Lösungsskizze - unirep
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Prof. Dr. A. Blankenagel Examensklausurenkurs 13.12.2013<br />
Sachverhalt<br />
Ein Gerichtsverfahren gegen Bundeswehrangehörige sorgt in der Bundesrepublik<br />
Deutschland für großes Aufsehen. Die Anklageschrift legte den angeklagten 18 Offizieren<br />
und Unteroffizieren der Bundeswehr zur Last, Rekruten körperlich misshandelt und<br />
entwürdigt zu haben. Im Anschluss an vier Nachtmärsche seien die Rekruten unter dem<br />
Vorwand, das Verhalten nach einer Gefangennahme und bei einer Erpressung von Aussagen<br />
durch gegnerische Kräfte zu üben, in erniedrigender Weise behandelt worden. Die<br />
Staatsanwaltschaft hat daher eine auf §§ 223, 224 StGB sowie die §§ 30, 31 des<br />
Wehrstrafgesetzes (WStG) gestützte Anklage erhoben. Über die Vorfälle und das eingeleitete<br />
Strafverfahren war mehrfach in Presse und Rundfunk berichtet worden. Durch<br />
Pressemitteilung des Landgerichts wurden an einer Berichterstattung über die<br />
Hauptverhandlung interessierte Medienvertreter zu ihrer Akkreditierung aufgefordert. Hierbei<br />
wurde darauf hingewiesen, dass eine Anordnung des Vorsitzenden beabsichtigt sei, an den<br />
Verhandlungstagen Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal und seinem Eingangsbereich<br />
für einen Zeitraum von 20 Minuten vor Beginn der Verhandlung auszuschließen. Aufnahmen<br />
des Einzugs der Richter seien daher nicht möglich.<br />
Das ZDF bat am schriftlich um Akkreditierung und trat hierbei sowohl der Nichtzulassung<br />
zur Hauptverhandlung wie auch der beabsichtigten Anordnung des Vorsitzenden entgegen.<br />
Man wolle direkt aus der Hauptverhandlung berichten. Mit den Beschränkungen der<br />
Berichterstattung vor und nach der Verhandlung sei man schon gar nicht einverstanden. Der<br />
Vorsitzende der Großen Strafkammer des Landgerichts wies das ZDF bezüglich der<br />
Berichterstattung aus der Hauptverhandlung auf § 169 GVG hin. Im übrigen ordnete er gemäß<br />
§ 176 GVG zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der bevorstehenden Hauptverhandlung die<br />
folgenden Beschränkungen einer Berichterstattung an:<br />
“Ton-, Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal und im absperrbaren Foyer vor<br />
dem Sitzungssaal sind bis 15 Minuten vor Beginn der Sitzung und 10 Minuten nach<br />
deren Beendigung gestattet. Darüber hinaus sind Ton-, Foto- und Filmaufnahmen im<br />
Sitzungssaal und im absperrbaren Foyer vor dem Sitzungssaal nicht gestattet.”<br />
Das Gericht begründete seine am 1.11.2013 ergangene Anordnung mit dem Ergebnis einer<br />
Abwägung zwischen der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Presse- und<br />
Rundfunkfreiheit und dem in § 176 GVG geregelten Schutz einer geordneten Rechtspflege.<br />
Da es sich bei den Angeklagten und ihren Verteidigern nicht um relative Personen der<br />
Zeitgeschichte handele, seien Ton-, Foto- und Bewegtbildaufnahmen von ihnen nicht zu<br />
dulden. Mit dem zugelassenen Umfang der Berichterstattung bleibe eine Dokumentation der<br />
Geschehnisse am Rande der Verhandlung unter Wahrung des Persönlichkeitsrechts der<br />
Angeklagten und ihrer Verteidiger in hinreichendem Umfang gewährleistet. Ein<br />
Informationswert der Aufzeichnung eines kurzen und nur vorgespielten Einzugs der Kammer<br />
in den Sitzungssaal sei nicht ersichtlich.<br />
Das ZDF ist mit dieser Anordnung und Begründung nicht einverstanden. Zum einen sei das<br />
generelle Verbot der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal während der Verhandlung eine<br />
verfassungswidrige Beschränkung der Presse- und Rundfunkfreiheit; die<br />
Gerichtsöffentlichkeit als Sitzungsöffentlichkeit entspreche nicht mehr der modernen<br />
Demokratie, deren verfassungsrechtlich gesicherter Bestandteil die durch die Massenmedien<br />
hergestellte Öffentlichkeit sei. Aber auch die Anordnung nach § 176 GVG sei eine<br />
verfassungswidrige und vor allem unverhältnismäßige Beschränkung der Presse- und<br />
Rundfunkfreiheit. Es könne etwa ein von den interessierten Rundfunkanstalten gemeinsam<br />
1
enanntes Aufnahmeteam im Rahmen einer so genannten Pool-Lösung entsandt werden.<br />
Auch sei durch geeignete technische Maßnahmen eine Anonymisierung der Gesichter<br />
einzelner Beteiligter vor Verbreitung von Aufnahmen möglich. Außerdem könne die<br />
Aufzeichnung des Einzugs des Gerichts sowie der anwesenden Angeklagten und Verteidiger<br />
auf Gesamtansichten ohne Hervorhebung einzelner Gesichter beschränkt werden.<br />
Die Erfolgsaussichten einer am 22.11.2013 eingelegten Verfassungsbeschwerde gegen die<br />
Anordnung des Vorsitzenden und die Verfassungsmäßigkeit des § 169 GVG sind<br />
gutachtlich zu würdigen.<br />
§ 169 [Öffentlichkeit]<br />
1Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und<br />
Beschlüsse ist öffentlich. 2Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen<br />
zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig.<br />
§ 176 [Sitzungspolizei]<br />
Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.<br />
§ 178 [Ordnungsmittel wegen Ungebühr]<br />
(1) 1Gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht<br />
beteiligte Personen, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, kann vorbehaltlich der<br />
strafgerichtlichen Verfolgung ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu<br />
einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden. 2Bei der Festsetzung von Ordnungsgeld ist<br />
zugleich für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu bestimmen, in welchem Maße<br />
Ordnungshaft an seine Stelle tritt.<br />
(2) Über die Festsetzung von Ordnungsmitteln entscheidet gegenüber Personen, die bei der<br />
Verhandlung nicht beteiligt sind, der Vorsitzende, in den übrigen Fällen das Gericht.<br />
(3) Wird wegen derselben Tat später auf Strafe erkannt, so sind das Ordnungsgeld oder die<br />
Ordnungshaft auf die Strafe anzurechnen.<br />
§ 180 [Befugnisse außerhalb der Sitzung]<br />
Die in den §§ 176 bis 179 bezeichneten Befugnisse stehen auch einem einzelnen Richter bei der<br />
Vornahme von Amtshandlungen außerhalb der Sitzung zu.<br />
§ 181 [Beschwerde gegen Ordnungsmittel]<br />
(1) Ist in den Fällen der §§ 178, 180 ein Ordnungsmittel festgesetzt, so kann gegen die Entscheidung<br />
binnen der Frist von einer Woche nach ihrer Bekanntmachung Beschwerde eingelegt werden, sofern<br />
sie nicht von dem Bundesgerichtshof oder einem Oberlandesgericht getroffen ist.<br />
(2) Die Beschwerde hat in dem Falle des § 178 keine aufschiebende Wirkung, in dem Falle des § 180<br />
aufschiebende Wirkung.<br />
(3) Über die Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht<br />
2
A. Zulässigkeit<br />
I. Zuständigkeit<br />
Das Bundesverfassungsgericht ist gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG; §§ 13 Nr. 8a, 90 ff.<br />
BVerfGG zuständig für die Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden.<br />
II. Beschwerdeberechtigung<br />
Das ZDF müsste beschwerdefähig sein.<br />
Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ist „jedermann“ beschwerdefähig. Jedermann<br />
sind dabei alle Personen, die Träger von Grundrechten sein können.<br />
ZDF ist laut Sachverhalt eine Anstalt und damit eine juristische Person des öffentlichen<br />
Rechts. Solche sind grundsätzlich nicht grundrechtsfähig und damit beschwerdeberechtigt,<br />
weil sie im Regelfall keine Träger materieller Grundrechte sind (vgl. BVerfGE 75, 192/196).<br />
Allerdings hat das Verfassungsgericht in der gleichen Entscheidung betont, es dürfe nicht<br />
alleine auf die Rechtsform ankommen; zu berücksichtigen ist vielmehr, ob und inwieweit die<br />
Rechtsstellung als juristische Person des öffentlichen Rechts eine Sach- und Rechtslage<br />
Ausdruck findet, welche nach dem Wesen der Grundrechte deren Anwendung auf eine<br />
bestimmte Form einer juristischen Person entgegensteht (vgl. BVerfGE 75, 192/197). Mit<br />
anderen Worten kommt es entscheidend darauf an, ob der konkrete Beschwerdeführer an sich<br />
„grundrechtsschutzbedürftig“ ist.<br />
Im konkreten Fall nimmt das ZDF Aufgaben auf dem Gebiet der öffentlichen<br />
Meinungsäußerung und Berichterstattung wahr. Dementsprechend ist es konsequent, dass<br />
ZDF in diesem Bereich den gleichen Schutz genießen soll wie die privaten Rundfunkanbieter.<br />
Dementsprechend steht das „öffentlich-rechtliche Wesen“ des ZDF der Geltung der Garantien<br />
des Art. 5 Abs. 1 GG nicht entgegen; ZDF ist beschwerdefähig.<br />
III. Beschwerdegegenstand<br />
Es müsste ein tauglicher Beschwerdegegenstand vorliegen. Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr.4a GG,<br />
§ 90 Abs. 1 BVerfGG kommt als Beschwerdegegenstand jeder Akt der öffentlichen Gewalt in<br />
Betracht. Darunter fallen alle Maßnahmen der Legislative, der Exekutive sowie der<br />
3
Judikative. § 169 GVG verbietet Bild- und Tonaufnahmen in der Verhandlung. Gegenüber<br />
dem ZDF erging außerdem eine gerichtliche Anordnung nach § 176 GVG.<br />
Ein Beschwerdegegenstand ist hier somit gegeben.<br />
IV. Beschwerdebefugnis<br />
Der B müsste beschwerdebefugt sein. Dies ist der Fall, wenn er behauptet, in einem seiner<br />
Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG,<br />
90 Abs. 1 BVerfGG).<br />
Das ZDF behauptet eine Verletzung in seinem Recht auf die Presse- und Rundfunkfreiheit<br />
nach Art. 5 I 2 GG. Dies erscheint jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen<br />
(Möglichkeitsformel). Der Umstand, dass es sich bei ZDF um eine Anstalt des öffentlichen<br />
Rechts handelt, schließt – wie bereits im Rahmen der Beschwerdefähigkeit erläutert – eine<br />
Berufung auf die Presse- und Rundfunkfreiheit nicht aus. Auf jeden Fall ist das ZDF auch aus<br />
Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG berechtigt: auf die Frage, inwieweit juristische Personen des<br />
Öffentlichen Rechts auch Träger anderer Grundrechte als derjenigen sind, deren<br />
Verwirklichung ihre Funktion ist, muß daher nicht eingegangen werden.<br />
Das ZDF ist damit selbst, gegenwärtig und unmittelbar beschwert, so dass er folglich<br />
beschwerdebefugt ist.<br />
V. Rechtswegserschöpfung/Subsidiarität<br />
Rechtswegerschöpfung gem. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist gegeben. Auf § 176 GVG<br />
gestützte Maßnahmen können auch nicht, wie sich aus § 181 GVG ergibt, mit der Beschwerde<br />
angefochten (OLG Köln NJW 1963, 1508; OLG Hamm NJW 1972, 1246; NStZ-RR 2012,<br />
118; OLG Hamburg NJW 1976, 1987; OLG Zweibrücken NStZ 1987, 477; KG NStZ 2011,<br />
120; BVerfG NJW 1992, 3288; BVerfGE 119, 309/317 lassen die Verfassungsmäßigkeit der<br />
Nichteröffnung eines Rechtswegs gegen Anordnungen nach § 176 GVG offen.<br />
Auch die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist zu verneinen: Ein zumutbar zu<br />
beschreitender Rechtsweg vor den Fachgerichten war der Beschwerdeführerin gegen die<br />
Anordnung des Vorsitzenden nicht eröffnet (vgl. BVerfGE 91, 125/133). Da B alle<br />
Rechtsbehelfe (erfolglos) erschöpft hat; anderweitige mittelbare Rechtsschutzmöglichkeiten<br />
sind nicht ersichtlich.<br />
4
VI. Form und Frist<br />
Die Frist für die Einlegung einer Urteilsverfassungsbeschwerde beträgt gem. § 93 Abs. 1<br />
BVerfGG einen Monat. Die Anordnung nach § 176 GVG erging am 1. 11. 2013, die<br />
Verfassungsbeschwerde wurde am 22.11.2013 und damit innerhalb der Monatsfrist eingelegt.<br />
Gegen § 169 GVG direkt ist eine Verfassungsbeschwerde wegen Ablaufs der Jahresfrist<br />
allerdings verfristet.<br />
Von der Einhaltung der Schriftform gem. § 23 Abs. 1 BVerfGG ist auszugehen.<br />
VII. Ergebnis Zulässigkeit<br />
Die Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung nach § 176 GVG ist damit zulässig.<br />
5
B. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde<br />
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die Anordnung des Gerichtsvorsitzenden die<br />
Klägerin in ihren Rechten verletzt. Als verletztes Recht kommt hier die Freiheit der<br />
Berichtserstattung durch den Rundfunk in Betracht.<br />
1. Rundfunkfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG<br />
Fraglich ist, ob im vorliegenden Fall der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit eröffnet ist.<br />
Die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) schützt die<br />
Beschaffung der Informationen und die Erstellung der Programminhalte bis hin zu ihrer<br />
Verbreitung (vgl. BVerfGE 91, 125/134 f.; st. Rspr). Das Problem liegt hier jedoch darin, dass<br />
die Klägerin Zugang zu einer Gerichtsverhandlung begehrt. Gerichtsverhandlungen sind, wie<br />
auch sonst Ereignisse, Informationsquellen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Soweit die<br />
Medien an der Zugänglichkeit einer für jedermann geöffneten Informationsquelle teilhaben,<br />
wird der Zugang für Medien gleichermaßen wie für die Bürger allgemein und ausschließlich<br />
durch die Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Soweit es um den<br />
Zugang zur Gerichtsverhandlung als allgemein zugänglicher Informationsquelle geht, ist der<br />
Normbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG also nicht einschlägig.<br />
2. Recht der Informationsfreiheit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG<br />
Das Recht der Informationsfreiheit gibt jedem das Recht, sich aus allgemein zugänglichen<br />
Quellen frei zu unterrichten. Quelle im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist nicht nur die<br />
Information, sondern auch das Ereignis, das die Information darstellt (Sodan, Grundgesetz,<br />
Art. 5 Rz. 12). “Allgemein zugänglich” ist eine Informationsquelle, wenn sie geeignet und<br />
bestimmt ist, der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmten Personenkreis,<br />
Informationen zu verschaffen (BVerfGE 103, 44/60). Die Informationsquelle muss aber für<br />
die allgemeine Zugänglichkeit bestimmt sein. Über die Zugänglichkeit und die Art der<br />
Zugangseröffnung entscheidet derjenige, der nach der Rechtsordnung der Inhaber des<br />
Bestimmungsrechts über die allgemeine Zugänglichkeit der Information ist; Art und Umfang<br />
dieses Bestimmungsrechts regelt für den Privaten das Privatrecht, für den Staat das<br />
öffentliche Recht. Die Ausübung des Bestimmungsrechts ist nach der Rechtsprechung des<br />
6
BVerfG keine Rechtsbeschränkung für Dritte, da es um die tatbestandlich erwähnte<br />
Eigenschaft der Information geht. (BVerfGE 103, 44/60). Wenn der Gesetzgeber für<br />
staatliche Vorgänge wie Gerichtsverfahren gesetzlich eine bestimmte Zugänglichkeit festlegt,<br />
wird im Umfang dieser Zugänglichkeit gleichzeitig das Grundrecht der Informationsfreiheit<br />
eröffnet, weil dann insoweit eine allgemein zugängliche Informationsquelle vorliegt.<br />
Ein Recht auf Eröffnung einer Informationsquelle gehört also nicht zum Schutzbereich der<br />
Informationsfreiheit und noch weniger zum Schutzbereich der Rundfunkfreiheit. In den<br />
Fällen aber, in denen eine im staatlichen Verantwortungsbereich liegende Informationsquelle<br />
wie hier das Gerichtsverfahren aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 169 GVG zur<br />
öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist, besteht ein Recht auf Zugang entsprechend der die<br />
allgemeine Zugänglichkeit begründenden gesetzlichen Regelung. Das BVerfG hat allerdings<br />
erwogen, daß es sein könne, daß der Gesetzgeber eine im staatlichen Verantwortungsbereich<br />
liegende allgemein zugängliche Informationsquelle nicht ausreichend zugänglich gemacht hat<br />
(BVerfGE 119, 309/319, unter Verweis auf BVerfGE 103, 44/59 f.). Konkret hat der<br />
Gesetzgeber durch § 169 GVG die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht öffentlich und<br />
damit allgemein zugänglich gemacht, allerdings nur in der Form der Saalöffentlichkeit; die<br />
Medienöffentlichkeit in Form von Bild- und Tonübertragungen aus dem Gerichtssaal ist<br />
damit nicht eröffnet.<br />
Die mögliche Verfassungswidrigkeit des § 169 S. 2 GVG könnte also in dieser<br />
ausnahmslosen Nichtzulässigkeit von Ton- und Filmaufnahmen aus der mündlichen<br />
Verhandlung zum Zwecke ihre Vorführung (nicht ausreichende Zugänglichkeit einer<br />
allgemein zugänglichen Informationsquelle) liegen. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der<br />
„Gerichtsöffentlichkeit“ hätte in diesem Sinne einen Bedeutungswandel durchgemacht von<br />
der unmittelbaren Öffentlichkeit für den Bürger hin zur durch Medien vermittelten<br />
Öffentlichkeit. Bei dieser Argumentation ist der Staat als Bestimmungsberechtigter über die<br />
Informationsquelle „Gerichtsverhandlung“ auf die Verwirklichung des verfassungsrechtlichen<br />
Grundsatzes der Gerichtsöffentlichkeit im modernen Sinne einer (auch) Medienöffentlichkeit<br />
verpflichtet: der Ausschluß der Zugänglichkeit der Gerichtsverhandlung für<br />
Medienberichterstattung müßte sich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen, der<br />
dann, so könnte man argumentieren, zumindest eine Ausnahmeklausel für die Zulassung,<br />
eigentlich aber eine unterschiedliche Behandlung unterschiedlicher Gerichtsverfahren<br />
erfordern würde (so das SoVo Kühling, Hohmann-Dennhardt und Hoffmann-Riem in BvefGE<br />
103, 44/72, bes. 79, das neben umfangreicher Literatur auch auf Pläne des Gesetzgebers aus<br />
7
den 60er Jahren verweist, den Zugang von Medien zur mündlichen Verhandlung<br />
differenzierend zu regeln). Die Mehrheitsmeinung des Gerichts geht allerdings auf diese<br />
Frage so gut wie nicht ein (BVerfGE 103, 44/66, bestätigt durch BVerfGE 119, 309/320). Die<br />
Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 169 S. 2 GVG würde implizieren, daß der<br />
Ausschluß der Medienberichterstattung von der Berichterstattung aus der Verhandlung heute<br />
nicht nur verfassungspolitisch zweifelhaft, verfassungsrechtlich untragbar ist; das erscheint<br />
doch als (noch?) zu weitgehend.<br />
3. Grundrechtskombination<br />
Soweit es um den allgemeinen Zugang als solchen geht, findet dieses Recht seine<br />
grundrechtliche Grundlage in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG; soweit es um Zugang für eine<br />
rundfunkspezifische Berichterstattung geht, findet das Recht auf Zugang seine Grundlage in<br />
der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG.<br />
Im vorliegenden Fall will das ZDF aus der Gerichtsverhandlung durch Filmen der<br />
Gerichtsverhandlung berichten; es geht also um die Nutzung rundfunk- bzw.<br />
fernsehspezifischer Berichtsmethoden über eine Information. Die Nutzung<br />
rundfunkspezifischer Mittel der Informationsaufnahme, insbesondere von Ton- und<br />
Bewegtbildaufnahmen, wird dann wiederum von der insoweit spezielleren Rundfunkfreiheit<br />
des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst (vgl. BVerfGE 103, 44/59). Zu deren Schutzbereich<br />
gehört das Recht, für die Berichterstattung die dem Rundfunk eigenen Darstellungsmittel zu<br />
nutzen, darunter Töne und Bilder. Dies gilt auch für Zwecke der Berichterstattung aus Anlass<br />
einer öffentlichen Gerichtsverhandlung. Für die Zeiträume vor und nach der Verhandlung ist<br />
damit allerdings nach allgemeiner Meinung von einer grundsätzlichen Öffnung auch für die<br />
Medien und für den Einsatz medienspezifischer Berichtsmittel auszugehen (BVerfGE 103,<br />
44/62). Die Berichtsabsichten des ZDF beziehen sich auf diese Zeiträume vor und nach der<br />
Verhandlung; der Normbereich der hier zu kombinierenden Grundrechte der<br />
Informationsfreiheit und der Rundfunkfreiheit ist also eröffnet.<br />
Zusammenfassend kann man festhalten, dass der Schutzbereich beider Grundrechte im<br />
vorliegenden Fall betroffen ist. Geht es dem ZDF darum, den Zugang zum Gerichtssaal<br />
allgemein zu erlangen, so muss es sich auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG berufen; geht es hingegen<br />
8
darum, aus dem Gerichtssaal in Bild und Ton zu berichten, so ist Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG<br />
einschlägig. Im vorliegenden Fall sind daher beide Schutzbereiche zu kombinieren.<br />
4. Eingriff in die Informationsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, sowie die<br />
Rundfunkfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG<br />
Durch die Anordnung des vorsitzenden Richters ist der Zugang nicht in entsprechend der<br />
Zugangsregelung hinreichender Weise eröffnet. In der Verweigerung der Anfertigung von<br />
Ton- und Bewegtbildaufnahmen im Zusammenhang mit einer Gerichtsverhandlung, soweit es<br />
nicht um die nach § 169 GVG nicht zugängliche Verhandlung geht, liegt sowohl eine<br />
Beschränkung der Informationsfreiheit wie auch, hinsichtlich des Ausschlusses<br />
rundfunkspezifischer Aufnahme- und Verbreitungstechniken, eine Beschränkung der<br />
Rundfunkfreiheit (vgl. BVerfGE 103, 44/61).<br />
5. Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, Rundfunkfreiheit, in<br />
Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, Informationsfreiheit<br />
Das ZDF macht sowohl die Verfassungswidrigkeit der Anordnung des Vorsitzenden Richters<br />
nach § 176 GVG.<br />
Anm: § 169 GVG ist nicht unmittelbarer Prüfungsgegenstand im Rahmen dieser<br />
Verfassungsbeschwerde, da die Anordnung nach § 176 GVG nicht auf dieser Vorschrift<br />
beruht.<br />
a. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab gerichtlicher Anordnungen<br />
Die Anordnung des Vorsitzenden Richters bezüglich der Berichterstattung außerhalb der<br />
Verhandlung ist auf § 176 GVG gestützt. § 176 GVG ist ohne Zweifel ein allgemeines Gesetz<br />
im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG. Weiter ist die Frage zu klären, ob die Anordnung inhaltlich<br />
den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Das Bundesverfassungsgericht hat<br />
9
diesbezüglich umfassende Rechtsprechung entwickelt, auf die an dieser Stelle einzugehen ist<br />
(Vgl. BVerfGE 103, 44; BVerfGE 119, 309)<br />
In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass es grundsätzlich dem im Rechtsstaats- und<br />
Demokratieprinzip enthaltenen objektivrechtlichen Auftrag zur Sicherung der Möglichkeit der<br />
Wahrnehmung und gegebenenfalls Kontrolle von Gerichtsverfahren durch die Öffentlichkeit<br />
entspricht, die Medien darüber berichten zu lassen und dem Fernsehen audiovisuelle<br />
Aufnahmen zu ermöglichen, soweit dies nicht durch eine besondere Regelung allgemein oder<br />
wegen gegenläufiger Interessen im konkreten Fall ausgeschlossen ist. Die Bedeutung der<br />
Kontrolle der Gerichte durch die Öffentlichkeit betont jetzt etwa die Entscheidung des<br />
BVerfG zu Deals im Strafprozeß (Entscheidung vom 19. 3. 2013). Mit anderen Worten stellt<br />
der Ausschluss der Öffentlichkeit eine Ausnahme im GVG-System dar. Dies wiederum ist im<br />
Rahmen der Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit bzw. verfassungskonformen Auslegung<br />
der gesetzlichen Grundlage der Anordnung zu bedenken.<br />
Als Beschränkungen der Berichterstattung können Beschränkungen durch<br />
sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden gemäß § 176 GVG vorgesehen werden<br />
(vgl. BVerfGE 91, 125/136). Dabei ist die Entscheidung in das Ermessen des Vorsitzenden<br />
gestellt. Dieses Ermessen hat er unter Beachtung der Bedeutung der<br />
Rundfunkberichterstattung für die Gewährleistung öffentlicher Wahrnehmung und Kontrolle<br />
von Gerichtsverhandlungen sowie der einer Berichterstattung entgegenstehenden Interessen<br />
auszuüben und dabei sicherzustellen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.<br />
Überwiegt das Interesse an einer Berichterstattung unter Nutzung von Ton- und<br />
Bewegtbildaufnahmen andere bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigende<br />
Interessen, ist der Vorsitzende verpflichtet, eine Möglichkeit für solche Aufnahmen zu<br />
schaffen (vgl. BVerfGE 91, 125/138 f.). Bei der Abwägung sind vom Vorsitzenden das<br />
Informationsinteresse der Öffentlichkeit und der jeweilige Gegenstand des gerichtlichen<br />
Verfahrens gegeneinander abzuwägen. Im einzelnen sind bei dieser Abwägung die folgenden<br />
Gesichtspunkte zu berücksichtigen:<br />
Bei Strafverfahren ist insbesondere die Schwere der zur Anklage stehenden Straftat zu<br />
berücksichtigen, aber auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie etwa aufgrund besonderer<br />
Umstände und Rahmenbedingungen, der beteiligten Personen, der Furcht vor Wiederholung<br />
solcher Straftaten oder auch wegen des Mitgefühls mit den Opfern und ihren Angehörigen<br />
gewonnen hat (vgl. BVerfGE 35, 202/231). Ein gewichtiges Informationsinteresse wird daher<br />
10
häufig gegeben sein. Bei der Ermessensausübung und der ihr zugrunde liegenden Abwägung<br />
sind aber auch schutzwürdige Interessen, die einer Aufnahme und Verbreitung von Ton- und<br />
Bildaufnahmen entgegenstehen können, zu berücksichtigen. Dazu gehören insbesondere der<br />
Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten, namentlich der Angeklagten<br />
und der Zeugen, aber auch der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs.<br />
1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere<br />
die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung (vgl. BVerfGE 103, 44/64). Dabei kommt den<br />
gegenläufigen Belangen besonderes Gewicht zu, wenn die vom Gesetzgeber typisierend<br />
festgelegten personenbezogenen Voraussetzungen für den Ausschluss selbst der<br />
Saalöffentlichkeit vorliegen (siehe etwa § 48, § 109 Abs. 1 Satz 4 JGG, § 171a, § 172 Nr. 1a,<br />
Nr. 4 GVG). Ferner sind sonstige Kriterien des Persönlichkeitsschutzes (Person der<br />
Zeitgeschichte, ungewohnte belastende Situation für Verfahrensbeteiligte, Möglichkeit der<br />
Pranger Wirkung, Anspruchs auf Achtung der Vermutung seiner Unschuld und von Belangen<br />
späterer Resozialisierung) im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen.<br />
Schließlich sind Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege durch Zulassung<br />
der Medien nicht auszuschließen. Wird das Geschehen am Rande der Verhandlung in Bild<br />
und Ton aufgezeichnet, so kann das Wissen um die mögliche Verbreitung solcher<br />
Aufzeichnungen möglicherweise einzelne Verfahrensbeteiligte so beeinflussen, dass sich dies<br />
abträglich auf den Gang der Verhandlung und die Belange der Rechts- und Wahrheitsfindung<br />
auswirkt bzw. den Angeklagten in seinem von § 148 Abs. 1 StPO verbürgten Recht auf<br />
ungehinderten Verkehr mit seinem Verteidiger beeinträchtigen und damit gegebenenfalls den<br />
Anspruch auf ein faires Verfahren tangieren (vgl. BVerfGE 49, 24/55).<br />
Allerdings ist nach dem Erforderlichkeitsprinzip ein Verbot von Ton- und<br />
Rundfunkaufnahmen nicht erforderlich, wenn dem Schutz kollidierender Belange bereits<br />
durch eine beschränkende Anordnung Rechnung getragen werden kann, insbesondere durch<br />
das Erfordernis einer mittels geeigneter technischer Maßnahmen erfolgenden<br />
Anonymisierung der Bildaufnahme solcher Personen, die Anspruch auf besonderen Schutz<br />
haben. Wird die Gefahr einer Identifizierung der abgebildeten Person durch die breite<br />
Öffentlichkeit insoweit ausgeschlossen, so kann das Risiko einer etwa verbleibenden<br />
Erkennbarkeit für den engeren Bekanntenkreis des Betroffenen hingenommen werden, soweit<br />
dem gewichtige Informationsinteressen der Öffentlichkeit gegenüberstehen und dem<br />
Betroffenen nicht gerade aus der Erkennbarkeit für sein engeres Umfeld erhebliche Nachteile<br />
drohen. Es obliegt insofern dem Vorsitzenden, auf eine sachgerechte Abstimmung des<br />
11
von Bildaufzeichnungen des Geschehens bestanden hat und damit die Funktionsfähigkeit der<br />
Rechtspflege tangiert wäre.<br />
Ferner ist zu bedenken, dass das Interesse der Öffentlichkeit an bildlicher Dokumentation des<br />
Geschehens am Rande einer Hauptverhandlung sich nicht allein auf die beteiligten Richter<br />
und Staatsanwälte und gegebenenfalls sonst beteiligte Gerichtsbedienstete richtet, sondern<br />
auch die mitwirkenden Rechtsanwälte mit einschließt. Konkrete Befürchtungen einer zu<br />
starken Belästigung oder Gefährdung der Verteidiger als Folge einer Veröffentlichung von<br />
Aufnahmen ihrer Person sind vorliegend dem Sachverhalt nicht zu entnehmen.<br />
Eine Beeinträchtigung der am Verfahren Beteiligten kann aufgrund der Verbreitung von<br />
Bildern der betroffenen Personen nicht angenommen werden. Die Rechtsordnung darf<br />
grundsätzlich erwarten, dass sich der Schöffe den mit seiner Funktion verbundenen<br />
Erwartungen auch bei Mitwirkung an von der Öffentlichkeit beachteten Verfahren gewachsen<br />
zeigen wird, selbst wenn Medien darüber Bilder verbreiten.<br />
Auch die räumliche Enge vermag eine solche Anordnung nicht im ausreichenden Maß<br />
begründen. Den räumlichen Gegebenheiten hätte durch geeignete Vorkehrungen Rechnung<br />
getragen werden können, etwa durch die Beschränkung der Aufnahmen im Rahmen einer<br />
Pool-Lösung (vgl. dazu BVerfGE 91, 125/138; BVerfG, NJW 2000, 2890/2891).<br />
Zusammenfassend ist daher die Anordnung im konkreten Fall als unverhältnismäßig zu<br />
bewerten, denn der vorsitzende Richter verkannte die wesentlichen Belange des<br />
Beschwerdeführers. Der Eingriff in das kombinierte Grundrecht der Informations- und<br />
Rundfunkfreiheit ist daher nicht zu rechtfertigen<br />
c. Ergebnis<br />
Die Verfassungsbeschwerde ist daher zulässig und begründet. Sie wird vorm BVerfG<br />
erfolgreich sein.<br />
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