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Inhalt und Rechtspolitische Bedeutung der “Einleitung” des ABGB im Kontext der Kodifikationsgesetzgebung des Frühen 19º.<br />
-streitigkeiten« gefällten Urteilen »die Kraft eines Gesetzes« abspricht.<br />
Auch diese Bestimmung muss im Kontext der frühneuzeitlichen Rechtsquellenland-schaft<br />
gesehen werden. Es geht in § 12 ABGB nicht um »Richterrecht«<br />
im Sinne des 19. Jahrhunderts, sondern um eine spezifische<br />
Form des Gewohn-heitsrechtes. Es geht um die Gerichtsobservanz, den<br />
sog. usus fori. Die Gerichtsobservanz war etwas anderes als das, was man<br />
seit dem 19. Jahr-hundert im Zuge einer grundlegenden Neufundierung<br />
der Rechtsquellenlehre mit »Richterrecht« umschrieb. Denn dieses »Richterrecht«<br />
stellt sich ledig-lich als eine spezifische Form des wissenschaftlichen<br />
Rechts dar, dem in der Rechtsquellenlehre des 19. Jahrhunderts<br />
keine mit Gesetz und Gewohnheits-recht vergleichbare Geltung<br />
zukommen sollte. Das »Richterrecht« wirkt nicht kraft Autorität, sondern<br />
ausschließlich kraft seiner Plausibilität und inhaltlichen Richtigkeit 17 .<br />
Demgegenüber nahm der usus fori an den Gel-tungsbedingungen<br />
des Gewohnheitsrechtes teil, und demgemäß hat § 12 ABGB auch die<br />
gleiche Stoßrichtung wie die §§ 10 und 11: Auch § 12 ABGB ist darum<br />
bemüht, die Geltung der kodifizierten Normen durchzusetzen – wobei<br />
dies im Falle des § 12 gegen die Gerichtsobservanzen gerichtet ist. In §<br />
17 CTh tritt diese Stoßrichtung noch wesentlich deutlicher zu Tage: »Aus<br />
gleichförmigen, in gleichen Fällen ergangenen Rechtssprüchen« können,<br />
so heißt es da, »keine Gewohnheiten erwachsen«. Die Gerichte können<br />
also, so darf man ergänzen, auch durch ständige Rechtsprechung kein<br />
Gewohnheits-recht erzeugen.<br />
Wie prätentiös der Anspruch vollkommener Verdrängung des<br />
Gewohn-heitsrechts durch staatlich-legislativ gesetztes Recht in der Mitte<br />
des 18. Jahr-hunderts noch war, zeigt sich, wenn man neben dem CTh<br />
auch einen Blick auf den kaum älteren Codex Maximilianeus Bavaricus<br />
wirft. Hier ist noch kaum etwas von der neuen Kodifikationsidee zu<br />
spüren – vielmehr bleibt dieses Gesetzbuch noch ganz bei der aus dem<br />
Mittelalter überlieferten pluralisti-schen Rechtsquellenlehre. Im 2. Kapitel<br />
§ 1 wird dem Adressaten das ganze Sammelsurium der unverbunden<br />
nebeneinander stehenden Rechtsquellen er-öffnet: »Das Recht wird<br />
hauptsächlich in göttlich- und menschlich-, natur-, weltlich- und geis-<br />
17<br />
Rückert (2003), vor § 1 Rn. 27 f.; Simon (2008), S. 47.<br />
54 Seqüência (Florianópolis), n. 66, p. 47-82, jul. 2013