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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung - Fuxx-online.de

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Leseprobe aus:<br />

Eric Malpass<br />

<strong>Morgens</strong> <strong>um</strong> <strong>sieben</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> <strong>noch</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Ordnung</strong><br />

Mehr Informationen z<strong>um</strong> Buch f<strong>in</strong><strong>de</strong>n Sie hier.<br />

© 1967 by Rowohlt Verlag GmbH, Re<strong>in</strong>bek


1<br />

Morgendämmerung und e<strong>in</strong> Himmel wie kalter<br />

Haferbrei. In <strong>de</strong>n W<strong>in</strong>keln <strong>de</strong>s Daches <strong>noch</strong><br />

e<strong>in</strong> paar Flecken nassen Schnees.<br />

In <strong>de</strong>m großen, weitläufigen Haus lag <strong>die</strong> Familie<br />

im sonntagmorgendlichen W<strong>in</strong>terschlaf,<br />

e<strong>in</strong>gekuschelt gegen <strong>die</strong> Kälte und <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n<br />

Tag.<br />

Aber Gaylord war gegen Kälte unempf<strong>in</strong>dlich.<br />

Der junge Gaylord Pentecost war gegen <strong>die</strong><br />

me<strong>ist</strong>en D<strong>in</strong>ge unempf<strong>in</strong>dlich. Gleich nach <strong>de</strong>m<br />

Aufwachen hopste er erst mal e<strong>in</strong> bisschen auf<br />

<strong>de</strong>m Bett her<strong>um</strong>. Als ihm das langweilig wur<strong>de</strong>,<br />

zog er <strong>die</strong> Schlafanzughose auf se<strong>in</strong>e nicht vorhan<strong>de</strong>ne<br />

Taille herauf und machte sich auf e<strong>in</strong>e<br />

Besuchstour durch das Haus.<br />

Zuerst war Opa an <strong>de</strong>r Reihe. In se<strong>in</strong>em Zimmer<br />

war es <strong>noch</strong> dunkel. Gaylord zog <strong>die</strong> Vorhänge<br />

auf. Die Vorhänge h<strong>in</strong>gen an Mess<strong>in</strong>gr<strong>in</strong>gen.<br />

Wenn an<strong>de</strong>re sie zurückzogen, klapperten<br />

sie wie Kastagnetten. Wenn Gaylord sie<br />

9


zurückzog, klang es wie e<strong>in</strong>e Masch<strong>in</strong>engewehrsalve.<br />

Opa öffnete nicht e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong> Augen. «Verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>,<br />

z<strong>um</strong> Teufel <strong>noch</strong> e<strong>in</strong>mal», sagte er.<br />

Opa wirkte unter <strong>de</strong>r Bett<strong>de</strong>cke wie e<strong>in</strong> massiver,<br />

kle<strong>in</strong>er run<strong>de</strong>r Berg. Gaylord nahm e<strong>in</strong>en<br />

Anlauf und lan<strong>de</strong>te mitten auf <strong>de</strong>m Berg. «Ich<br />

b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ritter», schrie er. «Und du b<strong>ist</strong> me<strong>in</strong><br />

Schlachtross.»<br />

«Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Schlachtross», sagte Opa. «Ich<br />

b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> alter Mann, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Ruhe haben will.<br />

Herrgott <strong>noch</strong>mal.»<br />

Neugierig berührte Gaylord mit <strong>de</strong>m F<strong>in</strong>ger<br />

e<strong>in</strong>s <strong>de</strong>r faltigen Augenli<strong>de</strong>r. Er schob das Lid<br />

nach oben und betrachtete nach<strong>de</strong>nklich das<br />

gelbe, Unheil verkün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Auge. Er ließ das<br />

Lid wie<strong>de</strong>r herunterklappen. «Soll ich dir e<strong>in</strong>e<br />

Tasse Tee machen?»<br />

«Wenn du recht lange dazu brauchst, ja»,<br />

sagte Opa. Gaylord kletterte von ihm herunter.<br />

«Geht wie <strong>de</strong>r Blitz», antwortete er vergnügt.<br />

«Bitte, lass dir Zeit», sagte Opa.<br />

Gaylord spazierte weiter zu Großtante Marigold.<br />

«Willst du e<strong>in</strong>e Tasse Tee haben?», schrie<br />

er von <strong>de</strong>r Tür her.<br />

Aber Großtante Marigold, <strong>de</strong>ren Hörapparat<br />

10


neben <strong>de</strong>r Brille und <strong>de</strong>n falschen Zähnen auf<br />

<strong>de</strong>m Nachttisch lag, verhielt sich mucksmäuschenstill<br />

und stellte wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal fest, dass bei<br />

solchen Gelegenheiten ihre Taubheit ke<strong>in</strong> Lei<strong>de</strong>n<br />

war, son<strong>de</strong>rn sich als Segen und himmlische<br />

Zuflucht entpuppte.<br />

Gaylord begab sich zu Tante Rosie. Ihr längliches,<br />

blasses Gesicht wirkte auf <strong>de</strong>m weißen<br />

Kissen nur wie e<strong>in</strong> gelblicher Fleck. Beim Anblick<br />

ihres Neffen wur<strong>de</strong> es ke<strong>in</strong>eswegs fröhlicher.<br />

«Was liest du <strong>de</strong>nn da?», fragte Gaylord.<br />

«E<strong>in</strong> Buch.»<br />

«Wie heißt es?»<br />

«‹Psychopathologie <strong>de</strong>s Alltags›», sagte Tante<br />

Rosie. «B<strong>ist</strong> du jetzt klüger?», fragte sie mürrisch.<br />

Wie Kohlen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schütte purzelten <strong>die</strong> Silben<br />

<strong>in</strong> Gaylords Gehirn und lagen dort <strong>in</strong> wil<strong>de</strong>m<br />

Durche<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r. Er trat dicht an das Bett<br />

heran und spähte Tante Rosie über <strong>die</strong> Schulter.<br />

«S<strong>in</strong>d Bil<strong>de</strong>r dr<strong>in</strong>?»<br />

«Ne<strong>in</strong>», sagte Tante Rosie.<br />

«Wovon han<strong>de</strong>lt es <strong>de</strong>nn?»<br />

«Von Psychopathologie», sagte Tante Rosie.<br />

«Im täglichen Leben», fügte sie belehrend<br />

h<strong>in</strong>zu.<br />

11


Gaylord zog versuchsweise an ihrer Bett<strong>de</strong>cke.<br />

«Darf ich <strong>in</strong> <strong>de</strong><strong>in</strong> Bett kommen?»<br />

Mit Tante Rosie g<strong>in</strong>g urplötzlich e<strong>in</strong>e Verän<strong>de</strong>rung<br />

vor sich. Wie e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>die</strong> Enge getriebene<br />

Katze krümmte sie sich zusammen. Ihre Lippen<br />

spannten sich über <strong>de</strong>n Zähnen. Sie <strong>um</strong>klammerte<br />

ihr Buch wie e<strong>in</strong> Radfahrer <strong>die</strong> Lenkstange,<br />

wenn er ohne Bremse bergab rast. «Ausgerechnet<br />

<strong>in</strong> <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zigen Stun<strong>de</strong> am Tag, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

ich vor <strong>die</strong>ser verflixten, verrückten Familie<br />

Ruhe habe, musst du hier re<strong>in</strong>kommen! Raus<br />

jetzt und lass mich weiterlesen. Geh zu Becky.<br />

Sie hat bestimmt gern jemand bei sich im Bett,<br />

selbst dich.» Vor Erregung zitternd, starrte sie<br />

<strong>in</strong> ihr Buch.<br />

Gaylord betrachtete sie <strong>in</strong>teressiert. Das hatte<br />

er schon oft bei ihr erlebt. Man unterhielt sich<br />

ganz normal mit Tante Rosie, und plötzlich tat<br />

sie, als wolle sie e<strong>in</strong>en anspr<strong>in</strong>gen. Sehr <strong>in</strong>teressant.<br />

Natürlich wusste er, woran das lag. Das<br />

hatte er von Opa gehört. Er kletterte auf das<br />

Fußen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Mess<strong>in</strong>gbetts. Es hatte wohl nicht<br />

viel S<strong>in</strong>n, länger hier zu bleiben. «Willst du e<strong>in</strong>e<br />

Tasse Tee?», fragte er.<br />

Tante Rosie gab ke<strong>in</strong>e Antwort. Gaylord<br />

nahm sich vor, Tante Becky zu besuchen.<br />

12


Tante Becky war wie Erdbeeren mit Sahne,<br />

ganz Rüschen und Spitzen. Gaylord hatte Tante<br />

Becky gern. Er war so gut wie entschlossen, sie<br />

zu heiraten, wenn er erst e<strong>in</strong>mal groß war. Jetzt<br />

zupfte er probeweise an ihrer Bett<strong>de</strong>cke.<br />

«Schlüpf re<strong>in</strong>», sagte Tante Becky.<br />

Er schlüpfte h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Tante Becky war warm<br />

und weich und roch gut. Gaylord war we<strong>de</strong>r<br />

warm <strong>noch</strong> weich. Es <strong>ist</strong>, als habe man e<strong>in</strong>en<br />

großen Frosch im Bett, dachte Becky. «Wo warst<br />

du <strong>de</strong>nn schon überall?», fragte sie.<br />

«Bei Tante Rosie.»<br />

«Und was hat sie getan?»<br />

«Gelesen.»<br />

Tante Becky schien amüsiert. «Was <strong>de</strong>nn?»<br />

Gaylord dachte an <strong>de</strong>n Haufen Silben. «Psychologo<br />

... irgendwas mit Lokomotive», sagte<br />

er auf gut Glück.<br />

«Großer Gott.»<br />

«Und dann wur<strong>de</strong> sie ganz komisch.»<br />

«Komisch?»<br />

«Ganz verdreht. Ich glaube, sie wollte mich<br />

nicht bei sich haben.»<br />

«Arme Rosie», murmelte Becky faul und zufrie<strong>de</strong>n.<br />

Jetzt fand Gaylord es an <strong>de</strong>r Zeit, Opas Dia-<br />

13


gnose anzubr<strong>in</strong>gen. «S<strong>in</strong>d ihre verflixten Nerven»,<br />

sagte er.<br />

Tante Becky warf <strong>de</strong>n Kopf zurück und lachte.<br />

Zwischen ihren weißen Zähnen konnte Gaylord<br />

<strong>die</strong> kle<strong>in</strong>e rosa Zunge sehen. Er streckte<br />

e<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>ger vor und berührte sie. «Was hast du<br />

<strong>de</strong>nn gemacht?», fragte er.<br />

«Geträ<strong>um</strong>t.»<br />

«Wovon?»<br />

«Von Männern», erwi<strong>de</strong>rte Becky und rekelte<br />

sich genussvoll.<br />

Ziemlich langweiliger Tra<strong>um</strong>, fand Gaylord.<br />

«Willst du e<strong>in</strong>e Tasse Tee?», fragte er.<br />

«Das wäre himmlisch.»<br />

Gaylord krabbelte aus <strong>de</strong>m Bett, zog wie<strong>de</strong>r<br />

se<strong>in</strong>en Schlafanzug hoch und trabte zur Tür.<br />

«Geht wie <strong>de</strong>r Blitz», verkün<strong>de</strong>te er. Dann<br />

g<strong>in</strong>g er zu M<strong>um</strong>mi und Paps.<br />

Zu se<strong>in</strong>er Verwun<strong>de</strong>rung lag M<strong>um</strong>mi alle<strong>in</strong><br />

im Bett. «M<strong>um</strong>mi, wo <strong>ist</strong> <strong>de</strong>nn Paps?», fragte er.<br />

«Auf <strong>de</strong>m Dachbo<strong>de</strong>n», sagte M<strong>um</strong>mi.<br />

Gaylord g<strong>in</strong>g z<strong>um</strong> Toilettentisch und spielte<br />

mit <strong>de</strong>n Sachen, <strong>die</strong> dort lagen. «War<strong>um</strong> <strong>ist</strong> Paps<br />

auf <strong>de</strong>m Dachbo<strong>de</strong>n, M<strong>um</strong>mi?», fragte er.<br />

«Weil er e<strong>in</strong> Schuft <strong>ist</strong> und wir wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal<br />

verschie<strong>de</strong>ner Me<strong>in</strong>ung waren», sagte M<strong>um</strong>mi.<br />

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«Worüber <strong>de</strong>nn?», fragte Gaylord.<br />

«Über Geld», antwortete M<strong>um</strong>mi.<br />

Gaylord kletterte auf <strong>de</strong>n Dachbo<strong>de</strong>n. Paps<br />

lag dort e<strong>in</strong>gewickelt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Wust von Armeewoll<strong>de</strong>cken<br />

auf e<strong>in</strong>em Feldbett und sah aus wie<br />

e<strong>in</strong>e ägyptische M<strong>um</strong>ie, <strong>de</strong>ren Verpackung sich<br />

gelöst hat. Verzweiflungsvoll versuchte er, sich<br />

schlafend zu stellen.<br />

«War<strong>um</strong> schläfst du <strong>de</strong>nn auf <strong>de</strong>m Dachbo<strong>de</strong>n,<br />

Paps?», fragte Gaylord.<br />

«Ich schlafe ja gar nicht», sagte Paps. «Ich habe<br />

geschlafen, aber man hat mich brutal geweckt.»<br />

Sanfte Vorwürfe gehörten auch zu <strong>de</strong>n D<strong>in</strong>gen,<br />

gegen <strong>die</strong> Gaylord unempf<strong>in</strong>dlich war. «Es<br />

muss doch ziemlich kalt se<strong>in</strong> auf <strong>de</strong>m Dachbo<strong>de</strong>n»,<br />

sagte er.<br />

«Ist es auch», sagte Paps. «Saukalt.»<br />

«M<strong>um</strong>mi schien es sehr gemütlich zu haben»,<br />

sagte Gaylord. «Willst du e<strong>in</strong>e Tasse Tee?»<br />

«Bitte», sagte Paps und drehte sich zur Wand.<br />

Voller Eifer begab sich Gaylord an se<strong>in</strong> karitatives<br />

Werk. Unten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Küche drehte er erst<br />

e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>n Kaltwasserhahn weit auf. Dann<br />

presste er <strong>de</strong>n F<strong>in</strong>ger unter <strong>die</strong> Hahnöffnung.<br />

Köstlich spritzte das Wasser durch <strong>die</strong> Küche<br />

und über Gaylord. Er betrachtete se<strong>in</strong>en trie-<br />

15


fen<strong>de</strong>n Schlafanzug und strich im Ge<strong>ist</strong>e<br />

M<strong>um</strong>mi von <strong>de</strong>r Teel<strong>ist</strong>e. Allmählich entwickelte<br />

er e<strong>in</strong>en sechsten S<strong>in</strong>n dafür, worüber<br />

M<strong>um</strong>mi sich aufregen wür<strong>de</strong>. Eigentlich hatte<br />

er für M<strong>um</strong>mi nicht sehr viel übrig. Sie waren<br />

zu oft verschie<strong>de</strong>ner Me<strong>in</strong>ung.<br />

Er suchte e<strong>in</strong> Sammelsuri<strong>um</strong> von Tassen und<br />

Untertassen zusammen, stellte sie auf e<strong>in</strong> Tablett<br />

und füllte <strong>die</strong> Tassen zur Hälfte mit e<strong>in</strong>em<br />

Brei aus Zucker und Milch. Dann setzte er <strong>de</strong>n<br />

großen Kessel auf <strong>de</strong>n Gasherd.<br />

Das Wasser brauchte lange. Gaylord begann<br />

sich zu langweilen. M<strong>um</strong>mi hatte ihm e<strong>in</strong>mal<br />

von e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Jungen erzählt; <strong>de</strong>r hatte, als<br />

das Wasser kochte, e<strong>in</strong>en Löffel über <strong>die</strong> Kesseltülle<br />

gehalten und so <strong>die</strong> Dampflokomotive erfun<strong>de</strong>n.<br />

Als das Wasser endlich kochte, probierte<br />

Gaylord das aus. Der Deckel flog durch<br />

<strong>die</strong> Gegend. Was das mit e<strong>in</strong>er Dampflokomotive<br />

zu tun hatte, war Gaylord unklar, aber er<br />

beschloss, e<strong>in</strong>es Tages etwas Eigenes zu erf<strong>in</strong><strong>de</strong>n;<br />

nur dass <strong>die</strong> Dampflokomotive bereits erfun<strong>de</strong>n<br />

war und ihm im Moment nichts an<strong>de</strong>res<br />

e<strong>in</strong>fiel, was er hätte erf<strong>in</strong><strong>de</strong>n können, machte<br />

das Ganze so kompliziert.<br />

Er kippte e<strong>in</strong> Viertelpfund Tee <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kanne.<br />

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