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Die vier Elemente<br />
Die vier Elemente wurden im Zusammenhang<br />
mit den Körpersäften und<br />
den mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Temperamenten gesehen.<br />
In Mythos und Di<strong>ch</strong>tung wurden<br />
sie mit symbolis<strong>ch</strong>en Bedeutungen<br />
belegt.<br />
(er ist sprunghaft, impulsiv). Galen begründete damit<br />
das sogenannte Humoralparadigma, die Vorstellung,<br />
dass der vorherrs<strong>ch</strong>ende Körpersaft den Charakter<br />
eines Mens<strong>ch</strong>en ausma<strong>ch</strong>e. Dieses Paradigma hielt si<strong>ch</strong><br />
in der Medizinges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bis ins 19. Jahrhundert. Es ergibt<br />
si<strong>ch</strong> <strong>als</strong>o ein direkter Zusammenhang von Elementen,<br />
Körpersäften und Temperament. Es ist bemerkenswert,<br />
wie aus einer materialistis<strong>ch</strong>en Theorie eine Wesensbestimmung<br />
des Mens<strong>ch</strong>en, eine Charakter- und<br />
Temperamenten-Typologie, abgeleitet worden ist.<br />
Von Prof. Dr. Helmut Ba<strong>ch</strong>maier<br />
Die Lehre von den vier Elementen Wasser, Feuer, Erde<br />
und Luft geht auf den vorsokratis<strong>ch</strong>en Philosophen<br />
Empedokles von Agrigent zurück. Na<strong>ch</strong> ihm entsteht<br />
alles aus der Verbindung dieser Elemente, und alles vergeht<br />
dur<strong>ch</strong> ihre Trennung. Die Kraft der Verbindung war<br />
für ihn die Liebe, die der Trennung der Hass.<br />
Der antike Arzt Hippokrates und seine Anhänger, die<br />
Hippokratiker, nahmen an, dass die vier Elemente ihren<br />
Sitz au<strong>ch</strong> in den mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Körpersäften hätten<br />
und einander ähnli<strong>ch</strong> seien: Der Luft entsprä<strong>ch</strong>e<br />
dana<strong>ch</strong> das Blut, dem Wasser der S<strong>ch</strong>leim, der Erde die<br />
s<strong>ch</strong>warze und dem Feuer die gelbe Galle.<br />
Der Arzt Galen ordnete später jedem Körpersaft ein<br />
spezifis<strong>ch</strong>es Temperament zu: dem Blut den Sanguiniker<br />
(er ist blutvoll, lebhaft, optimistis<strong>ch</strong>), dem S<strong>ch</strong>leim<br />
den Phlegmatiker (er ist zäh, langsam, träge), der<br />
s<strong>ch</strong>warzen Galle den Melan<strong>ch</strong>oliker (er ist na<strong>ch</strong>denkli<strong>ch</strong>,<br />
pessimistis<strong>ch</strong>) und der gelben Galle den Choleriker<br />
Materialistis<strong>ch</strong>er Humoral- Temperamenten-<br />
Pluralismus paradigma lehre<br />
Elemente Körpersäfte Temperamente<br />
Luft Blut Sanguiniker<br />
Wasser S<strong>ch</strong>leim Phlegmatiker<br />
Erde S<strong>ch</strong>warze Melan<strong>ch</strong>oliker<br />
Galle<br />
Feuer Gelbe Galle Choleriker<br />
Luft<br />
Wir brau<strong>ch</strong>en Luft zum Atmen. Der Luft wird das Ungebundene,<br />
Lebhafte, Freie, Bewegte zuges<strong>ch</strong>rieben,<br />
ebenso den Bewohnern der Lüfte, den Vögeln. Der Luftgeist<br />
Ariel (beispielsweise in Shakespeares „Sturm“<br />
sehr wirkungsvoll) gilt <strong>als</strong> Personifikation des freien,<br />
ungebundenen Elements. Die Luft ist ein Lebenselixier,<br />
ein kostbares Gut und ein wi<strong>ch</strong>tiger Informations -<br />
Elemente<br />
3
träger. In Mythos und Di<strong>ch</strong>tung lauten die Bezei<strong>ch</strong>nungen<br />
für Luft: Äther und Pneuma.<br />
Wenn ein Lufthau<strong>ch</strong> (Pneuma) vernehmbar wird, dann ist<br />
dies in der antiken Di<strong>ch</strong>tung ein Zei<strong>ch</strong>en für etwas Besonderes:<br />
Es ist ein Zei<strong>ch</strong>en der Epiphanie, die Ankündigung<br />
des Ers<strong>ch</strong>einens eines Gottes. Der antike Gott wird dabei<br />
<strong>als</strong> Demiurg (Handwerker), der etwas ers<strong>ch</strong>afft, und <strong>als</strong><br />
Pneumatiker, der alles belebt, verstanden. In der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en<br />
Überlieferung ist es der Atem Gottes, der zum Leben<br />
erweckt: Das Leben wird eingehau<strong>ch</strong>t. Aus der toten Materie<br />
entstand dur<strong>ch</strong> einen Hau<strong>ch</strong> Gottes das Lebendige.<br />
Erde<br />
Die Erde ist mütterli<strong>ch</strong> – Mutter Erde. Aus der Erde geht<br />
das Leben hervor, aus dem Samen, der in die Erde gelegt<br />
wird, entsteht die Fru<strong>ch</strong>t. Die Erde ist Anfang, aber<br />
au<strong>ch</strong> Ende, weil sie das Grab umfängt. Ni<strong>ch</strong>t zufällig<br />
sind im antiken Mythos Demeter (die Göttin der<br />
Fru<strong>ch</strong>tbarkeit, des Korns, des Lebens) und Persephone<br />
(Göttin des Todes) Mutter und To<strong>ch</strong>ter und werden in<br />
einem Atemzug genannt. Der Demeter-Kult in Eleusis<br />
war einer der wi<strong>ch</strong>tigsten Fru<strong>ch</strong>tbarkeitskulte („Eleusinis<strong>ch</strong>e<br />
Mysterien“), bei dem die Sexual- und Fru<strong>ch</strong>tbarkeitssymbole<br />
im Mittelpunkt standen. Als ihre To<strong>ch</strong>ter<br />
Die Vorstellung vom Äther, der den Raum zwis<strong>ch</strong>en den<br />
Dingen erfüllt und ein Kontinuum erzeugt, geht auf<br />
Aristoteles zurück. In der Naturphilosophie ging man<br />
bis ins 19. Jahrhundert von einer alles dur<strong>ch</strong>dringenden<br />
ätheris<strong>ch</strong>en Kraft aus. Äther galt <strong>als</strong> ein feiner Urstoff<br />
und zuglei<strong>ch</strong> <strong>als</strong> kosmis<strong>ch</strong>e Kraft. Da alles von diesem<br />
Stoff und dieser Kraft dur<strong>ch</strong>drungen war, konnte es<br />
kein Vakuum, keinen toten Raum geben, und damit war<br />
der horror vacui (die Angst vor der Leere) gebändigt.<br />
Hölderlins Di<strong>ch</strong>tung „An den Äther“ ist Ausdruck einer pantheistis<strong>ch</strong>en<br />
Welts<strong>ch</strong>au, die zurückweist auf Ciceros S<strong>ch</strong>rift<br />
über das Wesen der Götter. Und s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> sind die „Lieblinge<br />
des Äthers“ (Hölderlin), die Vögel, Verkörperungen des<br />
Geistes der Luft, so der Albatros bei Baudelaire, dessen Flug<br />
der Bewegung der Spra<strong>ch</strong>e in der Poesie glei<strong>ch</strong>t.<br />
Persephone dur<strong>ch</strong> Hades geraubt wurde, zog Demeter<br />
dur<strong>ch</strong> die Welt auf der Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> ihr – voller Klagen<br />
und Tränen vergiessend. Sie gilt <strong>als</strong> das antike Gegenbild<br />
zur Pietà: zu Maria, die um ihren Sohn trauert.<br />
Die Erde ist das Fundament, auf dem wir si<strong>ch</strong>er stehen.<br />
Wird die Erde ers<strong>ch</strong>üttert, dann verlieren wir lei<strong>ch</strong>t die<br />
Orientierung und geraten in Angst. Jedes Erdbeben zeugt<br />
davon, wie plötzli<strong>ch</strong> alle Si<strong>ch</strong>erheiten s<strong>ch</strong>winden. Historis<strong>ch</strong>e<br />
Erdbeben – etwa das von Lissabon (1755) – haben<br />
überkommene Harmonievorstellungen ins Wanken gebra<strong>ch</strong>t<br />
und Zweifel entstehen lassen, ob wir tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> in<br />
der besten aller denkbaren Welten leben (so die Auf fassung<br />
des Philosophen Leibniz). Voltaire („Candide“), Kant<br />
(„Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Naturbes<strong>ch</strong>reibung der merkwürdigsten<br />
Vorfälle des Erdbebens [...]“) und Kleist („Das Erdbeben in<br />
4 Elemente
Chili“) haben si<strong>ch</strong> mit der Ers<strong>ch</strong>ütterung des Bewusstseins<br />
dur<strong>ch</strong> die Katastrophe von Lissabon auseinandergesetzt.<br />
Wasser<br />
Die einen glauben, dass am Anfang das Wort war<br />
(Johannes-Evangelium), die anderen, dass es das Wasser<br />
(die Neptunisten), wieder andere, dass es das Feuer<br />
war (Vulkanisten). Si<strong>ch</strong>er ist, dass das Leben aus dem<br />
Ur-Meer, der „Ur-Suppe“, entstand. Das Wasser,<br />
symbolis<strong>ch</strong> bei der Taufe verwendet, reinigt von den<br />
Erbsünden und ist zuglei<strong>ch</strong> gemeins<strong>ch</strong>aftsstiftend.<br />
In den Kosmologien der Antike kommt dem Meer und<br />
seinem Gott Poseidon (lat. Neptun) eine besondere<br />
Rolle zu: Sein Palast ist in den Fluten, heilig sind ihm<br />
Pferde – besonders Pegasus, der mit einem Hufs<strong>ch</strong>lag<br />
die Musenquelle auf dem Helikon entstehen liess – und<br />
Delphine. Im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t des Alten Testaments<br />
s<strong>ch</strong>webt der Geist Gottes über den Wassern, und Gott<br />
s<strong>ch</strong>eidet anfangs in Himmel und Erde, in Erde und<br />
Wasser und in Wasser und Himmel. In diesem Akt der<br />
S<strong>ch</strong>eidung zeigt si<strong>ch</strong> die Einteilungsma<strong>ch</strong>t des göttli<strong>ch</strong>en<br />
Geistes. Die Wandlung von Wasser in Wein beim<br />
Abendmahl, die Transformation des Zei<strong>ch</strong>en des Lebens<br />
(Wasser) in das Symbol der Erlösung (Wein) oder die<br />
Fusswas<strong>ch</strong>ung <strong>als</strong> Demutsgebärde stehen in direktem<br />
Zusammenhang mit dem liquiden Element. Wasser ist<br />
vor allem deshalb ein Lebenselement, weil es andere<br />
Substanzen in si<strong>ch</strong> auflösen kann.<br />
Feuer<br />
Prometheus raubte dem Himmel das Feuer und bra<strong>ch</strong>te<br />
es den Mens<strong>ch</strong>en <strong>als</strong> freundli<strong>ch</strong>e Gabe, so beri<strong>ch</strong>tet es<br />
der antike Mythos. Dafür wurde Prometheus grausam<br />
bestraft: Er wird an den Kaukasis<strong>ch</strong>en Felsen gekettet,<br />
wo ihm ein Adler die Leber herausreisst, die aber jede<br />
Na<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>st. Mit dem Feuer hat er den Mens<strong>ch</strong>en<br />
die Zivilisation gebra<strong>ch</strong>t. Insofern gilt er <strong>als</strong> Vater<br />
der Zivilisation. Dur<strong>ch</strong> seine Qualen wird die Zivilisa -<br />
tion jedo<strong>ch</strong> mit Leiden verbunden. Erst ein anderer<br />
Unsterbli<strong>ch</strong>er kann ihn davon befreien (dies ist ein<br />
Prätext zur Passionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te). Das Feuer des Staatsherdes<br />
wurde bei den Römern von den Vestalinnen gehütet.<br />
Dieses heilige Feuer galt <strong>als</strong> Symbol der Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />
der res publica, des Staates. Sein Verlös<strong>ch</strong>en<br />
wurde <strong>als</strong> s<strong>ch</strong>weres Verbre<strong>ch</strong>en empfunden.<br />
Die zerstöreris<strong>ch</strong>e Kraft des Feuers wird in den Weltbrand-Epen,<br />
Apokalypsen und Götterdämmerungen<br />
bes<strong>ch</strong>woren. Weltuntergangsvisionen werden stets von<br />
Feuersbrünsten begleitet, und es bleibt nur die As<strong>ch</strong>e<br />
zurück. Die Erde <strong>als</strong> verglühender Feuerball ist eine<br />
Ikone aller Endzeitphantasien.<br />
Elemente<br />
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