Menschen mit einer Hirnverletzung - Pro Infirmis
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Thema<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong><br />
<strong>Hirnverletzung</strong><br />
März 2012 / Nr. 30<br />
Vorwort<br />
Immer mehr <strong>Menschen</strong> haben eine<br />
<strong>Hirnverletzung</strong> und benötigen Beratung<br />
und Unterstützung, da<strong>mit</strong> sie<br />
sich <strong>mit</strong> den Folgen der <strong>Hirnverletzung</strong><br />
zurechtfinden und ihr Leben<br />
neu gestalten können. Die Folgen<br />
<strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong> können sehr<br />
unterschiedlich sein, entsprechend<br />
vielfältig sind auch die Herausforderungen,<br />
die zu bewältigen sind.<br />
Die Bewältigung dieser komplexen<br />
Situationen verlangt in der Regel<br />
nach verschiedenartigen Behandlungsformen<br />
und Unterstützungen,<br />
die häufig gleichzeitig als sich ergänzende<br />
Massnahmen erbracht<br />
werden.<br />
Aus diesen Gründen haben wir<br />
als Schwerpunkt für diese Ausgabe<br />
unseres Informationsblattes das<br />
Thema «<strong>Hirnverletzung</strong>» ausgewählt.<br />
Die Thematik wird von Betroffenen<br />
und spezialisierten Fachleuten<br />
aus unterschiedlichen Blickwinkeln<br />
beleuchtet.<br />
Edi Tomaschett<br />
Geschäftsleiter <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> BS<br />
Dank<br />
<strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> Basel-Stadt bedankt<br />
sich bei allen Mitwirkenden für die<br />
gelungenen Artikel und die Bereitschaft<br />
zu Interviews im Rahmen der<br />
neuen Ausgabe des Thema.<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong><br />
Das REHAB Basel ist ein Zentrum für die hochspezialisierte Behandlung<br />
und Rehabilitation von querschnittgelähmten und hirnverletzten <strong>Menschen</strong><br />
nach Unfall oder Erkrankung.<br />
Das REHAB Basel strebt eine ganzheitliche<br />
Rehabilitation der ihm anvertrauten<br />
querschnittgelähmten und<br />
hirnverletzten <strong>Menschen</strong> an, d.h. eine<br />
umfassende soziale und wenn möglich<br />
berufliche Wiedereingliederung<br />
in die Gesellschaft. Oberstes Ziel ist<br />
neben grösstmöglicher Selbstständigkeit<br />
eine optimale Lebensqualität der<br />
Bei einem Unfall kommt es in der<br />
Regel zu <strong>einer</strong> umschriebenen Schädigung<br />
von Hirngewebe und es können<br />
zusätzliche <strong>Pro</strong>bleme durch eine<br />
Hirnblutung entstehen. Bei einem<br />
Schädel-Hirn-Trauma ist also die Schädigung<br />
vor allem auf eine bestimmte<br />
Hirnregion bezogen. Ähnlich kann es<br />
bei Erkrankungen sein, welche nur bestimmte<br />
Regionen im Gehirn schädigen.<br />
Es gibt aber auch Erkrankungen,<br />
die das ganze Hirn betreffen. So<strong>mit</strong><br />
sind auch die Folgen sehr unterschiedlich.<br />
Bei <strong>einer</strong> Hirnschädigung können<br />
viele verschiedene Folgen zusammenkommen,<br />
indem sowohl Bewegungsabläufe<br />
(Gehen) als auch psychische und<br />
intellektuelle Funktionen beeinträchtigt<br />
werden. Es ist aber auch möglich,<br />
Patientinnen und Patienten. Dafür<br />
setzt sich ein engagiertes Team auch<br />
nach dem stationären Aufenthalt der<br />
Patientinnen und Patienten ein. Ein<br />
ganzes Leben lang.<br />
In den beiden folgenden Artikeln nehmen<br />
zwei Fachärzte Stellung.<br />
<strong>Hirnverletzung</strong> aus psychiatrischer Sicht<br />
Ein Mensch kann in jedem Alter unterschiedlichste Formen <strong>einer</strong> Hirnschädigung<br />
erleiden. Das Gehirn kann durch einen Unfall oder durch eine<br />
Erkrankung geschädigt werden.<br />
dass nur wenige Funktionen betroffen<br />
sind – oft betrifft dies das Gedächtnis,<br />
die Konzentrationsfähigkeit, die Motivationsfähigkeit.<br />
Wenn viele Funktionen<br />
betroffen sind und vor allem<br />
auch motorische Einschränkungen<br />
vorliegen, fällt die betroffene Person<br />
rasch als behindert auf. Diese Person<br />
muss kaum rechtfertigen, weshalb<br />
ihre Leistungsfähigkeit und ihre Belastbarkeit<br />
eingeschränkt sind. Wenn<br />
aber bei <strong>einer</strong> Person nur wenige Funktionen<br />
beeinträchtigt sind, dann fällt<br />
weder bei Bewegungsabläufen noch<br />
in <strong>einer</strong> Diskussion <strong>mit</strong> dieser Person<br />
eine starke Behinderung auf. Erst <strong>mit</strong><br />
der Zeit wird vielleicht spürbar, dass<br />
diese Person rascher ermüdet, häufiger<br />
zu gähnen beginnt, rascher gereizt<br />
1
ist und kompliziertere Zusammenhänge<br />
nicht auf Anhieb versteht. All<br />
dies muss aber nicht auffallen. Deshalb<br />
kann es sein, dass eine Person<br />
vor der Hirnschädigung sehr diszipliniert<br />
lebte, nun aber neuerdings in<br />
ihrer Wohnung praktisch verwahrlost,<br />
weil sie <strong>mit</strong> dem Haushalt infolge der<br />
Hirnschädigung überfordert ist. In<br />
Kontakten <strong>mit</strong> Ärzten kommt dieses<br />
Die Orientierung an<br />
der eigenen Identität geht<br />
verloren.<br />
<strong>Pro</strong>blem aber vielleicht gar nicht zur<br />
Sprache – weil von ärztlicher Seite<br />
nicht danach gefragt wird und weil<br />
sich die betroffene Person natürlich<br />
sehr schämt, von der Verwahrlosung<br />
zu berichten.<br />
Da<strong>mit</strong> ist ein wichtiges Thema bei<br />
Hirnschädigung erwähnt: die Scham.<br />
Eine betroffene Person wirkt gesund,<br />
unversehrt, kann aber viele Leistungen<br />
(eben die Bewältigung des eigenen<br />
Haushalts, Erwerbstätigkeit) nicht<br />
mehr erbringen. Das ist sehr beschämend.<br />
Deshalb versucht eine betroffene<br />
Person, sich von der leistungsfähigen<br />
Seite zu zeigen und das Versagen<br />
und die Beeinträchtigungen zu verbergen.<br />
Dies führt zu Missverständnissen,<br />
woraus sich ernsthafte Eskalationen<br />
entwickeln können.<br />
Ein weiteres <strong>Pro</strong>blem bei Hirnschädigung<br />
betrifft das Gefühl und<br />
die Sicherheit für die eigene Person.<br />
Wir haben eine Identität, die wie ein<br />
Baum durch die Kindheit ins Erwachsenenalter<br />
gewachsen ist. Wir haben<br />
eine Geschichte <strong>mit</strong> der Schulzeit, <strong>mit</strong><br />
der Ausbildung, <strong>mit</strong> Freundschaften,<br />
wichtigen Beziehungen, <strong>mit</strong> Erfolgen<br />
und Misserfolgen. Wir sind uns ziemlich<br />
sicher, wer wir sind. Wir versichern<br />
uns schon am Morgen, wenn<br />
wir uns im Spiegel betrachten, dass<br />
wir sind, wer wir sind. Wenn aber die<br />
Wahrnehmung, das Gedächtnis und<br />
viele andere Hirnfunktionen in unterschiedlichem<br />
Mass verändert oder<br />
gestört sind, dann ist das Resultat<br />
wie in einem Spiegelkabinett, wo wir<br />
uns plötzlich verzerrt sehen. Im Spiegelkabinett<br />
können wir rasch die Orientierung<br />
verlieren. Und ebenso geht<br />
für eine Person <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Hirnschädigung<br />
die Orientierung an der eigenen<br />
Identität verloren. Unsere Identität ist<br />
wie eine Heimat. Wir sind quasi bei<br />
uns zuhause. Natürlich können noch<br />
viele andere <strong>Pro</strong>bleme (Depressionen,<br />
Sucht, Selbstwertzweifel) diese Hei-<br />
mat unsicher machen. Aber in tiefsten<br />
psychischen und auch körperlichen<br />
<strong>Pro</strong>blemen haben wir zuinnerst die<br />
Orientierung, wer wir sind und welches<br />
unsere Geschichte ist, welche Zukunft<br />
wir uns wünschen und welche<br />
Träume wir haben. Bei <strong>einer</strong> Hirnschädigung<br />
kann aber sogar diese innerste<br />
Heimat zerstört und tief verunsichert<br />
werden.<br />
Deshalb muss ein neues Gefühl für<br />
sich selber entstehen. Deshalb benötigt<br />
eine Rehabilitation nach Hirnschädigung<br />
viele Monate <strong>mit</strong> verschiedenen<br />
Therapien, die unter anderem ein<br />
und dasselbe Ziel haben: diese innere<br />
Heimat wieder herzustellen, sich quasi<br />
wieder kennen zu lernen. Nach <strong>einer</strong><br />
stationären Rehabilitation ist aber<br />
dieser <strong>Pro</strong>zess nicht abgeschlossen.<br />
Deshalb betreibt das REHAB Basel seit<br />
Jahren eine Tagesklinik, wo weitere<br />
Monate der rehabilitative <strong>Pro</strong>zess fortgesetzt<br />
wird. Und auch danach sind<br />
die Genesung und das Finden der eigenen<br />
Identität nicht abgeschlossen. Dieser<br />
<strong>Pro</strong>zess dauert viele Jahre, weshalb<br />
eine konsequente fachliche Begleitung<br />
(psychologisch, psychotherapeutisch)<br />
entscheidend ist für eine erfolgreiche<br />
Wiederherstellung der verlorenen eigenen<br />
Identität.<br />
Dr. med. Peter Buess-Siegrist<br />
Facharzt FMH für Psychiatrie und<br />
Psychotherapie/Konsiliararzt<br />
REHAB Basel<br />
<strong>Hirnverletzung</strong> aus neurologischer Sicht<br />
Die <strong>Hirnverletzung</strong> ist Folge <strong>einer</strong> Krankheit oder eines Traumas. Die krankheitsbedingte<br />
<strong>Hirnverletzung</strong> entsteht durch einen Schlaganfall, eine Entzündung<br />
des Hirnparenchyms oder der Hirnhaut, einen Hirntumor, eine Intoxikation<br />
(Vergiftung), eine Hirnblutung, Sauerstoffmangel etc. Die traumatische<br />
<strong>Hirnverletzung</strong>, auch Schädel–Hirn-Trauma genannt, entsteht durch eine<br />
äussere Gewalteinwirkung auf den Schädel und/oder das Gehirn.<br />
Die Folgen <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong><br />
sind meistens schwerwiegend. Die<br />
<strong>Hirnverletzung</strong> im Jugendalter verändert<br />
die Lebensperspektive der<br />
Betroffenen. Die <strong>Hirnverletzung</strong><br />
verändert nicht nur das Leben des<br />
Patienten, sondern auch das Leben von<br />
Ehepartner, Partner, Familienangehörigen,<br />
Freundes- und Bekanntenkreis.<br />
Durch eine <strong>Hirnverletzung</strong> entsteht<br />
<strong>einer</strong>seits eine körperliche Beeinträchtigung<br />
und andererseits sind<br />
auch höhere Funktionen der Hirnleistung<br />
wie Sprache, Kommunikationsfähigkeit,<br />
Gedächtnis, Aufmerksamkeit,<br />
Konzentration, Planungs- und<br />
Handlungsvermögen, Stressresistenz,<br />
Belastbarkeit, psychische Verfassung,<br />
Umsetzungsfähigkeit beeinträchtigt.<br />
Es beginnt ein neues Leben, verbunden<br />
<strong>mit</strong> vielen <strong>Pro</strong>blemen. Die Betroffenen<br />
und die Familienangehöri-<br />
2
gen sind auf eine professionelle Hilfe<br />
angewiesen.<br />
Seit mehr als 20 Jahren behandelt<br />
das REHAB Basel neben querschnittgelähmten<br />
<strong>Menschen</strong> auch hirnverletzte<br />
<strong>Menschen</strong>. Optimalerweise beginnt<br />
eine stationäre Neurorehabilitation<br />
schon in der subakuten Phase. Oft<br />
dauert die stationäre Neurorehabilitation,<br />
je nach Schwere der Verletzung,<br />
mehrere Monate; erst nach gesundheitlicher,<br />
medizinischer Stabilisierung<br />
und Verbesserung der beeinträchtigten<br />
Funktionen werden die Patienten<br />
Es beginnt ein neues<br />
Leben, verbunden <strong>mit</strong><br />
vielen <strong>Pro</strong>blemen.<br />
in ein ambulantes Setting versetzt.<br />
Dort beginnt eine langfristige, wenn<br />
nicht lebenslange Nachsorge. Die<br />
Neurorehabilitation, ob stationär oder<br />
ambulant, kann nur interdisziplinär<br />
durchgeführt werden. Ein kompetentes,<br />
gut strukturiertes und koordiniertes<br />
Team ist die Voraussetzung für den<br />
Erfolg auch im Bereich der Neurorehabilitation.<br />
Dazu gehören neben dem<br />
Arztdienst weitere Bereiche wie Neuropsychologie,<br />
Psychologie, Psychiatrie,<br />
Logopädie, Ergotherapie, Neuroorthopädie<br />
und der Sozialdienst.<br />
Dr. med. N. Akhalbedashvili<br />
Fachärztin Neurologie, Sprechstunde<br />
für Hirnverletzte Patienten,<br />
REHAB Basel<br />
Beratung von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong><br />
<strong>Hirnverletzung</strong> bei <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong><br />
Es ist eine Tatsache unserer Zeit, dass es immer mehr <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong><br />
<strong>Hirnverletzung</strong> gibt. Sei dies aufgrund eines Unfalls oder <strong>einer</strong> Hirnerkrankung.<br />
Es sind nicht nur ältere <strong>Menschen</strong> davon betroffen, auch jüngere<br />
<strong>Menschen</strong> müssen sich <strong>mit</strong> den Folgen <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong> zurechtfinden<br />
und ihr Leben neu einrichten.<br />
Vieles, was vor der Krankheit oder<br />
dem Unfall möglich war, geht danach<br />
nicht mehr. Zum Beispiel die persönlichen<br />
administrativen Arbeiten erledigen<br />
oder die Führung des Haushaltes.<br />
Auch am Arbeitsplatz stellen sich<br />
ganz neue Herausforderungen und die<br />
Beziehungen zu nahestehenden Personen<br />
verändern sich. Unterstützungsleistungen<br />
müssen geplant werden<br />
und es braucht von allen Beteiligten<br />
ein Verständnis dafür, was noch möglich<br />
ist und was nicht.<br />
Die Beziehungen zu<br />
nahestehenden Personen<br />
verändern sich.<br />
Längerfristig werden alle Lebensbereiche<br />
wie Arbeit, Wohnen, Freizeit,<br />
Finanzen, soziale Kontakte und Beziehungen<br />
neu gestaltet werden müssen.<br />
Das ist eine grosse Herausforderung,<br />
vor allem auch für Angehörige. <strong>Menschen</strong><br />
<strong>mit</strong> <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong> sind<br />
auf helfende Personen und Institutionen<br />
angewiesen. Jede Situation ist einzigartig<br />
und bedarf massgeschneiderter<br />
Lösungen. <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> hat 2007<br />
das Case Management als Dienstleistung<br />
eingeführt. Case Management<br />
ist eine Methode, die bei hohem Unterstützungsbedarf<br />
angewandt wird. Gerade<br />
weil bei <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong><br />
die Schwierigkeiten, den<br />
Alltag zu bewältigen, erst nach und<br />
nach sichtbar werden, hat sich das Case<br />
Management als hilfreich erwiesen.<br />
Die Case Managerin und die hirnverletzte<br />
Person verschaffen sich in<br />
einem ersten Schritt (Assessment)<br />
einen Überblick über die Situation.<br />
Oftmals ergeben sich von Anfang an<br />
<strong>Pro</strong>bleme, wie Fragen zu Versicherungen,<br />
Finanzen etc., die <strong>einer</strong> sofortigen<br />
Lösung bedürfen. Die Möglichkeit,<br />
für die Lösung solcher <strong>Pro</strong>bleme eine<br />
zweite Person, d.h. einen Sozialarbeiter,<br />
beizuziehen, ist dabei eine grosse<br />
Unterstützung. Die Case Managerin<br />
kann sich darauf konzentrieren, den<br />
Handlungsplan <strong>mit</strong> den Massnahmen<br />
zu erstellen, die notwendige Hilfe ist<br />
durch die Mitarbeit des Sozialarbeiters<br />
gewährleistet.<br />
Hirnverletzte <strong>Menschen</strong><br />
sind oft von der komplexen<br />
Situation überfordert.<br />
Hirnverletzte <strong>Menschen</strong> sind oft<br />
von der komplexen Situation, in der sie<br />
sich plötzlich befinden, überfordert.<br />
Das kann sich leicht auf das Helfernetz<br />
übertragen. Die Case Managerin übernimmt<br />
die Aufgabe, zu koordinieren,<br />
zu planen und die helfenden Personen<br />
<strong>mit</strong>einander zu vernetzen. Drohender<br />
Überforderung kann so entgegengewirkt<br />
werden.<br />
Einschränkungen in der Bewältigung<br />
des Alltags durch eine <strong>Hirnverletzung</strong><br />
sind für aussenstehende Personen<br />
meistens nicht sofort ersichtlich.<br />
Ein umfassender <strong>Pro</strong>zess, wie<br />
es das Case Management ermöglicht,<br />
befähigt die hirnverletzte Person, sich<br />
selber besser zu verstehen und Einschränkungen<br />
zu kommunizieren.<br />
Mirjam Schurter<br />
Sozialarbeiterin FH, <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> BS<br />
3<br />
Thema März 2012 / Nr. 30
schäftspartners geben. Ich realisierte,<br />
dass ich trotz der Restarbeitsfähigkeit<br />
mehr eine Belastung als eine Entlastung<br />
war. Ich bin in <strong>einer</strong> Sitzung<br />
auch mal ausgerastet. Ich war dauernd<br />
gereizt, so dass ich <strong>mit</strong> der Bitte um<br />
Ausstieg aus der <strong>Pro</strong>jektarbeit konfrontiert<br />
wurde. Mittlerweile habe<br />
ich eine ganze IV-Rente und arbeite<br />
noch stundenweise in der alten Firma.<br />
Das Familienleben hat sich<br />
stark verändert.<br />
Interview <strong>mit</strong> einem Betroffenen<br />
Das nachfolgende Interview wurde <strong>mit</strong> Herrn Gerd Schwittay geführt,<br />
der im Rahmen <strong>einer</strong> Diplomarbeit befragt wurde.<br />
Herr Schwittay erlitt im Jahr 2009 einen<br />
Hirnschlag, als er <strong>mit</strong> seinen Söhnen<br />
am Fussballspielen war. Nachdem<br />
er mehrere Male hintereinander die<br />
Kontrolle über seine Beine verloren<br />
hatte und trotz Zusammenbrechen<br />
keinen Schmerz empfand, liess er<br />
sich im Spital untersuchen. Bei Herrn<br />
Schwittay wurde im Spital zuerst ein<br />
Schwächeanfall diagnostiziert. Da er<br />
zu Hause in Gegenstände lief, seine<br />
Kleider verkehrt herum anzog und<br />
das Natel plötzlich nicht mehr bedienen<br />
konnte, fuhr er aus Angst <strong>mit</strong> s<strong>einer</strong><br />
Frau zur Notfallaufnahme. Tests<br />
ergaben, die Diagnose ischämische<br />
<strong>Hirnverletzung</strong>. Die ersten Symptome<br />
waren ein Gesichtsfeldausfall, ein vermindertes<br />
Erinnerungsvermögen und<br />
Denkstörungen. Es folgte ein fünfwöchiger<br />
Reha-Aufenthalt.<br />
Ich habe gedacht, alles gehe<br />
so weiter wie vorher.<br />
Herr Schwittay, welche Veränderungen<br />
kamen nach der Entlassung aus der<br />
Reha im Alltag auf Sie zu?<br />
Ich bin nach der Entlassung eigentlich<br />
das erste Mal auf die Welt gekommen.<br />
Ich habe gedacht, alles gehe so<br />
weiter wie vorher. Als ich <strong>mit</strong> m<strong>einer</strong><br />
Frau und den Kindern in eine Zirkusvorstellung<br />
ging, wurde mir erstmalig<br />
Welche Hilfestellungen haben Sie erhalten?<br />
Mein Freundeskreis, meine Familie<br />
und meine Arbeitskollegen unterstützen<br />
mich sehr. Ich habe in meinem<br />
privaten Umfeld Fachpersonen der Mebewusst,<br />
dass ich die Geräusche nicht<br />
mehr verarbeiten kann. Ich ging deshalb<br />
alleine <strong>mit</strong> dem Tram nach Hause.<br />
Der Lärmpegel in der Stadt macht mir<br />
heute noch zu schaffen, deshalb trage<br />
ich spezielle Kopfhörer, um die Geräusche<br />
zu dämmen. Auch in Gesprächen<br />
werde ich sehr schnell von anderen<br />
Geräuschen abgelenkt. Die Klangfarbe<br />
der Stimme ist für mich nicht mehr zu<br />
erkennen, es klingt alles monoton. Es<br />
ist für mich nicht mehr schön, Musik<br />
zu hören, sie berührt mich emotional<br />
nicht mehr und ich empfinde sie oft<br />
als schauderhaft.<br />
Wie erlebten Sie den Wiedereinstieg in<br />
den Beruf?<br />
Ich hatte das Ziel, im nächsten<br />
Monat wieder 50% arbeiten zu gehen.<br />
Ich musste jedoch ganz langsam wiedereinsteigen<br />
und habe <strong>mit</strong> m<strong>einer</strong><br />
Neuropsychologin zusammen Teilziele<br />
erarbeitet. Es war mein Ziel, das<br />
Pensum allmählich zu steigern, aber<br />
letztlich habe ich mich da<strong>mit</strong> total<br />
überfordert. Ich bin dann zusammengebrochen<br />
und mir ging es psychisch<br />
total schlecht, nachdem mich mein<br />
Hausarzt nur noch 20% arbeitsfähig<br />
geschrieben hat. Ich musste mich<br />
<strong>mit</strong> dem Gedanken auseinandersetzen,<br />
wirklich invalid zu sein. Es hat<br />
mich sehr runtergezogen, denn ich<br />
musste die Steuerung des Geschäftes<br />
vollständig in die Hände meines Ge-<br />
Wie hat sich die der Hirnschlag auf Ihr<br />
Privatleben ausgewirkt?<br />
Das Familienleben hat sich stark<br />
verändert, da heute alles geplant werden<br />
muss. Früher hatten wir sehr viel<br />
Besuch. Heute kann ich nicht mehr viele<br />
Leute um mich herum haben, es ist<br />
mir zu anstrengend. Wir können auch<br />
nicht mehr spontan einen Ausflug machen,<br />
das funktioniert nicht, weil ich<br />
da bald an meine Grenzen komme.<br />
Im normalen Alltag habe ich jetzt einen<br />
Rhythmus gefunden. In den Ferien<br />
verzichte ich oft auf das Schlafen<br />
während des Tages, wofür ich dann<br />
wieder büssen muss. Ich kann nicht<br />
sagen, dass ich die letzten Ferien toll<br />
fand, denn ich muss meine Kräfte einteilen.<br />
Ich bin nicht mehr so begeisterungsfähig<br />
wie früher, da mein Gehirn<br />
im emotionalen Bereich betroffen ist.<br />
Für meine Frau ist es auch schwierig,<br />
dass ich jetzt so viel zu Hause bin. Ich<br />
ertrage manchmal auch meine Kinder<br />
nicht. Anfangs habe ich sehr viel geweint<br />
und ich fühle mich oft einsam,<br />
weil ich an vielem nicht mehr teilhaben<br />
kann. Ich bin eine andere Persönlichkeit<br />
geworden und ich muss lernen,<br />
mein zweites Leben anzunehmen.<br />
Meine Leistungsgrenze war extrem<br />
hoch, mir war nichts zu viel, und jetzt<br />
ist sie massiv runtergefallen. Ich bin<br />
nicht mehr belastbar und muss mir oft<br />
die Frage stellen: Schaffe ich das überhaupt?<br />
4
dizin und der Rechtsprechung, die mir<br />
geholfen haben. Ich denke, auch eine<br />
psychologische Behandlung ist sehr<br />
wichtig. Zudem habe ich drei andere<br />
Hirnschlagpatienten kennen gelernt,<br />
so dass wir uns wie in <strong>einer</strong> Selbsthilfegruppe<br />
austauschen können. Ich lese<br />
auch immer wieder Bücher von Betroffenen.<br />
Das hilft mir.<br />
Durch die <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> habe ich<br />
bezüglich m<strong>einer</strong> Rechtslage und der<br />
Sozialversicherungen zum Zeitpunkt<br />
meines psychischen Zusammenbruches<br />
Unterstützung erhalten. Anhand<br />
<strong>einer</strong> Standortbestimmung in der Sozialberatung<br />
wurde mir hier zudem<br />
bewusst, wie gut abgedeckt ich bin.<br />
Ich bin sehr dankbar, dass es <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong><br />
gibt. Das war für mich die erste<br />
Anlaufstelle. Ich denke, es ist gut für<br />
einen Hirnverletzten, zu sehen, wo die<br />
eigenen Schwächen liegen und welche<br />
Hilfestellungen möglich sind. Ich<br />
kenne zudem eine Juristin, welche im<br />
Behindertenforum arbeitet. Sie hat<br />
mich im Anschluss an die Beratung<br />
bei der <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> im IV-Verfahren<br />
begleitet.<br />
Ich bin eine andere<br />
Persönlichkeit geworden<br />
und ich muss lernen,<br />
mein zweites Leben anzunehmen.<br />
Was soll anhand Ihrer Erfahrung und<br />
eigenen Betroffenheit in der Sozialberatung<br />
<strong>mit</strong> <strong>einer</strong> hirnverletzten Person<br />
berücksichtigt werden?<br />
Berücksichtigt werden sollte m<strong>einer</strong><br />
Meinung nach, dass man die <strong>Hirnverletzung</strong><br />
nicht zwingend sieht. Eigentlich<br />
sollte man <strong>mit</strong> einem Turban<br />
umherlaufen, da<strong>mit</strong> die Behinderung<br />
für einen Aussenstehenden ersichtlich<br />
ist. Die wichtigste Aufgabe eines<br />
Sozialarbeiters finde ich die Feinfühligkeit<br />
und dem <strong>Menschen</strong> offen zu begegnen.<br />
Für mich war es total wichtig,<br />
an einen Ort zu kommen, an dem ich<br />
mich verstanden fühlte und mich austauschen<br />
konnte. Das Verständnis hier<br />
hat mir sehr gut getan.<br />
Pria Jani<br />
Sozialarbeiterin FH, <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> BS<br />
Ambulant Begleitetes Wohnen<br />
(AmBeWo) für <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />
<strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong><br />
Das AmBeWo unterstützt, nebst <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> geistigen Behinderung,<br />
seit zwei Jahren auch <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong>. Wie es zu dieser<br />
Klientenerweiterung kam und was das für die Mitarbeitenden von AmBeWo<br />
bedeutet, fragten wir bei Corinne Ruch, Sozialpädagogin, nach.<br />
Wie kam AmBeWo zur Idee, bei den<br />
Kantonen BL und BS einen Vorstoss bezüglich<br />
<strong>einer</strong> neuen Klientengruppe<br />
«Hirnverletzte» zu machen?<br />
Wir begleiten schon seit vielen<br />
Jahren einzelne <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Hirnverletzung</strong>en.<br />
Die fachliche Nähe zur<br />
Arbeit <strong>mit</strong> geistig behinderten <strong>Menschen</strong><br />
veranlasste uns, <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />
<strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong> offiziell als eine<br />
Erweiterung unserer Kernklientel ins<br />
Auge zu fassen.<br />
Bei <strong>einer</strong> Vorstellung unserer<br />
Dienstleistung im REHAB Basel stellten<br />
wir im Gespräch <strong>mit</strong> der dortigen<br />
Sozialberatung fest, dass es einige<br />
hirnverletzte <strong>Menschen</strong> gibt, die unser<br />
Angebot gerne in Anspruch nehmen<br />
würden.<br />
Wie hat sich die Situation danach entwickelt?<br />
Wir haben im Felix-Platter-Spital,<br />
im REHAB Basel, bei der <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong><br />
und der Stiftung Mosaik (Beratungsstelle<br />
für Behinderte) eine Bedürfnisabklärung<br />
gemacht. Daraus ergab sich<br />
dann ganz klar, dass bei <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />
<strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong> der Bedarf für<br />
unsere Dienstleistungen vorhanden<br />
ist. Nach intensiven Gesprächen <strong>mit</strong><br />
beiden Kantonen bekamen wir offiziell<br />
die Bewilligung, diese <strong>Menschen</strong><br />
sowie solche <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> cerebralen Parese<br />
oder <strong>einer</strong> Sinnesbehinderung<br />
neu zu begleiten.<br />
Im Augenblick begleiten wir 8 <strong>Menschen</strong><br />
<strong>mit</strong> <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong>. Das<br />
sind 10% unserer Klienten.<br />
Habt ihr spezialisiertes Personal angestellt,<br />
um den neuen Anforderungen gerecht<br />
werden zu können?<br />
Nein. Wir haben uns selber weitergebildet,<br />
um den Anforderungen<br />
gerecht zu werden. Eine Teamkollegin<br />
und ich haben den Grundlagenkurs<br />
von Fragile Suisse besucht. Ich habe<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Hirnverletzung</strong>en<br />
haben zum Teil<br />
unsichtbare Beeinträchtigungen<br />
wie Vergesslichkeit,<br />
<strong>Pro</strong>bleme <strong>mit</strong> der Orientierung<br />
und Müdigkeit.<br />
ihn <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Zertifizierung abgeschlossen.<br />
Zusätzlich kamen eine Mitarbeiterin<br />
von Fragile und ein Betroffener<br />
einen halben Tag zu uns ins Team<br />
und brachten uns die Thematik näher.<br />
Die neuen Mitarbeitenden habe ich jeweils<br />
in die wichtigsten Themen eingeführt.<br />
Bei der Wahl unseres Supervisors<br />
haben wir Wert darauf gelegt,<br />
dass dieser ein breites Fachwissen<br />
über die Folgen von <strong>Hirnverletzung</strong>en<br />
hat. Weitere fachspezifische Fortbildungen<br />
sind bereits geplant.<br />
Du hast den Grundlagenkurs von Fragile<br />
Suisse besucht. Wovon hast du besonders<br />
profitiert?<br />
In allen Kursen von Fragile sind<br />
Betroffene als Co-Moderatoren <strong>mit</strong><br />
dabei. Sie wurden für diese Aufgabe<br />
speziell geschult. Das half mir, bei<br />
meinen aktuellen Begleitungen noch<br />
besser zu verstehen, wie es direkt<br />
Betroffenen ergeht <strong>mit</strong> ihren Beeinträchtigungen.<br />
Ich weiss auch mehr<br />
über die zum Teil unsichtbaren Beeinträchtigungen<br />
bei <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />
<strong>Hirnverletzung</strong>en wie zum Beispiel<br />
Vergesslichkeit, <strong>Pro</strong>bleme <strong>mit</strong> der Orientierung,<br />
Müdigkeit (aufgrund von<br />
erhöhtem Energieverbrauch des Gehirns)<br />
und vieles mehr.<br />
Sehen die Begleitungen anders aus bei<br />
den Hirnverletzten?<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> kognitiven<br />
Beeinträchtigung haben diese meist<br />
von Geburt an. Bei <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />
Thema März 2012 / Nr. 30<br />
5
tung und die Sozialberatungen von<br />
<strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong>, REHAB, Fragile Suisse<br />
und Stiftung Mosaik.<br />
<strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong> hingegen geschieht<br />
die Schädigung des Gehirns<br />
im Laufe ihres Lebens. Die Erinnerung<br />
an ein Leben vor der Schädigung beeinflusst<br />
ihr aktuelles Leben ganz<br />
klar und da<strong>mit</strong> auch die Begleitung.<br />
Ansonsten sind die Begleitungen<br />
nach den individuellen Bedürfnissen<br />
dieser <strong>Menschen</strong> gestaltet, wie<br />
bei unseren anderen Klienten auch.<br />
Es fehlen geeignete Arbeitsplätze<br />
für <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />
<strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong>.<br />
Was heisst das für euch?<br />
Ich mache ein Beispiel: Eine Person<br />
kann vier Fremdsprachen fliessend<br />
sprechen und lesen, ist aber nicht<br />
mehr in der Lage, ein ganzes Buch<br />
zu lesen, da sie sich nicht mehr alles<br />
merken kann. Oder eine Person hat<br />
ein grosses Allgemeinwissen, schafft<br />
es aber nicht immer, ihre Post durchzusehen,<br />
weil die Konzentration nicht<br />
immer gleich gut vorhanden ist. Oder<br />
bei einem Begleittermin ist die Person<br />
so müde, dass sie sich hinlegen muss<br />
und ich dann wieder gehe, ohne etwas<br />
<strong>mit</strong> ihr gemacht zu haben. Auf solche<br />
individuellen Gegebenheiten müssen<br />
wir Rücksicht nehmen.<br />
dort ein Gesuch stellen und erhält gegebenenfalls<br />
von ihr finanzielle Unterstützung.<br />
Ist beides nicht gegeben,<br />
müssen die Klienten selber für die<br />
Finanzierung der Begleitstunden aufkommen.<br />
Hat sich eine neue Zusammenarbeit <strong>mit</strong><br />
den Fachstellen ergeben?<br />
Mit dem REHAB Basel besteht eine<br />
gute Zusammenarbeit. Mit Fragile<br />
Suisse entsteht Kontakt vor allem über<br />
die Weiterbildungen oder bei fachspezifischen<br />
Fragen.<br />
Was gibt es für ergänzende Angebote?<br />
Es gibt noch die Spitex für die Hilfe<br />
im Haushalt, psychologische Beglei-<br />
Was fehlt bei den Angeboten eurer Meinung<br />
nach?<br />
Es fehlen geeignete Arbeitsplätze<br />
für <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong>.<br />
Meist arbeiten sie in geschützten<br />
Werkstätten und können ihr vielseitiges<br />
Wissen und die grosse Berufserfahrung<br />
von früher kaum einbringen.<br />
Daher wünschen wir uns eine Eingliederung<br />
dieser <strong>Menschen</strong> in den ersten<br />
Arbeitsmarkt.<br />
Zusätzlich wäre ein Tageszentrum<br />
ein gutes ergänzendes Angebot für<br />
<strong>Menschen</strong>, die nicht mehr arbeiten<br />
können, trotzdem aber eine gewisse<br />
Tagesstruktur wünschen.<br />
Patrizia Bianchi,<br />
Sozialpädagogin AmBeWo,<br />
Stiftung Mosaik<br />
Wer bezahlt die Begleitstunden?<br />
Wer Anspruch auf eine IV und Ergänzungsleistungen<br />
hat, dem werden<br />
die Begleitstunden von der Ausgleichskasse<br />
bezahlt. Wer von <strong>einer</strong> Unfallversicherung<br />
eine Rente bezieht, muss<br />
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Tagesstrukturen für <strong>Menschen</strong><br />
<strong>mit</strong> <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong><br />
Der Bedarf nach Tagesstrukturplätzen für <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> erworbenen<br />
<strong>Hirnverletzung</strong> ist da und unbestritten.<br />
So hat bereits die kantonale Bedarfsplanung<br />
2008 und zuletzt 2010 darauf<br />
hingewiesen, dass weiterhin kein spezialisiertes<br />
Angebot für hirnverletzte<br />
<strong>Menschen</strong> in der Region besteht. Die<br />
beiden Kantone Basel-Stadt und Basel-<br />
Landschaft schlugen deshalb vor, Mittel<br />
für die Schaffung von 12 Tagesplätzen<br />
für <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong><br />
bereitzustellen. So geschehen<br />
– und jetzt?<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> erworbenen<br />
Hirnschädigung<br />
benötigen eine besondere<br />
Form der Strukturierung<br />
des Tagesablaufs.<br />
Was ist eigentlich so besonders an <strong>Menschen</strong><br />
<strong>mit</strong> <strong>einer</strong> erworbenen <strong>Hirnverletzung</strong>,<br />
dass spezialisierte Angebote<br />
geschaffen werden sollen?<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> erworbenen<br />
Hirnschädigung benötigen aufgrund<br />
ihrer Beeinträchtigung und ihrer völlig<br />
veränderten Lebenssituation nach<br />
dem Schädigungsereignis eine besondere<br />
Form der Strukturierung des<br />
Tagesablaufs. Die unterschiedlichen<br />
Teilleistungen, die noch erbracht werden<br />
können, erfordern eine besondere<br />
Flexibilität und Bedarfsorientiertheit<br />
des Angebots.<br />
Folgende Ziele sollen <strong>mit</strong> der Tagesstruktur<br />
erreicht werden:<br />
• Unterstützen/Schaffung eines Tagesrhythmus<br />
• Aufbau von Selbstvertrauen in das<br />
eigene Handeln, Steigerung des Selbstwertgefühls<br />
• Förderung von Fähigkeiten und<br />
Fertigkeiten, die von den Betroffenen<br />
erlernt werden sollen, und solchen,<br />
die deren Selbstbestimmung und<br />
Selbstständigkeit erweitern (Förderung<br />
von Alltagsfähigkeiten, Vorbereitung<br />
auf einen Arbeitsplatz)<br />
• Integration in eine grössere Gruppe<br />
bis hin zur Teilhabe an Angeboten<br />
ausserhalb des Tageszentrums<br />
Warum so und nicht anders, zum Beispiel<br />
integriert in die bestehenden Tageszentren?<br />
Eine <strong>Hirnverletzung</strong> verändert das<br />
Leben eines <strong>Menschen</strong> schlagartig<br />
und nachhaltig. Die möglichen Folgeschäden<br />
<strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong> wie<br />
veränderte Denkprozesse, durcheinandergeratene<br />
Emotionen, körperliche<br />
Beeinträchtigungen führen meist zu<br />
<strong>einer</strong> Verunsicherung bezüglich der eigenen<br />
Möglichkeiten. Der Weg zurück<br />
in ein grösstmöglich selbst gestaltetes<br />
Leben ist ein beschwerlicher <strong>Pro</strong>zess,<br />
der sich über Jahre hinziehen kann. Er<br />
erfordert nicht nur viel Kraft und Anstrengungen<br />
der Betroffenen, sondern<br />
auch den Einsatz und das Zusammenwirken<br />
verschiedener Fachkräfte und<br />
Angebote für ein gemeinsames Ziel:<br />
die bestmögliche soziale und berufliche<br />
Wiedereingliederung.<br />
Nicht immer ist klar, wie die tagesstrukturierenden<br />
Angebote aussehen müssen.<br />
Die Begleitung und die Integration<br />
der <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong><br />
in ihre veränderte Situation ist das Ziel<br />
der Tagestruktur. Bedingt durch die<br />
Schädigung gelingt dies bei zahlrei-<br />
Der Weg zurück in ein<br />
grösstmöglich selbst<br />
gestaltetes Leben ist ein<br />
beschwerlicher <strong>Pro</strong>zess.<br />
chen Betroffenen nicht auf Anhieb. Sie<br />
haben oftmals k<strong>einer</strong>lei Krankheitseinsicht.<br />
Oft wurden Schutzmechanismen<br />
entwickelt und ein eigenes Weltbild,<br />
das zur Verleugnung der Realität<br />
dient. Deshalb braucht es ein spezialisiertes<br />
Tageszentrum, eine verlässliche<br />
Umgebung und vertrauensbildende<br />
Atmosphäre, die es den <strong>Menschen</strong><br />
ermöglicht, sich <strong>mit</strong> der veränderten<br />
Situation schrittweise auseinanderzusetzen.<br />
Die <strong>Menschen</strong> erinnern sich meistens<br />
noch an ihren «alten» Tagesablauf.<br />
Deshalb werden die Leistungen,<br />
die sich aus der Bewältigung von ganz<br />
einfachen Handlungsabläufen innerhalb<br />
der persönlichen Pflege oder im<br />
hauswirtschaftlichen Bereich ergeben,<br />
oft als minderwertig eingestuft.<br />
Infolgedessen muss zunächst die<br />
Motivation geweckt werden, diese alltagsnahen<br />
Leistungen neu zu erlernen<br />
und zu trainieren. Stärken fördern –<br />
Schwächen kompensieren, heisst das<br />
Ziel.<br />
Dass ein Tageszentrum von Beratungsstellen,<br />
kantonalen Fachstellen<br />
und Trägerschaften in der Region<br />
Basel als sinnvoll und notwendig erachtet<br />
wird, ist also unbestritten, da es<br />
die Lebensqualität von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />
<strong>einer</strong> <strong>Hirnverletzung</strong> deutlich verbessern<br />
und so letztlich auch Folgekosten<br />
verhindern kann.<br />
Derzeit arbeitet der Verein WKB an<br />
der konzeptionellen Umsetzung für<br />
ein solches Tageszentrum. Die tätige<br />
interdisziplinäre <strong>Pro</strong>jektgruppe <strong>mit</strong><br />
Personen aus verschiedenen Institutionen<br />
(<strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> Basel-Stadt, Fragile<br />
Suisse Basel, REHAB Basel AG, Stiftung<br />
Mosaik) erwartet in Kürze den<br />
Entscheid der kantonalen Fachdienste<br />
über den <strong>Pro</strong>jektantrag. Als gemeinnütziger<br />
und regionaler Verein realisiert<br />
WKB bereits seit 20 Jahren erfolgreich<br />
und kompetent bedarfsgerechte<br />
Wohn- und tagesstrukturgebende Angebote<br />
für <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderungen.<br />
Ralf Bühner,<br />
Geschäftsleiter Verein WKB<br />
Weitere Informationen<br />
gerne auf Anfrage direkt an<br />
Verein WKB<br />
Bachlettenstrasse 12<br />
4054 Basel<br />
Telefon 061 271 51 22<br />
Thema März 2012 / Nr. 30<br />
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Thema März 2012 / Nr. 30<br />
Übrigens<br />
Eintritt Pria Jani<br />
Vor zwei Jahren durfte ich mein zweites<br />
Praktikum im Rahmen der Ausbildung<br />
zur Sozialarbeiterin bei der <strong>Pro</strong><br />
<strong>Infirmis</strong> in Basel erleben. Ich hatte das<br />
Glück, von meinen Teamkolleginnen<br />
und -kollegen ausgezeichnet begleitet<br />
und auch angeleitet zu werden.<br />
Als frischgebackene Sozialarbeiterin<br />
konnte ich dann während sieben Monaten<br />
als Mutterschaftsvertretung in der<br />
Beratungsstelle <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> Luzern,<br />
Ob- und Nidwalden weitere Erfahrungen<br />
sammeln. Seit Oktober 2011 bin<br />
ich nun wieder hier in der Beratungsstelle<br />
Basel-Stadt. Da ich die Sozialarbeit<br />
als sehr vielseitig und spannend<br />
erlebe, sehe ich sie nicht nur als meinen<br />
Beruf, sondern sogar als meine Berufung<br />
an. Die gegenseitige Unterstützung<br />
im Team und die abwechslungsreiche<br />
Arbeit <strong>mit</strong> den Klientinnen und<br />
Klienten führen dazu, dass ich mich in<br />
der aktuellen Aufgabe, <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />
<strong>einer</strong> Behinderung zu beraten, sehr<br />
wohl fühle. Ich schätze es sehr, dass<br />
mich mein Weg wieder hierher geführt<br />
hat, und bin stolz, weiterhin bei <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong><br />
tätig zu sein.<br />
Herausgeberin: <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong>,<br />
Kantonale Geschäftsstelle und<br />
Beratungsstelle Basel-Stadt<br />
Bachlettenstrasse 12<br />
CH-4054 Basel<br />
Telefon 061 225 98 60<br />
Fax 061 225 98 65<br />
Redaktion: Melanie Berger,<br />
Sandra Miotto, Dominik Fischer<br />
© <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong>, Auflage 1800<br />
Jubiläum 20 Jahre<br />
Fachstelle Hindernisfreies<br />
Bauen<br />
Im Jahr 1991 wurde die Fachstelle<br />
für Hindernisfreies Bauen bei <strong>Pro</strong><br />
<strong>Infirmis</strong> Basel-Stadt eröffnet und<br />
eine Fachberatung für Architekten,<br />
Bauherren und Behinderte eingeführt.<br />
Schwerpunktaktivitäten lagen in der<br />
Öffentlichkeitsarbeit und Schulung<br />
von Baufachleuten.<br />
Damals wurde das hindernisfreie<br />
Bauen nur wenig beachtet. Dies änderte<br />
sich erst <strong>mit</strong> dem totalrevidierten<br />
Baugesetz <strong>mit</strong> griffigen Bestimmungen<br />
zum behindertengerechten Bauen.<br />
Als Folge davon erarbeiteten der<br />
Kanton und <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> eine Leistungsvereinbarung<br />
und <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong><br />
erhielt ein Einsprache- und Rekursrecht.<br />
Da<strong>mit</strong> begann eine neue Ära.<br />
Seither hat sich die Situation nachhaltig<br />
verbessert.<br />
Viele Bauten <strong>mit</strong> Publikumsverkehr<br />
und öffentliche Gebäude sind heute für<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderungen zugänglich.<br />
Auch bei Strassen und Trottoirs<br />
und im Wohnungsbau hat sich vieles<br />
gewandelt. Verbessert haben sich aber<br />
auch die Massnahmen zugunsten von<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Seh- oder Hörbehinderung.<br />
FRANKREICH<br />
Kleinlützel<br />
KANTON JURA<br />
Rodersdorf<br />
Bärschwil<br />
Bezirk Dorneck<br />
Bezirk Thierstein<br />
Metzerlen-<br />
Mariastein<br />
Bättwil<br />
Witterswil<br />
Hofstetten-<br />
Flüh<br />
KANTON<br />
BASEL-LANDSCHAFT<br />
Grindel<br />
Erschwil<br />
Verbesserungspotenzial gibt es<br />
noch bei vielen älteren, oft denkmalgeschützten<br />
Bauten und Anlagen. Verstärkt<br />
werden muss auch der Einbezug<br />
der Anliegen von seh- und hörbehinderten<br />
<strong>Menschen</strong>.<br />
Es gibt noch viel zu tun – packen<br />
wir es an.<br />
Sozialberatung in den<br />
Bezirken Dorneck und<br />
Thierstein des Kantons<br />
Solothurn<br />
Per 1. Oktober 2011 wurde die Sozialberatung<br />
von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>einer</strong><br />
Behinderung aus den Bezirken Dorneck<br />
und Thierstein von <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong><br />
Solothurn an <strong>Pro</strong> <strong>Infirmis</strong> Basel-Stadt<br />
übertragen.<br />
Die Nähe und die guten Verkehrsverbindungen<br />
nach Basel erleichtern<br />
den Betroffenen die Inanspruchnahme<br />
der Sozialberatung. Die Reaktionen<br />
der Behinderten aus diesen Gebieten<br />
zeigen deutlich, dass die Vereinfachungen<br />
im Dienstleistungsangebot<br />
sehr geschätzt werden.<br />
Im Verlauf des Jahres 2012 werden<br />
wir unsere Partnerorganisationen im<br />
Gebiet kontaktieren, über die Neuerungen<br />
und die ersten Erfahrungen<br />
informieren und die Zusammenarbeit<br />
initiieren.<br />
Himmelried<br />
Breitenbach<br />
Fehren Nunningen<br />
Büsserach<br />
Zullwil<br />
Meltingen<br />
KANTON BERN<br />
Beinwil<br />
Dornach<br />
Hochwald<br />
Gempen Nuglar-<br />
St. Pantaleon<br />
Seewen<br />
Büren<br />
KANTON<br />
BASEL-LANDSCHAFT<br />
KANTON SOLOTHURN<br />
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