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I

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I<br />

Liebt Gerechtigkeit<br />

II<br />

Lob der Weisheit<br />

III<br />

Vergegenwärtigung<br />

des Exodus<br />

I<br />

Liebt Gerechtigkeit<br />

Kap. 01<br />

Liebt Gerechtigkeit, die ihr die Erde regiert!<br />

Denkt in rechter Gesinnung an den Herrn und sucht ihn in der Einfalt des Herzens!<br />

Denn er lässt sich von denen finden, die ihn nicht versuchen,<br />

und er offenbart sich denen, die ihm nicht misstrauen.<br />

Doch verkehrte Gedanken trennen von Gott,<br />

und die auf die Probe gestellte Allmacht stößt die Toren von sich.<br />

In eine Böses sinnende Seele kehrt ja die Weisheit nicht ein<br />

und nimmt nicht Wohnung in einem Leib, der ein Sklave der Sünde ist.<br />

Flieht doch der heilige Geist der Zucht vor der Falschheit<br />

und zieht weg von törichten Gedanken<br />

und wird verscheucht, sobald Ungerechtigkeit naht.<br />

Wohl ist die Weisheit ein menschenfreundlicher Geist.<br />

Sie kann aber den Lästerer seiner Reden wegen nicht ungestraft lassen.<br />

Ist Gott doch Zeuge seiner innersten Empfindungen,<br />

wirklicher Beobachter seines Herzens<br />

und Hörer seiner Worte.<br />

Der Geist des Herrn erfüllt ja den Erdkreis,<br />

und er, der alles zusammenhält, hat Kenntnis von jeglicher Rede.<br />

Darum bleibt keiner verborgen, der Unrechtes redet,<br />

und die strafende Gerechtigkeit geht an ihm nicht vorüber.<br />

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Das Buch der Weisheit<br />

Liebt Gerechtigkeit<br />

Kap. 02<br />

Denn die Pläne des Gottlosen werden untersucht;<br />

die Kunde von seinen Reden kommt vor den Herrn<br />

zur Bestrafung seiner Vergehen,<br />

weil das Ohr des Eifers alles vernimmt<br />

und auch das leiseste Gemurmel nicht verborgen bleibt.<br />

Hütet euch also vor nutzlosem Murren,<br />

bewahrt euere Zunge vor Verleumdung;<br />

denn heimliches Gerede bleibt nicht ungestraft,<br />

und ein Mund, der lügt, tötet die Seele.<br />

Trachtet nicht nach dem Tod durch den Irrweg eueres Lebens,<br />

und zieht nicht das Verderben herbei durch die Werke euerer Hände!<br />

Denn Gott hat den Tod nicht gemacht<br />

und hat keine Freude an dem Untergang der Lebenden.<br />

Hat er doch alles zum Sein erschaffen,<br />

und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt.<br />

Es ist kein verderbliches Gift in ihnen,<br />

noch gibt es auf Erden eine Herrschaft der Unterwelt.<br />

Denn die Gerechtigkeit ist unsterblich.<br />

Die Gottlosen aber rufen ihn mit Gebärden und Worten herbei<br />

und verzehren sich in Sehnsucht nach ihm, als wäre er ihr Freund,<br />

und schließen einen Bund mit ihm,<br />

weil sie verdienen, ihm zu gehören.<br />

In ihrer verkehrten Sinnesart sprechen sie zueinander:<br />

Kurz und trübselig ist unser Leben;<br />

es gibt weder ein Heilmittel beim Ende des Menschen,<br />

noch ist der Retter aus der Unterwelt bekannt.<br />

Wir sind ja durch Zufall entstanden,<br />

und später werden wir sein, als wären wir nie gewesen.<br />

Ist doch nur Dunst der Hauch in unserer Nase<br />

und das Denken nur ein Funke beim Schlag unseres Herzens.<br />

Erlischt er, so wird der Leib zu Asche,<br />

und der Geist verflüchtigt sich wie dünne Luft.<br />

Selbst unser Name wird mit der Zeit vergessen,<br />

und niemand denkt mehr an unsere Taten.<br />

Unser Leben geht vorüber wie die Spur einer Wolke<br />

und löst sich auf wie ein Nebel,<br />

der von den Strahlen der Sonne verscheucht<br />

und von ihrer Wärme zu Boden gedrückt wird.<br />

Denn unser Leben huscht vorbei wie ein Schatten,<br />

und unser Ende wiederholt sich nicht,<br />

weil es besiegelt ist und keiner wiederkehrt.<br />

Auf, lasst uns die augenblicklichen Güter genießen<br />

und eifrig die Welt ausnützen wie es der Jugend zukommt.<br />

Kostbare Weine und Salben wollen wir in Fülle genießen,<br />

und keine Frühlingsblume soll uns entgehen.<br />

Lasst uns mit knospenden Rosen bekränzen, ehe sie verwelken!<br />

Keiner von uns entziehe sich unserem ausgelassenen Treiben.<br />

Überall wollen wir Zeichen unserer Lust hinterlassen;<br />

denn das ist unser Anteil und das unser Los.<br />

Wir wollen den armen Gerechten unterdrücken,<br />

die Witwe nicht schonen,<br />

noch das graue Haar des betagten Greises scheuen.<br />

Unsere Stärke sei Norm der Gerechtigkeit;<br />

denn das Schwache erweist sich als wertlos.<br />

Lasst uns dem Gerechten nachstellen, denn er ist uns im Weg.<br />

Er tritt unserem Treiben entgegen;<br />

er klagt uns der Gesetzesübertretung an<br />

und wirft uns unsere Verfehlungen gegen die Zucht vor.<br />

Er rühmt sich, die Erkenntnis Gottes zu besitzen,<br />

und nennt sich einen Knecht des Herrn.<br />

Er ist ein lebendiger Vorwurf unserer Gesinnung;<br />

schon sein Anblick ist uns lästig.<br />

Denn sein Lebenswandel weicht von allen anderen ab,<br />

und ungewöhnlich sind seine Wege.<br />

Wir gelten ihm als falsche Münze,<br />

und er meidet wie Unrat unsere Wege.<br />

Das Los der Gerechten aber preist er glücklich<br />

und nennt prahlend Gott seinen Vater.<br />

Lasst uns einmal sehen, ob seine Reden wahr sind;<br />

machen wir die Probe, wie es mit ihm endet.<br />

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Das Buch der Weisheit<br />

Liebt Gerechtigkeit<br />

Kap. 03<br />

Denn ist der Gerechte Gottes Sohn,<br />

so wird er sich seiner annehmen<br />

und ihn aus der Hand der Widersacher befreien.<br />

Durch Höhnen und Misshandlung wollen wir ihn prüfen,<br />

damit wir seine Sanftmut kennenlernen<br />

und seine Geduld erproben.<br />

Zu schimpflichem Tod wollen wir ihn verurteilen;<br />

denn nach seinen Worten wird ihm ja Gottes Schutz zuteil.<br />

So denken sie, aber sie täuschen sich;<br />

denn ihre Bosheit hat sie blind gemacht.<br />

Sie erkennen nicht die geheimnisvollen Absichten Gottes.<br />

Darum hoffen sie weder auf einen Lohn für die Frömmigkeit,<br />

noch wissen sie etwas von einem Ehrenpreis für untadelige Seelen zu schätzen.<br />

Gott hat ja den Menschen zur Unsterblichkeit erschaffen<br />

und ihn zum Abbild seines eigenen Wesens gemacht.<br />

Durch den Neid des Teufels aber ist der Tod in die Welt gekommen,<br />

und die ihm angehören, werden ihn erfahren.<br />

Die Seelen der Gerechten aber sind in Gottes Hand,<br />

und keine Qual kann sie berühren.<br />

In den Augen der Toren schienen sie tot zu sein;<br />

ihr Ende wurde als Unglück angesehen<br />

und ihr Weggehen von uns als Vernichtung;<br />

sie aber sind im Frieden.<br />

Denn wenn sie auch nach der Ansicht der Menschen gestraft wurden,<br />

so war doch ihre Hoffnung von Unsterblichkeit erfüllt.<br />

Nach nur geringer Züchtigung<br />

empfangen sie große Wohltaten;<br />

denn Gott hat sie geprüft<br />

und sie seiner würdig befunden.<br />

Wie Gold im Schmelzofen hat er sie erprobt<br />

und wie ein vollkommenes Brandopfer angenommen.<br />

Zur Zeit ihrer Heimsuchung werden sie aufleuchten<br />

wie Funken, die durch die Stoppeln dahinfahren.<br />

Sie werden Völker richten<br />

Kap. 04<br />

und über Nationen herrschen;<br />

der Herr wird auf ewig ihr König sein.<br />

Die auf ihn vertrauten, werden die Wahrheit erkennen,<br />

und die treu gewesen sind, werden in Liebe bei ihm verweilen;<br />

denn Gnade und Erbarmen wird seinen Auserwählten zuteil.<br />

Die Gottlosen aber werden gemäß ihrer Gesinnung Strafe erleiden,<br />

sie, die den Gerechten verachteten und vom Herrn abgefallen sind.<br />

Denn unglücklich ist, wer Weisheit und Zucht verschmäht;<br />

nichtig ist ihre Hoffnung, vergeblich ihr Mühen,<br />

und unnütz sind ihre Werke.<br />

Ihre Frauen sind töricht,<br />

ihre Kinder böse,<br />

und verflucht ist ihr Geschlecht.<br />

Selig ist die Unfruchtbare, die unschuldig blieb,<br />

die kein sündiges Beilager kannte.<br />

Ihre Fruchtbarkeit wird sich zeigen beim Endgericht.<br />

Selig auch der Kinderlose, der nichts Gesetzwidriges mit seinen Händen tat,<br />

der nichts Böses gegen den Herrn im Sinn hatte,<br />

wird ihm doch der auserlesene Lohn der Treue zuteil<br />

und ein köstliches Erbe im Tempel des Herrn.<br />

Denn herrlich ist die Frucht guter Bemühungen,<br />

und die Wurzel der Klugheit stirbt nicht ab.<br />

Die Kinder der Ehebrecher aber gedeihen nicht,<br />

und die Frucht einer sündhaften Verbindung schwindet dahin.<br />

Wenn sie auch lange leben, so gelten sie dennoch nichts,<br />

und ehrlos wird am Ende ihr Alter sein.<br />

Sterben sie aber früh dahin, dann werden sie weder Hoffnung<br />

noch Trost am Tag der Entscheidung haben;<br />

denn schlimm ist das Ende eines ungerechten Geschlechts.<br />

Besser ist Kinderlosigkeit mit Tugend;<br />

denn unsterblich ist ihr Ruhm,<br />

weil sie bei Gott und den Menschen anerkannt wird.<br />

Ist sie gegenwärtig, so ahmt man sie nach;<br />

ist sie fern, so sehnt man sich nach ihr;<br />

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Das Buch der Weisheit<br />

Liebt Gerechtigkeit<br />

in Ewigkeit schreitet sie, geschmückt mit dem Kranz, im Triumph daher,<br />

weil sie im edlen Wettkampf gesiegt hat.<br />

Der entschlafene Gerechte verurteilt die lebenden Gottlosen<br />

und die früh vollendete Jugend das an Jahren reiche Alter des Sünders.<br />

Die große Kinderschar der Gottlosen aber bringt keinen Nutzen;<br />

aus unechten Schösslingen entsprossen,<br />

treibt sie keine Wurzeln in die Tiefe,<br />

noch wird sie festen Boden fassen.<br />

Denn wenn sie auch eine Zeit lang üppig in die Zweige schießt,<br />

so wird sie doch, die ohne festen Halt dasteht,<br />

vom Wind hin und her geschüttelt<br />

und von der Gewalt der Stürme entwurzelt.<br />

Ringsum werden die noch unentwickelten Äste geknickt,<br />

und ihre Frucht ist unreif, ungenießbar<br />

und zu nichts nütze.<br />

Denn Kinder, die aus sündigem Beischlaf entsprossen sind,<br />

treten beim Gericht als Zeugen der Schlechtigkeit<br />

gegen ihre eigenen Eltern auf.<br />

Der Gerechte aber wird, auch wenn er vorzeitig stirbt,<br />

in Ruhe sein.<br />

Denn ein ehrenvolles Alter besteht nicht in einem langen Leben;<br />

es wird nicht nach der Zahl der Jahre gemessen.<br />

Vielmehr gilt für die Menschen Einsicht als graues Haar<br />

und mehr als Alter ein Leben ohne Makel.<br />

Da er Gott wohlgefällig war, wurde er von ihm geliebt,<br />

und weil er mitten unter Sündern lebte, wurde er entrückt.<br />

Er wurde weggenommen, damit nicht die Bosheit seinen Sinn verkehrte,<br />

und Arglist seine Seele verführte.<br />

Denn der Zauber des Lasters verdunkelt das Gute,<br />

und der Taumel der Lust verwandelt ein argloses Gemüt.<br />

Früh zur Vollendung gereift, hat er lange Zeit gelebt.<br />

Denn der Herr hatte an seiner Seele Wohlgefallen;<br />

darum eilte sie aus der Mitte der Gottlosigkeit hinweg.<br />

Die Leute sahen es, aber sie verstanden es nicht<br />

und nahmen es sich nicht zu Herzen,<br />

dass Gnade und Erbarmen seinen Auserwählten zuteil wird<br />

und gnädige Belohnung seinen Heiligen.<br />

Kap. 05<br />

Denn sie sehen das Ende des Weisen, aber sie begreifen nicht,<br />

was der Herr über ihn beschlossen hat<br />

und warum er ihn in Sicherheit brachte.<br />

Sie sehen es und urteilen geringschätzig darüber;<br />

der Herr aber wird sie verspotten.<br />

Dann werden sie zu einem Leichnam, den man nicht achtet,<br />

und zum Gespött bei den Toten in Ewigkeit.<br />

Denn sie werden verstummen, wenn er sie lautlos kopfüber hinabstürzt<br />

und bis auf den Grund erschüttert;<br />

sie werden vollständig vernichtet<br />

und müssen Qual erdulden,<br />

und ihr Andenken wird verschwinden.<br />

Zitternd erscheinen sie zur Abrechnung ihrer Sünden,<br />

und ihre Missetaten treten als Ankläger gegen sie auf.<br />

Dann wird der Gerechte mit großer Zuversicht<br />

denen gegenübertreten, die ihn bedrängt<br />

und seine Mühsal gering geschätzt hatten.<br />

Wenn sie dies sehen, werden sie von schrecklicher Furcht erschüttert<br />

und geraten außer sich über seine unerwartete Rettung.<br />

Reuevoll sprechen sie zueinander<br />

und seufzen in ihrer Seelenangst:<br />

Der war es, den wir einst verlachten<br />

und den wir mit Spott überhäuften, wir Toren.<br />

Wir hielten seine Lebensart für Wahnsinn<br />

und sein Ende für Ehrlosigkeit.<br />

Wie kommt es, dass er zu den Söhnen Gottes gezählt wird<br />

und seinen Erbteil unter den Heiligen hat?<br />

So sind wir also vom Weg der Wahrheit abgeirrt,<br />

und das Licht der Gerechtigkeit hat uns nicht geleuchtet,<br />

und die Sonne ist uns nicht aufgegangen.<br />

Bis zur Erschöpfung sind wir<br />

die Pfade der Sünde und des Verderbens gegangen<br />

und durchwanderten unwegsame Wüsten,<br />

den Pfad des Herrn aber haben wir nicht erkannt.<br />

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Das Buch der Weisheit<br />

Liebt Gerechtigkeit<br />

Was hat uns der Übermut genützt<br />

und was der Reichtum mit seiner Prahlerei eingebracht?<br />

Dies alles ging vorüber wie ein Schatten,<br />

wie ein flüchtiges Gerücht,<br />

wie ein Schiff, das die wogende Flut durchschneidet,<br />

von dessen Fahrt keine Spur zu entdecken ist<br />

noch seines Kieles Pfad in den Wellen,<br />

Wie man von einem Vogel, der durch die Luft fliegt,<br />

kein Zeichen seiner Bahn findet –<br />

er peitscht die leichte Luft mit dem Schlag seiner Flügel<br />

und teilt sie mit gewaltig rauschenden Schwingen<br />

und hinterlässt doch keine Spur seines Fluges.<br />

Oder wie wenn ein Pfeil auf das Ziel geschossen wird<br />

und die durchschnittene Luft sofort wieder zusammenfließt,<br />

sodass man seine Bahn nicht mehr erkennt.<br />

So schwinden auch wir, kaum geboren, schon wieder dahin<br />

und hatten kein Zeichen von Tugend aufzuweisen,<br />

sondern wurden in unserer Bosheit dahingerafft.<br />

Ja, die Hoffnung der Gottlosen gleicht der Spreu, die der Wind verweht,<br />

dem leichten Schnee, den der Sturm verjagt,<br />

dem Rauch, den der Wind zerstäubt,<br />

der Erinnerung an einen Gast, der nur einen Tag verweilte.<br />

Die Gerechten aber leben in Ewigkeit,<br />

und ihr Lohn ist im Herrn<br />

und die Sorge für sie beim Höchsten.<br />

Deshalb werden sie das Reich der Herrlichkeit empfangen,<br />

die Krone der Schönheit aus der Hand des Herrn,<br />

weil er sie mit der Rechten schützen<br />

und mit dem Arm beschirmen wird.<br />

Er nimmt als Rüstung seinen Eifer<br />

und bewaffnet die Schöpfung zur Abwehr der Feinde.<br />

Als Panzer zieht er Gerechtigkeit an<br />

und setzt als Helm auf ein unbestechliches Gericht.<br />

Die Heiligkeit nimmt er als unüberwindlichen Schild,<br />

Kap. 06<br />

schärft grimmigen Zorn zum Schwert;<br />

mit ihm kämpft die Welt gegen die Toren.<br />

Blitzespfeile fahren aus den Wolken<br />

und treffen, wie vom wohlgerundeten Bogen geschleudert, auf ihr Ziel.<br />

Und eine Steinschleuder entsendet Hagelkörner voll des göttlichen Zorns,<br />

es wüten gegen sie die Wasser des Meeres<br />

und Ströme schlagen über ihnen ungestüm zusammen.<br />

Der Hauch der Allmacht erhebt sich gegen sie<br />

und verjagt sie wie ein Orkan.<br />

So wird Gottlosigkeit die ganze Welt verwüsten<br />

und Sünde die Throne der Herrscher stürzen.<br />

So hört nun, ihr Könige, und beherzigt es,<br />

lernt, die ihr die Enden der Erde regiert!<br />

Horcht auf, die ihr die Menge beherrscht<br />

und stolz seid auf die Masse der Völker!<br />

Euch wurde vom Herrn die Macht verliehen<br />

und die Herrschaft vom Höchsten,<br />

der euere Werke prüfen und euere Pläne erforschen wird.<br />

Ihr aber habt, obgleich Diener seines Reichs, keine gerechten Urteile gefällt,<br />

das Gesetz nicht gehalten<br />

und nicht nach dem Willen Gottes gelebt.<br />

Furchtbar und schnell wird er über euch kommen,<br />

da an den Großen ein strenges Gericht vollzogen wird.<br />

Dem Geringen wird aus Mitleid Verzeihung gewährt,<br />

die Gewaltigen aber werden gewaltig gestraft.<br />

Denn der Herrscher des Alls scheut vor niemand zurück<br />

und fürchtet sich nicht vor irgendeiner Größe.<br />

Hat er doch Klein und Groß erschaffen<br />

und sorgt in gleicher Weise für alle.<br />

Den Mächtigen aber droht eine strenge Untersuchung.<br />

An euch also, ihr Fürsten, richten sich meine Worte,<br />

damit ihr Weisheit lernt und nicht zu Fall kommt.<br />

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Das Buch der Weisheit<br />

Denn die das Heilige heilig behandeln, werden geheiligt,<br />

und die darin unterwiesen sind, werden sich verantworten können.<br />

Seid also begierig auf meine Worte,<br />

sehnt euch danach und ihr werdet belehrt werden:<br />

Strahlend und unverwelklich ist die Weisheit<br />

und wird leicht von denen erkannt, die sie lieben,<br />

und von denen gefunden, die sie suchen.<br />

Sie gibt sich denen, die nach ihr verlangen,<br />

schon im Voraus zu erkennen.<br />

Wer am frühen Morgen nach ihr ausschaut, braucht sich nicht abzumühen,<br />

denn sie sitzt an seiner Tür.<br />

Über sie nachdenken, ist vollendete Einsicht,<br />

und wer um ihretwillen wacht, ist bald aller Sorgen ledig.<br />

Denn sie selbst geht umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind,<br />

und erscheint ihnen freundlich auf den Wegen<br />

und begegnet ihnen in jedem Vorhaben.<br />

Denn ihr sicherster Anfang ist Verlangen nach Bildung,<br />

Sorge um Bildung aber ist Liebe zu ihr,<br />

Liebe aber ist Beachtung ihrer Gebote,<br />

Beachtung der Gebote aber ist Sicherung der Unsterblichkeit,<br />

Unsterblichkeit aber bringt in Gottes Nähe.<br />

So führt das Verlangen nach Weisheit zur Herrschaft.<br />

Wenn ihr also Freude habt an Thronen und Zeptern, ihr Herrscher der Völker,<br />

so achtet die Weisheit, damit ihr auf ewig herrscht.<br />

II<br />

Lob der Weisheit<br />

Was aber die Weisheit ist und wie sie entstand, will ich verkünden<br />

und will euch das Geheimnisvolle an ihr nicht verbergen.<br />

Vielmehr will ich sie vom ersten Ursprung an erforschen;<br />

was ich über sie weiß, will ich offenlegen<br />

und an der Wahrheit nicht vorübergehen.<br />

Auch will ich nicht mit dem verzehrenden Neid zusammengehen;<br />

denn dieser hat mit der Weisheit nichts gemein.<br />

Eine große Zahl von Weisen ist ja ein Segen für die Welt,<br />

und ein verständiger König bedeutet Wohlstand für das Volk.<br />

So lasst euch denn durch meine Worte belehren;<br />

es wird euch zum Nutzen sein:<br />

Kap. 07<br />

Auch ich bin ein sterblicher Mensch wie alle<br />

und ein Nachkomme des ersterschaffenen Erdgeborenen.<br />

Im Mutterleib wurde ich zu Fleisch gebildet<br />

in zehnmonatiger Frist, im Blut geronnen<br />

aus dem Samen des Mannes und in der Lust des Beischlafs.<br />

Als ich geboren war, atmete auch ich die gemeinsame Luft ein<br />

und fiel auf die Erde, wie solches allen widerfährt;<br />

Weinen war, wie bei allen, auch mein erster Laut.<br />

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Das Buch der Weisheit<br />

Lob der Weisheit<br />

In Windeln wurde ich aufgezogen und in Sorgen.<br />

Denn kein König hat einen anderen Anfang seines Daseins.<br />

Der Eingang in das Leben ist für alle der eine,<br />

wie auch der Ausgang der gleiche ist.<br />

Daher betete ich und es wurde mir Einsicht verliehen;<br />

ich flehte und der Geist der Weisheit kam über mich.<br />

Ich stellte sie höher als Zepter und Throne,<br />

und Reichtum achtete ich für nichts im Vergleich mit ihr.<br />

Keinen unschätzbaren Edelstein stellte ich ihr gleich;<br />

denn neben ihr ist alles Gold nur ein wenig Sand,<br />

und ihr gegenüber wird das Silber nur wie Kot geachtet.<br />

Mehr als Gesundheit und Schönheit liebte ich sie<br />

und gab ihrem Besitz den Vorzug vor dem Licht;<br />

denn nie verlöscht der Glanz, den sie ausstrahlt.<br />

Doch alle Güter kamen mir zugleich mit ihr,<br />

und ungezählter Reichtum war in ihren Händen.<br />

Ich hatte dennoch an alledem meine Freude,<br />

weil die Weisheit seine Führerin ist;<br />

ich wusste aber nicht, dass sie auch seine Urheberin ist.<br />

Arglos lernte ich, neidlos teile ich sie mit,<br />

ihren Reichtum verberge ich nicht.<br />

Sie ist ja den Menschen ein unerschöpflicher Schatz.<br />

Die sich seiner bedienten, haben Freundschaft mit Gott erworben,<br />

empfohlen durch die Gaben, die die Zucht verleiht.<br />

Mir aber möge Gott gewähren, seinem Sinn gemäß zu reden<br />

und Gedanken zu fassen, wie sie der verliehenen Gabe würdig sind.<br />

Denn er selbst ist Führer der Weisheit<br />

und der Weisen Lenker.<br />

In seiner Hand sind ja wir sowohl wie unsere Worte,<br />

jegliche Einsicht und das Geschick zu Kunstfertigkeiten.<br />

Denn er verlieh mir untrügliche Erkenntnis der Dinge,<br />

dass ich den Bau des Weltalls verstünde und die Wirksamkeit der Elemente,<br />

Anfang, Ende und Mitte der Zeiten,<br />

die Wende der Sonne und den Wandel der Jahreszeiten,<br />

den Kreislauf der Jahre und die Stellungen der Gestirne,<br />

Kap. 08<br />

die Natur der Tiere und die Wildheit der Raubtiere,<br />

die Gewalt der Geister und das Denken der Menschen,<br />

die Unterschiede der Pflanzen und die Heilkräfte der Wurzeln.<br />

Was verborgen und sichtbar ist, alles erkannte ich;<br />

denn die alles kunstvoll gestaltet, die Weisheit, hat es mich gelehrt.<br />

Denn in ihr ist ein Geist :<br />

verständig, heilig, einzig in seiner Art und vielfältig,<br />

fein, beweglich, durchdringend,<br />

unbefleckt, klar, unverletzlich, das Gute liebend,<br />

scharf, nicht zu hemmen, wohltätig,<br />

menschenfreundlich, beständig, sicher, sorgenlos,<br />

allmächtig, alles überschauend und alle Geister durchdringend:<br />

die denkenden, reinen und feinsten.<br />

Ist doch die Weisheit beweglicher als jede Bewegung;<br />

in ihrer Reinheit durchdringt und erfüllt sie alles.<br />

Sie ist ja ein Hauch der Kraft Gottes<br />

und ein reiner Ausfluss der Herrlichkeit des Allherrschers;<br />

darum fällt kein Schatten auf sie.<br />

Denn sie ist ein Abglanz des ewigen Lichts<br />

und ein makelloser Spiegel des göttlichen Wirkens<br />

und ein Abbild seiner Güte.<br />

Obwohl sie nur eine ist, vermag sie alles,<br />

und obgleich sie in sich selbst unverändert bleibt, erneuert sie alles.<br />

Von Geschlecht zu Geschlecht tritt sie in heilige Seelen ein<br />

und schafft so Freunde Gottes und Propheten.<br />

Denn Gott liebt keinen,<br />

der nicht mit der Weisheit verbunden ist.<br />

Denn sie ist herrlicher als die Sonne<br />

und erhaben über jedes Sternbild.<br />

Mit dem Licht verglichen, verdient sie den Vorzug;<br />

denn diesem folgt die Nacht,<br />

gegen die Weisheit aber ist die Bosheit machtlos.<br />

Sie erstreckt sich, kraftvoll wirkend, von einem Ende der Welt zum anderen<br />

und durchwaltet vortrefflich das All.<br />

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Das Buch der Weisheit<br />

Lob der Weisheit<br />

Sie liebte und ersehnte ich von meiner Jugend an;<br />

ich suchte sie als Braut mir heimzuführen<br />

und bin ein Verehrer ihrer Schönheit geworden.<br />

Einer edlen Abkunft kann sie sich rühmen, da sie mit Gott zusammenlebt<br />

und auch der Herr des Alls sie liebt.<br />

Denn sie ist in das Wissen Gottes eingeweiht<br />

und bestimmt seine Werke.<br />

Ist aber Reichtum ein begehrenswertes Gut im Leben,<br />

was ist reicher als die Weisheit, die alles schafft?<br />

Bringt Klugheit etwas zustande,<br />

wer in aller Welt ist eine größere Künstlerin als sie?<br />

Und liebt jemand Gerechtigkeit –<br />

was sie bewirkt, sind Tugenden.<br />

Denn sie lehrt Mäßigung und Klugheit,<br />

Gerechtigkeit und Starkmut.<br />

Etwas Vorteilhafteres als diese gibt es im Leben für den Menschen nicht.<br />

Verlangt aber einer nach reicher Lebenserfahrung:<br />

sie kennt das längst Vergangene und erschließt das Zukünftige;<br />

sie versteht sich auf die Kunst der Rede und auf das Lösen von Rätseln;<br />

Zeichen und Wunder weiß sie zu deuten<br />

und den Ausgang von Perioden und Zeiten.<br />

So beschloss ich denn, diese als Lebensgefährtin heimzuführen,<br />

da ich wusste, dass sie mich im Glück berät<br />

und in Sorgen und Kummer tröstet.<br />

Um ihretwillen werde ich Ansehen bei der Menge genießen<br />

und Ehre bei den Alten trotz meiner Jugend.<br />

Bei Gerichtsverhandlungen werde ich als scharfsinnig gelten<br />

und bei den Machthabern Bewunderung erregen.<br />

Schweige ich, so werden sie auf mich warten;<br />

ergreife ich das Wort, werden sie aufmerksam zuhören,<br />

und rede ich länger, dann legen sie die Hand auf den Mund.<br />

Um ihretwillen werde ich Unsterblichkeit erlangen<br />

und ein ewiges Andenken bei der Nachwelt hinterlassen.<br />

Ich werde Völker regieren,<br />

und Nationen werden mir untertan werden.<br />

Schreckliche Tyrannen werden mich fürchten, wenn sie von mir hören;<br />

Kap. 09<br />

unter dem Volk aber werde ich mich gütig zeigen und tapfer im Krieg.<br />

Kehre ich in das Haus zurück,<br />

so werde ich mich bei ihr erholen;<br />

denn der Umgang mit ihr hat nichts Bitteres,<br />

und das Zusammenleben mit ihr bringt nicht Verdruss,<br />

sondern Frohsinn und Freude.<br />

Indem ich dies bei mir überdachte<br />

und in meinem Herzen erwog,<br />

dass das Leben mit der Weisheit Unsterblichkeit verheißt<br />

und ihre Freundschaft reine Freude,<br />

die Arbeiten ihrer Hände unerschöpflichen Reichtum,<br />

der Umgang mit ihr Einsicht und ihre Teilnahme am Gespräch Ruhm,<br />

da ging ich umher und suchte,<br />

wie ich sie in mein Haus aufnehmen könnte.<br />

Ich war ein begabtes Kind und hatte eine gute Seele erhalten,<br />

oder vielmehr, weil ich gut war,<br />

so war ich zu einem unverdorbenen Leib gekommen.<br />

Da ich aber einsah, dass ich nur durch Gott in ihren Besitz gelangen konnte –<br />

schon dies war Sache der Klugheit,<br />

dass ich begriff, wessen Gnadengeschenk sie ist –<br />

so wandte ich mich an den Herrn,<br />

betete zu ihm und sprach aus meinem ganzen Herzen:<br />

Gott der Väter und Herr des Erbarmens,<br />

der du das All durch dein Wort geschaffen<br />

und durch deine Weisheit den Menschen gebildet hast,<br />

dass er über die von dir hervorgebrachten Geschöpfe herrscht,<br />

die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit leitet<br />

und in aufrichtiger Gesinnung regiert.<br />

Gib mir die Weisheit, die an deiner Seite thront,<br />

und schließe mich nicht von der Schar deiner Kinder aus.<br />

Ich bin ja dein Knecht, der Sohn deiner Magd,<br />

ein schwacher und kurzlebiger Mensch,<br />

und verstehe wenig von Recht und Gesetz.<br />

Gälte einer bei den Menschen auch als vollkommen,<br />

fehlte ihm aber die von dir ausgehende Weisheit,<br />

er müsste für nichts geachtet werden.<br />

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Das Buch der Weisheit<br />

Lob der Weisheit<br />

Du warst es, der mich zum König deines Volkes erwählte<br />

und zum Richter über deine Söhne und Töchter.<br />

Du befahlst mir, einen Tempel auf deinem heiligen Berg<br />

und einen Opferaltar in der Stadt, in der du wohnst, zu bauen<br />

als ein Abbild des heiligen Zeltes, das du von Anbeginn bereitet hast.<br />

Bei dir ist die Weisheit, die deine Werke kennt<br />

und zugegen war, als du die Welt erschufst,<br />

die weiß, was in deinen Augen wohlgefällig ist<br />

und was recht ist nach deinen Geboten.<br />

Sende sie vom heiligen Himmel herab<br />

und schicke sie vom Thron deiner Herrlichkeit,<br />

dass sie mir bei meiner Arbeit hilft und ich erkenne,<br />

was dir wohlgefällt.<br />

Sie weiß und versteht ja alles;<br />

sie wird mich bei meinem Handeln verständig leiten<br />

und in ihrem Lichtglanz behüten.<br />

So werden dir meine Werke wohlgefallen,<br />

ich werde dein Volk gerecht regieren<br />

und des Thrones meines Vaters würdig sein.<br />

Welcher Mensch vermag denn Gottes Willen zu erkennen,<br />

oder wer kann erfassen, was der Herr verlangt?<br />

Die Gedanken der Sterblichen sind ja unsicher<br />

und unsere Absichten schwankend.<br />

Lähmt doch ein hinfälliger Leib die Seele<br />

und belastet das irdische Zelt den vielsinnenden Geist.<br />

Nur zur Not erraten wir, was auf Erden ist,<br />

und verstehen mit Mühe, was auf der Hand liegt.<br />

Die himmlischen Dinge aber, wer kann sie ergründen?<br />

Wer hat je deinen Willen erkannt, wenn nicht du die Weisheit gegeben<br />

und aus der Höhe deinen heiligen Geist gesandt hast?<br />

Nur so wurden die Pfade der Erdenbewohner geebnet<br />

und die Menschen über das belehrt, was dir wohlgefällig ist.<br />

Nur durch die Weisheit wurden sie gerettet.<br />

Kap. 10<br />

Sie beschirmte den Urvater der Welt nach seiner Erschaffung, als<br />

er noch allein war, und riss ihn aus seinem Fall heraus; sie verlieh<br />

ihm auch die Kraft, über alles zu herrschen. Ein Gottloser aber,<br />

der in seinem Zorn von ihr abgefallen war, ging in brudermörderischem<br />

Grimm zugrunde. Da seinetwegen die Erde überschwemmt wurde, erwies<br />

sich die Weisheit wiederum als Retterin, indem sie den Gerechten<br />

auf einem armseligen Holz durch die Fluten steuerte. Als die Völker wegen<br />

eines einmütig begangenen Frevels verwirrt worden waren, erkannte<br />

sie den Gerechten und bewahrte ihn untadelig vor Gott und machte ihn<br />

stark auch gegenüber der Liebe zu seinem Sohn.<br />

Sie rettete einen Gerechten beim Untergang gottloser Menschen, sodass<br />

er dem Feuer entrann, das über das Gebiet der fünf Städte niederfuhr.<br />

Als Zeugnis ihrer Bosheit blieb von diesen noch ein ödes, immerfort<br />

rauchendes Land und Pflanzen, die zur Unzeit Früchte tragen, eine<br />

ragende Salzsäule als Denkmal einer ungläubigen Seele. Denn die an<br />

der Weisheit vorübergingen, wurden nicht nur dadurch gestraft, dass sie<br />

das Gute nicht erkannten, sondern sie hinterließen auch den Lebenden<br />

ein Denkmal ihrer Torheit, damit nicht verborgen bleiben könne, worin<br />

sie gesündigt hatten. Dagegen hat die Weisheit ihre Diener aus Nöten<br />

errettet.<br />

Sie führte den Gerechten, als er vor dem Zorn des Bruders floh, auf<br />

geraden Wegen, zeigte ihm das Reich Gottes und verlieh ihm die Kenntnis<br />

heiliger Geheimnisse. Sie ließ ihn durch mühevollen Dienst zu Wohlstand<br />

gelangen und gab seinen Arbeiten reichen Erfolg. Bei der Habgier<br />

seiner Bedränger stand sie ihm bei und machte ihn reich. Sie schützte<br />

ihn vor Feinden und schirmte ihn gegen Verfolger und verlieh ihm den<br />

Sieg in einem schweren Kampf, damit er erkannte, dass die Frömmigkeit<br />

stärker als alles ist. Sie verließ nicht den Gerechten, der verkauft worden<br />

war, sondern bewahrte ihn vor der Sünde. Sie stieg mit ihm in den Kerker<br />

hinab und verließ ihn auch in Fesseln nicht, bis sie ihm das Zepter des<br />

Reiches und Gewalt über seine Bedränger verschafft, seine Verleumder<br />

als Lügner erwiesen und ihm ewigen Ruhm verliehen hatte.<br />

Sie hat ein heiliges Volk und ein untadeliges Geschlecht aus einem<br />

Volk von Bedrängern befreit. Sie ging in die Seele des Dieners des Herrn<br />

ein und trat furchtbaren Königen mit Zeichen und Wundern entgegen.<br />

Sie gab den Heiligen den Lohn für ihre Mühen, führte sie auf wunderbaren<br />

Pfaden und wurde ihnen zum Schutz am Tag und zum Sternenlicht in<br />

Weish 0,00–0,00<br />

280<br />

281 Weish 0,00–0,00


Das Buch der Weisheit<br />

Kap. 11<br />

der Nacht. Sie führte sie durch das Rote Meer und geleitete sie durch ein<br />

mächtiges Wasser. Ihre Feinde aber begrub sie in den Wogen und spülte<br />

sie aus der Tiefe des Meeres wieder ans Land. So konnten Gerechte Gottlose<br />

plündern und priesen, Herr, deinen heiligen Namen und rühmten<br />

einmütig deine schützende Hand. Denn die Weisheit öffnete den Mund<br />

der Stummen und machte die Zungen der Unmündigen beredt.<br />

Sie ließ alle ihre Unternehmungen gelingen unter der Führung des<br />

heiligen Propheten.<br />

III<br />

Vergegenwärtigung<br />

des Exodus<br />

Sie durchzogen eine unbewohnte Wüste und schlugen an unwegsamen<br />

Orten ihre Zelte auf; sie widerstanden ihren Feinden und wehrten Gegner<br />

ab.<br />

Als sie Durst litten, riefen sie dich an, und es wurde ihnen Wasser<br />

aus schroffem Felsen gegeben und aus hartem Stein ihr Durst gestillt.<br />

Denn womit ihre Feinde gezüchtigt wurden, das gereichte<br />

ihnen, wenn sie in Not waren, zum Segen. Die immerfließende Quelle<br />

des Stromes wurde jenen durch Mordblut getrübt zur Strafe für den<br />

Befehl zum Kindermorden. Ihnen aber gabst du unverhofft reichliches<br />

Wasser, nachdem du ihnen vorher durch den Durst gezeigt hattest, wie<br />

schwer ihre Gegner von dir gestraft worden waren. Denn als sie selbst<br />

geprüft wurden, erkannten sie, obwohl sie mit Milde zurechtgewiesen<br />

worden waren, welche Qual die Gottlosen erdulden mussten, die im<br />

Zorn gestraft wurden. Diese hast du wie ein mahnender Vater geprüft,<br />

jene aber wie ein strenger König verurteilend gestraft. Fern von den Israeliten<br />

wurden sie ebenso gequält wie in der Nähe. Denn ein doppeltes<br />

Wasser:<br />

Strafe und<br />

Wohltat<br />

Weish 0,00–0,00<br />

282<br />

283 Weish 0,00–0,00


Das Buch der Weisheit<br />

Vergegenwärtigung des Exodus<br />

Tiere:<br />

Strafen und<br />

Wohltaten<br />

Kap. 12<br />

Leid und Seufzen erfasste sie bei der Erinnerung an das Vergangene. Als<br />

sie nämlich hörten, dass durch die gleichen Mittel sie Strafe, jene aber<br />

eine Wohltat empfingen, erinnerten sie sich an den Herrn. Denn den sie<br />

einst bei der Aussetzung weggeworfen und höhnend abgewiesen hatten,<br />

mussten sie am Ende der Ereignisse bestaunen, nachdem sie ganz anders<br />

Durst gelitten hatten als die Gerechten.<br />

Für die wahnwitzigen Gedanken ihrer Gottlosigkeit, durch die irregeleitet<br />

sie vernunftloses Gewürm und erbärmliches Getier verehrten,<br />

sandtest du ihnen zur Strafe eine Menge vernunftloser Tiere.<br />

Sie sollten erfahren, dass man mit dem gestraft wird, mit dem man sündigt.<br />

Deine allmächtige Hand, die doch die Welt aus gestaltlosem Stoff<br />

gebildet hat, wäre wohl imstande gewesen, gegen sie eine Menge von<br />

Bären oder grimmigen Löwen zu senden, oder neu geschaffene, wütende,<br />

bisher unbekannte Bestien, die feurigen Atem speien oder zischenden<br />

Dampf ausstoßen oder aus den Augen schreckliche Funken sprühen lassen,<br />

bei denen nicht nur der Angriff sie verderben, sondern allein schon<br />

der Entsetzen erregende Anblick sie vernichten konnte. Aber auch ohne<br />

diese hätten sie durch einen einzigen Hauch hinsinken können, verfolgt<br />

von der rächenden Gerechtigkeit und hingestreckt vom Hauch deiner<br />

Macht. Doch du hast alles nach Maß und Zahl und Gewicht geordnet.<br />

Denn es liegt jederzeit bei dir, deine große Macht zu entfalten, und<br />

wer könnte der Kraft deines Arms widerstehen? Ist doch die ganze Welt<br />

vor dir wie ein Stäubchen auf der Waage und wie ein Tropfen Tau, der am<br />

Morgen auf die Erde fällt. Aber du hast mit allen Erbarmen, weil du alles<br />

vermagst, und siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie<br />

Buße tun. Denn du liebst alles, was da ist, und verabscheust nichts von<br />

dem, was du gemacht hast. Hättest du etwas gehasst, du hättest es nicht<br />

geschaffen. Wie hätte etwas Bestand gehabt, wenn du es nicht gewollt,<br />

oder wie wäre etwas erhalten worden, wenn es nicht von dir gerufen<br />

wäre? Du aber schonst alles, weil es dir gehört, Herr, Freund des Lebens.<br />

Denn dein unvergänglicher Geist ist in allen. Deshalb strafst du auch<br />

die Fehlenden gering und mahnst sie durch die Erinnerung an ihre Sünden,<br />

damit sie von der Bosheit ablassen und an dich glauben, Herr.<br />

Auch die früheren Bewohner deines heiligen Landes hast du gehasst,<br />

weil sie die schändlichsten Zauberkünste und ruchlose Geheimkulte<br />

trieben. Erbarmungslose Kindermörder (waren sie), die beim Opfermahl<br />

Menschenfleisch und Menschenblut verzehrten. Darum nahmst du dir<br />

vor, mitten im Gelage die Teilnehmer und die Eltern, die eigenhändig hilflose<br />

Seelen mordeten, durch die Hände unserer Väter auszurotten, damit<br />

das bei dir am meisten geschätzte Land eine würdige Bevölkerung von<br />

Kindern Gottes erhielte. Aber auch gegen jene übtest du Schonung, weil<br />

sie Menschen waren, und sandtest Hornissen als Vorläufer deines Heeres,<br />

damit diese sie nach und nach vernichteten. Nicht als ob es dir unmöglich<br />

gewesen wäre, die Gottlosen in einer Schlacht den Gerechten zu unterwerfen<br />

oder durch schreckliche Tiere oder durch ein scharfes Wort mit<br />

einem Schlag zu vernichten. Aber du gabst ihnen dadurch, dass du die<br />

Strafe nach und nach vollzogst, Gelegenheit zur Umkehr, obgleich du<br />

wusstest, dass ihr Ursprung böse und ihre Verderbtheit angeboren war<br />

und dass sich ihr Sinn in Ewigkeit nicht ändern würde. Denn schon von<br />

Anfang an waren sie ein verfluchtes Geschlecht.<br />

Auch ließest du ihnen nicht aus Scheu vor irgendeiner Person Straflosigkeit<br />

für ihre Sünden angedeihen. Denn wer darf sagen: Was hast du<br />

getan? Oder wer kann sich deinem Urteil widersetzen? Wer darf dich<br />

wegen der Vernichtung von Völkern, die du selbst erschaffen hast, anklagen?<br />

Oder wer wollte gegen dich als Anwalt gottloser Menschen auftreten?<br />

Es gibt ja keinen Gott außer dir, der für alles sorgt, sodass du beweisen<br />

müsstest, dass du nicht unrecht gerichtet hast, noch kann ein König<br />

oder Machthaber dir entgegentreten um jener willen, die du gezüchtigt<br />

hast. Doch weil du gerecht bist, ordnest du alles mit Gerechtigkeit, erachtest<br />

es unvereinbar mit deiner Macht, den zu verurteilen, der keine<br />

Strafe verdient hat. Deine Stärke ist ja Grund deiner Gerechtigkeit und<br />

der Umstand, dass du alles beherrschst, gestattet dir, alles zu schonen.<br />

Stärke zeigst du nur, wenn man an die Machtfülle nicht glaubt, und du<br />

bestrafst den Trotz bei denen, die sie kennen. Obgleich du über Stärke<br />

verfügst, richtest du mit Milde und leitest uns mit großer Nachsicht;<br />

denn die Macht steht dir zur Verfügung, sobald du willst.<br />

Durch solches Verfahren hast du dein Volk belehrt, dass der Gerechte<br />

menschenfreundlich sein soll, und hast deine Söhne mit der frohen<br />

Hoffnung erfüllt, dass du nach Sünden Zeit zur Buße schenkst. Denn<br />

wenn du schon die Feinde deiner Kinder und die dem Tod Verfallenen<br />

mit solcher Schonung und Nachsicht bestraftest, indem du ihnen Zeit<br />

und Gelegenheit gabst, sich von der Bosheit loszumachen, mit welcher<br />

Sorgfalt hast du erst deine Söhne gezüchtigt, deren Vätern du unter Eid<br />

Weish 0,00–0,00<br />

284<br />

285 Weish 0,00–0,00


Das Buch der Weisheit<br />

Vergegenwärtigung des Exodus<br />

Kap. 13<br />

einen Bund voll herrlicher Verheißungen gewährtest! Während du uns<br />

also erziehst, schlägst du unsere Feinde zehntausendfach, damit wir,<br />

wenn wir selbst richten, deine Güte uns zum Vorbild nehmen, und wenn<br />

wir gerichtet werden, auf Erbarmen hoffen.<br />

Deshalb hast du auch die Ungerechten, die in Torheit ihr Leben verbrachten,<br />

durch ihre eigenen Gräuel gezüchtigt. Denn sie hatten sich auf<br />

den Wegen des Irrtums allzu weit verirrt, als sie die verächtlichsten aller<br />

hässlichen Tiere für Götter hielten und wie unverständige Tiere sich<br />

täuschen ließen. Darum hast du ihnen wie unvernünftigen Kindern eine<br />

Plage gesandt, die sie zum Gespött machte. Die sich aber durch den Spott<br />

der Strafe nicht warnen ließen, mussten ein Gericht erfahren, das Gottes<br />

würdig war. Denn als sie in ihren Leiden sich über die ärgerten, die sie<br />

für Götter hielten, weil sie von ihnen geplagt wurden, sahen sie ein, dass<br />

jener, den sie vorher nicht kennen wollten, der wahre Gott sei. Darum<br />

kam auch die äußerste Strafe über sie.<br />

Toren waren ja von Natur schon alle Menschen, denen die Erkenntnis<br />

Gottes fehlte und die aus den sichtbaren Vollkommenheiten den Seienden<br />

nicht wahrzunehmen vermochten, noch bei der Betrachtung seiner<br />

Werke den Meister erkannten, sondern Feuer oder Wind oder die<br />

flüchtige Luft, den Kreis der Gestirne oder das gewaltige Wasser oder<br />

die Leuchten des Himmels für weltregierende Götter hielten. Wenn sie,<br />

durch deren Schönheit entzückt, schon in diesen Dingen Götter sahen,<br />

so hätten sie doch wissen sollen, um wie viel herrlicher ihr Gebieter ist.<br />

Denn der Urheber der Schönheit hat sie geschaffen. Und wenn sie über<br />

deren Kraft und Wirksamkeit in Staunen gerieten, so mussten sie daraus<br />

schließen, um wie viel mächtiger ihr Schöpfer ist. Denn von der Größe<br />

und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen.<br />

Indessen verdienen diese nur einen geringen Tadel. Denn sie gehen vielleicht<br />

nur irre, während sie wirklich Gott suchen und finden wollen. Mit<br />

seinen Werken beschäftigt, forschen sie ja nach ihm, lassen sich aber<br />

durch das Aussehen verführen, weil das Geschaute so schön ist. Dennoch<br />

sind auch sie nicht zu entschuldigen. Besaßen sie so viel geistige Fähigkeit,<br />

dass sie die Welt durchforschen konnten, wie kam es, dass sie nicht<br />

eher deren Herrn fanden?<br />

Unglückselig aber waren und auf tote Dinge setzten ihre Hoffnung, die<br />

Werke von Menschenhand Götter nannten, Gold und Silber, Kunstgebilde<br />

und Tiergestalten oder einen unnützen Stein, das Werk einer Hand<br />

Kap. 14<br />

der Vorzeit. Da sägt ein Holzarbeiter einen tauglichen Stamm heraus,<br />

schält sachkundig seine ganze Rinde ringsum ab und verfertigt daraus<br />

in künstlerischer Bearbeitung ein nützliches Gerät für den Gebrauch des<br />

täglichen Lebens. Was von der Arbeit abfällt, verwendet er zur Bereitung<br />

der Mahlzeit und isst sich satt. Was aber dann noch übrig bleibt, weil<br />

es zu gar nichts taugt, krummes und mit Knoten durchwachsenes Holz,<br />

nimmt er, schnitzt daran in seinen Mußestunden und gibt ihm ohne<br />

große Sorgfalt irgendeine Gestalt. Er formt es zum Bild eines Menschen<br />

oder macht es irgendeinem ganz gewöhnlichen Tier ähnlich. Dann bestreicht<br />

er es mit Mennig und färbt seine Haut mit roter Schminke und<br />

übermalt jeden Flecken an ihm. Dann verfertigt er ihm ein passendes<br />

Gehäuse, stellt es an der Wand auf, an der er es mit einem Eisen befestigt.<br />

So sorgt er dafür, dass es nicht umfällt. Denn er weiß, dass es sich<br />

selbst nicht helfen kann, weil es nur ein Bild ist und der Unterstützung<br />

bedarf. Wenn er aber um Hab und Gut, für Frau und Kind beten will,<br />

dann scheut er sich nicht, das leblose Ding anzureden. Um Gesundheit<br />

ruft er das Kraftlose an, um Leben bittet er das Tote, um Hilfe fleht er das<br />

Ohnmächtige an, um gute Reise etwas, was keinen Fuß gebrauchen kann,<br />

für Erwerb, Arbeit und Erfolg im Handwerk begehrt er Kraft von dem,<br />

dessen Hände völlig kraftlos sind.<br />

Ein anderer wieder, der eine Seereise unternimmt und wilde Wogen<br />

durchfahren will, ruft ein Holz an, das gebrechlicher ist als das Fahrzeug,<br />

das ihn trägt. Denn dieses hat der Erwerbstrieb ersonnen und die Weisheit<br />

eines Künstlers hat es gebaut. Deine Vorsehung aber, Vater, steuert<br />

es; denn du gabst auch im Meer einen Weg und in den Wogen einen sicheren<br />

Pfad. Du zeigtest dadurch, dass du aus jeder Lage erretten kannst,<br />

selbst wenn einer auch ohne Erfahrung ein Schiff besteigen sollte. So<br />

willst du aber, dass die Werke deiner Weisheit nicht ungenutzt bleiben.<br />

Darum vertrauen die Menschen auch einem winzigen Holz ihr Leben an<br />

und fahren auf einem Floß, wohlbehalten durch die Wogen. So hatte sich<br />

auch in der Urzeit, als die übermütigen Riesen umkamen, die Hoffnung<br />

der Welt auf ein Floß geflüchtet und, von deiner Hand gesteuert, der Welt<br />

den Samen eines neuen Geschlechtes hinterlassen. Denn gesegnet ist das<br />

Holz, das gerechten Zwecken dient. Das von Menschenhand gefertigte<br />

Götzenbild aber ist verflucht, es selbst und der es gebildet hat. Dieser,<br />

weil er es angefertigt hat, jenes, weil es Gott genannt wurde, obwohl es<br />

ein vergängliches Ding war. Denn Gott sind in gleicher Weise der Gott-<br />

Weish 0,00–0,00<br />

286<br />

287 Weish 0,00–0,00


Das Buch der Weisheit<br />

Vergegenwärtigung des Exodus<br />

lose und sein gottloses Werk verhasst, wird doch das Werk samt seinem<br />

Bildner gestraft. Deshalb ergeht auch über die Götzen der Völker ein Gericht,<br />

weil sie in der Schöpfung Gottes zum Gräuel geworden sind, zum<br />

Ärgernis für die Seelen der Menschen und zum Fallstrick für die Füße<br />

der Toren.<br />

Denn Anfang des Abfalls ist das Ersinnen von Götzenbildern; derlei<br />

Erfindung aber ist Verderbnis des Lebens. Sie waren ja weder von Anfang<br />

da, noch werden sie ewig bleiben. Nur durch den törichten Wahn der<br />

Menschen sind sie in die Welt gekommen; deshalb ist ihnen auch ein jähes<br />

Ende zugedacht. Durch allzu frühe Trauer verzehrt, ließ ein Vater von<br />

dem so rasch entrissenen Kind ein Bild machen, verehrte den nunmehr<br />

toten Menschen wie einen Gott und ordnete für die Untergebenen geheimen<br />

Kult und Weihen an. Dann erstarkte im Lauf der Zeit die gottlose<br />

Sitte und wurde wie ein Gesetz befolgt; auf Befehl der Herrscher wurde<br />

das Schnitzwerk göttlich verehrt. Von denen, welche die Menschen nicht<br />

von Angesicht ehren konnten, weil sie weit entfernt wohnten, machten<br />

sie sich aus der Ferne eine Vorstellung von ihrer Gestalt, fertigten sich<br />

ein erkennbares Bild von dem verehrten König an, um dem Abwesenden<br />

mit Eifer so huldigen zu können, als ob er anwesend wäre. Zur Steigerung<br />

der Verehrung trieb der Ehrgeiz des Künstlers auch solche an, die<br />

ihn gar nicht kannten. Denn dieser bot, um dem Machthaber zu gefallen,<br />

seine ganze Kunst auf, die Ähnlichkeit noch schöner zu gestalten.<br />

Die Menge aber, von der Anmut des Kunstwerkes hingerissen, hielt nun<br />

den, der kurz zuvor noch als Mensch geehrt worden war, für einen Gegenstand<br />

der Anbetung. Dies gereichte dem Leben zum Verderben, dass<br />

die Menschen unter dem Druck eines Unglücks oder eines Machthabers<br />

Stein und Holz den Namen beilegten, der keinem anderen beigelegt werden<br />

darf.<br />

Aber nicht genug, in der Erkenntnis Gottes zu irren, nennen sie, die in<br />

dem großen Krieg der Unwissenheit dahinleben, solche Übel auch noch<br />

Frieden. Da sie kindermörderische Opfer oder verborgene Geheimkulte<br />

oder wüste Gelage mit absonderlichen Bräuchen feiern, bewahren<br />

sie weder Leben noch Ehe rein, sondern einer tötet heimtückisch den<br />

anderen oder kränkt ihn durch Ehebruch. Alles ohne Unterschied beherrscht<br />

Blut und Mord, Diebstahl und Betrug, Entehrung und Treulosigkeit,<br />

Aufruhr und Meineid, Verunsicherung der Guten, Vergessen<br />

der Wohltaten, Befleckung der Seelen, unnatürlicher Geschlechtsverkehr,<br />

Kap. 15<br />

Zerrüttung der Ehen, Ehebruch und Ausschweifung. Denn die Verehrung<br />

der namenlosen Götzen ist aller Übel Anfang, Ursache und Ende. Rasen<br />

sie doch bei ihren Lustbarkeiten oder weissagen Lüge oder führen ein<br />

gottloses Leben oder schwören leichtfertig falsche Eide. Auf die Leblosigkeit<br />

ihrer Götzen vertrauend, erwarten sie, dass sie keinen Schaden<br />

leiden, wenn sie falsch schwören. Dennoch wird sie die gerechte Strafe<br />

für beides treffen, dass sie, den Göttern ergeben, verkehrte Vorstellungen<br />

von Gott hatten und dass sie aus Missachtung der Frömmigkeit in<br />

Arglist falsch geschworen haben. Denn nicht die Macht derer, bei denen<br />

sie schwören, sondern die den Sündern gebührende Strafe folgt stets den<br />

Übertretungen der Frevler nach.<br />

Du aber, unser Gott, bist gütig und treu; langmütig und voll Erbarmen<br />

regierst du das All. Auch wenn wir sündigen, sind wir dein, da wir deine<br />

Macht kennen. Wir wollen aber nicht sündigen, weil wir wissen, dass<br />

wir dir zugezählt sind. Denn dich erkennen ist vollkommene Gerechtigkeit<br />

und um deine Macht wissen ist die Wurzel der Unsterblichkeit. Uns<br />

hat ja weder die schlimme Erfindung der Menschen irregeführt noch<br />

auch die unnütze Arbeit der Maler, eine mit bunten Farben beschmierte<br />

Gestalt, deren Anblick in dem Toren Begierden weckt, dass er nach der<br />

leblosen Gestalt eines toten Bildes verlangt. Liebhaber des Bösen und<br />

würdig solcher Hoffnungen sind alle, die sie anfertigen, nach ihnen verlangen<br />

und sie verehren.<br />

Da müht sich ein Töpfer ab, den Ton durch Kneten geschmeidig zu<br />

machen, und formt daraus allerlei zu unserem Gebrauch. Aus dem gleichen<br />

Ton aber bildet er sowohl Gefäße, die guten Zwecken dienen, als<br />

auch solche für das Gegenteil, alle in gleicher Weise. Welchem Zweck<br />

aber ein jedes von ihnen dienen soll, bestimmt der Töpfer. Und so bildet<br />

er mit übel angewandter Mühe aus dem gleichen Ton einen nichtigen<br />

Gott, er, der vor kurzem selbst aus Erde entstand und bald zu ihr zurückkehrt,<br />

woher er genommen ist, wenn das Darlehen der Seele von ihm<br />

zurückgefordert wird. Aber das macht ihm keine Sorge, dass er bald dahinsinken<br />

wird und ihm nur ein kurzes Leben beschieden ist. Vielmehr<br />

wetteifert er mit Goldarbeitern und Silberschmieden und ahmt den Erzgießer<br />

nach und macht sich eine Ehre daraus, Trugbilder anzufertigen.<br />

Asche ist sein Herz und nichtiger als Staub seine Hoffnung und wertloser<br />

als Lehm sein Leben, weil er den nicht erkannte, der ihn gebildet<br />

und ihm eine tätige Seele eingehaucht und den Lebensatem eingeblasen<br />

Weish 0,00–0,00<br />

288<br />

289 Weish 0,00–0,00


Das Buch der Weisheit<br />

Vergegenwärtigung des Exodus<br />

Kap. 16<br />

Getier:<br />

Qual und<br />

genussvolle<br />

Nahrung<br />

Bisse<br />

von Tieren:<br />

Rettung<br />

und Strafe<br />

hat. Er meinte vielmehr, unser Dasein sei ein Spiel und unser Leben ein<br />

Gewinn bringender Jahrmarkt. Denn man müsse, so sagt er, woher auch<br />

immer, selbst aus dem Bösen, Gewinn ziehen. Ein solcher weiß ja besser<br />

als alle, dass er sündigt, wenn er aus dem gleichen irdenen Stoff zerbrechliche<br />

Gefäße und Götzenbilder formt.<br />

Alle aber sind ganz unverständig und elender als die Seele eines Kindes<br />

sind die Feinde deines Volkes, die es bedrücken, weil sie sogar alle<br />

Götzen der Völker für Götter hielten, die weder Augen zum Sehen haben<br />

noch Nasen zum Einatmen der Luft, noch Ohren zum Hören noch Finger<br />

an den Händen zum Tasten, und deren Füße zum Gehen untauglich<br />

sind. Hat sie doch ein Mensch gemacht und einer, dem der Atem selbst<br />

nur geliehen ist, hat sie geformt. Kein Mensch vermag ja einen Gott zu<br />

bilden, der auch nur ihm selbst gleich wäre. Als Sterblicher kann er mit<br />

frevelhaften Händen nur Totes schaffen. Er selbst ist besser als die Gegenstände,<br />

die er anbetet, weil er Leben hat, jene aber nicht. Sogar die widerwärtigsten<br />

Tiere verehren sie, die Dümmsten im Vergleich mit allen<br />

anderen. Auch sind sie nicht schön, dass man an ihnen, wie sonst beim<br />

Anblick von Tieren, Gefallen haben könnte. Vielmehr sind sie des Lobes<br />

Gottes und seines Segens verlustig gegangen.<br />

Deshalb wurden die Ägypter mit Recht durch ähnliche Wesen gestraft<br />

und durch eine Menge von Ungeziefer gequält. Deinem Volk aber erwiesest<br />

du Wohltaten statt dieser Züchtigung. Auf ihr heftiges Verlangen hin<br />

gabst du als besondere Kost Wachteln zur Nahrung. Jene sollten, wenn sie<br />

nach Speise verlangten, wegen des scheußlichen Aussehens der gegen sie<br />

gesandten Tiere selbst die Esslust verlieren, diese aber, nach einer kurzen<br />

Entbehrung, sogar eine wunderbare Speise empfangen. Denn über<br />

jene, die Unterdrücker, sollte ein unabwendbarer Mangel kommen; diesen<br />

aber sollte nur gezeigt werden, wie sehr ihre Feinde gequält wurden.<br />

Auch damals, als über sie die grimme Wut der wilden Tiere kam und<br />

sie durch die Bisse der sich ringelnden Schlangen umzukommen drohten,<br />

währte dein Zorn nicht bis zum Ende. Vielmehr wurden sie nur zur<br />

Warnung auf kurze Zeit in Schrecken gesetzt und erhielten ein Zeichen<br />

der Rettung zur Erinnerung an die Vorschrift deines Gesetzes. Denn wer<br />

sich dorthin wandte, wurde gerettet, nicht durch das Geschaute, sondern<br />

durch dich, den Retter aller. Auch dadurch bewiesest du unseren Feinden,<br />

dass du es bist, der aus jedem Leid erlöst. Jene töteten die Bisse der<br />

Heuschrecken und Stechfliegen und es fand sich kein Heilmittel für ihr<br />

Leben, weil sie es verdient hatten, durch solche Wesen gezüchtigt zu werden.<br />

Deinen Söhnen aber konnten nicht einmal die Zähne giftspritzender<br />

Schlangen schaden; denn dein Erbarmen trat dagegen auf und heilte<br />

sie. Nur um sie an deine Satzungen wieder zu erinnern, wurden sie gebissen<br />

und alsbald wieder geheilt, damit sie nicht in tiefes Vergessen verfielen<br />

und von deinem Wohltun abgezogen würden. Denn weder Kraut<br />

noch Pflaster machte sie gesund, sondern dein Wort, Herr, das alles heilt.<br />

Du hast ja Gewalt über Leben und Tod, führst hinab zu den Pforten der<br />

Unterwelt und wieder herauf. Ein Mensch kann wohl in seiner Bosheit<br />

einen Menschen töten, aber den entflohenen Geist bringt er nicht mehr<br />

zurück und befreit nicht die in die Unterwelt weggenommene Seele.<br />

Deiner Hand zu entrinnen, ist unmöglich. Gottlose, die leugneten,<br />

dich zu kennen, wurden durch die Macht deines Arms gezüchtigt;<br />

sie wurden durch ungewöhnliche Regengüsse, durch Hagel<br />

und furchtbare Gewitter verfolgt und durch Feuer verzehrt. Und was das<br />

seltsamste war: In dem Wasser, das sonst alles löscht, wütete das Feuer<br />

weit heftiger; denn die Schöpfung kämpft für den Gerechten. Bald wurde<br />

die Flamme gezähmt, damit sie nicht die gegen die Gottlosen gesandten<br />

Tiere verbrenne, sie selbst aber klar erkannten, dass sie durch Gottes<br />

Gericht verfolgt würden. Bald brannte sie selbst mitten im Wasser über<br />

die gewohnte Macht des Feuers hinaus, um die Erzeugnisse des gottlosen<br />

Landes zu vernichten.<br />

Stattdessen nährtest du dein Volk mit der Speise der Engel und reichtest<br />

ihnen unermüdlich fertiges Brot vom Himmel, das jeglichen Genuss<br />

gewährte und jedem Geschmack entsprach. Denn deine Gabe offenbarte<br />

deinen Kindern gegenüber deine Süßigkeit, indem sie dem Begehren<br />

dessen entgegenkam, der sie genoss, und sich in das verwandelte, was<br />

jeder wollte.<br />

Schnee und Eis widerstanden dem Feuer und schmolzen nicht, damit<br />

man merkte, dass das Feuer, das im Hagel brannte und in den Regengüssen<br />

blitzte, nur die Früchte der Feinde vernichtete, dass es jedoch seine<br />

eigene Kraft vergaß, damit Gerechte ernährt würden. Denn die Schöpfung,<br />

die dir, ihrem Schöpfer, untertan ist, wird zur Bestrafung der Sün-<br />

Vom<br />

Himmel<br />

Fallendes:<br />

Hagel<br />

und<br />

Manna<br />

Weish 0,00–0,00<br />

290<br />

291 Weish 0,00–0,00


Das Buch der Weisheit<br />

Vergegenwärtigung des Exodus<br />

Kap. 17<br />

Finsternis:<br />

Angst oder<br />

Licht und<br />

Feuersäule<br />

der gesteigert; sie wird gemäßigt, um denen wohl zu tun, die auf dich<br />

vertrauen. Deshalb hat sie auch damals, in alles sich wandelnd, deiner<br />

allernährenden Gabe gemäß dem Wunsch der Bittenden gedient. Deine<br />

Söhne, die du liebst, Herr, sollten erfahren, dass nicht die mannigfachen<br />

Arten der Früchte den Menschen ernähren, sondern dass dein Wort die<br />

erhält, die auf dich vertrauen. Was nämlich das Feuer nicht vernichten<br />

konnte, schmolz sogleich, wenn es von einem flüchtigen Sonnenstrahl<br />

erwärmt wurde. Es sollte daraus erkannt werden, dass man mit der Danksagung<br />

gegen dich der Sonne zuvorkommen und schon gegen Aufgang<br />

des Lichts vor dir erscheinen muss. Denn die Hoffnung der Undankbaren<br />

schmilzt wie der Winterreif und verrinnt wie unbrauchbares Wasser.<br />

Groß sind deine Gerichte und unerforschlich, daher verfielen unbelehrbare<br />

Seelen dem Irrtum. Die Frevler hatten nämlich geglaubt,<br />

ein heiliges Volk unterdrücken zu können; nun mussten<br />

sie daliegen, in Finsternis gefangen und von einer langen Nacht gefesselt,<br />

eingeschlossen in ihre Häuser, verbannt von der ewigen Vorsehung.<br />

Während sie sich mit ihren geheimen Sünden unter dem dunklen Schleier<br />

der Vergessenheit verborgen wähnten, wurden sie durch furchtbaren<br />

Schrecken auseinandergejagt und durch Trugbilder von Entsetzen ergriffen.<br />

Denn nicht einmal der Winkel, der sie umfing, bewahrte sie vor<br />

Furcht, sondern Schrecken erregende Geräusche umbrausten sie, und<br />

es erschienen düstere Gespenster mit finsteren Gesichtern. Keines Feuers<br />

Macht vermochte Licht zu schaffen, noch konnten die leuchtenden<br />

Flammen der Gestirne jene schauerliche Nacht erhellen. Nur ein von<br />

selbst entzündetes, Furcht erregendes Feuer leuchtete ihnen. In ihrer<br />

Angst hielten sie, wenn jene Erscheinung verschwand, das Geschaute für<br />

schlimmer, als es war. Machtlos waren die Gaukeleien der Zauberkünstler<br />

und die Probe auf das Wissen, mit dem sie prahlten, fiel jämmerlich aus.<br />

Denn sie, die Schrecken und Angst von kranken Gemütern zu bannen<br />

versprachen, krankten selbst an lächerlicher Furcht. Denn wenn auch gar<br />

nichts Furchtbares vorhanden war, das sie hätte erschrecken können, so<br />

wurden sie doch durch vorüberlaufendes Getier oder durch zischende<br />

Schlangen aufgescheucht und kamen fast vor Schrecken um und wollten<br />

nicht einmal in die Luft sehen, der man doch nirgends entrinnen kann.<br />

Die Bosheit erweist sich als feige und spricht sich selbst das Urteil.<br />

Durch das böse Gewissen bedrängt, nimmt sie stets das Schlimmste an.<br />

Kap. 18<br />

Denn Furcht ist nichts anderes als der Verzicht auf die von der Überlegung<br />

gebotenen Hilfsmittel. Je geringer aber im Herzen die Erwartung<br />

der Hilfe ist, für umso schlimmer hält sie die Unkenntnis über die Ursache,<br />

welche die Qual veranlasst. Jene aber, welche die ohnmächtige, aus<br />

den Tiefen der ohnmächtigen Unterwelt heraufgekommene Nacht wie<br />

immer schlafend verbringen wollten, wurden teils durch schreckliche<br />

Gespenster verfolgt, teils durch die Verzagtheit der Seele gelähmt; denn<br />

plötzliche und unerwartete Furcht kam über sie. So wurde jeder dort, wo<br />

er hinsank, festgehalten und in einem Kerker ohne Riegel eingeschlossen.<br />

Denn mochte es ein Landmann oder ein Hirt oder Taglöhner sein,<br />

der an einem einsamen Ort beschäftigt war: Von ihr überrascht, erlag<br />

er dem unentrinnbaren Zwang. Sie alle waren durch die eine Kette der<br />

Finsternis gefesselt. War es nun das Säuseln des Windes, der liebliche<br />

Gesang der Vögel im dichten Laubwerk, das Rauschen eines mächtig<br />

strömenden Wassers, das wilde Getöse herabstürzender Felsblöcke, das<br />

unsichtbare Laufen hüpfender Tiere, das Geheul brüllender wilder Bestien<br />

oder das aus den Schluchten der Berge zurückgeworfene Echo, alles<br />

versetzte sie in Schrecken und lähmte sie. Denn die ganze übrige Welt<br />

erstrahlte in glänzendem Licht und konnte sich unbehindert der Arbeit<br />

widmen. Nur über jene lag tiefe Nacht ausgebreitet, ein Bild der Finsternis,<br />

die sie aufnehmen sollte. Aber sie selbst waren sich mehr zur Qual<br />

als die Finsternis.<br />

Deine Heiligen aber befanden sich im hellsten Licht. Als jene ihre<br />

Stimme hörten, aber die Gestalten nicht sahen, priesen sie diese glücklich,<br />

dass sie nicht gelitten hatten. Sie dankten, dass sie ihnen trotz der<br />

früheren Misshandlungen keinen Schaden zufügten, und baten um Verzeihung<br />

für ihr feindliches Verhalten. Ihnen aber gabst du eine flammende<br />

Feuersäule als Führerin auf der unbekannten Reise und als nicht<br />

schadende Sonne auf der ruhmvollen Wanderschaft. Jene hatten es freilich<br />

verdient, des Lichtes beraubt und in Finsternis gefangen zu werden,<br />

da sie deine Söhne, durch die der Welt das unvergängliche Licht des Gesetzes<br />

gegeben werden sollte, in Gewahrsam gehalten hatten.<br />

Jenen aber, die beschlossen hatten, die Kinder der Heiligen zu töten,<br />

wobei nur ein Kind zwar ausgesetzt, aber gerettet worden war, nahmst<br />

du zur Strafe eine Menge ihrer Kinder und ließest sie zusammen in<br />

einer gewaltigen Wasserflut untergehen.<br />

Tod der<br />

Erstgeborenen:<br />

Tod in<br />

der Wüste<br />

Weish 0,00–0,00<br />

292<br />

293 Weish 0,00–0,00


Das Buch der Weisheit<br />

Vergegenwärtigung des Exodus<br />

Jene Nacht wurde unseren Vätern im Voraus angekündigt, damit sie in<br />

sicherer Kenntnis der eidlichen Zusicherungen, denen sie glaubten,<br />

guten Mutes sein konnten. So wurde nun von deinem Volk Rettung<br />

der Gerechten und Untergang der Feinde erwartet. Denn womit du<br />

die Gegner strafst, eben damit hast du uns verherrlicht, indem du uns<br />

riefst. Im Geheimen opferten ja die frommen Söhne trefflicher Eltern<br />

und verpflichteten sich einmütig auf das göttliche Gesetz, dass die Heiligen<br />

in gleicher Weise an den gleichen Gütern und an den gleichen Gefahren<br />

teilnehmen sollten, und stimmten schon im Voraus die Lobgesänge<br />

der Väter an. Es antwortete ihnen das misstönende Geschrei der<br />

Feinde und dazwischen hindurch tönte das Wehklagen über die betrauerten<br />

Kinder. Mit der gleichen Strafe wurde der Sklave wie der Herr gezüchtigt<br />

und der gemeine Mann erlitt das Gleiche wie der König. Durch<br />

die gleiche Todesart hatten alle unzählige Tote, sodass die Lebenden<br />

zum Begraben nicht ausreichten, da mit einem Schlag ihre vornehmsten<br />

Nachkommen dahingerafft wurden. Die bei allem wegen der Zauberkünste<br />

ungläubig geblieben waren, bekannten nun beim Untergang<br />

der Erstgeborenen, dass das Volk Gottes Sohn sei. Denn während tiefes<br />

Schweigen alles umfing und die Nacht in ihrem schnellen Lauf bis zur<br />

Mitte vorgerückt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel<br />

her, vom königlichen Thron, gleich einem wilden Krieger mitten in das<br />

dem Verderben geweihte Land. Als scharfes Schwert trug es deinen unwiderruflichen<br />

Befehl, trat hin und erfüllte alles mit Tod; es berührte<br />

den Himmel, während es auf der Erde dahinschritt. Damals wurden sie<br />

plötzlich durch Traumgebilde furchtbar in Schrecken versetzt und es<br />

überfiel sie unerwartete Angst. Der eine stürzte hier, der andere dort halb<br />

tot nieder und bekannte, aus welchem Grund er sterben müsste. Denn<br />

die Träume, die sie schreckten, hatten es zuvor angezeigt, damit sie nicht<br />

umkämen, ohne zu wissen, warum sie so Übles erlitten.<br />

Wohl traf auch die Gerechten eine Prüfung des Todes und eine große<br />

Menge wurde in der Wüste dahingerafft; aber der Zorn währte nicht<br />

lang. Denn alsbald trat ein untadeliger Mann als Vorkämpfer auf, indem<br />

er die Waffe seines Amtes trug, Gebet und sühnendes Räucherwerk. Er<br />

trat dem Zorn entgegen und machte der Plage ein Ende. So bewies er,<br />

dass er dein Diener war. Nicht durch Körperkraft noch durch Gewalt der<br />

Waffen besiegte er ihren Unwillen, sondern durch das Wort unterwarf er<br />

den Strafenden, indem er an die den Vätern geschworenen Eide und an<br />

Kap. 19<br />

die Bündnisse erinnerte. Denn als die Toten schon haufenweise aufeinander<br />

lagen, trat er dazwischen und wehrte dem Wüten und versperrte<br />

ihm den Weg zu den Lebenden. Auf seinem herabwallenden Gewand war<br />

die ganze Welt dargestellt, die ruhmreichen Namen der Väter auf den<br />

vier Reihen geschnittener Steine und deine Herrlichkeit auf dem Diadem<br />

seines Hauptes. Davor wich der Verderber zurück, das scheute er;<br />

denn es genügte schon diese Probe des Zornes.<br />

Über die Gottlosen aber kam bis zum Ende unerbittlicher Zorn. Denn er<br />

wusste auch ihr zukünftiges Verhalten voraus, dass sie nämlich, obgleich<br />

sie selbst zum Auszug gedrängt und sie eilends entlassen hatten, sich bald<br />

anders besinnen und sie verfolgen würden. Während sie noch trauerten<br />

und an den Gräbern der Toten klagten, fassten sie schon einen anderen<br />

törichten Entschluss und verfolgten die wie Flüchtlinge, die sie mit flehentlichem<br />

Bitten fortgeschickt hatten. Es trieb sie das verdiente Verhängnis<br />

zu diesem Untergang und ließ sie das Geschehene vergessen, damit sie<br />

die an ihren Plagen noch fehlende Züchtigung vollständig machten. Dein<br />

Volk aber sollte eine wunderbare Wanderung erleben, während jene einen<br />

ungewöhnlichen Tod fänden.<br />

Denn die ganze Schöpfung wurde in ihrem Wesen aufs Neue gestaltet,<br />

um ganz besonderen Befehlen zu gehorchen, damit deine Kinder<br />

unversehrt erhalten blieben. Es erschien die Wolke, die das Lager überschattete,<br />

und es tauchte trockenes Land auf, wo vorher Wasser war, ein<br />

unversperrter Weg aus dem Roten Meer und eine grünende Flur aus der<br />

reißenden Flut. Darüber zogen mit allem Volk die von deiner Hand Beschirmten<br />

und sahen staunenswerte Wunder. Wie Pferde weideten sie<br />

und hüpften wie Lämmer und priesen dich, Herr, als ihren Retter. Denn<br />

sie dachten noch an ihre Erlebnisse im fremden Land, wie Mücken nicht<br />

von Tieren, sondern von der Erde hervorgebracht wurden, und der Fluss<br />

statt der Wassertiere eine Menge Frösche ausspie. Später sahen sie auch<br />

ein neuartiges Entstehen von Vögeln, als sie in ihrer Gier nach Leckerbissen<br />

verlangten. Denn zur Befriedigung ihrer Lust stiegen Wachteln<br />

vom Meer herauf.<br />

Auch die Strafen kamen über die Sünder nicht, ohne dass Zeichen<br />

durch heftige Donnerschläge vorausgegangen waren. Denn sie litten mit<br />

Recht für ihre bösen Taten. Hatten sie doch einen besonders schlimmen<br />

Fremdenhass gezeigt. Andere nahmen unbekannte Ankömmlinge nicht<br />

Untergang<br />

im Meer –<br />

Rettung<br />

durch das<br />

Meer<br />

Weish 0,00–0,00<br />

294<br />

295 Weish 0,00–0,00


Das Buch der Weisheit<br />

auf; diese aber machten Gäste, die ihre Wohltäter waren, zu Sklaven.<br />

Und nicht nur dies! Gewiss wird auch jene eine Strafe treffen, weil sie<br />

die Fremden gleich anfangs gehässig aufgenommen hatten. Diese aber<br />

hatten sie mit Festlichkeiten aufgenommen und dann, nachdem sie der<br />

gleichen Rechte teilhaft geworden waren, mit schwerem Frondienst geplagt.<br />

Sie wurden aber ebenso mit Blindheit geschlagen wie jene an der<br />

Tür des Gerechten, als sie von dichter Finsternis umgeben waren und<br />

jeder den Eingang zu seiner Tür suchte.<br />

Die Elemente wandeln nämlich sich selbst um,<br />

wie bei einem Saiteninstrument die Töne den Rhythmus ändern,<br />

während sie in ihrem Klang stets gleich bleiben.<br />

Dies lässt sich bei der Betrachtung der Geschehnisse deutlich erkennen.<br />

Denn Landtiere wurden in Wassertiere umgewandelt<br />

und schwimmende Tiere stiegen ans Land.<br />

Das Feuer zeigte im Wasser größere Kraft<br />

und das Wasser vergaß seine löschende Wirkung.<br />

Flammen wiederum verzehrten nicht das Fleisch<br />

leicht vergänglicher Wesen, die hineingerieten,<br />

noch ließ sich die leicht schmelzende, eisartige himmlische Nahrung<br />

schmelzen.<br />

Denn in allem hast du, Herr,<br />

dein Volk groß und herrlich gemacht, hast es nie vergessen<br />

und bist ihm zu jeder Zeit und an jedem Ort beigestanden.<br />

Weish 0,00–0,00<br />

296

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