzugeben. Sicher ist das da und dort <strong>im</strong>mer noch verbesserbar.<br />

<strong>Die</strong> Qualität der Begründung leidet zum Teil auch darunter, dass internationale<br />

Gerichtshöfe überlastet sind.<br />

• <strong>Die</strong> Beachtung <strong>von</strong> Präjudizien schafft Rechtssicherheit und damit für die Unternehmen<br />

Planungssicherheit. Ein internationaler Gerichtshof wird also auf seine eigenen<br />

früheren Urteile Bezug nehmen, seine eigenen Präjudizien berücksichtigen. Ich will<br />

nicht in eine Diskussion darüber eintreten, ob das angelsächsische Präjudiziensystem<br />

in Europa gilt, sondern mich auf die Feststellung beschränken, dass das europäische<br />

Modell dem angelsächsischen nahe kommt. Auch der WTO Appellate Body verfährt<br />

entsprechend. Das heisst nicht, dass ein internationales Gericht nicht <strong>von</strong> seiner<br />

früheren Spruchpraxis abweichen darf. Wenn aber abgewichen wird, d. h. die Praxis<br />

ändert, so muss man das begründen.<br />

• Ganz wichtig ist der Anspruch auf ein faires Verfahren. In pluralistischen Gesellschaften<br />

ist es schwierig, sich in abstrakter Weise darauf zu einigen, was gerecht ist.<br />

Umso wichtiger wird die Figur der Gerechtigkeit durch Verfahren.<br />

• Entscheidungen werden vor allem in der EU und <strong>im</strong> EWR <strong>von</strong> den Adressaten<br />

umgesetzt.<br />

Wenn man diese Merkmale mit denen des diplomatischen Konfliktlösungsmodells vergleicht,<br />

so stellt man mühelos fest, dass das Gerichtsmodell jedenfalls <strong>im</strong> <strong>Wirtschaftsrecht</strong><br />

überlegen ist.<br />

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V. Grade der Justizialisierung <strong>internationalen</strong> Rechts<br />

Auch soweit das internationale Recht justizialisiert ist, bestehen freilich Unterschiede<br />

des Masses zwischen den einzelnen <strong>internationalen</strong> Verbänden. Zunächst ist der Zugang<br />

zur Justiz verschieden geregelt. Er ist nirgends so hoch wie in der Europäischen Union,<br />

<strong>im</strong> Europäischen Wirtschaftsraum und nach der Europäischen Menschenrechtskonvention,<br />

wo Private und Wirtschaftsakteure weitgehende Klagerechte haben. Bei der WTO haben<br />

sie das nicht. Wenn ein Unternehmen ein WTO-Problem hat, kann es nur seine Regierung<br />

lobbyieren mit dem Ziel, diese zu veranlassen, ein Verfahren in Gang zu setzen. Ob das<br />

geschieht, hängt neben der Grösse der betroffenen Unternehmen <strong>von</strong> politischen Erwägungen<br />

ab. Überdies ist die Transparenz nicht überall gleich. Be<strong>im</strong> WTO Appellate Body<br />

zum Beispiel gibt es gar keine Transparenz. <strong>Die</strong> Verfahren finden hinter verschlossenen<br />

Türen statt, nur die Richter und die Parteien befinden sich <strong>im</strong> Gerichtssaal. Be<strong>im</strong> EuGH<br />

und be<strong>im</strong> EFTA-Gerichtshof ist die Transparenz dagegen hoch. Ganz wichtig ist schliesslich<br />

<strong>im</strong> Gemeinschaftsrecht die Direktwirkung. Das heisst, dass Private und Wirtschaftsakteure<br />

unter best<strong>im</strong>mten Voraussetzungen das Recht haben, sich vor nationalen <strong>Gerichten</strong> auf<br />

Gemeinschaftsrecht zu berufen. Das gilt auch in Liechtenstein in Bezug auf das EWR-Recht.<br />

Der Vorsitzende des Verwaltungsgerichtshofs, der ehemaligen Verwaltungsbeschwerdeinstanz,<br />

sagt ganz offen, dass eine liechtensteinische Regelung, die <strong>im</strong> Widerspruch zu<br />

einer EWR-Vorschrift steht, unangewendet bleibt (Andreas Batliner, <strong>Die</strong> Anwendung des<br />

EWR-Rechts durch liechtensteinische Gerichte – Erfahrungen eines Richters, erscheint<br />

in LJZ 2004). Direkt wirksame Vorschriften des Gemeinschaftsrechts haben Vorrang<br />

vor konfligierenden Best<strong>im</strong>mungen des nationalen Rechts. Im EWR-Recht gilt Ähnliches.<br />

<strong>Die</strong> Europäische Menschenrechtskonvention kennt Direktwirkung und Vorrang hingegen<br />

ebenso wenig wie die WTO-Abkommen. Schliesslich besteht sowohl <strong>im</strong> EU-Recht als<br />

auch <strong>im</strong> EWR-Recht Staatshaftung. Danach haben die Mitgliedstaaten der Europäischen<br />

Union, aber auch die Mitgliedstaaten der EWR/EFTA, Privaten und Wirtschaftsakteuren<br />

wirtschaftsfragen heft 36 | vp bank | seite 15


unter best<strong>im</strong>mten Voraussetzungen den Schaden zu ersetzen, den sie ihnen dadurch verursachen,<br />

dass sie das Europäische Recht verletzen. Einen Staatshaftungsanspruch gibt es –<br />

in ein wenig veränderter Form – auch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention.<br />

VI. Legalisierung internationaler Gerichte vs. Politisierung<br />

Neben der Feststellung, dass es verschiedene Grade der Justizialisierung gibt, muss man<br />

auch sagen, dass internationale Gerichte nicht <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> gleichen Masse legalisiert sind.<br />

In vielen Fällen gibt es nach wie vor (versuchte) politische Einflussnahme. Ich habe<br />

mit Herrn Dr. Kleinert be<strong>im</strong> Abendessen darüber gesprochen, dass der amerikanische<br />

Präsident Franklin D. Roosevelt in den 30er Jahren (erfolglos) versucht hat, den Supreme<br />

Court mit Richtern zu besetzen, die der Idee des New Deal verpflichtet waren. Auf Einzelheiten<br />

kommt es hier nicht an. Das Bestreben <strong>von</strong> Regierungen, mit Hilfe der Nominierung<br />

verlässlicher Richter Einfluss auf die Rechtsprechung zu nehmen, ist aber vereinzelt<br />

auch in Europa zu beobachten. Dahinter steht die Hoffnung, der Richter oder die Richterin<br />

werde sich in kritischen Fällen daran erinnern, wem er/sie sein/ihr hohes Amt verdankt.<br />

Ich darf sagen, dass Liechtenstein ein leuchtendes Vorbild dafür ist, dass so etwas nicht<br />

getan wird. Andere Staaten will ich hier nicht erwähnen. Ich will aber beifügen, Hans<br />

Brunhart, dass ich natürlich ein Freund Liechtensteins bin. Aber dem liechtensteinischen<br />

Interesse ist am besten gedient, wenn der EFTA-Gerichtshof glaubwürdig judiziert<br />

und damit seinen Beitrag zur Sicherung der Homogenität <strong>im</strong> EWR als Ganzes leistet.<br />

Denn Homogenität führt auch zu Reziprozität: Der EWR bewirkt nicht nur, dass die EFTA-<br />

Staaten ihre Grenzen für Waren, Personen und Gesellschaften, <strong>Die</strong>nstleistungen und<br />

Kapital aus der EU öffnen. Gerade in den letzten Jahren hat sich verstärkt gezeigt, dass<br />

EFTA-Akteure auch entsprechende Chancen bzw. Rechte in den EU-Staaten haben.<br />

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C. Regionale Gerichte<br />

I. EuGH und EuG<br />

<strong>Die</strong> wichtigsten Beispiele regionaler Gerichte finden sich in Europa. Ich beginne mit dem<br />

Europäischen Gerichtshof. <strong>Die</strong> EU ist an sich keine internationale Gemeinschaft mehr,<br />

sondern eine supranationale, weil sehr viel Souveränität auf die EU-Organe übertragen<br />

worden ist. Aber das spielt in unserem Zusammenhang keine <strong>Rolle</strong>. Der EuGH ist das<br />

wichtigste internationale (bzw. supranationale) Gericht, ein Vorbild weltweit für die<br />

Justizialisierung des Rechts. <strong>Die</strong> Transparenz ist hoch, die Verhandlungen sind öffentlich,<br />

Private und Unternehmen haben breiten Zugang, <strong>im</strong> Gemeinschaftsrecht gelten,<br />

wie gesagt, die Prinzipien der Direktwirkung, des Vorrangs und der Staatshaftung.<br />

II. EFTA-GH<br />

Das EWR-Abkommen ist ein internationales Abkommen sui generis, das zwischen einem<br />

klassischen <strong>internationalen</strong> und einem supranationalen Vertrag steht. Das hat bei der Zehnjahresfeier<br />

letzte Woche in Luxemburg eine grosse <strong>Rolle</strong> gespielt, weil die nordischen Staaten<br />

<strong>im</strong> Völkerrecht dem Dualismus anhängen. Sie begreifen internationales Recht als Rechtsmasse,<br />

die vom nationalen Recht scharf zu scheiden ist. Der Gedanke, dass sie einem Verband<br />

angehören, der zumindest supranationale Züge trägt, treibt sie um, weil das angeblich<br />

am Anfang nicht ersichtlich war. Ich halte das weitgehend für einen Streit um Begriffe. Tatsächlich<br />

ist der EFTA-Gerichtshof ein quasi-supranationaler Gerichtshof, das Recht wird in<br />

den EFTA-Staaten weitestgehend direkt angewandt und hat weitestgehend Vorrang vor widersprechendem<br />

nationalem Recht, es besteht Staatshaftung für den Fall, dass ein EFTA-Staat<br />

durch Verletzung <strong>von</strong> EWR-Recht einen Privaten oder ein Unternehmen in qualifizierter Weise<br />

schädigt. <strong>Die</strong> Transparenz ist ebenso hoch wie be<strong>im</strong> EuGH, der Zugang zur Justiz ist gewahrt.<br />

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III. Urteile <strong>von</strong> EuGH und EFTA-GH<br />

Lassen Sie mich das zuletzt Gesagte anhand <strong>von</strong> fünf Fällen illustrieren. Dabei stehen Vorabentscheidungen<br />

<strong>im</strong> Vordergrund, weil hier die Bedeutung der Justizialisierung für den<br />

Schutz der Interessen <strong>von</strong> Einzelnen und Wirtschaftsakteuren besonders augenfällig ist.<br />

EuGH Peter Paul (Rechtssache C-222/-2, Urteil v. 12. 10. 2004, noch nicht in Slg.)<br />

In einem unlängst entschiedenen Fall hat der Europäische Gerichtshof über folgende<br />

Fakten zu befinden gehabt: Ein Deutscher mit Nachnamen Paul hatte Festgeldkonten über<br />

EUR 150'000.– bei einer deutschen Bank. Es gibt eine europäische Einlagensicherungsrichtlinie,<br />

die für den Fall der Nicht-Verfügbarkeit <strong>von</strong> Einlagen best<strong>im</strong>mt, dass die<br />

Gesamtheit der Einlagen eines Einlegers bis zum Betrag <strong>von</strong> EUR 20'000.– abgedeckt ist.<br />

Es kam zu einem Prozess vor dem Landgericht Bonn. <strong>Die</strong>ses entschied, dass Deutschland<br />

die Richtlinie verspätet ins deutsche Recht umgesetzt hatte, dass das ein qualifizierter<br />

Verstoss gegen das Gemeinschaftsrecht ist und dass Deutschland deswegen Herrn Paul<br />

die EUR 20'000.– ersetzen muss, die ihm dadurch entgangen sind, dass das Einlagensicherungssystem<br />

nicht bestanden hat, weil Deutschland diese Richtlinie nicht rechtzeitig<br />

umgesetzt hatte. Der Kläger war aber nicht zufrieden, er prozessierte bis zum Bundesgerichtshof<br />

und stellte sich auf den Standpunkt, ihm seien nicht nur EUR 20'000.–<br />

abhanden gekommen, sondern EUR 150'000.–, die er <strong>von</strong> der Bundesrepublik Deutschland<br />

forderte. Der Bundesgerichtshof legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung<br />

vor, ob Einleger nach dieser Richtlinie oder nach anderen bankrechtlichen Richtlinien<br />

das Recht haben, <strong>von</strong> der Bankenaufsichtsbehörde die Ergreifung angemessener<br />

Massnahmen zu verlangen, das heisst, ob hier die Bankenaufsichtsbehörde verpflichtet<br />

gewesen wäre, dafür zu sorgen, dass der Kläger den gesamten angelegten Betrag<br />

gesichert bekommt. <strong>Die</strong>se Frage hat der EuGH verneint. Es geht mir nicht so sehr um<br />

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den Fall hier, sondern darum, deutlich zu machen, dass das Vorabentscheidungsverfahren<br />

ein Kooperationssystem darstellt zwischen den nationalen <strong>Gerichten</strong>, die auch Europäisches<br />

Recht anzuwenden haben, und dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.<br />

Es handelt sich um ein sehr wichtiges Verfahren, in dem die Privaten und die Wirtschaftsakteure<br />

ihre Rechte geltend machen können, auch wenn die Entscheidung darüber,<br />

ob der EuGH angerufen wird, be<strong>im</strong> nationalen Gericht liegt.<br />

EFTA-GH Einarsson (Rechtssache E-1/01, 2002 EFTA Ct. Rep., 1)<br />

Ein Beispiel eines Vorabentscheidungsverfahrens <strong>im</strong> EFTA-Pfeiler des EWR ist der Fall<br />

Hördur Einarsson. Herr Einarsson, ein isländischer Bürger, ein bekannter Mann in Island,<br />

zugelassen am Obersten Gerichtshof als Anwalt, hatte sich offenbar seit Jahren geärgert<br />

über ein Gesetz, wonach auf Büchern in fremden Sprachen eine sehr viel höhere<br />

Mehrwertsteuer erhoben wurde als auf Bücher in Isländisch. Für ihn ging es um ein paar<br />

Isländische Kronen. Er hatte einige Bücher in England gekauft und einen Prozess vor<br />

den isländischen <strong>Gerichten</strong> provoziert, weil er diese Regelung abgeschafft haben wollte.<br />

Das isländische Gericht legte dem EFTA-Gerichtshof u. a. die Frage vor, ob eine diskr<strong>im</strong>inierende<br />

Besteuerung vorlag. Diskr<strong>im</strong>inierende Besteuerung ist verboten, <strong>im</strong> EWR wie<br />

in der EU. Der EFTA-Gerichtshof antwortete, dass eine diskr<strong>im</strong>inierende Besteuerung<br />

gegeben war, und gestützt darauf hat das nationale Gericht den Fall entschieden. Island<br />

und Norwegen argumentierten, dass Sprache ein Kulturgut ersten Ranges sei und dass<br />

man einen Weg finden müsse, um den Isländern zu helfen, aber der Gerichtshof sah sich<br />

ausserstande, das zu tun. Wir haben Zust<strong>im</strong>mung gefunden in der Studentenzeitschrift<br />

der University of Iceland, die in einem einseitigen Inserat geschrieben hat, nun seien<br />

die Studierenden endlich in der Lage, englische Bücher, die vor allem in den Naturwissenschaften<br />

gebraucht werden, diskr<strong>im</strong>inierungsfrei zu kaufen.<br />

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EFTA-GH Dr. Pucher (Rechtssache E-2/01, 2002 EFTA Ct. Rep., 4)<br />

Ein dritter Fall, der einigen <strong>von</strong> Ihnen vielleicht bekannt vorkommt, ist der Fall Dr. Pucher.<br />

Dr. Pucher, ein österreichischer Staatsangehöriger, beantragte bei der liechtensteinischen<br />

Regierung die Erteilung einer Bewilligung zur Ausübung der Tätigkeit eines qualifizierten<br />

Verwaltungsrates einer Sitzgesellschaft. <strong>Die</strong> Regierung erteilte einen negativen Bescheid,<br />

weil nach geltendem liechtensteinischem Recht ein dauerhafter Wohnsitz in Liechtenstein<br />

vorausgesetzt war, eine Bedingung, die der Antragsteller nicht erfüllte. Dr. Pucher gelangte<br />

an die Verwaltungsbeschwerdeinstanz, und die legte dem EFTA-Gerichtshof die Frage<br />

nach der Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem EWR-Recht vor. Der EFTA-Gerichtshof<br />

erkannte auf eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit. Gestützt darauf entschied<br />

die Verwaltungsbeschwerdeinstanz den Fall, indem sie das Urteil des EFTA-Gerichtshofes<br />

umsetzte. Auch das ist also ein Anwendungsfall des Kooperationsverfahrens zwischen<br />

nationalen <strong>Gerichten</strong> und europäischen <strong>Gerichten</strong>, das eine Verbindung zwischen den<br />

Privaten und der Europäischen Justiz schafft.<br />

EFTA-GH Fokus Bank (Rechtssache E-1/04, hängig)<br />

Ich erwähne des weiteren einen Fall mit bankwirtschaftlichen Implikationen, in dem das<br />

Urteil <strong>im</strong> November 2004 verkündet wurde. Das norwegische Unternehmenssteuerrecht<br />

enthält Best<strong>im</strong>mungen, wonach Dividenden norwegischer Aktiengesellschaften einer<br />

Steuer <strong>von</strong> 28 Prozent unterliegen. Überdies unterliegen Dividenden <strong>von</strong> Aktionären mit<br />

Wohnsitz <strong>im</strong> Ausland einer Quellensteuer, für die die ausschüttende Gesellschaft haftbar<br />

ist, während Aktionäre mit Wohnsitz in Norwegen <strong>von</strong> dieser Steuer befreit sind. Ein<br />

norwegisches Appellationsgericht legte dem EFTA-Gerichtshof die Frage vor, ob diese<br />

Regelung mit der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 40 EWRA vereinbar ist. Das Urteil ist<br />

in der Pipeline, deshalb kann ich dazu nichts sagen. Norwegen beruft sich auf Doppel-<br />

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esteuerungsabkommen mit Deutschland und mit England und macht geltend, dass<br />

Aktionäre, die scheinbar in Norwegen diskr<strong>im</strong>iniert werden, in ihrem He<strong>im</strong>staat dieses<br />

Geld zurückfordern können.<br />

EFTA-GH EFTA-Überwachungsbehörde ./. Liechtenstein (Rechtssache E-8/04, hängig)<br />

Der letzte Fall, den ich ansprechen will, betrifft eine Direktklage. <strong>Die</strong> EFTA-Überwachungsbehörde<br />

hat Klage gegen Liechtenstein erhoben wegen der Regelung des Art. 25 <strong>im</strong><br />

Bankengesetz, nach dem mindestens ein Mitglied des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung<br />

einer Bank ihren Wohnsitz in Liechtenstein haben müssen. Nach Auffassung<br />

der ESA liegt insoweit eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 31 ERWA<br />

vor. Hans Brunhart kennt natürlich die Problematik. Mehr kann und will ich Ihnen<br />

nicht sagen.<br />

IV. EuMRGH<br />

Gestatten Sie mir ein Wort zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, der seinen Sitz<br />

in Strassburg hat und dem derzeit 46 Richter angehören. Seine Aufgabe ist die Anwendung<br />

der Europäischen Menschenrechtskonvention. <strong>Die</strong> Justizialisierung geht hier weniger<br />

weit als <strong>im</strong> Falle des EuGH und des EFTA-Gerichtshofs. <strong>Die</strong> Transparenz ist nicht ganz<br />

so hoch wie bei den <strong>Gerichten</strong> in Luxemburg. Private haben Zugang zur Justiz, aber es<br />

besteht keine Direktwirkung nach EU-Vorbild. <strong>Die</strong> Umsetzung der Urteile des Europäischen<br />

Menschenrechtsgerichtshofs ist nicht so einfach wie be<strong>im</strong> Europäischen Gerichtshof<br />

oder be<strong>im</strong> EFTA-Gerichtshof. Dort gibt es kaum Befolgungsprobleme, während der<br />

Menschenrechtsgerichtshof vor allem in best<strong>im</strong>mten Staaten, zum Beispiel in der Ukraine,<br />

in der Türkei oder in Moldavien grosse Probleme hat. Deswegen – und das macht offenbar<br />

das Leben ganz spannend – unternehmen die Kollegen des Menschenrechtsgerichts-<br />

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hofs auch field trips, um mit den Regierungen darüber zu sprechen, dass sie gefälligst<br />

die Urteile umsetzen sollten, beispielsweise indem sie einen politischen Häftling aus<br />

der Haft entlassen.<br />

V. Andere regionale Gerichte<br />

Weitere regionale Gerichte, die ich der Vollständigkeit halber nenne, sind etwa der<br />

Inter-Amerikanische Menschenrechtsgerichtshof, der Gerichtshof des Andenpaktes<br />

und der Gerichtshof der Afrikanischen Union sowie der Afrikanische Menschenrechtsgerichtshof.<br />

Neuerdings gibt es auch ein permanentes Gerichtsorgan <strong>im</strong> Mercosur.<br />

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D. Globale Gerichte<br />

I. WTO-Streitbeilegungsmechanismus<br />

<strong>Die</strong> WTO-Streitbeilegung besteht aus drei Phasen: Zunächst wird versucht, Konflikte auf<br />

diplomatischem Weg zu bereinigen. Wenn das nicht gelingt, so wird ein Dreier-Panel,<br />

das heisst ein Ad-hoc-Schiedsgericht, eingesetzt. Gegen den Bericht des Panels kann eine<br />

Partei den WTO Appellate Body anrufen. Panel-Berichte und Berichte des WTO Appellate<br />

Body müssen <strong>von</strong> der Gesamtheit der WTO-Staaten angenommen werden. Sie gelten<br />

aber als angenommen, wenn nicht alle WTO-Staaten dagegen st<strong>im</strong>men. Eine Ablehnung<br />

ist also nur möglich, wenn das siegreiche Land gegen seinen eigenen Sieg st<strong>im</strong>mt.<br />

Der WTO-Streitbeilegungsmechanismus stellt also eine Mischung aus diplomatischen<br />

und justiziellen Elementen dar. Der WTO Appellate Body ist praktisch ein Justizorgan.<br />

Im Blick auf meine einleitenden Bemerkungen muss ich sagen, dass die Amerikaner bei<br />

allen Streitigkeiten, die bisher gelaufen sind, zu diesem globalen Gericht stehen, wahrscheinlich<br />

wiederum, weil sie andernfalls allenfalls Retaliation fürchten müssten. Aber hier<br />

funktioniert das internationale Recht durchaus. Allerdings haben nur Regierungen Zugang,<br />

Private und Unternehmen also nicht. Es gibt auch keine Transparenz und keine Direktwirkung,<br />

das heisst, die WTO-Regeln können nicht vor einem amerikanischen Gericht<br />

angerufen werden und auch nicht vor einem Gericht in der Europäischen Union. Es gibt<br />

zwar in der EU eine Diskussion zu dieser Frage, aber bisher müssen sich Unternehmen<br />

an ihre Regierungen wenden, und die Regierungen wägen dann ab. Wenn der Stahlsektor<br />

in einem Land betroffen ist, so können die entsprechenden Unternehmen das Pech haben,<br />

dass die Regierung grosse Interessen <strong>im</strong> Pharmasektor hat und zum Schluss kommt,<br />

dass sie besser kein Verfahren einleitet, obwohl eine Verletzung des WTO-Rechts vorliegt.<br />

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II. Andere globale Gerichte<br />

Der Ordnung halber weise ich auf der globalen Ebene auch auf den <strong>internationalen</strong><br />

Strafgerichtshof und den Internationalen Seerechtsgerichtshof hin.<br />

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E. Interaktion internationaler Gerichte<br />

Mein letzter Punkt betrifft die Frage, ob die in den letzten 50 Jahren etablierten <strong>internationalen</strong><br />

Gerichtshöfe in irgendeiner Form kooperieren. Das Modewort dafür ist «judicial<br />

dialogue». Dazu muss man sich vor Augen halten, dass internationale Gerichtshöfe<br />

unkoordiniert geschaffen werden – manche sprechen <strong>von</strong> Wildwuchs –, dass aber die<br />

Rechtsprobleme <strong>im</strong> Zuge der Globalisierung und Regionalisierung <strong>von</strong> Wirtschaft und<br />

Gesellschaft <strong>im</strong>mer homogener werden.<br />

I. Angewandte Rechtsvergleichung<br />

Eine freiwillige Zusammenarbeit nationaler Höchstgerichte hat es in Form der angewandten<br />

Rechtsverweichung schon <strong>im</strong>mer gegeben. Das Schweizerische Bundesgericht<br />

wird dafür gerühmt, dass es Lösungen insbesondere aus den Nachbarstaaten heranzieht<br />

und zitiert. Auch der Österreichische Oberste Gerichtshof und der Deutsche Bundesgerichtshof<br />

legen solche Offenheit an den Tag. <strong>Die</strong> angewandte Rechtsvergleichung ist<br />

aber weitgehend unstrukturiert. Ob sie stattfindet, hängt <strong>von</strong> Zufälligkeiten ab, etwa<br />

da<strong>von</strong>, ob ein Richter in einem anderen Land studiert hat oder ob ein Gerichtsschreiber<br />

ein besonderes Interesse an einer ausländischen Lösung hat.<br />

II. Judizieller Dialog in Europa<br />

In Europa haben wir in der Zwischenzeit einen strukturierten Dialog zwischen den<br />

Gerichtshöfen, insbesondere <strong>im</strong> Verhältnis des Europäischen Gerichtshofs zum Europäischen<br />

Menschenrechtsgerichtshof. In rund 100 Fällen hat sich der EuGH dabei auf<br />

Rechtsprechung des Strassburger Menschenrechtsgerichtshofs berufen. Das Europäische<br />

Gemeinschaftsrecht ist daher heute in einem hohen Masse vom Gedanken des<br />

wirtschaftsfragen heft 36 | vp bank | seite 25


Grundrechtsschutzes durchdrungen. Neuere Entscheidungen des EuGH argumentieren<br />

sehr häufig mit Grundrechten. Das wohl wichtigste Beispiel betrifft den Fall Schmidberger<br />

(Rechtssache C-112/00, Urteil v. 6. 12. 2003, noch nicht in Slg.). Dabei ging es um<br />

Folgendes: Sie kennen die Verhältnisse auf der Brenner-Autobahn, die ökologisch höchst<br />

problematisch sind. Umweltschützer kündigten frühzeitig eine Demonstration gegen den<br />

Transitverkehr an, die auf der Autobahn abgehalten werden sollte. <strong>Die</strong> Autobahn musste<br />

dann für 30 Stunden geschlossen werden. Während dieser Zeit konnten keine Waren<br />

zwischen Österreich und Italien transportiert werden. <strong>Die</strong> Warenverkehrsfreiheit war<br />

tangiert, und der Vorwurf stand <strong>im</strong> Raum, dass die österreichische Regierung dadurch,<br />

dass sie die Demonstration duldete, die Warenverkehrsfreiheit des EG-Vertrages verletzte.<br />

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass wenn eine solche Demonstration in einer<br />

solch schwierigen Situation so frühzeitig angekündigt worden ist, geordnet abläuft und<br />

auf 30 Stunden beschränkt ist, die Meinungsäusserungsfreiheit das Übergewicht gegenüber<br />

der Warenverkehrsfreiheit hat. Ein Urteil, das vor 20 Jahren nicht denkbar gewesen<br />

wäre. Obwohl sich der EuGH in Schmidberger nicht auf den Menschenrechtsgerichtshof<br />

bezog, ist klar, dass das Urteil entsprechend inspiriert ist. Umgekehrt macht der vom<br />

EuMRGH entschiedene Fall Pellegrin ./. Frankreich (Rechtssache 28541/95, 1999 ECHR<br />

140, 8. 12. 1999) deutlich, dass der Dialog zwischen dem EuMRGH und dem EuGH keine<br />

Einbahnstrasse darstellt, sondern dass sich der Strassburger Gerichtshof in Einzelfällen in<br />

Luxemburg Anleihen holt. Hier hat sich der Menschenrechtsgerichtshof bei der Definition<br />

dessen, was ein hoheitlicher Beamter ist, an der Rechtsprechung des Europäischen<br />

Gerichtshofs orientiert.<br />

Auch der EFTA-Gerichtshof – und das hat der Vorsitzende angesprochen – n<strong>im</strong>mt teil<br />

an diesem judiziellen Dialog in Europa. Er orientiert sich zwar prinzipiell an der Recht-<br />

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sprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dazu ist er durch besondere Homogenitätsregeln<br />

verhalten. Es gibt aber zahlreiche Fälle, in denen der EFTA-Gerichtshof mit einem<br />

Rechtsproblem zuerst befasst wird. Das hängt zum Teil mit kulturellen Besonderheiten<br />

der EFTA-Staaten zusammen, zum Teil auch damit, dass es bei uns sehr schnell geht.<br />

Be<strong>im</strong> Europäischen Gerichtshof dauert ein Vorabentscheidungsverfahren <strong>im</strong> Schnitt jetzt<br />

zwei Jahre, während es bei uns in sechs Monaten vorüber ist. In solchen Fällen haben der<br />

EuGH und das Gericht erster Instanz ihre Bereitschaft deutlich gemacht, in einen judiziellen<br />

Dialog mit dem EFTA-GH zu treten. Das berühmteste Beispiel solcher Kooperation<br />

ist sicher der Kellogg’s-Fall (Rechtssache E-3/00, EFTA-Überwachungsbehörde ./.<br />

Norwegen, 2001-2002 EFTA Ct. Rep., 73). Kellogg’s ist eine bekannte amerikanische<br />

Herstellerin <strong>von</strong> Cornflakes mit einer Tochtergesellschaft in Dänemark. <strong>Die</strong>se Tochtergesellschaft<br />

vertreibt die Cornflakes in ganz Europa. <strong>Die</strong> Cornflakes sind mit Vitaminen<br />

und Eisen fortifiziert. In allen EWR-Staaten mit Ausnahme <strong>von</strong> Norwegen konnten die<br />

Kellogg’s Cornflakes frei verkauft werden. <strong>Die</strong> norwegische Regierung verbot den<br />

Vertrieb mit der Begründung, es sei nicht auszuschliessen, dass gewisse Bevölkerungsgruppen<br />

infolge der zusätzlichen unkontrollierten Einnahme <strong>von</strong> Vitaminen und Eisen<br />

gesundheitlich gefährdet würden. Ein nicht unproblematischer Fall, nachdem die Verbraucher<br />

in den anderen damals 17 EWR-Staaten das <strong>im</strong>mer ungehindert zu sich genommen<br />

haben. Aber dahinter stand noch etwas anderes, das hat auch die norwegische<br />

Regierung durchblicken lassen: Sie wollte ein Präjudiz erwirken für den Fall, dass GMOs<br />

(Genetically Modified Organisms) auf den norwegischen Markt geworfen würden.<br />

Hier hat der EFTA-Gerichtshof Neuland betreten. Er hat zunächst das Bedürfnisargument<br />

der Norweger abgelehnt. <strong>Die</strong> norwegische Regierung hatte argumentiert, es gebe in<br />

Norwegen kein Ernährungsbedürfnis für Vitamin und Eisen, weil sie bereits dafür sorge,<br />

dass die norwegische Bevölkerung genügend Vitamine und Eisen zu sich nehme.<br />

wirtschaftsfragen heft 36 | vp bank | seite 27


Insbesondere werde den Schulkindern jeden Morgen ein Stück Käse verabreicht, das mit<br />

Eisen angereichert sei. Das Argument des fehlenden Ernährungsbedürfnisses wurde also<br />

vom EFTA-Gerichtshof nicht akzeptiert. Hingegen wurde zum ersten Mal das Vorsorgeprinzip<br />

anerkannt, das so genannte «precautionary principle». Danach hat eine Regierung<br />

das Recht, den Vertrieb eines Produkts auch dann zu untersagen, wenn zwar keine<br />

absolute Sicherheit darüber besteht, dass das Produkt gefährlich ist, wenn aber ernst<br />

zu nehmende Wissenschaftler in belegbarer Weise eine solche Gefährdung annehmen.<br />

Denken Sie an die BSE-Krise, denken Sie an das, was mit Dioxin gelaufen ist und Ähnliches.<br />

Es gab eine Zeit, in der man sich in einem best<strong>im</strong>mten Mitgliedstaat der Europäischen<br />

Union vor dem Essen nicht mehr «bon appétit» gewünscht hat, sondern «bonne chance».<br />

Allerdings kann das «precautionary principle» nur unter relativ engen Voraussetzungen<br />

angerufen werden. Entsprechende Massnahmen müssen transparent, nicht-diskr<strong>im</strong>inierend,<br />

verhältnismässig und mit anderen Massnahmen konsistent sein. Im konkreten<br />

Fall fehlte es wegen der Abgabe des fortifizierten Käses in der Schule an der Konsistenz.<br />

Der Europäische Gerichtshof und das Gericht erster Instanz haben sich in der Folge in<br />

einer ganzen Reihe <strong>von</strong> Fällen auf den gleichen Standpunkt gestellt: Bei der Frage,<br />

ob Tierfutter, das mit Antibiotika fortifiziert ist, verkauft werden darf (EuG Pfizer An<strong>im</strong>al<br />

Health und Alpharma, Rechtssachen T-13/99 und T-70/99, Slg. 2002, II-3305 und 3495),<br />

<strong>im</strong> Monsanto-Fall, in dem es um die Freisetzung <strong>von</strong> gen-modifiziertem Mais ging<br />

(EuGH Monsanto Agricoltura Italia SpA u. a. ./. Presidenza del Consiglio die Ministri<br />

u. a., Rechtssache C-236/01, Urteil v. 9. 9. 2003, noch nicht in Slg.), <strong>im</strong> Fall Kommission<br />

gegen Dänemark, indem es ebenfalls um fortifizierte Lebensmittel ging (EuGH Rechtssache<br />

C-192/01, Urteil v. 23. 9. 2003), ebenso in Greenham und Abel (EuGH Rechtssache<br />

C-95/01, Urteil v. 5. 2. 2004). Entscheidende Bedeutung hatte das Urteil des EuGH in<br />

Kommission gegen Dänemark. Darin ist der EuGH dem EFTA-GH auf der ganzen<br />

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Linie gefolgt und zwar entgegen den Schlussanträgen seines Generalanwalts. Wichtig ist<br />

sodann der Fall Bellio Fratelli (Rechtssache C-286/02, Urteil v. 1. 4. 2004, noch nicht in<br />

Slg.). Zu diesem Urteil des EuGH darf ich vielleicht noch etwas sagen, weil das ein Parallelfall<br />

zum liechtensteinischen Ospelt-Fall (Rechtssache C-452/01, Urteil v. 23. 9. 2003,<br />

noch nicht in Slg.) ist. In Ospelt hat sich eine EFTA-Bürgerin vor einem nationalen Gericht<br />

eines EU-Mitgliedstaates auf das EWR-Abkommen berufen, in Bellio Fratelli tat dies ein<br />

norwegisches Unternehmen in Italien, vor dem Distriktsgericht <strong>von</strong> Treviso. In beiden<br />

Fällen legte das nationale Gericht dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor, und der<br />

EuGH machte deutlich, dass das EWRA auf dem Reziprozitätsgrundsatz fusst. In Bellio<br />

hatte ein norwegisches Unternehmen eine Partie Fischmehl nach Italien geschickt. Eine<br />

Stichprobe hatte ergeben, dass <strong>im</strong> Container auch Rückstände <strong>von</strong> tierischem Knochenmehl<br />

waren, weswegen das Fischmehl beschlagnahmt wurde. <strong>Die</strong>se Massnahme zielte<br />

auf die Bekämpfung <strong>von</strong> BSE ab. Im Gegensatz zu Frau Ospelt ist es für das norwegische<br />

Unternehmen schlecht ausgegangen, aber das ist für das gute Funktionieren des EWR<br />

nicht entscheidend. Wichtig ist, dass der EuGH ein weiteres Mal bestätigt hat, dass sich<br />

Einzelne und Wirtschaftsakteure vor den <strong>Gerichten</strong> der EU-Staaten auf das EWR-Recht<br />

berufen können und dass <strong>von</strong> dort der Weg zum EuGH über das Vorabentscheidungsverfahren<br />

offen steht.<br />

Schliesslich weise ich auf das Verhältnis EFTA-Gerichtshof – Europäischer Menschenrechtsgerichtshof<br />

hin. Der wichtigste Fall war insoweit der Bacalhao-Fall (Rechtssache E-2/03,<br />

2003 Rep. EFTA Ct., 185). Schiffe, die nicht unter isländischer Flagge fuhren, hatten<br />

Kabeljau gefangen vor der Küste Alaskas und vor der russischen Küste, hatten diesen<br />

Fisch verarbeitet und dann nach Portugal, Italien, Spanien und weiteren Destinationsländern<br />

als isländischen Bacalhao verkauft. In Island wurde deshalb ein Strafverfahren eröffnet.<br />

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<strong>Die</strong> Frage, ob es sich um isländischen Fisch handelte, war schnell beantwortet. Ein solcher<br />

Fisch erlangt dadurch, dass man ihm den Kopf abschneidet, die Gräten herausn<strong>im</strong>mt und<br />

ihn salzt und tr<strong>im</strong>mt, keinen isländischen Ursprung. Interessanter war, dass einer der<br />

Angeklagten argumentierte, die Vorlage an den EFTA-Gerichtshof verletzte seinen<br />

Anspruch auf ein faires Verfahren in angemessener Zeit nach Art. 6 (1) der Europäischen<br />

Menschenrechtskonvention. <strong>Die</strong> Vorlage be<strong>im</strong> EFTA-Gerichtshof führe<br />

zu einer Verzögerung des Falles in Island. Der EFTA-Gerichtshof stellte fest, dass das<br />

EWR-Recht <strong>im</strong> Lichte der Grundrechte auszulegen ist und dass die EMRK und die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs dabei wichtige Anhaltspunkte<br />

bilden. Einen Verstoss gegen Art. 6 (1) EMRK verneinte der EFTA-Gerichtshof<br />

aber unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuMRGH.<br />

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F. Schluss<br />

Zusammenfassend weise ich darauf hin, dass internationales Recht traditionell und auch<br />

heute noch in hohem Masse <strong>von</strong> nationalen <strong>Gerichten</strong> angewandt wird. Daneben spielen<br />

die Diplomatie und Ad-hoc-Schiedsgerichte eine grosse <strong>Rolle</strong>. <strong>Die</strong> Justizialisierung kann<br />

man fast ein wenig als europäische Spezialität bezeichnen. Sie ist zwar nicht nur in Europa<br />

anzutreffen, aber sie ist nirgends so hoch entwickelt, wie in der Europäischen Union,<br />

<strong>im</strong> Europäischen Wirtschaftsraum und nach der Europäischen Menschenrechtskonvention.<br />

Das gibt den Einzelnen und den Wirtschaftsakteuren eine ganz andere Position als<br />

wenn sie nur Regierungen lobbyieren können mit der Bitte, bei Verletzungen der eigenen<br />

Interessen und der eigenen Rechte tätig zu werden. Das ist einer der grossen Fortschritte,<br />

die sich für Liechtenstein aus der Teilnahme am EWR ergeben haben. <strong>Die</strong> damit verbundene<br />

Justizialisierung ist nicht auf die drei EFTA-Staaten beschränkt, die <strong>im</strong> EWR mitmachen,<br />

sondern bezieht die 25 EU-Staaten ein. Wir haben jetzt jedes Jahr mehrere Fälle<br />

gesehen, in denen Akteure aus den drei EFTA-Staaten ihr Recht verfolgen vor deutschen<br />

<strong>Gerichten</strong>, vor italienischen <strong>Gerichten</strong>, vor belgischen <strong>Gerichten</strong> usw. Dabei orientiert<br />

sich der EuGH, dem solche Fälle oft vorgelegt werden, an der Rechtsprechung des EFTA-<br />

GH. Ich glaube, das ist ein qualitativer Fortschritt, welcher der Schweiz, die nicht am EWR<br />

teiln<strong>im</strong>mt, bislang versagt geblieben ist. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

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Diskussion<br />

Als Präsident des Verwaltungsrates danke ich Herrn Professor Baudenbacher herzlich für<br />

seine Ausführungen. Er hat sich zur Verfügung gestellt für eine Diskussion. Wir haben<br />

alle den Eindruck erhalten, dass die Tätigkeit an diesem Gerichtshof nicht eine Tätigkeit<br />

über den Wolken ist, sondern eine Tätigkeit, die sehr stark ins praktische Leben, nicht nur<br />

in die Geschäftstätigkeit und Ökonomie, sondern auch in die Menschenrechte greift, viele<br />

Fragen ergeben, und ich möchte Sie bitten, diese zu stellen. Herr Professor Baudenbacher<br />

fürchtet sich auch nicht vor Widerspruch.<br />

Ich habe ihn vor ungefähr 14 Jahren hier <strong>im</strong> Saal kennen gelernt. <strong>Die</strong> Regierung hat ihn<br />

<strong>im</strong> Jahre 1991 als Gutachter für die EWR-Verhandlungen engagiert. Kritisch – und ich<br />

glaube, dass es interessant ist, dies heute festzustellen – war die Diskussion mit<br />

Treuhändern und Banken, und man hat sich natürlich gefragt, welchen Professor man diesen<br />

Verbänden präsentieren kann, um über umstrittene Fragen zu informieren. Ich glaube,<br />

das war eine der wichtigsten Veranstaltungen vor der EWR-Abst<strong>im</strong>mung, weil<br />

Professor Baudenbacher die Probleme mit grosser Kompetenz dargelegt hat. Professor<br />

Dr. Carl Baudenbacher ist dann ja auch aufgrund eines Wortes berühmt geworden in<br />

Liechtenstein. Heute wird jedes Jahr das «Wort des Jahres» gewählt <strong>im</strong> deutschen Sprachraum.<br />

Im Jahre 1991 oder 1992 wäre es in Liechtenstein best<strong>im</strong>mt das Wort «Untiefen»<br />

gewesen, das Herr Baudenbacher damals verwendet hat zur Freude vor allem derjenigen,<br />

die damals das Gefühl hatten, der Beitritt zum EWR wäre doch keine gute Idee. Aber ich<br />

möchte Sie nun einladen, Ihre Fragen an Herrn Professor Baudenbacher zu stellen.<br />

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Herr Baudenbacher, der Titel Ihres Referats bezieht sich auf «internationales <strong>Wirtschaftsrecht</strong>».<br />

Nun ist es ja unstreitig so, dass die Rechtssprechung der europäischen<br />

Gerichtshöfe zu einem grösseren Wettbewerb geführt hat: keine Wohnsitzerfordernisse<br />

usw. Es wurden also vermeintlich gleiche Spiesse geschaffen. Besteht heute<br />

nicht die Gefahr, dass durch eine willkürliche Anwendung oder Kr<strong>im</strong>inalisierung <strong>von</strong><br />

grossen Teilen des <strong>Wirtschaftsrecht</strong>s diese gleichen Spiesse völlig aufgehoben werden?<br />

Professor Samson hat in einem Gutachten, das nicht veröffentlicht ist und in<br />

einem Sonntagsblatt zitiert wurde, angedeutet, dass die reine Entgegennahme <strong>von</strong><br />

Geldern in Deutschland Geldwäschetatbestand sein könnte, also nicht nur mögliche<br />

Beihilfe zur Steuerhinterziehung, sondern auch Geldwäschetatbestand. Nun hat Herr<br />

Roth – so wird zumindest zitiert – gesagt, das könnte mit den Bilateralen II nicht vereinbar<br />

sein. Das habe ich jetzt überhaupt nicht verstanden. Sorgfaltspflicht ist ein Teil,<br />

Patentrecht, unlauterer Wettbewerb, es gibt heute kein Gebiet mehr des <strong>Wirtschaftsrecht</strong>s,<br />

das nicht unterschiedlich kr<strong>im</strong>inalisiert wird in den einzelnen Mitgliedstaaten.<br />

Gibt es da irgendwann einmal ein einheitliches Strafrecht oder wie sehen Sie diese<br />

Entwicklung?<br />

<strong>Die</strong> Tendenz geht <strong>von</strong> den USA aus, ganz klar, die Kr<strong>im</strong>inalisierung des <strong>Wirtschaftsrecht</strong>s<br />

hat in den USA ganz früh eingesetzt. In den USA gehen Manager, die sich an harten<br />

Kartellabsprachen beteiligt haben, also bei horizontalem Preisfixing, unter Umständen ins<br />

Gefängnis. Das hat sich lange Zeit auf die Amerikaner beschränkt, und man hat <strong>im</strong>mer<br />

gewerweisst, wer der erste Nicht-Amerikaner sein wird. <strong>Die</strong> amerikanischen Kartellwächter<br />

haben hinter vorgehaltener Hand gesagt, wir wollen mal einen Japaner einsperren, weil<br />

die ihre Preise absprechen, ohne dass wir das so richtig aufdecken können, aber wir<br />

haben sie in Verdacht. Aber sie wissen, wer die Ersten gewesen sind, die marschiert sind,<br />

das waren Schweizer und Deutsche. Im Zusammenhang mit dem Vitamin-Kartell, drei,<br />

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vier, fünf Monate. Es ist nicht alles wahr, was in Hollywood gezeigt wird, aber so wie die<br />

amerikanischen Gefängnisse da dargestellt werden, handelt es sich vielleicht nicht gerade<br />

um Paradiese. Auch bei der Geldwäscherei kommt der Druck aus den USA, wie ja überhaupt<br />

die Geldwäscherei als Straftatbestand eine amerikanische Erfindung ist. Bei uns<br />

hat <strong>im</strong>mer der römisch-rechtliche Grundsatz gegolten «pecunia non olet». Hier wird ein<br />

unilateraler Rechtsexport vorgenommen, dem wir uns schwer entziehen können. Ich gehe<br />

da<strong>von</strong> aus, dass das in mehr und mehr Gebieten des <strong>Wirtschaftsrecht</strong>s kommen wird.<br />

Dass wir in der Schweiz dieses Jahr ein Unternehmensstrafrecht in Kraft gesetzt haben,<br />

ist ein weiteres Beispiel. Es ist zurzeit noch ein Fleckenteppich, aber ich sehe die Entwicklung<br />

in diese Richtung. Es wird <strong>im</strong>mer ungemütlicher, das ist schon klar.<br />

Glauben Sie, dass das Wirtschaftsstrafrecht schlussendlich auch internationalisiert<br />

wird <strong>im</strong> Sinne eines gleichen Wettbewerbs, oder wird die nationale Ausgestaltung<br />

des Strafrechts dazu führen, dass die positiven Effekte eines erhöhten Wettbewerbs<br />

schlussendlich wieder zunichte gemacht werden?<br />

Wenn es nicht harmonisiert ist, dann haben wir ein «race to the bottom» oder «to the<br />

top», wie man’s n<strong>im</strong>mt. Das ist eigentlich das, was man in der EU nie hat haben wollen. In<br />

der EU hat man <strong>im</strong>mer gesagt, wir wollen keine Standortvorteile einzelner Länder gestützt<br />

auf Rechtsnormen, wir wollen nur wirtschaftliche Standortvorteile. Deswegen haben die<br />

Europäer ja eine Harmonisierungspolitik entwickelt. Im Grunde genommen müsste man<br />

sagen, man kann es <strong>von</strong> zwei Seiten anschauen: Wenn sie ein bisschen unter dem allgemeinen<br />

Niveau bleiben können mit der Strafbarkeit <strong>im</strong> eigenen Land, haben sie vielleicht<br />

noch einen Wettbewerbsvorteil; auf der anderen Seite, wenn andere Staaten dann den<br />

Grundsatz der Extraterritorialität sehr weit auslegen, der ja historisch ein strafrechtlicher<br />

Grundsatz ist, dann sind sie trotzdem dran. Vielleicht werden wir hier eines Tages zu<br />

weitergehenden Harmonisierungen kommen.<br />

seite 34 | vp bank | wirtschaftsfragen heft 36


Frage zu den Bilateralen der Schweiz: Sie haben am Schluss gesagt, Herr Professor<br />

Baudenbacher, dass Liechtenstein in einer besseren Position ist – wenn ich ”besser” in<br />

Anführungszeichen setzen darf – als die Schweiz mit den Bilateralen. Aber mit den<br />

Bilateralen hat die Schweiz doch auch die Möglichkeit, z. B. an den Europäischen<br />

Gerichtshof zu gelangen, was die einzelnen Dossiers anbetrifft.<br />

Ja, das ist gerade der Beleg dafür, dass ich Recht habe. Stellen Sie sich mal das vor,<br />

was es bedeutet, dass die Schweiz die Möglichkeit hat, an den Europäischen Gerichtshof<br />

zu gelangen. Das ist der Abschied <strong>von</strong> der vielgepriesenen Souveränität, das sind die<br />

fremden Richter in «opt<strong>im</strong>a forma». Im EuGH sitzt nämlich kein Schweizer, während <strong>im</strong><br />

EFTA-Gerichtshof ein Liechtensteiner sitzt, der bin ich. Das sind fremde Richter, soweit ist<br />

es gekommen mit dem Bilateralismus, das muss man einmal ganz deutlich sagen. Ich habe<br />

nie diese Aversion gehabt gegen fremde Richter, aber die Integrationsgegner in der<br />

Schweiz haben ja <strong>im</strong>mer gesagt: «Wir können keinen Integrationsschritt machen, weil wir<br />

uns dann fremden Richtern unterwerfen.» Und jetzt sind die fremden Richter da. Es ist<br />

nämlich ein Verfahren hängig in Luxemburg in Sachen Flughafen Zürich. Da zieht der<br />

Schweizerische Bundesrat vor den Europäischen Gerichtshof, es sitzt aber kein Schweizer<br />

da. Deswegen sage ich, die liechtensteinische ist auch souveränitätspolitisch die gesündere<br />

Lösung.<br />

wirtschaftsfragen heft 36 | vp bank | seite 35


Ich bin ja kein Schweizer und gehöre einem Unternehmen an, welches global tätig<br />

ist. <strong>Die</strong> Mitarbeiter eines Unternehmens mit 360’000 Mitarbeitern fragen sich,<br />

wieso der Vorstandsvorsitzende vor ein amerikanisches Gericht zitiert wird, weil er<br />

in einem Interview etwas gesagt hat, was einem Kläger in den USA veranlasst, eine<br />

Milliardenklage gegen uns zu erheben. Dann wird der Vorstandsvorsitzende dieses<br />

Unternehmens in Amerika vor Gericht zitiert und muss sich <strong>von</strong> einem Einzelrichter<br />

in einer unglaublichen Art und Weise befragen lassen und stellt dann fest, dass der<br />

Einzelrichter überhaupt keine Ahnung hat, wie ein europäischer Aufsichtsrat aussieht,<br />

wie ein Unternehmen überhaupt geführt wird in Europa oder in Deutschland.<br />

<strong>Die</strong> Emotionen in einem Unternehmen wie dem unsrigen gehen dann soweit, dass<br />

man sagt, was soll die Globalisierung, wenn die Juristerei nicht in der Lage ist, dem<br />

Globalisierungsprozess genüge zu tun. Das war Punkt eins. Punkt zwei: Wir sind in<br />

Südafrika tätig und dort klagen nun amerikanische Anwälte gegen die Apartheidpolitik<br />

und sagen, dass sie damals in die Apartheidpolitik investiert haben, also sind<br />

sie auch sozusagen kr<strong>im</strong>inell angehaucht und werden jetzt zu Schadenersatzzahlungen<br />

herangezogen. Aber diese Gerichte tagen in den USA und befinden über<br />

uns. Irgendwo ist bei uns und bei der Mitarbeiterschaft eine Diskussion <strong>im</strong> Gange.<br />

<strong>Die</strong> sagen, hier st<strong>im</strong>mt doch irgendwo die D<strong>im</strong>ension nicht mehr, und wo ist denn<br />

die Position der europäischen Juristerei, dass sie sich gegen diese amerikanischen<br />

Forderungen nicht wehren, also mehr eine politische als eine juristische Frage.<br />

Es ist vielleicht beides. Ich st<strong>im</strong>me Ihnen zu, es handelt sich um Auswüchse des amerikanischen<br />

Justizsystems, die wir nicht akzeptieren können. Das amerikanische Justizsystem<br />

hat gewisse Eigenschaften wie «punitive damages», wie «pretrial discovery», dass man<br />

also Dokumente <strong>im</strong> Vorfeld eines Prozesses vom Gegner praktisch beliebig herausverlangen<br />

kann, wie die Beteiligung der Anwälte am Prozessgewinn. <strong>Die</strong> Anwälte selber<br />

seite 36 | vp bank | wirtschaftsfragen heft 36


haben deshalb ein genuines Interesse, Prozesse zu generieren, weil sie einen hohen<br />

Prozentsatz des Prozessgewinns am Schluss behalten. Das ist das eine, und das andere<br />

ist, dass es in den USA einige Gesetze gibt, die bewusst extraterritorial angelegt sind.<br />

Das ist also nicht dasselbe wie <strong>im</strong> Kartellrecht, wo man ein Gesetz, das bereits da war,<br />

extraterritorial interpretiert hat. Vielmehr wird ein Gesetz vom Kongress mit extraterritorialer<br />

Stossrichtung erlassen. Das – aus europäischer Sicht – problematischste Gesetz ist<br />

der «Alien Torts Cla<strong>im</strong>s Acts», der <strong>von</strong> 1789 stammt, der ursprünglich eigentlich dem<br />

Schutz amerikanischer Diplomaten <strong>im</strong> Ausland dienen sollte und der nun dazu eingesetzt<br />

wird, die amerikanischen Gerichte zur Beurteilung der Verletzungen <strong>von</strong> Menschenrechten<br />

auf der ganzen Welt zuständig zu erklären. Südafrika ist ein Beispiel, dann nehmen<br />

Sie die Schweizer Banken vor ein paar Jahren. Es gibt noch ein schl<strong>im</strong>meres Gesetz,<br />

das ist der Helms Burton Act <strong>von</strong> 1996. Danach kann jedes Unternehmen, das Geschäfte<br />

macht, welche ein Gebäude in Kuba involvieren, das bis 1959 Amerikanern gehörte,<br />

ins Recht gefasst werden vor einem amerikanischen Gericht. Der Präsident schiebt zwar<br />

die Inkraftsetzung dieses Gesetzes alle sechs Monate auf, aber das Damokles-Schwert ist<br />

da. Auch der Sarbanes Oxley Act, das neue Börsengesetz, ist ein solches Gesetz, das<br />

extraterritoriale Wirkung nicht nur hat, sondern anstrebt. Der berühmte Lord Denning,<br />

der englische Richter, hat einmal in einem Urteil geschrieben: «As a moth is drawn to the<br />

light, so is a litigant to the United States of America, because if he only can get his case<br />

into their courts, he stands to win a fortune». Das ist ein Faktum. Wie kann man sich dagegen<br />

zur Wehr setzen? <strong>Die</strong> Europäische Union ist eigentlich die einzige Macht auf der Welt<br />

zurzeit, die sich gegen so etwas zur Wehr setzen kann. Mit schwierigen Verhandlungen,<br />

mit langwierigen Verhandlungen. Soweit es um «Sarbanes Oxley» geht, fliegt der Generaldirektor<br />

in der Generaldirektion Markt der Europäischen Kommission, Alex Schaub,<br />

der übrigens bei unserem Symposium letztes Jahr hier in Vaduz gesprochen hat, regelmäs-<br />

wirtschaftsfragen heft 36 | vp bank | seite 37


sig nach Washington DC und verhandelt in diesem Bereich, um die Amerikaner da<strong>von</strong><br />

abzubringen, sagen wir mal die schl<strong>im</strong>msten Auswirkungen dieses Gesetzes durchzusetzen.<br />

«Helms Burton» ist vom Präsidenten vor allem auch auf Druck der Europäischen<br />

Union hin ausgesetzt worden und be<strong>im</strong> «Alien Torts Cla<strong>im</strong>s Act» gibt es <strong>im</strong>merhin einen<br />

Lichtblick: Der Supreme Court hat in einer Entscheidung vom 29. Juni dieses Jahres<br />

die Anwendbarkeit dieses Gesetzes ein Stück weit eingeschränkt. Also es bleibt nichts<br />

anderes als zu verhandeln. Irgendwo sind wir natürlich hier an einem Punkt angelangt,<br />

wo die Trennung zwischen <strong>Wirtschaftsrecht</strong>, wo die Europäer auch eine Weltmacht sind,<br />

und anderen Bereichen, wo es auf «fire power» ankommt, wo diese Trennung nicht<br />

mehr ganz spielt. <strong>Die</strong> Amerikaner haben natürlich <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Hinterkopf, dass sie es sind,<br />

die die Feuerkraft haben, aber ich verstehe Ihr Entsetzen.<br />

Dürfte ich Folgendes fragen? Und ich sage auch, dass ich früher Vizepräsident des<br />

Europäischen Parlaments war. Man sagt manchmal, das Europäische Parlament sei<br />

der Integrator bei der Europäischen Gemeinschaft oder die Europäische Kommission<br />

oder der Ministerrat. Meines Erachtens ist das der Hof, der Gerichtshof, denn bei<br />

allen Ihren Beispielen habe ich etwas vermisst, vielleicht habe ich es nicht gehört.<br />

Der Unterschied zwischen dem Gerichtshof der Europäischen Union und anderen<br />

Europäischen <strong>Gerichten</strong> ist, dass, bis jetzt jedenfalls, alle Urteile dieses Gerichtshofs<br />

<strong>von</strong> den Mitgliedstaaten der Europäischen Union <strong>im</strong>mer angewandt worden sind.<br />

Ich habe es gesagt.<br />

seite 38 | vp bank | wirtschaftsfragen heft 36


Aber das ist bei allen anderen <strong>Gerichten</strong> nicht der Fall. Zum Beispiel hat der Hof<br />

sogar über den Ministerrat ein Urteil gefällt be<strong>im</strong> Stabilitätsakt. Meine Frage ist<br />

eigentlich nur: Stellen Sie sich mal vor, dass es zwischen Ihrem Gerichtshof und<br />

dem Hof der Europäischen Union einen Interpretationsunterschied geben würde.<br />

Wie soll dann entschieden werden?<br />

Bei Ihrem ersten Punkt st<strong>im</strong>me ich Ihnen vollkommen zu. Das ist ganz wesentlich, dass<br />

diese Urteile tatsächlich <strong>im</strong>plementiert werden, und zwar <strong>von</strong> Gesetzgebern, <strong>von</strong> Regierungen<br />

und Verwaltungen, <strong>von</strong> nationalen <strong>Gerichten</strong>. Es gibt ganz wenige Ausreisser,<br />

aber das kann man an zwei Händen abzählen. Grundsätzlich ist die Europäische Justiz so<br />

gut verankert in den Völkern, vor allem auch in den Eliten der Mitgliedstaaten, dass das<br />

kein Problem ist. Zweiter Punkt: Konflikt zwischen dem EFTA-Gerichtshof und dem<br />

Europäischen Gerichtshof: Das EWR-Abkommen enthält Homogenitätsregeln, die vorsehen,<br />

dass der EFTA-Gerichtshof dem EuGH folgen soll, aber es sind reine Verhaltensregeln.<br />

Wir halten uns aber daran. In der Hälfte, vielleicht in 60 Prozent der Fälle haben<br />

wir aber Rechtsfragen zu beantworten, zu denen es keine Rechtsprechung des EuGH<br />

gibt. Dann stellt sich die Frage, ob der EuGH uns folgt, hier kann es zum Konflikt kommen.<br />

Wenn es zum Konflikt käme, so wäre die Eröffnung eines Streitbeilegungsverfahrens<br />

möglich. Nun, nachdem wir der viel kleinere Gerichtshof sind, sind wir vorsichtig in solchen<br />

potenziellen Konfliktfällen. Wenn wir also als Erste zu entscheiden haben und nicht<br />

wissen, was die anderen machen werden, sind wir vorsichtig, nehmen grundsätzlich<br />

keine übermässigen Risiken be<strong>im</strong> Ergebnis, aber in der Begründung, da fühlen wir uns<br />

relativ frei. Natürlich kann ich nicht ausschliessen, dass der EFTA-Gerichtshof in einer<br />

Grundsatzfrage auch einmal bewusst einen Alleingang wählen würde. In einem Fall,<br />

einem berühmten Fall, der auf der ganzen Welt diskutiert wird, haben wir ganz klar<br />

anders entschieden.<br />

wirtschaftsfragen heft 36 | vp bank | seite 39


Da ging es um die Frage der <strong>internationalen</strong> Erschöpfung des Markenrechts. Bei der<br />

<strong>internationalen</strong> Erschöpfung des Markenrechts hat der Europäische Gerichtshof meines<br />

Erachtens eine protektionistische Linie eingenommen, die ihm allerdings vom Parlament<br />

ein Stück weit vorgeschrieben wurde. Er hat nämlich gesagt, dass <strong>im</strong> Markenrecht keine<br />

internationale Erschöpfung erlaubt ist. Kein Mitgliedstaat darf also vorsehen, dass Markenware,<br />

die irgendwo in der Welt vom Markeninhaber oder <strong>von</strong> einem Dritten mit dessen<br />

Zust<strong>im</strong>mung in Verkehr gesetzt worden ist, dann frei zirkulieren kann, frei in diesen<br />

Mitgliedstaat eingeführt werden kann. Da haben wir – sieben Monate vor dem EuGH –<br />

das Gegenteil gesagt. Es ist gute alte EFTA-Tradition, den Freihandel hoch zu halten.<br />

Der juristische <strong>Die</strong>nst des Rates wollte hier ein Streitbeilegungsverfahren gegen die EFTA<br />

eröffnen. Aber die Kommission hat die schützende Hand über die EFTA gehalten und<br />

argumentiert, dass die beiden Fälle unterschieden werden können, faktisch und rechtlich.<br />

Faktisch, weil in unserem Fall die Importe aus den USA kamen, während sie <strong>im</strong> EuGH-Fall<br />

aus Österreich stammten, nach Bulgarien exportiert worden waren und dann wieder nach<br />

Österreich zurück <strong>im</strong>portiert, und rechtlich, weil der EWR keine Zollunion ist, sondern<br />

nur eine Freihandelszone, sodass solche Güter, die aus den USA nach Norwegen kommen,<br />

nicht zum weiteren Warenfreiverkehr nach Holland oder nach Deutschland berechtigt<br />

sind. Trotzdem sind wir ein bisschen der Stachel <strong>im</strong> Fleisch des EuGH mit dieser Entscheidung.<br />

Ich freue mich darüber, das darf ich in diesem Kreis sagen.<br />

seite 40 | vp bank | wirtschaftsfragen heft 36


Mich würde Folgendes interessieren: Europa konnte sich bei den Grundrechten sehr<br />

gut ausleben, Amerika hat mehr die wirtschaftlichen Interessen, die <strong>im</strong> Vordergrund<br />

stehen. Wie sehr gefährden heutzutage die Grundrechte des einzelnen Bürgers,<br />

der überall intervenieren kann, zumindest in der Schweiz, die Interessen des wirtschaftlichen<br />

Standorts? Ist es heute nicht so, dass es mehr hinderlich als förderlich<br />

geworden ist?<br />

Ja, das ist natürlich eigentlich nicht eine Frage für einen Richter, sondern eine politische<br />

Frage. Ich höre diese Botschaft schon, und wenn Sie sehen, dass in Zürich kein Stadion<br />

gebaut werden kann für die Europameisterschaft, weil so viele Einsprachen kommen und<br />

so weiter, dann verstehe ich das auch, aber es würde zu weit führen, wenn ich jetzt hier<br />

ein Gegenmodell entwerfen wollte.<br />

Ist man aber in Amerika nicht besser dran als in Europa?<br />

In Amerika ist es nicht so, dass die Grundrechte nicht gelten. <strong>Die</strong> Amerikaner sind<br />

diejenigen gewesen, die für Grundrechte gesorgt haben, als in Europa ganz andere<br />

Reg<strong>im</strong>es geherrscht haben. Sowohl vor 60 Jahren wie vor 20 Jahren, das muss man auch<br />

noch einmal sagen. Dass die Amerikaner gewisse Grundrechte <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

der Todesstrafe anders auslegen, das billige ich zwar nicht, aber das ändert nichts daran,<br />

dass sie eine grosse Grundrechtstradition haben. Ich würde also warnen davor, für einen<br />

Grundrechtsabbau bei uns zu plädieren unter Hinweis darauf, dass andere Wirtschaftsvorteile<br />

haben.<br />

wirtschaftsfragen heft 36 | vp bank | seite 41


Ich möchte auch mehr Bezug darauf nehmen, dass die Amerikaner zwar viel<br />

reden, aber weniger <strong>im</strong>plementieren. Wir reden vielleicht ein bisschen weniger,<br />

<strong>im</strong>plementieren aber sehr schnell, was <strong>von</strong> Übersee kommt. Was <strong>im</strong> Endeffekt<br />

für uns hinderlich ist, bei den anderen ist es einfach nicht <strong>im</strong>plementiert.<br />

Das st<strong>im</strong>mt ein Stück weit, aber wir haben ja oft keine Wahl. Ich erinnere mich an die<br />

70er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als in der Schweiz die Insider-Gesetzgebung und die<br />

Geldwäschegesetzgebung eingeführt wurden, damals rechtskulturell zwei Fremdkörper.<br />

Da konnte man gar nicht anders. Da werden dann eben alle Möglichkeiten des amerikanischen<br />

Justizsystems ausgenutzt, und das spielt wunderbar. <strong>Die</strong> Politiker mischen auch<br />

noch ein wenig mit, aber wenn man sagt, das geht doch nicht, dann verweisen sie auf die<br />

Unabhängigkeit der Gerichte. Wir können hier nicht viel machen. Einzig der Dialog hilft.<br />

Im Übrigen hängen unsere ökonomischen Probleme gerade in den grossen Mitgliedstaaten<br />

der EU nicht damit zusammen, dass wir zuviel Grundrechtsschutz haben, sondern – ich<br />

sage das gerade vor dem Hintergrund meiner Erfahrung in Texas – mit einem fehlenden<br />

Leistungswillen bei gewissen Leuten; Stichworte: kurze Arbeitszeiten, Absentismus<br />

und lange Ferien. Amerikaner haben zwei Wochen Ferien. Hinzu kommt in der EU ein<br />

unseliger aussenhandelspolitischer Protektionismus, der z. B. über den bereits genannten<br />

funktionswidrigen Einsatz des Markenrechts praktiziert wird.<br />

seite 42 | vp bank | wirtschaftsfragen heft 36


Ich möchte, nachdem uns der heutige Abend auch einen gewissen Einblick in das<br />

Seelenleben eines europäischen Richters geben sollte, mit einer kurzen Frage<br />

schliessen: Der EFTA-Gerichtshof befasst sich vor allem mit Fällen aus Liechtenstein,<br />

Island und Norwegen. Wir haben heute schon den Begriff der fremden Richter<br />

genannt, der in der Schweiz gebräuchlich ist. Gibt es Unterschiede in der Akzeptanz<br />

des EFTA-Gerichtshofes in diesen drei Ländern? Also, wie wird der Präsident empfangen?<br />

Wenn er nach Island kommt, ist der Teppich breiter als in Liechtenstein,<br />

oder wie ist das?<br />

In Liechtenstein bin ich mit der Staatsl<strong>im</strong>ousine empfangen worden. Das können die<br />

anderen nicht übertreffen. Ich bin aber auch in Norwegen und Island sehr freundlich aufgenommen<br />

worden, in Island vielleicht noch herzlicher. Dafür gibt es rationale Gründe.<br />

Island ist, ähnlich wie Liechtenstein, bislang da<strong>von</strong> ausgegangen, mit dem EWR eine<br />

nahezu ideale Integrationsform gefunden zu haben. <strong>Die</strong> norwegischen Eliten hadern<br />

dagegen <strong>im</strong>mer noch mit dem Umstand, dass das Land 1992 (zum zweiten Mal) einen<br />

EU-Beitritt abgelehnt hat. Man sieht zwar, dass das EWR-Abkommen wirtschaftlich<br />

sehr vorteilhaft ist, aber politisch hält sich die Begeisterung gerade in den Ministerien in<br />

Grenzen. Dafür muss man einerseits Verständnis aufbringen. Andererseits gilt auch für<br />

das EWR-Abkommen der Grundsatz «pacta sunt servanda».<br />

wirtschaftsfragen heft 36 | vp bank | seite 43


Prof.Dr.Carl Baudenbacher<br />

Präsident des EFTA-Gerichtshofs, Ordinarius für Privat-, Handels- und <strong>Wirtschaftsrecht</strong> an<br />

der Universität St.Gallen.<br />

Geboren am 1. September 1947 in Basel, Bürger <strong>von</strong> Murten.<br />

Studium: Universität Bern, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät,<br />

lic.iur. 1971, Dr. iur. 1978, Alexander <strong>von</strong> Humboldt-Stipendiat am Max Planck-Institut<br />

für Internationales Immaterialgüterrecht in München 1979-1981, Habilitation an der<br />

Universität Zürich 1982.<br />

Berufskarriere: Wissenschaftlicher Assistent an den Universitäten Bern und Zürich 1972-<br />

1978, Privatdozent an der Universität Zürich 1982, Gerichtssekretär am Bezirksgericht<br />

Bülach 1982-1984, Lehrstuhlvertreter bzw. Gastprofessor an mehreren deutschen<br />

Universitäten 1984-1986, Professor für Bürgerliches Recht, Handels-, Arbeits- und <strong>Wirtschaftsrecht</strong><br />

an der Universität Kaiserslautern, Ordinarius für Privat-, Handels- und<br />

<strong>Wirtschaftsrecht</strong> an der Universität St.Gallen 1987 (Nachfolge Bundesrat Koller), Geschäftsführender<br />

Direktor des Instituts für Europäisches und Internationales <strong>Wirtschaftsrecht</strong><br />

an der Universität St.Gallen 1990, Gastprofessor an der Universität Genf 1989/90,<br />

Visiting Professor University of Texas School of Law ab 1993, Berater der Fürstlichen Regierung<br />

des Fürstentums Liechtenstein in Fragen des Europarechts 1990-1994, Ruf auf<br />

den Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Privatrecht, Handelsrecht und <strong>Wirtschaftsrecht</strong><br />

an der Ruhr-Universität Bochum 1994, Mitglied des Obersten Gerichtshofs des<br />

Fürstentums Liechtenstein 1994-95, Richter am EFTA-Gerichtshof seit 1995, Gründer und<br />

Chairman des St.Galler Internationalen Kartellrechtsforums 1994, Gründer und Chairman<br />

des St.Galler Internationalen Immaterialgüterrechtsforums 1997, Co-Chairman des<br />

seite 44 | vp bank | wirtschaftsfragen heft 36


Wiener Globalisierungs-Symposiums, Co-Chairman des Liechtensteiner Europa-Symposiums,<br />

Gründer und Direktor des Nachdiplomstudiums der Universität St.Gallen <strong>im</strong><br />

Internationalen und Europäischen <strong>Wirtschaftsrecht</strong> Executive M.B.L.-HSG 1996,<br />

Präsident des EFTA-Gerichtshofs seit 1.1.2003.<br />

Auszeichnungen: Walther Hug Preis 1979, Ehrenkreuz der Republik Österreich für<br />

Wissenschaft und Kunst Erster Klasse 2002, Carl Fulda Award for Excellence in International<br />

Law des Texas International Law Journal 2003, Kleinstaatenpreis des Herbert Batliner<br />

Europa-Instituts Salzburg 2004, Medaille des Europäischen Anwaltsvereins 2004.<br />

wirtschaftsfragen heft 36 | vp bank | seite 45


Organe der Bank<br />

Verwaltungsrat<br />

Ehrenpräsident<br />

Dr. Heinz Batliner<br />

Vaduz, Fürstlicher Kommerzienrat<br />

Präsident<br />

Hans Brunhart<br />

Balzers, Fürstlicher Rat<br />

Vizepräsident<br />

Dr. iur. Guido Meier<br />

Vaduz, Rechtsanwalt und Präsident des<br />

Treuhänderrates des Allgemeinen<br />

Treuunternehmens<br />

Prof. Dr. Beat Bernet<br />

Ebertswil, Direktor des Instituts für Banken<br />

und Finanzen an der Universität St.Gallen<br />

Dr. iur. Matthias Donhauser<br />

Vaduz, Rechtsanwalt<br />

Roland Feger<br />

Buchs, Vorsitzender der Direktion des<br />

Allgemeinen Treuunternehmens<br />

lic.oec. Markus Thomas Hilti<br />

Schaan, Geschäftsführer der<br />

Martin Hilti Familien-Treuhänderschaft<br />

Walo Frischknecht<br />

Wilen, Unternehmer<br />

seite 46 | vp bank | wirtschaftsfragen heft 36<br />

Geschäftsleitung<br />

Adolf E. Real<br />

dipl. Ing. ETH, MBA<br />

Vorsitzender der Geschäftsleitung, CEO<br />

Fredy Vogt<br />

eidg. dipl. Buchhalter/Controller,<br />

eidg. dipl. Wirtschaftsprüfer, CFO<br />

Ernst Näf<br />

eidg. dipl. Bankfachmann<br />

Leiter Geschäftseinheit Private Clients<br />

Georg Wohlwend<br />

lic.oec.<br />

Leiter Geschäftseinheit Trust Banking<br />

André Ruppli<br />

M.A.<br />

Leiter Geschäftseinheit Investment Management


Internationaler Beirat<br />

Hans Brunhart<br />

Fürstlicher Rat<br />

Präsident<br />

Rolf Kormann, Dr. iur<br />

Vizepräsident<br />

Vormals Vorsitzender der Geschäftsleitung der<br />

VP Bank Aktiengesellschaft, Vaduz (FL)<br />

David Beattie<br />

Vormals Botschafter des Vereinigten<br />

Königreichs in der Schweiz und in<br />

Liechtenstein, London (GB)<br />

Alain Hirsch, Prof.<br />

Avocat Professeur honoraire de l’Université de<br />

Genève, Conseil de Schellenberg Wittmer,<br />

Genève (CH)<br />

Max E. Katz<br />

Chief Financial Officer und Mitglied der<br />

Konzernleitung Kuoni Reisen Holding AG,<br />

Adliswil (CH)<br />

Matthias Kleinert<br />

Adviser to the Chairman, Da<strong>im</strong>lerChrysler AG,<br />

Stuttgart (D)<br />

Michael Kohn, Dr. h.c. sc. Techn.<br />

Ehrenpräsident des Arbeitskreises Kapital und<br />

Wirtschaft (akw), Zürich (CH)<br />

Daniel Cardon de Lichtbuer<br />

Ehrenpräsident des Verwaltungsrates der<br />

Banque Bruxelles Lambert (BBL), Overijse (B)<br />

S. D. Prinz Nikolaus <strong>von</strong> und zu Liechtenstein<br />

Botschafter des Fürstentums Liechtenstein,<br />

Brüssel (B)<br />

Adolf E. Real<br />

Vorsitzender der Geschäftsleitung der<br />

Verwaltungs- und Privat-Bank<br />

Aktiengesellschaft, Vaduz (FL)<br />

Daniel N. Regolatti<br />

Vormals Finanzdirektor der Nestlé Gruppe,<br />

Vevey (CH)<br />

Heinrich Treichl, Dr.<br />

Vormals Generaldirektor und Vorsitzender des<br />

Vorstandes der Creditanstalt-Bankverein,<br />

Wien (A)<br />

Tjerk E. Westerterp, Drs.<br />

Alt-Präsident der European Options Exchange,<br />

Amsterdam (NL)<br />

wirtschaftsfragen heft 36 | vp bank | seite 47


Heftreihe Wirtschaftsfragen<br />

<strong>Die</strong>se Heftreihe informiert über aktuelle<br />

Wirtschaftsthemen mit Schwergewicht<br />

Liechtenstein. Sie wird laufend fortgesetzt.<br />

Solange Vorrat, sind derzeit noch erhältlich:<br />

Heft 20<br />

<strong>Die</strong> Industriegesellschaft auf dem Weg ins<br />

21. Jahrhundert – Titanic oder Arche Noah?<br />

Michael Kohn, 1993<br />

Heft 23<br />

Der Bankplatz Liechtenstein in zwei<br />

Wirtschaftsräumen<br />

Heinz Batliner, 1995<br />

Heft 24<br />

Europa und die globale Informationsgesellschaft<br />

Martin Bangemann, 1995<br />

Heft 27<br />

Neue Rechtsentwicklungen auf dem<br />

Finanzplatz Liechtenstein<br />

Hans Brunhart, Patrick Hilti, Roland Müller,<br />

1997<br />

Heft 28<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung Ostdeutschlands und Osteuropas<br />

<strong>im</strong> Rahmen des Globalisierungsprozesses<br />

Dr. Lothar Späth, 1998<br />

seite 48 | vp bank | wirtschaftsfragen heft 36<br />

Heft 29<br />

Aktuelle Fragen zum Wirtschaftsstandort<br />

Liechtenstein<br />

Dr. Michael Ritter, 1998<br />

Heft 31<br />

Aus- und Weiterbildung als<br />

Zukunftssicherung in der Finanzwirtschaft<br />

Hans Brunhart, Brigitte Strebel-Aerni, Ernst<br />

Buschor, Egbert Appel, Peter Stucki, 2000<br />

Heft 32<br />

Liechtenstein – 5 Jahre <strong>im</strong> EWR<br />

Bilanz und Perspektiven, 2000<br />

Heft 33<br />

Auf dem Weg in eine bessere Welt<br />

Robert A. Jeker<br />

Heft 34<br />

Europa altert und schrumpft<br />

Prof. Dr. Rainer Münz, 2001<br />

Heft 35<br />

<strong>Die</strong> Zukunft Europas<br />

<strong>im</strong> Lichte der EU-Erweiterung und der<br />

Lissabon-Strategie – die österreichische Sicht<br />

Dipl. Ing. Peter Mitterbauer


<strong>Die</strong> Fotos in diesem Heft vermitteln Eindrücke <strong>von</strong> der Vortragsveranstaltung, <strong>von</strong> der<br />

20. Jahrestagung des Internationalen Beirates am 28./29. Oktober 2004 in Vaduz/Triesen<br />

sowie vom Empfang der Teilnehmer durch S.D. Erbprinz Alois <strong>von</strong> und zu Liechtenstein<br />

auf Schloss Vaduz.<br />

seite 50 | vp bank | wirtschaftsfragen heft 36


<strong>Die</strong> VP Bank Gruppe<br />

Verwaltungs- und Privat-Bank Aktiengesellschaft<br />

Aeulestrasse 6, FL-9490 Vaduz, Liechtenstein<br />

Tel +423 235 66 55, Fax +423 235 65 00<br />

info@vpbank.com, www.vpbank.com<br />

VP Bank<br />

(Schweiz) AG<br />

Bleicherweg 50<br />

CH-8039 Zürich<br />

Schweiz<br />

Tel +41 1 226 24 24<br />

Fax +41 1 226 25 24<br />

info.ch@vpbank.com<br />

VP Bank Fondsleitung<br />

Aktiengesellschaft<br />

Aeulestrasse 6<br />

FL-9490 Vaduz<br />

Liechtenstein<br />

Tel +423 235 66 99<br />

Fax +423 235 76 99<br />

vpf@vpbank.com<br />

VP Bank<br />

(Luxembourg) S.A.<br />

Avenue de la Liberté 26<br />

B.P. 923<br />

L-2019 Luxembourg<br />

Luxemburg<br />

Tel +352 404 777-1<br />

Fax +352 481 117<br />

info.lu@vpbank.com<br />

IFOS Internationale Fonds<br />

Service Aktiengesellschaft<br />

Aeulestrasse 6<br />

FL-9490 Vaduz<br />

Liechtenstein<br />

Tel +423 235 67 67<br />

Fax +423 235 67 77<br />

ifos@vpbank.com<br />

VPB Finance S.A.<br />

Avenue de la Liberté 26<br />

B.P. 923<br />

L-2019 Luxembourg<br />

Luxemburg<br />

Tel +352 404 777 383<br />

Fax +352 404 777 389<br />

IGT Intergestions<br />

Trust reg.<br />

Aeulestrasse 6<br />

Postfach 1242<br />

FL-9490 Vaduz<br />

Liechtenstein<br />

Tel +423 233 11 51<br />

Fax +423 233 22 24<br />

Verwaltungs- und Privat-Bank Aktiengesellschaft<br />

VP Bank and<br />

Trust Company (BVI) Ltd.<br />

P.O. Box 3463<br />

3076 Sir Francis Drake‘s Highway<br />

Road Town, Tortola<br />

British Virgin Islands<br />

Tel +1 284 494 11 00<br />

Fax +1 284 494 11 99<br />

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