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Download - Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung

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Österreichische <strong>Friedrich</strong> <strong>und</strong> <strong>Lillian</strong> <strong>Kiesler</strong>-<strong>Privatstiftung</strong><br />

Austrian Frederick and <strong>Lillian</strong> <strong>Kiesler</strong> Private Fo<strong>und</strong>ation<br />

Breton Duchamp <strong>Kiesler</strong><br />

Surreal Space 1947<br />

Österreichische <strong>Friedrich</strong> <strong>und</strong> <strong>Lillian</strong> <strong>Kiesler</strong>-<strong>Privatstiftung</strong><br />

Austrian Frederick and <strong>Lillian</strong> <strong>Kiesler</strong> Private Fo<strong>und</strong>ation<br />

14|2013<br />

Ausstellung: 27.02.-11.05.2013<br />

Kuratiert von Eva Kraus<br />

Exhibition: 27.02.-11.05.2013<br />

Curated by Eva Kraus


Vorwort<br />

Preface<br />

Dem sinnlichen Erleben – für die Surrealisten ebenso wie für <strong>Kiesler</strong> elementarster<br />

Bestandteil der Kunstrezeption – wurde in der Exposition Internationale<br />

du Surréalisme 1947 besondere Aufmerksamkeit zuteil. Daher sollte auch die<br />

von André Breton <strong>und</strong> Marcel Duchamp beauftragte Raumkomposition einer Salle<br />

de Superstition vor allem auf das Empfindungsvermögen der Besucherinnen<br />

einwirken. <strong>Kiesler</strong> zeichnete nicht allein für die Architektur dieses „Surreal<br />

Space“ verantwortlich; als Mediator koordinierte er zudem die Zusammenarbeit<br />

mit <strong>und</strong> unter den Künstlerinnen: „Sollte keine Übereinstimmung erzielt werden,<br />

so wäre dies ganz allein mein Fehler, denn sie [die Künstlerinnen] haben sich<br />

strikt an meinen Korrelationsplan gehalten“ (<strong>Kiesler</strong>, 1947).<br />

Wie aus diesem Bekenntnis hervorgeht, orientierte sich <strong>Kiesler</strong>s Vorgehen an<br />

jenen Gestaltungsprinzipien, die er schon Ende der 1930er Jahre formuliert hatte<br />

<strong>und</strong> als eine Theorie des „Correalismus“ ausgab. Die Parameter seiner künstlerischen<br />

Haltung werden allein schon durch diese Wortschöpfung vermittelt.<br />

Die ihr immanenten Begriffe „Korrelation“ <strong>und</strong> „Korrelativismus“ verdeutlichen,<br />

dass <strong>Kiesler</strong> unser Dasein als das Wechselspiel einander bedingender Kräfte<br />

auffasste. Stellt man dem Ausdruck „Correalismus“ nun die Bezeichnung „Surrealismus“<br />

gegenüber, so wird ein weiterer Aspekt seiner Wirklichkeitsauffassung<br />

augenscheinlich: Als Architekt fühlte sich <strong>Kiesler</strong> weniger dem „Surrealen“<br />

(„Übernatürlichen“), dem „Traum- <strong>und</strong> Triebhaften“ verpflichtet als vielmehr<br />

den faktischen Gegebenheiten im Hier <strong>und</strong> Jetzt. Mit Hilfe eines „technischen<br />

Plans“ führte <strong>Kiesler</strong> die Kunst <strong>und</strong> den Ausstellungsraum – zwei gleichwertige<br />

Elemente der „Co-Realität“ („Mit-Wirklichkeit“) – zu einer Einheit. Ein „Chaos<br />

von Materialien, Skulpturen, Fresken <strong>und</strong> antiquierten Möbeln“ stellte einen<br />

„einzigen Organismus“ dar, der sich „wie eine geballte Faust jederzeit öffnen“<br />

konnte, um die „erforderlichen Energien“ für ein adäquates (Kunst-)Erleben<br />

freizusetzen (s. o.).<br />

Das Vorhaben, die Pariser Ausstellung von 1947 im darauffolgenden Jahr<br />

anhand einer Fotodokumentation in New York zu zeigen, wurde nie realisiert.<br />

Nun ermöglichen es die im <strong>Kiesler</strong>-Archiv verwahrten Originalabzüge, dieses<br />

Versäumnis nachzuholen <strong>und</strong> eine nahezu lückenlose Rekonstruktion dieses<br />

surrealen Ereignisses in Wien zu präsentieren. Mein herzlicher Dank gilt an<br />

dieser Stelle Eva Kraus für die kuratorische Betreuung, dem Galeristen <strong>und</strong><br />

Sammler Julius Hummel für die w<strong>und</strong>erbaren Katalogleihgaben sowie unseren<br />

Förderern <strong>und</strong> Stiftern.<br />

Special attention was dedicated to sensory experience – the most elementary<br />

constituent of art reception for the Surrealists and for <strong>Kiesler</strong> – at the Exposition<br />

Internationale du Surréalisme in 1947. Accordingly, the spatial composition of<br />

a Salle de Superstition commissioned by André Breton and Marcel Duchamp<br />

was to appeal first and foremost to the visitors’ perceptive faculty. <strong>Kiesler</strong><br />

was not solely responsible for the architecture of this “surreal space”. As<br />

mediator, he also co-ordinated collaboration with and among the artists: “If<br />

no consensus is achieved, that would be my fault alone, for they [the artists]<br />

have adhered strictly to my correlation plan.” (<strong>Kiesler</strong>, 1947)<br />

As this admission reveals, <strong>Kiesler</strong>’s plan was fo<strong>und</strong>ed upon those design<br />

principles which he had already formulated at the end of the 1930s, publishing<br />

them as a theory of “Correalism”. This neologism alone reflects the parameters<br />

of his artistic stance. The inherent terms “correlation” and “correlativism”<br />

illustrate the fact that <strong>Kiesler</strong> regarded our existence as an interplay of<br />

mutually conditional forces. If we contrast the term “correalism” with the term<br />

“surrealism”, another aspect of his conception of reality becomes apparent:<br />

As an architect, <strong>Kiesler</strong> felt committed to factual conditions in the here and<br />

now rather than to the “surreal” (“supernatural”), the world of “dreams and<br />

instincts”. With the aid of a “technical plan”, <strong>Kiesler</strong> fused art and the exhibition<br />

space – two equal elements of “co-reality” – into a unified whole. The “chaos<br />

of materials, sculptures, frescoes, and antiquated furniture” represented a<br />

“single organism, which as a clenched fist, is ready to open, at any moment,<br />

and set free the necessary energy” for an adequate experience of art. (s. a.)<br />

The plan to present the 1947 Paris show in New York the following year in<br />

the form of a series of photographs was never carried out. With the aid of the<br />

original prints stored in the <strong>Kiesler</strong> archive it is now possible to remedy this<br />

omission and present an almost complete reconstruction of this surreal event<br />

in Vienna. My sincere thanks are due to Eva Kraus for curatorial supervision,<br />

the gallery-owner and collector Julius Hummel for the wonderful catalogue<br />

loans, and our patrons and sponsors.<br />

Monika Pessler<br />

Director<br />

<strong>Kiesler</strong> Fo<strong>und</strong>ation Vienna<br />

Monika Pessler<br />

Direktorin<br />

<strong>Kiesler</strong> Stiftung Wien


Breton Duchamp <strong>Kiesler</strong><br />

Exhibition Politics 1947<br />

von/by Eva Kraus<br />

Weder die Poesie von Träumen noch der Materialismus der exakten Wissenschaft; weder<br />

das Individuum noch das Kollektiv; weder Induktion noch Deduktion, noch der Fortschritt der<br />

Arbeitsmethoden haben die dringenden räumlichen Forderungen der neuen Wirklichkeit erfüllt.<br />

Nur das Wechselspiel von physischen <strong>und</strong> psychologischen Kräften ruft jene Methoden hervor,<br />

die auf diese Not Antwort geben können. Neither the poetry of dreams nor the materialism of<br />

exact science; neither the individual nor the collectivity; neither induction nor deduction, nor<br />

the advancement of working methods have satisfied the urgent spatial demands of a new<br />

reality. Only a correlation of physical and psychological forces engendering these methods<br />

can respond to these necessities. <strong>Friedrich</strong> <strong>Kiesler</strong>, Manifeste du Corréalisme, 1949


1947 entwarf <strong>Friedrich</strong> <strong>Kiesler</strong> auf Einladung von Marcel Duchamp <strong>und</strong> André<br />

Breton die Salle de Superstition für die Exposition Internationale du Surréalisme<br />

in Paris. Dieses Raumkonzept gilt als erstmalige Manifestation von <strong>Kiesler</strong>s<br />

architektonischen Visionen des Endless House <strong>und</strong> die Ausstellung als<br />

Höhepunkt einer Kooperation zwischen drei Protagonisten, die zweifelsohne als<br />

die wichtigsten Pioniere des Ausstellungsraums im vergangenen Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

bezeichnet werden können. Mit ihrem gemeinsamen Projekt setzten sie für die<br />

kuratorische Praxis vollkommen neue Maßstäbe, seither <strong>und</strong> durch sie haben<br />

sich die Bedingungen des Ausstellens gr<strong>und</strong>legend verändert.<br />

Zwischen Breton <strong>und</strong> Duchamp war es die dritte Zusammenarbeit an einer<br />

internationalen Gruppenausstellung der Surrealisten. Im Vorfeld entstanden ihre<br />

beiden legendären Ausstellungen Exposition Internationale du Surréalisme 1938<br />

in Paris <strong>und</strong> First Papers of Surrealism 1942 in New York – mit Duchamps im<br />

Bildgedächtnis der Ausstellungsgeschichte verankerten Installationen: den von<br />

der Decke herab hängenden Kohlesäcken <strong>und</strong> dem quer durch den Ausstellungsraum<br />

gelegten Spinnennetz 15 Miles of Strings. <strong>Kiesler</strong> konterte im gleichen<br />

Jahr mit seiner bahnbrechenden Gestaltung von Peggy Guggenheims Galerie Art<br />

of This Century in New York. Breton <strong>und</strong> Duchamp standen seit den zwanziger<br />

Jahren in fre<strong>und</strong>schaftlicher Verbindung miteinander; während Bretons Exil in<br />

New York trafen sie Anfang der 1940er Jahre häufig auch mit <strong>Kiesler</strong> zusammen.<br />

At the invitation of Marcel Duchamp and André Breton, Frederick <strong>Kiesler</strong><br />

designed the Salle de Superstition for the Exposition Internationale du Surréalisme<br />

in Paris in 1947. This space concept is regarded as the first manifestation<br />

of <strong>Kiesler</strong>’s architectural visions of the Endless House and the exhibition as<br />

the climax of a co-operation of three protagonists who may without doubt<br />

be referred to as the most important pioneers of the exhibition space in the<br />

past century. With their joint project, they set completely new standards for<br />

curatorial practice, with exhibition conditions changing f<strong>und</strong>amentally since<br />

then and through their agency.<br />

This was Breton’s and Duchamp’s third co-operation on an international<br />

Surrealist group exhibition, preceded by their two legendary exhibitions<br />

Exposition Internationale du Surréalisme 1938 in Paris and First Papers of<br />

Surrealism 1942 in New York – with Duchamp’s installations anchored in the<br />

visual memory of exhibition history: the coal bags suspended from the ceiling<br />

and the spider’s web spun across the whole exhibition room, 15 Miles of<br />

Strings. <strong>Kiesler</strong> countered the same year with his pioneering design for Peggy<br />

Guggenheim’s Art of This Century gallery in New York. Breton and Duchamp had<br />

been friends since the twenties; they also met frequently with <strong>Kiesler</strong> during<br />

Ein wichtiger Künstlerzirkel entstand um die drei charismatischen Persönlichkeiten,<br />

dem auch einige Mitglieder der surrealistischen Gruppe angehörten, deren<br />

Kopf <strong>und</strong> selbst ernannter Führer nach wie vor Breton war 1 .<br />

Aus dem Exil zurückgekehrt <strong>und</strong> nahezu zehn Jahre nach der fulminanten<br />

Surrealismus-Ausstellung von 1938, war es 1947 Bretons großes Anliegen,<br />

jenes Ereignis noch einmal zu überbieten. Dies geschah zu einem strategisch<br />

wichtigen Zeitpunkt, um einer Auflösung der verstreuten <strong>und</strong> zerstrittenen Gruppe<br />

entgegenzuwirken. Seine längere Abwesenheit von Paris zog einen erneuten<br />

Machtkampf um die Führungsrolle in der Pariser Intelligenz <strong>und</strong> Künstlerszene<br />

nach sich. Der Stratege Breton nutzte das Mittel einer medial wirksamen<br />

Ausstellung für die Revitalisierung der angeschlagenen Bewegung. Aimé Maeght<br />

lud in seine neu gegründete Galerie in Paris ein, in der trotz relativ kleiner<br />

Räumlichkeiten <strong>und</strong> unter den schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit<br />

in kürzester Zeit ein enorm umfangreiches, international ausgerichtetes <strong>und</strong><br />

hochkarätig besetztes Projekt verwirklicht wurde.<br />

Über 110 Künstlerinnen <strong>und</strong> Literatinnen aus 25 Ländern beteiligten sich mit<br />

38 Katalogbeiträgen <strong>und</strong> über 200 ausgestellten Werken – inklusive 30 eigens<br />

für die Räume geplanten Installationen. Auch wenn die kuratorischen Ansätze<br />

in den von Breton <strong>und</strong> Duchamp organisierten Ausstellungen der Surrealisten<br />

schon immer die höchsten Ansprüche verfolgten, so erfuhr ihre inhaltliche wie<br />

<strong>Friedrich</strong> <strong>Kiesler</strong>, Studie zur Raumgestaltung der Salle de Superstition, Negativ-Repro zur<br />

Illustration von/Study for interior design of the Salle de Superstition, negative repro as<br />

illustration for Manifeste du Corréalisme, 1947


auch formalästhetische Konzeption 1947 nochmals eine Steigerung. Neben einer<br />

erstmals durchgängig gestalteten Architektur existierte schon im Vorfeld ein<br />

Motto. Das zentrale Thema war der „Neue Mythos“, der als regenerative Macht<br />

die spirituelle Neuorientierung des Surrealismus nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

beschwor. Wirkte dieses Postulat Bretons auch sprachlich wie theoretisch<br />

bemüht, so bewies es doch sein seismographisches Gespür – da die Esoterik<br />

in den darauffolgenden Jahrzehnten an gesellschaftlicher Relevanz gewann.<br />

Breton setze seine Signatur unter den ausführlichen Einladungsbrief, Duchamp<br />

wurde namentlich an den Saaleingängen der drei thematischen Ausstellungsräume<br />

angeführt, das Konzept war wohl gemeinsam in New York entstanden. <strong>Friedrich</strong><br />

<strong>Kiesler</strong> wurde nach der Konzeptlegung eingeladen <strong>und</strong> für die gestalterische<br />

Umsetzung der Räume herangezogen sowie mit der umfassenden Entwicklung<br />

der Salle de Superstition beauftragt.<br />

Den Auftakt der Ausstellung machte eine straßenseitige Vitrine. Einstimmig<br />

wurde beschlossen, Conglomeros von Victor Brauner auszustellen – ein Wesen,<br />

dessen drei nackte Körper zu einem einzigen Kopf verschmelzen. Bewusst<br />

wählten sie das Kunstwerk mit dem höchstem Schockpotential aus, um<br />

maximale Aufmerksamkeit zu erreichen. Die Provokation war immanenter Teil<br />

der surrealistischen Strategien – das Publikum sollte nicht enttäuscht werden.<br />

Ebenfalls dort zu sehen waren die von Duchamp <strong>und</strong> Enrico Donati gestalteten<br />

Breton’s New York exile at the beginning of the 1940s. An important circle<br />

of artists grew up aro<strong>und</strong> the three charismatic figures, including a number<br />

of members of the Surrealist group, whose figurehead and self-proclaimed<br />

leader Breton continued to be 1 .<br />

Returned from exile, and almost ten years after the spectacular Surrealism<br />

exhibition of 1938, Breton’s great ambition in 1947 was to surpass that event.<br />

This happened at a strategically important juncture with the aim of stemming<br />

the dissolution of this widely scattered and divided group. His prolonged<br />

absence from Paris resulted in a renewed struggle for leadership among the<br />

Parisian intelligentsia and artists’ scene. Breton the strategist opted for a<br />

high-publicity exhibition as a means of revitalising the ailing movement. Aimé<br />

Maeght invited him to use his newly fo<strong>und</strong>ed gallery in Paris for this purpose,<br />

and despite the relative confines of the premises and the difficult conditions<br />

of the post-war period, the outcome in a very short time was an extremely<br />

comprehensive, international project featuring many big names. More than one<br />

h<strong>und</strong>red and ten artists and writers from twenty-five nations took part with<br />

thirty-eight catalogue texts and more than two h<strong>und</strong>red exhibits – including<br />

thirty installations planned specially for the venue.<br />

Schaumstoffbrüste, welche als Cover der berühmten Luxusausgabe des Katalogs<br />

jedoch noch stärkere Irritation zu entfachen vermochten.<br />

In weiterer Folge gelangte man über eine Treppe in die Ausstellungsräume im<br />

ersten Stock. Die Stirnseiten der Stufen waren wie Buchrücken gestaltet <strong>und</strong><br />

in Trompe-l’œil-Technik bemalt. Rote, in Leder geschlagene Buchrücken trugen<br />

in goldenen Lettern geprägte Titel der für die Surrealisten relevanten Weltliteratur.<br />

So wurde der Ausstellungsparcours als Einstieg in die surrealistische<br />

Erfahrungswelt über den Olymp literarischer Vorbilder begangen.<br />

Ein Miniaturleuchtturm streute Lichtsignale, auf dem oberen Treppenabsatz war<br />

Fruit de la Lune, eine kometenhafte Skulptur von Hans Arp, gelandet; zwischen<br />

anderen Highlights war hier auch eine jener riesigen, farbenprächtigen Leinwände<br />

von Arshile Gorky zu sehen.<br />

Der Weg durch die Ausstellung war wie ein zeremonieller Pfad angelegt, eine<br />

„parade spirituelle“; er sollte die Etappen eines Initiationsritus – Begegnung,<br />

Reinigung, Läuterung – nachzeichnen. Zur Überwindung des Aberglaubens wurde<br />

man zuerst durch die Salle de Superstition geführt. <strong>Kiesler</strong> entwarf mithilfe<br />

ausgespannter, dunkel türkisfarbener Tuchbahnen eine sphärische Höhle, einen in<br />

sich geschlossenen Kosmos. Duchamps grüner Neonbalken des Rayon Vert tauchte<br />

den dunklen Raum in magisches Licht. Die Werke waren am Boden <strong>und</strong>/oder über<br />

Kopf installiert, wie Sternbilder am Firmament asymmetrisch im Raum verteilt.<br />

Even if the curatorial strategies in the Surrealist exhibitions organised by<br />

Breton and Duchamp had always aspired to the highest standards, their concept<br />

of 1947 took yet another leap forward with regard to content and formal<br />

aesthetics. Along with the first completely integrated architectural design, there<br />

was also a motto ahead of the show. The main theme was the “New Myth”,<br />

a regenerative force invoking the spiritual reorientation of Surrealism after<br />

World War II. While Breton’s postulate seemed linguistically and theoretically<br />

contrived, it nevertheless proved his seismographic sense – with the esotericism<br />

gaining social relevance in ensuing decades.<br />

Breton put his signature <strong>und</strong>er the detailed letter of invitation, Duchamp was<br />

mentioned by name at the entrances to the three themed exhibition rooms,<br />

and the concept was probably devised jointly in New York. After submitting<br />

the concept, Frederick <strong>Kiesler</strong> was invited and commissioned with designing<br />

the rooms and with the complete development of the Salle de Superstition.<br />

The exhibition kicked off with a road-side display case. It was unanimously<br />

decided to exhibit Conglomeros by Victor Brauner – a creature whose three<br />

naked bodies merge into a single head. They deliberately opted for the artwork<br />

with the greatest shock potential so as to achieve maximum attention.


Duchamp <strong>und</strong> <strong>Kiesler</strong>, die sich während der Entwicklungsphase in New York<br />

aufhielten, luden Künstler aus ihrem Umkreis ein, Bildnisse des Unheils<br />

<strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen gängigen Arten des Aberglaubens darzustellen.<br />

Es beteiligten sich Max Ernst mit Le Lac, Source d’Angoisse <strong>und</strong> Euclide,<br />

David Hare mit L’homme-angoisse, Joan Miró mit La Cascade architecturale,<br />

Roberto Matta mit Le Whist, Enrico Donati mit Le Mauvais Œil, Yves Tanguy<br />

mit L’Échelle qui annonce la mort wie auch <strong>Kiesler</strong> selbst, der erstmals<br />

mit skulpturalen Arbeiten, der Figue anti-tabou <strong>und</strong> Le Totem des religions,<br />

in Erscheinung trat. Im kollektiven Prozess entstand ein Gesamtkunstwerk,<br />

eine gemeinschaftliche, sich wechselseitig bedingende Einheit von Kunst <strong>und</strong><br />

Architektur.<br />

Es war ein Raum im Raum, ein endloses Raumkontinuum. <strong>Kiesler</strong> nennt ihn in<br />

seinem Correalistischen Manifest von 1949 „Realité Plastique“ – eine Synthese<br />

von Mensch, Kunstwerk <strong>und</strong> Raum. Ziel war es, die Kunst in den unmittelbaren<br />

Umraum des Menschen zu setzen. Diese energetische Form schafft, ähnlich<br />

einem magnetischen Feld, einen Nukleus von kontinuierlicher Spannung, in dem<br />

alle Teile miteinander in Verbindung stehen. <strong>Kiesler</strong> lag daran, die Trennung<br />

zwischen den Genres aufzulösen, um eine Metamorphose der Elemente Malerei,<br />

Skulptur <strong>und</strong> Architektur zu schaffen, damit „ein Bild zu Architektur, eine<br />

Skulptur zu einem Bild <strong>und</strong> die Architektur zu Farbe wird“ 2 .<br />

Provocation was an integral element in the Surrealists’ strategies – and they<br />

did not want to disappoint the public. Also on show were the foam rubber<br />

breasts designed by Duchamp and Enrico Donati, the source of even greater<br />

vexation, however, on the cover of the famous luxury edition of the catalogue.<br />

Up a flight of stairs, the show continued in the exhibition rooms on the first<br />

floor. The face edges of the steps were designed in the form of book spines,<br />

painted in the trompe l’œil technique. Red leather book spines bore the titles<br />

of international literature relevant to the Surrealists in gold-embossed letters.<br />

The tour of the exhibition served as an introduction to the Surrealists’ world<br />

of experience through the Olympus of their literary models.<br />

A miniature lighthouse emitted light signals, while Fruit de la Lune, a cometlike<br />

sculpture by Hans Arp, had alighted on the top half-landing; also on show<br />

here, amidst other highlights, was one of those giant, colourful canvases by<br />

Arshile Gorky.<br />

The path through the exhibition was laid out in the manner of a ceremonial<br />

path, a “parade spirituelle”, and was intended to trace the stages of an initiation<br />

rite – meeting, cleansing and purification. First the visitor was guided through<br />

the Salle de Superstition in order to overcome superstition.<br />

Jahre später kommentierte Duchamp seinen Beitrag in der Salle de Pluie, dem<br />

nächsten Raum im Parcours der Ausstellung, in gewohnt zurückhaltender Weise,<br />

er habe lediglich darum gebeten, es darin regnen zu lassen 3 . Das Durchschreiten<br />

der Regenvorhänge diente nicht nur symbolisch der Reinigung <strong>und</strong> gleichzeitigen<br />

Befreiung von einer tradierten Rezeption von Kunst. Diese physische Benetzung<br />

– aus Wasserleitungen unter der Decke regnete es auf einen Plankenboden<br />

herab – war nicht nur ein Akt der Provokation, sondern laut Presse zudem<br />

auch eine willkommene körperliche Erfrischung bei den hochsommerlichen<br />

Temperaturen. Der Regen ergoss sich ebenso auf die raumgreifende bronzene<br />

Skulpturengruppe von Maria Martins – eine pikante Geste, wenn man weiß man,<br />

dass es sich um einen privaten Gruß Duchamps an die Künstlerin handelte. Ein<br />

Billardtisch lud zur Partizipation ein – das Publikum wurde indirekt aufgefordert<br />

„mitzuspielen“. Diese Eingriffe in den Ausstellungsraum realisierte Duchamp trotz<br />

seiner jahrelang anhaltenden Verweigerung künstlerischen Tuns. 4<br />

Im nächsten Raum erreichte der Initiationsritus seinen Höhepunkt. War der<br />

Aberglaube überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> der Körper/Geist gereinigt, gelangte der Besucher<br />

in einen Altarraum (Le Dédale). Hier konnte man nun unvoreingenommen den<br />

magischen „Dingen“ aus dem schier unerschöpflichen poetischen Reservoir der<br />

Surrealisten begegnen. 13 Altäre waren in dieser nach heidnischem Vorbild<br />

geschaffenen Kultstätte Phänomenen gewidmet, die unter Verdacht standen,<br />

<strong>Kiesler</strong> designed with the aid of lengths of dark-turquoise cloth, a spherical<br />

cave, a self-contained universe. Duchamp’s green neon bar, the Rayon Vert,<br />

bathed the room in magical light. The works were installed on the floor and/<br />

or overhead, spread out asymmetrically like celestial constellations.<br />

Duchamp and <strong>Kiesler</strong>, who were staying in New York during the development<br />

phase, invited artist acquaintances to create images of doom and the common<br />

types of superstition related with this. Contributors were Max Ernst with Le<br />

Lac, Source d’Angoisse and Euclide, David Hare with L’homme-angoisse, Joan<br />

Miró with La Cascade architecturale, Roberto Matta with Le Whist, Enrico<br />

Donati with Le Mauvais Œil, Yves Tanguy with L’Échelle qui annonce la mort,<br />

and <strong>Kiesler</strong> himself, putting in his first appearance with sculptural works,<br />

Figue anti-tabou and Le Totem des religions. The outcome of this collective<br />

process was a total work of art, a joint, mutually contingent fusion of art<br />

and architecture.<br />

It was a space within a space, an endless space continuum. In his Manifeste du<br />

Corréalisme of 1949, <strong>Kiesler</strong> referred to it as “Realité Plastique” – synthesis of<br />

the human being, the artwork and space. The aim was to place art in people’s<br />

immediate environment. Not unlike a magnetic field, this energy-charged form


<strong>Friedrich</strong> <strong>Kiesler</strong>, Entwurf zur Salle de Superstition/Draft of the Salle de Superstition,<br />

Manifeste du Corréalisme, in: L‘Architecture Aujourd‘hui, 1949.<br />

creates a nucleus of continuous tension in which all parts are connected.<br />

<strong>Kiesler</strong> sought to overcome the distinction between the genres so as to create<br />

a metamorphosis of the elements paintings, sculpture and architecture such<br />

that “a picture becomes architecture, a sculpture becomes a picture, and<br />

architecture becomes colour” 2 .<br />

Years later, Duchamp remarked with his usual reticence on his installation in<br />

the Salle de Pluie, the next room in the exhibition, that he “just asked to have<br />

it rain” 3 . Stepping through the curtains of rain not only served as a symbolic<br />

cleansing and as a liberation from a traditional reception of art. This physical<br />

wetting – with the rain falling onto a plank flooring from water pipes below<br />

the ceiling – was not simply an act of provocation but, according to the press,<br />

also a welcome physical refreshment in hot summer temperatures. The rain also<br />

poured down on the space-embracing bronze sculpture by Maria Martins – a<br />

piquant gesture when you know that this was a private greeting from Duchamp<br />

to the artist. A billiard-table invited people to take part, indirectly prompting<br />

the public to “join in the game”. Duchamp carried out these interventions in<br />

the exhibition space despite having refused to engage in any kind of artistic<br />

activity for many years. 4<br />

mit mythischem Leben erfüllt zu sein. Auf diesem „Prozessionsweg“ begegnete<br />

man den „Großen Transparenten“ (Les Grands Transparents, Jacques Hérold),<br />

auch wurde dem Diener der Schwerkraft aus Duchamps „Großem Glas“ gehuldigt<br />

(Le Soigneur de Gravité, Ehepaar Matta). Berühmten Romanfiguren wie Jeanne<br />

Sabrenas (Jindřich Heisler) oder Léonie Aubois d’Ashby (André Breton) wurden<br />

ebenso Altäre gewidmet wie dem Literaten Raymond Roussel (Matta). Zudem<br />

wurde mit La Chevelure de Falmer (Wifredo Lam) <strong>und</strong> Le Tigre mondain<br />

(Frédéric Delanglade) an literarische Sternst<strong>und</strong>en erinnert. Seltenen, der<br />

Zivilisation entfremdeten Tieren, wie zum Beispiel dem Sekretär-Vogel, L’Oiseau<br />

Sécretaire (Victor Brauner), einer Wüstenechse, L‘Héloderme suspect (Jaroslav<br />

Serpan) oder dem Sternnasenmaulwurf, La Taupe étoilée (Ehepaar Seigle),<br />

waren Opferstätten eingerichtet, ebenso den Fantasieobjekten Le Louptable<br />

(Victor Brauner) <strong>und</strong> La Fenêtre de Magna Sed Apta (Toyen). Die letzte<br />

Station L’Athanor, „der Schmelztiegel“, war das Werk des Alchimisten Maurice<br />

Baskine <strong>und</strong> galt der kontinuierlichen Suche nach dem Stein der Weisen<br />

bzw. der Rezeptur, die gewöhnlichen Stein in Gold verwandelt. Opfergaben,<br />

Devotionalien <strong>und</strong> Reliquien waren beigegeben, zahlreiche Künstler trugen zu<br />

der eklektischen Vielfalt dieses Raumes bei. Präsentiert wurden diese Altäre<br />

als dreidimensionale Schaukästen, eingelassen in rechteckige Säulen. Diese<br />

Stationen waren wiederum durch Wände verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> formierten<br />

<strong>Friedrich</strong> <strong>Kiesler</strong><br />

Réalité plastique<br />

Skizze/sketch<br />

Paris 1947


sich zu einem Irrgarten. Durch diesen zog sich der mythologische „Faden der<br />

Ariadne“ – ein von <strong>Kiesler</strong> gemaltes, kontinuierliches Band. Die Desorientierung<br />

im Labyrinth 5 wie auch der Initiationsritus sind wohl als Symbole für die<br />

Situation nach dem Zweiten Weltkrieg (für die Entwurzelung <strong>und</strong> Invasion<br />

fremder Kräfte) zu verstehen, die auf das Erkennen <strong>und</strong> Erleben mythischer Kraft<br />

ausgerichtet war. Die „Reinwaschung“ aktivierte die multisensorische Stimulation<br />

des Besuchers als eine nicht nur rein retinale, sondern ebenso physische <strong>und</strong><br />

damit auch psychische Wahrnehmung.<br />

Die „Bibliothek“, der letzte Raum der Ausstellung, beinhaltete Tisch- <strong>und</strong> Schrankvitrinen<br />

mit Büchern, Manuskripten, Photographien <strong>und</strong> Memorabilia zu Themen<br />

des Surrealismus, wie zum Beispiel Bretons Anthologie de l’humour noir (1940).<br />

Diese referentielle Schatzkammer bot einen weiteren F<strong>und</strong>us surrealistischen<br />

Gedankenguts <strong>und</strong> fungierte somit als ein Vorläufer der „Reading Rooms“ – für<br />

Ausstellungen eingerichtete, mit Sek<strong>und</strong>ärliteratur bestückte Leseecken.<br />

Diesem Format ähnlich funktioniert der Katalog als „Reader“ mit 38 unterschiedlichen<br />

Beiträgen von Künstlern <strong>und</strong> Literaten zu surrealistischen Forschungsgebieten<br />

<strong>und</strong> Themen der Zeit – ein Konglomerat aus Lyrik <strong>und</strong> Prosa, Manifest,<br />

kollektiver Deklaration <strong>und</strong> vielem mehr. Damit ist diese Publikation weniger ein<br />

Dokumentationswerkzeug oder eine bloße Zusammenstellung kunsttheoretischer<br />

Texte, als vielmehr eine offene literarische Plattform, die als Erweiterung zum<br />

The initiation rite reached its climax in the next room. With superstition<br />

overcome and the body/mind cleansed, the visitor entered an altar room (Le<br />

Dédale), where he or she could now impartially view the magical “things”<br />

from the seemingly inexhaustible poetic reservoir of the Surrealists. In this<br />

cultic site styled on heathen precursors, thirteen altars were devoted to<br />

phenomena suspected of being imbued with mythical life. Featuring along this<br />

“procession path” were the “Great Transparents” (Les Grands Transparents,<br />

Jacques Hérold), and an homage to the Juggler of Gravity in Duchamp’s<br />

“Large Glass” (Le Soigneur de Gravité, the Mattas). Altars were dedicated<br />

to famous novel characters such as Jeanne Sabrenas (Jindřich Heisler) or<br />

Léonie Aubois d’Ashby (André Breton) as well as to the novelist Raymond<br />

Roussel (Matta). Great moments in literature were also commemorated<br />

with La Chevelure de Falmer (Wifredo Lam) and Le Tigre mondain (Frédéric<br />

Delanglade). Altars were erected to rare animals which shun civilisation, for<br />

instance the Secretary Bird, L’Oiseau Sécretaire (Victor Brauner), a desert<br />

lizard, L‘Héloderme suspect (Jaroslav Serpan) or the star-nosed mole,<br />

La Taupe étoilée (the Seigles), as well as to fantasy objects Le Louptable<br />

(Victor Brauner) and La Fenêtre de Magna Sed Apta (Toyen). The last stage,<br />

Ausstellungsraum gedacht war. Explizit zu nennen ist Georges Batailles wichtiger<br />

Text „L’Absence du mythe“, in dem dieser die Abwesenheit eines Mythos als einen<br />

legitimen Mythos deklariert. Seine Unsterblichkeit erreichte das Buch jedoch dank<br />

der legendären auf dem Cover präsentierten, schon erwähnten Schaumstoffbrust.<br />

Auch wenn die Zahl von 40.000 Besuchern – bzw. 150.000 (sic) laut Angaben des<br />

Galeristen – bezweifelt werden darf, ist der enorme Andrang, den die Ausstellung<br />

verzeichnen konnte, beeindruckend <strong>und</strong> Beleg für den „Hunger nach Kunst“ im<br />

kulturellen Vakuum der Nachkriegszeit. Die Ausstellung wurde in der Presse mit<br />

über 30 ausführlichen internationalen Artikeln stark rezipiert. In der damals<br />

üblichen Manier wurde das Resultat heftig kritisiert, <strong>und</strong> gleichzeitig scheint die<br />

Unternehmung doch wenig ernst genommen worden zu sein. Die Resonanz, die<br />

der ungeheure Aufwand der internationalen Zusammenkunft vieler großartiger<br />

Künstler verdient hätte, stellte sich nicht ein: Duchamps Biograf Calvin Tomkins<br />

nannte die Ausstellung „das letzte Hurra der Bewegung“ 6 .<br />

Wenn sich die Ausstellung in der Geschichtsschreibung auch nicht wie jene<br />

von 1938 behauptete, sind aus kuratorischer Sicht jedoch weitaus komplexere<br />

Strategien erkennbar. Bahnbrechend für die damalige Praxis ist es, dass eine<br />

Kunstausstellung – abseits der politisch aufgeladenen Weltausstellungen – derart<br />

André Breton <strong>und</strong>/and<br />

Roberto Matta beim<br />

Ausstellungsaufbau/at<br />

the installaton of the<br />

exhibition


ewusst als strategisches Instrument von einem Kurator eingesetzt wird. Das<br />

Thema nicht nur für eine Ausstellung, sondern damit auch allgemein eine gesellschaftliche<br />

Direktive vorzugeben, zeugt von einem neuen, progressiven Anspruch,<br />

der die Bedeutung der Kunstpräsentation an sich steigert. Ein Ereignis von einer<br />

derartigen Dimension zu kreieren, findet selbst heute nur in den groß angelegten<br />

<strong>und</strong> über Jahre geplanten Biennalen eine Entsprechung. Ein internationales<br />

Netzwerk zu generieren, das sich seiner Ausrichtung über kriegsbedingte Grenzen<br />

hinwegsetzt, Alt <strong>und</strong> Jung, Profis wie auch Laien vereint <strong>und</strong> darüber hinaus von<br />

hoher Interdisziplinarität wie auch kooperativem Arbeiten unterstützt wird – folgt<br />

jenem methodischen Ansatz, mit dem Breton schon erfolgreich das internationale<br />

System der surrealistischen Gruppe in die Kunstwelt implementierte.<br />

Die Ausstellung als narrativen Weg anzulegen <strong>und</strong> gleichzeitig als Betrachter-<br />

Initiation zu konzipieren, war ein besonderer Kunstgriff. Duchamp setzte mit<br />

seinen Untersuchungen der Wahrnehmung <strong>und</strong> der Beschäftigung mit dem<br />

Rezipienten Meilensteine in der Kunsttheorie. Durch seinen „Regen“ 1947 erfährt<br />

die Interaktion mit dem Besucher einen Höhepunkt. Mit seiner geplanten, aber<br />

nicht realisierten Küche hätte er die sensuelle Erfahrung zumindest noch um<br />

den Geschmackssinn erweitert.<br />

<strong>Kiesler</strong> weiß die Ausstellung als Instrument zur Entwicklung einer programmatischen<br />

Architektur zu nutzen. Ihm gelingt eine kohärente Gestaltung einer Ausstellung<br />

L’Athanor, “the melting-pot”, was the work of alchemist Maurice Baskine and<br />

was dedicated to the ongoing search for the Philosopher’s Stone and the recipe<br />

to turn common stone into gold. Sacrificial offerings, devotional objects and<br />

relics were added, with numerous artists contributing to the eclectic diversity<br />

of this room. These altars were presented as three-dimensional display cases<br />

embedded in rectangular columns. These units, in turn, were connected by<br />

walls so as to form a maze, with the mythological “Ariadne’s thread” – an<br />

endless strip painted by <strong>Kiesler</strong> – running alongside the walls. Both the lack<br />

of orientation in the maze 5 and the initiation rite can be seen as symbols of<br />

the situation after World War II (of uprooting and invasion by foreign forces)<br />

designed to recognise and experience mythical power. The “cleansing” activated<br />

the multi-sensory stimulation of the visitor as not just retinal, but equally<br />

physical and thus emotional perception.<br />

The “Library”, the final room in the exhibition, contained tabletop and cabinet<br />

display cases with books, manuscripts, photographs and memorabilia on<br />

Surrealist topics, for example Breton’s Anthologie de l’humour noir (1940).<br />

This treasure-chamber of reference works provided another trove of Surrealist<br />

thought, thus serving as a precursor of “reading rooms” – special areas<br />

set aside at exhibitions for secondary literature. Similar to this format, the<br />

catalogue served as a “reader”, with thirty-eight different essays by artists and<br />

writers on areas of Surrealist research and topics of the day – a conglomerate<br />

of poetry and prose, manifesto, collective declaration, and much more. As<br />

such, this publication was not so much a tool for documentation or a mere<br />

collection of art historical texts as an open literary platform conceived as an<br />

extension of the exhibition space. Explicit mention should be made of Georges<br />

Bataille’s vanguard treatise “L’Absence du mythe”, in which he declares the<br />

absence of myth to be a legitimate myth. However, the book was immortalised<br />

by the aforementioned legendary foam rubber breast displayed on the cover.<br />

Even if the number of visitors, 40,000 – or 150,000 (sic!) according to the<br />

gallery owner – is doubtful, the tremendous popularity of the exhibition is<br />

nevertheless impressive and proof of the “hunger for art” in the cultural vacuum<br />

of the post-war period. Press coverage was excellent, with more than thirty<br />

international feature articles. In the manner customary of the time, the result<br />

was severely criticised, but the <strong>und</strong>ertaking also seems not to have been taken<br />

particularly seriously. The response worthy of the tremendous effort made by


Künstler der/Artists of the Exposition Internationale du Surréalisme:<br />

(vordere Reihe von links nach rechts/front row from left to right)<br />

Frédéric Delanglade, Roberto Matta, <strong>Friedrich</strong> <strong>Kiesler</strong>, Jindřich Heisler,<br />

Jacques Hérold, Aime Maeght, Henri Goetz, Jaroslav Serpan<br />

(mittlere Reihe von links nach rechts/middle row from left to right)<br />

Maurice Baskine, Pierre Demarne, Maurice Henry, Jerzy Kujawski, Claude<br />

Tarnaud, Francis Bouvet, Victor Brauner, Sarane Alexandrian, Toyen, No<br />

Seigle, Nora Mitrani, Hans Bellmer, André Breton, [unbekannt/unknown],<br />

Henri Pastoureau, Bernard Gheerbrant<br />

(hinterste Reihe von links nach rechts/back row from left to right)<br />

Antonio Dacosta, Marcel Jean, Jacques Kober, Stanislav Rodanski,<br />

Gaston Criel<br />

this international gathering of many great artists did not materialise: Duchamp’s<br />

biographer Calvin Tomkins called the exhibition “the movement’s last hurrah” 6 .<br />

Even if the exhibition did no go down in history in the same way as that<br />

of 1938, it does reveal far more complex strategies in terms of curating.<br />

Pioneering for curatorial practice at that time is the fact that a curator used<br />

an art exhibition – beyond the politically charged world fairs – so consciously<br />

as a strategic instrument. Not only defining the theme for an exhibition, but<br />

thereby also issuing a general social directive, testifies to a new, progressive<br />

ambition that augments the significance of presenting art per se. Even today,<br />

the large-scale biennials planned for several years are the only equivalent<br />

to creating an event of such dimensions. Generating an international network<br />

whose organisation transcended war-induced bo<strong>und</strong>aries, uniting old and young,<br />

professionals and amateurs alike, and that was backed up by a high degree of<br />

interdisciplinarity and co-operative works, follows that methodical approach<br />

with which Breton had already successfully implemented the international<br />

system of the Surrealist group in the art world.<br />

Creating the exhibition as a narrative path and conceiving it as an initiation<br />

of the viewer was a particularly ingenious idea. Duchamp created milestones<br />

mit eigens konzipierten Räumen <strong>und</strong> Werken als Symbiose zwischen Form<br />

<strong>und</strong> Inhalt. Duchamp <strong>und</strong> <strong>Kiesler</strong> ermutigen zur Kooperation, mit der Salle<br />

de Superstition entsteht symbiotisch zwischen Architekt <strong>und</strong> Künstlern ein<br />

Gesamtkunstwerk im Ausstellungsraum – ein kollektiv gestaltetes „Environment“,<br />

Jahre bevor dieser Begriff überhaupt geboren war.<br />

Die drei Protagonisten arbeiteten an der Modifikation des Ausstellungsformats<br />

<strong>und</strong> einer kontinuierlichen Erweiterung des Kunstbegriffs. Ihre Beiträge für<br />

1947 entstanden nach jahrelangen intensiven Auseinandersetzungen mit der<br />

Wahrnehmung, mit dem Ausstellungsraum, mit den Themen des Displays <strong>und</strong><br />

der (Re-)Präsentation von Kunst. Gemeinsam haben sie die Bedingungen des<br />

Ausstellens (Exhibition Politics) neu definiert – die Ausstellung von 1947 markiert<br />

einen Wendepunkt in der Ausstellungsgeschichte, <strong>und</strong> das reformatorische<br />

Potential der Protagonisten gilt der zeitgenössischen kuratorischen Praxis noch<br />

heute als Vorbild.<br />

in the theory of art with his exploration of perception and his study of the<br />

recipient. His “rain” of 1947 was a climax in visitor interaction. His kitchen,<br />

planned but never built, would have added the sense of taste at least to the<br />

sensory experience. <strong>Kiesler</strong> knew how to use the exhibition as an instrument for<br />

developing a programmatic architecture. He succeeded in achieving a coherent<br />

exhibition design with specially conceived rooms and works as a symbiosis<br />

of form and content. Duchamp and <strong>Kiesler</strong> encouraged co-operation, with the<br />

Salle de Superstition constituting a total work of art in the exhibition space,<br />

created symbiotically by the architect and artists – a collectively designed<br />

“environment”, years before this concept was even coined.<br />

The three protagonists worked on modifying the exhibition format and<br />

continuously extending the concept of art. Their contributions for 1947 were<br />

made after studying perception, the exhibition space, the subjects of display<br />

and (re)presenting art in great depth for many years. Together they redefined<br />

the conditions of exhibition politics – the show of 1947 marked a paradigm<br />

shift in exhibition history, and the reformatory potential of the protagonists<br />

continues to be an exemplar for modern curatorial practice.


Anmerkungen<br />

1<br />

Duchamp <strong>und</strong> <strong>Kiesler</strong> gehörten den Surrealisten nie offiziell an.<br />

2<br />

<strong>Friedrich</strong> <strong>Kiesler</strong>, „Manifeste du Corréalisme“, in L’Architecture d’Aujourd’hui,<br />

No. 2, Juni 1949. S. 80-105.<br />

3<br />

Pierre Cabanne, Marcel Duchamp: Entretiens avec Pierre Cabanne, Somogy,<br />

Paris 1995, S. 107 f.<br />

4<br />

Arthuro Schwarz’ Catalogue Raisonné zu Marcel Duchamp listet den Regen<br />

in der Salle de Pluie nicht als eigenständiges Werk.<br />

5<br />

Vgl. die Anmerkungen zu Georges Batailles Labyrinth von 1936 in T.J. Demos<br />

„Duchamps Labyrinth“ in October 97, MIT 2001.<br />

6<br />

Calvin Tomkins, Duchamp – A Biography, Henry Holt & Co., New York 1996, S. 361.<br />

Notes<br />

1<br />

Duchamp and <strong>Kiesler</strong> never officially belonged to the Surrealists.<br />

2<br />

Frederick <strong>Kiesler</strong>, “Manifeste du Corréalisme”, in: L’Architecture d’Aujourd’hui,<br />

No. 2, June 1949. P. 80–105.<br />

3<br />

Pierre Cabanne, Marcel Duchamp: Entretiens avec Pierre Cabanne, Somogy,<br />

Paris 1995, p. 107 f.<br />

4<br />

Arthuro Schwarz’s catalogue raisonné of Marcel Duchamp does not list the rain<br />

in the Salle de Pluie as a distinct work.<br />

5<br />

Cf. the notes on Georges Bataille’s Labyrinth from 1936 in T.J. Demos’s “Duchamps<br />

Labyrinth” in October 97, MIT 2001.<br />

6<br />

Calvin Tomkins, Duchamp – A Biography, Henry Holt & Co., New York 1996, p. 361.<br />

Die Treppe im Eingangsbereich der Galerie Maeght zierten Buchrücken mit Titeln von<br />

literarischen Vorbildern der Surrealisten. The stairs in the entrance area of Gallery<br />

Maeght were ornamented with books spines showing titles of literary role models of<br />

the Surrealists. (J.M.).<br />

In der oberen Etage stand Hans Arps Skulptur Fruit de la lune (1936) vor Victor Brauners<br />

Gemälde Le Chant des Libertés. Durch das Treppengeländer erkennt man den Leuchtturm,<br />

der mit rotierenden Lichtsignalen den Aufgang erhellte. On the upper floor was Hans<br />

Arp’s sculpture Fruit de la lune (1936) in front of Victor Brauner’s painting Le Chant<br />

des Libertés. Through the stairrail one can see the lighthouse that illuminated the stairs<br />

with rotating light signals. (Rechts oben/right above, J.M.)<br />

Vor dem Fenster Arshile Gorkys Le Foie est la tête du coq (1944), rechts davor ein<br />

mobiles Objekt von Alexander Calder. In front of the window Arshile Gorky’s Le Foie est<br />

la tête du coq (1944), on the right side a mobile object by Alexander Calder. (Rechts<br />

unten/right below, J.M.)


Eingang zur Salle de Superstition mit <strong>Kiesler</strong>s Figue Anti-Tabou, einer überdimensionalen<br />

Faust aus Gips, deren Daumen zwischen Zeige- <strong>und</strong> Mittelfinger steckt – eine traditionelle<br />

apotropäische Geste. Über dem Türstock hing L’Oiseau de mauvais augure von Julio de<br />

Diego, ein Werk aus gebogenem Wurzelholz in Gestalt eines Vogels, der als Vorbote des<br />

Unglücks fungierte. Entrance to the Salle de Superstition with Frederick <strong>Kiesler</strong>’s Figue<br />

Anti-Tabou, an oversized fist made from plaster with the thumb stuck between index<br />

and middle finger - a traditional apotropaic gesture. Above the doorframe hung Julio<br />

de Diego’s L’Oiseau de mauvais augure, a work made of curved root wood indicating<br />

the shape of a bird functioning as a harbinger of misfortune and bad news. (J.M.)


Blick in die Salle de Superstition mit Max Ernsts Euclide (1945) im Hintergr<strong>und</strong>. <strong>Kiesler</strong><br />

konzipierte den Raum als sphärische Höhle, die sowohl schützend als auch mystisch<br />

wirken sollte. Der kubische Saal wurde mithilfe dunkeltürkiser Tuchbahnen in ein endlos<br />

fließendes Raumkontinuum ohne Ecken <strong>und</strong> Kanten verwandelt. View into the Salle the<br />

Superstition with Max Ernst’s Euclide (1945) in the backgro<strong>und</strong>. <strong>Kiesler</strong> designed the<br />

room as spheric cave that should have the effect of security as well as mysticism. The<br />

cubic hall was transformed with dark turquoise cloth into an endlessly flowing space<br />

continuum without corners and edges. (J.M.)<br />

<strong>Friedrich</strong> <strong>Kiesler</strong>s Le Totem des religions vereinte Symbole diverser Weltreligionen <strong>und</strong><br />

brachte damit seine Intention zum Ausdruck, sämtliche Glaubensrichtungen zu vereinen.<br />

Le Mauvais Œil von Donati (links) war erhöht im Zentrum der Salle de Superstition<br />

installiert. Ernsts Gemälde Euclide (rechts) war hinter einer textilen Wand befestigt <strong>und</strong><br />

nur durch ein „Guckloch“ zu sehen. Frederick <strong>Kiesler</strong>’s Le Totem des religions combined<br />

symbols of different world religions and expressed his intention to unite all beliefs.<br />

Donati’s Le Mauvais Œil (left) was installed at an elevated point in the center of the<br />

Salle de Superstition. Ernst‘s painting Euclide (right) was installed behind a textile wall<br />

and could only be seen through a peephole. (J.M.)<br />

La Cascade architecturale zog sich als breites, gelbes Band in einer schwungvollen<br />

Welle von der Decke bis zum Boden. Darauf war ein bunt bemaltes Fries von Joan Miró<br />

befestigt, dessen Motive die Präsenz des Aberglaubens versinnbildlichten; davor David<br />

Hares Skelett-Skulptur L‘homme-angoisse, rechts daneben Yves Tanguys L‘Échelle qui<br />

annonce la mort; im Hintergr<strong>und</strong> Le Whist von Roberto Matta. La Cascade architecturale, a<br />

broad yellow belt, stretched from the ceiling to the floor like an <strong>und</strong>ulating wave. Attached<br />

to it was a colourful frieze by Joan Miró symbolising the presence of superstition; in<br />

front of it David Hare‘s skeleton sculpture L‘homme-angoisse, on the right side Yves<br />

Tanguy‘s L‘Échelle qui annonce la mort; in the backgro<strong>und</strong> Le Whist by Roberto Matta.<br />

(Rechts oben <strong>und</strong> unten/right above and below, J.M.)


Einblick in die Salle de Pluie mit dem Regenvorhang von Marcel Duchamp, im Raumzentrum<br />

Maria Martins‘ Le chemin, l‘ombre, trop longs, trop étroits. Die Bronzeskulptur stellte die<br />

Verkörperung des weiblichen Prinzips in Gestalt von Amazonen <strong>und</strong> ihrer Schlangengöttin<br />

dar. Duchamp ließ es direkt auf die Skulpturengruppe regnen, das Wasser versickerte in<br />

einem mit Erde gefüllten Trog, in dem Gras wachsen sollte – ein Sinnbild der Erneuerung.<br />

Die körperliche Sensation des Regens sollte die Besucher endgültig aus ihrem Dämmerzustand<br />

erwecken <strong>und</strong> zur Aktivierung ihres Sensoriums führen. Insight into the Salle<br />

de Pluie with Marcel Duchamp‘s rain curtain, in the center of the room Maria Martins‘<br />

Le chemin, l‘ombre, trop longs, trop étroits. The bronze sculpture embodied the female<br />

principle in the shape of amazons and their serpent goddess. Duchamp let it rain directly<br />

on the sculpture group, the water drained away in the sculpture‘s base, a tub filled<br />

with earth that was supposed to let grass grow - a symbol for renewal. The physical<br />

sensation of the rain should finally wake up the visitors from their semi-consciousness<br />

and lead to an activation of their senses. (J.M.)


Der Altar von Victor Brauner L‘Oiseau Secrétaire ou Serpentaire war dem mystischen<br />

„Sekretär-Vogel“ gewidmet. Dem „Zoo“ der Surrealisten huldigten mit der Gila-Krustenechse<br />

<strong>und</strong> dem Sternnasenmaulwurf auch zwei weitere Altäre. Unter der Skulptur hing das eigens<br />

für die Ausstellung angefertigte Gemälde Les Amoureux, Messagers du Nombre, welches<br />

André Breton <strong>und</strong> Max Ernst zugedacht war. Die Künstlerkollegen wurden anhand zweier<br />

Tarotkarten, „Magier“ <strong>und</strong> „Päpstin“, symbolisch portraitiert. Die Opfergabe wurde von<br />

Jacques Hérold beigesteuert: eine Madonna mit Kind, von einer Schlange umschlungen<br />

(Les vases communicants). The altar L‘Oiseau Secrétaire ou Serpentaire by Victor Brauner<br />

was dedicated to the mystic „secretary bird“. Two other altars also paid homage to<br />

special specimen of the surrealist “zoo”: the gila monster and the star-nosed mole.<br />

Below the sculpture was the painting Les Amoureux, Messagers du Nombre, which was<br />

made especially for this exhibition, paying respect to André Breton and Max Ernst. The<br />

fellow artists were portrayed symbolically with two tarot cards, the “Magician” and the<br />

“High Priestess”. Jacques Hérold contributed the sacrificial offering: a madonna with<br />

child, entwined by a snake (Les vases communicants, J.M.)<br />

Jindřich Heislers Altar war Jeanne Sabrenas gewidmet, der Protagonistin in Alfred Jarrys<br />

Roman La Dragonne. Er bestand aus drei übereinander montierten Flaschen, auf denen ein<br />

Medaillon mit dem Gesicht Sabrenas‘ angebracht war, deren durchdringende Augen die<br />

Betrachter fixierten. Das Frauenbildnis drehte sich wie eine Wetterfahne <strong>und</strong> wurde zur<br />

allgemeinen Begeisterung von weißen Mäusen in einem Laufrad angetrieben. An der Wand<br />

verlief <strong>Kiesler</strong>s Fil d’Ariane (Ariadnefaden) - ein krokusgelbes gemaltes Band, das eine<br />

Verbindung zwischen den Altären herstellte <strong>und</strong> sich kunstvoll um Gemälde <strong>und</strong> Opfergaben<br />

rankte (links zB das aufgehängte Schwert Sculpture physique). Jindřich Heisler‘s altar<br />

was dedicated to Jeanne Sabrenas, protagonist of Alfred Jarry‘s novel La Dragonne. It<br />

consisted of three bottles mounted one above the other carrying a medallion with the<br />

face of Sabrenas, whose piercing look fixated the viewers. The female portrait rotated<br />

like a weather vane powered by white mice in a running wheel. <strong>Kiesler</strong> painted the Fil<br />

d’Ariane (Ariadne’s thread) on the wall, a yellow coloured ribbon that connected the<br />

altars and entwined artistically paintings and sacrificial offerings (for example, the<br />

sword Sculpture physique on the left side, J.M.)


Der von Toyen gestaltete Altar La Fenêtre de Magna Sed Apta basierte auf Georges du<br />

Mauriers Roman Peter Ibbetson (1891), der von einem Fenster als Projektionsfläche<br />

menschlicher Phantasien handelt. Aus zwei Fensterflügeln ragten eine Frauen- <strong>und</strong> eine<br />

Männerhand, die einander durchdrangen. Unterhalb befand sich eine Opfergabe von Jindřich<br />

Heisler: ein aufgeklapptes Buch, in dem zeilenartig diverse Steine <strong>und</strong> Perlen angeordnet<br />

waren. Rechts der Blick zurück in den Parcours mit seiner labyrinthischen Raumstruktur;<br />

im Hintergr<strong>und</strong> Victor Brauners Altar Le Louptable. The altar La Fenêtre de Magna Sed<br />

Apta by Toyen was based on Georges du Maurier’s novel Peter Ibbetson (1891) that dealt<br />

with a window as a projection screen for human phantasies. Two joining hands – one<br />

female and one male - that pervade each other stuck out of two casements. Below the<br />

altar was Jindřich Heisler’s sacrificial offering: an open book with various stones and<br />

pearls arranged in lines. On the right side is the view back into the parcours with its<br />

labyrinthine spatial structure; in the backgro<strong>und</strong> Victor Brauner’s altar Le Louptable. (J.M.)<br />

Im letzten Raum der Ausstellung, der „Bibliothek“ (La Librairie), befand sich eine Schrankvitrine.<br />

Diese war mit Literatur <strong>und</strong> Photographien bestückt, unter anderem André Bretons<br />

Anthologie de l’humour noir (Anthologie des Schwarzen Humors). Mit diesen Objekten,<br />

die vermutlich nach Belieben entnommen <strong>und</strong> studiert werden konnten, illustrierten die<br />

Ausstellungsmacher den geistigen Nährboden des Surrealismus. Zudem wurde damit der<br />

Bogen zum Anfang der Ausstellung, zur Eingangstreppe mit ihren literarischen Hinweisen,<br />

gespannt. In the last room of the exhibition, the “library” (La Librairie), there was a<br />

wall cabinet. It assembled literature and photographs, among them also André Bretons<br />

Anthologie de l’humour noir (Anthology of Black Humor). By means of these objects<br />

which presumably could be taken from the cabinet and studied, the exhibition organizers<br />

illustrated the intellectual breeding gro<strong>und</strong> of Surrealism, thereby creating a bridge to<br />

the beginning of the exhibition, the staircase with its literary notes. (J.M.)


Das Katalogbuch Le Surréalisme en 1947 anlässlich der Ausstellung in der Galerie Maeght<br />

wurde von Enrico Donati <strong>und</strong> Marcel Duchamp gestaltet. Es wurden zwei Versionen<br />

des Katalogs gedruckt. Die Luxusausgabe mit einer Auflage von 999 Exemplaren war<br />

mit einem zusätzlichen Umschlag versehen: Die Vorderseite ziert eine handbemalte<br />

Schaumstoffbrust, die auf schwarzem Samt montiert ist; auf der Rückseite klebt eine<br />

Etikette mit der subversiven Aufforderung „Prière de Toucher“ („Bitte berühren“). Rémy<br />

Duval griff diese Idee auf <strong>und</strong> lieferte zwei Aufnahmen einer Frauenbrust als Sujets<br />

für den Katalogeinband. Die hier abgebildete Brust in Dreiviertelansicht wurde für die<br />

Luxusausgabe verwendet. The catalogue Le Surréalisme en 1947 published on the<br />

occasion of the exhibition at the Gallery Maeght was designed by Enrico Donati and<br />

Marcel Duchamp. Two versions of the catalogue were published. The luxury edition<br />

with a print run of 999 copies is wrapped in an additional cover decorated with a<br />

hand-painted foam rubber breast on the front; on the back is a label with the subversive<br />

invitation “Prière de toucher” (“Please touch”). Rémy Duval took up this idea and shot two<br />

photographs of a female breast to be used for the catalogue cover. The three-quarter<br />

view of the breast shown above was used for the luxury edition. (G.Z.)<br />

Abbildungsnachweis/Photocredits<br />

Abb./Fig. Seite/page 14: André Breton <strong>und</strong>/and Roberto Matta, Photo: Denise Bellon<br />

© Les Films de l’équinoxe–Fonds photographique Denise Bellon<br />

Abb./Fig. Seite/page 16: Künstler der/Artists of the Exposition Internationale du<br />

Surréalisme, Photo: Denise Bellon/© Les Films de l’équinoxe–Fonds photographique<br />

Denise Bellon<br />

Abb./Fig. Seite/page 20-21: Treppe zur Ausstellung in der Galerie Maeght; Vorraum zur<br />

Ausstellung/Stairs to the exhibition in the Gallery Maeght; Entrance area,<br />

Photos: Willy Maywald/© VBK, Wien 2013<br />

Abb./Fig. Seite/page 22-23: Eingang zur/entrance to the Salle de Superstition;<br />

Blick in die/view into the Salle de Superstition, Photos: Rémy Duval<br />

Abb./Fig. Seite/page 24-25: <strong>Friedrich</strong> <strong>Kiesler</strong>, Le Totem des religions; La Cascade<br />

architecturale, Photos: Willy Maywald/© VBK, Wien 2013<br />

Abb./Fig. Seite/page 25: La Cascade architecturale, Photo: Rémy Duval<br />

Abb./Fig. Seite/page 26-27: Salle de Pluie, Photos: Willy Maywald/© VBK, Wien 2013<br />

Abb./Fig. Seite/page 28: Roberto <strong>und</strong>/and Patricia Matta, Le Soigneur de Gravité,<br />

Photo: Denise Bellon/© Les Films de l’équinoxe–Fonds photographique Denise Bellon


Abb./Fig. Seite/page 29: Victor Brauner, L‘Oiseau Secrétaire ou Serpentaire,<br />

Photo: Willy Maywald/© VBK, Wien 2013<br />

Abb./Fig. Seite/page 30-31: Jindřich Heisler, Jeanne Sabrenas; Toyen, La Fenêtre de<br />

Magna Sed Apta, Photos: Willy Maywald/© VBK, Wien 2013<br />

Abb./Fig. Seite/page 32: Schrankvitrine in der „Bibliothek“/wall cabinet in the “Library”,<br />

Photo: Willy Maywald/© VBK, Wien 2013<br />

Abb./Fig. Seite/page 33: Katalogcover/catalogue cover, Le Surréalisme en 1947,<br />

Photo: Rémy Duval<br />

Abb./Fig. Seite/page 34-36: Ausstellungsansicht/exhibition view Breton Duchamp <strong>Kiesler</strong>.<br />

Surreal Space, <strong>Kiesler</strong> Stiftung Wien, 2013, Photos: cKg<br />

Bildnachweis falls nicht anders angegeben Unless otherwise indicated, all images are<br />

© Österreichische <strong>Friedrich</strong> <strong>und</strong> <strong>Lillian</strong> <strong>Kiesler</strong>-<strong>Privatstiftung</strong>, Wien<br />

© Austrian Frederick and <strong>Lillian</strong> <strong>Kiesler</strong> Private Fo<strong>und</strong>ation, Vienna<br />

Dank an/Thanks to: Stefan Flunger <strong>und</strong>/and Team, Sophie Haaser, Julius Hummel,<br />

Gerhard Kristöfel, Helene Lassl, Eric LeRoy, Wolfgang Mattiasch, Astrid Sapotnik-Watts<br />

<strong>und</strong>/and Richard Watts<br />

Leihgaben/Loans: Sammlung Hummel, Wien


Österreichische <strong>Friedrich</strong> <strong>und</strong> <strong>Lillian</strong> <strong>Kiesler</strong>-<strong>Privatstiftung</strong><br />

Austrian Frederick and <strong>Lillian</strong> <strong>Kiesler</strong> Private Fo<strong>und</strong>ation<br />

Stifter <strong>und</strong> Förderer<br />

Fo<strong>und</strong>ers and Donors<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung<br />

Kunstsektion/B<strong>und</strong>esministerium für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur<br />

Kulturabteilung der Stadt Wien<br />

Oesterreichische Nationalbank<br />

UniCredit Bank Austria AG<br />

BAWAG PSK Gruppe<br />

Österreichische Lotterien<br />

Wittmann Möbelwerkstätten<br />

Wiener Städtische Versicherung AG<br />

Hannes Pflaum<br />

John Sailer<br />

Gertraud Bogner<br />

Dieter Bogner<br />

Vorstand<br />

Board of Directors<br />

Dieter Bogner<br />

Birgit Brodner<br />

Thomas Drozda<br />

Andrea Ecker<br />

Sylvia Eisenburger<br />

Michael P. Franz<br />

Monika Hutter<br />

Barbara Weitgruber<br />

Direktorin<br />

Director<br />

Monika Pessler<br />

Archiv<br />

Archive<br />

Gerd Zillner<br />

Jill Meißner<br />

Administration<br />

Administration<br />

Christine Pollaschek<br />

Impressum Imprint<br />

ISBN 978-3-9503308-4-7<br />

Medieninhaber Proprietor: Österreichische <strong>Friedrich</strong> <strong>und</strong> <strong>Lillian</strong> <strong>Kiesler</strong>-<strong>Privatstiftung</strong><br />

T +43 1 513 0775, F +43 1 513 0775-5, office@kiesler.org, www.kiesler.org<br />

Herausgeber <strong>und</strong> für den Inhalt verantwortlich Editor and responsible for content<br />

Monika Pessler<br />

Texte von Texts by: Eva Kraus <strong>und</strong>/and Jill Meißner<br />

Übersetzung Translation: Richard Watts; <strong>Kiesler</strong> Stiftung Wien/Vienna<br />

Herstellung Production: Schreier & Braune GmbH

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