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GURMAT SIDDHANT, Kurzfassung - Die Mission der allmächtigen ...

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<strong>GURMAT</strong> <strong>SIDDHANT</strong><br />

Baba Sawan Singh<br />

<strong>Die</strong> Lehre von Sant Mat<br />

<strong>Kurzfassung</strong><br />

<br />

Kirpal Books


Das Gurmat Siddhant, eine umfassende Darstellung <strong>der</strong> Lehre<br />

von Sant Mat o<strong>der</strong> des Surat-Shabd-Yoga, wurde von Sant<br />

Kirpal Singh als Schüler vom Meister Hazoor Baba Sawan Singh<br />

Ji Maharaj zu dessen Lebzeiten nie<strong>der</strong>geschrieben und unter<br />

dem Namen seines Meisters veröffentlicht.<br />

Das zweibändige Original-Werk wurde in den vierziger Jahren<br />

in Pandschabi verfaßt, aber erst in den sechziger Jahren ins<br />

Englische übertragen und als fünfbändige Ausgabe in Beas<br />

veröffentlicht. <strong>Die</strong> <strong>Kurzfassung</strong> in deutscher Sprache erschien<br />

1989 ebenfalls in <strong>der</strong> Dera Baba Jaimal Singh und wird auf<br />

diese Weise nun wie<strong>der</strong> zugänglich gemacht, um möglichst<br />

vielen Suchern auf dem inneren Weg zu helfen.


Hazoor Sawan Singh Ji Maharaj


Inhaltsverzeichnis<br />

1 1. Buch, Kapitel 1: Das Ziel eines Suchenden<br />

4 Kapitel 2: <strong>Die</strong> Struktur <strong>der</strong> Schöpfung<br />

6 Kapitel 3: Karma und Reinkarnation<br />

12 Kapitel 4: <strong>Die</strong> Notwendigkeit für Spiritualität<br />

15 Kapitel 5: <strong>Die</strong> Notwendigkeit eines lebenden Meisters<br />

15 Der Meister ist Gott<br />

17 Ein spiritueller Führer ist notwendig<br />

22 Heilige <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

24 Der Meister ist die Liebe<br />

26 Kapitel 6: Sant Mat – die spirituelle Wissenschaft<br />

28 <strong>Die</strong> Einweihung<br />

29 Das Üben<br />

33 2. Buch, Kapitel 1: <strong>Die</strong>se Welt ist nicht unsere Heimat<br />

34 Hingabe<br />

35 Loslösung o<strong>der</strong> dem Irdischen nicht verhaftet sein<br />

37 Kapitel 2: Wunschloses Handeln<br />

41 Kapitel 3: Verletze niemals die Gefühle eines an<strong>der</strong>en<br />

42 Vergebung<br />

43 Liebenswürdigkeit<br />

45 Enthaltsamkeit – Keuschheit<br />

46 Nächstenliebe<br />

47 Menschlichkeit<br />

48 Kapitel 4: Liebe<br />

59 Göttliche und menschliche Liebe<br />

51 Liebe und Lust<br />

52 Liebe und Bindung<br />

52 Liebe und Schönheit<br />

53 Liebe und Wissen<br />

55 Liebe und Loslösung<br />

56 Göttliche Liebe ist Gott<br />

57 3. Buch, Kapitel 1: <strong>Die</strong> Tugenden<br />

59 Kasteiung o<strong>der</strong> Läuterung<br />

60 Reinlichkeit<br />

61 Demut<br />

65 Wahrheitsliebe<br />

67 Zufriedenheit<br />

68 Zusammenfassung<br />

69 Kapitel 2: Meditation<br />

70 <strong>Die</strong> Zeit des Elixiers<br />

72 <strong>Die</strong> Körperhaltung<br />

73 Täglicher Simran<br />

77 Simran bei <strong>der</strong> Meditation<br />

79 Kontemplation<br />

81 Bhajan


82 Kapitel 3: Der Tod und das Sterben während des Lebens<br />

83 Was im Augenblick des Todes und danach geschieht<br />

86 Kapitel 4: Stufen <strong>der</strong> Liebe<br />

87 <strong>Die</strong> vier Grundsätze <strong>der</strong> Liebe<br />

89 Kapitel 5: Der Liebende<br />

93 4. Buch, Kapitel 1: Der Herr<br />

95 Wo ist Gott?<br />

96 Was ist Gott und in welcher Beziehung stehen wir<br />

zu Ihm?<br />

98 Sat Naam – <strong>der</strong> wahre Name Gottes<br />

100 Gotterkenntnis<br />

101 <strong>Die</strong> Liebe Gottes<br />

103 Kapitel 2: Der Klangstrom o<strong>der</strong> Shabd<br />

103 Der Klangstrom ist <strong>der</strong> Schöpfer<br />

106 Ton und Licht<br />

113 Über die Hingabe an den Shabd<br />

114 Wie erfährt man den Shabd?<br />

116 Bhajan<br />

117 Kapitel 3: Der Meister o<strong>der</strong> Satguru<br />

119 Gibt es nur einen Guru o<strong>der</strong> viele?<br />

120 <strong>Die</strong> Lebensweise des Gurus<br />

121 <strong>Die</strong> Merkmale eines vollkommenen Meisters<br />

und <strong>der</strong> Einfluß seiner Gegenwart<br />

124 Das Werk des Gurus<br />

128 Der Meister ist die Offenbarung Gottes<br />

132 Kapitel 4: Der Schutz des Meisters<br />

135 <strong>Die</strong> Liebe zum Meister und was sie bewirkt<br />

140 Kapitel 5: Göttlicher Wille und freier Wille<br />

144 Der Wille des Meisters ist <strong>der</strong> Wille des Herrn<br />

147 Kapitel 6: Das Gebet<br />

150 Ist es nötig, zu Gott zu beten?<br />

152 <strong>Die</strong> Wirkung des Gebets<br />

153 Gebet und eigenes Bemühen<br />

154 <strong>Die</strong> Stätte <strong>der</strong> Verehrung<br />

154 Drei Formen des Gebets<br />

159 Beispiele von Gebeten<br />

160 Ein Gebet aus dem Sar Bachan<br />

162 Kapitel 7: Satsang<br />

165 Kapitel 8: <strong>Die</strong>nen<br />

166 Wer kann dem Meister und Gott dienen?<br />

166 Wie man dem Meister dient<br />

167 <strong>Die</strong>nen mit dem Körper<br />

168 <strong>Die</strong>nen mit Hab und Gut sowie mit dem Verstand<br />

168 <strong>Die</strong>nen mit <strong>der</strong> Seele<br />

169 Kapitel 9: Hingabe<br />

171 Grundsätze <strong>der</strong> Hingabe<br />

172 <strong>Die</strong> Verehrer


173 Hin<strong>der</strong>nisse auf dem Pfad <strong>der</strong> Hingabe<br />

174 Voraussetzungen für die Hingabe<br />

175 Durch Hingabe an den Meister geben wir unser<br />

Selbst o<strong>der</strong> Ego auf<br />

176 Was die Hingabe bewirkt<br />

178 Kapitel 10: Ehrfurcht, Zuneigung und Verehrung<br />

180 Verehrung<br />

181 Kapitel 11: Brennende Sehnsucht<br />

186 Kapitel 12: Was die Liebe bewirkt


1. Buch<br />

Kapitel 1<br />

DAS ZIEL EINES SUCHENDEN<br />

Was ist Gott? Existiert tatsächlich ein solches Wesen? Welche Macht belebt das<br />

Universum und veranlaßt es, nach einem Plan abzulaufen? Hat diese Macht<br />

Bewußtsein o<strong>der</strong> ist sie leblos? Wenn sie leblos ist, wieso ziehen dann Sonne, Mond<br />

und Sterne nach einem Gesetz ihre Bahnen? Welches Verhältnis haben wir zu dieser<br />

Macht? Woher kommt dieses Universum, wann wurde es erschaffen und wie? Vor<br />

diese Fragen werden wir immer wie<strong>der</strong> gestellt. So manches Buch wurde darüber<br />

geschrieben. Mancher Mensch kam auf die Welt und verließ sie wie<strong>der</strong>. Viele sinnen<br />

über diese Fragen nach, dennoch bleiben sie immer neu, aktuell.<br />

"Über den Zank und Streit, über das Wie und Warum <strong>der</strong> Philosophie sind<br />

Jahrhun<strong>der</strong>te vergangen, aber die Debatten über Gott sind noch da, wo sie am<br />

Anfang waren."<br />

In seinen Gedanken und Vorstellungen kann <strong>der</strong> Mensch viele Höhenflüge<br />

unternehmen, seine Zweifel aber wird er nicht los. Das Thema Gott begreift er nicht<br />

und wan<strong>der</strong>t weiter in dem dunklen Wald seines Intellekts.<br />

Theisten gibt es und Atheisten. Nach den Atheisten ist die Existenz Gottes eine<br />

bloße Erfindung <strong>der</strong> Ängstlichen, die dahinter ihre Feigheit verstecken und sie als<br />

Stütze benutzen. Da Gott we<strong>der</strong> mit dem Teleskop noch mit dem Mikroskop sichtbar<br />

wird, behaupten die Atheisten, Er existiere nicht. Sowohl <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> an einen Gott<br />

glaubt, von dem er gehört und gelesen hat, als auch <strong>der</strong> Nicht-Gläubige sind unglücklich.<br />

Befindet man sich in einem brennenden Haus, so wird man als erstes versuchen,<br />

sich über den kürzesten Fluchtweg in Sicherheit zu bringen, und nicht danach fragen,<br />

wer das Haus angezündet hat und wann. Mit diesen Fragen kann man sich befassen,<br />

sobald man den Flammen entkommen ist. Das trifft auch auf uns zu: Antworten auf<br />

unsere Fragen finden wir, wenn wir unser Ziel erreicht haben. Der einzige Gedanke,<br />

mit dem wir uns jetzt beschäftigen sollten, ist, wie wir unsere Knechtschaft beenden<br />

und uns befreien können. Dann brauchen wir nicht zu fragen: "Weshalb dieser Pfad?<br />

Weshalb dieses Ziel? Wann und wo wurden dieses Ziel und dieser Pfad geschaffen?"<br />

<strong>Die</strong>se Fragen lösen sich von selbst auf, wenn wir unser Ziel erreicht haben. Zunächst<br />

lautet die einzig mögliche Antwort auf all unsere Fragen, daß Gott alles aus eigenem,<br />

freien Willen erschuf.<br />

Das Schicksal aller in diese vergängliche Region gesandten Seelen bildet sich aus<br />

<strong>der</strong> Frucht ihrer Taten. Es wurde vom Herrn mit unauslöschlicher Tinte geschrieben.<br />

Aufgrund dieses Schicksals wurden sie in die oberen o<strong>der</strong> unteren Regionen gesandt.<br />

Es wurde ihr Schicksal als Ergebnis ihres Tuns und Lassens in früheren Leben.<br />

Uns wird gesagt, daß unzählige Seelen in Sat Lok leben, <strong>der</strong> Region reinen Geistes,<br />

die nie vergeht. Das trifft auch auf die nie<strong>der</strong>en Regionen zu, die vergänglich sind.<br />

Worin bestand das Karma o<strong>der</strong> die Tat, aufgrund welcher die Seelen in die eine o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e Region gesandt wurden? Wie wurden diese Regionen ins Leben gerufen?<br />

Wann wurden sie geschaffen? <strong>Die</strong> Antworten darauf liegen jenseits von Zeit und<br />

Raum; es ist unmöglich, sie hier zu finden. Hafiz sagt:


"Denke nur an die Glückseligkeit, die du durch den Tonstrom deines Meisters<br />

erhältst, und befasse dich nicht mit den Geheimnissen des Universums und <strong>der</strong><br />

höheren Regionen, denn das kann <strong>der</strong> Verstand nicht begreifen."<br />

Auf die Fragen über das Woher dieses Universums sowie das Wann und Wie<br />

antworten uns die vollkommenen Meister, daß wir zu Gott gelangen und Ihn selbst<br />

befragen müssen. Wer Ihn erkannt hat, <strong>der</strong> hat sein Selbst ausgelöscht. Er hat sich<br />

über die Grenzen von Zeit und Raum, von Ursache und Wirkung erhoben.<br />

"O Mensch, wende dich dorthin, wo du den Geliebten siehst. Gib diese Welt auf,<br />

damit du die an<strong>der</strong>e erblickst."<br />

Sobald man Gotterkenntnis erlangt hat, werden diese Fragen ganz von selbst<br />

beantwortet. Dort an unserem Ziel können wir über diese Themen in aller Ruhe<br />

diskutieren. Hier aber sind nur solche Fragen nötig, die sich auf den Pfad beziehen,<br />

<strong>der</strong> uns zu Ihm zurückführt. Gott können wir durch logische Schlußfolgerungen nicht<br />

begreifen, auch nicht durch das Lesen von Büchern o<strong>der</strong> philosophische Debatten.<br />

Zweifellos bekommen wir dadurch eine Ahnung von Seiner Realität und <strong>der</strong> Existenz<br />

Seiner Macht, aber um Ihn als Tatsache erkennen zu können, bleibt uns keine Wahl,<br />

als in den Laboratorien <strong>der</strong> Heiligen zu experimentieren und Ihn selbst zu erleben.<br />

Für weltlichen Fortschritt besteht unsere Pflicht darin, uns so zu benehmen, daß<br />

wir den Gesetzen <strong>der</strong> Gesellschaft, in <strong>der</strong> wir leben, nicht zuwi<strong>der</strong>handeln und<br />

einan<strong>der</strong> helfen, damit sie nicht zusammenbricht. <strong>Die</strong> Regeln <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

beziehen sich auf persönliche, familiäre, soziale sowie nationale und politische<br />

Belange. Gleichermaßen hat auch <strong>der</strong> Pfad für spirituellen Fortschritt und spirituelle<br />

Befreiung seine Gesetze. <strong>Die</strong>ser Pfad hat allein das Losgelöstsein, die innere Freiheit<br />

zum Ziel.<br />

Sant Mat gibt uns wahre Führung sowohl im Hinblick auf das Weltliche als auch<br />

das Spirituelle. Indem die Lehre hilft, die Tugenden zu för<strong>der</strong>n, lenkt sie die<br />

Gedanken des Schülers auf den Herrn und führt ihn zu Ihm.<br />

Das Ziel eines Suchenden nach Spiritualität sollte sehr hoch gesteckt sein. Ist ein<br />

ganz bestimmtes Ziel nicht vorhanden, so ist es sinnlos zu hoffen, daß man es<br />

erreichen kann. Liegt es aber fest, dann bringt auch jede Anstrengung den<br />

Suchenden diesem Ziel näher.<br />

Der Durchschnittsmensch treibt mit den jeweiligen Fluten dahin - auf dem Fluß <strong>der</strong><br />

Traditionen dieser Welt. Wir folgen den Traditionen, tun, was unsere Vorfahren<br />

taten. Wir verschwenden unsere Zeit mit Aberglauben in bezug auf unseren Körper<br />

und denken an nichts an<strong>der</strong>es als seine Bedürfnisse. Der Seele und ihrer Not widmen<br />

wir keinen Gedanken. Wir müssen aber den falschen Glauben aufgeben und den richtigen<br />

annehmen. Wir müssen den richtigen Grundsätzen folgen und die Realität<br />

verstehen. Wenn wir sie nicht verstehen, müssen wir uns entsprechend informieren,<br />

damit wir genau wissen, wo es weitergeht und wo uns keine Hin<strong>der</strong>nisse auf dem<br />

richtigen Pfad im Wege stehen.<br />

Wer einem Pfad folgt, ohne sich gebührend zu vergewissern, verstrickt sich in<br />

Aberglauben. Sein Fortschritt hört auf, und <strong>der</strong> spirituelle Gewinn stellt sich nicht ein.<br />

Es ist also unerläßlich, daß man sein Ziel stets vor Augen hat, wenn man erfolgreich<br />

sein will. Man frage sich selbst, was man werden will, welches Ideal man sich im<br />

Leben gesetzt hat. <strong>Die</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Menschen hat kein Ideal, und selbst wenn<br />

jemand eines hat, wird er die Welt als das endgültige Ziel ansehen. Nur wenige


suchen nach Spiritualität.<br />

Schauen wir nach innen; was wollen wir werden? Mit dem Mund bitten wir um<br />

spirituelle Schätze, im Herzen aber wünschen wir uns an<strong>der</strong>e Dinge. Unser Intellekt<br />

meint zwar, es sei gut, spirituell zu sein, das Gemüt aber ist im Körper und in seinen<br />

Vergnügungen verstrickt und wünscht gar nichts an<strong>der</strong>es. Wie will man da, wenn<br />

man angeblich mit Spiritualität befaßt ist, Erfolg haben?<br />

Zunächst muß man ein klares Ideal haben und dann den innigen Wunsch, es zu<br />

erreichen. Nur so kann man hoffen, erfolgreich zu sein, muß aber seine Vorliebe für<br />

Reichtum, das an<strong>der</strong>e Geschlecht und alles Weltliche abbauen.<br />

Im Sanskrit bedeutet Spiritualität "die höchste Vollendung". <strong>Die</strong>se höchste<br />

Vollendung muß man folglich von gewöhnlichem Gewinn unterscheiden und dem<br />

Pfad folgen, <strong>der</strong> einem wahren, reinen und höchsten Gewinn geben kann. Alles<br />

Unnötige muß man ausmerzen und nur die Wahrheit aufnehmen.<br />

<strong>Die</strong> Heiligen lehren uns, daß man wahre Erlösung (die Erlösung <strong>der</strong> Seele)<br />

während des Lebens in dieser Welt durch gewisse spirituelle Übungen erlangen kann.<br />

<strong>Die</strong> Praxis heißt "Surat-Shabd-Yoga", bei dem die Seele mit dem Shabd (dem WORT,<br />

dem Tonstrom o<strong>der</strong> Naam) verbunden wird. Hierdurch kann man die wahre Erlösung<br />

sogar in diesem Körper erlangen.<br />

So wie die Lotosblüte auf dem Wasser liegt, während ihre Wurzeln unter dem<br />

Wasser sind, so wie eine Ente - obwohl sie sich zumeist auf dem Wasser befindet -<br />

mit trockenen Flügeln wegfliegt, so bleibt auch jemand, <strong>der</strong> den Surat-Shabd-Yoga<br />

praktiziert, von <strong>der</strong> Welt und ihrem Einfluß unberührt, wenn er seiner Arbeit<br />

nachgeht. Kabir sagt:<br />

"Wer die Farbe von Naam angenommen hat, kann nicht mehr befleckt werden.<br />

Wohl lebt er in <strong>der</strong> Welt, geht seinen Aufgaben und Pflichten nach, sein Herz und<br />

sein Geist aber werden niemals schwanken."<br />

Der Mensch besteht aus einem physischen Körper, er besitzt aber auch ein Gemüt,<br />

den Intellekt und eine Seele. Mit dem Körper häuft er Reichtum und alle physischen<br />

Annehmlichkeiten an. Der Körper dient dem Körper, das Gemüt dem Gemüt. <strong>Die</strong><br />

Seele aber ist von allen dreien bei weitem das Kostbarste. Und <strong>der</strong> Meister ist es, <strong>der</strong><br />

uns das Geschenk des Wissens um die Seele macht. Deshalb sollte man dem Meister<br />

seinen Körper, sein Hab und Gut und sein Gemüt opfern, um das Geschenk von<br />

Naam zu erhalten.<br />

Gemäß den Gurus wirkt sich das Denken an den Herrn sowie das Preisen Seines<br />

Namens positiv aus: Alle Wünsche, Unwissenheit und Sorgen werden vernichtet, die<br />

Wie<strong>der</strong>geburt nimmt ein Ende. Alle guten Absichten werden erfüllt. Das Herz ist<br />

voller Glück und Freude. Der Lotus öffnet sich, und <strong>der</strong> Egoismus verschwindet. Man<br />

überwindet die Angst vor dem Tod und kommt nicht in die Hölle. <strong>Die</strong> Welt <strong>der</strong><br />

Erscheinungen überquert man sicheren Fußes. Man sieht den Herrn überall und in<br />

allem. Man überquert die Welt nicht nur selbst, son<strong>der</strong>n nimmt auch an<strong>der</strong>e mit. Man<br />

wird von den Verwüstungen <strong>der</strong> fünf Räuber verschont (Sinnenlust, Zorn, Habgier,<br />

Verhaftetsein und Hochmut) und erreicht eine Stufe, auf <strong>der</strong> man leicht und natürlich<br />

die Verzückung <strong>der</strong> Meditation erlangt. Man ist dem Herrn dankbar. An den Meister<br />

denken heißt an Gott denken. <strong>Die</strong> wahren Meister erklären daher eindringlich, wie<br />

vorteilhaft es ist, an den Meister zu denken.


Kapitel 2<br />

DIE STRUKTUR DER SCHÖPFUNG<br />

An dieser Stelle ist nur eine kurze Darstellung <strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> Schöpfung notwendig.<br />

<strong>Die</strong> höheren Bereiche kann <strong>der</strong> menschliche Geist nämlich gar nicht erfassen. Erst<br />

wenn man sich zusammen mit dem Meister von einer Ebene zur nächsten begibt,<br />

werden einem Natur und Ausdehnung <strong>der</strong> Regionen begreiflich.<br />

Der nie<strong>der</strong>ste Bereich heißt Pinda. In ihm befindet sich grobe, physische Materie,<br />

die nur so viel Geist enthält, wie gerade zum Leben notwendig ist. All die unseren<br />

Astronomen bekannten unermeßlichen Millionen von Universen sind nur ein kleiner<br />

Teil <strong>der</strong> gesamten Pinda-Region, und Pinda selbst ist nur ein "Stäubchen", das in <strong>der</strong><br />

Brahmand-Region schwebt.<br />

Der nächsthöhere Bereich wird Brahmand genannt, <strong>der</strong> sich in vier Regionen<br />

unterteilt, die in zunehmendem Maße von immer mehr Geist erfüllt sind. <strong>Die</strong> erste<br />

dieser spirituellen Regionen ist Sahansdal Kanwal, "<strong>der</strong> tausendblättrige Lotos", auch<br />

als Astralregion bekannt; er ist <strong>der</strong> "Himmel" <strong>der</strong> meisten Weltreligionen. In dieser<br />

Region begegnet einem zum ersten Mal die Strahlengestalt des Meisters. Der<br />

Herrscher dieser Region heißt Niranjan, was wörtlich "rein" bedeutet.<br />

Im physischen Körper verborgen ist ein weiterer, jedoch viel feinerer Körper, den<br />

die Meister den Astral- o<strong>der</strong> Lichtkörper nennen, und zwar deshalb, weil man ihn als<br />

Millionen von leuchtenden Partikeln - gleich "Sternenstaub" - erblickt. Er ist viel<br />

leichter und feiner als <strong>der</strong> physische Körper.<br />

<strong>Die</strong>sen Astralkörper besitzt und benutzt je<strong>der</strong>, hier und jetzt, auch wenn er sich<br />

seiner vollkommen unbewußt ist. Mittels dieses Körpers ist es dem Gemüt und <strong>der</strong><br />

Seele möglich, mit dem physischen Körper und <strong>der</strong> Außenwelt in Verbindung zu<br />

treten. <strong>Die</strong>ser feinere Körper entspricht in Form und Farbe dem Charakter des<br />

Menschen. Auf <strong>der</strong> Astralebene, auf <strong>der</strong> wir im Astralkörper tätig sind, ist Täuschung<br />

unmöglich. Man sieht jeden, wie er wirklich ist, denn <strong>der</strong> Astralkörper enthüllt die<br />

wahre Natur. So wie <strong>der</strong> physische Körper hat auch <strong>der</strong> Astralkörper fünf Sinne.<br />

Stirbt <strong>der</strong> physische Körper, dann bleibt dieser feinere Körper als Ausdrucksmittel in<br />

diesem höheren Bereich, <strong>der</strong> Astralebene, bestehen.<br />

<strong>Die</strong> zweite spirituelle Region heißt Trikuti, die "Drei Vorsprünge" o<strong>der</strong> die drei<br />

Berge. Sie ist als mentale o<strong>der</strong> kausale Region bekannt, die Region des universellen<br />

Geistes. Der Herrscher dieser Region ist Brahm o<strong>der</strong> Onkar.<br />

Im Astralkörper befindet sich noch ein weiterer Körper, vom Astralkörper völlig<br />

getrennt und viel feiner, viel subtiler als dieser. <strong>Die</strong> Meister nennen ihn den<br />

Kausalkörper, und zwar deshalb, weil in ihm die wahren Ursachen o<strong>der</strong> Samen von<br />

allem, was jemals im Leben des Menschen geschehen soll, "programmiert" sind. Der<br />

Kausalkörper ist viel feiner als <strong>der</strong> Astralkörper, so wie <strong>der</strong> Astralkörper entsprechend<br />

feiner als <strong>der</strong> physische Körper ist.<br />

In diesem Körper wird von je<strong>der</strong> Erfahrung des Menschen während seiner<br />

unzähligen Leben eine lückenlose Aufzeichnung hinterlassen. Aus all diesen<br />

Erfahrungen wird <strong>der</strong> Charakter geformt, und diesem Charakter gemäß handelt er.<br />

Wenn man in <strong>der</strong> Lage ist - wie es die Meister und viele an<strong>der</strong>e sind -, diese<br />

Aufzeichnungen zu entziffern, sieht man genau, was <strong>der</strong> Mensch in seiner gesamten<br />

Vergangenheit getan hat o<strong>der</strong> was ihm zugestoßen ist. Man sieht auch, was er in<br />

Zukunft tun und lassen wird. Es ist alles da: die Vergangenheit als sichtbare<br />

Aufzeichnung und die Zukunft in Form <strong>der</strong> Saat.


Neben dem physischen, dem astralen und kausalen Körper besteht <strong>der</strong> Mensch<br />

insgesamt gesehen auch noch aus dem vierten Baustein, dem Gemüt. Das Gemüt ist<br />

noch feiner, noch subtiler als <strong>der</strong> Kausalkörper, es ist <strong>der</strong> Seele noch näher. Auf <strong>der</strong><br />

physischen Ebene benötigen wir zum Leben den physichen, den astralen und<br />

kausalen Körper sowie das Gemüt. Wollen wir uns in <strong>der</strong> Astralregion manifestieren,<br />

müssen wir vorübergehend den physischen Körper ablegen. Steigen wir höher in die<br />

zweite Region, Trikuti, lassen wir den Astralkörper zurück und werden im<br />

Kausalkörper tätig. Beim Verlassen Trikutis bei <strong>der</strong> Aufwärtsreise legen wir sowohl<br />

den Kausalkörper als auch das Gemüt ab, ganz einfach deshalb, weil wir beides in<br />

den Regionen oberhalb Trikutis nicht mehr benötigen.<br />

Der Schöpfer und höchste Gebieter dieser drei Regionen (Pinda, Sahansdal Kanwal<br />

und Trikuti) ist Kal. Es sind die Regionen von Gemüt und Illusion, von Zeit und<br />

Sterblichkeit, von Karma, Geburt und Wie<strong>der</strong>geburt. In Wirklichkeit sind es nur<br />

Reflektionen <strong>der</strong> höheren Regionen; man bezeichnet sie deshalb im Vergleich zu<br />

diesen als Illusion o<strong>der</strong> unwirklich.<br />

<strong>Die</strong> nächsthöhere o<strong>der</strong> dritte spirituelle Region heißt Daswan Dwar, das Land<br />

jenseits des "Zehnten Tores". In ihr badet sich die heimkehrende Seele im<br />

Mansarovar, dem See <strong>der</strong> Unsterblichkeit, und befreit sich für alle Zeiten von den<br />

Bindungen an die nie<strong>der</strong>en Regionen. Der Herrscher dieser Region ist Par Brahm.<br />

Zwischen Daswan Dwar und <strong>der</strong> nächsten Region liegt Maha Sunn, eine Zone<br />

äußerster Dunkelheit, die die Seele nur mit <strong>der</strong> Hilfe und dem Licht des Meisters<br />

durchqueren kann.<br />

<strong>Die</strong> vierte spirituelle Region heißt Bhanwar Gupha. Das bedeutet wörtlich "die<br />

rotierende Höhle". Der Herrscher dieser Region ist Sohang: "Das bin ich". Bei <strong>der</strong><br />

Begegnung <strong>der</strong> Seele mit dem Herrn dieser Region erkennt sie ihre wahre Größe.<br />

<strong>Die</strong>se Region ist die höchste des Brahmand-Bereiches. Sowohl Pinda als auch<br />

Brahmand werden sich auflösen. Man spricht von zweierlei Auflösungen. <strong>Die</strong> einfache<br />

Auflösung betrifft alle Regionen bis einschließlich Trikuti. Sie tritt erst nach vielen<br />

Millionen von Jahren ein. <strong>Die</strong> große Auflösung findet nach unermeßlich langer Zeit<br />

statt und umfaßt das physische Universum sowie alle vier Brahmand-Regionen. Nach<br />

einer Zeit <strong>der</strong> Dunkelheit entsteht dann eine neue Schöpfung.<br />

Der höchste <strong>der</strong> drei Hauptbereiche ist Sat Desh, die einzige Region ohne jegliche<br />

Beimischung, <strong>der</strong> Bereich völlig reinen Geistes, <strong>der</strong> Wahrheit und <strong>der</strong> endgültigen<br />

Wirklichkeit. <strong>Die</strong>ser Region sind Tod, Auflösung, Wandel und Unvollkommenheit<br />

unbekannt. Sie ist das große Zentrum, um das sich alle an<strong>der</strong>en Welten drehen, die<br />

Metropole <strong>der</strong> gesamten Schöpfung, <strong>der</strong> Sitz des Höchsten Herrn und Schöpfers. Es<br />

ist unmöglich, sie dem Menschen begreiflich zu machen.<br />

Aus dem Zentrum von Licht, Leben und Macht strömt <strong>der</strong> große Schöpferstrom,<br />

<strong>der</strong> Shabd o<strong>der</strong> das WORT. <strong>Die</strong>ses WORT erschafft, beherrscht und erhält alle<br />

an<strong>der</strong>en Regionen. Surat (die Seele) und <strong>der</strong> Shabd sind beide vom Wesen des<br />

Herrn. Gott ist sowohl Shabd als auch Surat. Beides ist Gott in Aktion; Er projiziert<br />

sich in alles und ergötzt sich an diesem Spiel. Er ist sowohl <strong>der</strong> Verehrer als auch <strong>der</strong><br />

Verehrte.<br />

Der Hauptbereich von Sat Desh ist in vier verschiedene Regionen unterteilt, doch<br />

unterscheiden sie sich nur sehr wenig voneinan<strong>der</strong>. <strong>Die</strong> heimkehrende Seele erreicht<br />

zuerst Sach Khand, die fünfte spirituelle Region, die wahre Heimat <strong>der</strong> Seele, das<br />

Haus des Vaters, von dem wir, um Erfahrungen in den unteren Welten zu sammeln,<br />

vor langer Zeit herabstiegen. Es ist die Heimat, zu <strong>der</strong> die großen Meister ihre<br />

Schüler führen; hier endet ihre Verantwortung. Beim Erreichen dieser Stufe geht die<br />

Seele in dem Herrn auf. Der Schüler und <strong>der</strong> Herr werden eins, um niemals wie<strong>der</strong>


getrennt zu werden. Der Herrscher dieser Region ist Sat Purush, <strong>der</strong> nun die Seele<br />

bis ans Ende <strong>der</strong> Reise führt.<br />

<strong>Die</strong> sechste spirituelle Region ist Alakh Lok, die unfaßbare Region. Danach kommt<br />

Agam Lok, die unzugängliche Region.<br />

<strong>Die</strong> höchste Region schließlich heißt Anami Lok o<strong>der</strong> die Namenlose Region, <strong>der</strong><br />

Sitz Radha Soamis (Herr <strong>der</strong> Seele - <strong>der</strong> Höchste Schöpfer). Auch wenn man dem<br />

Höchsten Schöpfer den Namen Radha Soami gibt, so ist offensichtlich, daß kein<br />

Name Ihn beschreiben, kein Gedanke Ihn aufnehmen und keine Sprache von Ihm<br />

berichten kann. Er ist <strong>der</strong> formlose Allundeine, <strong>der</strong> Allumfassende, <strong>der</strong> unpersönliche,<br />

unendliche Ozean <strong>der</strong> Liebe. Aus Ihm geht alles Leben, alle Spiritualität, alle<br />

Wahrheit und alle Realität hervor. Er ist ganz Liebe, Weisheit und Macht.<br />

Er erschafft sich selbst und kennt sich selbst.<br />

Er trennt die Erde und den Himmel.<br />

Er errichtet das Himmelszelt.<br />

Er stützt die Himmel ohne Pfeiler.<br />

Er macht den Shabd zu seinem Ehrenzeichen.<br />

Er erschafft die Sonne und den Mond.<br />

Er erhellt sie mit Seinem eigenen Licht.<br />

Adi Granth<br />

Kapitel 3<br />

KARMA UND REINKARNATION<br />

Als das Universum erschaffen wurde, stieg ein Teil <strong>der</strong> unzähligen Seelen in die<br />

stofflich-körperlichen Regionen hinab, und sie nahmen Umhüllungen o<strong>der</strong> Körper an,<br />

die für ein Dasein in <strong>der</strong> Kausal-, Astral- und <strong>der</strong> materiellen Ebene nötig waren.<br />

<strong>Die</strong>se Körper haben das Licht <strong>der</strong> Seele getrübt, so daß die Seele sich ihres<br />

ursprünglichen Glanzes und ihrer wahren Heimat nicht mehr bewußt ist.<br />

Seit undenkbaren Zeiten befinden sich nun die Seelen in Pinda, und gemäß ihren<br />

Wünschen und Taten haben sie das Leben in <strong>der</strong> Vielfalt seiner Formen durchlebt. In<br />

endloser Folge von Geburt und Tod haben sie jeweils einen Körper verlassen, um in<br />

einem an<strong>der</strong>en wie<strong>der</strong>geboren zu werden. <strong>Die</strong>s wird das Rad <strong>der</strong> Vierundachtzig o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Kreislauf <strong>der</strong> 8.400.000 Lebensformen genannt, in die eine Seele hineingeboren<br />

werden kann. In den Hindu-Schriften werden diese 8,4 Millionen Lebensformen wie<br />

folgt beschrieben:<br />

3 Millionen Baum- und Pflanzenarten<br />

2,7 Millionen Insektenarten<br />

1,4 Millionen Vogelarten<br />

900.000 im Wasser lebende Arten<br />

400.000 an<strong>der</strong>e Lebensarten einschließlich<br />

<strong>der</strong> Vierbeiner und <strong>der</strong> Menschen usw.<br />

Alle Heiligen haben den Grundsatz <strong>der</strong> Seelenwan<strong>der</strong>ung akzeptiert und gelehrt.


"<strong>Die</strong> Reinkarnation bedeutet ganz einfach die Wie<strong>der</strong>geburt <strong>der</strong> Seele in<br />

verschiedenen Lebensformen, damit sie die ihr zugeteilte Aufgabe ihrem Karma<br />

entsprechend erfüllen kann. <strong>Die</strong> Seele steigt aus dem großen Ozean des Lebens<br />

empor und taucht wie<strong>der</strong> in ihn ein."<br />

Shamas-i-Tabriz<br />

Fast allen Religionen Indiens - dem Hinduismus, Jainismus, Buddhismus, Sikhismus<br />

usw. - liegt <strong>der</strong> Glaube zugrunde, daß Freude und Leid dem Menschen als Ergebnis<br />

seiner eigenen, früheren Taten wi<strong>der</strong>fährt und daß er die Folgen <strong>der</strong> Taten dieses<br />

Lebens in <strong>der</strong> Zukunft zu tragen hat.<br />

Juden, Christen und Mohammedaner glauben nicht an die Reinkarnation <strong>der</strong> Seele<br />

und auch nicht an das Karma-Gesetz. Sie glauben, daß Gott <strong>der</strong> Schöpfer und <strong>der</strong><br />

Herr des gesamten Universums ist. So wie ein Töpfer nach seinem eigenen Ermessen<br />

einen Topf formt o<strong>der</strong> zerstört und dem Topf keine Wahl bleibt, so liegt es bei Gott,<br />

Seinen Geschöpfen entwe<strong>der</strong> Erlösung zu schenken o<strong>der</strong> sie in Unwissenheit zu<br />

belassen. Außerdem halten sie Gott für unabhängig, weswegen auch niemand das<br />

Recht und die Macht hat, in Sein Werk einzugreifen, und niemand Sein Wirken kennt.<br />

<strong>Die</strong>se Dinge gehen über den menschlichen Verstand hinaus, und man sollte sich<br />

damit am besten nicht weiter befassen.<br />

<strong>Die</strong> Heiligen haben sehr deutlich das Für und Wi<strong>der</strong> des Karma-Gesetzes<br />

beschrieben, das auf Ursache und Wirkung beruht und im gesamten Universum<br />

wirksam ist. Emerson und an<strong>der</strong>e Philosophen und auch Physiker haben es das<br />

Gesetz des Ausgleichs genannt - "Was du säst, wirst du ernten."<br />

Alles, was wir sagen, hat zweierlei Wirkung: Aktion und Reaktion. <strong>Die</strong> Reaktion<br />

hallt in und um den Sprecher wi<strong>der</strong> und bewirkt gleichartige Gedankenströme in<br />

seiner Umgebung. Folglich ruft je<strong>der</strong> Gedanke, ob gut o<strong>der</strong> böse, die ihm genau<br />

entsprechende Resonanz hervor. Das ist ein unantastbares und unerbittliches Gesetz,<br />

dem sowohl lebende Wesen als auch leblose Dinge unterworfen sind. Es ist<br />

unauslöschlich.<br />

Karma ist außerdem ein Vorgang, in dem man sein Guthaben und seine Schulden<br />

ausgleicht. Nehmen wir etwas von jemandem, müssen wir ihm dafür wie<strong>der</strong> etwas<br />

geben. Nach diesem Prinzip entsteht das Schicksalskarma, was die Höhen und Tiefen<br />

in unserem Leben erklärt. Freude und Leid, Armut und Reichtum, Krankheit und<br />

Gesundheit, Geben und Nehmen sind das Ergebnis entsprechen<strong>der</strong> Taten, die<br />

beglichen werden müssen. Können sie nicht in diesem Leben beglichen werden, so<br />

muß es in einem zukünftigen Leben geschehen. Der Mensch stirbt, das Verzeichnis<br />

seiner Taten aber bleibt bestehen. <strong>Die</strong> Aufzeichnungen dieser Taten sind <strong>der</strong> Seele<br />

eingeprägt, die auch nach dem Tod immer noch vom Astral- und Kausalkörper<br />

umhüllt ist. <strong>Die</strong> Seele verläßt beim Tod den physischen Körper, die Aufzeichnungen<br />

aber bleiben Bestandteil <strong>der</strong> Seele, bis sie bereinigt sind. Shams-i-Tabriz sagt:<br />

"Wir leben in diesem Universum, und in jedem Leben tragen wir ein an<strong>der</strong>es<br />

Kleid. Einmal erscheinen wir in dieser, dann wie<strong>der</strong> in jener Lebensform, stets<br />

aber bleiben wir alle ein Teil des Schöpfers. Mit an<strong>der</strong>en Worten: wir kamen<br />

Hun<strong>der</strong>te und Tausende von Malen in die Welt und verließen sie wie<strong>der</strong>, denn<br />

dieses Universum ist eine Werkstatt mit Eingängen Und Ausgängen."


Karma, unser Tun und Lassen, ist von dreierlei Art: Sanchit-, Pralabdh- und<br />

Kriyaman-Karma. Sanchit ist das Reserve-Karma, Pralabdh das Schicksalskarma und<br />

Kriyaman das neue Karma. Das Reserve-Karma ist das Ergebnis unseres Tuns und<br />

Lassens in früheren Leben, das noch nicht ausgeglichen und auch noch nicht<br />

zugeteilt wurde. Schicksalskarma umfaßt den Anteil aus früheren Leben, <strong>der</strong> dem<br />

gegenwärtigen Leben zugeteilt wurde und als dessen Resultat wir Menschen wurden,<br />

um die Folgen von gutem und schlechtem Karma unserem Schicksal gemäß zu<br />

durchleben. Kriyaman-Karma ist das neue Karma, das sich aus dem Tun und Lassen<br />

dieses Lebens ergibt. Während wir also unser Schicksal (Schicksalskarma) durchleben,<br />

schaffen wir gleichzeitig täglich neues Karma, dessen Folgen uns im nächsten<br />

Leben zum Schicksal werden. O<strong>der</strong> aber sie wirken sich in einem zukünftigen Leben<br />

teilweise als Schicksals- und teilweise als Sanchitkarma aus.<br />

Was versteht man wirklich unter dem "Karma vergangener Leben"? Aus den<br />

Schriften wissen wir, daß Gott uns für einen physischen Körper bestimmt - entwe<strong>der</strong><br />

als Mensch o<strong>der</strong> als nie<strong>der</strong>es Wesen -, und wir kommen in die Welt, um das zu<br />

ernten, was uns an Karma aus vergangenen Leben zugeteilt wurde. So wie Er unsere<br />

Aufgaben erfüllt haben möchte, so werden wir sie ausführen, denn so schreibt es<br />

unser Schicksal vor. Niemand kann seinem Schicksal entgehen. Nur Gott ist frei; Er<br />

regiert die Welt so, wie Er es für richtig hält.<br />

Gut und Böse, Freud und Leid, mit an<strong>der</strong>en Worten alles, was wir hier und jetzt<br />

erfahren, ist auf unsere eigenen früheren Taten zurückzuführen. Sie bestimmen<br />

auch, ob wir in einer höheren o<strong>der</strong> nie<strong>der</strong>en Lebensform wie<strong>der</strong>geboren werden:<br />

"Was du säst, wirst du ernten". Als Ergebnis unserer guten Taten sind wir glücklich,<br />

und Leid ist das Ergebnis unserer schlechten Taten, denn wir müssen die Früchte<br />

unseres Handelns in Gedanken, Worten und Werken ernten.<br />

Wir entkommen den Folgen unserer Taten nicht dadurch, daß wir sie heimlich tun.<br />

Wir werden früher o<strong>der</strong> später die Konsequenzen tragen müssen. Demnach sind gute<br />

und schlechte Tage, Freude o<strong>der</strong> Leid auf unser eigenes Tun und Lassen<br />

zurückzuführen, und wir sollten niemand an<strong>der</strong>s dafür verantwortlich machen. Wie<br />

können wir von schlechten Taten gute Ergebnisse erwarten? Wer so folgert, geht<br />

falschen Vorstellungen nach.<br />

Wer den Herrn um Vergebung anfleht und glaubt, dann weiter sündigen zu<br />

können, ist im Irrtum. Krankheiten sind die Strafen für Sünden. Eine Sünde kann nur<br />

durch eine angemessene Strafe verbüßt werden. <strong>Die</strong> Wurzel allen Übels ist, daß wir<br />

uns mit unserem Körper identifizieren. Wenn wir nicht über unsere körperlichen<br />

Belange hinauswachsen, werden Gedanken an Sinnesvergnügungen und <strong>der</strong><br />

Wunsch, sie mögen sich einstellen, nicht verschwinden.<br />

"Mancher Sucher bereitet sich Unannehmlichkeiten dadurch, daß seine Suche<br />

nach Vergnügen zu Krankheit führt. Ohne sich Seinem Willen zu beugen, wird ihn<br />

<strong>der</strong> Wunsch nach Vergnügen nicht verlassen - und bis dahin wan<strong>der</strong>t er weiter."<br />

Adi Granth<br />

Dhritarashtra (ein König, <strong>der</strong> von Geburt an blind war) wurde einmal gefragt,<br />

welcher Tat in einem seiner vergangenen Leben er seine Blindheit zuschreibe. Er gab<br />

zur Antwort, daß er auf alle Taten seiner letzten hun<strong>der</strong>t Leben zurückblicken könne,<br />

aber keine sehe, die seine Blindheit verursacht haben könnte.<br />

Lord Krishna gewährte ihm daraufhin die innere Schau über noch weiter<br />

zurückliegende Leben, und da erst entdeckte er, daß er viel früher etwas Böses<br />

getan hatte, wofür er in diesem Leben blind geboren worden war.


Was kann man schon gegen das angehäufte Karma ausrichten, das Hun<strong>der</strong>te von<br />

Leben lang verborgen und wirksam bleibt? Der karmische Kreislauf setzt sich<br />

unaufhörlich fort, und die Folgen unserer Taten kommen ans Licht und müssen<br />

beglichen werden, auch wenn es erst nach Hun<strong>der</strong>ten o<strong>der</strong> Tausenden von Leben<br />

geschieht.<br />

Wir sind alle durch unser Schicksalskarma gebunden. Es gibt viele gute Menschen,<br />

die aufgrund ihres Schicksalskarmas gute Taten vollbringen, und an<strong>der</strong>e sind<br />

schlecht und begehen ebenfalls aufgrund ihres Schicksalskarmas böse Taten. Sie<br />

können ganz einfach nicht an<strong>der</strong>s handeln. Selbst wenn ihnen die Möglichkeit<br />

gegeben wird, Gutes zu tun, beachten sie dies nicht. <strong>Die</strong> Notwendigkeit eines<br />

Meisters spüren sie nicht. Auch sehen sie nicht ein, daß man sich Gott zuwenden<br />

sollte.<br />

Das Karma wird von Kal, dem Herrn des Todes, verwaltet, ebenso die drei Welten:<br />

die irdische, die astrale und die kausale Welt. Im Auftrag des Höchsten Herrn, <strong>der</strong><br />

ihn erschaffen hat, verwaltet Kal die drei unteren Regionen. Unparteiisch läßt er<br />

Gerechtigkeit (Karma) walten. In Übereinstimmung mit den Anweisungen des<br />

Höchsten for<strong>der</strong>t Kal von allen Lebewesen nach ihrem Tode Rechenschaft über ihre<br />

guten und schlechten Taten, und dementsprechend werden sie dann behandelt. <strong>Die</strong><br />

Hölle ist für die Sün<strong>der</strong> vorgesehen und <strong>der</strong> Himmel für jene, die Gutes getan haben.<br />

Ist <strong>der</strong> Aufenthalt in diesen Regionen vorüber, kehrt man erneut ins ewige Rad von<br />

Geburt und Tod zurück.<br />

Kal hat die Macht über Raum und Zeit; zwei wesentliche Faktoren, die unsere<br />

Schöpfung bestimmen. Der Raum dient <strong>der</strong> Ausbreitung <strong>der</strong> Schöpfung, und die Zeit<br />

sorgt für ständigen Wandel.<br />

"Gott zwingt Seine Geschöpfe auf festgelegte Karma-Pfade, auf die sie keinen<br />

Einfluß haben und denen sie sich nicht entziehen können. Was vorherbestimmt<br />

ist, muß geschehen."<br />

Bestimmten Leuten müssen wir begegnen, von an<strong>der</strong>en müssen wir uns trennen.<br />

Jede Begegnung und Trennung entspricht dem Karma-Gesetz, das allem Handeln<br />

in dieser Welt zugrunde liegt."<br />

Adi Granth<br />

Kal führt die Anweisungen des weit über ihm stehenden Wahren Wesens (Sat<br />

Purush) aus und ist nicht <strong>der</strong> Schöpfer <strong>der</strong> Seele. Er kann eine Seele we<strong>der</strong><br />

erschaffen noch zerstören. Nur über den Körper verfügt er, und je nach individuellem<br />

Karma teilt er den Körper zu und nimmt ihn wie<strong>der</strong>, wenn die zugewiesene<br />

Lebensspanne zu Ende ist. Über die Seelen hat Kal keine Macht, denn sie sind die<br />

Kin<strong>der</strong> Sat Purushas, und sie sind unsterblich.<br />

Lebensarten unterhalb des Menschen haben keine Freiheit zu handeln. Nur <strong>der</strong><br />

Mensch hat die durch das Schicksalskarma bedingte Handlungsfreiheit und kann sie<br />

sich bis zu einem gewissen Grad zunutze machen.<br />

Nur durch beson<strong>der</strong>s großes Glück wird man als Mensch geboren. Wir sollten in<br />

diesem Dasein dem spirituellen Pfad und <strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong> Heiligen folgen. Als Mensch<br />

wird man nur selten geboren, und wenn wir diese Gelegenheit nicht nutzen, werden<br />

wir es später sehr bereuen.<br />

"<strong>Die</strong> Leitersprosse, die <strong>der</strong> Hand entgleitet, bleibt unerreichbar,<br />

ja verloren – genauso vergeudet <strong>der</strong> Mensch sein Dasein."<br />

Adi Granth


Das Menschenleben ist die Krönung <strong>der</strong> Schöpfung. Nur durch selten großes Glück<br />

wird es uns zuteil. Es gewährt uns die Gelegenheit, dem Herrn zu begegnen. Guru<br />

Arjan sagt im Adi Granth:<br />

"Viele Leben war ich Motte o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>es Insekt,<br />

Viele Leben Elefant, Fisch o<strong>der</strong> Reh,<br />

Viele Leben war ich Schlange o<strong>der</strong> Vogel,<br />

Viele Leben war ich Gras und Baum.<br />

Nun ist Gelegenheit, dem Herrn zu begegnen -<br />

<strong>Die</strong>ser wun<strong>der</strong>bare Körper wurde mir nach unendlich langer Zeit gewährt."<br />

Aber <strong>der</strong> Mensch ist mit Leib und Seele an diese Welt gefesselt. Er denkt nicht an<br />

die an<strong>der</strong>e Bleibe, wo er einst hingehen und leben wird.<br />

"Dem Ort, den er verlassen muß, ist er verhaftet;<br />

Der Ort, zu dem er gehen muß, um dort für immer zu leben,<br />

kümmert ihn nicht."<br />

Adi Granth<br />

Es ist daher unerläßlich, daß <strong>der</strong> Mensch sich auf das Jenseits vorbereitet, bevor er<br />

diese Welt verläßt.<br />

"Eine Reise in ein fremdes Land steht allen bevor,<br />

Hab’ acht, o Unwissen<strong>der</strong>, denn nahe ist <strong>der</strong> Tod."<br />

Aber die Frage erhebt sich: Wie soll man sich vorbereiten? Durch Satsangbesuch<br />

und indem man sich die Lehre ganz zu eigen macht, kann man sich von einem Teil<br />

des Karmas befreien. Aber die Fesseln unseres Karmas - das Ergebnis unserer Taten<br />

- sind sehr stark.<br />

Es gibt Menschen, denen es aufgrund ihres Schicksalskarmas nicht bestimmt ist, in<br />

diesem Leben einem Meister zu begegnen. Es würde ihnen auch gar nichts daran<br />

liegen, selbst wenn ein Meister in ihrer Mitte wäre. <strong>Die</strong>se Haltung und ihr<br />

Schicksalskarma bewirken, daß sie in vielfältigen Lebensformen im Kreislauf von<br />

Geburt und Tod weiter wan<strong>der</strong>n.<br />

Es steht nicht in unserer Macht, unser Schicksal zu än<strong>der</strong>n. Was uns bestimmt<br />

wurde, muß eintreffen. Erst wenn es unser Schicksal vorsieht, werden wir einem<br />

Meister begegnen und an den Herrn denken. Wer sich von den Weisungen des<br />

Verstandes leiten läßt, bei dem werden die Gedanken an die Welt und ihre Objekte<br />

vorherrschen, wer aber dem Gebot eines Meisters folgt, <strong>der</strong> wird von <strong>der</strong> Neigung<br />

zur Gotterkenntnis geprägt.<br />

"Erst wenn es vorherbestimmt ist, finden wir zu einem Meister, erkennen wir ihn<br />

als Meister und ergeben uns ganz seinem Willen. Erst dann verbindet er unsere<br />

Seele mit dem Klangstrom."<br />

Adi Granth<br />

Der Ozean unseres Karmas ist unergründlich. Es ist fast unmöglich, das<br />

angesammelte Karma zu tilgen. Begegnen wir jedoch einem wahren Meister, dann<br />

löscht er unsere gesamten Karma-Konten, indem er uns die Gesinnung einprägt,<br />

ohne jeden Gedanken an Belohnung handeln zu wollen. Wenn wir unsere spirituellen


Übungen gemäß den Anweisungen des Meisters verrichten und uns ihm ganz<br />

übergeben, begegnen wir unserem Schicksal heiter und gelassen und schaffen kein<br />

neues Karma, das in einem zukünftigen Leben zu begleichen wäre. Das<br />

angesammelte Karma wird nach und nach vernichtet, wenn wir dem Tonstrom lauschen.<br />

Zuweilen hilft uns <strong>der</strong> Meister, die Last unseres Schicksalskarmas zu ertragen,<br />

so daß ein tödlicher Dolchstoß zu einem Nadelstich wird und wir unser Karma ohne<br />

viel Schmerz o<strong>der</strong> Seelenqual bewältigen.<br />

Durch die Gnade des Meisters wird schließlich unser gesamtes Karma getilgt.<br />

Endlich sind wir von <strong>der</strong> Last unseres Karmas befreit und erlangen Erlösung, wenn<br />

wir den Ozean des Lebens hinter uns lassen. Von den Folgen unseres Tuns und<br />

Lassens befreien wir uns erst dann, wenn wir während unseres Lebens in dieser Welt<br />

wunschlos handeln.<br />

Unser Verstand und unser Körper sind von Natur aus aktiv. Solange wir unsere<br />

Gedanken noch nicht beherrschen können, ist es schwierig, wenn nicht sogar<br />

unmöglich, kein Karma zu schaffen. Der Verstand ist rastlos, und es ist unmöglich,<br />

ihn auch nur für eine Sekunde zur Ruhe zu bringen. Daraus ist zu schließen, daß<br />

niemand geistig o<strong>der</strong> körperlich untätig sein kann. Legt man aber all seine Taten<br />

seinem Meister zu Füßen, dann wird jegliches Tun und Lassen nicht bestraft, und<br />

man wird ganz bestimmt vom Kreislauf <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten befreit.<br />

In <strong>der</strong> Todesstunde erscheint dem Schüler eines wahren Meisters nicht Kal, <strong>der</strong><br />

Herr des Todes, um ihn wegzuführen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> wahre Meister selbst kommt und<br />

nimmt die Seele mit sich. Kal nähert sich keinem Ergebenen des Meisters.<br />

"<strong>Die</strong>ses Ego ist eine chronische Krankheit,<br />

<strong>Die</strong> aber leicht von selber heilt,<br />

Wenn die göttliche Gnade es berührt.<br />

Mit dem WORT des Guru steigt die Seele auf<br />

Und wird so vom Ich befreit."<br />

Adi Granth<br />

Kapitel 4<br />

DIE NOTWENDIGKEIT FÜR SPIRITUALITÄT<br />

<strong>Die</strong> ganze Menschheit lebt in Sorgen und Ängsten und ist unter ständiger<br />

Anspannung. Nur erhabene Seelen wie die Heiligen o<strong>der</strong> Meister sind davon ausgenommen.<br />

<strong>Die</strong>s ist ein Zeichen für den spirituellen Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> Menschheit. Der<br />

Grund für dieses Chaos ist das aus den Fugen geratene, unruhige Dasein <strong>der</strong><br />

Menschen, die zwar in je<strong>der</strong> Hinsicht Fortschritte gemacht haben, aber im Hinblick<br />

auf die Spiritualität unwissend geblieben sind. Berge, Flüsse und Meere hat <strong>der</strong><br />

Mensch erforscht, nur sich selber nicht. Welchen Zweck haben sämtliche<br />

Wissenschaften, wenn sie sich nicht die Selbsterkenntnis des Menschen zum Ziele<br />

setzen?<br />

"Der Zweck allen Wissens ist <strong>der</strong> und <strong>der</strong> allein: Am Tag des Jüngsten Gerichts<br />

sollst du wissen, was du bist. Du magst den Wert aller Dinge kennen, kennst du<br />

dich selber aber nicht, dann bist du unwissend."


Wir sind in an<strong>der</strong>en Wissenschaften erfahren, aber über unsere eigene Seele<br />

wissen wir nichts. <strong>Die</strong> Seele aber ist <strong>der</strong> Quell, <strong>der</strong> Geist und Verstand belebt und aus<br />

dem wir die Kraft zu wissenschaftlichen Erkenntnissen schöpfen. Der Mensch ist<br />

unwissend, da er seinen eigenen Wert nicht kennt. Selbst wenn er Macht über die<br />

ganze Welt besäße, aber seine eigene Seele nicht kennen würde, so wäre sein<br />

ganzes Leben sinnlos.<br />

"Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt<br />

gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele."<br />

Matth. 16,26<br />

Für den Durchschnittsmenschen sind religiöse Bräuche wichtiger als Gott, und<br />

jemand, <strong>der</strong> an frühere Meister o<strong>der</strong> an <strong>der</strong>en religiöse Schriften glaubt, wird als<br />

religiöser Mensch angesehen. <strong>Die</strong>se Engstirnigkeit gleicht einem Parasiten, <strong>der</strong> von<br />

<strong>der</strong> Religion lebt und ihr das Blut so lange aussaugt, bis <strong>der</strong> wahre Inhalt<br />

verschwunden ist und nur noch das Äußere übrigbleibt. In den so geschaffenen<br />

Mauern ist <strong>der</strong> religiöse Wahn so extrem wie die Raserei eines bösartigen Elefanten.<br />

So erhebt sich diese Haltung selbst zum Wächter und zum Bevollmächtigten <strong>der</strong><br />

Religion, und die wahre Religion wird durch Äußerlichkeiten und Brauchtum ersetzt.<br />

Man predigt das Vorrecht des Menschen aufgrund seiner Herkunft und kehrt <strong>der</strong><br />

Wahrheit <strong>der</strong> Religion den Rücken. Von äußerem Schein angezogen, sieht man in<br />

den Riten und Ritualen den Hauptzweck. Alles an<strong>der</strong>e hält man für Unwissenheit.<br />

So wird die Religion, die <strong>der</strong> menschlichen Seele zum Fortschritt verhelfen sollte,<br />

zu ihrem Gefängnis. Es wird als Sünde angesehen, sich mit irgend etwas an<strong>der</strong>em als<br />

<strong>der</strong> vorgeschriebenen Glaubensrichtung zu befassen. Man verehrt die eigenen<br />

vergangenen Mahatmas (erhabene Seelen) und die religiösen Bücher, aber alles<br />

an<strong>der</strong>e wird gehaßt.<br />

Der Sinn menschlichen Lebens ist es, mit dem Herrn eins zu werden, indem man<br />

ständig an Ihn denkt und in Gedanken an Ihn glücklich ist und indem man Ihn und<br />

Seine Schöpfung liebt. Weil aber <strong>der</strong> Mensch sich von Gott abgewandt hat, fehlt es<br />

ihm an Liebe, und er ist zum Feind seinesgleichen geworden. Anstatt zum Verehrer<br />

o<strong>der</strong> Liebenden Gottes zu werden, wird <strong>der</strong> Mensch zum Beschützer von Irrglauben<br />

und verhält sich nur allzu weltlich. Was ist das weltliche Leben an<strong>der</strong>es als ein<br />

Abwenden von Gott, um Aufmerksamkeit und Liebe auf jemand an<strong>der</strong>en zu richten?<br />

"Drum wisset, was weltliche Gesinnung ist:<br />

<strong>Die</strong> Verbindung zu Gott abbrechen, jeden<br />

Gedanken zulassen außer dem von Liebe für Ihn<br />

und allem zuhören, nur nicht den Lobpreisungen Gottes."<br />

Maulana Rumi<br />

<strong>Die</strong> ganze Menschheit sucht Glück und Frieden. Körperliches Wohlbehagen o<strong>der</strong><br />

Vergnügen sind kurzlebig und wechseln ständig. Sinnesvergnügen werden dadurch<br />

hervorgerufen, daß sich unsere Gedanken auf die Objekte konzentrieren, die das<br />

Vergnügen auslösen. <strong>Die</strong> Sinnesfreuden gleichen einem Hund, <strong>der</strong> an einem Knochen<br />

nagt. Ihm blutet das Maul, und in dem Glauben, <strong>der</strong> Genuß ginge vom Knochen aus,<br />

ist es doch nur das eigene Blut, das diesen Eindruck erweckt.<br />

Wir finden keinen Frieden, weil wir nicht mit unserem spirituellen Ursprung<br />

verbunden sind. <strong>Die</strong>se innere Ruhelosigkeit prägt unser Dasein und infolgedessen -


obwohl wir alle Kin<strong>der</strong> Gottes sind - haben wir Ihn, unseren Vater, vergessen und<br />

auch, daß wir alle Geschwister sind und wie wir als solche in gutem Einvernehmen<br />

miteinan<strong>der</strong> leben können. Das führt zu Konflikten zwischen Brü<strong>der</strong>n, zwischen<br />

Interessengemeinschaften, Kulturkreisen, zwischen Völkern und Län<strong>der</strong>n. Einer<br />

dürstet nach dem Blut des an<strong>der</strong>en. Religiöse Lehren, die auf Äußerlichkeiten und Ermahnungen<br />

beruhen, rufen keine gegenseitige Liebe hervor.<br />

Einige leben nach dem Motto <strong>der</strong> westlichen Welt: "Iß, trink und sei fröhlich". Man<br />

behauptet, es bestehe kein Bedürfnis für Gott. Alle sind auf die Schale <strong>der</strong> Walnuß<br />

aus und versuchen, diese zu verdauen, was aber unmöglich ist. Niemand achtet auf<br />

den Kern, zu dessem Schutz die Schale da ist. <strong>Die</strong>se Verblendung, diese<br />

Selbsttäuschung läßt uns Gott vergessen, und wir entfernen uns immer mehr von <strong>der</strong><br />

Realität.<br />

Alle Religionen verkünden dem Menschen die gleichen ethischen und spirituellen<br />

Wahrheiten. In erster Linie lehren sie, daß <strong>der</strong> Mensch gut sein soll, an Gott glauben<br />

und mit Ihm eins werden soll. Aber die Religionen heutzutage for<strong>der</strong>n dazu auf,<br />

Heilige vergangener Zeiten wie Christus, Buddha, Krishna, Rama, Kabir, Guru Nanak<br />

usw. zu verehren. Wie aber diese Heiligen geistige Größe errangen und wie wir sie<br />

erreichen, das sagen sie uns nicht. Sie heben hervor, daß wir an diese o<strong>der</strong> jene<br />

Religionsschrift glauben sollen, zeigen uns aber nicht, wie wir die darin geschil<strong>der</strong>ten<br />

Erfahrungen selber machen können. Sie sagen uns, wie wir den Ozean des Daseins<br />

überqueren können und wie das Schiff, das wir dazu besteigen müssen, aussieht, auf<br />

das Schiff aber führen sie uns nicht. Sie haben we<strong>der</strong> etwas, womit sie den Ozean<br />

des Daseins überqueren können, noch kennen sie die Reise und wissen auch nicht,<br />

wie man die aufgebrachten Wellen und tobenden Stürme des Ozeans bezwingen<br />

kann.<br />

In dieser Situation, in <strong>der</strong> sich die Menschheit befindet, verweisen die Heiligen auf<br />

die Wirklichkeit und einen einfachen Weg, <strong>der</strong> - in jedem Menschen vorhanden -<br />

dahin führt. <strong>Die</strong>ser Pfad, so lehren sie, besteht schon seit Anbeginn <strong>der</strong> Schöpfung.<br />

Er wurde von Gott geschaffen und nicht vom Menschen. <strong>Die</strong> Heiligen lehren weiter,<br />

daß Gott existiert und daß alle Religionen eine Verbindung mit Ihm suchen. Der Weg,<br />

<strong>der</strong> zur Verbindung mit Gott führt, ist die Religion. Das Wort "Religion" stammt von<br />

dem lateinischen "religare", was "binden" o<strong>der</strong> "vereinen" bedeutet. In dem<br />

Ursprung ist <strong>der</strong> wahre Sinn des Wortes enthalten. Religion bedeutet<br />

"Wie<strong>der</strong>vereinigung mit Gott". Der spirituelle Pfad ist für alle gleich. Wer an Gott<br />

denkt und sich im Innern mit Ihm verbindet, ist Sein Ergebener, sei er Hindu, Sikh,<br />

Moslem o<strong>der</strong> Christ.<br />

Gott erschuf den Menschen, erst später wurde er Sikh, Moslem, Christ, Buddhist<br />

usw. Vor 500 Jahren gab es noch keine Sikhs, vor 1300 Jahren keine Moslems, vor<br />

2000 Jahren keine Christen und vor 3000 Jahren noch keine Buddhisten. Und als die<br />

Arier den Hinduismus gründeten, existierten viele Völker bereits. Mensch bleibt<br />

Mensch - ob im Osten o<strong>der</strong> Westen. Und alle Menschen sind eins, weil sie eine Seele<br />

haben und diese ein Teil des Herrn ist.<br />

<strong>Die</strong> Heiligen lehren uns, daß Gott im Tempel des menschlichen Körpers zu finden<br />

ist. <strong>Die</strong> Seele und auch Gott sind im Menschen lebendig; es trennt sie aber <strong>der</strong><br />

Vorhang des Egoismus, weswegen die Seele Gott nicht erkennen kann.<br />

"Beide leben im selben Haus und zur selben Zeit - sehen einan<strong>der</strong> aber nicht."<br />

Adi Granth<br />

Um mit Gott vereint zu werden, braucht man keiner bestimmten Religion


anzugehören und muß auch we<strong>der</strong> seine Konfession noch seine gesellschaftliche<br />

Stellung aufgeben. Ganz unabhängig davon kann je<strong>der</strong> Gott inwendig begegnen.<br />

Es ist erfor<strong>der</strong>lich, daß Spiritualität wie<strong>der</strong> gelehrt wird, damit die Menschheit aus<br />

dieser Entwürdigung herausfindet. Dem geistig-spirituellen Leben muß wie<strong>der</strong> mehr<br />

Bedeutung eingeräumt werden, damit die Menschen vom Unheil des Egoismus<br />

befreit und ihre Leiden erträglicher werden.<br />

Solange <strong>der</strong> Mensch nicht bewußt nach innen geht und mit dem Herrn eins und<br />

wie Er wird, werden all seine Bemühungen vergeblich sein.<br />

Der Herr ist ein Ozean grenzenloser, uneingeschränkter und alles durchdringen<strong>der</strong><br />

Harmonie. Solange wir innerlich nicht völlig ruhig geworden sind, kann auch die<br />

Seele die Harmonie o<strong>der</strong> Stille nicht kosten, aus <strong>der</strong> die Stimme <strong>der</strong> Stille, <strong>der</strong> Shabd,<br />

hervorgeht. Wenn aber die Seele diese Stimme <strong>der</strong> Stille erlebt, geht sie in ihr auf.<br />

Das ist die Wirklichkeit <strong>der</strong> Stille. Unser Verstand kann aber nicht begreifen, was<br />

ewig und unsterblich ist. Das kann nur die Seele erfahren, wenn wir nach innen<br />

gegangen sind. Gott können wir uns nicht vorstellen, Er ist dem menschlichen<br />

Verstand und Intellekt nicht zugänglich.<br />

"Gedanken bringen uns einer Vorstellung von Ihm nicht näher,<br />

selbst wenn wir es Hun<strong>der</strong>te o<strong>der</strong> Tausende von Malen versuchen."<br />

Adi Granth<br />

Nur jenes Wissen ist segensreich und wirklich lobenswert, das Gott begreifen und<br />

Ihn lobpreisen will. Alles an<strong>der</strong>e Wissen gereicht uns zur Schande, wenn es nur unser<br />

Selbstwertgefühl steigert, was uns völlig von <strong>der</strong> Wahrheit wegführt. Zurück bleibt<br />

nur <strong>der</strong> Stolz auf unser Wissen.<br />

Durch Hingabe und Liebe können wir Ihn erkennen, nicht aber durch<br />

Gedankenspiele. Zur Gotterkenntnis müssen wir die Regionen reinen Bewußtseins in<br />

unserem Innern erreichen. Ein spirituelles Leben ist <strong>der</strong> Vereinigung mit Gott<br />

geweiht, es begnügt sich nicht damit, nur über Ihn nachzudenken.<br />

Kapitel 5<br />

DIE NOTWENDIGKEIT EINES LEBENDEN MEISTERS<br />

Gott als gestaltloses Wesen durchdringt alles. Aber erst dann, wenn wir direkt mit<br />

Ihm verbunden sind, werden wir durch Ihn an Tugenden gewinnen. Elektrizität ist<br />

überall vorhanden, aber sie spendet uns kein Licht und nützt uns nichts, wenn wir<br />

nicht wissen, wo <strong>der</strong> Schalter ist. Selbst das zu wissen, wäre nutzlos, wenn in dem<br />

Schaltkreis keine Glühbirne vorhanden ist. Ist <strong>der</strong> Schaltkreis aber geschlossen, kann<br />

die Elektrizität genutzt werden. Sie erhellt das Dunkel unserer Häuser, mil<strong>der</strong>t die<br />

Sommerhitze, kocht unsere Speisen und läßt die Fabriken arbeiten. Gleichermaßen<br />

wird es sich als segensreich erweisen, wenn wir mit dem Herrn verbunden sind.


Der Meister ist Gott<br />

Der vollkommene Meister ist <strong>der</strong> Herr in Menschengestalt. Er ist <strong>der</strong> personifizierte<br />

Shabd, das "fleischgewordene WORT". Wenn wir den Meister in seiner menschlichen<br />

Gestalt nicht kennen, wie wollen wir dann seine subtile Form, den Shabd, erkennen?<br />

Der Shabd und <strong>der</strong> vollkommene Meister bringen unsere Seele in ihre ursprüngliche<br />

Heimat zurück. Niemand außer dem Meister kann die Geheimnisse <strong>der</strong> Wahrheit<br />

offenbaren, und nur durch ihn werden wir von <strong>der</strong> Knechtschaft des Ich und von<br />

Maya befreit. Nur durch den Shabd kann man dem Herrn begegnen, und nur <strong>der</strong><br />

Meister kann die Seele mit dem Shabd verbinden. Allein diesem Ziel dienen die Meister<br />

in dieser Welt.<br />

Dem Menschen wurde - gegenüber allen an<strong>der</strong>en Geschöpfen <strong>der</strong> Erde - das<br />

Geschenk <strong>der</strong> Intelligenz und des Unterscheidungsvermögens in weit höherem Maße<br />

zuteil. Alle an<strong>der</strong>en Geschöpfe sind daher unserer Anbetung nicht würdig, vielmehr<br />

würde uns Hingabe an sie hinabziehen.<br />

<strong>Die</strong> Beziehung zwischen Lebewesen gleicher Art setzt in dieser Welt starke Kräfte<br />

<strong>der</strong> Zuneigung und Liebe frei. Da wir <strong>der</strong> physischen Ebene angehören, können wir<br />

nur jemanden auf dieser Ebene lieben. Wir sind Menschen und sollten deshalb nur<br />

Menschen unsere Liebe schenken. Wir haben Gott nicht gesehen; wie können wir<br />

Ihm also Liebe entgegenbringen? Wollen wir Gott lieben, so müssen wir Ihn in Seiner<br />

menschlichen Erscheinungsform lieben, und diese ist <strong>der</strong> Meister.<br />

Wenn sich nun die Frage erhebt: "Wie kommt ein Mensch dazu, einen an<strong>der</strong>en<br />

Menschen zu verehren?", so lautet die Antwort: "Ein Mensch ist nicht wie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e.<br />

Ein Meister hat die Gestalt eines Menschen, ist aber kein gewöhnlicher Mensch, denn<br />

sein Bewußtsein hat innerlich ständige Verbindung mit Gott."<br />

Unserem begrenzten Verstand mag <strong>der</strong> Meister nicht allgegenwärtig erscheinen.<br />

Tatsächlich aber ist er es. Er ist <strong>der</strong> Weg zur Gotterkenntnis. Durch ihn gelangen wir<br />

von <strong>der</strong> physischen Ebene zur astralen, von <strong>der</strong> astralen zur kausalen und sogar<br />

darüber hinaus, Stufe um Stufe, bis zur höchsten Unbegrenzten Macht - wenn wir<br />

seinen Instruktionen und Ausführungen folgen.<br />

Wenn jemand behauptet, daß er die allgegenwärtige Form Gottes anbetet und sie<br />

innerlich betrachtet, dann läßt sich daraus schließen, daß er bestenfalls über die<br />

Form eines luftleeren Raumes o<strong>der</strong> des Äthers nachdenkt. Zudem ist dieser luftleere<br />

Raum nicht sichtbar und erweckt in uns nicht die Ströme <strong>der</strong> Spiritualität.<br />

Der Meister hat zwei Erscheinungsformen. Äußerlich ist er Mensch, im Innern aber<br />

ist er Gott. Nach außen hin ist er <strong>der</strong> Körper eines Menschen, nach innen jedoch Gott<br />

in Menschengestalt - Gott und Mensch in einem. Er steht einerseits mit den<br />

Menschen und an<strong>der</strong>erseits mit Gott in Verbindung. So wirkt er also auf zwei<br />

Ebenen: einmal als Mensch und einmal als Gott. Seine wahre Form ist <strong>der</strong> Shabd.<br />

Der Shabd ruft den physischen Körper ins Leben und wohnt in ihm. "Und das WORT<br />

ward Fleisch und wohnte unter uns." Der Meister ist <strong>der</strong> Mittler, durch den <strong>der</strong><br />

Mensch mit Gott verbunden wird. Gott, <strong>der</strong> Shabd und <strong>der</strong> Meister sind drei<br />

Erscheinungsformen des einen Höchsten Herrn. Bringen wir dem Meister - <strong>der</strong><br />

Verkörperung des Shabd - Hingabe entgegen, dann treten wir im Innern in direkte<br />

Verbindung mit Gott. Hingabe an den Meister ist also wahre Hingabe an den Herrn.<br />

Beim Studium <strong>der</strong> Geschichte des alten Indiens wird deutlich, daß die Meister in<br />

früheren Zeitaltern ihr Wissen weitab von menschlichen Wohnstätten vermittelt<br />

haben und die Schüler durch ihren <strong>Die</strong>nst am Meister vollkommen, d.h. körperlich,<br />

geistig und seelisch, in Anspruch genommen wurden. Später wurde diese<br />

Lehrmethode allmählich immer seltener, und statt dessen nahm <strong>der</strong> Götzendienst zu.


Heutzutage trifft man - bis auf seltene Ausnahmen - diesen <strong>Die</strong>nst am Meister nicht<br />

mehr an. Heute sendet Gott, <strong>der</strong> Allmächtige, in Seiner grenzenlosen Gnade Seine<br />

eigenen Inkarnationen in die Welt, um die Lehre vom <strong>Die</strong>nst des Schülers am Meister<br />

zu verbreiten. Und diese Tradition <strong>der</strong> Meister-Schüler-Verbindung setzt sich weiter<br />

fort.<br />

Der vollkommene Meister o<strong>der</strong> Sat Guru, <strong>der</strong> über inneren Weitblick verfügt,<br />

erkennt sofort, wer für den Pfad geeignet ist. Wer bereit ist, wird angenommen. In<br />

Seiner Gnade wählt er sie aus und macht sie zu Anhängern <strong>der</strong> Wahrheit.<br />

"Wenn <strong>der</strong> Schüler bereit ist, erscheint <strong>der</strong> Meister."<br />

Wenn die Seele auf <strong>der</strong> Suche nach dem Herrn müde wird und nur noch<br />

heimkehren möchte, wenn wir uns nach dem Anblick des Herrn sehnen und ein tiefes<br />

Verlangen nach Ihm haben, dann erscheint Gott in Gestalt eines vollkommenen<br />

Meisters o<strong>der</strong> Sat Gurus, um unsere brennende Sehnsucht zu stillen. Er kommt selber<br />

als Erlöser, um die Suchenden von ihren Fesseln zu befreien. Er gibt ihnen<br />

entsprechend ihrem Fortschritt Anweisungen und verbindet sie mit dem Herrn. Nur<br />

ein leben<strong>der</strong> Meister weiht in die Geheimnisse <strong>der</strong> Spiritualität ein, die praktische<br />

Methode, nach <strong>der</strong> die Seele mit dem Herrn verbunden werden kann. <strong>Die</strong>ses Wissen<br />

wird ohne Worte vermittelt, es läßt sich nicht in Worte fassen. Religiöse Bücher<br />

weisen nur hier und da auf den Aufstieg in die spirituellen Regionen hin. Was die<br />

Seele mit Hilfe des Meisters in den subtilen Regionen erfährt, läßt sich nicht<br />

erschöpfend beschreiben. Bücher sind leblos und können <strong>der</strong> Seele bei ihrem<br />

Aufstieg nicht helfen. In den Schriften <strong>der</strong> Heiligen werden innere Erlebnisse<br />

erwähnt; die Glückseligkeit dieser Erlebnisse aber kann man nur erfahren, wenn man<br />

innere Fortschritte gemacht hat. Nur durch den Meister kann dies erreicht werden.<br />

Intelligenz und Verstand bewirken nichts. Heilige Schriften und Bücher geben nur<br />

unvollkommene Beschreibungen wie<strong>der</strong>, die Glückseligkeit <strong>der</strong> inneren Erlebnisse<br />

aber wird uns ausschließlich durch einen lebenden Meister zugänglich.<br />

Ein spiritueller Führer ist notwendig<br />

Der Pfad <strong>der</strong> Spiritualität ist schwierig, man kann ihn nur in Begleitung eines<br />

Meisters gehen.<br />

<strong>Die</strong> Seele hat drei Umhüllungen: den grobstofflichen, den subtilen und den<br />

kausalen Körper. <strong>Die</strong> subtile und die kausale Region kann man ohne die Hilfe eines<br />

Meisters erreichen. <strong>Die</strong> ursprüngliche Heimat <strong>der</strong> Seele aber liegt jenseits dieser drei<br />

Regionen in <strong>der</strong> vierten Region. In <strong>der</strong> grobstofflichen Region gibt es viele Fallen und<br />

Hin<strong>der</strong>nisse. In <strong>der</strong> subtilen Region sind zahlreiche irreführende und ablenkende<br />

Dinge, denen man nur schwerlich entgehen kann. In die anschließende Region<br />

reinen Bewußtseins kann man ohne Hilfe nicht eintreten. Wer diesem Pfad folgt, geht<br />

auf des Messers Schneide. Bei jedem Schritt droht Gefahr. Wer die Wahrheit<br />

erkennen, wahres Wissen erlangen und dem Herrn begegnen möchte, <strong>der</strong> suche<br />

einen vollkommenen Meister, <strong>der</strong> den Weg kennt. In <strong>der</strong> Katha Upanischad heißt es:<br />

"Erwache, stehe auf und lerne unverzüglich das wahre Wissen. Suche einen<br />

Meister, <strong>der</strong> das Wissen des Jenseits hat, denn die erhabenen Seelen sagen, daß<br />

<strong>der</strong> Pfad schmäler als die Schneide eines Schwertes und sehr schwer zu gehen<br />

ist."


Gotterkenntnis ist ohne den Meister nicht möglich. Der Schüler braucht seine Hilfe<br />

auf Schritt und Tritt. Maulana Rumi sagt:<br />

"Suche einen Meister, denn <strong>der</strong> Pfad ist ohne ihn ein großes Wagnis und voller<br />

Gefahren. Beschreitest du ihn ohne Meister, so führt Satan dich auf Irrwege und<br />

stößt dich in den Abgrund. Hast du die schützende Hand des Meisters nicht über<br />

dir, dann wird dich die Stimme Satans quälen und verführen. Viele Weise folgten<br />

diesem Pfad, aber sie wurden von <strong>der</strong> negativen Macht (Kal) irregeführt. In uns<br />

ertönen Klänge von Kal, die Imitationen <strong>der</strong> göttlichen Klänge sind; sie führen<br />

dich ins Ver<strong>der</strong>ben."<br />

"Folge dem Meister, denn ohne ihn ist die Reise voller Leid, Wagnis und Gefahren.<br />

Wer diesen Weg ohne Meister ging, wurde von den Bösen verführt und in eine<br />

Grube geworfen.<br />

O Narr, wenn du keinen Meister hast, wird die Stimme des Bösen dich verwirren;<br />

<strong>Die</strong> Bösen werden dich irreführen, dir Leid zufügen.<br />

So mancher, weiser als du, hat diesen Pfad versucht.<br />

<strong>Die</strong> Stimme des Bösen spricht wie die eines Freundes;<br />

Wahrlich ein Freund, <strong>der</strong> dich nur in die Verdammnis führt."<br />

Ohne Meister ist all unser Tun und Lassen sowie die Beachtung religiöser Bräuche<br />

vergebens; ohne ihn ist jegliche Anbetung nutzlos. Erst wenn das innere Auge<br />

geöffnet ist und man die Wirklichkeit erkennt, kann man befreit werden. Deshalb<br />

muß man bei einem Meister Zuflucht suchen, <strong>der</strong> uns von äußerlichen Bräuchen<br />

befreien, uns den Umgang mit Naam im Innern zugänglich machen und unsere Seele<br />

aus dem nie<strong>der</strong>en Universum in ihre ursprüngliche Heimat führen kann.<br />

"Ohne Meister herrscht tiefste Dunkelheit.<br />

Ohne Meister gibt es kein Verstehen.<br />

Ohne Meister bleibt die Seele unerkannt.<br />

Ohne Meister gibt es keine Befreiung.<br />

Suche einen Meister, versenke dich in die Wahrheit.<br />

Hast du einen Meister gefunden,<br />

Wird <strong>der</strong> Shabd dich von allem Leid befreien.<br />

Laß den Meister in deinen Augen wohnen.<br />

Habe ihn stets auf <strong>der</strong> Zunge.<br />

Preise den Meister ohne Unterlaß.<br />

Sie, die den Meister noch nicht sahen,<br />

Sie haben nichts getan.<br />

Sie haben ihr Leben verfehlt."<br />

Adi Granth<br />

Wer versucht, den Pfad alleine zu gehen, wird in die Irre geführt und muß seinen<br />

Fehler bereuen. An <strong>der</strong> Seite des Meisters aber kann man die Wohnstätte des Herrn<br />

leicht erreichen. Läge die Rückkehr in unserer Macht, dann würden wir die Trennung<br />

von Ihm sofort beenden.


"Nur die Gnade des Meisters kann das Ego vernichten;<br />

Halte fest am Gewand des Erlösers.<br />

Schlafe unter seinem Schutz;<br />

Dann wird er dich vielleicht befreien.<br />

Rufe wie <strong>der</strong> Kuckuck Tag und Nacht.<br />

Erbitte vom Meister das Geheimnis des verborgenen Schatzes;<br />

Geh' von Tür zu Tür, von Straße zu Straße;<br />

Suche ihn ohne Unterlaß. Laß nicht ab vom Heiligen,<br />

Und überlasse alles an<strong>der</strong>e Gott."<br />

Maulana Rumi<br />

Sehen zu können, ist eine große Gnade. Ein Blin<strong>der</strong> wan<strong>der</strong>t in Dunkelheit umher,<br />

er kann nicht sehen und sehnt sich danach, sehen zu können. Wird ihm durch eine<br />

Operation das Augenlicht wie<strong>der</strong>gegeben, ist er dem Arzt sehr dankbar.<br />

Millionenmal wertvoller ist das innere Auge, ohne das wir nicht über die Welt<br />

hinausblicken und Gott erkennen können. Ohne Ihn folgt eine Geburt nach <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en. Der Meister öffnet das innere Auge, das Zentrum des Wissens. Das innere<br />

Sehen ist äußerst wichtig; solange wir aber Maya erlegen sind, wird es uns lei<strong>der</strong><br />

nicht zuteil.<br />

"Blind sind nicht jene, die kein Augenlicht haben.<br />

O Nanak, blind ist, wer vom Herrn getrennt ist."<br />

Adi Granth<br />

Wenn wir eine Reise planen, ziehen wir verschiedene Nachschlagewerke zu Rate.<br />

Hören wir aber von jemandem, <strong>der</strong> unser Reiseziel bereits besucht hat, dann<br />

beschränken wir uns nicht nur auf die Unterlagen, son<strong>der</strong>n befragen den, <strong>der</strong> bereits<br />

alles gesehen hat, sich also auskennt. Teilt er uns mit, daß er wie<strong>der</strong> dorthin reisen<br />

wird und bereit ist, uns mitzunehmen, werden wir uns ihm gerne anschließen. Nun<br />

können wir seine Beschreibungen teilweise durch die Nachschlagewerke überprüfen.<br />

Stellen wir von verschiedenen Seiten her eine Übereinstimmung fest, sind wir es um<br />

so zufriedener. Mit ihrer Seele steigen die Heiligen in die spirituellen Universen und<br />

Regionen auf. Sie können uns deshalb sagen, was für unsere eigene Reise in diese<br />

Regionen nötig ist.<br />

Religionsschriften gleichen einem Atlas. Sie zeigen lediglich den Weg. <strong>Die</strong><br />

menschgewordenen Heiligen bringen uns durch Naam - wie mit einem Schiff - in die<br />

höheren Regionen. Sie gewähren uns Zutritt zu ihrem Schiff Naam o<strong>der</strong> Shabd,<br />

dessen Kapitän sie sind und mit dem wir die Region des Herrn erreichen.<br />

Müßten wir z. B. nach London fahren, würden wir wahrscheinlich zuerst eine<br />

Landkarte studieren, um festzustellen, wo die Stadt liegt und wie wir dorthin<br />

gelangen, wo wir umsteigen und wo wir an Bord gehen müssen, usw. Wir müßten<br />

uns einen Paß besorgen, denn ohne diesen könnten wir die Reise gar nicht antreten.<br />

Ebenso müssen wir auch die "Genehmigung" eines Heiligen (Beauftragten Gottes)<br />

einholen, um das Reich Gottes betreten zu können. <strong>Die</strong> Einweihung ist diese<br />

Genehmigung o<strong>der</strong> dieser Paß, <strong>der</strong> das Siegel des Sat Gurus, des Meisters, tragen<br />

muß. Das erwähnen mehrere Mahatmas in ihren Lobpreisungen. <strong>Die</strong> Machtbefugnis<br />

<strong>der</strong> Meister schließt alle Universen und Regionen ein, denn sie sind die<br />

Bevollmächtigten des Herrn. Wenn wir von ihnen den Paß erhalten, kann uns<br />

niemand in irgendeinem Universum o<strong>der</strong> irgendeiner Region aufhalten.<br />

<strong>Die</strong> Notwendigkeit eines Gurus läßt sich auch durch das folgende Beispiel erklären.


Nehmen wir an, wir wollten mit einem Flugzeug fliegen. Aber <strong>der</strong> Pilot hat den<br />

Einstieg und das Triebwerk verschlossen, damit kein Unkundiger hineingelangen und<br />

sich womöglich verletzen kann.<br />

Wer ein Flugzeug nicht lenken kann, weiß nicht einmal, wie man es besteigt. Selbst<br />

wenn ihm das gelänge, könnte er das Triebwerk nicht starten, weil es ja<br />

abgeschlossen ist. Und selbst wenn es gelänge, das Flugzeug zu starten, würde ein<br />

Unkundiger nicht in <strong>der</strong> Lage sein, es aufsteigen und landen zu lassen. Selbst wenn<br />

es aufsteigen würde, wären ihm die Bedingungen in den höheren Regionen<br />

unbekannt, und ihm wäre <strong>der</strong> Untergang gewiß.<br />

Mit dem Menschen verhält es sich ähnlich: Er kann sich erst dann konzentrieren,<br />

wenn er die richtige Anleitung bekommen hat. Selbst wenn es ihm ohne sie gelänge,<br />

könnte er doch nicht an Bord des Shabd-Schiffes gehen. Wäre ihm trotzdem<br />

irgendwie die Verbindung mit dem Shabd gelungen, hätte er keine Kenntnis von den<br />

höheren Regionen und nicht das Wissen, wie man aufsteigt und zurückkehrt. Nimmt<br />

<strong>der</strong> Pilot, <strong>der</strong> Guru, einen Anfänger mit, öffnet er sein Flugzeug und läßt ihn ein<br />

paarmal mitfliegen, dann kann <strong>der</strong> Neuling das Flugzeug vielleicht bald selber lenken.<br />

Für die Reisen durch die spirituellen Regionen braucht man unbedingt einen<br />

Piloten, <strong>der</strong> die Regionen kennt und sie schon oft durchquert hat. Mit ihm an unserer<br />

Seite wird die Reise möglich. Würde uns eine solche erhabene Seele einladen, sie zu<br />

begleiten, und würden wir es ablehnen, weil wir es allein versuchen wollten, dann<br />

hätten wir ein großes Glück vertan.<br />

"Suche für diese Reise einen Meister;<br />

Denn ohne ihn ist sie voller Wagnis und Gefahr."<br />

Maulana Rumi<br />

"Und gäbe es Hun<strong>der</strong>te von Monden; Und gäbe es Tausende von Sonnen<br />

Mit all ihrem Licht, So herrschte doch Finsternis Ohne einen Meister."<br />

Adi Granth<br />

"Wo <strong>der</strong> Shabd nicht ist, Herrscht Dunkelheit. Nichts ist erreicht.<br />

Und das Kommen und Gehen hört nicht auf.<br />

Den Schlüssel dazu hat allein <strong>der</strong> Meister.<br />

Keiner außer ihm kann das Tor öffnen, wenn das Glück es will,<br />

Begegnet man einem Meister."<br />

Adi Granth<br />

Heilige Schriften und Gelehrte können den Guru nicht ersetzen.<br />

Guru nennt man einen reinen, vergeistigten Menschen, <strong>der</strong> Zugang zu Sach Khand,<br />

<strong>der</strong> Wahren Region, hat. Er kennt die grobstoffliche Ebene, die subtile und die<br />

kausale Region, er hat geistig-spirituelle Erfahrungen, und er ist frei von <strong>der</strong><br />

Knechtschaft <strong>der</strong> Sinne. Erst wenn wir mit einem solchen Menschen in Verbindung<br />

treten, erwacht die spirituelle Sehnsucht in uns. Der Guru ist eine brennende Lampe,<br />

die erloschene Lichter wie<strong>der</strong> anzündet. Eine ausgebrannte Lampe kann das nicht.<br />

Viele behaupten, das Licht <strong>der</strong> Erkenntnis werde schon durch bloßes Lesen religiöser<br />

Bücher vermittelt und einen Guru benötige man nicht, weil die Bücher denselben<br />

Zweck erfüllten. Überlegen wir einmal, wozu diese Bücher dienlich sind. Sie sind sehr<br />

wertvolle Aufzeichnungen <strong>der</strong> spirituellen Erfahrungen <strong>der</strong> Heiligen. Es ist daher gut,<br />

wenn man solche Bücher gern liest. Wir tun gut daran, sie zu respektieren und zu


schätzen. Wer sich indes allein auf die Bücher verläßt, muß noch den Unterschied<br />

zwischen leblosen Dingen und empfindungsfähigen Wesen begreifen lernen.<br />

Bücher regen den Wunsch an, mehr über Spiritualität und ihre Grundsätze zu<br />

erfahren und auch Berichte über das Leben <strong>der</strong> Heiligen zu lesen. Das kann alles<br />

sehr vorteilhaft für uns sein, aber es kann keine spirituelle Lebenskraft in uns<br />

erwecken. Dazu ist nur eine spirituell erfahrene Seele in <strong>der</strong> Lage. Nur ein<br />

brennendes Licht kann ein an<strong>der</strong>es entzünden. Leblose Materie kann kein Leben<br />

hervorbringen. Daher können wir spirituelles Wissen auch nicht durch bloßes Lesen<br />

religiöser Bücher erfahren, selbst wenn es über Millionen von Jahren ginge.<br />

Spirituelles Wissen kann man nicht lehren. Es wird nur durch die "Berührung" mit<br />

einem Menschen vermittelt, <strong>der</strong> es selber erfahren hat. Man lernt es nicht, son<strong>der</strong>n<br />

man wird davon "angesteckt". Nur ein Heiliger kann es uns offenbaren. Man muß<br />

nicht nur davon wissen, son<strong>der</strong>n muß es durch eigenes Erleben erfahren.<br />

"Was du dir wünschst, es ist hier,<br />

Du aber suchst es an<strong>der</strong>swo;<br />

Wie kannst du es da je finden?<br />

O Kabir, willst du es finden,<br />

Dann begleite den, <strong>der</strong> weiß, wo es ist.<br />

Er wird dir zeigen, wonach du suchst.<br />

Der Weg ist weit, sehr weit,<br />

Er aber wird dich augenblicklich dorthin führen."<br />

Um gut kochen zu können, geht man bei einem erfahrenen Koch in die Lehre.<br />

Wenn man Medizin o<strong>der</strong> Maschinenbau studiert, muß man auch praktische Erfahrungen<br />

sammeln. Durch Lektüre allein kann man nicht Arzt o<strong>der</strong> Ingenieur<br />

werden. Bei allen äußerlichen Wissenschaften ist die Hilfe eines Lehrers notwendig.<br />

Wieviel mehr bedürfen wir da eines Lehrers bei <strong>der</strong> tiefgründigen und schwierigen<br />

spirituellen Wissenschaft. Denn ohne Lehrer sehen wir, wenn wir die Augen<br />

schließen, innen nur Dunkelheit. Wir brauchen einen Lehrer, <strong>der</strong> uns zeigt, wie wir<br />

das innere Licht wahrnehmen können. Für jedes Fach wird ein Lehrer gebraucht.<br />

Manch einer behauptet, ein spiritueller Lehrer sei nicht nötig, man könne spirituelles<br />

Wissen allein erwerben. Das gleicht einem Menschen, <strong>der</strong> das ihm bereitwillig<br />

angebotene Brunnenwasser ablehnt und darauf besteht, seinen eigenen Brunnen zu<br />

graben. Ein Beweis dafür, daß er noch keinen Durst hat. Wer kein Verlangen nach<br />

Spiritualität verspürt, hat auch kein Verlangen nach einem Meister.<br />

Das Wissen ist im Innern des Menschen zu finden. Wer es aber nicht versteht,<br />

nach innen zu gehen und den Knoten von Bewußtsein und grober Materie zu lösen,<br />

dem wird kein Wissen zuteil. Wäre spirituelles wissen aus Büchern erlernbar, dann<br />

hätten sämtliche Gelehrten bereits Selbsterkenntnis erlangt. Sie sind aber nichts<br />

weiter als wandelnde Wörterbücher und ebenso leblos wie ein Gebäude aus Stein.<br />

Ein Gehirn voller Buchwissen gleicht einem mit Sandelholz beladenen Packesel, <strong>der</strong><br />

sich des Duftes nicht bewußt wird, o<strong>der</strong> einem Löffel, <strong>der</strong> Tag und Nacht im Pudding<br />

steckt, aber dessen Geschmack nicht kennt. Könnte man durch Bücherlesen<br />

Spiritualität erlangen, dann wäre die Flut <strong>der</strong> Spiritualität genauso groß wie die<br />

Bücherflut, aber wie vielen wahrhaft erleuchteten Seelen begegnen wir in diesem<br />

Zeitalter <strong>der</strong> Bücher? Sehr wenigen.<br />

Wenn Heilige in die Welt kommen, rufen sie eine Flut von Spiritualität hervor.<br />

Zahllose Sucher folgen <strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong> Heiligen und wenden sich dem spirituellen<br />

Leben zu. Eine Seele kann nur durch eine an<strong>der</strong>e Seele spirituellen Aufstieg erfahren.<br />

<strong>Die</strong>s kann verstandesmäßig we<strong>der</strong> gelehrt noch erlernt werden. Auch ein noch so


vernunftbegabter und gebildeter Mensch kann einem an<strong>der</strong>en dabei nicht helfen, es<br />

sei denn, er ist selber eine spirituell entwickelte Seele. Über Spiritualität Vorträge zu<br />

halten und darüber zu reden, ist nicht schwer, aber ein spirituelles Leben zu führen,<br />

ist etwas ganz an<strong>der</strong>es. Niemand kann durch bloßes Lesen von Büchern über die<br />

spirituelle Wissenschaft gottergeben werden. Ein davon abgeleiteter Anspruch wäre<br />

Anmaßung. In <strong>der</strong> Bhagavad Gita heißt es:<br />

"Einem vollkommenen Meister sollte man sich demütig ergeben, die spirituellen<br />

Übungen verrichten und ihm dienen. Nur ein Guru, <strong>der</strong> die Wirklichkeit kennt,<br />

kann das Wissen darüber vermitteln."<br />

Ohne Meister können wir kein Wissen über den spirituellen Pfad erlangen. Es ist<br />

daher unumgänglich, daß wir einen Meister kennenlernen. Jesus sagte:<br />

"Niemand kommt zum Vater denn durch mich."<br />

"Wer den Sohn nicht kennt, kennt auch den Vater nicht."<br />

"Wer euch empfängt, empfängt auch mich,<br />

und wer mich empfängt, <strong>der</strong> empfängt auch den, <strong>der</strong> mich gesandt hat."<br />

Eine Prüfung aller Religionsschriften zeigt, daß alle nachdrücklich darauf hinweisen,<br />

daß ohne einen Meister niemand erlöst werden kann.<br />

"<strong>Die</strong> Shastras, die Veden und die Smritis teilen alle das gleiche mit:<br />

Glaube felsenfest, daß es ohne Meister keine Befreiung gibt."<br />

Adi Granth<br />

Auch die heiligen Schriften <strong>der</strong> Hindus unterstreichen die Notwendigkeit eines Gurus.<br />

In den Veden heißt es:<br />

"Ohne die Einweihung ist Gotterkenntnis nicht möglich, man könnte noch so viel<br />

meditieren. Erst wenn man von einem wahren Guru eingeweiht ist, kann man Ihn<br />

erkennen, denn Er ist zu subtil für unsere Vorstellungskraft."<br />

Es gibt kein Beispiel in <strong>der</strong> Geschichte dafür, daß einem Menschen jemals ohne<br />

einen Meister <strong>der</strong> spirituelle Aufstieg gelungen wäre. Heilige, die das Wissen schon<br />

von Geburt an hatten, sind selten. Sie folgen dennoch dem überlieferten Grundsatz<br />

und nehmen auch einen Guru an. Kabir Sahib hatte beispielsweise Gosain Rama<br />

Nand als Guru, und Christus wurde von Johannes dem Täufer eingeweiht (getauft).<br />

Es ist historisch erwiesen, daß auch die Heiligen, die von Geburt an wissend waren,<br />

die Gemeinschaft mit Heiligen pflegten und unter <strong>der</strong>en Schutz standen. Guru Amar<br />

Das sagt, daß es von Anfang an vom Herrn bestimmt wurde, daß Ihn niemand ohne<br />

die Hilfe eines Gurus erkennen kann. Wenn dies für geborene Heilige gilt, wieviel<br />

mehr bedarf da <strong>der</strong> gewöhnliche Mensch eines Gurus.<br />

Heilige <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

Ein verstorbener Arzt, so tüchtig er auch gewesen sein mag, kann einem Patienten<br />

heute keine Medizin mehr verschreiben. Auch ein verstorbener Richter kann heute<br />

kein Urteil mehr fällen. Keine Frau kann einen verstorbenen Mann heiraten und<br />

Kin<strong>der</strong> mit ihm zeugen. So kamen auch die vollkommenen Mahatmas zu ihrer<br />

bestimmten Zeit und erlösten diejenigen, die sich an sie wandten. Als ihre Zeit


vorüber war, verließen sie die Welt und gingen wie<strong>der</strong> in den Herrn ein. Vor ihrem<br />

Hinscheiden gaben sie ihre <strong>Mission</strong> an an<strong>der</strong>e weiter. Nur durch einen Menschen<br />

kann jemand verstehen lernen, so will es das Naturgesetz. Der Herr wirkt in dieser<br />

Welt <strong>der</strong> Materie durch lebende Menschen.<br />

Viele glauben, Mahatmas vergangener Zeiten befänden sich jetzt noch in den<br />

spirituellen Regionen und könnten uns immer noch helfen. Das sollte man in Ruhe<br />

einmal überdenken. <strong>Die</strong> vollkommenen Meister vergangener Zeiten haben ihre<br />

<strong>Mission</strong> erfüllt, sie haben ihr Werk an<strong>der</strong>en Mahatmas übertragen, und sie sind<br />

wie<strong>der</strong> in den Herrn eingegangen. Hat ein Meister sein Werk vollbracht, so übergibt<br />

er das Amt des Gurus entsprechend <strong>der</strong> Weisung des Höchsten einem an<strong>der</strong>en,<br />

damit das Werk, die Seelen mit dem Herrn zu verbinden und sie zu erlösen,<br />

fortgesetzt wird. Selbst wenn ein Meister <strong>der</strong> Vergangenheit jemanden erlösen<br />

wollte, würde er im Einklang mit den Naturgesetzen handeln und seine <strong>Mission</strong> durch<br />

einen lebenden Meister erfüllen lassen.<br />

<strong>Die</strong> Hilfe <strong>der</strong> Meister vergangener Zeiten können wir erst in Anspruch nehmen,<br />

wenn wir in die Regionen aufgestiegen sind, in denen sie sich befinden. Wir aber<br />

leben noch in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> groben Materie, während sie sich in den spirituellen<br />

Welten aufhalten. Wenn wir glauben, daß uns frühere Meister von den spirituellen<br />

Regionen aus helfen können, dann lassen wir uns von unseren Gefühlen und unserer<br />

Einbildung leiten und ziehen unsere eigenen Schlüsse. Erst wenn unser inneres Auge<br />

geöffnet ist, können wir beurteilen, ob unsere Gedanken vom Herrn, von einem<br />

ehemaligen Mahatma o<strong>der</strong> von einer unvollkommenen Seele stammen, o<strong>der</strong> aber, ob<br />

sie nur Regungen des Unterbewußtseins sind. Es ist nicht richtig, den Eingebungen<br />

unseres Unterbewußtseins zu folgen, denn man wird von ihnen leicht irregeführt.<br />

Außerdem darf man folgendes nicht vergessen: Wenn wir beispielsweise einen<br />

ehemaligen Mahatma nie gesehen haben, kann die negative Macht o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e<br />

Seele behaupten, <strong>der</strong> Mahatma zu sein, und uns täuschen. Da wir ihn nicht genau<br />

kennen, werden wir höchstwahrscheinlich irregeführt werden.<br />

Überlegen wir einmal, ob es logisch erscheint, daß Meister vergangener Zeiten als<br />

Guru wirken können und ein leben<strong>der</strong> Guru nicht notwendig sei. Könnte ein früherer<br />

Meister die notwendigen spirituellen Unterweisungen geben, dann könnte es<br />

selbstverständlich auch <strong>der</strong> Herr selber tun. Weshalb mußte dann überhaupt jemals<br />

ein Mahatma hierher kommen, wenn es dem Herrn je<strong>der</strong>zeit selbst möglich gewesen<br />

wäre? Wenn aber in <strong>der</strong> Vergangenheit immer ein Meister notwendig war, dann läßt<br />

sich daraus schließen, daß auch heute diese Notwendigkeit besteht, geradeso wie<br />

früher.<br />

Wenn <strong>der</strong> Herr wünscht, daß <strong>der</strong> Mensch verstehen lernt, muß Er Menschengestalt<br />

annehmen. Das ist ein Naturgesetz. Er muß die Gestalt eines Heiligen o<strong>der</strong> Meisters<br />

annehmen. Das bedeutet aber nicht, daß die früheren Mahatmas tot sind. Nein, sie<br />

sind unsterblich und haben die grobstoffliche, die subtile und die kausale Region<br />

hinter sich gelassen. Sie sind mit dem Herrn vereint und sind nicht mehr von Ihm zu<br />

unterscheiden. Angenommen, sie würden sich noch in den unteren Regionen<br />

aufhalten, welchen Sinn hätte es dann für sie gehabt, ihren Bhajan (dem Tonstrom<br />

zu lauschen) zu vervollkommnen?<br />

Langes und kluges Debattieren nützt uns nichts. Es hilft uns nicht und bringt uns<br />

nicht voran. Man muß bei einem lebenden Meister Hilfe suchen, <strong>der</strong> den einfachen<br />

und natürlichen Weg <strong>der</strong> Verbindung mit Gott kennt. Dazu braucht man nicht auf ein<br />

Leben nach dem Tode zu warten. Bemüht man sich, kann man es hier und jetzt in<br />

diesem Leben erreichen.


Der Schüler sollte nur einem Meister folgen. Er sollte sich in <strong>der</strong> Kontemplation des<br />

Meisters üben, <strong>der</strong> ihn eingeweiht hat, selbst dann, wenn dieser die Welt verlassen<br />

hat. Dann wird er erfolgreich sein. Bei <strong>der</strong> Einweihung nimmt <strong>der</strong> Meister seinen<br />

Platz im Schüler ein und wohnt in seinem Herzen. Der Meister ist das Vorbild des<br />

Schülers. Deshalb wird <strong>der</strong> Schüler erfolgreich sein. Er wird innere Erfahrung<br />

sammeln. Es wird ihm nichts mehr fehlen. Der Meister ist unsterblich. Er ist<br />

unvergänglich. Für den Schüler ist er Prinzip und Vorbild, das niemals stirbt. Bei<br />

seinem Tode gibt <strong>der</strong> Meister lediglich seinen Körper auf. Der Schüler kann dann die<br />

Gemeinschaft mit einem an<strong>der</strong>en Meister pflegen und ihm dienen. <strong>Die</strong> innere Verbindung<br />

sollte er aber zu dem Meister aufrechterhalten, <strong>der</strong> ihm die Einweihung<br />

gewährte, und seine Aufmerksamkeit immer auf dessen Gestalt richten. Der Meister<br />

wohnt im Herzen seiner Schüler und behütet jeden einzelnen. Wechselt <strong>der</strong> Schüler<br />

von einem Meister zum an<strong>der</strong>en, kommt er nie zum Ziel.<br />

Der Guru <strong>der</strong> jeweiligen Zeit ist <strong>der</strong> Guru, zu dem <strong>der</strong> Schüler eine lebendige<br />

Beziehung hat. <strong>Die</strong> Gurus <strong>der</strong> Vergangenheit sind keine Gurus mehr, weil sie nicht<br />

mehr am Leben sind. Beide erfüllen ihre Aufgabe, je<strong>der</strong> in seinem Bereich. Lesen wir<br />

die Lebensgeschichte und die wun<strong>der</strong>schönen Verse früherer Meister, dann können<br />

wir die Unerläßlichkeit eines lebenden Meisters erkennen und bis zu einem gewissen<br />

Grad ihre Aufgabe begreifen. Den wahren Segen <strong>der</strong> Spiritualität kann uns jedoch<br />

nur <strong>der</strong> Guru <strong>der</strong> jeweiligen Zeit, <strong>der</strong> lebende Guru schenken. Der die Einweihung<br />

gewährt, ist <strong>der</strong> gegenwärtige Guru o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Meister <strong>der</strong> Zeit. Selbst wenn zur<br />

gleichen Zeit mehrere Meister leben sollten, so sollte <strong>der</strong> Schüler nur einen Meister<br />

haben, so wie auch eine Frau nur einen Ehemann haben sollte. Zur gleichen Zeit<br />

lebende Meister erfüllen die ihnen jeweils anvertrauten Schüler mit höherem<br />

Bewußtsein. Eine Befreiung ist nur auf diese Weise möglich. Das betonen die Meister<br />

immer wie<strong>der</strong>. Maulana Rumi sagt:<br />

"Verlasse dich nicht auf deinen Verstand, deine Fähigkeiten o<strong>der</strong> deine Klugheit.<br />

Laß die Verbindung zum Meister deiner Zeit nicht abreißen."<br />

Der Meister ist die Liebe<br />

Der Meister sorgt sich sehr um seinen Schüler. Er möchte, daß dieser in je<strong>der</strong><br />

Beziehung Fortschritte macht. Manchmal ist er - zum Wohle des Schülers - ärgerlich<br />

auf diesen, doch das Herz, von dem dieser anscheinende Ärger ausgeht, birgt einen<br />

unaufhörlichen Quell <strong>der</strong> Liebe für den Schüler. <strong>Die</strong> Worte mögen schroff erscheinen,<br />

in Wirklichkeit aber sind sie voller Liebe. Und dies ist auch <strong>der</strong> Grund, weshalb ein<br />

ergebener Schüler sogar solche barschen Worte als lieblich empfindet. Es ist ein<br />

Zeichen von Liebe für den Meister (Guru Bhakti), wenn <strong>der</strong> Schüler die schroffen<br />

Worte o<strong>der</strong> die Strenge liebevoll in sich aufnimmt und nicht verletzt ist.<br />

Ein Lieben<strong>der</strong> ist von Liebe für den Geliebten erfüllt. Freude erhellt sein Gesicht,<br />

sobald er seinen Geliebten sieht. Der Meister an<strong>der</strong>erseits besitzt eine einzigartige<br />

spirituelle Schönheit und eine magnetische Anziehungskraft. Von seiner Gestalt<br />

gehen Tausende von Strömen voller Glückseligkeit aus, die den Schüler anziehen und<br />

Körper und Geist beleben.<br />

Selbst wenn man das Antlitz des Meisters ununterbrochen schauen würde o<strong>der</strong><br />

Hun<strong>der</strong>te von Malen mit Hun<strong>der</strong>ten von Augen, so würde man sich dennoch nicht<br />

sattsehen können, weil sein Antlitz bei jedem Anblick in einem an<strong>der</strong>en Licht und in<br />

noch strahlen<strong>der</strong>em Glanz erscheint.<br />

<strong>Die</strong> Liebe für den Meister ist süß und anziehend; sie schenkt dem Schüler Glück


und Freude. Schaut er den Meister an, so wird er unwillkürlich von einem<br />

unbeschreiblichen Freudentaumel ergriffen, <strong>der</strong> in jede Pore seines Körpers dringt.<br />

Selbst wenn <strong>der</strong> Schüler nur wenig davon kostet, so ist seine Seele doch von <strong>der</strong><br />

Liebe des Meisters ganz erfüllt.<br />

Ein König wollte einst in ein fremdes Land reisen. Beim Abschied erkundigte er sich<br />

bei seinen Königinnen, was er ihnen wohl mitbringen solle. Eine bat um Kleidung,<br />

eine an<strong>der</strong>e um köstliche Speisen, eine weitere um praktische Dinge, wie<strong>der</strong> eine<br />

an<strong>der</strong>e um Schönheitsmittel, und noch an<strong>der</strong>e um Diamanten und Juwelen. <strong>Die</strong><br />

jüngste Königin, die man allgemein für einfältig hielt, war aber die klügste von allen.<br />

Sie sagte: "O König, kehre du zurück und laß mich zu deinen Füßen sein, dann habe<br />

ich alles, was ich mir wünsche." Als <strong>der</strong> König zurückgekommen war, ließ er seinen<br />

Königinnen alles überreichen, worum sie gebeten hatten, und ging dann mit allem,<br />

was er besaß, zur jüngsten Königin. Wie konnte sie sich glücklich schätzen! Der<br />

König wollte ihr seinen ganzen Besitz schenken, da er spürte, daß sie ihn wirklich<br />

liebte. <strong>Die</strong> Königin saß nun zu Füßen ihres großzügigen Herrn, berührte diese und<br />

erfreute sich seines liebevollen Blickes. <strong>Die</strong> an<strong>der</strong>en Königinnen hatten wohl ein paar<br />

Geschenke erhalten, sie aber besaß die Liebe ihres Herrn. Was nützen schon die<br />

Geschenke ohne den Herrn?<br />

Kal möchte nicht, daß irgend jemand sein Reich verläßt, denn Leben und Frohsinn<br />

dieser Schöpfung rührt von den darin lebenden Seelen. Daher verführt er die Seelen<br />

auf vielerlei Art mit Hilfe des menschlichen Geistes und Mayas (<strong>der</strong> Illusion). Deshalb<br />

sendet <strong>der</strong> Allerhöchste von Zeit zu Zeit Seine Inkarnationen, die Heiligen und<br />

Meister, um diejenigen zu befreien, die von <strong>der</strong> Verblendung gefangen sind. Wer<br />

nicht Zuflucht bei einem Meister sucht, kann von <strong>der</strong> Knechtschaft des Todes nicht<br />

befreit werden.<br />

Kurz gesagt: Wir folgen dem Ansporn dieses Buches, wenn wir uns aufraffen,<br />

wachsam werden und die Suche nach den Meistern, den geistig erhabenen Königen,<br />

in den Straßen, Städten und Län<strong>der</strong>n aufnehmen, wo immer sie sein mögen, und<br />

diesem Pfad folgen, <strong>der</strong> des Messers Schneide gleicht und auf dem wir unsere<br />

Bindung an unseren Körper aufgeben müssen. Ein Meister wird uns nicht nur den<br />

Weg aus <strong>der</strong> Dunkelheit ins Licht zeigen, son<strong>der</strong>n uns auch in den verschiedenen<br />

Regionen und spirituellen Reichen führen und uns zur Seite stehen.<br />

"Er wird in <strong>der</strong> materiellen und spirituellen Region bei dir sein,<br />

damit du nicht vom Pfad abkommst."<br />

"Wo auch immer man von uns die Aufzeichnung<br />

(unserer Taten) verlangt, da steht er (um uns zu helfen)."<br />

Adi Granth<br />

Verbinde deine Seele mit Ihm und sei glücklich. <strong>Die</strong> Heiligen sind unsere wahren<br />

Wegbegleiter. Lerne von ihnen, wie du gelassen werden und zur vollkommenen<br />

inneren Stille und zum Schweigen finden kannst, um so die Seligkeit des Lichtes aller<br />

Lichter zu empfangen.<br />

"Der ist ein weiser und wahrer Meister,<br />

Der uns in unserem Körper die Heimat zeigt.<br />

Dort erklingt die Melodie <strong>der</strong> fünf Shabds;<br />

Dort hört man den Trommelschlag des Shabds.<br />

<strong>Die</strong> Welten, Unterwelten, Inseln und Seen<br />

Erfüllen uns mit Staunen.


Eine tiefe und überaus feine Melodie erklingt,<br />

Und ein König sitzt auf dem Thron <strong>der</strong> Wahrheit.<br />

Lausche <strong>der</strong> Musik des Sukhman in <strong>der</strong> Region <strong>der</strong> Leere,<br />

Lausche <strong>der</strong> ungespielten Musik, dann ersterben alle Wünsche.<br />

Der Lotos wird aufgerichtet und mit Nektar gefüllt:<br />

Und die Gedanken hören auf zu wan<strong>der</strong>n.<br />

Und die ewige Musik wird uns nie mehr verlassen,<br />

Sie ist in uns von Anbeginn und zu allen Zeiten.<br />

Wer die fünf Shabds erfährt Und in die wahre Heimat zurückkehrt,<br />

Hat den Shabd gefunden, <strong>der</strong> ihn nach Hause führt.<br />

Nanak ist <strong>der</strong> Sklave solch vollkommener Meister."<br />

Adi Granth<br />

Kapitel 6<br />

SANT MAT - DIE SPIRITUELLE WISSENSCHAFT<br />

Sant Mat ist ein an<strong>der</strong>er Name für den Surat-Shabd-Yoga, durch den die Seele mit<br />

dem Tonstrom o<strong>der</strong> dem Heiligen Geist verbunden werden kann. Es handelt sich<br />

dabei um die innere Erfahrung <strong>der</strong> Verbindung <strong>der</strong> Seele mit dem Herrn. <strong>Die</strong>se<br />

Erfahrung ist Glaubensbekenntnissen jeglicher Art weit überlegen. Sant Mat bedeutet<br />

auch die Lehre <strong>der</strong> Heiligen. Sie befaßt sich mit den wahren Grundsätzen <strong>der</strong><br />

Spiritualität, die wesentlich bedeuten<strong>der</strong> sind als die Religionen, da letztere sich auf<br />

Theorien, Glaubensbekenntnisse und Wun<strong>der</strong>glauben beschränken.<br />

<strong>Die</strong> Lehre <strong>der</strong> Heiligen ist ursprünglich und naturgemäß; sie besteht schon von<br />

Anfang an. Zusammen mit dem Menschen kam sie in diese Welt, denn die Lehre<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Weg <strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong> Seele in ihre Heimat wurde mit dem Menschen<br />

erschaffen. Es ist <strong>der</strong> sichere und unfehlbare Pfad, <strong>der</strong> keinem Wandel unterliegt, <strong>der</strong><br />

seit Beginn <strong>der</strong> Zeit besteht und den niemand än<strong>der</strong>n kann. Gurus, Heilige und<br />

Mahatmas, die innerlich mit Gott eins sind, haben diesen Pfad aufgezeigt. Er ist<br />

einfach, und je<strong>der</strong> kann ihm folgen. Nicht <strong>der</strong> Mensch, son<strong>der</strong>n Gott hat ihn<br />

geschaffen. Niemand muß ihm blindlings folgen, da man ihn im Innern erfahren<br />

kann.<br />

Eine wahre Wissenschaft verlangt nicht, daß man etwas als erwiesen hinnimmt.<br />

<strong>Die</strong> Lehre <strong>der</strong> Heiligen ist eine exakte Wissenschaft wie die Mathematik. Alle, die sie<br />

praktizieren, kommen zum gleichen Ergebnis.<br />

Ein spirituelles Leben hat nur den einen Sinn, daß <strong>der</strong> Mensch den Schleier von<br />

Illusion (Maya) und Materie durchdringt und die Seele, sein wahres Selbst, das<br />

überbewußt und ein Teil des Ozeans des Überbewußtseins ist, erkennt, damit er in<br />

diesen Ozean eintaucht und dessen Farbe und Eigenschaften annimmt. Mit an<strong>der</strong>en<br />

Worten: <strong>der</strong> spirituelle Tropfen geht im Ozean des Höchsten auf.<br />

Ein spirituelles Leben führt mit Hilfe des Meisters in kurzer Zeit zum Höchsten<br />

Herrn. In keiner Religion läßt sich dies allein schon durch eigenes Bemühen<br />

erreichen. Ohne wahren Meister ist es nicht möglich. Der Surat-Shabd-Yoga ist<br />

einfach. Der Pfad ist für alle gleich, ob arm o<strong>der</strong> reich, ob von niedriger o<strong>der</strong> hoher<br />

Kaste, gebildet o<strong>der</strong> ungebildet, ob vom Westen o<strong>der</strong> Osten, Norden o<strong>der</strong> Süden.<br />

Der Surat-Shabd-Yoga schenkt schon in diesem Leben Glückseligkeit. Wer das<br />

Praktizieren versteht und es richtig und gewissenhaft ausführt, für den ist es einfach


und selbstverständlich wie an<strong>der</strong>e natürliche Gesetzmäßigkeiten.<br />

Es gibt viele Yoga-Arten: z.B. Prana-Yoga, Übungen zur Atemkontrolle, und Hatha-<br />

Yoga, das Üben bestimmter Körperhaltungen. Beide betreffen den grob-stofflichen<br />

o<strong>der</strong> physischen Körper und sind von geringem Wert.<br />

An<strong>der</strong>e Arten befassen sich mit dem Geist und dem Denken, das in Bezug zum<br />

Astralkörper steht. Anand-Yoga betrifft den Kausalkörper und ist allen an<strong>der</strong>en Yoga-<br />

Arten überlegen. Der Pfad <strong>der</strong> Heiligen schließlich ist <strong>der</strong> Shabd-Yoga, die belebende<br />

Kraft in allen Yoga-Arten. Hier findet das Üben innen statt. Der Tonstrom wird von<br />

<strong>der</strong> Seele vernommen. <strong>Die</strong>sen erhabenen Zustand erreicht man, ohne sich im<br />

geringsten zu verausgaben. Im Tonstrom, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> höchsten Region ausgeht,<br />

offenbart sich <strong>der</strong> Herr, und die Seele wird mit Ihm verbunden.<br />

Das Üben des Surat-Shabd-Yoga gestaltet sich einfach; man muß dabei nicht wie<br />

bei an<strong>der</strong>en Yoga-Arten leiden. Es erfor<strong>der</strong>t keine Anstrengung außer dem Bemühen,<br />

dem Tonstrom mit ganzer Aufmerksamkeit zu lauschen. <strong>Die</strong>se Yoga-Art kann von<br />

einem Kind, einem jungen o<strong>der</strong> alten Menschen gleich welchen Geschlechts, welcher<br />

Gesellschaftsschicht, welchen Glaubens und welchen Landes praktiziert werden.<br />

Beschwerliche Anstrengungen - wie beim Hatha-Yoga - sind nicht nötig. Man kann zu<br />

Hause üben und weiterhin seinen weltlichen Pflichten nachgehen. Auch muß man<br />

deswegen seine Religion nicht aufgeben. Je<strong>der</strong> kann diesen Yoga ausüben - Rasse,<br />

Gesellschafts- o<strong>der</strong> Religionszugehörigkeit und Glaubensbekenntnis sind ohne<br />

Bedeutung.<br />

Der Surat Shabd Yoga besteht aus drei Praxisphasen: dem Simran (Wie<strong>der</strong>holen<br />

o<strong>der</strong> Sich-Erinnern), dem Dhyan (Kontemplation) und dem Bhajan (Lauschen).<br />

Simran ist das ständige Denken an eine bestimmte Sache. Genaue Einzelheiten<br />

dieser Übung erfährt man von einem vollkommenen Meister. Simran ist am Anfang<br />

das Wie<strong>der</strong>holen von Worten; später besorgt dies die "Zunge" <strong>der</strong> Seele.<br />

Wenn <strong>der</strong> Simran uns zur ständigen Gewohnheit wird und die Kraft <strong>der</strong><br />

Konzentration voll entwickelt ist, erscheinen das innere Licht und auch die wun<strong>der</strong>schöne<br />

Strahlengestalt des Meisters. <strong>Die</strong>se Gestalt zieht die Seele an: das ist wahre<br />

Kontemplation. Ziel und Ideal <strong>der</strong> Betrachtung, das Betrachten und <strong>der</strong> Betrachter<br />

werden eins.<br />

Wenn ein Schüler immer wie<strong>der</strong> an sein Vorbild denkt und es sich immer wie<strong>der</strong><br />

vor Augen führt, dann wird Nirat - die Fähigkeit <strong>der</strong> Seele zu sehen - sich diese Form<br />

vorstellen und auf sich wirken lassen. So halten die Seele und Nirat in "stiller<br />

Beständigkeit" inne, und die göttliche Melodie wird während <strong>der</strong> Kontemplation<br />

wahrnehmbar. Der Suchende muß die Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Seele ganz auf die vom<br />

Meister beschriebene Melodie richten. Das Sprechen muß ganz im Simran, dem<br />

Wie<strong>der</strong>holen, aufgehen, das Sehen in <strong>der</strong> Kontemplation und das Hören im Shabd.<br />

Zunge, Augen und Ohren des Schülers sollten durch Simran, Kontemplation und die<br />

göttliche Melodie versiegelt sein.<br />

"Schließe deine drei Tore (Ohren, Augen und Mund)<br />

Und wie<strong>der</strong>hole lautlos.<br />

Schließe deine äußeren Tore und öffne die inneren.<br />

Schließe die drei Tore und wie<strong>der</strong>hole den<br />

Namen des Makellosen;<br />

Das innere Tor öffnet sich erst dann,<br />

Wenn die an<strong>der</strong>en geschlossen sind."<br />

Kabir


<strong>Die</strong>se drei Übungen führt man im Augenzentrum aus, das auch Drittes Auge o<strong>der</strong><br />

Zentrum des achtblättrigen Lotos genannt wird. Es befindet sich zwischen den beiden<br />

Augenbrauen. Voraussetzung für das Praktizieren des Surat-Shabd-Yoga ist die<br />

Einweihung durch einen vollkommenen Meister. Und nur durch einen solchen Meister<br />

macht man Fortschritte. Erst wenn <strong>der</strong> Herr Seine Gnade gewährt, haben wir das<br />

Glück, einem vollkommenen Meister zu begegnen und uns in seiner Gegenwart<br />

aufzuhalten.<br />

<strong>Die</strong> Einweihung<br />

<strong>Die</strong> Einweihung wird in den Versen <strong>der</strong> Meister verschiedentlich erwähnt. Der<br />

Meister gibt dem Schüler sein spirituelles Licht. Er bereitet ihn auf das spirituelle<br />

Leben vor. <strong>Die</strong> Heiligen beschreiben die Einweihung als das "Geschenk des Lebens".<br />

"Er gewährt das Geschenk des Lebens;<br />

Er lehrt die Hingabe an den Herrn.<br />

Er verbindet den Schüler mit dem Herrn."<br />

"Nur <strong>der</strong> begegnet einem Meister,<br />

Dem es bestimmt ist,<br />

Der Name des Herrn ist <strong>der</strong> Nektar,<br />

Den man bei <strong>der</strong> Einweihung erhält."<br />

Adi Granth<br />

<strong>Die</strong> Einweihung - dieses Geschenk des Lebens o<strong>der</strong> diesen Lebensstrahl - kann nur<br />

ein leben<strong>der</strong> Meister gewähren, nicht aber ein sogenannter Lehrer, <strong>der</strong> dem Schüler<br />

lediglich ein Mantra ins Ohr flüstert. <strong>Die</strong>sen lebensspendenden Impuls kann nur ein<br />

lebendes Wesen geben, Bücher und heilige Schriften sind dazu nicht in <strong>der</strong> Lage.<br />

"Man begegnet einem Meister<br />

Und erhält von ihm die Einweihung.<br />

Man gibt alles auf<br />

Und erfreut sich des inneren Lebens."<br />

Adi Granth<br />

Bei <strong>der</strong> Einweihung überträgt <strong>der</strong> Meister das geheime Wissen. Dadurch wird<br />

spiritueller Fortschritt möglich, wenn man die Anweisungen des Meisters befolgt.<br />

Neben ausführlichen Erläuterungen werden Hinweise gegeben, die bei dem<br />

Wie<strong>der</strong>holen, <strong>der</strong> Kontemplation und <strong>der</strong> Offenbarung des inneren Shabds, des<br />

göttlichen Klanges, helfen und den inneren Aufstieg des Schülers unterstützen. Bei<br />

<strong>der</strong> Einweihung schenkt <strong>der</strong> Meister dem Schüler das "Licht des Lebens" und<br />

verbindet ihn mit demTonstrom. Dann stellt er eine subtile Verbindung mit dem<br />

Schüler her; er führt ihn und bringt ihn in seine ursprüngliche Heimat zurück.<br />

Ein Mensch mag noch so gelehrt, religiös o<strong>der</strong> diszipliniert sein o<strong>der</strong> respektiert<br />

werden, er wird dennoch von Verstand und Illusion (Maya) getäuscht. Daher kann<br />

ihn auch nur ein wahrer Meister mit dem inneren Shabd verbinden. Auch <strong>der</strong><br />

tugendhafteste Mensch kann nicht aus eigener Kraft eine Verbindung mit dem<br />

Tonstrom herstellen. Wenn er vom Meister nicht mit dem "Licht des Lebens" und mit<br />

<strong>der</strong> Einweihung beschenkt wird, kommt diese Verbindung mit dem göttlichen


Tonstrom nicht zustande.<br />

Bei <strong>der</strong> Einweihung durch einen Meister wird die Seele für den Shabd<br />

aufnahmefähig. <strong>Die</strong>ser Augenblick ist die Geburt in die Familie des Meisters. Hat er<br />

den Schüler mit dem Tonstrom verbunden, beginnt dieser, auf dem spirituellen Pfad<br />

voranzukommen und seine Schwächen zu beherrschen. Befolgt er die Anweisungen<br />

des Meisters, dann ist er nach einigem Fortschritt nicht mehr Sklave seines Körpers.<br />

An<strong>der</strong>erseits möchte die Seele zu den spirituellen Regionen aufsteigen, die irdischen<br />

Fesseln abwerfen und immer länger in den höheren inneren Regionen verweilen.<br />

Das Geschenk <strong>der</strong> Einweihung erhält nur ein bewußtes Wesen, und durch diesen<br />

belebenden Impuls soll <strong>der</strong> Mensch zu neuem Leben erweckt werden. Wann <strong>der</strong><br />

Segen <strong>der</strong> Einweihung spürbar wird, das hängt von jedem einzelnen ab, von seiner<br />

inneren Bereitschaft zur Spiritualität, die bei jedem Menschen an<strong>der</strong>s ist. Einige sind<br />

vollkommen bereit, an<strong>der</strong>e weniger. Bei <strong>der</strong> Einweihung "injiziert" <strong>der</strong> Meister<br />

gewissermaßen sein Bewußtsein und sein Licht in die Seele des Schülers. <strong>Die</strong>ses<br />

Bewußtsein und dieses Licht durchdringen den Schüler gänzlich und erwecken eine<br />

neue spirituelle Bewußtheit und Erleuchtung in ihm, während er mit <strong>der</strong> Praxis des<br />

Pfades fortfährt. Das geistige Licht des Meisters spendet <strong>der</strong> Seele des Schülers neue<br />

Lebenskraft und leitet ihre Befreiung ein. Ein Gefühl <strong>der</strong> Erfüllung beginnt sich<br />

daraufhin beim Schüler einzustellen. <strong>Die</strong>ses Geschenk vom Meister kann ihm<br />

niemand mehr nehmen. Zeit und Illusion können diese Saat, dieses "Licht des<br />

Lebens", nicht vernichten. Ist <strong>der</strong> Schüler erst einmal eingeweiht, wird er mit<br />

Gewißheit früher o<strong>der</strong> später Fortschritte machen. Sein wahres Zuhause wird er eines<br />

Tages ganz bestimmt erreichen.<br />

Wenn man diesen Yoga ausüben will, braucht man einen ruhigen, abgeson<strong>der</strong>ten<br />

Platz. Und damit innere Abgeschiedenheit erreicht wird, lehren die Meister eine<br />

perfekte Methode, durch die <strong>der</strong> Schüler die "äußeren Tore" schließt und sich mit<br />

ungeteilter Aufmerksamkeit nach innen wendet. Vom Schüler wird erwartet, daß er<br />

morgens und abends zu festgesetzten Zeiten übt und dabei die Aufmerksamkeit im<br />

Sitz <strong>der</strong> Seele, zwischen den beiden Augenbrauen, sammelt. <strong>Die</strong> Hindus nennen<br />

diesen Sitz <strong>der</strong> Seele das Dritte Auge o<strong>der</strong> das Augenzentrum. Es ist nicht nötig,<br />

Druck auf eine A<strong>der</strong> o<strong>der</strong> einen an<strong>der</strong>en Körperteil auszuüben. Es genügt, wenn man<br />

die Aufmerksamkeit an diesem Punkt sammelt.<br />

Er wird von Krishna als in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Nasenwurzel befindlicher Punkt<br />

beschrieben. Während <strong>der</strong> Übung wie<strong>der</strong>holt man - wie vom Meister vorgeschrieben<br />

- die Namen. Das nennt man Simran. Gleichzeitig stellt man sich den Meister im<br />

Geiste vor. Kein an<strong>der</strong>er Gedanke darf sich einstellen, damit sich das Bewußtsein,<br />

das normalerweise jede Körperzelle durchdringt, im Augenzentrum sammelt und dort<br />

fixiert wird. Alle Einzelheiten dieser Übung sowie Schwierigkeiten und Hin<strong>der</strong>nisse,<br />

auf die man stoßen kann, beschreibt <strong>der</strong> Meister bei <strong>der</strong> Einweihung, damit <strong>der</strong><br />

Schüler sich entsprechend verhält. Er hilft dem Schüler auch inwendig und beschützt<br />

ihn.<br />

<strong>Die</strong>sen Yoga ohne die Einweihung und nur nach Büchern o<strong>der</strong> Berichten an<strong>der</strong>er<br />

zu praktizieren, ist gefährlich. Daher raten alle Heiligen, daß man für diese Reise<br />

einen Meister suchen sollte, denn ohne ihn ist <strong>der</strong> Pfad voller Risiken und Gefahren.<br />

Das Üben<br />

Wie äußert sich <strong>der</strong> Erfolg beim Üben dieses Yoga? Er zeigt sich daran, daß man<br />

sich seines Körpers nicht mehr bewußt, ist. Zunächst werden Hände und Füße<br />

gefühllos und danach allmählich die übrigen Körperteile. Der Bewußtseinsstrom, <strong>der</strong>


sonst abwärts strömt und den ganzen Körper belebt, sammelt sich im Zentrum <strong>der</strong><br />

Seele, dem Augenmittelpunkt, und man ist sich des übrigen Körpers nicht mehr<br />

bewußt. Solange man sich nicht vollkommen über die neun Tore (Augen, Ohren,<br />

Nase, Mund und die unteren Öffnungen) erhoben hat, erkennt man die göttliche<br />

Schau nicht.<br />

"Solange <strong>der</strong> Mensch sich nicht über das<br />

Bewußtsein (des Körpers) erhebt,<br />

Kann er die göttliche Schau nicht erfahren."<br />

Auch Kabir sagt, daß die Seele, die innerhalb <strong>der</strong> neun Tore umherwan<strong>der</strong>t, den<br />

kostbaren Schatz nicht finden kann:<br />

"O schöne Maid, du suchtest bei allen neun Toren, Und fandest dennoch den<br />

wun<strong>der</strong>baren Schatz nicht. O Kabir, hinter den neun Toren findest du ihn nicht; er<br />

liegt hinter dem Zehnten Tor."<br />

Wenn sich die Kräfte gesammelt haben, die normalerweise durch die neun Tore<br />

wirken, dann wird die göttliche Melodie hörbar und das innere Licht sichtbar. <strong>Die</strong><br />

Verbindung zu den Sinnen bricht ab, und man erblickt die subtilen Regionen. <strong>Die</strong><br />

Seele, das Gemüt und <strong>der</strong> Intellekt werden feiner und reiner.<br />

"Dort nehmen die Seele, <strong>der</strong> Verstand und <strong>der</strong> Intellekt ihre wahre Form an."<br />

Adi Granth<br />

Alle Fähigkeiten des ergebenen Schülers verbessern sich. <strong>Die</strong> seelischen und<br />

geistigen Kräfte werden feiner. Der Intellekt wird scharfsinniger. Lauscht man <strong>der</strong><br />

Melodie des göttlichen Klanges, werden die Mysterien aller höheren und subtileren<br />

spirituellen Regionen offenbart. Alles ist in uns vorhanden. Wer den Weg nach innen<br />

kennt, wird alles finden und besitzen.<br />

"Alles ist im menschlichen Körper,<br />

Ausgedehnte Län<strong>der</strong>, Regionen und<br />

Unterwelten.<br />

Der Lebensspen<strong>der</strong> wohnt in ihm<br />

Und erhält alles.<br />

<strong>Die</strong> spirituellen Schätze sind im Körper<br />

Und auch die Quellen <strong>der</strong> Hingabe.<br />

<strong>Die</strong> neun Regionen <strong>der</strong> Erde finden sich dort<br />

Mit all ihrem geschäftigen Treiben.<br />

Im Körper liegt <strong>der</strong> Schatz des Namens,<br />

Doch nur mit dem Shabd des Meisters<br />

Findet man ihn."<br />

Adi Granth<br />

In den Regionen <strong>der</strong> Seele befinden sich herrliche Himmelssphären mit ihren<br />

Herrschern. Den Weg <strong>der</strong> Seele säumen viele Berge, Flüsse, Seen und Wüsten, wie<br />

wir sie uns noch nicht einmal vorstellen können. In diesem Teil <strong>der</strong> Schöpfung<br />

erscheint unsere Welt wie ein Stück Seetang.<br />

"Im Menschen sind Seen, Wüsten und Berge. Bei ihrem Anblick sind<br />

Denkvermögen und Vorstellungskraft überwältigt und schweigen. In <strong>der</strong>


endlosen Weite <strong>der</strong> fünften Region erscheint diese Welt wie ein dünnes Haar im<br />

Ozean."<br />

Maulana Rumi<br />

Beim Hören auf den Tonstrom, <strong>der</strong> in allen Menschen wi<strong>der</strong>hallt, werden noch<br />

verbleibende Neigungen zum Umherschweifen abgelegt. Dann erst tritt vollkommene<br />

Konzentration ein. Der Tonstrom ist das Erbe von je<strong>der</strong>mann. Doch nehmen wir ihn<br />

nicht wahr, weil unsere Aufmerksamkeit nach außen gerichtet ist. Im Körper hallt die<br />

göttliche Musik im Zentrum <strong>der</strong> Seele wi<strong>der</strong>, und man vernimmt sie, wenn man das<br />

Augenzentrum im Innern erreicht.<br />

Der Tonstrom besitzt die Macht eines Magneten, <strong>der</strong> die Seele anzieht und sie zur<br />

Ruhe bringt. Dann steigt die Seele durch den Tonstrom zu dem Ort auf, von dem sie<br />

ausging. <strong>Die</strong>ser Ort ist <strong>der</strong> Ursprung <strong>der</strong> ganzen Schöpfung. Lauscht man <strong>der</strong> himmlischen<br />

Melodie mit ganzer Aufmerksamkeit, so wird man von Glückseligkeit erfaßt<br />

und kehrt <strong>der</strong> Welt ganz von selbst den Rücken.<br />

Wenn sich die Seele durch Simran, die Wie<strong>der</strong>holung, im Augenzentrum sammelt<br />

und die Sternenregionen, die Sonne und den Mond zurückläßt, erblickt sie im Innern<br />

die Strahlengestalt des Meisters, die den Schüler in seine endgültige Heimat führt.<br />

<strong>Die</strong> Aufmerksamkeit des Schülers ist nun äußerst konzentriert. <strong>Die</strong>ses Stadium<br />

erreicht er durch Simran, das Wie<strong>der</strong>holen. Von da an ist <strong>der</strong> Simran nicht mehr so<br />

sehr erfor<strong>der</strong>lich. Der Schüler verehrt seinen Meister und konzentriert seine<br />

Gedanken auf ihn, und nach und nach werden beide eins. Der Schüler geht im Meister<br />

auf. <strong>Die</strong>ses Stadium bezeichnen die Meister mit ihrem Hinweis: "Laß dein Selbst<br />

zurück und gehe im Guru auf." Auf diese Weise findet <strong>der</strong> Schüler wie von selbst<br />

seinen Weg in die höheren Regionen.<br />

Wenn dem Schüler die Gegenwart des inneren Meisters gewährt wird, betrachtet<br />

er ihn mit ungeteilter Aufmerksamkeit und schaut ihm in die Augen. Dann erreicht er<br />

durch das wun<strong>der</strong>bare Licht und die magnetische Anziehungskraft des Meisters ein<br />

hohes Maß an Konzentration. Nun ist es für die Seele ein leichtes, den Körper zu<br />

verlassen, und sie steigt zu inneren Regionen empor, wo sie verschiedene Szenen<br />

erblickt.<br />

<strong>Die</strong>s ist die einzige Methode, durch die man sich so leicht konzentrieren und sich<br />

<strong>der</strong> herrlichen Anblicke <strong>der</strong> inneren Regionen erfreuen kann. Simran und<br />

Kontemplation sind damit vollkommen, und die Melodie von Shabd, die anfänglich<br />

nur undeutlich zu hören war, wird jetzt klar und deutlich. Sie berauscht den Verstand<br />

und macht die Seele glücklich.<br />

Simran dient dem Zweck, die Seele im Augenzentrum zu sammeln, damit sie den<br />

Körper, dieses irdische Gefäß, willentlich verlassen kann.<br />

<strong>Die</strong> Kontemplation dient dem Zweck, die Seele in den höheren Regionen<br />

stillzuhalten. <strong>Die</strong>s wird erreicht, wenn die ganze Aufmerksamkeit auf die Strahlengestalt<br />

des Meisters gerichtet ist. <strong>Die</strong> göttliche Musik bringt die Seele in die<br />

höheren Regionen. Wenn <strong>der</strong> Schüler zur Strahlengestalt des Meisters Zugang<br />

gefunden hat, ist <strong>der</strong> Kampf schon halb gewonnen, denn in die höheren Regionen<br />

aufzusteigen, ist danach einfach und bereitet Freude. Der Meister führt seinen<br />

Schüler mit dem Glanz seines Lichtes und <strong>der</strong> überaus süßen Melodie des göttlichen<br />

Klanges. Sie betreten die Region des tausendblättrigen Lotos, <strong>der</strong> sich in <strong>der</strong> Mitte<br />

<strong>der</strong> Astralregion befindet und sehr hell leuchtet. In dieser Region blockiert die<br />

negative Macht den Weg des Schülers mit Hin<strong>der</strong>nissen. Der Meister aber beseitigt<br />

diese Hin<strong>der</strong>nisse und führt den Schüler weiter.


Nachdem sie viele an<strong>der</strong>e spirituelle Regionen durchquert haben, führt <strong>der</strong> Meister<br />

den Schüler nach Sach Khand, <strong>der</strong> Wahren Region.<br />

Das Himmelreich von Sach Khand ist in uns, eintreten kann aber nur, wer den<br />

richtigen Weg kennt. Wir sollten nach innen gehen. Shabd zu lauschen, ist die<br />

Übung, die dorthin führt. Nur durch diese Übung können wir von Verstand und<br />

Illusion, von Schmerz und Freude, von Dualität und von Geburt und Tod befreit<br />

werden.<br />

Zusammenfassend kann man sagen, daß die Lehre <strong>der</strong> vollkommenen Meister<br />

höchster Ordnung stets auf zwei Grundsätzen bestanden hat und besteht:<br />

Der erste lautet: Ein leben<strong>der</strong>, vollkommener Meister ist absolut notwendig, <strong>der</strong> die<br />

Seele seiner Schüler in ihre ursprüngliche Heimat, in die höchste himmlische Region<br />

zurückführen kann. Alle Meister betonen, daß ein Arzt, <strong>der</strong> vor 2000 Jahren starb,<br />

heute keine kranken Menschen mehr heilen kann. Ebensowenig kann ein Meister, <strong>der</strong><br />

vor ein paar hun<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> tausend Jahren lebte, die Menschen heute einweihen o<strong>der</strong><br />

taufen und die Seele Suchen<strong>der</strong> mit dem Schöpfer verbinden und sie damit auf den<br />

Weg <strong>der</strong> Erlösung, <strong>der</strong> wahren und endgültigen Befreiung, bringen.<br />

Der zweite betont die Wichtigkeit des Shabd, auch <strong>der</strong> Tonstrom o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hörbare<br />

Lebensstrom genannt. Er ist <strong>der</strong> Nad <strong>der</strong> Veden, Bang-i-Asmani o<strong>der</strong> Kalam-i-Ilahi<br />

<strong>der</strong> mohammedanischen Heiligen, <strong>der</strong> Tao o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Weg des Himmlischen Klanges<br />

Laotses, des erhabenen chinesischen spirituellen Meisters, und er ist <strong>der</strong> Heilige<br />

Geist, das WORT o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Logos <strong>der</strong> Bibel.<br />

Der Shabd ist <strong>der</strong> höchste Schöpfer, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> ganzen Schöpfung wie auch im<br />

Innern eines jeden Menschen pulsiert. Mit Hilfe seiner Schwingung müssen wir in<br />

unsere ursprüngliche Heimat zurückkehren. Nur ein leben<strong>der</strong>, vollkommener Meister<br />

kann die Seelen mit dem Shabd o<strong>der</strong> Naam verbinden, was ihre endgültige Erlösung<br />

vom Kreislauf von Geburt und Tod bewirkt.<br />

2. Buch<br />

Kapitel 1<br />

DIESE WELT IST NICHT UNSERE HEIMAT<br />

<strong>Die</strong> Welt ist unbeständig und vergänglich und ständigem Wandel unterworfen.<br />

Morgen schon ist sie nicht mehr wie heute. Nichts in dieser Welt ist von Dauer. Sie<br />

ist das Land des Todes und kann wie ein Haus aus Sand je<strong>der</strong>zeit vernichtet werden.<br />

Alles, was wir hier sehen, wird eines Tages vergehen. Alles, was <strong>der</strong> Welt<br />

angehört, ist nur von kurzer Dauer. Könige, ihre Untertanen, Häuser, Paläste, <strong>der</strong>en<br />

Bewohner, Gold und Silber, und wer sich damit schmückt, dieser Körper, die<br />

Kleidung, Männer und Frauen - alles ist vergänglich. Und weil <strong>der</strong> Mensch in allem so<br />

verfangen ist, hat er den Herrn vergessen. Niemand hier verdient es wirklich, geliebt<br />

zu werden. Viele sind schon gegangen, einige gehen gerade, und die übrigen stehen<br />

kurz davor.<br />

"Nicht unser Hab und Gut, nicht unser Ehepartner, Haus o<strong>der</strong><br />

sonst irgend etwas wird uns begleiten. Das ist gewiß."<br />

Adi Granth


"Täglich sterben Menschen; wir aber hoffen, ewig zu<br />

leben. Ist das nicht son<strong>der</strong>bar?"<br />

Mahabharata<br />

"Ein Gast bist du für eine Nacht, hoffst aber, ewig zu leben.<br />

<strong>Die</strong> Häuser und Reichtümer, die du siehst,<br />

sind wie <strong>der</strong> ständig wan<strong>der</strong>nde Schatten eines Baumes."<br />

Adi Granth<br />

Dennoch sind wir an diese Welt gefesselt. Unser Besitz, <strong>der</strong> Ehepartner, das Haus<br />

gehören uns nicht, und nichts wird uns begleiten, wenn wir die Welt verlassen.<br />

Warum hängen wir nur so sehr daran?<br />

Wir verschwenden unsere kostbare Zeit mit dem, was wir hier zurücklassen<br />

müssen, und denken nicht an das, was uns begleiten wird. Der Körper, in dem wir in<br />

diese Welt kamen, bleibt hier. Sein Äußeres und seine Jugend vergehen. Wie können<br />

wir uns da auf Beziehungen und Dinge verlassen, die diesen Körper betreffen? Es<br />

stellt sich die Frage nach dem Wert des Lebens. Unser Ideal und das, was wir<br />

wirklich erfahren wollen, sollten wir uns ständig vor Augen halten. Wer sich die<br />

Tatsache des Todes vergegenwärtigt, ist dieser Welt nicht verfallen und kann nichts<br />

Böses tun.<br />

Als Mensch ist uns die Möglichkeit gegeben, dem Herrn zu begegnen. Wer dem<br />

Herrn nicht mit Hingabe dient und sich nicht in NAAM übt, dessen Leben ist vergeudet.<br />

<strong>Die</strong> menschliche Geburt wird selten gewährt. Verschwenden wir also das<br />

Leben nicht, son<strong>der</strong>n dienen wir in Hingabe dem Herrn. In diesem vergänglichen<br />

Körper ist die Seele das einzig Wahre und Unsterbliche, ihr sollte unser wahres<br />

Interesse gelten.<br />

Hingabe<br />

Hingabe ist eine Eigenschaft, die allen Menschen von Natur aus mitgegeben ist.<br />

Je<strong>der</strong> besitzt die natürliche Neigung, in einer Gemeinschaft zu leben o<strong>der</strong> Glück und<br />

Freude mit jemandem zu teilen, denn <strong>der</strong> Mensch ist von Natur aus ein geselliges<br />

Wesen und erst dann zufrieden, wenn er mit dem Liebgewonnenen vereint ist. Bis<br />

dahin ist er ruhelos und wankelmütig.<br />

Der Mensch ist an vielen verschiedenen Dingen interessiert. Der eine vermehrt<br />

seinen Reichtum, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e geht ganz in <strong>der</strong> Familie auf, ein dritter möchte hohes<br />

Ansehen genießen und eignet sich Wissen und künstlerische Fähigkeiten an.<br />

Wer den Wohlstand anbetet, arbeitet unablässig Tag und Nacht und kann auch<br />

einiges zusammentragen, was aber nur dazu führt, daß <strong>der</strong> Wunsch nach noch<br />

größerem Wohlstand immer stärker wird. Haben wir tausend Mark sparen können,<br />

folgt ganz natürlich <strong>der</strong> Wunsch, weitere Hun<strong>der</strong>te o<strong>der</strong> Tausende zu sparen, bis uns<br />

die Geldgier völlig übermannt.<br />

Wer habsüchtig ist, kann gerade wegen dieser Habsucht nicht großzügig mit<br />

seinem Wohlstand umsehen und auch keinen Abstand von ihm gewinnen. Sein Geiz<br />

übermannt ihn mehr und mehr. Wer für seinen Wohlstand lebt, ist in dauern<strong>der</strong><br />

Angst vor <strong>Die</strong>ben und denkt ständig an die Sicherheit seines Besitzes in<br />

Stahlkammern o<strong>der</strong> Tresoren. <strong>Die</strong>se Sorge und auch die Angst vor dem Verlust<br />

seines Reichtums wird Teil seines Lebens. <strong>Die</strong> ständige Sorge raubt ihm Ruhe und<br />

Frieden.


Ein geiziger Mensch ist sehr selbstsüchtig, weil er seinen Reichtum we<strong>der</strong> für sich<br />

zu nutzen noch ihn Bedürftigen und Armen zu schenken vermag. Es bestätigt sich<br />

also, daß Reichtum unserer Hingabe nicht wert ist. Wir sind nicht dazu geboren,<br />

Reichtum anzuhäufen, <strong>der</strong> wie ein Schatten manchmal ab- und manchmal zunimmt,<br />

und wenn er ganz ausbleibt, innere Unruhe stiftet. Tatsächlich soll <strong>der</strong> Mensch den<br />

Wohlstand nutzen, nicht aber sein Sklave sein.<br />

Unsere Verwandten, Familienangehörigen und die Gemeinschaft, in <strong>der</strong> wir leben -<br />

alle werden einmal sterben. Niemand wird dem Tod entkommen, und je<strong>der</strong> geht<br />

seinen eigenen Weg. Weshalb hängen wir so an ihnen, wenn Tod und Trennung das<br />

Los aller Menschen ist? Je<strong>der</strong> hat ein an<strong>der</strong>es Wesen, und das führt ganz natürlich zu<br />

Meinungsverschiedenheiten. Daher kann auch unsere Zuneigung zu ihnen nicht<br />

unverän<strong>der</strong>t und gleichbleibend sein.<br />

Statt sich dem eigenen Selbst zu widmen, ist es besser, sich <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Familie und noch besser, seinem Land treu ergeben zu sein. <strong>Die</strong>s kann<br />

allerdings <strong>der</strong> Gefahr einer Bevorzugung und <strong>der</strong> Gruppenrivalität Vorschub leisten.<br />

Manchmal wird man erwünschte und auch unerwünschte Dinge tun, um seinen Ruf<br />

zu wahren und um vor <strong>der</strong> Kritik an<strong>der</strong>er bestehen zu können.<br />

Es ist aber zu wünschen, daß jemand, <strong>der</strong> mit Eifer seiner Nation o<strong>der</strong> seinem Land<br />

dient, keine Kritik scheut, seinen Prinzipien treu bleibt und keine gegenteiligen<br />

Meinungen fürchtet. <strong>Die</strong> Wahrheit läßt sich nicht beeinflussen, und wir sollten stets<br />

an ihr festhalten.<br />

Menschen, die sich ausschließlich ihrer Familie widmen, schüren oft<br />

Feindseligkeiten gegenüber an<strong>der</strong>en. Ebenso streiten sich die Patrioten eines Landes<br />

untereinan<strong>der</strong> und mit an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n. Kriege und Feindschaften in <strong>der</strong> Welt sind<br />

ganz <strong>der</strong> Streitsucht solcher Menschen zuzuschreiben.<br />

Auch Menschen, die auf ihre intellektuellen Errungenschaften stolz sind,<br />

argumentieren und streiten sich gern, wobei sie immer mehr von <strong>der</strong> Wahrheit<br />

abrücken. Sie werden immer versuchen, auf <strong>der</strong> Ebene des Intellekts zu<br />

argumentieren. Ihr Wissen stärkt ihren Eigendünkel, und sie sind mitunter so<br />

verblendet, daß sie zuweilen sogar ihren Prinzipien untreu werden. Ein Bru<strong>der</strong><br />

bekämpft den an<strong>der</strong>en, und durch die angewandte Wissenschaft und Technologie<br />

werden Waffen zur Vernichtung produziert. <strong>Die</strong>se Art von Wissen nimmt ständig zu<br />

und verursacht Konflikte und Elend.<br />

Wohlstand, Familie, Intellekt usw. können für uns und unser Wohl nützlich sein,<br />

wenn sie richtig eingesetzt werden. Da dies jedoch nicht möglich ist, lohnt es nicht,<br />

sich ihnen mit Hingabe zu widmen. Sie sind in sich selbst unvollkommen und nicht<br />

von Dauer.<br />

<strong>Die</strong> höchste Form <strong>der</strong> Hingabe ist die an Gott (Sat Purush), den Einen,<br />

Unverän<strong>der</strong>lichen und Unvergänglichen. Er hat alles erschaffen, und wir sind Seine<br />

Kin<strong>der</strong>. Wenn wir Gott lieben, können wir auch Seine Geschöpfe lieben, weil wir alle<br />

Brü<strong>der</strong> sind und Er unser Vater ist. Durch diese Liebe kommt unsere wahre<br />

Beziehung zu Gott, unserem Vater, und den Menschen, unseren Brü<strong>der</strong>n und<br />

Schwestern, zum Ausdruck.<br />

In einem gewöhnlichen Stück Glas kann man sein Gesicht nicht sehen. Erst wenn<br />

das Glas in einen Spiegel verwandelt ist, wird das Gesicht sichtbar. So kann auch nur<br />

ein reines Herz, das mit Liebe und Hingabe erfüllt ist, das Ebenbild Gottes in sich<br />

schauen.<br />

Unsere Hingabe sollten wir dem Erhabenen, Schönen und Vollkommenen schenken,<br />

<strong>der</strong> die Anziehungskraft eines mächtigen Magneten besitzt und den Geist an<strong>der</strong>er in<br />

sich aufnimmt und uns mit einem beson<strong>der</strong>en Glücksgefühl und mit Frieden erfüllt.


Loslösung o<strong>der</strong> dem Irdischen nicht verhaftet sein<br />

Wer niemandem und nichts in <strong>der</strong> Welt verhaftet ist, ist ungebunden. Verhaftetsein<br />

ist das Verlangen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wunsch nach materiellen Dingen o<strong>der</strong> Menschen. Wenn<br />

man die Aufmerksamkeit davon lösen kann, wird man von Irdischem unabhängig. Ein<br />

Mensch mit Urteilsvermögen weiß, daß diese Welt vergänglich ist, daß alles Illusion<br />

und dem Untergang bestimmt ist. Wenn die Ungebundenheit erreicht ist, verlieren<br />

diese weltlichen Dinge und Beziehungen ihre Bedeutung, und die Bindungen lösen<br />

sich ganz von selbst.<br />

Wenn die Gedanken nicht mehr um weltliche Objekte und Beziehungen kreisen<br />

und sich einem höheren Ziel zuwenden, dann findet hier eine Loslösung statt. An<strong>der</strong>s<br />

ausgedrückt: <strong>der</strong> Verstand löst sich von irdischen Wünschen und wird rastlos, weil er<br />

die Trennung von Gott spürt. Das Erwachen solcher Liebe ist <strong>der</strong> Schlüssel zur<br />

Loslösung.<br />

Der heilige Augustinus sagt:<br />

"Es ist das große Übel des Menschen, daß er sich dessen zu erfreuen sucht, was<br />

es zu meiden gilt, und das wohl meidet, was ihn erfreuen sollte."<br />

In <strong>der</strong> Tat, von allem, was mit <strong>der</strong> Welt zusammenhängt, sollten wir Abstand<br />

nehmen und alles Spirituelle in uns aufnehmen. Das ist wahre Loslösung. Um Gott zu<br />

begegnen, sollte dies mit Sorgfalt und wohlüberlegt geschehen. Erst dann erfahren<br />

wir den wahren Nutzen: wir entkommen dem Kreislauf von Geburt und Tod.<br />

"Löst sich <strong>der</strong> Geist von je<strong>der</strong> Bindung durch sorgfältiges Überlegen,<br />

dann ist man vom Kreislauf von Geburt und Tod befreit."<br />

Adi Granth<br />

Vollkommene Loslösung wird erreicht, wenn wir an nichts in dieser Welt gebunden<br />

sind. Dazu braucht man nicht sein Heim, die menschliche Gesellschaft und an<strong>der</strong>e<br />

Beziehungen aufzugeben. Was würde geschehen, wenn man Haus und Herd<br />

verließe? Das Gemüt würde neue Bindungen eingehen - selbst in einem Dschungel -,<br />

und das nicht nur mit seiner Umgebung, son<strong>der</strong>n auch in seinen Wünschen. <strong>Die</strong><br />

Heiligen befürworten diese Art <strong>der</strong> Trennung nicht, denn in <strong>der</strong> wahren Loslösung<br />

werden Geist und Seele von <strong>der</strong> Verhaftung an weltliche Dinge und Beziehungen befreit.<br />

Ein Mensch kommt auf die Welt und verschwindet wie<strong>der</strong> - wie eine Seifenblase.<br />

Was geschah vor seiner Geburt? Was wird nach seinem Tod sein? Der Wunsch, das<br />

Geheimnis <strong>der</strong> Mysterien des Lebens zu erfahren, wird in einem Sucher wach.<br />

Dadurch gewinnt er ganz natürlich Abstand zu dieser Welt <strong>der</strong> Illusionen, und die<br />

Suche nach einem viel höheren Wesen beginnt.<br />

Erst wenn man einem vollkommenen Meister begegnet, wird einem die Bedeutung<br />

wahrer Loslösung klar. Dann braucht man sich nicht mehr von <strong>der</strong> Welt und <strong>der</strong><br />

Familie zurückzuziehen, um von <strong>der</strong> Welt frei zu werden.


"O Verstand, wenn du einem wahren Meister begegnest,<br />

brauchst du nicht außen die Loslösung suchen,<br />

denn Er ist <strong>der</strong> Geber aller Dinge, <strong>der</strong> Ursprung allen Trostes<br />

und <strong>der</strong> nie versiegende Quell des Elixiers,<br />

<strong>der</strong> den Schüler zu ewigem Leben führt."<br />

Adi Granth<br />

In <strong>der</strong> Gegenwart eines Meisters nimmt die Seele eines Schülers die Eigenschaften<br />

Gottes an, und alles in <strong>der</strong> Welt verliert seinen Reiz. Der Ergebene geht weltlichen<br />

Aufgaben nach, hat sich aber innerlich von den Fesseln <strong>der</strong> Welt gelöst. Er lebt in <strong>der</strong><br />

Welt, ist aber nicht von ihr abhängig. Er erkennt, daß Gott das höchste Ziel ist und<br />

vergißt über Ihn die ganze Welt. Und so geht ihm Gott - obwohl er in dieser Welt lebt<br />

- nicht mehr aus dem Sinn.<br />

Ein wahrhaft ungebundener Mensch weiß, daß sein Körper, sein Haus, sein Palast,<br />

sein Besitz - alle Bindungen an diese Welt - eines Tages zurückbleiben müssen, und<br />

keiner weiß, wann das geschieht. Er lebt also nur dem Anschein nach in <strong>der</strong> Welt und<br />

widmet die meiste Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Läuterung seiner Seele, denn er möchte sie<br />

keinesfalls an diese Welt verlieren.<br />

"Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne<br />

und nähme doch Schaden an seiner Seele."<br />

Matth. 16, 26<br />

Wer die Stufe erreicht hat, wo er seinen Meister innen sehen kann, wann er will, ist<br />

stets von <strong>der</strong> Welt losgelöst. Er wird die Kritik an<strong>der</strong>er nicht beachten. Ein wahrhaft<br />

ungebundener Mensch hat den einen Wunsch: dem Herrn zu begegnen. Er kann<br />

ohne Ihn nicht leben und denkt bei jedem Atemzug an Ihn. Ohne den Herrn ist sein<br />

Leben sinnlos.<br />

"Ohne den <strong>Die</strong>nst am Meister ist die Welt nur Illusion.<br />

Ohne Shabd kann man den Ozean des Lebens nicht überqueren.<br />

Nur <strong>der</strong> ist vollkommen losgelöst, <strong>der</strong> ganz im Shabd aufgeht,<br />

denn <strong>der</strong> Shabd ist wahr. Der Shabd ist mein Meister,<br />

und <strong>der</strong> Shabd ist mein spiritueller Führer, <strong>der</strong> so unergründlich ist wie das Meer.<br />

Ohne Shabd ist die Welt ein trostloser Ort.<br />

Nur ein wirklich losgelöster Mensch erreicht Sahaj.<br />

Das sagt Nanak. Und es ist wahr!"<br />

Adi Granth<br />

Wer sein Selbst erkannt hat, lebt wunschlos in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Wünsche. Sein ganzes<br />

Sinnen ist Tag und Nacht auf Ihn gerichtet, und er ist wirklich losgelöst und eins mit<br />

dem Herrn. Wer allen Wünschen entsagt hat und auch von den Fesseln <strong>der</strong> Illusion<br />

frei ist, dessen Geist ist in je<strong>der</strong> Beziehung ungebunden und vom Losgelöstsein tief<br />

durchdrungen. Ein solcher Mensch ist sehr glücklich zu schätzen.


Kapitel 2<br />

WUNSCHLOSES HANDELN<br />

Bevor uns <strong>der</strong> Grundsatz des wunschlosen Handelns einleuchtet, müssen wir uns<br />

Klarheit darüber verschaffen, was mit dem Wort "Handeln" gemeint ist. Eine<br />

Handlung ist eine Tat. Je<strong>der</strong> Handlung geht <strong>der</strong> entsprechende Wunsch, die<br />

entsprechende Absicht o<strong>der</strong> <strong>der</strong> entsprechende Drang voraus. Der Wunsch entsteht<br />

zuerst in den Gedanken und wird dann in die Tat umgesetzt. Wir erkennen es<br />

anhand eines einfachen Beispiels:<br />

Ein Mensch hat den Vorsatz, einen an<strong>der</strong>en zu töten. Das ist seine Absicht o<strong>der</strong><br />

"innere Tat". Um den Vorsatz auszuführen, greift er zur Waffe und tötet den<br />

an<strong>der</strong>en. Das ist die äußere Vollstreckung seiner inneren Tat. <strong>Die</strong>se innere Tat ruft<br />

bestimmte Ströme hervor (sie wirken sich auf die Aura aus, auch wenn die Tat außen<br />

nicht begangen wird), die in ihm nicht nur einen tiefen Eindruck hinterlassen,<br />

son<strong>der</strong>n auch seine Umgebung stören.<br />

Wachen wir daher genau über unsere Gedanken und wägen wir ab, wie wir die<br />

Stufe des wunschlosen Handelns erreichen. <strong>Die</strong> Lehre <strong>der</strong> Heiligen, wie sie in unserer<br />

religiösen Literatur dargestellt wird, zeigt uns den richtigen Weg.<br />

Auf spirituellem Gebiet ist das Handeln von großer Bedeutung. Der Mensch hat<br />

einen physischen Körper, er handelt aber aufgrund seiner Gedanken. Seine jeweilige<br />

Geisteshaltung wird sich in seinem Handeln zeigen. "Unsere Gedanken sind <strong>der</strong><br />

Schlüssel zu unserem Erfolg", sagte <strong>der</strong> bekannte Philosoph Emerson. <strong>Die</strong> Taten des<br />

Menschen werden also immer von seinen Gedanken gesteuert; so sind seine guten<br />

o<strong>der</strong> schlechten Taten nichts weiter als die Folge entsprechen<strong>der</strong> Gedanken.<br />

Der Mensch wird also gut o<strong>der</strong> böse als Ergebnis seiner guten o<strong>der</strong> bösen Taten;<br />

und das alles geschieht aufgrund <strong>der</strong> eigenen Wünsche. Solange unsere Taten mit<br />

einem Wunsch einhergehen, bestimmen sie daher einen rechtschaffenen o<strong>der</strong> üblen<br />

Verlauf unseres Lebens.<br />

Für unser körperliches Wohl müssen wir selbst sorgen, auch für das an<strong>der</strong>er, sonst<br />

würden wir <strong>der</strong> Gesellschaft zur Last fallen. Daher ist es für den Menschen<br />

unumgänglich, daß er handelt. Aus <strong>der</strong> Geschichte wissen wir, daß die Heiligen in<br />

diesem Sinne handelten und solches Tun auch gutgeheißen haben. Es gilt jedoch,<br />

wirkungsfrei o<strong>der</strong> neutral zu handeln, eine wichtige aber unklare Aufgabe, die wir<br />

genau verstehen müssen.<br />

Ein Mensch, <strong>der</strong> sein Gemüt besiegt hat, wird auch Herr über sein physisches<br />

Handeln sein. Wer frei von aller Bindung und frei von Haß ist, ist ein Mensch, <strong>der</strong><br />

wirkungsfrei handelt, ohne eine Reaktion hervorzurufen.<br />

Wie können wir die Stufe des reaktionslosen o<strong>der</strong> wirkungsfreien Handelns<br />

erreichen? Wie können wir von allen Bindungen befreit werden, wie kann dem<br />

Kreislauf von Geburt und Tod, <strong>der</strong> unvermeidlichen Folge unserer Taten, ein Ende<br />

gesetzt werden? Und wer begreift das Rätsel des "reaktionslosen Handelns" schon,<br />

während er handelt? All diese Fragen finden in den Schriften eine einfache Antwort:<br />

Verstehen kann es nur, wer ein Gurmukh geworden ist.<br />

Was ist ein Gurmukh? Es ist jemand, <strong>der</strong> sich ganz dem Guru, dem Meister,<br />

ergeben hat, d.h. liebevoll und bedingungslos den Anweisungen seines Meisters<br />

folgt. Der Meister gewährt das Geschenk von Naam. Praktiziert man es, so wird das<br />

Ich vernichtet, und die wahre Stufe des "wirkungsfreien Handelns" wird erreicht. So<br />

wird durch die Gnade des Meisters die Karmalast erleichtert.


"Der Mensch entgeht dem Karma (einer Tat) nicht dadurch, daß er Taten meidet<br />

o<strong>der</strong> sie unterläßt, denn ohne zu handeln, kann er nicht einmal einen Augenblick<br />

existieren. <strong>Die</strong> geistige Aktivität des Menschen veranlaßt ihn, ständig tätig zu<br />

sein. Wer sich gewaltsam vom Handeln abhalten will, betrügt sich selbst, denn<br />

auf Dauer läßt sich <strong>der</strong> Verstand so nicht zügeln. Der ist ein geistig<br />

hochstehen<strong>der</strong> Mensch, <strong>der</strong> seinen Verstand dadurch besiegt, daß er ihn allen<br />

irdischen Wünschen entzieht. Er kann ohne Eigennutz und ohne Bindung<br />

handeln. Damit ist gemeint, daß er gelassen und 'frei' handelt, daß ihn also die<br />

Früchte seiner Taten nicht interessieren und ihm nur eines am Herzen liegt: dem<br />

Herrn zu dienen. Er erfüllt seine Pflichten entsprechend den Moralgesetzen o<strong>der</strong><br />

den Geboten <strong>der</strong> Religion, weil Handeln weitaus besser ist als Nicht-Handeln.<br />

Der Körper ist uns zum Zweck sowohl des inneren als auch äußeren Handelns<br />

gegeben."<br />

Bhagavadgita<br />

Alle Taten, seien sie nun gut o<strong>der</strong> böse, zu denen das Ich uns veranlaßt, sind die<br />

Ursache für unser Verhaftetsein, das uns an die Welt fesselt. Sowohl gute als auch<br />

böse Taten können uns hier binden, denn ob eine Fessel aus Gold o<strong>der</strong> aus Eisen<br />

besteht, sie bindet uns in jedem Falle. Für gute Taten können wir für eine gewisse<br />

Zeit mit dem Himmel belohnt werden, böse Taten können uns Strafen in <strong>der</strong> Hölle<br />

einbringen, die Knechtschaft <strong>der</strong> Seelenwan<strong>der</strong>ung aber bleibt bestehen.<br />

Alle Religionen weisen mit Nachdruck auf das wunschlose Handeln hin. In <strong>der</strong><br />

Bhagavadgita - dem Lied des Herrn - finden wir viele Stellen, die die Wunschlosigkeit<br />

o<strong>der</strong> das Handeln ohne Wunsch hervorheben. Dort heißt es: "In dieser Welt sollten<br />

wir bei Gott Zuflucht suchen, nachdem wir alle Wünsche abgelegt und alle Taten, die<br />

diesen entspringen, unterlassen haben."<br />

<strong>Die</strong> Hindu-Philosophie lehrt ebenfalls: Wer Erlösung erlangen will, muß sich aller<br />

Wünsche und aller Folgen des irdischen Handelns entledigen, die durch sie<br />

verursacht wurden. Alle heiligen Bücher enthalten diese Lehre des karmalosen<br />

Handelns. Weiter heißt es in <strong>der</strong> Bhagavadgita:<br />

"Der Zweck des Menschenlebens ist es, im Sinne des Yoga zu handeln. Allen<br />

Mitmenschen gegenüber sollten wir brü<strong>der</strong>lich gesinnt sein. Wir sollten uns<br />

selbst als in allen gegenwärtig betrachten, während alles uns durchdringt und<br />

erfüllt."<br />

"O Arjuna, deinem Ich hörig glaubst du, nicht kämpfen zu müssen. Das ist ein<br />

Trugschluß, denn was du nicht tun willst, wirst du unter dem Zwang deiner<br />

Natur tun müssen."<br />

Solange <strong>der</strong> Mensch glaubt, er sei <strong>der</strong> Handelnde, werden ihn die Fesseln des<br />

Karmas zurückhalten. Wer sich über alle Wünsche und das Ergebnis seiner Taten<br />

erhebt, wird von seinen Taten und <strong>der</strong>en Folgen unabhängig. Weiter heißt es in <strong>der</strong><br />

Bhagavadgita:<br />

"O Arjuna, wer nicht denkt: "Ich tue dies" und keine irdischen Wünsche und<br />

keine Bindung an die Welt mehr hat, dieser Mensch - selbst wenn er jemanden<br />

töten sollte - tötet nicht, und die Folge seiner Tat ist für ihn nicht bindend."<br />

"O Arjuna, gib allen Eigennutz auf und sieh keinen Unterschied zwischen<br />

Belohnung und Strafe. Versenke dich in deine spirituellen Übungen und handle


erst dann. Solches Tun hat keine Folgen. Handle nur in diesem Sinne. Wer auf<br />

diese Weise handelt, wird von den Fesseln <strong>der</strong> Seelenwan<strong>der</strong>ung befreit, und<br />

ihm wird die höchste Form <strong>der</strong> Erlösung zuteil."<br />

Je<strong>der</strong> Fortschritt, sei er intellektueller, physischer, religiöser, spiritueller o<strong>der</strong><br />

moralischer Art, setzt gute Gesundheit voraus. Ein Kranker kann nicht religiös aktiv<br />

sein. Er kann seinem Land, <strong>der</strong> Gesellschaft, <strong>der</strong> Gemeinschaft und seiner Religion<br />

nicht dienen und auch für seinen Lebensunterhalt nicht sorgen. Nicht einmal seinen<br />

spirituellen Übungen kann er richtig nachgehen; wie will er da Selbsterkenntnis<br />

erreichen?<br />

Nahrung ist für den Körper unentbehrlich. Ohne sie kann er nicht existieren. Sie<br />

sollte einfach und gut verdaulich sein und nur in solchen Mengen eingenommen<br />

werden, wie sie <strong>der</strong> Körper zum Erhalt braucht. Man sollte nicht allein wegen des<br />

Geschmacks essen und sollte darauf achten, daß man nicht zu viel, aber auch nicht<br />

zu wenig Nahrung zu sich nimmt, immer entsprechend den Bedürfnissen des<br />

Körpers. <strong>Die</strong> Nahrung sollte auch Bestandteile enthalten, die die erfor<strong>der</strong>liche Energie<br />

für Körper und Gehirn liefern. Wohlschmeckende Nahrung im Übermaß ist schädlich.<br />

Bei geistiger Arbeit sollte die Nahrung aus Nüssen, Äpfeln, Weintrauben und an<strong>der</strong>en<br />

Früchten, aus Milch, Mandeln usw. bestehen. Bei körperlicher Arbeit sind Butter,<br />

Reis, Zucker und an<strong>der</strong>e Kohlehydrate erfor<strong>der</strong>lich und auch kräftigende und<br />

aufbauende Nahrung wie Weizen, Milch und <strong>der</strong>gleichen.<br />

Wir brauchen viel frische Luft, Wasser und Kohlehydrate, wobei die Luft am<br />

wichtigsten ist, denn ohne sie können wir nicht leben. In <strong>der</strong> Wichtigkeit folgt als<br />

nächstes das Wasser. Luft und Wasser schenkt uns die Natur. Und auch die<br />

Kohlehydrate, die wir im Getreide finden, haben ihre Bedeutung. Alles, was <strong>der</strong><br />

Mensch benötigt, erhält er aus Obst, Gemüse, Getreide, Butter und Milch. Weizen<br />

wird als <strong>der</strong> beste Energiespen<strong>der</strong> unter den Getreidesorten angesehen.<br />

Vollkornweizenmehl, das noch die Kleie enthält, ist am nahrhaftesten.<br />

Gut bekömmliche Speisen sollten aus Gemüse und Getreide bereitet werden, die<br />

man mit ehrlich verdientem Geld erwirbt. Wer die Speisen zubereitet, sollte positive<br />

Gedanken hegen und beim Kochen die Namen Gottes ruhig und gelassen<br />

wie<strong>der</strong>holen. Das wirkt sich sowohl auf die Nahrung als auch auf diejenigen aus, die<br />

davon speisen. Durch <strong>der</strong>artige Nahrung werden sie friedvoll und werden gern an<br />

den Herrn denken.<br />

<strong>Die</strong> Heiligen ( Es gibt genügend Beweise dafür, daß Jesus den Vegetarismus lehrte<br />

und praktizierte, daß dieser aber im 4. Jahrhun<strong>der</strong>t aus <strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong> Kirche gestrichen<br />

wurde, um ihre Annahme durch Kaiser Konstantin zu erreichen.) lehren uns,<br />

daß wir überhaupt keinen Fortschritt machen können, wenn wir Tiere zu<br />

Nahrungszwecken töten. In <strong>der</strong> Welt Kals bleibt uns jedoch zur Erhaltung des<br />

Körpers das Töten nicht erspart. Nehmen wir aber die nötige Nahrung aus dem<br />

Pflanzenreich, so wird die tägliche Meditation das daraus resultierende Karma tilgen.<br />

Geistiger Fortschritt setzt auch voraus, daß wir unseren Lebensunterhalt ehrlich<br />

durch eigene Arbeit verdienen. Nur wer sein Einkommen redlich verdient, kann den<br />

Herrn verehren.<br />

"Ernähre dich von dem, was du ehrlich verdient hast, wenn du meditieren willst,<br />

damit sich Leiden und Schmerzen für dich nicht noch vergrößern."<br />

Von ehrlich verdienter Nahrung geht ein eigenes Licht aus. <strong>Die</strong> Nahrung ist <strong>der</strong><br />

Saat vergleichbar. Je nachdem, ob die Saat rein o<strong>der</strong> unrein ist, so wird auch ihre


Frucht entsprechend ausfallen und gute o<strong>der</strong> schlechte Gedanken in uns hervorrufen.<br />

Nehmen wir Nahrung zu uns, die wir durch harte Arbeit ehrlich verdient haben, so<br />

spüren wir in uns die Neigung, an Gott zu denken und Ihn zu schauen. Außerdem<br />

trachten wir nach Tugendhaftigkeit. Gott gab uns Hände und Füße. Nutzen wir sie<br />

zum Erwerb unseres Lebensunterhaltes. Den Reichtum an<strong>der</strong>er sollten wir nicht<br />

begehren. Durch Betteln verpflichten wir uns und sind auf an<strong>der</strong>e angewiesen.<br />

Begnügen wir uns mit dem, was wir haben. Werden wir von niemandem abhängig.<br />

Durch das luxuriöse Leben an<strong>der</strong>er sollten wir uns nicht verlocken lassen.<br />

Erhofft sich jemand seinen Lebensunterhalt von an<strong>der</strong>en, so verliert er seine<br />

Unabhängigkeit und wird <strong>der</strong> Sklave an<strong>der</strong>er und muß ihnen übermäßig schmeicheln.<br />

Wer seine Hände und Füße, seine Ohren und sein Gehirn nicht gebraucht, dessen<br />

Fähigkeiten verkümmern.<br />

Das Geld, das man zum Leben braucht, muß auf redliche Art verdient werden.<br />

Unredlich verdientes Geld ist kein Verdienst, son<strong>der</strong>n die Lebenskraft an<strong>der</strong>er. Guru<br />

Sahib sagt: "Ob Bettler o<strong>der</strong> reich, zum Leben braucht man Geld." Hält man seinen<br />

Reichtum verborgen und zeigt sich als wunschloser Menschen, so betrügt man die<br />

Welt. Auch wer durch Faulheit an<strong>der</strong>en zur Last fällt, verdient, getadelt zu werden.<br />

<strong>Die</strong> Heiligen lehrten schon immer, daß man seinen Lebensunterhalt selbst verdienen<br />

muß.<br />

Wer einem Gewerbe nachgeht o<strong>der</strong> einen Beruf ausübt und gerne arbeitet, wird<br />

nie einen an<strong>der</strong>en Menschen betrügen o<strong>der</strong> ihm vorenthalten, was ihm rechtmäßig<br />

zusteht. Ein Zeichen <strong>der</strong> Liebe beachtet <strong>der</strong> Mensch immer bereitwillig, weil die Liebe<br />

jedem innewohnt, und wenn wir sie jeden Tag praktizieren, wird man sie in uns<br />

erkennen.<br />

Sich in allem dem Herrn unterwerfen, ist <strong>der</strong> erste Schritt auf dem Pfad <strong>der</strong><br />

Hingabe, denn wenn wir Ihm alles in Demut übergeben, werden wir von <strong>der</strong> Karma-<br />

Last befreit und würdig, Ihn im Innern zu erkennen. Aber erst wenn durch das<br />

Auslöschen unseres Egos das Konto unseres Karmas im Innern getilgt ist, erst dann<br />

handeln wir, ohne eine Wirkung hervorzurufen. Unsere Taten sind erst dann lauter,<br />

wenn wir mit ihnen keinen Wunsch nach Vergeltung mehr verbinden. Wer so<br />

handelt, ruft bei seinen Handlungen keinerlei Wirkung mehr hervor. So ein Mensch<br />

wird Gotterkenntnis erlangen.<br />

Eine Handlung entspringt immer einem Wunsch o<strong>der</strong> einer Absicht, und ohne sie<br />

kommt es nicht zur Tat (denn wenn man handelt, ist es schwer, sich des Gedankens<br />

an Belohnung o<strong>der</strong> Strafe zu enthalten). Möchte man daher wunschlos handeln, so<br />

kann es nur durch vollständige Loslösung von <strong>der</strong> Welt geschehen. Solange <strong>der</strong><br />

Mensch noch nicht die Stufe <strong>der</strong> Wunschlosigkeit erreicht hat, sollte er sein Bestes<br />

versuchen und das Ergebnis all seiner Taten in die Hand des allmächtigen Vaters<br />

legen. Dann wird er nicht den Folgen seiner Taten unterworfen sein. Außerdem sollte<br />

er die spirituellen Übungen gemäß den Anweisungen des vollkommenen Meisters<br />

ausführen, denn wenn er einige Fortschritte auf dem spirituellen Pfad gemacht hat,<br />

wird sein Karma allmählich reduziert.<br />

Es wäre außerordentlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich, müßte man, um<br />

wunschlos zu werden, allem in <strong>der</strong> Welt entsagen. Nur sehr wenigen würde das<br />

gelingen, und ihnen gebührte alle Hochachtung.<br />

An dieser Stelle müssen wir nun erwägen, wie die überwiegende Mehrheit <strong>der</strong><br />

Menschen, für die eine solche Entsagung undurchführbar erscheint, wirkungsfrei -<br />

also wunschlos - handeln kann. Für sie ist es unumgänglich, im Namen Gottes zu<br />

handeln. Um sich von den Fesseln des Karmas zu befreien, müssen sie die<br />

spirituellen Übungen, wie von einem vollkommenen Meister angewiesen, ausführen


und sich von <strong>der</strong> Hingabe zum Herrn und Meister prägen lassen.<br />

"Alles, was du tust, was du ißt, was du gibst, was du in Andacht verrichtest und<br />

an Buße tust, o Arjuna, übergib alles mir, denn dadurch wirst du von den Folgen<br />

deines Handelns befreit (du wirst wunschlos handeln), und wenn du den Pfad<br />

<strong>der</strong> Entsagung, beschreitest, wirst du Erlösung erlangen und in mich eingehen."<br />

Bhagavadgita<br />

Kapitel 3<br />

VERLETZE NIEMALS DIE GEFÜHLE EINES ANDEREN<br />

Wollen wir den Weg <strong>der</strong> Spiritualität gehen, dürfen wir niemals die Gefühle eines<br />

an<strong>der</strong>en verletzen, son<strong>der</strong>n müssen ihm Sympathie entgegenbringen und ihn<br />

aufmuntern. Kränkt man die Gefühle an<strong>der</strong>er, so wird das Herz finster. Bringt man<br />

ihnen aber Sympathie entgegen und stellt sie zufrieden, wird das Herz mit Licht<br />

erfüllt. Verletzt man die Gefühle an<strong>der</strong>er, ist Unreinheit und Entstellung die Folge,<br />

während Sympathie Schönheit und Zierde verleiht. Das eine bringt Härte und<br />

Schwierigkeiten, während das an<strong>der</strong>e besänftigt und alles vereinfacht. Verletzen wir<br />

die Gefühle an<strong>der</strong>er, so fügen wir ihnen Schmerzen zu. Es kann aber auf dreierlei Art<br />

und Weise vermieden werden:<br />

1. Mental: Beherrsche den Verstand, so daß <strong>der</strong> Gedanke, an<strong>der</strong>e zu verletzen,<br />

gar nicht aufkommt.<br />

2. Mit <strong>der</strong> Zunge: Hüte deine Zunge, damit sie nichts Unrechtes spricht. Sie sollte<br />

nicht mit unhöflichen o<strong>der</strong> beleidigenden Worten beschmutzt werden. Eine<br />

einzige Beleidigung wirkt sich in vielerlei Hinsicht negativ aus. Böse Worte<br />

führen zu Streit, Disharmonie und Leid. Im Zorn benutzt <strong>der</strong> Mensch unangebrachte<br />

Worte und beleidigt zutiefst; er will den Sieg davontragen.<br />

Der Heilige aber gibt sich geschlagen und schweigt. Beleidigungen sind wie<br />

Glühende Kohle, in <strong>der</strong>en Rauch Zorn, Wut und Verleumdung aufsteigen.<br />

Sadhu wird man erst, wenn man sie überwunden hat.<br />

"<strong>Die</strong> Kränkung ist ein einziger Vorgang.<br />

<strong>Die</strong> Reaktion darauf erzeugt vielfachen Wi<strong>der</strong>hall.<br />

O Kabir, wird sie nicht erwi<strong>der</strong>t, so bleibt sie eine.<br />

Kränkung führt zu Zwist, Leid und Disharmonie.<br />

Wer sich geschlagen gibt, ist ein Heiliger;<br />

Wer streitet, ist gemein.<br />

Kränkungen sind wie glühende Kohle,<br />

Zorn, Hinterlist und Verleumdung sind ihr Rauch.<br />

Wer darüber steht, <strong>der</strong> ist ein Heiliger."<br />

Kabir


"Trinke Wein und versenge den Teppich. Stecke die Ka'ba in Brand.<br />

Wohne im Götzenhaus. Aber verletze die Gefühle an<strong>der</strong>er niemals."<br />

3. Mit dem Körper: Beherrsche den Körper, damit keines seiner Organe, Hände o<strong>der</strong><br />

Füße jemandem Schaden zufügt. Dem Herzen eines an<strong>der</strong>en Schmerz zuzufügen,<br />

ist Gewalt, die verboten ist. Wer das Herz eines an<strong>der</strong>en durch Worte o<strong>der</strong> Taten<br />

verletzt, ist ein großer Sün<strong>der</strong>.<br />

Vergebung<br />

Vergeben bedeutet, an<strong>der</strong>en ihre Fehler zu verzeihen und diese dann völlig zu<br />

vergessen. Menschen, die nicht vergeben können, kämpfen gegeneinan<strong>der</strong> und<br />

vernichten sich. Millionen gehen zugrunde, weil ihnen diese Tugend fehlt.<br />

Ein Mensch mit versöhnlichem Wesen ist ruhig, demütig, geduldig und nachsichtig.<br />

Auch in schwierigen Situationen ist er immer zur Versöhnung bereit und stets<br />

fröhlich. Zwei Mächte spielen in <strong>der</strong> Welt eine Rolle: Gerechtigkeit und Vergebung<br />

aus Barmherzigkeit. Gerechtigkeit ist gut; was aber durch Vergebung vollbracht<br />

werden kann, ist durch Gerechtigkeit nie zu erreichen. Irren ist menschlich, und <strong>der</strong><br />

Mensch macht oft Fehler. Wollte man jeden Irrtum ahnden, so würde man die dem<br />

Irrtum Unterliegenden ausrotten. Wie kann man Blut mit Blut waschen? Wenn wir<br />

Gerechtigkeit for<strong>der</strong>n, werden die Schuldigen bestraft. Der Schuldige muß dann seine<br />

Strafe verbüßen. Das aber beseitigt den Haß gegen den Kläger nicht, son<strong>der</strong>n schürt<br />

ihn vielmehr. Bei je<strong>der</strong> Begegnung mit dem Kläger lo<strong>der</strong>n in ihm Rachegelüste auf,<br />

und <strong>der</strong> Beklagte findet keine Ruhe, bis er sich gerächt hat. Nun wie<strong>der</strong>um sinnt <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e auf Vergeltung, und <strong>der</strong> Konflikt weitet sich immer mehr aus, da Gerechtigkeit<br />

Groll und Rachsucht nicht beseitigen kann. Verzeihen wir aber jemandem aus<br />

Güte und Barmherzigkeit, so ist die Wirkung von großer Tragweite. Der Streit ist<br />

geschlichtet, Rachegedanken entstehen nicht. Der, dem vergeben wurde, ist dankbar<br />

und empfindet freundschaftliche Gefühle für den an<strong>der</strong>en.<br />

Gedanken an Strafe und Rache verbreiten Unruhe, Unbehagen und Unordnung in<br />

<strong>der</strong> Welt. <strong>Die</strong> Reaktionen entsprechen den Gedanken, die wir verbreitet haben, und<br />

beeinflussen uns wie<strong>der</strong>um. Strahlen wir Liebe aus, so kommt sie wie<strong>der</strong> auf uns<br />

zurück. Sind unsere Gedanken aber haßerfüllt, so wird auch Haß auf uns<br />

zurückfallen. Jede Tat ruft eine Reaktion hervor. Verbreiten wir Gedanken <strong>der</strong> Liebe,<br />

so ernten wir ihre Früchte, säen wir Dornen aus, so werden auch nur Dornen<br />

wachsen. Verzeihen wir also, dann werden uns die Menschen auch verzeihen. Man<br />

erntet das, was man sät.<br />

"O Farid! Wie willst du Trauben ernten, wenn du Dornen säst;<br />

Wie kann beim Spinnen von Wolle Seide entstehen?"<br />

Sheik Farid<br />

Wenn wir über niemanden schlecht denken, wird unsere Liebe allumfassend. Wenn<br />

wir einem Schuldigen verzeihen und ihm nichts Böses wünschen, werden wir keine<br />

Feinde haben. Ein Mensch, <strong>der</strong> vergibt, ist immer glücklich. <strong>Die</strong>ses Glücksgefühl, die<br />

Seelenruhe und <strong>der</strong> Friede, die durch Vergeben entstehen, sind ganz einfach<br />

unbeschreiblich.<br />

Nur ein Tapferer kann vergeben; ein Willensschwacher vermag es nicht. Der Herr<br />

ist gütig und mitleidsvoll. Nur wer Mitleid hat, bekommt die Kraft zu vergeben. Daher<br />

hat Kabir <strong>der</strong> Vergebung einen sehr hohen Rang eingeräumt. Er sagt sogar, daß <strong>der</strong>


Herr selber im Herzen eines versöhnlichen Menschen wohnt. Wo vergeben wird,<br />

findet man den Herrn in Form von Barmherzigkeit.<br />

Ibrahim Adham, König von Bokhara, mußte mehrere Jahre bei Kabir verbringen.<br />

Nachdem er ihm einige Zeit gedient hatte, schien <strong>der</strong> König sehr ruhig, still und<br />

gelassen geworden zu sein. Daher bat eines Tages Loi, die Frau Kabirs, ihren Mann,<br />

den König doch einzuweihen. Kabir aber, dem <strong>der</strong> innere Zustand Ibrahim Adhams<br />

bekannt war, erwi<strong>der</strong>te: "Das Gefäß ist noch nicht bereit." Als aber Loi darauf<br />

bestand, sagte Kabir: "Wenn Ibrahim Adham das Haus verläßt, dann schütte vom<br />

Dach einen Korb voll Kehricht über ihn." Als das geschah, rief Ibrahim aus: "Ach,<br />

wäre ich doch in Bokhara, dann könnte ich dem Übeltäter eine Lektion erteilen." Als<br />

Kabir dies erfuhr, bemerkte er: "Sagte ich nicht, das Gefäß sei noch nicht sauber?"<br />

Als wie<strong>der</strong>um ein paar Jahre vergangen waren, wandte sich Kabir mit den Worten<br />

an seine Frau: "Das Gefäß ist jetzt rein", worauf Loi bemerkte: "Äußerlich ist er noch<br />

<strong>der</strong>selbe und verrichtet seine Arbeit so still und ruhig wie zuvor." Darauf sagte Kabir:<br />

"Das letzte Mal hast du nur Kehricht über ihn geworfen, nimm dieses Mal Dreck und<br />

Unrat. Verbirg dich dann und horche, was er sagt."<br />

Als Ibrahim das Haus verließ, tat Loi, wie Kabir sie geheißen hatte, so daß die<br />

Kleidung Ibrahims völlig beschmutzt wurde. Er aber schaute ruhig und gelassen<br />

hinauf und sagte: "Ich danke dem Menschen, <strong>der</strong> diesen Unrat auf mich warf. Möge<br />

die Gnade Gottes mit ihm sein."<br />

Vergebung löscht das Feuer des Zorns. Nichts an<strong>der</strong>es kann ihn besänftigen.<br />

Solange <strong>der</strong> Schleier <strong>der</strong> Ichsucht besteht, bleibt dem Menschen die Wirklichkeit<br />

verborgen. Erst wenn er einem Meister begegnet, wird er sie verstehen. Dann wird<br />

das Feuer <strong>der</strong> Wünsche und <strong>der</strong> Selbstsucht gelöscht. Durch die Gnade des Meisters<br />

können wir Vergebung an die Stelle von Zorn treten lassen. Selbstsucht und Zorn<br />

verschwinden ganz aus dem Gemüt, in das Zufriedenheit eingekehrt ist.<br />

<strong>Die</strong> schönste Zierde <strong>der</strong> Vergebung ist <strong>der</strong> göttliche Glanz <strong>der</strong> Heiligen, und sie<br />

lehren die Vergebung.<br />

Liebenswürdigkeit<br />

Liebenswürdigkeit bedeutet Freundlichkeit, Umgänglichkeit, Hilfsbereitschaft,<br />

Großzügigkeit, Höflichkeit, Heiterkeit und Nachsicht. Schönheit hat keinen Wert,<br />

wenn sie nicht von guten Gewohnheiten begleitet wird. Was nützt ein prächtiges<br />

Haus in einer schönen Stadt, wenn es nur von mürrischen und unangenehmen<br />

Menschen bewohnt wird? Welchen Wert hat ein Baum, <strong>der</strong> zwar grün ist, aber nicht<br />

blüht und Früchte trägt? Was nützt eine goldene Uhr, die keine Zeit anzeigt, o<strong>der</strong><br />

eine schöne Lampe, die kein Licht spendet? Gleichermaßen - mag jemand noch so<br />

schön sein und dazu elegant und kostbar gekleidet - wenn er mürrisch,<br />

unsympathisch und ohne höfliche Umgangsformen ist, dann fehlen ihm jegliche<br />

menschlichen Tugenden. Erst ein freundliches und fröhliches Wesen macht uns zu<br />

einem wahren Menschen.<br />

Der Herr beschenkt jene, die an<strong>der</strong>en fröhlich und offenen Herzens begegnen.<br />

Ist ein Mensch gut aussehend o<strong>der</strong> reich, so betrifft das ihn allein. Ist er aber<br />

umgänglich und fröhlich, so werden auch an<strong>der</strong>e davon beeinflußt. Ist er stets<br />

mürrisch und legt seine Stirn in Falten, meidet man ihn lieber und möchte nichts mit<br />

ihm zu tun haben. Liebevolle Worte in Demut gesprochen treffen in das Herz eines<br />

an<strong>der</strong>en Menschen. Sie sind <strong>der</strong> wahre Glanz und die wahre Zierde des Menschen.<br />

Shah Farindu wurde einmal befragt, wie er seine <strong>Die</strong>ner beaufsichtige. Er sagte:<br />

"Mit Höflichkeit und Nachsicht." Dann fragte man ihn, wie er seine Probleme löse. <strong>Die</strong>


Antwort lautete: "Durch Milde und Freundlichkeit."<br />

Wie ernst das Problem auch sein mag, bleibe höflich, freundlich und bemühe dich<br />

um Harmonie. Das führt eher zum Ziel als Gewalt und Kampf. <strong>Die</strong> Wunde, die ein<br />

Schwert schlägt, heilt im Laufe <strong>der</strong> Zeit. <strong>Die</strong> Wunde aber, die von einem scharfen<br />

Wort herrührt, bricht jedesmal wie<strong>der</strong> auf, wenn man daran denkt. Wachen wir also<br />

darüber, daß uns kein hartes Wort entschlüpft. Erst denken, dann sprechen. Selbst<br />

wenn die Situation anscheinend Härte erfor<strong>der</strong>t, entziehe dich ihr aus Höflichkeit.<br />

Eine bittere Pille von einem fröhlichen Menschen schmeckt süß. Aber es fällt schwer,<br />

selbst etwas Süßes von einem groben Menschen anzunehmen.<br />

Der Verstand gleicht einer Krähe, die nichts an<strong>der</strong>es im Sinn hat, als Menschen zu<br />

ärgern. Ist er aber von Liebe erfüllt, wird er zum Schwan und stört niemanden.<br />

Das Herz ist die wahre Moschee, <strong>der</strong> wahre Tempel des Herrn. Das Herz eines<br />

jeden ist ein Tabernakel des Herrn. Wer an<strong>der</strong>en Schmerz zufügt, trifft den Tempel<br />

und zerstört ihn. Er entweiht und zerstört nicht nur den Tempel an<strong>der</strong>er, son<strong>der</strong>n<br />

auch den Tempel seines eigenen Herzens. <strong>Die</strong> Welt gleicht einem großen Rä<strong>der</strong>werk,<br />

dessen Teile wir sind. Ist auch nur ein Teil beschädigt, so kann es nicht einwandfrei<br />

laufen. Auch wenn nur ein Körperteil krank ist, so wird <strong>der</strong> ganze Körper in<br />

Mitleidenschaft gezogen. <strong>Die</strong> Welt ist wie ein Körper, von dem wir Körperteile sind.<br />

Wie können wir also glücklich sein, wenn wir einen Körperteil verletzen? Wer das<br />

versteht, verletzt kein lebendes Wesen; nicht einmal etwas Unbeseeltem wird er<br />

Schaden zufügen, geschweige denn einem Menschen. Seine ganze Denkweise, seine<br />

Art zu sprechen und sein Benehmen än<strong>der</strong>n sich. Verstand, Sprache und Körper sind<br />

Werkzeuge, mit denen man Gutes o<strong>der</strong> Böses vollbringt. Durch sie wird <strong>der</strong> Mensch<br />

zum Werkzeug des Guten o<strong>der</strong> Bösen. Schlechtes von an<strong>der</strong>en denken, Eifersucht,<br />

Haß und Feindschaft sind Sünden des Verstandes. Grobe Worte, Kritik an an<strong>der</strong>en,<br />

schlecht über sie reden, sie tadeln, sind Sünden <strong>der</strong> Sprache. Unrecht begehen<br />

bedeutet, mit dem Körper sündigen. Dazu gehören Ehebruch, Mord und Gewalt.<br />

Begegnet man einem Menschen mit Freude, so ist es, als ob man ihm Blumen<br />

darbringt, und ihr Duft hüllt ihn ganz ein. Seien wir also froh und heiter; wer uns<br />

dann begegnet, wird an unserer Freude teilhaben.<br />

Wir sollten uns nicht leicht erregen. In unserem täglichen Umgang sollten wir stets<br />

höflich sein. Wer uns begegnet, sollte von uns angetan sein. Ist man nur in<br />

bestimmten Situationen liebenswürdig, so ist man höflich. Ist man aber unter allen<br />

Umständen liebenswürdig und freundlich, so nennt man uns umgänglich. <strong>Die</strong>se<br />

Tugend ist <strong>der</strong> Spiritualität sehr dienlich.<br />

Enthaltsamkeit – Keuschheit<br />

Enthaltsamkeit bedeutet nicht, daß man lediglich Sinnenlust und Leidenschaften<br />

zügelt. Es bedeutet vielmehr, sich von allem sinnlichen Begehren zurückzuziehen.<br />

Lauschen wir sinnlichen Gesprächen und betrachten wir Dinge, die Leidenschaften<br />

erwecken, und wollen dem Geschlechtstrieb dennoch entgehen, so ist das, als ob wir<br />

die Hand ins Feuer legen und trotzdem hoffen, daß wir uns nicht verbrennen. Man<br />

sollte daher alles, was die Leidenschaften erweckt, nicht mehr beachten und es ganz<br />

aus den Gedanken verbannen, um ein keusches Leben führen zu können. Denn <strong>der</strong><br />

Zweck <strong>der</strong> Enthaltsamkeit ist es, den Herrn zu finden, und für dieses Ziel <strong>der</strong><br />

Gotterkenntnis ist sie ein wirkungsvolles Mittel.<br />

Wollen Mann und Frau zusammenleben, so ist es aus <strong>der</strong> Sicht des Meisters<br />

unbedingt erfor<strong>der</strong>lich, daß sie eine rechtmäßige Ehe geschlossen haben.


Keuschheit ist die schönste Blume aller menschlichen Tugenden. Sie macht einen<br />

Menschen zu einem Engel. Ihre Schönheit liegt in ihrer Reinheit. Durch sie bleiben<br />

Körper und Seele makellos und unbesiegt. Keuschheit läßt den Gedanken an eine<br />

Verbindung mit einem an<strong>der</strong>en Menschen außer dem eigenen Ehepartner nicht zu.<br />

<strong>Die</strong>s bedarf sehr großer Beherrschung, denn schon ein sündiger Gedanke kann die<br />

Keuschheit zu Fall bringen. <strong>Die</strong> Frucht, die am Baum hängt, bleibt frisch; wird sie<br />

aber gepflückt, schwindet ihre Frische. Ihre Haltbarkeit kann man etwas verlängern,<br />

wenn man sie in Honig legt. So kann auch die Enthaltsamkeit - hat man sie einmal<br />

verloren - nur durch außerordentliche Ergebenheit wie<strong>der</strong>erlangt werden. Solche<br />

Hingabe schützt die Seele wie <strong>der</strong> Honig die gepflückte Frucht. Sonst würden wir<br />

verbrennen wie die Motte in <strong>der</strong> Flamme.<br />

Schenken sich Mann und Frau in <strong>der</strong> Ehe ihre ganze Liebe, was bleibt dann noch<br />

für an<strong>der</strong>e übrig? Ein treuer Ehepartner ist für den an<strong>der</strong>en zu allem bereit. Wie<br />

können sie dann aber den Herrn und Seine Schöpfung lieben? Sie können nicht die<br />

ganze Menschheit als ihre Familie ansehen, da sie sich selbst nur in engen Bahnen<br />

bewegen. Je zahlreicher die Nachkommen, desto geringer wird die Liebe für den<br />

allgegenwärtigen Herrn. Wie können sie dann die Wahrheit erlangen?<br />

Welches Hilfsmittel haben nun Eheleute? Wie können sie den Herrn erkennen? Es<br />

gibt nur einen Weg: Ihre Zuneigung füreinan<strong>der</strong> bzw. ihre Partnerschaft sollte nicht<br />

dem Sinnesvergnügen dienen, son<strong>der</strong>n einzig dem Zweck, Nachwuchs zu zeugen. Sie<br />

sollten also ein Leben <strong>der</strong> Selbstbeschränkung führen und die Gebote <strong>der</strong> Heiligen<br />

Schriften zur Richtschnur ihres Geschlechtslebens in <strong>der</strong> Ehe machen. Nur einmal im<br />

Monat sollte man Beziehungen pflegen, bis ein Kind gezeugt ist. Und die Eltern<br />

sollten auch in <strong>der</strong> Lage sein, es aufzuziehen, damit es eines Tages auf eigenen<br />

Beinen stehen kann.<br />

Der Sinn des Menschenlebens ist nicht nur das Zeugen von Kin<strong>der</strong>n. Sein<br />

Hauptzweck ist die Vereinigung <strong>der</strong> Seele mit Gott. Wer dem spirituellen Pfad folgt,<br />

sollte dieses Ziel nie aus den Augen verlieren. Im Alter von ungefähr 40 - 50 Jahren<br />

sollten die sexuellen Beziehungen zwischen Mann und Frau eingestellt werden. Dann<br />

sollte man weiterhin seinen Lebensunterhalt durch eigener Hände Arbeit verdienen<br />

und seine Zeit dem Herrn und Seinen Geschöpfen widmen. Alle Heiligen und<br />

erleuchteten Seelen folgten diesem Weg. Sie führten bis zu einem gewissen Alter ein<br />

maßvolles Eheleben und lebten danach völlig enthaltsam.<br />

Swami Ram Tirath sagte, daß die Menschen erst dann Fortschritte erhoffen<br />

dürften, wenn sie gelernt haben, wie Brü<strong>der</strong> und Schwestern in Reinheit miteinan<strong>der</strong><br />

zu leben. Menschen, die die Reinheit des Lebens erfuhren, führten ein glückliches,<br />

gesundes und sorgenfreies Leben. Sieht man Ältere als Mütter o<strong>der</strong> Väter und alle<br />

an<strong>der</strong>en als Schwestern und Brü<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Töchter und Söhne an, so erhebt das den<br />

Menschen zu einem hohen moralischen Ideal und bewahrt ihn vor manchem<br />

Kummer. Es wird auch seine physische und geistige Kraft vermehren, während<br />

an<strong>der</strong>e schwach und ungesund bleiben und von vielen Sorgen heimgesucht werden.<br />

Enthaltsamkeit kann man nicht allein durch Beherrschung des Körpers erreichen,<br />

denn will man den Körper beherrschen, muß zuvor <strong>der</strong> Verstand gezügelt werden.<br />

Enthaltsamkeit sollte man daher mit Gedanken, Worten und Taten üben. Beherrscht<br />

man zwar den Körper, befaßt sich aber in Gedanken mit Sinnesvergnügen, so wirkt<br />

sich das schädlich aus, denn die Gedanken nötigen den Körper, ihnen zu folgen.<br />

Dr. Nicholson schreibt: "Es ist medizinisch und physiologisch erwiesen, daß das<br />

gesündeste Blut des Körpers den Zeugungselementen bei<strong>der</strong> Geschlechter zugeführt<br />

wird. Ein reines und geordnetes Leben führt dem Körper diese Substanz über den<br />

Kreislauf wie<strong>der</strong> zu, wodurch die Bildung feinster Gehirn-, Nerven- und Muskelzellen


möglich wird. Dem Mann gibt dieser Rückstrom, an dem <strong>der</strong> ganze Körper teilhat,<br />

Stärke, Mut und Tapferkeit."<br />

Wenn man enthaltsam lebt, reicht schon eine einfache Ernährung aus, um gesund<br />

zu bleiben, und man wird keine Medizin usw. brauchen. Ein enthaltsamer Mensch<br />

wird ein reines Leben führen, sein Herz und Körper werden kräftig sein, und er wird<br />

lange leben. Er wird Herr seiner Sinne und seines Zornes sein, reinen und guten<br />

Herzens, tugendhaft, rechtschaffen, gewaltlos, rücksichtsvoll und sittsam. Daher<br />

werden seine Kin<strong>der</strong> für die kommende Generation ein wertvoller Gewinn sein.<br />

Wir sollten die Gemeinschaft lauterer Menschen suchen. Ist eine Begegnung nicht<br />

möglich, so sollten wir voller Liebe an den Meister denken. Das wird den geistigen<br />

Unrat fortwaschen. Wir sollten niemandem gestatten, unsere Reinheit zu beflecken.<br />

Um unsere Enthaltsamkeit zu wahren, sollten wir die Gemeinschaft <strong>der</strong>er meiden, die<br />

sich den sinnlichen Vergnügen hingeben. Das Gift ihrer lüsternen Gedanken wird mit<br />

Sicherheit jene beeinflussen, die mit ihnen zusammen sind. Daher sollten wir nur die<br />

Gemeinschaft edler und anständiger Menschen suchen. Mißlingt dies aber, so sollten<br />

wir mit Liebe und Hingabe, des Meisters eingedenk, meditieren. Das wird allmählich<br />

die inneren Unreinheiten beseitigen.<br />

Nächstenliebe<br />

Der Herr ist großzügig. Er spendet allen Segen. Unser Gebet lautet immer: "O,<br />

gütiger Herr, gib uns", und immer ist Er freigebig.<br />

Was immer Er gibt, ist für alle bestimmt. Alles, was wir haben, ist auch für an<strong>der</strong>e<br />

da. Teilen wir daher mit an<strong>der</strong>en und freuen uns. Wir alle gehören dem Herrn. Und<br />

wenn wir wirklich Sein werden, dann sind wir alle gleich und keiner wird uns als Ihm<br />

nicht zugehörig erscheinen.<br />

Teilt man sein hart verdientes Geld mit Hilfsbedürftigen und Kranken und gibt man<br />

auch Armen, Unterdrückten und Waisen, so ist das Nächstenliebe. Nächstenliebe ist<br />

für das Wohl <strong>der</strong> Welt unentbehrlich. Sie ist wertvoll und för<strong>der</strong>t eine wohltuende<br />

und erfrischende Atmosphäre, während Geiz die Atmosphäre verdirbt. Nächstenliebe<br />

ist wie Brunnenwasser, das kühl, frisch und süß ist, solange <strong>der</strong> Brunnen benutzt<br />

wird. Sie bedeutet: Hab und Gut mit Bedürftigen zu teilen und es für gute Werke zu<br />

verwenden. Wer nicht für mildtätige Zwecke spendet, verschwendet sein Geld<br />

nutzlos. Kabir Sahib sagt:<br />

"Sammelt sich Wasser im Boot o<strong>der</strong> Reichtum im Haus,<br />

so wirft <strong>der</strong> Weise es mit beiden Händen hinaus."<br />

Von Guru Nanak erfahren wir: "Sei mit deiner Nächstenliebe vorsichtig. Säe ihre<br />

Saat aufs Feld erst, wenn du es geprüft hast." Helfen sollte man nur den Bedürftigen,<br />

Hilflosen und Waisen, die keine bösen Taten begehen. <strong>Die</strong>ne den Hungrigen und<br />

Durstenden, denn welchen Zweck hat es, denen Geld zu spenden, die es bereits<br />

besitzen. Wohltätigkeit ohne gebührende Überlegung ist wie das Säen von Saat auf<br />

unfruchtbares Land. Wenn jemand, <strong>der</strong> sich um Spiritualität bemüht, einer<br />

Organisation spendet, die nicht den Bedürftigen dient, dann sät er gewissermaßen<br />

auf unfruchtbaren Boden.<br />

Wer sein Brot mit eigener Hände Arbeit verdient und es mit Bedürftigen teilt, wird<br />

am Tor des Herrn Anerkennung finden. Ein alter Mann hatte sich zur Pilgerfahrt nach<br />

Mekka aufgemacht. Im Traum begegneten ihm zwei Engel. Der eine fragte: "Wie<br />

viele Menschen begaben sich auf die Wallfahrt?" Der an<strong>der</strong>e antwortete:


"Sechshun<strong>der</strong>ttausend." Darauf fragte <strong>der</strong> erste: "Wie viele dieser Pilgerfahrten sind<br />

akzeptiert?" "Keine", lautete die Antwort. Aber er fügte hinzu, daß in Damaskus ein<br />

Flickschuster lebe, <strong>der</strong> zwar nicht gekommen, aber dessen Pilgerfahrt dennoch<br />

akzeptiert worden sei. Er hatte Geld für die Wallfahrt nach Mekka gespart; da aber<br />

seine Nachbarn hungerten, hatte er ihnen das Geld gegeben.<br />

Wahre Nächstenliebe besteht darin, nicht nur für den eigenen Lebensunterhalt zu<br />

sorgen, son<strong>der</strong>n auch an<strong>der</strong>en etwas zu <strong>der</strong>en spirituellem Wohl beizusteuern - ohne<br />

etwas dafür zu erwarten. Wer eine Zuwendung bekommen soll, weiß nur ein Heiliger,<br />

daher befrage man zuerst ihn.<br />

Heilige trachten nicht nach dem Reichtum an<strong>der</strong>er, denn sie besitzen den Reichtum<br />

von Naam. Sie sind frei von Sorgen und werden das gespendete Geld an Hungernde<br />

und Durstende verteilen, was dem Spen<strong>der</strong> zum Vorteil gereichen wird. So trägt er<br />

zum Glück an<strong>der</strong>er bei, und sie sind ihm zugetan.<br />

<strong>Die</strong> höchste Form <strong>der</strong> Nächstenliebe ist die, die <strong>der</strong> Seele zugute kommt: die<br />

Spende o<strong>der</strong> das Geschenk von Naam. Nur Meister vermögen dies. Dafür nehmen sie<br />

kein Entgelt; sie geben es gerne. Der Menschheit spenden sie damit einen großen<br />

Segen, erwähnen es aber mit keinem Wort. Sie schenken den Menschen Leben und<br />

bringen sie dazu, sich <strong>der</strong> Spiritualität zuzuwenden. Durch das Geschenk von Naam<br />

gewähren die Meister Millionen von Menschen Hilfe.<br />

Menschlichkeit<br />

Menschlichkeit bedeutet ganz einfach Liebe zum Herrn und Seiner Schöpfung. Man<br />

nennt sie auch Zuneigung o<strong>der</strong> Mitleid, Mitgefühl o<strong>der</strong> tiefempfundene<br />

Verbundenheit. Man erkennt sie daran, daß ein Herz wie Wachs dahinschmilzt, wenn<br />

es an<strong>der</strong>e leiden sieht. <strong>Die</strong>ses Leid wird wie das eigene empfunden. Wer es spürt,<br />

ermutigt den Leidenden, bringt ihm Wohlwollen entgegen, fühlt sich zu ihm<br />

hingezogen und bemüht sich, sein Leid zu lin<strong>der</strong>n. Der Mensch sollte voller Mitgefühl<br />

für an<strong>der</strong>e sein und <strong>der</strong>en Leid als das eigene ansehen. Sheikh Sa'adi sagt:<br />

"Zwischen einem Menschen, dem Freundlichkeit, Mitleid und Liebe fehlen, und einer<br />

Figur an <strong>der</strong> Wand besteht kein Unterschied. Beide sind nutzlos."<br />

"Ein Herz ohne Liebe ist wie eine Grabstätte. Es gleicht dem Blasebalg des<br />

Schmiedes, <strong>der</strong> Luft aufnimmt und wie<strong>der</strong> abgibt, aber dennoch ohne Leben<br />

ist."<br />

Wird das Feuer <strong>der</strong> Liebe geschürt, entfalten sich an<strong>der</strong>e Tugenden und<br />

Begabungen von selber.<br />

"Liebe, und alles wird dir gegeben."<br />

Gott ist die Liebe, und die Menschheit wird von dieser Liebe erhalten. Es ist daher<br />

die Pflicht des Menschen, Liebe zu üben. Wer liebt, wird niemals die Gefühle an<strong>der</strong>er<br />

verletzen.<br />

Niemanden mit Gedanken, Worten und Taten zu verletzen, ist ein guter Grundsatz.<br />

Das vermögen wir aber erst, wenn wir den Herrn lieben, <strong>der</strong> allem innewohnt.<br />

Jemand, <strong>der</strong> sich um Spiritualität bemüht, wird niemals die Gefühle an<strong>der</strong>er<br />

verletzen, weil sie für ihn alle Seine Geschöpfe sind.


Kapitel 4<br />

LIEBE<br />

Es ist nicht einfach, die Liebe zu begreifen, da ihr wahres Wesen sowie ihre Macht<br />

und Größe nicht in Worte zu fassen sind. Es handelt sich bei <strong>der</strong> Liebe um eine reine<br />

und zarte Gefühlsbewegung o<strong>der</strong> Ergriffenheit, und nur wer liebt, vermag sie zu<br />

erfahren. We<strong>der</strong> die Zunge noch die Fe<strong>der</strong> kann sie in menschliche Sprache kleiden.<br />

Sie ist in <strong>der</strong> Tat ein an<strong>der</strong>er Name für Gott. Und wie es unmöglich ist, die<br />

Erhabenheit Gottes einem irdischen Maß anzupassen, so ist es auch unmöglich, die<br />

erhabene Größe <strong>der</strong> Liebe angemessen in den Menschen verständliche Worte zu<br />

kleiden.<br />

Der natürliche Wunsch eines jeden Menschen ist es, glücklich zu sein, und dieses<br />

Empfinden ist die Frucht geistiger Konzentration. Den Schatz <strong>der</strong> Konzentration und<br />

des Glücksgefühls kann man durch die Liebe leicht erlangen, denn sie sind ihre<br />

natürlichen Merkmale. Ohne Liebe ist die Welt dem Elend und dem Irrtum<br />

ausgeliefert, was familiäre Auseinan<strong>der</strong>setzungen, religiöse Kontroversen,<br />

Blutvergießen, ja selbst Kriege unter den Völkern zur Folge hat.<br />

Vor Gott sind alle Geschöpfe gleich. Niemand ist besser o<strong>der</strong> schlechter. Aus Seiner<br />

Sicht existieren keine Nationalitäten, Rassen o<strong>der</strong> Glaubensbekenntnisse. Alle sind<br />

Seine Geschöpfe. Wer diese Wahrheit versteht, ist außerstande, jemanden zu<br />

hassen. Er liebt Gott, dessen Licht in allen Menschen gegenwärtig ist. Anhänger aller<br />

Glaubensrichtungen, ob Hindus, Mohammedaner, Sikhs o<strong>der</strong> Christen, empfangen<br />

Seine Liebe. Alle religiösen Schriften, alle Heiligen und Meister haben stets diese<br />

Wahrheit verkündet: "Wir sollen jedes erschaffene Wesen lieben." Christus sagt in<br />

<strong>der</strong> Bibel:<br />

"Ihr habt gehört, daß geschrieben steht, liebe deinen Nächsten und hasse deine<br />

Feinde. Ich aber sage euch, liebet eure Feinde, segnet die, die euch fluchen, tut<br />

Gutes denen, die euch hassen, und bittet für die, die euch übelwollen und<br />

verfolgen."<br />

Wo Liebe ist, da ist Leben. Wo keine Liebe ist, ist das Leben wertlos. Der Mensch<br />

wird erst dann zum wahren Menschen, wenn er den Funken göttlicher Liebe in sich<br />

birgt. Gott in <strong>der</strong> Form von Liebe ist in uns allen. Denen, <strong>der</strong>en Augen geöffnet sind,<br />

offenbart sich Gott in jedem Menschen - gleich Strahlen <strong>der</strong> Sonne o<strong>der</strong> Wellen des<br />

Meeres. Sie wissen, daß alle demselben göttlichen Funken <strong>der</strong> Liebe entstammen.<br />

Wer kann also gering und wer bedeutend sein? Vor Gott sind alle Menschen gleich,<br />

einerlei in welchen Lebensumständen o<strong>der</strong> welchem Land sie leben. Standesunterschiede<br />

o<strong>der</strong> unterschiedlicher Glaube o<strong>der</strong> Nationalität haben für jene, die<br />

die Gabe <strong>der</strong> Liebe besitzen, keine Bedeutung. Es gibt einen Gott im Himmel und<br />

eine Familie auf Erden. Maulana Rumi sagt:<br />

"Der Strom <strong>der</strong> Liebe fließt von Gott dem Einen durch das ganze Universum.<br />

Woran denkst du, wenn du einem Menschen ins Antlitz schaust? Schau ihn dir<br />

genau an! Nicht nur Mensch ist er, .son<strong>der</strong>n ein Strom göttlicher Essenz (Liebe),<br />

die ihn durchdringt."<br />

<strong>Die</strong> Liebe ist <strong>der</strong> kostbarste aller Schätze. Ohne sie besteht nichts, und durch sie ist<br />

alles. Wer keine Liebe im Herzen hat, sollte sich nicht Mensch nennen.


<strong>Die</strong> Liebe ist von nichts abhängig. Sie ist ein Meer des Glaubens und <strong>der</strong> Stärke.<br />

Sie verleiht Frieden und Gelassenheit. Sie ist von wahrem und dauerndem Wert. Wo<br />

die Liebe gegenwärtig ist, erscheinen alle Dinge <strong>der</strong> Welt schön. <strong>Die</strong> Ströme <strong>der</strong><br />

Liebe erfüllen die gesamte Atmosphäre mit Freude, und <strong>der</strong> Funke vom Lichte Gottes<br />

wird in ihr sichtbar.<br />

Göttliche und menschliche Liebe<br />

Liebe ist von zweierlei Art: einmal die physische, die menschliche und zum an<strong>der</strong>en<br />

die spirituelle o<strong>der</strong> göttliche Liebe. Erstere ist die Liebe <strong>der</strong> weltlich gesinnten<br />

Menschen, die fortwährend an die Welt und ihre Objekte gebunden sind. <strong>Die</strong> zweite<br />

ist die <strong>der</strong> Verehrer Gottes, die eine dauernde Verbindung mit dem Höchsten schafft.<br />

<strong>Die</strong> menschliche Liebe hat zwei Formen: <strong>Die</strong> eine wird durch eine beson<strong>der</strong>e Tat,<br />

eine beson<strong>der</strong>e Fähigkeit o<strong>der</strong> durch einen bestimmten Umstand, <strong>der</strong> mit einer<br />

Person o<strong>der</strong> einem Objekt zu tun hat, hervorgerufen.<br />

Nehmen wir z. B. einen fähigen Künstler o<strong>der</strong> Maler. Jemand liebt ihn, weil er<br />

Nutznießer seiner Kunst werden möchte, indem er möglicherweise ein schönes<br />

Gemälde o<strong>der</strong> ein kunstvoll illustriertes Buch von ihm erhalten zu können glaubt.<br />

Seine Liebe dient einem einzigen Zweck, und sobald dieser erfüllt ist, das<br />

Gewünschte erreicht ist, schwindet die Liebe für den Künstler dahin. Daran erkennt<br />

man die Selbstsucht dieser Liebe, die nicht dem Künstler o<strong>der</strong> Maler galt.<br />

O<strong>der</strong>: Ein Mann liebt seine Frau vielleicht nur, um sein sinnliches Begehren zu stillen.<br />

Ist dieses befriedigt o<strong>der</strong> seine Frau dazu nicht mehr in <strong>der</strong> Lage, erlischt seine Liebe<br />

für sie, und am liebsten würde er eine neue Beziehung beginnen. Das zeigt, daß<br />

seine Liebe nie<strong>der</strong>e Beweggründe hatte und gar nicht seiner Frau galt.<br />

Auch einen <strong>Die</strong>ner, <strong>der</strong> seine Arbeit gut verrichtet und unseren Anordnungen folgt,<br />

schätzen wir. Ist er aber alt und träge geworden, wird er entlassen. Wenn ein Pferd<br />

schön ist und Rennen gewinnt, gefällt es uns. Wird es aber schwach und alt,<br />

versuchen wir es loszuwerden. Unsere Liebe gilt we<strong>der</strong> dem <strong>Die</strong>ner noch dem Pferd;<br />

wir sind nur an <strong>der</strong> Arbeit interessiert, die sie für uns leisten.<br />

Nehmen wir eine hübsche Sängerin mit einer zauberhaften Stimme und jemanden,<br />

<strong>der</strong> Musik und folglich auch die Sängerin liebt. Verliert die Sängerin aber ihre Stimme<br />

durch Krankheit o<strong>der</strong> aus einem an<strong>der</strong>en Grund, ist <strong>der</strong> Zauber dahin und damit auch<br />

die Liebe verflogen. Jemand an<strong>der</strong>s mag eine Schönheit sein und wird deshalb<br />

geliebt. Vergeht aber die Schönheit durch Krankheit, Unfall o<strong>der</strong> Alter, erstirbt auch<br />

die Liebe, denn nur die Eigenschaft <strong>der</strong> Schönheit war <strong>der</strong> Grund für diese Liebe. So<br />

verhält es sich gewöhnlich mit <strong>der</strong> irdischen Liebe. Man liebt die äußere Schönheit,<br />

die äußere Schau. Das aber ist keine wahre Liebe.<br />

<strong>Die</strong> zweite Form <strong>der</strong> menschlichen Liebe ist <strong>der</strong> ersten überlegen, da sie nicht von<br />

materiellen Gegebenheiten und Fähigkeiten abhängt o<strong>der</strong> erzeugt wird und daher<br />

auch nicht mit ihnen versiegt. <strong>Die</strong>se Liebe läßt sich folgen<strong>der</strong>maßen charakterisieren:<br />

Sie entsteht spontan, ohne äußeren Anlaß und strömt aus tiefstem Herzen. Der<br />

Wunsch nach eigenem Vorteil und selbstsüchtige Motive sind ihr fremd. Es ist die<br />

natürliche Liebe, und hat man sie einmal erlebt, wird sie zu einem festen Bestandteil<br />

des eigenen Lebens. Wahre Liebe ist beständig. Solche Liebe ist besser, da sie nicht<br />

vom Objekt, seinem Wesen und Wirken sowie seiner Vergänglichkeit abhängig ist.<br />

Nicht nur das, sie endet selbst nach dem Tode nicht, weil sie mit <strong>der</strong> Seele<br />

verschmilzt. <strong>Die</strong>ses hohe Maß an Liebe findet man in <strong>der</strong> erstgenannten Art nicht.<br />

Liebt man jemanden ohne selbstsüchtige Beweggründe, dann stört man sich nicht<br />

an den Eigenschaften des Geliebten und übersieht diese bereitwillig um <strong>der</strong> Liebe


willen, denn die Eigenschaften als solche - ohne den Geliebten - sind für den<br />

Liebenden wertlos. Sein Wesen wird vom Licht <strong>der</strong> Liebe belebt, und <strong>der</strong> Geliebte<br />

wird für ihn zum Mittelpunkt, von dem alle guten Eigenschaften ausgehen. Er liebt<br />

allein aus Liebe, denn die Eigenheiten beeinflussen ihn nicht und sind für ihn<br />

unbedeutend.<br />

<strong>Die</strong> zweite Art <strong>der</strong> Liebe ist die göttliche Liebe. Auch sie hat zwei Formen.<br />

<strong>Die</strong> göttliche Liebe ist frei vom Beiwerk <strong>der</strong> Illusionen und in den oberen Regionen<br />

immer rein, in den unteren dagegen haften <strong>der</strong> Liebe die physische Materie an und<br />

die nie<strong>der</strong>en Triebe des Animalischen.<br />

Im allgemeinen lieben die Menschen Gott, weil sie Seiner Schöpfung zugetan sind.<br />

Er ist <strong>der</strong> Erhalter des Universums und sorgt sowohl für Sün<strong>der</strong> als auch für Heilige.<br />

Er schenkt Gesundheit, Kin<strong>der</strong>, viele an<strong>der</strong>e Gaben und Wohltaten. Und Er vergibt<br />

alle Sünden. Würde jemand Gott lieben, nicht Seiner Gaben wegen, son<strong>der</strong>n einzig<br />

aus Liebe, dann wäre solche Liebe von sehr hoher Art.<br />

<strong>Die</strong> wahre und wirkliche Liebe für Ihn ist jene, bei <strong>der</strong> sich das Wesen frei von<br />

selbstsüchtigem Antrieb zu Ihm hingezogen fühlt. Solche Liebe entsteht in einem<br />

Menschen, <strong>der</strong> wunschlos ist. <strong>Die</strong> Anziehung besteht ohne ersichtlichen Grund. Man<br />

findet ganz einfach keine Worte dafür, und wollte man es dennoch versuchen, so<br />

wäre jede Beschreibung unvollkommen. <strong>Die</strong>se hohe Art <strong>der</strong> Liebe mit unserer begrenzten<br />

Sprache und unserer Vorstellung zu beschreiben, ist ganz unmöglich.<br />

Wollte man fragen, was wahre Liebe zu Gott ist und wie jemand zu Ihm<br />

hingezogen wird, so fiele eine Antwort in menschlicher Sprache schwer. Tränen enthüllen<br />

die Tiefe dieser Liebe nicht. Auch die Ruhelosigkeit des Liebenden verrät nicht<br />

die Inbrunst seiner Liebe. Folgte aber jemand dem Pfad <strong>der</strong> Liebe zu Gott, dann<br />

würde die Seele einen Funken dieser Liebe spüren. Der Einfluß, den diese Liebe auf<br />

den Menschen ausübt, läßt sich verstandesmäßig nicht erklären.<br />

Alle Heiligen lieben Gott um Seinetwillen. Ihre Liebe ist ganz an<strong>der</strong>er Art als die <strong>der</strong><br />

gewöhnlichen Menschen. Wenn die Lebensumstände günstig sind und man die<br />

Annehmlichkeiten genießt, ist es leicht, Gott zu lieben. <strong>Die</strong> Heiligen aber schwanken<br />

in ihrer Liebe zu Gott selbst dann nicht, wenn sie Annehmlichkeiten entbehren<br />

müssen. Sie opfern ihren Leib, ihren Geist, Hab und Gut und selbst ihr Leben aus<br />

Liebe zum Herrn.<br />

Liebe, die sich mit den Umständen än<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> in Zeiten <strong>der</strong> Not ganz erlischt, ist<br />

keine wahre Liebe. Wahre Liebe währt ewig. Sie geht selbst in Stürmen <strong>der</strong> Not und<br />

Härte nicht unter. Solche Liebe ist für die Welt und die unwissende Menschheit ein<br />

Leitstern. Ihr Wert ist mit Geld nicht aufzuwiegen; dennoch kann man ihre<br />

Erhabenheit und ihre Überlegenheit <strong>der</strong> gewöhnlichen Liebe gegenüber wohl erkennen.<br />

"Liebe ist keine Liebe,<br />

<strong>Die</strong> <strong>der</strong> Wandel wandelt,<br />

<strong>Die</strong> dem Zwang sich beugt und flieht.<br />

Liebe ist ewiges Zeichen,<br />

Im Sturme fest und unerschütterlich.<br />

Leitstern verirrter Boote,<br />

Unschätzbar wertvoll, auch wer seiner Höhe naht."<br />

Zum besseren Verständnis folgen einige Abschnitte, in denen die Liebe durch eine<br />

Folge von Gegenüberstellungen erläutert wird.


Liebe und Lust<br />

Unter Liebe verstehen wir nicht sinnliches Begehren, in dem Lust überwiegt. <strong>Die</strong><br />

Form <strong>der</strong> Liebe, die durch den Naturtrieb hervorgerufen wird, ist keine wahre Liebe.<br />

Aus <strong>der</strong> Sicht Gottes ist sie vielmehr <strong>der</strong> Anlaß zu unserer Abkehr von Gott.<br />

Liebe und sinnliches Begehren sind grundsätzlich verschieden. Zwischen ihnen<br />

liegen Welten. Erstere ist ein einzigartig beleben<strong>der</strong> Strom, das an<strong>der</strong>e ein<br />

abscheuliches Übel, das die Lebenskraft vergeudet.<br />

Lust dient immer dem Eigennutz. Ein wollüstiger Mensch versucht immer, einen<br />

an<strong>der</strong>en zum Gegenstand <strong>der</strong> Befriedigung seiner eigenen Wünsche zu machen.<br />

Wahre Liebe jedoch hat nur das Bestreben, dem Geliebten Freude zu bereiten und<br />

ihm Trost zu schenken. Wer so liebt, kann Leid ertragen, um dem Geliebten Freude<br />

und Annehmlichkeiten zu bereiten, und er lebt froh im Willen dessen, den er liebt.<br />

<strong>Die</strong> Liebe ist dem Menschen angeboren. Wird aber diese Macht o<strong>der</strong> dieser Strom<br />

<strong>der</strong> Liebe in sinnliche Bahnen gelenkt, führt er den Menschen vom Pfad <strong>der</strong><br />

Gotterkenntnis ab. <strong>Die</strong>se fehlgeleitete Energie bezeichnet man als Lust. Enthält sich<br />

jedoch dieser Strom <strong>der</strong> Liebe sinnlicher Freuden und richtet er sich auf Gott, dann<br />

wird er zur wahren o<strong>der</strong> göttlichen Liebe.<br />

Liebe und Bindung<br />

Liebe ist nicht Bindung. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied. Durch Bindung<br />

hängen wir an unserem Körper, dem Ehepartner, den Kin<strong>der</strong>n, Verwandten, unserer<br />

Religion, Gesellschaftsstufe und unserem Land. Das heißt, man betrachtet alles als<br />

belanglos und fremd, was außerhalb dieser Verbundenheit steht. Jede Bindung ist<br />

zeitlich begrenzt, und wer davon betroffen ist, kann wahrem Wissen nicht zugänglich<br />

sein.<br />

Mit Anhänglichkeit ist ein starkes Gefühl <strong>der</strong> Selbstsucht verknüpft. In <strong>der</strong> Liebe<br />

aber erscheint alles gleich - Mensch o<strong>der</strong> Tier. Man liebt alle gleichermaßen, ja man<br />

liebt die ganze Schöpfung.<br />

In Bindungen spielen Selbstsucht und Ausschließlichkeit eine Rolle, und um seine<br />

Vorstellungen in die Tat umzusetzen, erniedrigt sich <strong>der</strong> Mensch zu bösen Gedanken<br />

und Taten. <strong>Die</strong> Folge ist nichts als Elend. <strong>Die</strong> Liebe ist frei von diesem Unrat. Ein<br />

Lieben<strong>der</strong> liebt alles.<br />

Weltliche Abhängigkeiten halten uns tief unten fest. Man kann nicht über den<br />

Dingen stehen. Es ist wie beim Feilschen: man tauscht nur um des eigenen Vorteils<br />

willen o<strong>der</strong> gar nicht. <strong>Die</strong> Liebe aber kennt nur das Geben.<br />

Ein Lieben<strong>der</strong> weiß auch, daß die wahre Liebe, also Gott, in jedem Geschöpf<br />

wohnt. Er liebt jeden, den Guten und den Schlechten, ohne eigennützige Hintergedanken.<br />

<strong>Die</strong> Liebe gibt dem Leben Halt, sie spendet dem Leben Kraft.<br />

Liebe, die auch nur zu einem kleinen Teil selbstsüchtig ist o<strong>der</strong> auch nur den<br />

Bruchteil eines Gedankens an Vorteil in sich trägt, ist keine wahre Liebe. Wahre Liebe<br />

existiert nur um ihrer selbst willen. Das einzige Verlangen eines wahren Liebenden ist<br />

die Vereinigung mit dem Geliebten. <strong>Die</strong>se Liebe erwacht, wenn die vom Geliebten<br />

ausgehenden Ströme <strong>der</strong> Liebe ins Herz eindringen. Das ist wahre Liebe. Sie<br />

unterliegt keinen äußeren Einflüssen.<br />

<strong>Die</strong> Liebe trachtet nicht nach Vorteilen. Man kann sie nicht kaufen. Sie bedeutet


Geben und nicht Nehmen. Überantworte Ihm deinen Körper, deine Gedanken und<br />

Anschauungen, dein Leben - erst dann wirst du die Wonne, im Bereich Seiner Liebe<br />

zu wandeln, erfahren.<br />

Sarmad sagt:<br />

"Ich habe meinen Körper, mein Leben und auch meine Religion hingegeben. <strong>Die</strong><br />

ganze Welt hängt an ihnen. Mir aber sind diese Fesseln genommen. Welch<br />

größeren Segen kann man sich wünschen?"<br />

Liebe und Schönheit<br />

Körperliche Schönheit ist vergänglich, wahre Liebe aber, diese Anziehungskraft, ist<br />

unvergänglich. Schönheit schwindet dahin, und sogar gute Werke finden ein Ende.<br />

Anmut und gute Manieren hören einmal auf, selbst ein schönes Antlitz vergeht. Aber<br />

wahre Liebe besteht, solange <strong>der</strong> Liebende lebt. Selbst nach seinem Tod vergeht sie<br />

nicht, son<strong>der</strong>n wird wie<strong>der</strong> ein Teil seiner Seele. Wahre Liebe ist unvergänglich, weil<br />

sie ein wesentlicher Bestandteil <strong>der</strong> Seele ist. Äußere Schönheit ist nicht von Dauer.<br />

Sie mag heute noch strahlen und morgen schon vergangen sein. Sind Jugend und<br />

Gesundheit dahin, schwindet auch die Schönheit. <strong>Die</strong> Liebe aber ist ewig.<br />

Äußere Schönheit ruht auf schwachen Füßen und ist kurzlebig. <strong>Die</strong> Liebe aber ist<br />

die Ureigenschaft <strong>der</strong> Seele und ist unsterblich. Ein Leben, das mit dieser Liebe erfüllt<br />

ist, bringt die Schönheit zur wahren Entfaltung, denn Schönheit dieser Art strahlt<br />

Seelenkraft aus. Solche Schönheit übt eine einzigartige Anziehung aus, denn sie<br />

erzeugt Liebe. Spricht aus <strong>der</strong> Schönheit nicht die Anmut <strong>der</strong> Seelenkraft, dann<br />

existiert auch keine Liebe. Einen Kolibri ziehen nur lebende Blumen an, künstliche<br />

reizen ihn nicht, auch jene nicht, die auf einer Wand o<strong>der</strong> auf Papier gemalt sind.<br />

Selbst wenn man die Gebeine des Liebenden zu Staub mahlt, vergeht die Liebe<br />

nicht. Auch <strong>der</strong> Duft im Sandelholz verflüchtigt sich nicht, wenn es staubfein<br />

zermahlen wird. Da <strong>der</strong> Ursprung <strong>der</strong> Liebe die Seele ist, ist auch sie genauso<br />

unzerstörbar und daher ewig. Schönheit kann vergehen, die Liebe aber nicht.<br />

Wo die Liebe ist, dort muß auch Schönheit sein. <strong>Die</strong> Liebe verleiht den Augen<br />

Freude und Glanz. <strong>Die</strong> Heiligen und Gottmenschen strahlen Ströme <strong>der</strong> Liebe aus,<br />

und diese lassen sie um so schöner erscheinen. Ihre Liebe entspringt <strong>der</strong> Seele und<br />

nicht dem irdischen Körper. Solchen Menschen ist Schönheit zu eigen, unabhängig<br />

von <strong>der</strong> Hautfarbe o<strong>der</strong> körperlichen Mängeln. In ihnen hat sich die <strong>der</strong> Seele innewohnende<br />

Liebe entfaltet, und ihren Körper schmückt jener geistige Glanz, welcher<br />

<strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>schein wahrer innerer Schönheit ist.<br />

Liebe und Wissen<br />

Zwischen Intellekt und Herz besteht ein himmelweiter Unterschied. Wissen steht<br />

mit dem Intellekt des Menschen in Zusammenhang und ist von rastloser Natur. Es<br />

will dem Menschen Klugheit vermitteln und errichtet in ihm eine Hochburg des Egoismus.<br />

Das Herz aber steht mit den inneren Strömen in Verbindung, die daher<br />

kommen, wo Liebe und Ergebenheit ihren Ursprung haben.<br />

Auf dem Pfade <strong>der</strong> Spiritualität ist das Herz von größerem Nutzen als das Gehirn.<br />

Der Intellekt durchleuchtet nur die Dinge, das Herz aber erzeugt die Macht <strong>der</strong><br />

Spiritualität. Der Intellekt bewirkt, daß sich die Aufmerksamkeit in <strong>der</strong> Welt zerstreut.<br />

<strong>Die</strong> Liebe aber zieht sie ganz aus ihr zurück - durch Sammeln <strong>der</strong> Aufmerksamkeit.


"Kluges Handeln, hun<strong>der</strong>ttausendmal, und geistige Klimmzüge schweißen uns<br />

mit Fesseln an diese Welt. Dem Anblick des Herrn bringt uns dies nicht im<br />

geringsten näher.“<br />

Adi Granth<br />

Der Weg des begrenzten Wissens und <strong>der</strong> <strong>der</strong> Liebe sind verschieden. Ersterer<br />

zerstreut uns durch die Wünsche des Gemüts, wohingegen uns letzterer lehrt, uns<br />

auf nur eine Sache zu konzentrieren. Ersterer for<strong>der</strong>t uns auf, uns <strong>der</strong> Welt<br />

zuzukehren und den Verstand mit weltlichem Wissen verschiedenster Art anzufüllen.<br />

Der Weg <strong>der</strong> Liebe aber sagt uns, daß <strong>der</strong> Geliebte <strong>der</strong> Ursprung allen Wissens ist<br />

und daß wir uns auf dem Pfad <strong>der</strong> Liebe vollkommen Ihm zuwenden und uns nur auf<br />

Ihn konzentrieren sollen, <strong>der</strong> in uns ist. Der Verstand läßt uns nach Freunden und<br />

Kameraden suchen, <strong>der</strong> Weg <strong>der</strong> Liebe aber gemahnt uns, Freunde zu meiden, die<br />

uns von unserem Geliebten fernhalten.<br />

Der Intellekt strebt nach hohem Ansehen in <strong>der</strong> Welt, nach politischen o<strong>der</strong><br />

religiösen Führungspositionen. <strong>Die</strong> Liebe aber lehrt uns: "Ziehe dich in einen stillen<br />

Winkel zurück und erfreue dich am Gedenken des Herrn aller Regionen." Begrenztes<br />

Wissen möchte sich intellektuelle Überlegenheit und Können in den verschiedenen<br />

Künsten aneignen. Aber die Liebe will uns nur jenen Pfad führen, auf dem die Seele<br />

zu göttlicher Verzückung hingerissen wird. Der menschliche Verstand - da er<br />

begrenzt ist - hält die Begegnung und den Anblick Gottes für unmöglich. <strong>Die</strong> Liebe<br />

aber schaut nach Herzenslust Seine Offenbarung in beiden Welten.<br />

Angesichts ihres begrenzten Wissens glaubt die Mehrheit <strong>der</strong> Menschen nicht, daß<br />

es heutzutage einen lebenden Meister geben könnte. <strong>Die</strong> Liebe aber lehrt, zunächst<br />

einmal die Binde <strong>der</strong> Unwissenheit und <strong>der</strong> Selbstsucht von den Augen zu entfernen,<br />

dann erst wird man nicht nur einen, son<strong>der</strong>n viele vollkommene Meister sehen. Unser<br />

mangelhafter Verstand und unser Intellekt hin<strong>der</strong>n uns daran, einem vollkommenen<br />

Meister zu begegnen.<br />

Der Verstand versucht uns glauben zu machen, daß Glück und Zufriedenheit uns<br />

allein aus weltlichem Besitz erwächst. <strong>Die</strong> Liebe aber lehrt, daß wahres Glück in <strong>der</strong><br />

Konzentration und inneren Standfestigkeit zu finden ist und man nicht den wertlosen<br />

Reichtümern dieser Welt nachlaufen soll.<br />

Das Gemüt treibt uns an, ein Leben in Behaglichkeit zu führen. <strong>Die</strong> Liebe aber<br />

lehrt: "Opfere dem Geliebten dein Haupt und dein dir so teures Leben." Das Gemüt<br />

führt uns bestenfalls zu himmlischen Freuden. <strong>Die</strong> Liebe aber lehrt, daß die Bitte o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Wunsch nach etwas an<strong>der</strong>em als dem Geliebten selbst die Ursache von Elend,<br />

Schmerz und Trauer ist. Deshalb sollten wir nie etwas an<strong>der</strong>es wünschen.<br />

Heißt das nun, daß Wissen und Intellekt wertlos sind? Alle Meister und Heiligen<br />

lehren die Menschen <strong>der</strong> Welt durch ihre Vorträge. Durch verstandesmäßige<br />

Beweisführung und Schlußfolgerungen unterscheiden sie zwischen Wahrheit und<br />

Unwahrheit. Wenn dem so ist, weshalb spricht man dann in so abwerten<strong>der</strong> Weise<br />

von Wissen?<br />

Begrenztes Wissen reicht über das physische Selbst nicht hinaus und läßt uns ohne<br />

Liebe für den Geliebten. Es mag jemand noch so gebildet und intellektuell sein, zum<br />

Tor des Geliebten aber kann er nicht durch bloße Gelehrsamkeit gelangen. Solange<br />

er nicht mit Gott, <strong>der</strong> nichts ist als Liebe, eins wird, bleibt er ohne Erfolg, und sein<br />

Intellekt wird ihn auf den falschen Pfad locken. Wird Wissen jedoch ohne den<br />

negativen Einfluß des Intellekts genutzt, dann kann es von seiner Begrenzung und<br />

seinem Unrat befreit werden. Sonst wird man weiterhin von den Sinnesfreuden


unterdrückt. Man kann dennoch mit Gott, dem Allwissenden, vereinigt werden, selbst<br />

wenn das Gemüt und die Sinne vom Wissen beherrscht sind. Das allerdings nur unter<br />

<strong>der</strong> Führung eines lebenden Meisters. Dann begegnet man wahrhaftig dem<br />

Geliebten.<br />

Der Menschenverstand ist begrenzt auf die Welt und ihre Objekte, weiter reicht er<br />

nicht. Nur wahre Liebe gelangt über sie hinaus, denn sie überschreitet alle Grenzen<br />

und nimmt Dinge wahr, von denen sich ein Intellektueller selbst in seinen kühnsten<br />

Träumen keine Vorstellung machen kann. Shamas-i-Tabriz schil<strong>der</strong>t den Unterschied<br />

zwischen Wissen und Liebe mit folgenden Worten:<br />

"Das Wissen behauptet, die Welt breite sich in sechs Richtungen aus, nach<br />

Norden, Süden, Osten und Westen, nach oben und nach unten, und daß es darüber<br />

hinaus keinen Weg gäbe. <strong>Die</strong> Liebe aber sagt: 'Es gibt einen Pfad, ich bin<br />

ihn oftmals gegangen.’<br />

Der menschliche Verstand behauptet, daß es nichts weiter als diesen Körper<br />

o<strong>der</strong> dieses Erdenleben gibt. Ihnen folgt nur noch <strong>der</strong> Tod und sonst nichts. Der<br />

Pfad <strong>der</strong> Liebe ist voller Dornen und Leid, unter keinen Umständen sollte ihm<br />

jemand folgen.<br />

<strong>Die</strong> Liebe aber sagt: 'Dornen mag es auf dem Pfad geben, aber auch<br />

lebensspendende Blumen. In <strong>der</strong> Liebe erheben wir uns über den Körper, denn<br />

nur so finden wir das ewige Leben. Fürchte deshalb die Dornen dieses<br />

scheinbaren Todes nicht.'<br />

Ohne die Hilfe und Führung eines Meisters kann die Seele das Ziel <strong>der</strong> Liebe<br />

nicht erreichen. Begrenztes Wissen und Vernunft allein genügen nicht, um<br />

dorthin zu gelangen, wo nur Ekstase und <strong>der</strong> Liebe Verzückung Zutritt haben.<br />

<strong>Die</strong> Fallstricke von Körper und Sinnesreizen vermögen nicht, das Herz eines<br />

Liebenden einzufangen, weil es bereits dort weilt, wo <strong>der</strong> Einflußbereich <strong>der</strong><br />

Materie endet, jenseits von Grenze und Namen."<br />

Wir sollten mit Einsicht an den Meister denken und ihn mit unserem geistigen Auge<br />

betrachten, weil wir nur dadurch Gnade an seinem Hofe erlangen. <strong>Die</strong> den Schriften<br />

weiser und edler Männer zugrundeliegende Bedeutung sollten wir sorgfältig zu<br />

verstehen versuchen und sie gründlich aus allen Blickwinkeln betrachten. Erst wenn<br />

wir <strong>der</strong> Überzeugung sind, daß <strong>der</strong> Pfad <strong>der</strong> Spiritualität <strong>der</strong> richtige ist, sollten wir<br />

ihm voller Vertrauen folgen. Nur in diesem Geiste sollte <strong>der</strong> Pfad Gottes und <strong>der</strong><br />

Spiritualität betreten werden. Alle an<strong>der</strong>en Pfade treiben uns ausnahmslos <strong>der</strong><br />

negativen Macht in die Arme.<br />

Liebe und Loslösung<br />

Wirkliche Loslösung besteht nicht darin, alles aufzugeben und einfach<br />

wegzulaufen. Sie ist vielmehr jene reine Geisteshaltung, bei <strong>der</strong> keine Wünsche mehr<br />

vorhanden sind, weil man sich über die Verlockungen <strong>der</strong> Welt erhoben hat. Ohne<br />

Einsicht ist Loslösung aber nicht möglich. Wenn dieses Stadium mit dem Wunsch<br />

verbunden ist, Gott zu begegnen, dann nennt man es Liebe. Liebe und Loslösung<br />

sind also keine unterschiedlichen Wesensmerkmale, sie sind verschiedene Begriffe<br />

für dieselbe Geisteshaltung.<br />

Je nachdem, wie sehr man sich von <strong>der</strong> Welt gelöst hat, kann man <strong>der</strong><br />

Bezeichnung Gottergebener o<strong>der</strong> Gottlieben<strong>der</strong> entsprechen. Wer in seinem Herzen


keine Liebe für Gott empfindet, hat sich noch nicht im geringsten losgelöst. In dem<br />

Maße, wie <strong>der</strong> Geist frei von Wünschen wird, wird er mit Liebe erfüllt. Wer noch tief<br />

in weltliche Bindungen verstrickt ist, kann kein Lieben<strong>der</strong> sein. Wenn wir uns vor Gott<br />

verneigen, müssen wir alle Wünsche fahren lassen, sonst ist es kein wahres Gebet.<br />

Losgelöstheit und Liebe sind das gleiche. Solange das Gemüt keine Abneigung<br />

gegenüber weltlichen Wünschen empfindet, kann es die Liebe nicht anziehen.<br />

Zweifellos kommt es vor, daß Gottergebene anfangs, obwohl sie sich gelöst haben,<br />

dann und wann um Weltliches bitten. Das schadet nichts, solange sie den Pfad mit<br />

<strong>der</strong> rechten Einstellung gehen und nicht um Erfüllung irgendwelcher Wünsche bitten,<br />

die mit den Sinnen zu tun haben. Kabir sagt:<br />

"Nichts weiter als das zum Leben Notwendige brauche ich, nämlich Mehl, etwas<br />

Salz und Hülsenfrüchte - genug, um zu leben. Alsdann brauche ich ein Bett, ein<br />

Kissen, eine Matratze und eine Decke zum Schutz gegen Wind und Kälte. Nichts<br />

weiter wünsche ich als das Vorrecht, Dir in tiefer Demut ergeben zu sein. Keinen<br />

an<strong>der</strong>en Wunsch habe ich als Deinen Namen."<br />

Christus sagt das gleiche noch eindringlicher:<br />

"Glaubet nicht, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden. Ich bin<br />

nicht gekommen, Frieden zu bringen, son<strong>der</strong>n das Schwert. Denn ich bin<br />

gekommen, den Mann wi<strong>der</strong> seinen Vater zu stellen, die Tochter wi<strong>der</strong> ihre<br />

Mutter, die Schwiegertochter wi<strong>der</strong> ihre Schwiegermutter. Wer Vater o<strong>der</strong><br />

Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn o<strong>der</strong> Tochter<br />

mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert."<br />

Ein Gottergebener, <strong>der</strong> sich von allem gelöst hat, bittet Gott niemals um etwas. Er<br />

bittet nur um IHN, denn alles an<strong>der</strong>e ist vergänglich und die Ursache von Schmerzen.<br />

"Etwas an<strong>der</strong>es von Dir zu verlangen als Dich allein, wird nur Schmerz und<br />

Kummer bringen. O segne mich mit <strong>der</strong> Wonne Deines Namens, damit ich<br />

befreit werde von <strong>der</strong> Begierde meines Geistes."<br />

Adi Granth<br />

Solch ein Ergebener erbittet nichts von Gott, weil er nichts möchte. Schmerzen,<br />

Kummer und Vorurteile gibt es für ihn nicht mehr. Wer einmal vom Elixier <strong>der</strong> Liebe<br />

gekostet hat, verschmäht alles an<strong>der</strong>e, und am Hofe des Herrn wird alles<br />

gutgeheißen, was er sagt. <strong>Die</strong>s bedeutet, daß ein so Ergebener materiellen Dingen<br />

keine Beachtung mehr schenkt.<br />

Göttliche Liebe ist Gott<br />

Vor <strong>der</strong> Erschaffung <strong>der</strong> Welt war Gott ein unermeßliches Allbewußtsein, gleich<br />

einem Ozean. Er war reine Liebe, reine Wonne, und Er war sich selbst genug. Gott<br />

war alles in sich selbst. Er war glückseliges, ruhendes Sein. Sein Ursprung war Liebe.<br />

Nicht Liebe für einen an<strong>der</strong>en, denn es existierte keiner. Es war Liebe in sich selbst.<br />

Sie war sein ganzes Wesen. Er war vollkommen unabhängig. Das ist <strong>der</strong> unbeschreibliche<br />

Zustand <strong>der</strong> Liebe, <strong>der</strong> dennoch anhand eines Beispiels erläutert<br />

werden soll:<br />

Nehmen wir einmal an, wir lieben Gott und sind ganz in Ihm aufgegangen. Dann


existiert das eigene Selbst nicht mehr, das Bewußtsein ist Körper und Geist entzogen,<br />

und alles, außer <strong>der</strong> Liebe für Ihn, ist vergessen. Dann verlieren wir uns im<br />

Gedanken an Seine Liebe so sehr, daß zwischen "uns" und "Ihm" kein Unterschied<br />

mehr besteht, wir sind die Glückseligkeit selbst. <strong>Die</strong>sen Zustand kann man nicht beschreiben,<br />

denn Gott ist die Liebe, und die Liebe ist Gott. Sie sind ein und dasselbe,<br />

beide sind unbeschreiblich. Gott ist ein unergründlicher Ozean <strong>der</strong> Liebe. <strong>Die</strong><br />

Glückseligkeit, die man im Gedanken an Seine Liebe empfindet, kann man mit<br />

keinem Glück und keiner Wonne dieser Welt vergleichen.<br />

<strong>Die</strong> göttliche Liebe ist von solcher Eigenart, daß man sie nicht in Worte fassen<br />

kann. Wollte man es dennoch versuchen, so könnte man sie mit einem sehr starken<br />

Magneten vergleichen. <strong>Die</strong> Liebe bestand schon von Anbeginn <strong>der</strong> Welt, und ihr<br />

Einfluß durchdringt auch heute noch - sichtbar o<strong>der</strong> unsichtbar - alle materiellen und<br />

spirituellen Regionen. Durch diesen Einfluß zieht sich alles gegenseitig an, und so<br />

existiert die Welt.<br />

<strong>Die</strong> wahre Liebe entbehrt jeglicher selbstsüchtigen Ziele o<strong>der</strong> Wünsche. Wie Gott<br />

uns liebt, so sollten auch wir unsere Liebe Ihm schenken und zum Ausdruck bringen:<br />

ohne jeden eigennützigen Zweck und ohne Wunsch nach Belohnung.<br />

Spricht man auch noch so viel über die Liebe, Worte sind nicht <strong>der</strong> Pfad <strong>der</strong> Liebe.<br />

<strong>Die</strong> Liebe wurzelt im Unendlichen, und ihre grünen Blätter entfalten sich grenzenlos.<br />

We<strong>der</strong> die Erde noch <strong>der</strong> Himmel erhalten den Baum <strong>der</strong> Liebe. Auch wenn in den<br />

Schriften <strong>der</strong> Versuch gemacht wird, die Liebe zu beschreiben, so sind die Gelehrten<br />

doch außerstande, sie wahrheitsgetreu zu schil<strong>der</strong>n, da sie unbeschreiblich ist. Nur<br />

ganz selten kann jemand (ein wahrer Meister) das Wissen von <strong>der</strong> Liebe einem<br />

wirklichen und wahrhaft Suchenden vermitteln. Weltlich Gesinnten ist sie fremd.<br />

Hafiz sagt:<br />

"Willst du in meine Schule aufgenommen werden, so wirf all deine Bücher fort.<br />

Von <strong>der</strong> wahren Liebe steht nichts darin geschrieben."<br />

Das Elixier <strong>der</strong> Liebe kann man in <strong>der</strong> Erfahrung kosten. Jede Beschreibung ist<br />

unzulänglich. Gott ist die Liebe, und die Seele ist ein Teil von Ihm. Gottes<br />

Eigenschaften finden sich deshalb im Menschen wie<strong>der</strong>. <strong>Die</strong> Liebe belebt das ganze<br />

Universum, es ist sozusagen ein Ausdruck <strong>der</strong> Liebe. Gott schuf den Strom <strong>der</strong> Liebe<br />

in dieser Welt, und durch diesen Strom wird die Welt erhalten.<br />

Gott ist die Liebe. Gott ist auch Naam und Shabd. An<strong>der</strong>s gesagt: das Wertvolle an<br />

Naam ist die Liebe, <strong>der</strong>en ungeheuer stark wirkendes Elixier all unsere bösen<br />

Neigungen zunichte macht, wenn wir es kosten. <strong>Die</strong> Liebe wohnt in <strong>der</strong> Seele. Sie<br />

erhält das Leben. Wie <strong>der</strong> Lotos dem Wasser und seiner Strömung Wachstum und<br />

Blüten verdankt, so ist die Liebe die lebensspendende Kraft <strong>der</strong> Seele. <strong>Die</strong> Seele<br />

existiert durch die Liebe Gottes. <strong>Die</strong> Seele empfindet Glück, wenn die Liebe Besitz<br />

von ihr ergreift. Guru Nanak sagt:<br />

"Gott ist unser Lebenselixier, du solltest Ihn lieben. So wie deine Liebe zu Ihm<br />

wächst, wird deine Seele auf dem Wasser <strong>der</strong> Liebe wie eine Lotosblume<br />

erblühen."<br />

<strong>Die</strong> Liebe ist es, die den kleinen Seelentropfen in den Ozean Gottes verwandelt.


3. Buch<br />

Kapitel 1<br />

DIE TUGENDEN<br />

Gott vereint viele Tugenden in sich. Eine von ihnen erfüllte Seele findet den Herrn<br />

und ist Ihm lieb und teuer. Sie ist die glückliche Braut, die <strong>der</strong> Herr liebt. Gott ist die<br />

Schatzkammer aller Tugenden. Wenn diese Tugenden Teil <strong>der</strong> Seele geworden sind,<br />

dann wird sie an <strong>der</strong> Pforte des Herrn geehrt. Im Adi Granth sind die Tugenden zu 14<br />

Leitsätzen zusammengefaßt, die sorgfältig beachtet und beherzigt werden sollten.<br />

1. Wie<strong>der</strong>hole den Namen und nimm die Gegenwart Parbrahms, des Erhabenen<br />

Herrn, wahr.<br />

"<strong>Die</strong> Tugendhafte fand die Wahrheit, als sie die sündhaften Wünsche aufgab.<br />

Sie tauchte ihren Geist in den Shabd des Gurus und sprach Worte <strong>der</strong> Liebe und<br />

Zärtlichkeit."<br />

2. Bezwinge den Egoismus, singe das Lob des Herrn und liebe Ihn.<br />

"Wer dem Herrn dient, erhält den Namen und verwahrt ihn in seinem Innern.<br />

Geist und Körper kommen zur Ruhe, und das Feuer <strong>der</strong> Begierden erlischt. Wer<br />

seinen Egoismus aufgibt, findet höchsten Frieden."<br />

3. Verletze niemals die Gefühle an<strong>der</strong>er.<br />

"Sprich zu niemandem unfreundlich, denn in jedem ist Gott. Brich niemandem<br />

das Herz, da alle Menschen reine Perlen sind."<br />

4. Sei niemals unhöflich, son<strong>der</strong>n gebrauche freundliche Worte.<br />

"Frage die gesegnete Braut, was sie dem Herrn so liebenswert machte. Es<br />

waren Zufriedenheit, einfache Kleidung und freundliche Worte."<br />

5. Lebe in Ehrfurcht vor dem Herrn.<br />

"Sie lebt und arbeitet in Ehrfurcht vor dem Herrn. Wenn sie die Pforte <strong>der</strong><br />

Erlösung durchschreitet, wird ihr hier und hernach an Seinem Hofe große<br />

Glückseligkeit zuteil."<br />

6. Lebe in Seinem Willen und gib alles an<strong>der</strong>e auf.<br />

"Sie ist wahrhaft geschmückt. Sie ist unvergleichlich schön,<br />

Sie allein ist die ewig glückliche Braut, die Gott annimmt."<br />

"<strong>Die</strong> ewig glückselige Braut, die den Meister liebt, ist stets voller Mitleid.<br />

<strong>Die</strong> Worte des Meisters sind kostbar wie Juwelen,<br />

und wer sie annimmt, genießt den Nektar <strong>der</strong> Liebe Gottes."<br />

7. Laß ab von Wünschen und Sünden.<br />

"<strong>Die</strong> Tugendhafte fand die Wahrheit, als sie von sündhaften Wünschen abließ.<br />

Sie tauchte ihren Geist in den Shabd des Gurus und sprach Worte <strong>der</strong> Liebe und


Zärtlichkeit."<br />

8. Gib deine Selbstsucht auf und sprich niemals schlecht über an<strong>der</strong>e.<br />

"Wenn du den Garten Eden betreten möchtest, sei gütig zu den Geschöpfen<br />

Gottes."<br />

9. Tue Gutes selbst den Übelgesinnten. Gerate nicht in Zorn. Sei demütig und prüfe<br />

dich selbst.<br />

"Sei niemandem böse, son<strong>der</strong>n erforsche dein eigenes Herz.<br />

Lebe demütig in <strong>der</strong> Welt, o Nanak, und du erlangst Seine Gnade."<br />

10. Gib Sinnenlust, Zorn, Habgier, Verhaftetsein und schlechtes Denken auf und<br />

diene in Demut. Begehre nicht die Frau eines an<strong>der</strong>en noch sein Hab und Gut.<br />

Laß keine boshaften Gedanken aufkommen, verleumde niemanden und lebe<br />

in Frieden.<br />

"Wer Lust, Zorn, Habgier und Verhaftung ablegt, das Böse und die Selbstsucht<br />

aufgibt, demütig wird und dem Herrn dient, ist Ihm lieb und teuer."<br />

11. Mache dir Wahrheit, Zufriedenheit, Mitleid und Vergebung zu eigen.<br />

"Frage die gesegnete Braut, was sie dem Herrn so liebenswert machte.<br />

Es waren Zufriedenheit, einfache Kleidung und freundliche Worte."<br />

12. Merze Zweifel aus, suche den Herrn, erkenne dich selbst, betrachte den Herrn<br />

als allgegenwärtig und alles durchdringend und diene den Heiligen.<br />

"Sei Sklave <strong>der</strong> Heiligen. <strong>Die</strong> Verbindung mit ihnen bringt Frieden.<br />

<strong>Die</strong> größte aller Tugenden aber ist, daß Gott dir nahe ist."<br />

13. Werde <strong>der</strong> Staub aller, betrachte jeden als Freund, siehe Gott in allen und tue<br />

nichts und niemandem unrecht.<br />

"Es gibt ein Licht. <strong>Die</strong>ses einzigartige Licht wohnt in jedem Herzen. Erkenne Gott<br />

in allem. <strong>Die</strong> Seele und <strong>der</strong> Herr sind eins, sie durchdringen alles. Verbeuge dich<br />

vor allen."<br />

14. Nimm den Tod als unabän<strong>der</strong>lich hin und sehne dich nicht nach <strong>der</strong> Zukunft.<br />

"Akzeptiere den Tod als erste grundlegende Tatsache und sehne dich nicht nach<br />

<strong>der</strong> Zukunft. Werde <strong>der</strong> Staub aller und komme dann zu Mir."<br />

Kasteiung o<strong>der</strong> Läuterung<br />

Kasteiung bedeutet, daß man sich körperlicher o<strong>der</strong> geistiger Mühsal unterzieht<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Praktiken anwendet, um den Egoismus zu überwinden. Im Dschungel zu<br />

leben und sich von Wurzeln und Früchten zu ernähren, im Feuer zu sitzen o<strong>der</strong> sich<br />

dem Feuer auszusetzen, auf einem Nagelbett zu liegen, mit erhobener Hand zu


stehen, sich lange im Wasser aufzuhalten o<strong>der</strong> sich an<strong>der</strong>en körperlichen und geistigen<br />

Martern auszusetzen, das nennt man Kasteiung.<br />

<strong>Die</strong>se Art <strong>der</strong> Selbstüberwindung dient dem Zweck, den Geist zu reinigen,<br />

sinnliches Begehren, Zorn, Habgier, Verhaftetsein und Egoismus abzulegen, um<br />

dadurch zur Gotterkenntnis zu gelangen.<br />

<strong>Die</strong> Lehre <strong>der</strong> Heiligen mißt <strong>der</strong> Kasteiung, die dem Körper Schmerzen zufügt,<br />

keine Bedeutung bei. <strong>Die</strong> innere Glut wird keineswegs dadurch gelöscht, daß wir<br />

unseren Körper dem Feuer und Wasser aussetzen, und unser Egoismus verschwindet<br />

nicht, wenn wir längere Zeit mit erhobener Hand stehen. Wenn das Ziel ohne<br />

körperliche Leiden erreicht werden kann, weshalb sollte man sich dann solchen<br />

Qualen aussetzen?<br />

"Wer dem Pfad folgt, den <strong>der</strong> Meister lehrt, trägt den Mantel des Wissens, <strong>der</strong><br />

mit <strong>der</strong> Nadel <strong>der</strong> Meditation und dem Faden von Shabd genäht ist. Mitleid ist<br />

seine Harke, <strong>der</strong> Körper das Brennholz, und im Augenzentrum zündet er das<br />

Feuer an. In seinem Herzen trägt er die Liebe zu Ihm und betrachtet entrückt<br />

alle vier Zeitalter. Der Name des Herrn, dem dieser Körper und dieses Leben<br />

gehören, vereint alle Yoga-Arten in sich. O Kabir! Wenn Er Erbarmen hat, führt<br />

Er ihn zur wahren Vollendung."<br />

Kabir<br />

<strong>Die</strong> Meister beschreiben die wahre Läuterung, mit <strong>der</strong> dem Kreislauf von Geburt<br />

und Tod ein Ende gesetzt wird und die Seele zur Pforte des Herrn gelangen kann.<br />

<strong>Die</strong> wertvollste Läuterung besteht darin, dem Meister zu dienen. So kehrt Gott in ein<br />

Herz ein, so erreicht man die Pforte des Meisters.<br />

"Dem Meister zu dienen, ist die beste Art <strong>der</strong> Läuterung. Gott wohnt im Herzen<br />

dessen, <strong>der</strong> Ihm dient, und beendet all sein Leiden. Für ihn ist Gott das Tor zur<br />

Wahrheit."<br />

Adi Granth<br />

<strong>Die</strong> Lehre <strong>der</strong> Heiligen besagt: Nur dann sind das Wie<strong>der</strong>holen heiliger Namen,<br />

Läuterung und <strong>Die</strong>nen nützlich, wenn sie Gott gefallen. Gefühle wie Selbstsucht und<br />

das Von-Ihm-getrennt-Sein verschwinden dann.<br />

"Das Wie<strong>der</strong>holen (heiliger Namen), Selbstdisziplin und Gehorsam dem Meister<br />

gegenüber, das ist die Läuterung, die ein Ergebener auf sich nehmen muß.<br />

O Nanak, das <strong>Die</strong>nen entfaltet die Seele, und das ist dem Herrn willkommen. So<br />

erkennt man die Wirklichkeit."<br />

Aufrichtige Liebe liegt allem Simran und aller Läuterung zugrunde. Wer reinen<br />

Geistes ist und den Herrn im Innern mit Liebe und Hingabe betrachtet, <strong>der</strong> hat das<br />

Ziel des Wie<strong>der</strong>holens und <strong>der</strong> Läuterung erreicht.<br />

Reinlichkeit<br />

Zu den religiösen Pflichten gehört in hohem Maße auch die Reinlichkeit. Man<br />

unterscheidet dabei zwischen <strong>der</strong> inneren und <strong>der</strong> äußeren Reinlichkeit, wobei<br />

Körper, Wohnung, Kleidung usw. <strong>der</strong> letzteren und Reinheit des Geistes und <strong>der</strong><br />

Sinne <strong>der</strong> ersteren zuzurechnen sind. Äußerliche Sauberkeit ist für die innere Reinheit


unentbehrlich und beeinflußt sie beträchtlich. <strong>Die</strong> Liebe zur Reinlichkeit steht <strong>der</strong><br />

Frömmigkeit nahe. Sowohl die innere als auch die äußerliche Reinheit sind<br />

wesentlich. Sauberkeit des Körpers, <strong>der</strong> Kleidung und <strong>der</strong> Wohnung sind für die<br />

Gesundheit wichtig. Dazu gehören: ein tägliches Bad, Zähne putzen, das Waschen<br />

<strong>der</strong> Klei<strong>der</strong> mit Seife und Wasser und das Leben an einem freien und sonnigen Platz.<br />

<strong>Die</strong> Körperhaut hat viele Poren, die dem Ausscheidungsprozeß dienen; durch sie<br />

beeinflußt die Umwelt den Körper. Man muß sie daher sauber und gesund erhalten.<br />

Reine Nahrung ist ebenso wichtig. Für vollkommene Reinheit sind ein einwandfreier<br />

Lebenswandel, reine Nahrung und ein guter Charakter unerläßlich.<br />

Innere Läuterung kann man durch Reinheit des Geistes und <strong>der</strong> Sinne erlangen,<br />

d.h. indem man zur Wahrheit gelangt o<strong>der</strong> den Kiangstrom praktiziert. Es ist, wie<br />

gesagt, notwendig, innerlich und äußerlich rein zu sein: Halte deinen Körper sauber<br />

und sprich freundliche Worte. Steigen ungute Gedanken auf, kann man auch nichts<br />

Reines von sich geben. Es ist daher unumgänglich, die Gedanken rein zu halten. Der<br />

Mensch spricht aus <strong>der</strong> Fülle seines Herzens - sei daher reinen Herzens und gütig in<br />

Worten. Wenn das Herz nicht rein ist, wie kann dann die Seele rein sein? Sprich nie<br />

unfreundliche o<strong>der</strong> verletzende Worte, son<strong>der</strong>n sage nur, was für alle wohltuend ist.<br />

Reinheit des Herzens bedeutet, keine schlechten Gedanken aufkommen zu lassen.<br />

Vereinige dich mit dem Klangstrom und befreie dich so von allen bösen Gedanken.<br />

Damit erlangst du die Reinheit <strong>der</strong> Seele.<br />

In Wirklichkeit sind Menschen mit wenig Spiritualität die "Unberührbaren", und<br />

nicht etwa Straßenkehrer, Schuster, usw. Ein wahrer Sucher sollte sich, um<br />

Gotterkenntnis zu erlangen, einer inneren Läuterung unterziehen, und zwar<br />

entsprechend den Anweisungen eines Meisters. Er sollte an nichts an<strong>der</strong>es als an<br />

Gott denken, damit Er sich ihm offenbaren kann.<br />

"Säubere die Kammer deines Herzens für den Geliebten,<br />

vertreibe alle Gedanken, um Ihm Platz zu machen."<br />

Unter einem reinen Körper verstehen die Meister eben jenen, in dem <strong>der</strong> wahre<br />

Name Gottes wohnt. Nur durch die Praxis des Shabd ist wahre Reinheit zu erlangen.<br />

Wenn ein Herz voller Hingabe für den unsterblichen Herrn und Meister ist, dann ist<br />

es rein.<br />

Demut<br />

Um <strong>der</strong> Gnade Gottes würdig zu werden, müssen wir unser Herz von falschem<br />

Stolz und eitler Einbildung befreien, denn nur ein leeres Gefäß kann gefüllt werden,<br />

Wenn wir demütig sind, können Kal und Maya uns nichts anhaben. Allen Heiligen ist<br />

Demut eigen, und sie verleiht ihnen Glanz. Was ist falscher Stolz o<strong>der</strong> Prahlerei? Sich<br />

auf eine Tugend etwas einbilden, die wir nicht besitzen o<strong>der</strong> lediglich als Geschenk<br />

bekommen haben, das ist falscher Stolz. Wir haben keinen Anspruch auf Ansehen<br />

und Ehre, nur weil wir einer vornehmen Familie entstammen, die Großes leistete,<br />

o<strong>der</strong> weil unsere Vorfahren auf selbstlose Weise Wohltätigkeit geübt haben.<br />

"Gedenke stets des wun<strong>der</strong>baren Gottes,<br />

Durch dessen Gnade du ein schönes Gesicht bekamst.<br />

Gedenke Tag und Nacht des Herrn,<br />

Durch dessen Gnade du die Menschengestalt erhieltst.<br />

Gedenke des Herrn mit Liebe,


Durch dessen Gnade du mit einem gesunden Körper<br />

beschenkt wurdest."<br />

Adi Granth<br />

Wenn man auf sein Wissen und seine Begabung stolz ist, steht einem dieser Stolz<br />

nicht zu. Dem Lehrer hat man es zu verdanken, <strong>der</strong> einen unterrichtete, und dem<br />

Intellekt, den Gott einem gab. Worauf sollte ein Mensch dieser Welt stolz sein?<br />

Manche sind stolz auf Reichtum und Besitz. <strong>Die</strong>se sind jedoch vergänglich wie<br />

schwindende Schatten. Manche bilden sich auf ihre Jugend etwas ein; die aber<br />

vergeht mit Krankheit und Alter. <strong>Die</strong>s alles ist dem Wandel unterworfen. Bleibt es<br />

dennoch einmal beständig, dann nur für kurze Zeit. Es schwindet dahin wie Blätter,<br />

die vom Baum fallen.<br />

Das oben Erwähnte zeigt eindeutig, daß es nicht ratsam ist, auf irdische<br />

Annehmlichkeiten stolz zu sein. Halten wir uns die zahllosen Gaben des Herrn und<br />

unsere unzähligen Sünden und Fehler vor Augen, so wird deutlich, daß wir nur<br />

Bettler an Seiner Tür sind. Überlegen wir uns daher, welche Seiner Gaben wir<br />

dankbar anerkennen und was wir dafür tun. Erst wenn wir erkennen, daß alles, was<br />

wir an Gutem und Bösem in uns haben, nicht von uns kommt, son<strong>der</strong>n von Ihm,<br />

dann können wir auf nichts mehr stolz sein. Welche Gaben haben wir nicht alle von<br />

Gott empfangen? Was haben wir getan, um unsere Dankbarkeit zu zeigen? Wenn<br />

diese Gedanken Stolz in uns erwecken, dann ist das unfehlbare Heilmittel dagegen,<br />

uns unserer Fehler und unserer Undankbarkeit bewußt zu sein.<br />

Der Herr liebt we<strong>der</strong> Egoismus noch Stolz. Den Bescheidenen und Demütigen<br />

gewährt Er Seine Gnade.<br />

"Wasser sammelt sich nicht oben, son<strong>der</strong>n unten an;<br />

Wer sich beugt, <strong>der</strong> trinkt, <strong>der</strong> Halsstarrige bleibt durstig."<br />

Kabir<br />

Hochmut kommt vor dem Fall, und ein Hochmütiger nimmt die Tugenden an<strong>der</strong>er<br />

nicht an. Der Demütige und Bescheidene aber vermag den geistigen Reichtum <strong>der</strong><br />

spirituell gesinnten Menschen in sich aufzunehmen. Hat man einmal den Pfad<br />

gefunden, dann sollte man ihn in aller Demut und mit Beharrlichkeit gehen. Es ist <strong>der</strong><br />

Gnade Gottes und des Meisters zu verdanken. Nehmen wir keine demütige und<br />

bescheidene Haltung ein, wenn wir eine gute Tat vorhaben, und behalten wir<br />

diese Haltung nicht bei, wenn wir die Tat ausführen, und sehen wir es nicht als die<br />

Gnade des Herrn und des Meisters an, daß wir sie vollbringen durften, dann wird uns<br />

inmitten unseres Frohlockens unser Stolz alles zunichte machen.<br />

Demut ist <strong>der</strong> Weg zu Gott, Demut und nichts als Demut. Solange also je<strong>der</strong> guten<br />

Tat, die wir vollbringen, nicht Demut vorausgeht, sie begleitet und ihr folgt, reißt<br />

Stolz uns jedes gute Werk, zu dem wir uns selbst gratulieren, aus <strong>der</strong> Hand.<br />

Nur die Ameise kann Zucker aus dem Sand aufsammeln, <strong>der</strong> Elefant ist dazu nicht<br />

in <strong>der</strong> Lage. So können auch Menschen, die stolz auf ihren Reichtum o<strong>der</strong> ihre<br />

Herkunft sind, keine Tugenden erwerben o<strong>der</strong> aus Gottes Schöpfung lernen. Nur <strong>der</strong><br />

Demütige hat diesen Vorteil.<br />

Selbst wenn man viele gute Eigenschaften hat, sollte man ein Leben in Demut<br />

führen und die Eigenschaften als Geschenk Gottes betrachten, denn Gott liebt die<br />

Demütigen. Präge dies deinem Herzen tief ein und laß dich nicht in unnötige<br />

Debatten und Besserwisserei ein. Streitgespräche führen zu nichts, sie sind nur<br />

Schaumschlägerei. Wer den Herrn sucht, dem liegt nichts an äußerer Schau und


Ruhm. Er lebt glücklich im Willen des Herrn, und seine Seelengröße läßt sich an den<br />

Werken, die <strong>der</strong> Herr ihm aufträgt, erahnen.<br />

Wir geben vor, uns den Augen <strong>der</strong> Öffentlichkeit zu entziehen, und verstecken uns,<br />

aber in Wirklichkeit möchten wir gesucht und gefunden werden. Bei Versammlungen<br />

setzen wir uns auf eine hintere Bank o<strong>der</strong> auf einen niedrigen Stuhl, damit man uns<br />

nach vorne holt o<strong>der</strong> auf einem hohen Stuhl einen Platz zuweist.<br />

Wahre Demut stellt sich nie zur Schau und erlaubt sich keine demütigen Worte. Ein<br />

wahrhaft Demütiger will nicht nur sich und seine Eigenschaften verbergen, son<strong>der</strong>n<br />

er versucht auch, sich den Blicken <strong>der</strong> Welt zu entziehen.<br />

Wir sprechen zwar immer von unserer Bedeutungslosigkeit und davon, daß an<strong>der</strong>e<br />

besser sind als wir, behaupten das jedoch an<strong>der</strong>e von uns, dann sind wir betrübt,<br />

weil wir doch gerade vom Gegenteil überzeugt sind. Jene aber, die sich innerlich für<br />

wirklich gering halten, das sind die geistig Fortgeschrittenen.<br />

Es schickt sich daher nicht, falsche Bescheidenheit vorzutäuschen. Bringen wir aber<br />

Bescheidenheit zum Ausdruck, dann sollte sie unsere wahre innere Überzeugung<br />

sein. Wir sollten uns nicht erniedrigen, bevor wir nicht Demut und Nichtigkeit<br />

bejahen. Wenn wir nicht den aufrichtigen Wunsch nach Demut und<br />

Bedeutungslosigkeit haben, sollten wir es auch nicht zum Ausdruck bringen.<br />

Ein wahrhaft Demütiger möchte, daß an<strong>der</strong>e an seiner Stelle sagen, daß er <strong>der</strong><br />

unbedeutendste und unwichtigste Mensch sei. Wird dies dann tatsächlich von ihm<br />

behauptet, dann fühlt er sich nicht gekränkt, son<strong>der</strong>n ist froh, daß man auch von<br />

an<strong>der</strong>er Seite so über ihn denkt wie er selbst.<br />

Wahre Demut Verlangt nicht, daß wir uns zum Narren machen o<strong>der</strong> wie Weise<br />

aufführen. Stolz ist das Gegenteil von Demut. Ebenso sind Falschheit, Vortäuschung,<br />

Raffinesse, Schein, Heuchelei, Verschlagenheit und weltliche Verworfenheit das<br />

Gegenteil von Seelenfrieden und vorbildlichem Lebenswandel. Wenn Weltkluge, um<br />

ihr Ziel zu erreichen, vorbildliches Verhalten gemein und dumm nennen, dann sollte<br />

<strong>der</strong> wahrhaft Demütige Kritik und Verleumdung heiteren Sinnes ertragen, denn <strong>der</strong><br />

Anlaß zur Verleumdung kommt nicht von ihm, son<strong>der</strong>n von den an<strong>der</strong>en.<br />

Manch einer benutzt die Demut als Deckmantel, die inwendigen Gebete<br />

aufzugeben, weil er sich für unvollkommen hält und glaubt, er sei ihrer nicht würdig.<br />

Einige wollen an<strong>der</strong>en keinen Rat erteilen, weil sie selbst nicht ganz fehlerfrei sind.<br />

An<strong>der</strong>e möchten ihre Fähigkeiten im <strong>Die</strong>nst des Herrn deshalb nicht einsetzen, weil<br />

sie ihre Schwächen genau kennen und befürchten, daß, wenn sie dienen, sich Stolz<br />

einstellen könne, und daß, während sie an<strong>der</strong>en ihr Wissen kundtun, sie sich im<br />

Feuer von Stolz und Eitelkeit selbst zugrunde richten könnten.<br />

Solche Gedanken kommen bei einem wahrhaft Demütigen nicht auf, denn es sind<br />

Ausflüchte <strong>der</strong> Faulen und Feigen. Sie wollen einerseits mit ihrer Gesinnung für den<br />

Herrn und Seine Inkarnation, den Meister, Eindruck schinden, an<strong>der</strong>erseits aber,<br />

unter dem Vorwand <strong>der</strong> Bescheidenheit, sich selbst vor <strong>der</strong> großen Demut verschließen,<br />

mit <strong>der</strong> Er sie in Seiner Barmherzigkeit segnen will. Der Höchste und <strong>der</strong><br />

Meister wünschen, daß wir genauso vollkommen werden wie Er ist und so Seiner<br />

Gnade teilhaftig werden.<br />

Ein Mensch ohne Selbstvertrauen bringt Einwände und Rechtfertigungen dafür vor,<br />

daß er seiner Pflicht nicht nachkommt. Ein Ergebener aber, obwohl er sich für ganz<br />

untauglich hält und sehr wohl weiß, daß er ungeeignet ist und nichts vollbringen<br />

kann, legt voller Glauben und Vertrauen alles in die Hand des Herrn und Seiner<br />

Inkarnation, des Meisters. Er führt die Anweisungen aus, um die ihm vom Meister<br />

gegebene Aufgabe zu erfüllen.


Demut bedeutet nicht Schwäche. Sie ist etwas so Gewaltiges, daß alle Mächte <strong>der</strong><br />

Welt sich vor ihr beugen müssen. Wer seinen Stolz besiegt hat, hat sich selbst<br />

besiegt. Ein Mensch ohne Stolz ist unschlagbar, da hinter seiner Demut die geheime<br />

Kraft Gottes wirkt. Demut ist <strong>der</strong> Schmuck erhabener Menschen.<br />

Unser Herz sollte zu einem Quell <strong>der</strong> Liebe für das ganze Universum werden, und<br />

wir sollten so viel Demut besitzen, daß, selbst wenn jemand uns Böses zufügt, wir es<br />

mit Liebe erwi<strong>der</strong>n. Wer mit Demut erfüllt ist, kann an<strong>der</strong>en tatsächlich nicht weh<br />

tun. Er ist selbst dem, <strong>der</strong> ihm unrecht tut, nicht übelgesonnen.<br />

Wahre Demut läßt Liebenswürdigkeit in unserem Herzen entstehen; dann kommen<br />

nur freundliche Worte über unsere Lippen. Das Leben wird in je<strong>der</strong> Situation köstlich.<br />

Allen gegenüber werden wir liebenswürdig, und unsere Mitmenschen werden es spüren.<br />

Unsere Worte und Taten im großen o<strong>der</strong> kleinen sind dann voller Demut, und<br />

unsere Verwandten und an<strong>der</strong>e werden davon beeinflußt. <strong>Die</strong> Demut Tulsi Sahibs<br />

spricht aus folgenden Versen:<br />

Ich bin töricht, hilflos und demütigen Herzens.<br />

Als ich Zuflucht bei den Heiligen nahm,<br />

Erkannte ich den Meister.<br />

Der Meister ist ein unermeßlicher<br />

Ozean des Friedens.<br />

Er brachte mich auf den rechten Pfad.<br />

Ich verneige mich immer wie<strong>der</strong> vor seinen Füßen<br />

Und singe demütig das Lob <strong>der</strong> Heiligen.<br />

Als er mich demütig fand,<br />

Schenkte er mir die innere Schau.<br />

Abermals pries ich den Schutz <strong>der</strong> Heiligen.<br />

Dein Sklave bin ich ganz und gar.<br />

Als du mich für gering hieltst, fandst du mich.<br />

Ich bin für immer und ewig dein Sklave.<br />

Niemand kommt ohne Heiligen hinüber.<br />

Heilige sind barmherzig und voller Mitleid.<br />

In ihrem Schutz gelangen auch die<br />

Niedrigsten ans an<strong>der</strong>e Ufer.<br />

Ohne Heiligen gibt es keinen<br />

Anfang und kein Ende.<br />

Tulsi, <strong>der</strong> Hilflose, hat bei dir Zuflucht gefunden.<br />

Was immer getan wird, geschieht durch die Heiligen.<br />

Ohne die Heiligen kann man den Pfad nicht finden.<br />

Folgende Zitate sind dem Adi Granth entnommen:<br />

"O mein Gott, erhöre mein Flehen. Glücklich bist Du in Deiner Stätte, ich aber<br />

wan<strong>der</strong>e heimatlos umher."<br />

"Was soll ein armes Mädchen tun, wenn es die Gunst ihres Herrn nicht finden<br />

kann? Es gibt sich alle Mühe, findet aber keinen Platz an Seinem Hof."<br />

"In dieser Nacht war es mir nicht vergönnt, dem Herrn zu begegnen, mein<br />

ganzer Körper schmerzt. Das ist das Dasein <strong>der</strong> Frauen, die ihre Nächte allein<br />

verbringen!"<br />

"O mein Gott, welche Eigenschaften muß ich erwerben, um <strong>der</strong> Begegnung mit<br />

Dir würdig zu sein? Ich bin unwissend, nicht schön und nicht weise."


"Hingabe und Liebe zu Gott halfen mir, Zorn und leidenschaftliche Wünsche zu<br />

überwinden. Freude erfüllte den Herrn, als Er mich in meiner Schönheit und<br />

Ergebenheit sah."<br />

"Süß sind die Weisungen des Herrn. <strong>Die</strong> negativen Wünsche und Gefühle in mir<br />

sind verschwunden. Nun, da mein Herr mich auserwählt hat, ist mein Herz von<br />

allen Sorgen frei."<br />

"Aus dem eigenen Haar sollte man einen Fächer flechten und damit den Heiligen<br />

dienen."<br />

"Sewa wie Wasserholen, das Seil eines Fächers bedienen o<strong>der</strong> Korn für die<br />

Heiligen mahlen, macht mich glücklich und zufrieden. Hohe Ämter wie<br />

Königswürde, Reichtum, Besitz und Machtpositionen sind nicht mehr wert, als<br />

daß man sie ins Feuer werfe."<br />

"Mache mich zum Demütigsten unter den<br />

Demütigen,<br />

Denn sie sind Gott teuer."<br />

"O mein Freund! Könnte ich für immer <strong>der</strong> Staub Deiner Füße sein."<br />

"Der Freund, <strong>der</strong> bei mir ist von Anbeginn, inmitten und am Ende meines<br />

Lebens, <strong>der</strong> ist mir ein willkommener Freund."<br />

"Der allein ist mein Freund, <strong>der</strong> mir allezeit nahe ist."<br />

"Ergebene des Herrn sind immer glücklich. Sie sind wie kleine Kin<strong>der</strong>, die noch<br />

nicht vom Netz Mayas eingefangen sind, und irdische Wünsche fesseln sie nicht.<br />

So wie ein Vater für Glück und Wohlergehen seiner Kin<strong>der</strong> sorgt, so sorgt Gott<br />

stets für das Glück Seiner Ergebenen."<br />

"Ein Ergebener lebt gemäß den Anweisungen seines Gurus, ähnlich einem Kind,<br />

das seinen Vater respektiert. Sie haben keine Geheimnisse voreinan<strong>der</strong>. Nanak<br />

ist glücklich, denn all seine Wünsche sind erfüllt."<br />

Wahrheitsliebe<br />

Ohne Aufrichtigkeit sind all unsere Bemühungen unvollkommen. <strong>Die</strong> Wahrheit ist<br />

die Krönung. Das ist das Geheimnis aller Übungen. Jede an<strong>der</strong>e Verehrung ist bloße<br />

Heuchelei.<br />

Ein wahrheitsliebendes Leben ist das Ziel menschlichen Daseins. <strong>Die</strong> Wahrheit ist<br />

überall; man sollte sie von <strong>der</strong> Unwahrheit unterscheiden und sie im Innern erfahren.<br />

Das Herz, in dem sie wohnt, wird von ihrem Wesen geprägt. Gott ist die Wahrheit.<br />

Seinetwegen sollte man wahrheitsliebend sein, denn Er liebt die Wahrheit. Welcher<br />

Religion man angehört, ist ohne Bedeutung.<br />

Was ist nun wahrheitsgetreue Rede, mit an<strong>der</strong>en Worten das, was ein<br />

Wahrheitslieben<strong>der</strong> sagt? Etwas genau so zu beschreiben, wie man es gesehen o<strong>der</strong><br />

gehört hat, ist wahrheitsgetreues Reden. Nicht nur unser Reden, son<strong>der</strong>n auch unser<br />

Handeln sollte die Wahrheit zum Ausdruck bringen. <strong>Die</strong> Wahrheit sollte das Vorbild<br />

unseres Denkens, sein und unsere Haltung bestimmen. Dann werden unser Herz,<br />

unsere Gedanken und unsere Haltung von Wahrheit erfüllt.


"Jemand mit wahrer Aufmerksamkeit benimmt sich richtig.<br />

Er ist stets mit dem Herrn verbunden."<br />

Kabir<br />

Wenn man die Wahrheit spricht, sollte man stets mitfühlend und rücksichtsvoll<br />

sein, denn die Wahrheit verletzt die Gefühle an<strong>der</strong>er nicht. Was wir auch sagen, es<br />

sollte von Herzen kommen und niemanden kränken.<br />

Das Gegenteil von Wahrheit ist Unwahrheit. Verschweigen, was man gesehen,<br />

gehört o<strong>der</strong> getan hat, das ist Unwahrheit. Ein unaufrichtiger Mensch ist ein<br />

Heuchler. Er schlägt die Augen nie<strong>der</strong>, und sein Gesicht strahlt nicht. Ständig plant<br />

und intrigiert er und lebt dauernd in Angst, seine Unehrlichkeit könnte entdeckt<br />

werden. Um eine Lüge zu verbergen, muß er hun<strong>der</strong>t an<strong>der</strong>e ersinnen, und das<br />

bringt ihn um seinen Seelenfrieden. Zweifel und Mißtrauen werden ihm zur zweiten<br />

Natur, weshalb er niemandem vertraut. Eigennutz prägt seine Beziehung zu an<strong>der</strong>en.<br />

Wegen seines Verhaltens traut ihm niemand, und auch er hat zu niemandem<br />

Vertrauen. So füllen Täuschung, Betrug, Heuchelei und List sein Leben aus. Sein<br />

Dasein wird den Menschen zur Last. Begegnen sich zwei Lügner, so finden sie<br />

Gefallen aneinan<strong>der</strong>. Trifft aber ein Lügner einen Wahrheitsliebenden, dann bricht die<br />

Beziehung auseinan<strong>der</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit steht auf eigenen Beinen, nicht aber die Unwahrheit. Ein<br />

wahrheitslieben<strong>der</strong> Mensch ist zuverlässig, geduldig und fest entschlossen. Ein<br />

unaufrichtiger Mensch schwankt bei jedem Schritt und ist nicht standhaft. Der<br />

Mensch <strong>der</strong> Wahrheit ist furchtlos und frei von Zweifeln und Bedenken, <strong>der</strong><br />

unaufrichtige aber ist voller Furcht und sieht niemandem ins Gesicht. Ein Mensch <strong>der</strong><br />

Wahrheit ist mutig und unerschrocken, ein unaufrichtiger aber feige und arbeitsscheu.<br />

Ein Mensch <strong>der</strong> Wahrheit kennt keine Sorgen, weil er furchtlos ist; dadurch<br />

werden seine Bindungen gelöst, er unterläßt Schmeicheleien, Schönfärberei,<br />

<strong>Die</strong>bstahl und Heimlichtuerei.<br />

Es leuchtet daher ein, daß ein wahrheitslieben<strong>der</strong> Mensch auf spirituellem Gebiet<br />

erfolgreich sein kann. Da die Wahrheit ein Teil von ihm ist, spricht er auch die<br />

Wahrheit. Er geht selbst den Weg, <strong>der</strong> zu Gott führt, und führt auch an<strong>der</strong>e dorthin.<br />

"Wer die Wahrheit in sich trägt, übt sich in Naam und spricht die Wahrheit.<br />

Er folgt dem Pfad des Herrn und führt auch an<strong>der</strong>e dorthin."<br />

Adi Granth<br />

Ein solcher Mensch wird in gewisser Weise ein Teil <strong>der</strong> Wahrheit. Was immer er<br />

sagt, erweist sich als wahr. Er erfreut sich des Glücks, das die Wahrheit ihm innen<br />

und außen schenkt. Dank seines wahrheitsgetreuen Lebens wird er furchtlos und<br />

friedvoll, denn er ist mit <strong>der</strong> Wahrheit verbunden, die ewig und unwandelbar ist.<br />

Je<strong>der</strong>mann ist froh, daß es ihn gibt. Da er die Wahrheit spricht und sie sieht, werden<br />

Geist und Körper rein. Er verkündet die Wahrheit, und sie schmückt ihn.<br />

Wer wahrheitsliebend und zufrieden ist und die Wahrheit spricht, ist dem Herrn<br />

teuer, und er wird nie mehr von Ihm getrennt. <strong>Die</strong> Wahrheit braucht nichts zu<br />

fürchten; sie wird we<strong>der</strong> von Verdammnis berührt, noch kann Kal ihr schaden. Wenn<br />

ein wahrer Ergebener die Wahrheit (Gott) erfährt, wird er mit ihr vereinigt.


Zufriedenheit<br />

Zufriedenheit bedeutet Herzensruhe, Übereinstimmung, zufrieden sein mit dem,<br />

was man hat, und sich damit begnügen. Wenn jemand sein Ziel trotz aller Mühe<br />

nicht o<strong>der</strong> nur zu einem sehr kleinen Teil erreicht und trotzdem ruhig und gefaßt<br />

bleibt und sich keine Sorgen macht, dann nennt man ihn zufrieden. Wenn jemand<br />

von Schwierigkeiten umringt ist, von niemandem geachtet wird, allseits Ziel übler<br />

Nachrede ist, vom Mißgeschick regelrecht verfolgt wird, aber nicht betrübt ist bei<br />

dem Gedanken, daß an<strong>der</strong>e froh sind, dann ist auch er zufrieden.<br />

Es wäre allerdings falsch, Zufriedenheit mit Müßiggang und Trägheit<br />

gleichzusetzen. Äußerlich zufrieden erscheinen, insgeheim aber Groll und Mißgunst<br />

hegen bedeutet, verschiedene Gesichter zu haben und die Menschen zu täuschen.<br />

Ein zufriedener Mensch, <strong>der</strong> trotz aller Bemühungen nichts erreicht, gibt nie dem<br />

Meister o<strong>der</strong> Gott die Schuld. Er bemüht sich ernsthaft, seine Aufgabe zu erfüllen.<br />

Erfolg o<strong>der</strong> Mißerfolg lassen ihn unberührt.<br />

"Versagt man trotz allen Bemühens, dann wisse, es ist <strong>der</strong> Wille des Herrn."<br />

Nur einem zufriedenen Menschen ist es möglich, sich unaufhörlich für an<strong>der</strong>e<br />

einzusetzen. Er befolgt die Wahrheit, vermeidet stets das Böse, vollbringt gute Taten<br />

und macht sich verdient.<br />

"<strong>Die</strong> ernten Zufriedenheit, die aufrichtig nach <strong>der</strong> Wahrheit trachten.<br />

Sie vermeiden Böses und machen sich durch gute Taten verdient."<br />

Adi Granth<br />

Ein Zufriedener ist sehr duldsam. Selbst wenn er Achtung und Ansehen genießt<br />

und Macht besitzt, verzeiht er an<strong>der</strong>en ihre Fehler. Der Fortschritt an<strong>der</strong>er und die<br />

ihnen erwiesene Ehre bereiten ihm Freude. Seine Absichten sind ehrlich. Auch wenn<br />

er Ehre und Ruhm erlangt hat, liebt er seine Mitmenschen und behandelt sie<br />

freundlich. Selbst gebildet und weise, achtet er an<strong>der</strong>e, die gebildet sind, und macht<br />

es sich zur Pflicht, <strong>der</strong>en Vorzüge anzustreben. Trotz eigener Schönheit frönt er nicht<br />

den Sinnesvergnügen. Er ist stets geduldig, bescheiden und gewissenhaft. Ein solcher<br />

Mensch ist nicht nur zufrieden, er hat auch noch an<strong>der</strong>e Tugenden. Er ist<br />

zufrieden mit seiner Frau, betrachtet Frauen, die älter sind als er, als Mutter und<br />

jüngere als Schwestern und Töchter. Er lebt von dem, was er durch Arbeit verdient.<br />

Er genießt eine einfache Speise wie ein köstliches Mahl und trinkt Wasser, als sei es<br />

Nektar. Er beneidet an<strong>der</strong>e nicht um ihr üppiges Leben.<br />

Omar Khayam schreibt:<br />

"Wer in dieser Welt ein halbes Brot und Platz zum Sitzen hat, ist we<strong>der</strong> Sklave<br />

noch Herr eines an<strong>der</strong>en. Er möge glücklich sein, denn er hat genügend in<br />

dieser Welt."<br />

Ein Armer, <strong>der</strong> gute Taten vollbringt und dem <strong>der</strong> Herr Zufriedenheit schenkte, ist in<br />

Wahrheit reich. Ein Reicher ohne Zufriedenheit ist ein Bettler und sehr arm, sein<br />

Verlangen wäre selbst dann nicht gestillt, wenn er alle Güter dieser Welt bekäme,<br />

denn ohne Zufriedenheit kann man nicht glücklich und ausgeglichen sein.


"Streife den Ring <strong>der</strong> Zufriedenheit und das Kleid <strong>der</strong> Demut über."<br />

Adi Granth<br />

Das alles ist notwendig, damit man bei seinem Bemühen nicht undankbar wird<br />

o<strong>der</strong> Gott die Schuld zuschiebt. Damit man nicht nachläßt, wenn man weniger erhält<br />

als erwartet o<strong>der</strong> wenn man versagt. Damit man nicht die Flinte ins Korn wirft und<br />

sich geschlagen gibt. Man sollte mit dem Ergebnis <strong>der</strong> guten Taten zufrieden sein<br />

und geduldig seine Pflicht tun. <strong>Die</strong> Attacken von Habsucht und Gier sollte man mit<br />

dem Schild <strong>der</strong> Ausdauer abwehren, damit <strong>der</strong> Tropfen, die Seele, sich schließlich mit<br />

dem Ozean des Herrn vereinigt und gesegnet wird und nicht wie ein Rinnsal<br />

austrocknet. Sheikh Farid sagt, daß Zufriedenheit den Menschen ganz natürlich zum<br />

wahren Geschöpf Gottes macht, das sich mit dem Herrn vereinigt und zum Ozean<br />

wird.<br />

Der Reichtum <strong>der</strong> Zufriedenheit läßt keine Wünsche offen, und wenn man<br />

wunschlos ist, hören die Sorgen auf, und <strong>der</strong> Geist kommt zur Ruhe. Wirkliche<br />

Könige sind jene, die keine Wünsche haben.<br />

Zusammenfassung<br />

Bhisham schil<strong>der</strong>t Yudishtra im Mahabharata die Merkmale <strong>der</strong>er, in <strong>der</strong>en<br />

Gegenwart man die Lebensangst und Todesfurcht verliert und Erlösung erlangt.<br />

"Sie sind Vegetarier. Sie lieben und sie hassen niemanden. Sie schätzen ein<br />

tugendhaftes Leben. Sie beherrschen ihre Sinne. Für sie sind Freude und Leid<br />

das gleiche. Sie sind wahrheitsliebend und mildtätig. Almosen nehmen sie von<br />

niemandem an, sind selbst aber wohltätig. Sie dienen ihren Gästen. Sie sprechen<br />

jedem Trost zu. Sie helfen jedem. Sie sind mutig und folgen dem Pfad <strong>der</strong><br />

Wahrheit. Sie sind je<strong>der</strong>manns Freund und in Zeiten <strong>der</strong> Not bereit, alles zu<br />

opfern. Unerschütterlich bleiben sie auf dem Pfad <strong>der</strong> Wahrheit. Ihr Verhalten<br />

und Benehmen stimmen mit den Grundsätzen ihrer Religion überein. Sie<br />

verleumden keinen Heiligen o<strong>der</strong> Seher. Sie bedrohen niemand und. flößen<br />

niemandem Angst ein. Entschlossen führen sie ein edles Leben und sind allen<br />

gegenüber gewaltlos (ohne Haß). Lust, Zorn, Verhaftung und Ego sind ihnen<br />

fremd. Sie erfüllen ihre Pflicht und folgen <strong>der</strong> Religion um ihrer selbst willen,<br />

nicht aber, um Ruhm und Reichtum zu erlangen. Ihnen ist ein Hang zur<br />

Frömmigkeit eigen. <strong>Die</strong> Religion ist genausosehr ein Bestandteil ihres Lebens wie<br />

das tägliche Bad, die Nahrungsaufnahme und an<strong>der</strong>e alltägliche Erfor<strong>der</strong>nisse.<br />

Sie kennen we<strong>der</strong> Furcht noch Trauer und Zorn, sind wahrheitsliebend und<br />

aufrichtig. Sie frohlocken nicht über Gewinne, noch trauern sie Verlusten nach.<br />

Sie sind ausgeglichenen Wesens und bewahren Gleichmut in je<strong>der</strong> Lebenslage.<br />

Gegensätze wie Gewinn und Verlust, Freude und Leid, Liebe und Haß, Leben und<br />

Tod können ihr Gemüt nicht erregen. Sie sind standhaft und fest in ihrem<br />

Entschluß. Sie erreichen eine hohe geistige Stufe und gehen den Pfad <strong>der</strong><br />

Wahrheit mit großer Entschlossenheit."


Kapitel 2<br />

MEDITATION<br />

Der Tag umfaßt 24 Stunden, und die Heiligen lehren uns, daß wir zweieinhalb<br />

Stunden täglich meditieren sollten, wenn wir geistigen Fortschritt machen wollen.<br />

Das ist unser Zehnt o<strong>der</strong> 10% unserer Zeit, die <strong>der</strong> Gotterkenntnis zu widmen sind.<br />

<strong>Die</strong> von den Meistern gelehrte Meditationstechnik stellt eine Methode dar,<br />

<strong>der</strong>zufolge man die Aufmerksamkeit nach innen lenkt. <strong>Die</strong> auf diese Weise in Meditation<br />

verbrachte Zeit stellt unsere wahre Arbeit dar. Wenn man einen älteren<br />

Menschen o<strong>der</strong> einen Vorgesetzten aufsucht, dann respektiert man ihn und ist ihm<br />

gegenüber aufmerksam; man bemüht sich, alle an<strong>der</strong>en Gedanken zu verdrängen.<br />

Wenn wir aber meditieren und an Gott denken, wie viele Gedanken und<br />

Vorstellungen - selbst unreine - kommen uns da in den Sinn? Wieviel Unrecht fügen<br />

wir Ihm zu? Wie können wird das vermeiden?<br />

Seit undenklichen Zeiten ist <strong>der</strong> Mensch extrovertiert, weil er mit den<br />

Sinnesorganen die Außenwelt wahrnimmt, und zwar hauptsächlich mit drei Organen:<br />

<strong>der</strong> Zunge, den Augen und den Ohren.<br />

Mittels <strong>der</strong> Zunge sprechen wir mit den Menschen dieser Welt. Mit ihr wie<strong>der</strong>holen<br />

wir unsere Gedanken und Vorstellungen von <strong>der</strong> Welt und teilen uns ihr mit. Dabei<br />

prägen die Eindrücke dieser Welt unseren Geist und Intellekt.<br />

Mit den Augen sehen wir die Objekte dieser Welt, und ihre Formen prägen sich<br />

unserem Geist ein. Unsere Ohren nehmen die Geräusche <strong>der</strong> Umwelt wahr, und<br />

dadurch, daß wir diese Geräusche ständig hören, identifizieren wir uns mit ihnen.<br />

Unsere Augen nehmen 83% aller Sinneseindrücke auf, die Ohren 14%, und die<br />

restlichen 3% entfallen auf die an<strong>der</strong>en Sinnesorgane. Wenn unsere Aufmerksamkeit<br />

nicht mehr nach außen wan<strong>der</strong>t und damit das Eindringen äußerer Eindrücke<br />

aufhört, können wir mit dem Blick nach innen die Wahrheit erkennen. Deshalb<br />

prägen uns die Heiligen immer wie<strong>der</strong> ein, während <strong>der</strong> Meditation die Augen und<br />

Ohren zu schließen.<br />

Immer, wenn wir unser Bewußtsein nach innen lenken möchten, drängen sich uns<br />

Gedanken an die Welt auf. Es sind die ständigen Wahrnehmungen <strong>der</strong> Sinnesorgane.<br />

Eindrücke vom Haushalt, Büro, Geschäft und <strong>der</strong>gleichen treten in unser Bewußtsein<br />

- auch die Gestalten von Verwandten, Freunden und Feinden, die wir gesehen haben<br />

- und hin<strong>der</strong>n die Konzentration. Folglich besteht <strong>der</strong> erste Schritt auf dem geistigen<br />

Weg darin, diese Eindrücke auszuschließen.<br />

Sodann gilt es, die Eindrücke auszumerzen, die in unserem Unterbewußtsein<br />

gespeichert sind und die sich ungewollt einstellen. Erst wenn <strong>der</strong> Schüler diese<br />

beiden Stufen erklommen hat, wendet sich sein Geist nach innen, wird er<br />

introvertiert.<br />

Unser Sprechvermögen muß für den Simran genutzt werden, unser Sehvermögen<br />

für die Kontemplation des Meisters, und unser Hörvermögen muß auf den<br />

Klangstrom gerichtet werden. <strong>Die</strong>se drei Übungen sind absolut erfor<strong>der</strong>lich, sie sind<br />

<strong>der</strong> Schlüssel für erfolgreiche Meditation. Sie werden noch im einzelnen behandelt.<br />

<strong>Die</strong> Heiligen Schriften beschreiben so manche Vorteile, die die Meditation bewirkt.<br />

Wenn ein überwältigendes Mißgeschick uns bedrängt, jede Hilfe ausbleibt, wenn<br />

Feinde uns verfolgen, nahe Verwandte uns im Stich lassen, wenn all unsere<br />

Hoffnungen zunichte gemacht werden, alle Wege versperrt sind, wir uns aber immer<br />

noch auf Gott besinnen, dann wird uns niemals Leid geschehen. Gott ist die Stärke<br />

<strong>der</strong> Schwachen. Er ist immerwährend. Durch den Shabd des Gurus erkennen wir Ihn.


Es mag jemand viele Königreiche besitzen und über weite Gebiete herrschen, es mag<br />

ihm je<strong>der</strong> Luxus zur Verfügung stehen, er mag Gärten und Obstanlagen besitzen,<br />

viele Vergünstigungen genießen und in den Vergnügungen <strong>der</strong> Welt schwelgen,<br />

gedenkt er aber des Herrn nicht, so wird er bei seiner nächsten Geburt zu einer<br />

Daseinsform unterhalb <strong>der</strong> des Menschen verurteilt.<br />

Ist jemand <strong>der</strong> Verzweiflung nahe, weil ihm Nahrung und Mittel fehlen, ist ihm <strong>der</strong><br />

letzte Pfennig ausgegangen und hat er keine Arbeit, räumt er aber trotzdem Gott<br />

einen Platz in seinem Herzen ein, dann wird er niemals Not leiden.<br />

Wird jemand von Kummer und Ängsten gepeinigt, ist er körperlich krank, tief in<br />

häusliche Schwierigkeiten verstrickt, den Schicksalsschlägen preisgegeben, und<br />

wan<strong>der</strong>t er umher und findet keine Zuflucht, um sich auszuruhen, führt er aber die<br />

Meditation Gottes aus, so findet er innere Ruhe und Frieden.<br />

"Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo we<strong>der</strong> Motten noch Rost sie<br />

fressen, wo keine <strong>Die</strong>be einbrechen noch stehlen, denn wo euer Schatz ist, da<br />

ist auch euer Herz."<br />

Matth. 6, 20-21<br />

Meditiert <strong>der</strong> Schüler gemäß den Weisungen des Meisters, erzielt er im Innern<br />

erstaunliche Ergebnisse. <strong>Die</strong> Seelenströme, die jede Pore des Körpers durchdringen,<br />

werden von den neun Öffnungen zurückgezogen und sammeln sich an <strong>der</strong> zehnten<br />

Pforte zwischen den Augen. Der Körper wird dann ganz gefühllos. Der Schüler sieht<br />

bald Szenen <strong>der</strong> geistigen Regionen und nimmt Sterne, Sonne und Mond wahr.<br />

Hat <strong>der</strong> ergebene Schüler diese Erscheinungen hinter sich gelassen, erblickt er die<br />

Strahlengestalt des Meisters, die ihm von nun an stets zur Seite steht. Der Meister<br />

führt die Seele zu den höheren Regionen und schließlich bis hin zum Hofe des Herrn.<br />

Dadurch, daß wir unsere Aufmerksamkeit auf diese strahlende Gestalt konzentrieren,<br />

erreichen wir es, daß sie bei uns bleibt.<br />

<strong>Die</strong> Meditation verbannt die Todesfurcht und befreit uns vom Kreislauf von Geburt<br />

und Tod. Sie beseitigt Hin<strong>der</strong>nisse und Schwierigkeiten, Freude und Schmerz. <strong>Die</strong><br />

Dualität verschwindet, und <strong>der</strong> Geist verliert seinen Schmutz und Unrat. Der Glanz<br />

des Namens Gottes wird offenbar. Der ergebene Schüler ist des Meisters immer<br />

gegenwärtig. Er wird am Hofe des Herrn geehrt, und hat er den Ozean <strong>der</strong> Erscheinungen<br />

überquert, erlangt er für immer Erlösung.<br />

<strong>Die</strong> Zeit des Elixiers<br />

In vielen heiligen Schriften werden die frühen Morgenstunden als glückverheißend<br />

und als Gottes eigene Zeit bezeichnet. <strong>Die</strong> letzten drei Stunden <strong>der</strong> Nacht gelten als<br />

die Zeit des Elixiers, denn die wahren Yogis und Heiligen alter Zeiten nutzten diese<br />

reinen und friedlichen Stunden für die Meditation.<br />

"Der Brauch <strong>der</strong> Heiligen ist es, des Nachts zu wachen. Weltlich Gesinnte<br />

verbringen diese Zeit mit Sinnenlust und Freuden dieser Welt. Gottergebene<br />

verbringen die Nacht im Gedenken an Ihn. <strong>Die</strong> einen wie die an<strong>der</strong>en wachen,<br />

doch gesegnet sind die, die sie zum Gedenken an den Herrn nutzen."<br />

Adi Granth


Shamas-i-Tabriz sagt:<br />

"<strong>Die</strong> Nacht ist die Zeit, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> geliebte Herr erscheint. Wer dann schläft,<br />

beraubt sich selber eines großen Segens. Der Tag gehört <strong>der</strong> Arbeit, doch die<br />

Nacht dient <strong>der</strong> Liebe und Hingabe an den Herrn. <strong>Die</strong> ganze Nacht sollte man<br />

daher in Gemeinschaft mit dem Herrn verbringen. Alle Welt schläft, doch die<br />

Ergebenen Gottes verbringen die Nacht in Meditation in <strong>der</strong> Gegenwart des<br />

Herrn."<br />

Jede Zeit eignet sich für die Meditation, und man sollte jede zur Verfügung stehende<br />

Zeit dazu nutzen. Doch sind die Morgenstunden kurz vor Tagesanbruch und die<br />

Abendstunden unmittelbar nach Sonnenuntergang beson<strong>der</strong>s vorteilhaft, weil diese<br />

Stunden Nacht und Tag vereinen und die geistigen Strömungen während dieser Zeit<br />

beson<strong>der</strong>s stark und wirkungsvoll sind. Am Tage gehen wir den weltlichen Dingen<br />

nach; daher verbleibt nur die Nacht für die Hingabe an den Herrn.<br />

Geistige Übungen sollte man we<strong>der</strong> unmittelbar nach einer üppigen Mahlzeit noch<br />

mit vollem Magen verrichten, weil dann <strong>der</strong> Verdauungsprozeß die Energien<br />

beansprucht. Es ist besser, mit leerem Magen zu meditieren. In den frühen<br />

Morgenstunden ist <strong>der</strong> Magen leer, da die am vorangegangenen Abend aufgenommene<br />

Nahrung normalerweise völlig verdaut ist.<br />

Auch ist jemand, <strong>der</strong> tagsüber arbeitet, am Abend müde. Für ihn ist <strong>der</strong> Schlaf<br />

notwendig und stellt sich von selbst ein, um die Erschöpfung vom Tage abzubauen.<br />

Es bleibt also nur <strong>der</strong> letzte Teil <strong>der</strong> Nacht, in <strong>der</strong> er dann für die Meditation ganz<br />

wach ist. <strong>Die</strong> Zeit des Elixiers beginnt morgens um drei Uhr. Dann sind Körper und<br />

Geist frisch und ausgeruht und zur Meditation bereit. Deshalb wird <strong>der</strong> letzte Teil <strong>der</strong><br />

Nacht als für die Meditation vorteilhafter angesehen.<br />

In den frühen Morgenstunden ist unser Verstand gewöhnlich noch nicht mit<br />

weltlichen Sorgen belastet, und daher ist diese Zeit besser für die Konzentration. Zur<br />

Zeit des Elixiers ist <strong>der</strong> Geist noch frisch, und die Unruhe des Tages ist noch fern. In<br />

den frühen Morgenstunden ist <strong>der</strong> Mensch Gott sehr nahe, und die dann erzielte<br />

Konzentration sowie die Meditation wirken sich auf das ganze Tagewerk aus. Alles,<br />

was man tut, geschieht in konzentrierter Weise.<br />

<strong>Die</strong> Frucht <strong>der</strong> Meditation, die in dem ersten Teil <strong>der</strong> Nacht vollbracht wird, gleicht<br />

einem knospenden Baum, die während <strong>der</strong> letzten Nachtstunden vollbrachte aber<br />

gleicht einem Baum voll reifer Früchte. Zu dieser Zeit erlangt man die Gnade Gottes.<br />

John S. Hayland gibt in seinem Buch Das Leben Christi folgende Beschreibung:<br />

"<strong>Die</strong> indische Nacht erreicht eine Zeit - ein wenig vor dem ersten Schimmer <strong>der</strong><br />

Morgendämmerung -, wo die Sterne unglaublich klar und nahe sind und in<br />

einem Glanz erstrahlen, <strong>der</strong> in diesem nebligen Lande nicht vorstellbar ist. <strong>Die</strong><br />

Bäume verharren still und umgeben einen mit wohlwollen<strong>der</strong> Nähe. Noch ist<br />

kein Laut erwachen<strong>der</strong> Vögel zu vernehmen, doch erscheint die ganze Erde<br />

erwartungsvoll, wach, lauschend, begierig. In dieser Zeit ist <strong>der</strong> Schleier<br />

zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren so licht, als gäbe es kaum ein<br />

Hin<strong>der</strong>nis zwischen <strong>der</strong> ewigen Schönheit und <strong>der</strong> Wahrheit und <strong>der</strong> Seele, die<br />

sie zu begreifen vermag."<br />

<strong>Die</strong> Welt schläft, während die Gottergebenen wachen und an Ihn denken und von<br />

Seiner Liebe geprägt werden.


"Tausende von Nächten hast du versucht, deine Wünsche und Begierden zu<br />

stillen, schläfst du jedoch um deines Geliebten willen nicht, was kann dir dann<br />

noch wi<strong>der</strong>fahren? Weißt du nicht, daß das, was die Könige <strong>der</strong> Spiritualität<br />

besitzen, von ihnen nachts erworben wurde?<br />

Wache um des Gebers aller Gaben willen. Hab' keine Angst, daß Schlaflosigkeit<br />

geistige Erschöpfung zur Folge haben könnte, denn zu dieser Zeit fließt die<br />

Quelle allen Lebens, <strong>der</strong> Nektar, <strong>der</strong> dich erfrischt und dein Bewußtsein<br />

erweitert. Deshalb schlafe nicht! <strong>Die</strong> Stimme des Herrn ruft dich jeden Morgen.<br />

Lauschst du ihr, werden Kummer und Sorgen verschwinden und auch die Spuren<br />

früherer unguter Erlebnisse. Schlafe nicht die ganze Nacht, da in diesen Stunden<br />

Tausende von Leben die lebenserhaltende Kraft empfangen. Gleich dem Vollmond<br />

steigt <strong>der</strong> Allerhöchste von den höchsten Höhen herab, um Seine<br />

Schüler mit dem Geschenk <strong>der</strong> Gnade und <strong>der</strong> Barmherzigkeit zu segnen.<br />

<strong>Die</strong> Nacht bringt Abgeschiedenheit. Unser Geliebter ist in uns, welch gnadenvolle<br />

Zeit ist das! Der Klangstrom hallt von allen Seiten wi<strong>der</strong>, man kann ihn im<br />

Schweigen <strong>der</strong> Nacht leicht vernehmen. Verlangst du inniglich nach <strong>der</strong><br />

Begegnung mit deinem Geliebten, dann wisse, die Dunkelheit <strong>der</strong> Nacht gleicht<br />

den langen, dunklen Locken des Geliebten, die sich überallhin ausbreiten. Und<br />

schläfst du weiterhin des Nachts, so schäme dich!"<br />

Shamas-i-Tabriz<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten: Wir müssen diesen Pfad betreten, damit uns <strong>der</strong> Geliebte<br />

begegnet. Wer Gott liebt, verbringt die Nacht, und insbeson<strong>der</strong>e die frühen<br />

Morgenstunden, in Meditation. Er wie<strong>der</strong>holt Seinen Namen und wird von Leid und<br />

Sorgen, Ängsten und Streit befreit.<br />

<strong>Die</strong> Körperhaltung<br />

<strong>Die</strong> Körperhaltung bei <strong>der</strong> Meditation ist eine beson<strong>der</strong>e sitzende Stellung, die für<br />

eine bestimmte Zeitspanne unverän<strong>der</strong>t beibehalten wird. Im Hatha Yoga werden<br />

zahlreiche Körperhaltungen beschrieben, 84 davon sind allgemein bekannt. Das Üben<br />

dieser Körperhaltungen bringt viele Vorteile. Sie för<strong>der</strong>n die Konzentration und tragen<br />

dazu bei, etwaige körperliche Schwächen und Leiden zu beheben.<br />

<strong>Die</strong> Yogis haben alle 84 Körperhaltungen geübt, ohne jedoch damit das höchste<br />

Ziel zu erreichen, denn die Körperhaltungen befreien den Geist nicht von erotischen<br />

und lasterhaften Gedanken. Sie nützen in erster Linie dem Körper, führen aber nicht<br />

zur Gotterkenntnis. Eine Medizin, die das Leiden nicht heilt, ist nutzlos. <strong>Die</strong><br />

Körperhaltungen erfor<strong>der</strong>n dauernde Mühe und Anstrengung ohne rechten Gewinn.<br />

<strong>Die</strong> Sant-Mat-Lehre mißt diesen Übungen deshalb nur bedingten Wert bei.<br />

Wir sollten zuerst die günstigste Körperhaltung finden, in <strong>der</strong> unsere Seelenströme<br />

ins Augenzentrum gebracht werden können und Konzentration erreicht wird. Ein Kind<br />

sollte sie ebenso leicht einnehmen können wie ein junger o<strong>der</strong> alter Mensch. Wichtig<br />

ist es, hellwach zu sein, wenn man die spirituellen Übungen beginnt.<br />

Man sollte ein Bad nehmen, um Schläfrigkeit und Trägheit zu überwinden. Ist das<br />

nicht möglich, sollte man wenigstens Hände, Füße und Gesicht waschen. Dann setzt<br />

man sich mit gekreuzten Beinen hin, so daß <strong>der</strong> Rücken zwar gerade, aber we<strong>der</strong> zu<br />

steif noch zu locker ist. Wesentlich dabei ist, daß die Wirbelsäule aufrecht bleibt. <strong>Die</strong><br />

Unterlage muß fest sein, und man sollte den Rücken nicht gegen eine Wand o<strong>der</strong><br />

einen Stuhl lehnen. Man sollte darauf achten, daß man nicht einschläft. Will man<br />

längere Zeit im Bhajan sitzen, ist eine Armstütze vorteilhaft.


Welche Körperhaltung man auch immer bei den spirituellen Übungen einnimmt,<br />

man muß dabei zur Ruhe kommen und den Körper leicht vergessen können. <strong>Die</strong><br />

Heiligen lehren eine Körperhaltung, die sowohl leicht als auch natürlich ist. <strong>Die</strong><br />

verschiedenen Körperhaltungen des Hatha-Yoga sehen sie für geistige Erhebung<br />

nicht als wesentlich an. In <strong>der</strong> von den Heiligen praktizierten Körperhaltung können<br />

die Seelenströme von den neun Körperöffnungen in das Zentrum <strong>der</strong> Seele<br />

zurückgezogen werden, das sich zwischen den Augenbrauen befindet. In dieser<br />

Körperhaltung kann man ausgezeichnete Ergebnisse erzielen, da sich die<br />

Seelenströme, die durch die neun Körperöffnungen in alle Welt zerstreut sind, im Augenzentrum<br />

sammeln und weiter aufsteigen können. <strong>Die</strong> Seele verbindet sich dann<br />

an <strong>der</strong> Zehnten Pforte (Daswandwar) mit Naam, <strong>der</strong> Wahrheit, und erreicht<br />

schließlich Sach Khand, wo sie von Ego, Verhaftetsein, Gier, Wünschen und Lust<br />

befreit ist und <strong>der</strong> Kreislauf von Geburt und Tod ein Ende findet.<br />

Täglicher Simran<br />

"Das Sprechvermögen <strong>der</strong> Zunge muß für den Simran genutzt werden."<br />

<strong>Die</strong> ganze Menschheit befaßt sich in Gedanken mit ihrer Arbeit o<strong>der</strong> denkt stets an<br />

irgend etwas: <strong>der</strong> Ladenbesitzer an sein Geschäft, <strong>der</strong> Bauer an sein Land o<strong>der</strong> die<br />

Ernte, <strong>der</strong> Angestellte an seine Arbeit, die Mutter an ihr Kind, <strong>der</strong> Freund an seinen<br />

Kameraden, <strong>der</strong> Feind an seinen Gegner.<br />

Niemand kann sich dem Wie<strong>der</strong>holen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erinnerung entziehen. <strong>Die</strong>ser Prozeß<br />

ist es, <strong>der</strong> dem Menschen die Dinge <strong>der</strong> Welt in Fleisch und Blut übergehen läßt, so<br />

daß er durch und durch von <strong>der</strong> Welt geprägt ist. Aus diesem Grunde muß die Seele<br />

immer wie<strong>der</strong> geboren werden. "So wie wir denken, so werden wir." Hören wir auf,<br />

uns gedanklich mit <strong>der</strong> Welt zu befassen, und denken wir statt dessen an den Herrn,<br />

dann können wir leicht Erlösung finden.<br />

An Gott denkt je<strong>der</strong>, wenn er Wünsche erfüllt haben möchte. Der eine möchte eine<br />

Frau, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sehnt sich nach einem Sohn, und wie<strong>der</strong>um an<strong>der</strong>e erbitten<br />

Reichtum. Je<strong>der</strong> hat einen bestimmten Anlaß für seinen Simran. Hat man das<br />

Ersehnte erlangt, so begleitet es einen dennoch nicht über den Tod hinaus. Sogar<br />

<strong>der</strong> Körper bleibt zurück. Was aber bleibt beim Dahinscheiden bei uns?<br />

<strong>Die</strong> Heiligen Schriften lehren, daß alle Dinge dieser Welt vergänglich sind. Sie sind<br />

in <strong>der</strong> Tat Schattenbil<strong>der</strong>, die im nächsten Augenblick verschwunden sind. Es ist<br />

daher töricht, um irgend etwas an<strong>der</strong>es als um Gott selbst zu bitten. Leiten uns beim<br />

Simran an<strong>der</strong>e Beweggründe, dann bitten wir Gott um irdische Dinge, und das bringt<br />

uns in zusätzliche Not. Nur selbstloser Simran wird von Gott angenommen. Ein<br />

moslemischer Heiliger sagt: "Schwärze dein Herz nicht mit unnützen Gedanken. Bitte<br />

Gott um nichts an<strong>der</strong>es als um Ihn allein."<br />

Daher muß an die Stelle des Simrans von Dingen Welt <strong>der</strong> Simran Gottes treten,<br />

und an die Stelle von Gedanken an die Welt die Kontemplation des Meisters, <strong>der</strong><br />

Inkarnation Gottes. Dadurch wird unserem Unterbewußtsein Gott in Form unseres<br />

Satgurus eingeprägt. Dort, wo einst die Wogen <strong>der</strong> Welt die Szene beherrschten,<br />

halten nun Gedanken an den Herrn und die Kontemplation des Meisters Einzug, und<br />

<strong>der</strong> Ergebene vergißt allmählich die Welt und ihre Schattenbil<strong>der</strong>. Der Geist wird<br />

beständiger, und man erreicht ein gewisses Maß an Konzentration.<br />

Was ist Simran? Um Simran richtig verstehen zu können, müssen wir uns mit<br />

seiner wahren Bedeutung befassen. Simran ist ein Wort aus dem Sanskrit, das von


<strong>der</strong> Wurzel "Smar" abgeleitet ist. Seine verschiedenen Bedeutungen sind:<br />

beschützen, sich in Gedanken ein Bild von seiner Gottheit machen und es betrachten,<br />

an eine bestimmte Person o<strong>der</strong> Sache unablässig, mit jedem Atemzug, denken, bis<br />

sie zum wesentlichen Bestandteil des eigenen Lebens wird und man schließlich in ihr<br />

aufgeht und in ihr lebt.<br />

Das Wie<strong>der</strong>holen des o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Namen Gottes wird Simran genannt. Dadurch dringt<br />

ein außergewöhnlicher Bewußtseinsstrom in den Körper. Am Anfang bedeutet <strong>der</strong><br />

Simran erhebliche Mühe, doch sobald man darin geübt ist, läuft er wie automatisch<br />

ab. <strong>Die</strong>se Übung ist natürlich und leicht.<br />

In <strong>der</strong> Not denkt je<strong>der</strong> an Gott. Würde man aber je<strong>der</strong>zeit mit Liebe des Herrn<br />

gedenken, dann würde einen kein Leid mehr heimsuchen. Schmerz ist das Ergebnis<br />

von Sünde. Gott vergessen heißt, sich von Ihm entfernen. Auf diese Weise wird man<br />

Opfer des endlosen Kreislaufs von Geburt und Tod.<br />

Würde man in glücklichen Umständen Simran üben, dann würden Willenskraft und<br />

Verstand erstarken. Dann würde man selbst in einem Unglück gleichmütig bleiben.<br />

Hat man aber versäumt, in guten Zeiten Simran zu üben, und will bei Rückschlägen,<br />

im Krankheitsfall o<strong>der</strong> bei einem Rechtsstreit auf ihn zurückgreifen, dann kann man<br />

davon natürlich nicht viel erwarten. Würde man unaufhörlich Simran üben, dann<br />

würden Ängste und Sorgen verschwinden. Dann würde <strong>der</strong> Geist nicht einmal für<br />

eine Sekunde vom Simran ablassen.<br />

Der Mensch nimmt täglich drei Mahlzeiten ein, um den Körper zu ernähren. <strong>Die</strong><br />

Nahrung <strong>der</strong> Seele aber ist <strong>der</strong> Simran und die Kontemplation Seiner Gestalt. <strong>Die</strong>se<br />

Nahrung muß <strong>der</strong> Seele gewährt werden. So wie die tägliche Nahrungsaufnahme <strong>der</strong><br />

Erhaltung des Körpers dient, so muß <strong>der</strong> Mensch auch <strong>der</strong> Seele ihre Nahrung<br />

zukommen lassen - ganz gleich, ob zu Hause o<strong>der</strong> auf Reisen. Darin sollten wir<br />

niemals nachlässig sein.<br />

Das Wie<strong>der</strong>holen des Namens Gottes ist ein unfehlbares Hilfsmittel gegen alle<br />

Krankheiten. Es ist die geistige Nahrung <strong>der</strong> Seele. Christus sagt:<br />

"Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, son<strong>der</strong>n durch jegliches Wort, das vom<br />

Munde Gottes kommt."<br />

Würde man ständig an Gott denken, würde Überbewußtsein erweckt werden. Das<br />

aber kann nur durch die Gnade und den Segen des Herrn geschehen. Wer diesen<br />

Zustand auch nur für einen Augenblick erreicht, erhält ewiges Leben.<br />

"Des Herrn ständig zu gedenken, erzeugt eine so berauschende Glückseligkeit,<br />

daß, wer sie erfährt, keinen Augenblick mehr vom Herrn getrennt sein möchte,<br />

wie <strong>der</strong> Schwan, <strong>der</strong> ohne Wasser nicht leben kann."<br />

Kabir sagt:<br />

"Gedenke des Namens Gottes mit <strong>der</strong> gleichen innigen Liebe, von <strong>der</strong> <strong>der</strong> Fisch<br />

für das Wasser erfüllt ist. Vom Wasser getrennt, geht er zugrunde."<br />

<strong>Die</strong> Menschen führen auf verschiedene Art Simran aus:<br />

1. Manche nehmen Perlen zu Hilfe, wenn sie Simran üben. Bei dieser Methode wird<br />

die Aufmerksamkeit geteilt; einmal richtet sie sich auf das Zählen <strong>der</strong> Perlen, zum<br />

an<strong>der</strong>en auf die Umkehr des Vorgangs nach Erreichen <strong>der</strong> Hauptperle. Dabei kann<br />

vollkommene Konzentration nicht erreicht werden. Solange die Aufmerksamkeit den


Vorgang begleitet, erwächst daraus ein gewisser Nutzen. Ansonsten aber schweift<br />

<strong>der</strong> Geist umher, während die Finger die Perlen handhaben. Kabir sagt:<br />

"Der wahre Rosenkranz wird im Geist vollbracht. <strong>Die</strong> Rosenkränze <strong>der</strong> Welt sind<br />

irreführend. Wäre es durch Bewegen irdischer Perlen möglich, Vereinigung mit<br />

Gott zu erreichen, dann hätte das Wasserschöpfrad, um dessen Achse sich<br />

Wasserbehälter bewegen, Gott längst erkannt haben müssen."<br />

Viele Menschen gebrauchen anstelle des Rosenkranzes die Fingerspitzen für den<br />

Simran. Kabir sagt:<br />

"Wenn du den Rosenkranz im Geist betest, dann kannst du Vereinigung mit dem<br />

Meister erreichen. Was nützt das Zählen an den Fingern, wenn <strong>der</strong> Geist dabei<br />

nicht zur Ruhe kommt? Zum Zählen benutzt du die Finger, <strong>der</strong> Geist aber brüstet<br />

sich. Das ist ganz nutzlos."<br />

Wie sollen sich die Seelenströme im Innern sammeln, wenn die Hände mit dem<br />

Rosenkranz beschäftigt sind? Wenn sich die Seelenströme konzentrieren, können die<br />

Hände die Perlen nicht bewegen. Solange sich allerdings die Seelenströme nicht ins<br />

Zentrum <strong>der</strong> Seele zurückgezogen haben, ist noch nichts erreicht. Daher nutzen wir<br />

unseren Geist als Rosenkranz und brauchen keinen aus Holz.<br />

2. Manche Menschen wie<strong>der</strong>holen ihre Gebete mit <strong>der</strong> Zunge. Das hat einen<br />

gewissen Nutzen, solange die Aufmerksamkeit auf die Wie<strong>der</strong>holung selbst gerichtet<br />

wird. Wenn aber das Wie<strong>der</strong>holen mit <strong>der</strong> Zunge mechanisch wird, dann schweifen<br />

unwillkürlich - wie beim Rosenkranz - die Gedanken umher.<br />

3. Einige führen das Wie<strong>der</strong>holen in <strong>der</strong> Kehle aus. Das ist dann vorteilhaft, wenn<br />

die Aufmerksamkeit richtig gelenkt wird, an<strong>der</strong>nfalls wan<strong>der</strong>n wir mit unseren<br />

Gedanken ziellos umher wie bei den ersten beiden Methoden.<br />

4. Manche wie<strong>der</strong>holen im Herzen. Auch diese Methode ist wie die bereits<br />

erwähnten unzulänglich.<br />

Das Wie<strong>der</strong>holen mit <strong>der</strong> Zunge ist besser als das Benutzen eines Rosenkranzes.<br />

Und das Wie<strong>der</strong>holen in <strong>der</strong> Kehle ist dem mit <strong>der</strong> Zunge überlegen. An<strong>der</strong>erseits ist<br />

das Wie<strong>der</strong>holen im Herzen vorteilhafter als das in <strong>der</strong> Kehle. Jegliches Wie<strong>der</strong>holen<br />

erzielt gute Resultate, wenn es mit zielgerichteter Aufmerksamkeit ausgeführt wird.<br />

Es reinigt den Geist und bringt ein gewisses Maß an Frieden. <strong>Die</strong> Seelenströme sammeln<br />

sich jedoch nicht im Augenzentrum, so daß nur wenig geistiger Fortschritt<br />

gemacht wird.<br />

"<strong>Die</strong> Übung, bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> Rosenkranz in <strong>der</strong> Hand wan<strong>der</strong>t, bei <strong>der</strong> sich die Zunge<br />

bewegt und <strong>der</strong> Geist in alle Richtungen schweift, ist kein Simran."<br />

<strong>Die</strong> Heiligen setzen daher an <strong>der</strong> Wurzel an. Sie raten zum Wie<strong>der</strong>holen mit <strong>der</strong><br />

"Zunge" <strong>der</strong> Seele. Hierdurch bringt man den Geist zur Ruhe. <strong>Die</strong> Heiligen nennen<br />

das Simran <strong>der</strong> Seele.<br />

Bei dieser Methode ist es nicht so, daß das Wie<strong>der</strong>holen weiterläuft und die<br />

Gedanken umherschweifen, wie es bei den an<strong>der</strong>en Methoden geschieht. Der Simran<br />

<strong>der</strong> Seele erweckt das innere Bewußtsein und versetzt uns in die Lage, den Shabd zu<br />

hören, <strong>der</strong> wirklichen Frieden und Seligkeit bringt.


"Wie<strong>der</strong>holt man den ‚Rosenkranz des Geistes’, dann erwacht das innere<br />

Bewußtsein, und das innere Licht erscheint. Seit ewigen Zeiten haben die<br />

Menschen beim Beten Perlen bewegt, doch ihr Denken blieb unverän<strong>der</strong>t. Laß<br />

daher das Perlenzählen mit <strong>der</strong> Hand und bewege nur die 'Perle des Geistes'."<br />

Viele Menschen benutzen für ihre Arbeit Hände und Füße. Der Verstand ist nicht<br />

beteiligt. Laß Hände und Füße arbeiten und sei im Geist beim Herrn. Erfolg in dieser<br />

Übung stellt sich erst dann ein, wenn <strong>der</strong> Simran ununterbrochen, sei es im<br />

Wachzustand o<strong>der</strong> im Schlaf, weitergeht - so wie sich auch die Zeiger <strong>der</strong> Uhr<br />

unaufhörlich bewegen.<br />

<strong>Die</strong> Übung erfor<strong>der</strong>t keine Zurückgezogenheit und auch kein Aufgeben <strong>der</strong><br />

weltlichen Pflichten. Erfülle weiterhin deine Pflichten und richte dennoch die<br />

Aufmerksamkeit auf den Simran. Simran sollte mit jedem Atemzug ausgeführt<br />

werden, ob im Sitzen, Stehen, Gehen o<strong>der</strong> beim Essen - wir sollten so konzentriert<br />

an Ihn denken, daß uns nichts mehr von Ihm zu trennen vermag und wir nicht mehr<br />

abschweifen. Beson<strong>der</strong>s günstige Zeiten für den Simran sind die Nacht, Mitternacht<br />

und die "Zeit des Elixiers", weil er dann in hohem Maße wirkungsvoll ist.<br />

Der Wert des Simran kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nur durch<br />

beson<strong>der</strong>s großes Glück geschieht es, daß jemand sich dem Simran widmet. Das<br />

Geheimnis des Simran kann man nur von einem wahren Meister erfahren.<br />

Das Wie<strong>der</strong>holen mit <strong>der</strong> Zunge, ohne den tieferen Sinn <strong>der</strong> Worte zu verstehen,<br />

ist bloße Schau, ebenfalls das papageienhafte und gedankenlose Wie<strong>der</strong>holen eines<br />

Namens. Menschen, die auf diese Art und Weise Simran übern, gehen leer aus. <strong>Die</strong><br />

Heiligen sagen, daß wir es gewohnt sind, gewisse Namen zu wie<strong>der</strong>holen. Wie<br />

sinnvoll wäre es doch, unsere Aufmerksamkeit dem Namen Gottes zuzuwendenl<br />

Simran schenkt Freude und verbannt den Schmerz. Durch den Simran des Herrn<br />

verschmelzen wir mit Ihm.<br />

Welche Namen sollte man wie<strong>der</strong>holen, und in welcher Beziehung stehen sie zu<br />

Gott? Für den Simran gibt es zwei Arten von Namen:<br />

1. Persönliche o<strong>der</strong> Eigennamen.<br />

2. Namen, die eine Eigenschaft o<strong>der</strong> Fähigkeit bezeichnen.<br />

Im allgemeinen wie<strong>der</strong>holen die Menschen die Namen Gottes, die diese o<strong>der</strong> jene<br />

Seiner Eigenschaften beschreiben. Derartiger Simran ist nur bis zu einem gewissen<br />

Grad nützlich, weil er nicht zu <strong>der</strong> inneren Schau führt, bei <strong>der</strong> man innere<br />

Erscheinungen erlebt. Daher offenbaren die Heiligen uns die Namen <strong>der</strong> Gottheiten,<br />

die über die inneren Regionen herrschen. Folglich sollen nur die von einem Meister<br />

vermittelten Namen wie<strong>der</strong>holt werden, denn nur sie können den Weg bahnen. <strong>Die</strong>se<br />

Namen sind außerdem energiegeladen und för<strong>der</strong>n die Übertragung spiritueller Kraft<br />

auf den Schüler, was zu schnellem Fortschritt verhilft.<br />

<strong>Die</strong> negative Macht hat verschiedene Hin<strong>der</strong>nisse in <strong>der</strong> Astral- und Kausalregion<br />

errichtet, mit denen die Seele sich auseinan<strong>der</strong>setzen muß, wenn sie diese Regionen<br />

durchquert. Durch das Wie<strong>der</strong>holen <strong>der</strong> von einem wahren Meister gegebenen<br />

heiligen Namen überwindet man sie. Außerdem bewahren sie den Ergebenen vor<br />

an<strong>der</strong>en Schwierigkeiten und Gefahren. Der Simran <strong>der</strong> heiligen Namen ist sowohl<br />

hier als auch im Jenseits vorteilhaft. Deshalb legen die heiligen Schriften beson<strong>der</strong>en<br />

Wert auf das Wie<strong>der</strong>holen nur dieser Namen.<br />

<strong>Die</strong> Namen, die ein wahrer Meister offenbart, enthalten seine Kraft, und sie helfen<br />

dem Schüler, sowohl den Tod als auch die negative Macht zu überwinden. <strong>Die</strong> Worte


des Meisters sind unvergänglich, und durch sie werden wir vom Kreislauf von Geburt<br />

und Tod befreit. Mit welchen Namen <strong>der</strong> Meister uns auch beschenkt, sie sind für uns<br />

von größtem Wert.<br />

Simran bei <strong>der</strong> Meditation<br />

Ständiger Simran während des Arbeitstages bereitet den Geist auf die Meditation<br />

vor. Während <strong>der</strong> Meditation ist <strong>der</strong> Simran die Leiter, die uns zu höheren Regionen<br />

führt, wo wir die Vereinigung mit Gott erreichen können. Wem es Freude bereitet,<br />

nach den Anweisungen des Meisters Simran zu üben, <strong>der</strong> wird eines Tages selbst das<br />

Wesen Gottes annehmen bzw. damit verschmelzen. Zu diesem Zweck geben die<br />

Heiligen eine genaue Beschreibung des inneren Simran.<br />

Während <strong>der</strong> Meditation müssen wir mit Hilfe des Simran unsere Aufmerksamkeit<br />

im Dritten Auge konzentrieren. Das erreicht man nur durch zielgerichteten Simran<br />

<strong>der</strong> Namen Gottes. An<strong>der</strong>er Methoden bedürfen wir nicht. Wir behalten eine<br />

passende Körperhaltung unverän<strong>der</strong>t bei und konzentrieren die Aufmerksamkeit im<br />

Augenzentrum und wie<strong>der</strong>holen die Namen mit ganzer Aufmerksamkeit. Wir müssen,<br />

mit an<strong>der</strong>en Worten, die Aufmerksamkeit im Augenzentrum zwischen den<br />

Augenbrauen festhalten und nun mit dem Simran und <strong>der</strong> Kontemplation beginnen.<br />

Am Anfang sollte man die vom Meister gegebenen Namen im Flüsterton o<strong>der</strong><br />

halblaut wie<strong>der</strong>holen. Ist man in <strong>der</strong> Übung fortgeschritten, sollte man nur noch im<br />

Geiste wie<strong>der</strong>holen, es muß jedoch mit Liebe und Vertrauen geschehen.<br />

Während des Übens sollte man keinen Druck auf die Stirn o<strong>der</strong> die Augen ausüben.<br />

Man kann mit einer kurzen Zeitdauer beginnen und sie allmählich auf zwei bis drei<br />

Stunden ausdehnen.<br />

Der eine schließt beim Simran die Augen, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e hält sie offen. Der erste läuft<br />

Gefahr einzuschlafen, <strong>der</strong> zweite, sich mit den Dingen <strong>der</strong> Welt zu befassen. <strong>Die</strong><br />

erste Übungsart ist weitaus besser, allerdings muß man, bevor man beginnt, die<br />

Schläfrigkeit überwunden haben. Genauso wichtig ist es, die Übung regelmäßig und<br />

pünktlich zu einer festgesetzten Zeit auszuführen.<br />

Wird man beim Simran schläfrig, dann kann man aufstehen und sich das Gesicht<br />

mit kaltem Wasser benetzen, bevor man den Simran fortsetzt.<br />

Simran sollte man nicht hastig, son<strong>der</strong>n langsam und mit Liebe und Hingabe üben<br />

und die Namen deutlich und richtig wie<strong>der</strong>holen. Führt man den Simran hastig aus<br />

und sieht ihn als unerwünschte Pflicht und bloße Routine an, dann führt er zu nichts.<br />

Wird man beim Simran träge o<strong>der</strong> befaßt sich in Gedanken mit Sinnesvergnügen,<br />

dann sollte man zehn bis fünfzehn Minuten lang die Namen hörbar aussprechen und<br />

damit die Aufmerksamkeit wie<strong>der</strong> an ihren Platz zurückholen.<br />

Das Wie<strong>der</strong>holen sollte man mit zielgerichteter Aufmerksamkeit ausführen.<br />

Verfährt man so, werden die Hände und Füße empfindungslos, und das gesamte<br />

Bewußtsein sammelt sich im Augenzentrum. Zu gegebener Zeit erreicht man eine<br />

Stufe, bei <strong>der</strong> das Wie<strong>der</strong>holen aufhört und sich das Wesen - einziges Ziel <strong>der</strong><br />

Kontemplation - offenbart. Das ist die Krönung des Simran.<br />

Das Ergebnis des Wie<strong>der</strong>holens steht in direktem Verhältnis zu <strong>der</strong> Liebe und dem<br />

Vertrauen, mit denen <strong>der</strong> Simran geübt wird. Wie<strong>der</strong>hole daher die Namen des Herrn<br />

mit Liebe und Vertrauen. Seine Namen haben große Macht. Wie<strong>der</strong>holt man sie mit<br />

Vertrauen, so fühlt man sich so sehr von Freude überwältigt, daß man seinen Körper<br />

und sein Selbst vergißt und Gottes Gegenwart wahrnimmt. Wie gewaltig und voller<br />

Wonne ist doch <strong>der</strong> Name Gottes, denn er bringt im Schüler einen überquellenden<br />

Strom <strong>der</strong> Glückseligkeit, des Friedens und <strong>der</strong> Seelenstärke hervor und segnet ihn


wahrhaftig.<br />

"Während des Simran sollte die Sehnsucht nach Gott so stark sein wie die eines<br />

Liebenden nach dem Geliebten, so daß er im Sitzen, Stehen, im Wachzustand<br />

o<strong>der</strong> im Schlaf die Gestalt des Geliebten stets vor Augen hat und sie nicht eine<br />

Sekunde vergißt."<br />

Kabir<br />

Wer mit <strong>der</strong> Gnade Gottes erfüllt werden möchte, verbanne alles an<strong>der</strong>e aus<br />

seinen Gedanken. Weise alles an<strong>der</strong>e zurück und bewahre nur den Namen des Herrn<br />

in deinem Herzen. Sobald durch Simran <strong>der</strong> Geist von allen Gedanken befreit ist, wird<br />

man den Weg zum Hause des Herrn finden.<br />

Es ist <strong>der</strong> einzige Weg, durch den die Seele ihrem Herrn begegnet und in Ihn<br />

eingeht. Das aber geschieht nur durch die Gnade Gottes. Unsere eigenen Versuche<br />

sind ganz zwecklos; ständiger Simran aber erweckt das Überbewußtsein, und <strong>der</strong><br />

Zustand ewiger Ruhe und ewigen Friedens wird erreicht.<br />

Tennyson, ein englischer Dichter, weist in seinen Erinnerungen auf den<br />

überbewußten Zustand, das Ergebnis des Simran, hin:<br />

"Von Kindheit an überkam mich, wenn ich allein war, häufig eine Art<br />

Trancezustand. <strong>Die</strong>ser Zustand trat gewöhnlich dann ein, wenn ich meinen<br />

eigenen Namen zwei- o<strong>der</strong> dreimal still für mich wie<strong>der</strong>holte, bis ganz plötzlich,<br />

sozusagen aus <strong>der</strong> Intensität des individuellen Bewußtseins die Individualität<br />

selbst sich aufzulösen schien und in grenzenloses Sein zerfloß. Das ist kein<br />

Zustand <strong>der</strong> Verwirrtheit, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> allerklarste, allerzuverlässigste, <strong>der</strong><br />

weiseste Zustand, <strong>der</strong> ganz und gar unbeschreiblich ist, in dem <strong>der</strong> Tod eine<br />

lächerliche Unmöglichkeit und <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> Persönlichkeit (wenn es so wäre)<br />

anscheinend das einzig wahre Leben ist. Meine unzureichende Beschreibung ist<br />

beschämend. Aber sagte ich nicht, daß <strong>der</strong> Zustand mit Worten nicht zu<br />

beschreiben ist?!"<br />

<strong>Die</strong> Seele ist von <strong>der</strong> Essenz Gottes. Man nimmt die Gestalt an, um welche die<br />

Gedanken kreisen, und in diese Gestalt muß man zurückkehren. Wie man denkt, so<br />

wird man. Wenn die Essenz (die Seele) an ihren Ursprung denkt, <strong>der</strong> All-Bewußtsein<br />

ist, so wird sie in ihren Ursprung eingehen und den ewigen und immerwährenden<br />

Zustand erlangen. Ein moslemischer Heiliger hat die Wichtigkeit und Größe des<br />

Simran sehr treffend beschrieben:<br />

"<strong>Die</strong> Seele ist die Essenz und <strong>der</strong> Herr die Quelle. Wenn sie ausschließlich des<br />

Herrn gedenkt, wird sie <strong>der</strong> Herr."<br />

Kontemplation<br />

"Das Sehvermögen <strong>der</strong> Augen muß <strong>der</strong> Kontemplation<br />

über die Gestalt des Meisters dienen."<br />

Bekanntlich erscheint in unserer Vorstellung ein Bild von dem, woran wir denken.<br />

Das ist natürlich. Je<strong>der</strong> macht sich im Geist eine Vorstellung von den Personen und<br />

Dingen, an die er denkt.<br />

Wenn wir die Augen schließen, erscheinen vor uns Szenen aus unserem Dasein.


Wir sehen z. B. die Familie und Kin<strong>der</strong>, unser Heim, unser Hab und Gut. Wir sind<br />

ständig mit <strong>der</strong> Welt und ihren Objekten befaßt, so daß auch <strong>der</strong> kleinste Winkel<br />

unseres Geistes davon ausgefüllt ist. Daher sind wir so sehr mit <strong>der</strong> Welt verknüpft.<br />

Wir wissen nicht, wie wir den Herrn schauen können. Der Eine, den wir geistig<br />

schauen sollen, ist jenseits <strong>der</strong> drei Welten. Solange wir Ihm nicht begegnen, wessen<br />

Kontemplation sollen wir uns da hingeben?<br />

Manche verweilen in Gedanken bei Abbildungen ehemaliger Heiliger. Das ist die<br />

Kontemplation von stofflichen und leblosen Dingen. Bil<strong>der</strong> und Götzen sind tot. Sie<br />

können niemanden emporziehen. Nur wer selbst Zugang zu den spirituellen Regionen<br />

hat, kann uns dorthin bringen. <strong>Die</strong> Kontemplation über die Bil<strong>der</strong> ehemaliger Heiliger<br />

ist für uns nutzlos. <strong>Die</strong> meisten Abbildungen dieser Heiligen sind nicht lebensgetreu<br />

und nur Phantasiegebilde. Außerdem ist die Verehrung lebloser Dinge nicht gestattet.<br />

Sicher, Bil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Fotos eines Heiligen erinnern uns an unseren Meister, mehr als<br />

das vermögen sie aber nicht. <strong>Die</strong> Gnade des Herrn indes vermag uns nur <strong>der</strong> lebende<br />

Meister zu schenken. Daher betonen die heiligen Schriften, daß es erfor<strong>der</strong>lich ist, die<br />

Gestalt des lebenden Meisters, <strong>der</strong> eins ist mit dem Herrn, kontemplativ zu<br />

betrachten. Nur das bringt uns wirkliche Vorteile.<br />

Gott offenbart sich im Meister, da <strong>der</strong> Meister Gott in Menschengestalt ist. Daher<br />

ist die Kontemplation des Meisters wahrhaftig die Kontemplation Gottes; und den<br />

Meister verehren, bedeutet, dem Herrn wahrhaft zu dienen.<br />

Im Anfangsstadium ist die Kontemplation <strong>der</strong> physischen Gestalt des Meisters<br />

notwendig. Später schaut <strong>der</strong> Schüler die Strahlengestalt des Meisters, die in den<br />

spirituellen Regionen immer bei ihm bleibt. Sie wird später wie<strong>der</strong> eins mit dem<br />

Shabd, ihrer wahren Form.<br />

Schließt man die Augen, wird man innen nichts als Dunkelheit finden, die noch viel<br />

schwärzer erscheint als eine völlig mondlose Nacht. Wenn sich die Seele von <strong>der</strong><br />

Außenwelt zurückzieht und nach innen geht, dann schaut sie die Sterne, die Sonne<br />

und den Mond. Jenseits all dessen erscheint die Strahlengestalt des Meisters. Der<br />

Meister tritt nicht unbemerkt in Erscheinung, son<strong>der</strong>n von seiner Strahlengestalt geht<br />

ein so strahlendes Licht aus, daß die Seele unwi<strong>der</strong>stehlich von ihm angezogen wird.<br />

Tatsächlich ist dieses Geschehen unbeschreiblich.<br />

Wenn man die Strahlengestalt des Meisters im Innern schaut, dann vermag sich<br />

die Seele in <strong>der</strong> Konzentration zu festigen, und sie beginnt, <strong>der</strong> inneren Musik zu<br />

lauschen. Auf diese Weise fließt <strong>der</strong> Klangstrom, und <strong>der</strong> Schüler geht in heller<br />

Freude auf. Der Geist wendet sich dann voller Inbrunst dem Shabd zu.<br />

<strong>Die</strong> Strahlengestalt des Meisters ist im Innern eines jeden wahren Schülers. Wenn<br />

die Seele sich von <strong>der</strong> Außenwelt abwendet und nach innen geht und Sterne, Sonne<br />

und Mond hinter sich läßt, erblickt sie seine Strahlengestalt. Ihr Glanz gibt <strong>der</strong> Sonne<br />

und dem Mond das Licht. Wer nach innen geht, sieht seine wun<strong>der</strong>bare Gestalt.<br />

Wir sind schon von <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> physischen Gestalt des Meisters mit<br />

Staunen erfüllt. Offenbart er sich aber im Innern, dann erscheint er uns tausendmal<br />

schöner. Hafiz, an den Herrn gewandt, sagt:<br />

"O Geliebter, manch eine Geschichte habe ich über deine wun<strong>der</strong>bare Schönheit<br />

gehört, nun aber, da ich dich im Innern geschaut habe, weiß ich, daß du noch<br />

tausendmal herrlicher bist, als alle Erzählungen dich schil<strong>der</strong>n."<br />

Wenn die Strahlengestalt im Innern sichtbar wird, dann muß <strong>der</strong> Schüler seine<br />

Aufmerksamkeit so sehr auf sie fixieren, daß er mit ihr vollkommen eins wird und er<br />

keinen Unterschied mehr zwischen sich und dem Meister wahrnimmt.


"Ich bin du geworden und du ich. Ich wurde ein Körper und du meine Seele,<br />

mein eigentliches Leben, und das so sehr, daß niemand sagen kann, wir hätten<br />

ein getrenntes Sein."<br />

Shamas-i-Tabriz<br />

<strong>Die</strong> Schriften, die sich mit <strong>der</strong> Seele befassen, berichten, daß, wenn die<br />

Kontemplation vollkommen ist, alles, <strong>der</strong> Schüler, die Übung und die Gottheit eins<br />

werden. Der Angebetete und <strong>der</strong> Anbeter werden eins, und <strong>der</strong> Anbeter verliert<br />

genauso seine Identität wie die Raupe, wenn sie zum Schmetterling wird. Das nennt<br />

man Einswerden mit dem Meister. Da aber <strong>der</strong> Meister schon mit Gott vereinigt ist,<br />

ergibt sich daraus, daß auch <strong>der</strong> Schüler mit Ihm eins wird. Woran du denkst, das<br />

wirst du.<br />

Ebensowenig wie man eine Festungsmauer ohne Leiter erklimmen kann, vermag<br />

man Gott ohne Kontemplation des Meisters zu erreichen. <strong>Die</strong> Konzentration führt uns<br />

vom Physischen zum Astralen, vom Astralen zum Kausalen und darüber hinaus zum<br />

Herrn. <strong>Die</strong> Strahlengestalt des Meisters offenbart sich nur in einem reinen und<br />

aufrichtigen Herzen. Es ist ihr unmöglich, in einem unreinen Herzen zu wohnen. Hafiz<br />

sagt:<br />

"<strong>Die</strong> Kontemplation im Innern ist ein Geschenk des Meisters. Man erhält es erst<br />

dann, wenn <strong>der</strong> Herr es will. Weltliches Wissen und die Betrachtung <strong>der</strong> äußeren<br />

Welt führen nicht zu Gotterkenntnis, infolgedessen bleibt die Seele weiterhin an<br />

die Welt gebunden."<br />

In den Upanischaden heißt es: "<strong>Die</strong> Reinheit und Lauterkeit des Geistes sind<br />

wesentliche Voraussetzungen für die Kontemplation und Meditation." <strong>Die</strong>se Reinheit<br />

muß sowohl innerlich als auch äußerlich sein.<br />

Durch Simran und Kontemplation beginnt <strong>der</strong> Schüler ganz von selbst, sich des<br />

Herrn zu erinnern, und wird <strong>der</strong> Innenschau würdig. Wer die Gestalt des Meisters<br />

liebt, ist an den Meister gebunden. Er vergißt seinen eigenen Körper und auch die<br />

Welt.<br />

Der Meister wird vom Kreislauf von Geburt und Tod nicht berührt. Wer die Gestalt<br />

des Meisters stets vor Augen hat und nichts an<strong>der</strong>es liebt als ihn - wer könnte jemals<br />

einen solchen Menschen veranlassen, in die Welt zurückzukehren?<br />

<strong>Die</strong> Kontemplation über die Gestalt des Meisters wird auf wun<strong>der</strong>bare Weise<br />

belohnt. Wer des Meisters gedenkt, erlangt Ehre und Ruhm auf Erden wie im Jenseits.<br />

All seine Wünsche werden erfüllt, und wenn er mit dem Meister vereint wird,<br />

erlangt er Gotterkenntnis.<br />

Bhajan<br />

"... und das Hörvermögen muß zum Hören auf den Klangstrom genutzt werden."<br />

Auf Simran und Kontemplation folgt <strong>der</strong> dritte Teil, Bhajan.<br />

Simran ist erst dann vollendet, wenn die Kontemplation erzielt worden ist. Und<br />

wenn die Kontemplation vollkommen ist, dann wird <strong>der</strong> Klang- o<strong>der</strong> Tonstrom von<br />

selbst erweckt. Das nennen die Heiligen Bhajan.<br />

Bhajan bedeutet einfach dem Klangstrom lauschen. <strong>Die</strong> Heiligen bezeichnen dies<br />

auch als das Üben des Shabd-Yoga, das von <strong>der</strong> Seele o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Aufmerksamkeit <strong>der</strong><br />

Seele verrichtet wird. Surat o<strong>der</strong> die Seele nimmt die Göttliche Melodie wahr. Das


Üben erweckt die Seele, die schon seit vielen Zeitaltern schlummert, und bewirkt<br />

einen Zustand <strong>der</strong> Glückseligkeit.<br />

Der Shabd ist <strong>der</strong> königliche Weg zur Gotterkenntnis. Beschreitet <strong>der</strong> Schüler<br />

diesen Weg, so erreicht er den Hof des Herrn, Sach Khand. Nichts behin<strong>der</strong>t ihn dort.<br />

Er verweilt nur im Shabd und ist von ihm ganz erfüllt. Sowohl die negative Macht als<br />

auch Maya bleiben dem Shabd fern und kreuzen den Weg des ergebenen Schülers<br />

nicht.<br />

Der Shabd ist in Wirklichkeit die Musik des Herrn, und dem Lauschen dieser Musik<br />

wird in den Schriften beson<strong>der</strong>e Bedeutung beigemessen. So wird <strong>der</strong> Herr gelobt<br />

und gepriesen. Es ist die ungespielte Musik. Sie ist Eine, dennoch offenbart sie sich in<br />

allem. Sie erhält die ganze Schöpfung.<br />

Der menschliche Geist läßt sich selbst mit Millionen gängiger Methoden nicht<br />

beherrschen. Yogis <strong>der</strong> Vergangenheit versuchten es mit allen ihnen bekannten<br />

Verfahren und scheiterten. <strong>Die</strong> Intellektuellen erreichten nichts mit philosophischen<br />

Debatten und kritischen Kommentaren. <strong>Die</strong> Mühen <strong>der</strong> Einsiedler mit ihren<br />

Bußübungen und Kasteiungen erwiesen sich als erfolglos. <strong>Die</strong> Gebildeten<br />

gebrauchten all ihr Wissen, aber mit Intellekt und Scharfsinn allein konnten sie den<br />

Geist nicht besiegen. Das einzige Mittel, ihn zu beherrschen, besteht darin, dem<br />

Klangstrom zu lauschen. Es gibt keinen an<strong>der</strong>en Weg.<br />

Wahres Wissen entsteht aus dem Üben von Simran und Bhajan. <strong>Die</strong> Göttliche<br />

Melodie erklingt immer, und wenn wir sie anhören, beginnen wir, den Herrn zu<br />

lieben. Das ist die wahre Anbetung des Herrn; doch in unser Herz kann sie nur<br />

einkehren, wenn Gott es will.<br />

<strong>Die</strong>sen Schatz, den Shabd, kann man nicht durch das Lesen heiliger Schriften<br />

erhalten. Bücher können ihn nur beschreiben. Selbst wenn wir alle Schriften lesen<br />

und anhören würden, so wären sie dennoch <strong>der</strong> süßen Musik von Gottes Namen<br />

nicht ebenbürtig. Solange die Seele im Innern nicht mit dem Klang verbunden ist,<br />

bleibt ihr die Wirklichkeit verschlossen. Sie gleicht einem Vogel, <strong>der</strong> die Lie<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>er nachahmt, ihren Sinn aber nicht versteht.<br />

<strong>Die</strong> Innere Melodie ertönt unaufhörlich. Sie ist ewig. Aber obwohl sie Tag und<br />

Nacht in uns allen erklingt, nehmen wir sie nicht wahr. Ihr Schatz wird uns<br />

vorenthalten. Zwar liegt er in uns verborgen, wir aber treten von <strong>der</strong> Bühne des<br />

Lebens ab, ohne uns seiner bewußt geworden zu sein. Wir legen keinen Wert darauf,<br />

nach dem Schatz zu graben. Erst wenn wir einem Meister begegnen und seinen<br />

Anweisungen folgen, erkennen wir den Schatz und lösen den Knoten von Materie<br />

und Bewußtsein.<br />

Um im Bhajan Erfolg zu haben, ist es unumgänglich, Schüler eines vollkommenen<br />

Meisters zu sein. Der Klangstrom offenbart sich nur dem Ergebenen eines Meisters.<br />

Erst wenn Simran und Kontemplation vollkommen geworden sind, nimmt man den<br />

Klangstrom wahr. Sobald <strong>der</strong> Schüler mit dem Shabd in Einklang ist, erfährt er die<br />

unaussprechliche Wahrheit.<br />

Woher können wir diesen Klang bekommen? Gott ist unser wahrer Herr, und an<br />

Seinem Hofe ertönt die göttliche Musik. Wenn ein Schüler seinen wan<strong>der</strong>nden Geist<br />

zur Ruhe zu bringen vermag und mit <strong>der</strong> Hilfe des Meisters Zugang zu Daswan Dwar,<br />

<strong>der</strong> Zehnten Pforte, erhält, dann trinkt er dort das "Elixier des Lebens". An diesem<br />

Ort gewährt <strong>der</strong> Meister Ambrosia, und hier ertönt <strong>der</strong> Klangstrom. Dann offenbart<br />

sich <strong>der</strong> Shabd im Körper. Wenn man ihm lauscht, wird <strong>der</strong> Geist bezwungen und <strong>der</strong><br />

Tempel des Körpers geläutert.<br />

Wenn <strong>der</strong> Verstand dem Shabd lauscht, wird er von <strong>der</strong> Seligkeit, die ihm<br />

wi<strong>der</strong>fährt, ganz und gar überwältigt. Wer sein Bewußtsein mit dem Shabd vereint,


<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> Macht Kals entronnen, und <strong>der</strong> seit Urzeiten währende Kreislauf von<br />

Geburt und Wie<strong>der</strong>geburt ist beendet. Gottes Name ist ihm nun im Herzen eingeprägt,<br />

er ist in Einklang mit dem Herrn, und seine Seele geht in Ihn ein.<br />

"Im Herzen gedenken wir des Meisters, mit <strong>der</strong> Zunge sprechen wir seinen<br />

heiligen Namen aus, mit den Augen schauen wir ihn und in den Ohren erklingt<br />

die göttliche Melodie. Unser Denken ist von ihm ganz eingenommen. Wir<br />

verlieren uns vollkommen in dem ständigen Gedanken an ihn. Verstand und<br />

Intellekt werden durch das ununterbrochene Denken an ihn geprägt. <strong>Die</strong>se<br />

Menschen sind es, die Ehre und himmlische Herrlichkeit am Hofe des Herrn<br />

erringen und das hohe Ziel des Menschenlebens erreichen."<br />

Kapitel 3<br />

DER TOD UND DAS STERBEN WÄHREND DES LEBENS<br />

Ein je<strong>der</strong> muß irgendwann einmal sterben. Ganz gleich, ob Mensch o<strong>der</strong> Tier, reich<br />

o<strong>der</strong> arm, gesund o<strong>der</strong> krank, niemand kann dem Tod entrinnen. Alle müssen sein<br />

Tor durchschreiten. <strong>Die</strong> Seele, die die physische Gestalt erhalten hat, muß diese<br />

wie<strong>der</strong> verlassen. "Staub warst du, und zu Staub mußt du wie<strong>der</strong> werden." Je<strong>der</strong><br />

weiß, daß er diese Welt eines Tages verlassen muß, aber keiner weiß, wann.<br />

Wir trauern um den Tod an<strong>der</strong>er, sollten uns aber über unser eigenes Ende<br />

Gedanken machen und uns auf das Leben nach dem Tode vorbereiten. Welches Land<br />

müssen wir nach dem Tod durchqueren? Mit wem haben wir es dort zu tun? <strong>Die</strong>se<br />

Fragen müssen uns beschäftigen. <strong>Die</strong> Schriften erwähnen diese Dinge gelegentlich,<br />

doch wir schenken ihnen wenig Beachtung. Wir halten sie entwe<strong>der</strong> für<br />

Fantasiegebilde und Märchen o<strong>der</strong> aber auch für Bestrebungen, die Menschen von<br />

<strong>der</strong> Sünde abzubringen und sie zu guten Taten anzuhalten. Durch die Pforte des<br />

Todes aber müssen wir gehen. Keiner wird davon ausgenommen. Paulus sagt: "Der<br />

Tod ist <strong>der</strong> letzte Feind, den es zu besiegen gilt." Vor dieser Tatsache dürfen wir die<br />

Augen nicht verschließen.<br />

Wenn wir in ein an<strong>der</strong>es Land reisen müssen, treffen wir entsprechende<br />

Vorbereitungen und nehmen die nötigen Geldmittel mit. Wir bemühen uns um ein<br />

Transportmittel, sei es ein Auto, Flugzeug o<strong>der</strong> Schiff. Einem dort lebenden Freund<br />

schreiben wir und überlegen auch, wo wir wohnen wollen. <strong>Die</strong> weltlichen Dinge<br />

regeln wir so gründlich, daß wir keine Reise ohne entsprechende Vorbereitungen<br />

unternehmen. Um die Reise nach dem Tod, die wie ein Damoklesschwert über<br />

unserem Haupt schwebt und die wir alle zu gegebener Zeit antreten müssen,<br />

kümmern wir uns aber nur wenig. Haben wir für diese Reise für entsprechende Nahrung,<br />

den Shabd nämlich, gesorgt? Haben wir einen Führer - einen Meister -<br />

gefunden, <strong>der</strong> als Begleiter eigenes Wissen und eigene Erfahrung besitzt? Haben wir<br />

jemals bedacht, wohin wir wohl gehen müssen?<br />

Unsere weltlichen Belange regeln wir sehr umsichtig und sorgen für einen<br />

reibungslosen Ablauf. Was aber den Tod betrifft, <strong>der</strong> an keine bestimmte Zeit<br />

gebunden ist und je<strong>der</strong>zeit kommen kann - in <strong>der</strong> Kindheit, in <strong>der</strong> Jugend, im Alter -,<br />

so sind wir über unsere Bestimmung ganz im Ungewissen.


Was im Augenblick des Todes und danach geschieht<br />

<strong>Die</strong>ses Rätsel zu lösen, haben die Menschen keine Mühe gescheut. Der Verstand<br />

versagt hier. We<strong>der</strong> Gebildete noch Ungebildete wissen dessen Unerklärbarkeit zu<br />

enträtseln, was daran liegt, daß noch niemand nach dem Tode wie<strong>der</strong>kehrte und sein<br />

Wissen mit uns teilte. Immer wie<strong>der</strong> beschäftigt uns <strong>der</strong> Gedanke. Wie froh wären<br />

wir doch, wenn jemand, <strong>der</strong> die Regionen jenseits des Todes betreten hat,<br />

zurückkäme, um über seine Erfahrungen zu berichten. Wir stellen nur vage und<br />

ergebnislose Vermutungen an. Kein Teleskop vermag Einblick in diese Regionen zu<br />

gewähren und kein Flugzeug sie zu erreichen. Instrumente und Apparate können uns<br />

nur verhältnismäßig wenig über die Regionen <strong>der</strong> Materie vermitteln; was aber die<br />

höheren Regionen betrifft, so sind sie nutzlos.<br />

Nur ein Meister hat alle Kenntnis über den Tod. In <strong>der</strong> Todesstunde, wenn Familie,<br />

Kin<strong>der</strong>, Besitz, Wohlstand und auch <strong>der</strong> Körper zurückbleiben, begleitet allein <strong>der</strong><br />

vollkommene Meister den Schüler. Daher ist nur er unser einziger und wahrer<br />

Freund. Er ist in <strong>der</strong> Astral- und Kausalregion und in den höheren, rein geistigen<br />

Regionen ein zuverlässiger Führer. Daher betonen die Schriften so deutlich, daß wir<br />

einen Meister finden und ständig an ihn denken müssen.<br />

Den Tod braucht man nicht zu fürchten. Er ist nur ein Name für das, was<br />

geschieht, wenn die Seele den Körper verläßt. Hat die Seele den physischen Körper<br />

abgelegt, erhebt sie sich in die Astral-, Kausal- und die höheren Regionen. Der Tod<br />

ist <strong>der</strong> Rückzug <strong>der</strong> Seele von den grobstofflichen Sinnen und ihr Eintritt in subtilere<br />

Regionen. Er ist nur das Ablegen <strong>der</strong> gegenwärtigen Hülle - des Körpers. Er bedeutet<br />

keineswegs Auslöschen. Das Leben geht nach dem Tode weiter, auch wenn wir es<br />

nicht wahrnehmen können.<br />

<strong>Die</strong> Heiligen haben das Geheimnis des Todes gelüftet. Sie lassen ihren Körper<br />

täglich zurück und erheben sich in die Astral- und Kausalregion. Von ihnen lernen<br />

wir, wie auch wir über den Tod triumphieren können.<br />

<strong>Die</strong>ses Thema haben die Heiligen sehr ausführlich behandelt. Sie beschreiben ein<br />

Verfahren, nach dem man die Pforte des Todes durchschreiten und den Tod<br />

besiegen kann. Auch dem Schüler, <strong>der</strong> dieses Verfahren beherrscht, ist es möglich,<br />

die Pforte des Todes zu durchschreiten und die Reiche jenseits des Todes zu<br />

betreten. Ganz nach Belieben verläßt er seinen physischen Körper und kehrt wie<strong>der</strong><br />

in ihn zurück. Dabei ist er hellwach, und alles, was er sieht, prägt sich ihm deutlich<br />

ein.<br />

Nur jemand, dessen Seele vor seinem Tode höhere Regionen durchquert hat, weiß,<br />

was es heißt, während des Lebens zu sterben. Mit dem Verstand kann man diesen<br />

Vorgang nicht begreifen. Plutarch beschreibt den Zustand beim Sterben<br />

folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

"Beim Sterben werden <strong>der</strong> Seele die gleichen Eindrücke zuteil wie jenen,<br />

die in die Großen Mysterien eingeweiht sind."<br />

<strong>Die</strong>jenigen, die den Anweisungen eines wahren Meisters folgen, sterben täglich,<br />

während sie leben. Sie erheben sich nach Belieben in die höheren Regionen und<br />

kehren nach Belieben in den Körper zurück.<br />

Einer <strong>der</strong> Vorteile, die sich aus <strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong> Heiligen ergeben, ist <strong>der</strong>, daß <strong>der</strong><br />

Schüler die Pforte des Todes sehr glücklich durchschreitet und so den Tod<br />

überwindet. Das erfahren alle Schüler, denen <strong>der</strong> Meister seine Gnade schenkt. Das<br />

alles ist kein leeres Gerede o<strong>der</strong> eine Legende aus einer heiligen Schrift. Der Tod hat<br />

keinen Schrecken für diejenigen, die den Pfad <strong>der</strong> Meister gehen. Wer gelernt hat,


während des Lebens zu sterben, für den hört <strong>der</strong> Kreislauf von Geburt und Tod<br />

endgültig auf. Er verliert alle Furcht vor dem Tod, weil er täglich sein Tor<br />

durchschreitet. Daher preisen die Heiligen das Sterben während des Lebens und<br />

lehren, wie man dies erreichen kann. Der Tod ist süß, wenn man bereits zu Lebzeiten<br />

sterben kann.<br />

Im Körper ruht ein Meer von Spiritualität, die niemand ergründen kann; nur wer<br />

während des Lebens zu sterben vermag, kann daraus Perlen des Überbewußtseins<br />

bergen. Taucht er auch nur einmal in dieses Meer in seinem Körper ein, so kann er<br />

die Kostbarkeit des Überbewußtseins finden. Ansonsten aber bleibt sie ihm ganz<br />

verborgen. Wer tief in dieses Meer eintaucht und sich zu den Himmeln erhebt, <strong>der</strong><br />

wird die höheren Regionen zu seiner Heimat machen und das Juwel, den Herrn,<br />

erkennen. Solange wir noch nach dem Leben (in dieser Welt) verlangen, ist dieses<br />

kostbare Juwel für uns unerreichbar. Nur durch die Gnade des Höchsten kann ein<br />

außergewöhnlich Ergebener, <strong>der</strong> da stirbt, während er lebt, es finden. Will man Gott<br />

erkennen, muß man schon zu Lebzeiten sterben, denn nur so kann man Ihn<br />

erreichen. Solange man irdische Wünsche hegt, kann man keine Gotterkenntnis<br />

erlangen.<br />

Ein Mensch, <strong>der</strong> zu Lebzeiten stirbt, lebt ewig. Wer die gleiche Einstellung zum<br />

Leben in <strong>der</strong> Welt wie zum Tod hat, ist ebenfalls vom Tode befreit. Das Sterben<br />

während des Lebens bedeutet nicht, begraben o<strong>der</strong> eingeäschert zu werden. Es ist<br />

vielmehr eine Stufe, ein Stadium, in dem <strong>der</strong> Meister seinem Schüler ewiges Leben<br />

schenkt.<br />

Das, worauf es am meisten in <strong>der</strong> Spiritualität ankommt, ist das Sterben während<br />

des Lebens. Erst nach solch einem Tod wird die Seele zu wahrem Leben erweckt. <strong>Die</strong><br />

meisten Menschen in dieser Welt wissen nichts von diesem wahren Pfad, denn sie<br />

haben Furcht zu sterben, während sie leben.<br />

Das wahre Leben können wir erst erlangen, wenn wir uns über das Reich des<br />

Todes erhoben haben, mit an<strong>der</strong>en Worten: wenn wir in die höheren, feineren<br />

Regionen hineingeboren worden sind. Christus sagt: "Ein Mensch vermag das Reich<br />

Gottes nicht zu schauen, es sei denn, er wird wie<strong>der</strong>geboren."<br />

Doch diesen Tod zu sterben, während man lebt, kann nur die Gnade des Meisters<br />

gewähren. Einen an<strong>der</strong>en Weg gibt es nicht. <strong>Die</strong>jenigen, die Gott lieben, trinken<br />

jedesmal, wenn sie während des Lebens sterben, den Wein <strong>der</strong> Glückseligkeit und<br />

<strong>der</strong> Freude. <strong>Die</strong>ses Vorrecht haben jene, denen <strong>der</strong> Meister den "Wein" selber<br />

darbietet.<br />

Während des Lebens zu sterben, ist nicht einfach. <strong>Die</strong> Methode dazu bekommt<br />

man nur durch die Gnade des Meisters. Nur wer seinen Verstand unterworfen, seine<br />

Wünsche und Begierden gezügelt und sein Ich ausgelöscht hat, kann während des<br />

Lebens sterben. Es ist nicht so leicht vollbracht, wie es scheinen mag - nicht so<br />

leicht, wie man darüber redet. Erst wenn man allen weltlichen Wünschen entsagt<br />

hat, gelingt es. Solange noch Begierden den Körper bestürmen, kann ihn die Seele<br />

nicht verlassen. Nur wenn man sich von Körper und Geist loslöst, kann man während<br />

des Lebens sterben. Wenn während des Übens die Seele zum ersten Mal den Körper<br />

- das irdische Gefäß - verläßt, muß sie die Pforte des Todes durchschreiten. Läßt man<br />

sich von <strong>der</strong> Welt und dem Verlangen danach nicht mehr einfangen und gibt man<br />

sich ganz in die Hand des stets Hilfe gewährenden Meisters, dann kann die Seele zu<br />

höheren Regionen aufsteigen. Kein Leid wird einem dabei wi<strong>der</strong>fahren.<br />

Was ist nun dieses Sterben während des Lebens wirklich? Im Körper hat die Seele<br />

ihren Platz im Augenzentrum, und von hier empfängt <strong>der</strong> ganze Körper seine<br />

Kraftströme. Wenn man das Sterben zu Lebzeiten übt, braucht man das Atmen nicht


zu unterlassen. Man sammelt ganz einfach mit Hilfe des Simran die volle<br />

Aufmerksamkeit im Augenzentrum und entzieht damit den Sinnen ihre Kraft zur<br />

Wirksamkeit, und <strong>der</strong> Körper gleicht dann einem Leichnam. An<strong>der</strong>s ausgedrückt: die<br />

grobstofflichen Sinne sollen ihre Funktion einstellen und die feineren Sinne geweckt<br />

werden, damit die Seele in die subtilen Regionen aufsteigen und <strong>der</strong>en Glanz<br />

schauen kann.<br />

Durch Simran wird die im Körper wirkende Energie im Augenzentrum konzentriert,<br />

durch Kontemplation wird sie dort fixiert, und mit Hilfe des Klangstromes steigt sie zu<br />

höheren Regionen auf. Wenn sich dann das Bewußtsein vom Körper trennt, spricht<br />

man vom Sterben während des Lebens. Man verläßt seinen Körper auf die gleiche Art<br />

und Weise wie zur Zeit des Todes - mit dem einen Unterschied, daß die Verbindung<br />

mit dem physischen Körper nicht ganz abbricht. Durch die Silberschnur (auf die sich<br />

die Bibel in Prediger 12, 6 bezieht) kann man nach Belieben den Körper verlassen<br />

und in ihn zurückkehren und immer mit dem Körper verbunden bleiben. Auf diese<br />

Weise wird uns Einblick in den Tod gewährt, während wir noch leben. Man<br />

durchschreitet die Astral-, Kausal- und höheren Regionen und wird gänzlich mit ihnen<br />

vertraut. Man kann ihre Bewohner kennenlernen und sich mit ihnen unterhalten.<br />

Guru Angad beschreibt diesen Zustand des Sterbens während des Lebens wie folgt:<br />

"Sehen muß man ohne Augen und hören ohne Ohren. Gehen muß man ohne<br />

Füße, arbeiten ohne Hände und sprechen ohne Zunge. Sterben muß man, noch<br />

während man lebt, erst dann kann man das WORT Gottes hören und dem<br />

Geliebten begegnen."<br />

Sterben zu können, während man lebt, ist <strong>der</strong> Gnade des Meisters zu verdanken<br />

und ergibt sich aus <strong>der</strong> Teilnahme an seinem Satsang und aus <strong>der</strong> Hingabe an das<br />

WORT. Erst dann überquert man den Ozean des Lebens, und dann heißt es am Hofe<br />

des Herrn, daß man den Lebenszweck erfüllt hat. Nur <strong>der</strong> Schüler o<strong>der</strong> Ergebene<br />

erarbeitet sich die ewige Glückseligkeit. Er ist es, mit an<strong>der</strong>en Worten, <strong>der</strong> sich im<br />

Lauschen nach dem Klangstrom, <strong>der</strong> diese Glückseligkeit gewährt, übt. Solch ein<br />

Mensch kennt sowohl das Leben als auch den Tod; sie sind für ihn gleich. Er ist dem<br />

Herrn teuer. Kabir beschreibt es treffend:<br />

"Spiritualität ist ein hoher Baum. Seine Früchte hängen im Himmel,<br />

und nur selten kann ein Vogel sie kosten."<br />

Nur wer zu Lebzeiten stirbt, kann diese Früchte kosten. Solange also die Seele<br />

während des Lebens den Körper nicht vollständig verläßt, solange bleibt <strong>der</strong> Kreislauf<br />

von Geburt und Tod bestehen.<br />

<strong>Die</strong> spirituellen Regionen sind die Heimat <strong>der</strong> Seele. Wer den Tod lebend stirbt,<br />

dessen Seele braucht nicht mehr in die Welt zurückzukehren.<br />

Der Tod während des Lebens ist die Loslösung des Bewußtseins von <strong>der</strong> Materie.<br />

Es ist ein geistig hochentwickeltes Stadium. Wer es erreicht, erkennt sich selbst und<br />

seinen Geist und versteht die Mysterien des Lebens. <strong>Die</strong>ses Stadium erreichen<br />

Menschen, denen die Gnade Gottes durch einen Meister gewährt wird.<br />

"<strong>Die</strong> ganze Menschheit stirbt nach dem Tod immer wie<strong>der</strong>, weil niemand den<br />

wahren Tod stirbt. Ich starb den Tod, <strong>der</strong> mich vor weiterem Sterben bewahrt.<br />

Solange man nicht während des Lebens sterben kann, wird man nicht vom<br />

Kreislauf von Geburt und Tod befreit."


Kapitel 4<br />

STUFEN DER LIEBE<br />

Wenn wir von etwas sehr Gutem o<strong>der</strong> Kostbarem erfahren, erhebt sich gewöhnlich<br />

in uns <strong>der</strong> Wunsch, es zu besitzen. Wenn wir mit jemandem Umgang pflegen,<br />

entsteht eine Bindung, und wir gewinnen Vergnügen daran, sie aufrechtzuerhalten<br />

und so oft und so lange wie möglich mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Person zusammen zu sein. Es<br />

entsteht eine gewisse Empfindung ihr gegenüber, die sich zu einem Strom <strong>der</strong><br />

Zuneigung o<strong>der</strong> Liebe entwickelt.<br />

<strong>Die</strong> Liebe ist wie ein Urquell des Wohlgeruchs im Garten des Lebens. Wenn die<br />

Bindung an eine Person stark wird, wird aus <strong>der</strong> Zuneigung Liebe, und es entsteht in<br />

uns <strong>der</strong> Wunsch, nicht mehr von ihr getrennt sein zu wollen, und zwar so sehr, daß,<br />

selbst wenn die Vernunft uns von einer Begegnung abzuhalten versucht, wir dennoch<br />

unwi<strong>der</strong>stehlich zu ihr hingezogen werden. Dann haben die Gefühle die Oberhand<br />

über die Vernunft, und indem sie langsam wachsen, werden sie so stark, daß uns<br />

eine Trennung von unserem Gefährten, selbst für kurze Zeit, in Unruhe versetzt. <strong>Die</strong><br />

Gedanken weilen ständig bei ihm, und wir sehnen uns danach, bei ihm zu sein.<br />

Zunächst beherrscht noch zu einem gewissen Grad die Vernunft die Gefühle, aber<br />

nach und nach werden sie stärker und verwandeln sich in tief empfundene Liebe.<br />

Von dieser Liebe erfüllt denkt <strong>der</strong> Liebende nicht mehr an sich. Er vergißt seinen<br />

Körper und ignoriert seinen Verstand und ist glücklich, wenn <strong>der</strong> Geliebte bei ihm<br />

ist. Wenn nicht, ist er wie tot. Alle werden ihm gleichgültig, selbst die eigenen<br />

Verwandten und Freunde, und die Herrschaft <strong>der</strong> Vernunft ist beendet.<br />

<strong>Die</strong> wun<strong>der</strong>schönen Augen des Geliebten sind ein Becher voller Wein, aus dem <strong>der</strong><br />

Liebende trinkt und ganz trunken wird. Er kümmert sich nicht um die Meinung seiner<br />

Freunde und Verwandten; Verstand und Denken büßen ihre Urteilskraft ein.<br />

Alle Lebewesen besitzen den Gefühlssinn <strong>der</strong> Liebe. Säugetiere, Vögel, Insekten<br />

und selbst Pflanzen und Blumen sind von ihr erfüllt. Schon ein Funke vom Feuer <strong>der</strong><br />

Liebe berauscht den Menschen, <strong>der</strong> sich zu ihr hingezogen fühlt. Das ganze<br />

Universum ist erfüllt von ihrem Lobgesang. Kein Herz ist gänzlich ohne Liebe, und<br />

niemand wird in die Welt hineingeboren, ohne wenigstens ein Fünkchen davon<br />

mitzubringen. Wir alle leben von ihr; wer aber dem Pfad nicht richtig folgt, kann<br />

keinen Nutzen daraus ziehen.<br />

<strong>Die</strong> Liebe ist eine Eigenschaft <strong>der</strong> Seele, und je<strong>der</strong> bringt sie mit sich. Aber nicht<br />

je<strong>der</strong> kann sie sich zunutze machen. <strong>Die</strong>ses Meer voller Glückseligkeit ist in uns, und<br />

um zu ihm zu gelangen, brauchen wir keinen Pfennig auszugeben. Sobald die Seele<br />

vom Unrat und den Bindungen an diese Welt befreit ist, tritt die wahre Liebe ganz<br />

von selbst in Erscheinung.<br />

Jedem Menschen wohnt die Liebe in ihrer ursprünglichen Form inne. Gott ist die<br />

Liebe, und die Seele ist ein Teil von Ihm, folglich ist auch die Seele Liebe. Da die<br />

Seele aber von den Umhüllungen des Geistes bedeckt ist, ist auch die Liebe<br />

verborgen. Es gilt, diese Umhüllungen zu entfernen.<br />

So wie bestimmte Vorschriften und Regeln zu befolgen sind, wenn man Wissen<br />

erwerben will, so unterliegt auch die Schule <strong>der</strong> Liebe festgesetzten Regeln. <strong>Die</strong><br />

Verhaltensregeln sind streng zu befolgen: Der Liebende muß Gedanken an diese<br />

Welt und ihre Reize ausschalten - auch die <strong>der</strong> jenseitigen - und muß stets ganz in<br />

<strong>der</strong> Kontemplation des Geliebten versunken sein.


"Als ich nach innen blickte, fand ich in mir, was die ganze Menschheit seit<br />

Ewigkeiten in allen Winkeln <strong>der</strong> Erde gesucht hat. Seit vielen Zeitaltern haben wir<br />

überall danach gesucht, fanden es aber nur in unserem Herzen. Suche deshalb<br />

deinen verlorenen Geliebten nicht in <strong>der</strong> Außenwelt. Du wirst Ihn nur in <strong>der</strong> Tiefe<br />

deines Herzens finden."<br />

<strong>Die</strong> vier Grundsätze <strong>der</strong> Liebe<br />

1. Nur <strong>der</strong> Gedanke an den Geliebten sollte existieren.<br />

2. <strong>Die</strong> Vorstellung vom Feilschen o<strong>der</strong> von Geben und Nehmen sollte nicht<br />

aufkommen.<br />

3. Furcht je<strong>der</strong> Art sollte abgelegt werden.<br />

4. Feindschaft und Haß sollten dem Liebenden fremd sein.<br />

Liebende werden nie enttäuscht sein, auch werden sie die Hoffnung niemals<br />

aufgeben. Ihr Geliebter, <strong>der</strong> Satguru, ist immer an ihrer Seite.<br />

Jemand, <strong>der</strong> sich Ritualen unterwirft, verrichtet seine Gebete in einer<br />

vorgeschriebenen Haltung. <strong>Die</strong> Gebete eines Liebenden aber werden stets in vollkommener<br />

Selbstvergessenheit dargebracht (die Liebenden erheben sich über das<br />

sterbliche Selbst o<strong>der</strong> Ego). Jemand, <strong>der</strong> nach ritueller Form betet, wäscht sich vor<br />

dem Gebet Hände und Gesicht. Ein Lieben<strong>der</strong> aber wäscht sich vom Unrat <strong>der</strong> Welt<br />

rein. Das heißt, erst wenn man die Gedanken von <strong>der</strong> Welt abwendet, kann man an<br />

Ihn denken. Bulleh Shah drückt dies mit folgenden Worten wun<strong>der</strong>schön aus:<br />

"Religiöse Bräuche sind unsere Amme, Riten und Zeremonien unsere Mutter.<br />

Wollen wir aber etwas erreichen, was wahrhaft die Mühe lohnt, dann können wir<br />

das nur durch spirituelle Übungen (nach innen gehen). Nur dadurch erkennen<br />

wir die absolute Wahrheit."<br />

Ohne die Liebe sind Askese und an<strong>der</strong>e Praktiken wertlos. Auch Wissen und<br />

Kontemplation an sich führen nicht zum Erfolg. Aber diese Übungen dienen allein<br />

dem Zweck, unser Herz mit Liebe zu erfüllen. Wo keine Liebe ist, ist jegliche<br />

Meditation leer und nutzlos.<br />

Der Geist sollte von allen Gedanken und Wünschen entleert werden, damit er wie<br />

ein sauber polierter Spiegel wird. Wenn wir noch von Habgier und Wünschen<br />

beherrscht werden, kann die Liebe nicht in unser Herz einkehren. Nur durch die<br />

Liebe erreichen die Heiligen bewußte Vereinigung mit dem Herrn, mit an<strong>der</strong>en<br />

Worten: von wahrer Liebe kann solange keine Rede sein, wie noch Eigennutz<br />

vorhanden ist.<br />

<strong>Die</strong> Liebe kennt nur eines: Geben. Man muß alle Wünsche, Macht und Ruhm<br />

aufgeben und zum Sklaven werden. Das ist Liebe. Um wahres Leben zu erlangen,<br />

muß sich das Selbst ganz in <strong>der</strong> Liebe verlieren. Von ständigem Denken an den<br />

Geliebten muß man ganz durchdrungen sein und vollkommen in Gott aufgehen. Das<br />

ist Liebe. Es bedeutet, das Ich zu opfern und zu unterwerfen. Es ist sehr schwierig,<br />

dem Geliebten zu begegnen, denn dafür muß man auf diesem Pfad seinen eigenen<br />

Kopf preisgeben.


"Wenn du etwas über die Liebe erfahren möchtest, dann geh' und frage einen<br />

Heiligen. Möchtest du wissen, wie das Herz deinen Händen entgleitet, dann frage<br />

jemanden, <strong>der</strong> sein Herz verloren hat."<br />

Adi Granth<br />

Zuerst geht die Liebe vom Herzen des Geliebten aus. Gäbe es kein Licht, könnte<br />

die Motte sich nicht verbrennen. Es ist ein großes Glück, wenn durch die Gnade<br />

Gottes die Liebe im Menschen erwacht. Dann erst wird ihm die Gemeinschaft <strong>der</strong><br />

Heiligen gewährt. Guru Ram Das schreibt:<br />

"Was diejenigen betrifft, die den Reichtum <strong>der</strong> Liebe besitzen, so wisse, daß Er<br />

ihnen diese Gunst aus Gnade gewährte. <strong>Die</strong>se Kostbarkeit erlangt man nur durch<br />

einen Meister. Es ist außerordentlich schwierig, ihm zu dienen. Es ist aber <strong>der</strong><br />

Weg zur höchsten Freude. Nur den Menschen wird diese Liebe zuteil, denen Gott<br />

sie aus Gnade selber gewährt."<br />

Genauso wie Elektrizität in latenter Form in <strong>der</strong> Batterie vorhanden ist und eine<br />

große Fläche beleuchten kann, wenn <strong>der</strong> Stromkreis geschlossen wird, so wird auch<br />

<strong>der</strong> Funken <strong>der</strong> Liebe im Herzen des Suchers durch die Gnade Gottes o<strong>der</strong> des<br />

Meisters entzündet und entfaltet dann seine Kraft.<br />

Wesentlich ist zunächst, daß wir zuerst durch Simran und dann durch<br />

Kontemplation die Liebe zu Gott erwecken. Mit dem Wie<strong>der</strong>holen <strong>der</strong> fünf heiligen<br />

Namen wächst in uns die Liebe und Hinwendung zu Ihm. Wenn <strong>der</strong> Liebende an Gott<br />

denkt und darin vollkommen versunken ist, dann erweckt Gott in Seiner göttlichen<br />

Gnade Hingabe in ihm.<br />

Der dritte Teil <strong>der</strong> spirituellen Übung besteht darin, dem Shabd, dem Klangstrom,<br />

zu lauschen. Gott ist Shabd, und Gott ist auch die Liebe. Also ist auch <strong>der</strong> Shabd die<br />

Liebe. Wenn die Seele mit dem Klangstrom in Berührung kommt, dann strömt die<br />

Liebe von innen heraus.<br />

Der Suchende muß diesen Pfad gehen, um zum Geliebten zu gelangen. Manchmal<br />

kommt es aber auch vor, daß die Ströme <strong>der</strong> Liebe unwi<strong>der</strong>stehlich in das Herz eines<br />

Menschen eindringen, wenn er nur einen einzigen Blick in die Augen eines wahren<br />

Meisters wirft. Ein einziger Blick des Meisters genügt, um im Suchenden intensive<br />

Liebe zu erwecken. Es bedarf nicht erst <strong>der</strong> verschiedenen Stadien <strong>der</strong> Begegnung,<br />

<strong>der</strong> engen Bekanntschaft und des inneren Hingezogenseins.<br />

Der Pfad <strong>der</strong> Liebe ist so scharf und schmal wie die Schneide eines Schwertes. Auf<br />

ihm ist nur Platz für einen: Gott und <strong>der</strong> Gottergebene müssen eins werden. Das<br />

geringste Schwanken o<strong>der</strong> die geringste Nachlässigkeit des Ergebenen führt seinen<br />

Sturz herbei. Deshalb kann nur jemand mit starkem Willen und mit <strong>der</strong> Hilfe Gottes<br />

und des Meisters dem Pfad folgen und dadurch, daß er sich stets in den Schoß des<br />

Geliebten fallen läßt. <strong>Die</strong>se glücklichen Schüler werden auf Schritt und Tritt geführt<br />

und können nicht fallen.<br />

<strong>Die</strong> Liebe ist die mächtigste und wirksamste aller Übungen auf dem Wege zu Gott.<br />

Shamas-i-Tabriz sagt:<br />

"Ist <strong>der</strong> Weg lang, dann fliege auf dem Schwingen <strong>der</strong> Liebe.<br />

Wenn du die Schwingen <strong>der</strong> Liebe entfaltest, bleiben dir die Stufen erspart."<br />

"Auf dem Roß <strong>der</strong> Liebe solltest du reiten und ohne Furcht vorwärts streben,<br />

denn dieses Roß ist sehr schnell. Hat auch <strong>der</strong> Pfad Höhen und Tiefen,<br />

trägt es dich dennoch im Nu ans Ziel."


Kapitel 5<br />

DER LIEBENDE<br />

Es ist besser, ein mittelmäßiger Verehrer Gottes zu sein als ein <strong>der</strong> Welt<br />

verhafteter Mensch. Der Erstgenannte hat meditiert, hat Gutes getan und sich des<br />

Bösen enthalten, um in den Himmel zu kommen und sich vor dem Höllenfeuer zu<br />

bewahren. Besser aber als ein mittelmäßiger Verehrer Gottes ist ein Einsiedler, <strong>der</strong><br />

alles Böse zu vermeiden versucht, und nur die Vereinigung mit Gott wünscht. In<br />

seiner Sehnsucht nach Gott hat er <strong>der</strong> Welt entsagt und widmet sich nur noch <strong>der</strong><br />

Anbetung Gottes. Noch besser als <strong>der</strong> Einsiedler ist <strong>der</strong> Liebende, <strong>der</strong> die Stufen zur<br />

Liebe Gottes erklommen hat und in seiner Liebe für Ihn diese und die nächste Welt<br />

vergessen hat. Er hat keine Furcht vor <strong>der</strong> Hölle und kein Verlangen nach dem<br />

Himmel. Nur den Pfad, auf dem ihn <strong>der</strong> Geliebte führt, will er gehen.<br />

Tatsächlich ist diese Welt ein Gefängnis und die nächste <strong>der</strong> Erfüllungsort unserer<br />

Wünsche. Ein Lieben<strong>der</strong> würde we<strong>der</strong> die eine noch die an<strong>der</strong>e auch nur für einen<br />

Pfennig kaufen. Das beispielhafte Verhalten eines Liebenden zeigt, daß die richtige<br />

Art, Gott zu lieben, nicht durch äußerliche Ehrerbietungen erreicht wird. Streit und<br />

Zank zwischen Menschen verschiedenen Glaubens entstehen durch engstirnige Intoleranz,<br />

<strong>der</strong> auch diejenigen unterliegen, die nur ihr eigenes Land o<strong>der</strong> ihre eigene<br />

Nation lieben. Wer aber im täglichen Leben alles dem Ideal <strong>der</strong> Liebe unterordnet,<br />

folgt wirklich dem Gebot seines Herrn, und ihn liebt <strong>der</strong> Herr.<br />

Wer ein asketisches Leben führt o<strong>der</strong> religiösen Ritualen folgt, ohne die Liebe zu<br />

Gott und seinen Kin<strong>der</strong>n zu entwickeln, gleicht einer Blume ohne Duft, einem<br />

Brunnen ohne Wasser, einer Lampe ohne Öl und Augen, die nicht sehen können.<br />

Trotz eines Funkens Spiritualität, <strong>der</strong> manchmal bei solchen Menschen vorhanden<br />

sein mag, bleibt ihr Interesse doch in erster Linie auf Weltliches gerichtet, wobei sie<br />

stets von einer zur an<strong>der</strong>en Sache wechseln. Wer nicht dem Pfad <strong>der</strong> Liebe folgt,<br />

wird am Hofe des Herrn nicht geehrt. Solch ein Mensch verstrickt sich in dem Elend<br />

<strong>der</strong> Welt, und wer ihm begegnet, wird auch unglücklich.<br />

"Ein Mensch, <strong>der</strong> die Liebe nicht in sich trägt, ist eine wandelnde Statue.<br />

Er gleicht dem Blasebalg des Schmiedes, <strong>der</strong> wie beim Atmen<br />

Luft aufnimmt und wie<strong>der</strong> abgibt, aber dennoch nicht lebt."<br />

Ohne Hingabe an einen Meister kann man die Liebe nicht erringen. Das kann ein<br />

weltlich Gesinnter nicht verstehen. Nur jene können daran teilhaben, <strong>der</strong>en<br />

Aufmerksamkeit konzentriert ist, <strong>der</strong>en Herz und Verstand eins sind: voller Vertrauen<br />

und Hingabe. Jemand, <strong>der</strong> kein Gewissen hat, sich mit an<strong>der</strong>en Worten selbst<br />

betrügt, <strong>der</strong> kann aus dem Kelch <strong>der</strong> Liebe nicht trinken. Nur entschlossene Seelen<br />

vermögen den Pfad <strong>der</strong> Meister zu gehen; was immer ihnen auch wi<strong>der</strong>fährt, sie<br />

werden niemals umkehren. Sie allein können dem geliebten Herrn begegnen. Jene<br />

dagegen, die nur wenig Trennungsschmerz verspüren, werden es schwer haben, ihr<br />

Ziel zu erreichen.<br />

Verfallen wir deshalb nicht <strong>der</strong> weltlichen, besitzergreifenden Liebe zu unseren<br />

Kin<strong>der</strong>n, zu unserem Ehepartner, zu unserem Hab und Gut, zu Macht und Ansehen,<br />

die alle vergänglich sind, son<strong>der</strong>n wenden wir uns dem Herrn und Seiner irdischen<br />

Manifestation, dem Satguru, zu.


Einst sagte Gott zu Moses: "Es ging mir nicht gut, wie kommt es, daß du dich nicht<br />

nach meinem Befinden erkundigt hast?" Moses erwi<strong>der</strong>te: "O Gott, Du bist <strong>der</strong><br />

Herrscher dieser Welt und <strong>der</strong> Regionen darüber. Wie kannst Du krank werden?" <strong>Die</strong><br />

Antwort lautete: "Moses, einem gewissen, sehr lieben, mir treu Ergebenen ging es<br />

nicht gut, und du bist nicht bei ihm gewesen, um dich nach seinem Befinden zu<br />

erkundigen. Hättest du ihn zu <strong>der</strong> Zeit besucht, dann hättest du auch mich besucht."<br />

<strong>Die</strong>s verdeutlicht: Wenn wir einen Gottergebenen lieben und ihm dienen, dann<br />

lieben und dienen wir auch Gott; und wer den Meister liebt, ihm dient und an ihn<br />

denkt, liebt in Wahrheit Gott und ist in Gedanken bei Ihm.<br />

Dem Pfad <strong>der</strong> Liebe zu folgen, vermag nicht je<strong>der</strong>. Nur die Furchtlosen, die bereit<br />

sind, ihr Leben zu opfern, vermögen es; Feiglinge haben keinen Zugang. Der Herr<br />

<strong>der</strong> Liebe ist sehr erhaben, und den Willensschwachen wird kein Zutritt an Seinem<br />

Hof gewährt. Solange wir nicht unser Selbst auf dem Altar des Geliebten opfern,<br />

können wir auf dem Pfad <strong>der</strong> Liebe nicht vorankommen.<br />

"Das mindeste, was die Liebe verlangt, ist die Aufgabe<br />

des eigenen Selbst.<br />

Ist dir dies nicht möglich, geh' fort und sprich nicht<br />

mehr von <strong>der</strong> Liebe."<br />

Hafiz<br />

<strong>Die</strong> Liebe kennt kein Gesetz außer dem Willen des Geliebten. Was <strong>der</strong> Geliebte<br />

auch anordnen o<strong>der</strong> gebieten mag, <strong>der</strong> Liebende beugt sein Haupt und ist gehorsam.<br />

"Willst du den Nektar <strong>der</strong> Liebe kosten, so darfst du nicht überheblich sein.<br />

Zwei Schwerter passen nicht in eine Scheide."<br />

Kabir<br />

Man muß diese Welt vergessen, um die nächste zu erreichen, und jene wie<strong>der</strong>um<br />

vergessen, um seine Aufmerksamkeit ganz auf Gott zu richten. Wer bei dem<br />

Gedanken an Gott Glück empfindet, den kann nichts an<strong>der</strong>es zufriedenstellen.<br />

<strong>Die</strong> Liebe ist die wahre Kasteiung, die Demut schenkt und uns lehrt, im Willen des<br />

Geliebten zu leben; sie zieht unsere Aufmerksamkeit von den weltlichen<br />

Vergnügungen und Schmerzen ab. Solch einen Schüler bringt nichts aus <strong>der</strong><br />

Fassung, er hat immer den Geliebten vor Augen. Begegnen ihm Schwierigkeiten o<strong>der</strong><br />

Probleme, erträgt er sie ohne zu klagen, denn sein Herz ist ganz von dem Geliebten<br />

erfüllt, und er hat um sich eine neue Welt <strong>der</strong> Liebe geschaffen. <strong>Die</strong> äußere Welt<br />

reizt ihn nicht und kann ihm auch durch ihre Probleme nichts anhaben. Überdies<br />

werden ihm die spirituellen Geheimnisse im Innern enthüllt, und er kommt <strong>der</strong><br />

Gotterkenntnis näher.<br />

<strong>Die</strong> wahre Liebe läßt es nicht zu, den eigenen Neigungen nachzugehen. Wahre<br />

Liebe bedeutet, den Wünschen des Geliebten bedingungslos zu folgen mit dem<br />

einzigen Verlangen, ihm durch ein Leben in seinem Willen Freude zu bereiten. In<br />

diesem Stadium bleiben eigenes Wohlbefinden o<strong>der</strong> Unbequemlichkeit unbeachtet,<br />

und das Selbst tritt zurück vor dem Wohlergehen und den Annehmlichkeiten für den<br />

Geliebten. Ein seltenes und beson<strong>der</strong>es Glücksgefühl stellt sich ein, das selbst bei<br />

Strapazen so erhebend ist, wie es sich ein weltlich gesinnter Mensch nicht im<br />

entferntesten vorstellen kann. Guru Ram Das sagt:


"Wer die wahre Liebe des geliebten Meisters gekostet hat, dessen Geist und<br />

Körper werden bei <strong>der</strong> Begegnung mit ihm mit Freude erfüllt, denn ein Meister,<br />

<strong>der</strong> eine Manifestation Gottes ist, zieht die Herzen mit starker, wahrer<br />

Anziehungskraft an. Schon ein flüchtiger Anblick seiner leuchtenden Schönheit<br />

läßt das eigene Selbst vergessen. Wer so liebt, geht ganz in <strong>der</strong> Glückseligkeit<br />

auf."<br />

"<strong>Die</strong> Augen eines Liebenden sind immer mit Liebe erfüllt, sie sehen nur Gott und<br />

Gottes Namen."<br />

Einen Liebenden erkennt man ganz sicher daran, daß ihm <strong>der</strong> Verlust irdischer<br />

o<strong>der</strong> materieller Dinge jeglicher Art nicht den leisesten Schmerz bereitet. Verstreicht<br />

aber Zeit ohne Meditation, Gebet o<strong>der</strong> Gedanken an den Geliebten, ist er untröstlich.<br />

Ein wahrer Lieben<strong>der</strong> denkt so gern an seinen Herrn wie ein Durstiger an Wasser.<br />

<strong>Die</strong> Zunge ruht, <strong>der</strong> Geist aber nicht, denn er denkt stets an seinen Geliebten, er<br />

vergißt ihn keinen Augenblick. Seine Gedanken sind stets voller Liebe für den Herrn<br />

und für die, die ihn lieben. Er liebt alle, die Gott lieben, ja er liebt die ganze<br />

Schöpfung.<br />

Wer ist ein wahrer Lieben<strong>der</strong>? Es ist jener, <strong>der</strong> sich vom Unrat aller weltlichen<br />

Gedanken und Wünsche befreit hat: sie sind im Feuer <strong>der</strong> Hingabe und <strong>der</strong> Trennung<br />

verbrannt. Er sehnt sich ständig danach, dem Herrn zu begegnen, so wie ein<br />

Dursten<strong>der</strong> rastlos nach Wasser sucht. Das Herz und <strong>der</strong> Körper des Liebenden<br />

wurden vom Pfeil <strong>der</strong> Liebe Gottes durchbohrt. Sein wahrer Freund und Geliebter ist<br />

niemand an<strong>der</strong>s als Gott, <strong>der</strong> Allmächtige.<br />

<strong>Die</strong> wahre Liebe nimmt dem Liebenden die Sorgen von Schmerz und Vergnügen,<br />

von Ehre und Schuld, von Armut und Reichtum, und sie erhebt ihn weit über diese<br />

Grenzen hinaus. Sie durchdringt jede Zelle des Liebenden und verleiht ihm<br />

unbegrenzte Macht, so daß er niemals Reichtum, Ruhm, Ehre o<strong>der</strong> Ansehen nötig<br />

hat. Er verlangt we<strong>der</strong> nach dieser noch <strong>der</strong> nächsten Welt. Das Netzwerk von<br />

Himmel und Hölle hat ihn freigegeben; Ritualen o<strong>der</strong> weltlichen Bindungen verfällt er<br />

nicht mehr.<br />

<strong>Die</strong> Menschen verstehen den Sinn <strong>der</strong> Liebe nicht. Nur ein wahrer Lieben<strong>der</strong> kann<br />

ihren Sinn und ihre Bedeutung erfahren, und ihr Strahlen, ihr Wi<strong>der</strong>schein ist nur auf<br />

seinem Antlitz sichtbar. Nach einer Beschreibung <strong>der</strong> wahren Liebe sollte man<br />

Christus o<strong>der</strong> Mansur befragen, die beide gelassen und mit Freude in den Tod<br />

gingen. O<strong>der</strong> man frage Mirabai, die einen Becher Gift trank, als sei er Nektar, o<strong>der</strong><br />

Guru Arjan Sahib, <strong>der</strong> auf glühenden Eisenplatten saß und rief: "Dein Wille ist süß!"<br />

Liebende hassen niemanden. In ihren Augen ist nichts als Liebe und nochmals<br />

Liebe. Sie streben nach <strong>der</strong> Liebe, und ihre Gedanken sind stets auf den Geliebten<br />

konzentriert. Hier beten sie und verneigen sich. Und wo ist ihr Geliebter? <strong>Die</strong> Antwort<br />

lautet: "Überall, in jedem von uns. Gott ist die Liebe, und die Liebe ist ein an<strong>der</strong>er<br />

Name für Gott. Er ist in allem, und Sein Lebensstrom fließt überall."<br />

"<strong>Die</strong> Liebe ist das Wesen Gottes, und Gott ist das Wesen <strong>der</strong> Liebe.<br />

Beide sind ein und dasselbe wie die Sonne und <strong>der</strong> Sonnenschein."<br />

Ein wahrer Lieben<strong>der</strong> beschränkt sich nicht auf eine Sprache o<strong>der</strong> einen Glauben.<br />

Er überwindet solche Schranken, und er liebt jeden. <strong>Die</strong> Liebe ist die Erfüllung des<br />

Gebotes. Wenn man liebt, ist dies nicht nur auf eine einzige Handlung begrenzt,<br />

son<strong>der</strong>n die Auswirkung ist mannigfaltig, ohne daß man es bemerkt. Dann breitet<br />

sich ein Strom <strong>der</strong> Liebe in <strong>der</strong> engeren und weiteren Umgebung aus, an <strong>der</strong> die<br />

ganze Welt teilhat.


Ein Lieben<strong>der</strong> liebt den Geliebten, und er sehnt sich nach ihm. Er verehrt seinen<br />

Geliebten und richtet sein Augenmerk nur auf ihn. Er sehnt sich immer nach dem<br />

Anblick des Geliebten, und ohne ihn kann er nicht einen einzigen Augenblick sein.<br />

Gäbe man ihm den Reichtum und alle Schätze <strong>der</strong> Welt, so würden doch sein<br />

heftiges Verlangen und seine Sehnsucht nicht gestillt; das vermag allein <strong>der</strong> Anblick<br />

des Geliebten. <strong>Die</strong> Liebe für seinen Geliebten hat sein Gemüt und jede Zelle seines<br />

Körpers erfaßt. Nichts als <strong>der</strong> Anblick seines Geliebten kann ihn aufrechterhalten.<br />

Über seine Lippen kommen nur Lobpreisungen und <strong>der</strong> Name des Geliebten; ihn<br />

wie<strong>der</strong>holt er ununterbrochen. Ist <strong>der</strong> Geliebte fern von ihm, entringen sich Seufzer<br />

<strong>der</strong> Trennung seiner gequälten Brust und seinem Herzen. Er bittet den Geliebten um<br />

nichts als ihn selbst und sehnt sich danach, sich ganz seinem Willen zu ergeben. In<br />

<strong>der</strong> Inbrunst seiner Liebe und seiner völligen Hingabe sind für ihn Armut o<strong>der</strong><br />

Reichtum, Schmerz o<strong>der</strong> Freude, Gesundheit o<strong>der</strong> Krankheit und was sonst noch<br />

geschehen mag, Gaben des Geliebten. Für den Liebenden gibt es keinen Unterschied<br />

zwischen Freude und Leid. Dank <strong>der</strong> Liebe erhebt er sich über diese Dinge und ist<br />

den körperlichen Einschränkungen nicht unterworfen.<br />

In <strong>der</strong> Liebe bleibt kein an<strong>der</strong>er Wunsch übrig, so wie auch ein brennendes Feuer<br />

alles verzehrt. <strong>Die</strong> weltlich gesinnten Menschen for<strong>der</strong>n von Gott die Erfüllung ihrer<br />

Wünsche; ein Lieben<strong>der</strong> aber, in dem das Feuer <strong>der</strong> Liebe entfacht ist, wünscht nur<br />

Gott von Gott. Guru Ram Das sagt:<br />

"Würde man vor einem Liebenden die Kostbarkeiten und Schätze aller sieben<br />

Welten und <strong>der</strong> sieben Meere ausbreiten und ihn fragen, ob er lieber die Schätze<br />

o<strong>der</strong> den Geliebten möchte, so würde er den Schatz nicht einmal eines Blickes<br />

würdigen. Er erbittet von Gott nur den Nektar Seines Namens."<br />

4. Buch<br />

Kapitel 1<br />

DER HERR<br />

Gott können wir uns we<strong>der</strong> vorstellen, noch können wir Ihn verstehen<br />

Das grenzenlose All <strong>der</strong> Universen und Welten dehnt sich vor uns aus. Dahinter aber<br />

steht eine unbeschreibliche Macht, die das ganze "Schauspiel" lenkt. Selbst wer<br />

Religion als etwas nicht Reales ablehnt, weil er meint, <strong>der</strong> Mensch könne Gottes<br />

Wesen und Seine Erscheinungsform nicht nachweisen, leugnet die Existenz dieser<br />

Höchsten Macht nicht. Der bekannte Philosoph Herbert Spencer kam zu dem Schluß,<br />

daß die Wirklichkeit we<strong>der</strong> bekannt ist noch erkannt werden kann. Er versuchte, sie<br />

mit Verstand und Beweisführung zu ergründen. Doch die Wirklichkeit übersteigt das<br />

Leistungsvermögen von Verstand und Sinnen. <strong>Die</strong> Schlußfolgerung, daß die<br />

Wirklichkeit mit dem Verstand und den Sinnen nicht erfaßt werden kann, war daher<br />

unvermeidlich. Jedes Phänomen dieser Welt läßt sich mit dem Verstand erklären,<br />

wenn man aber Zutritt zu den spirituellen Regionen sucht, dann ist er fehl am Platze.<br />

Der Herr ist jenseits von Zeit und Ewigkeit, absolut und erhaben. <strong>Die</strong> gesamte<br />

Schöpfung untersteht Seinem Gebot, aber Er ist nicht <strong>der</strong> Handelnde. Er ist jenseits


von Form und Formlosigkeit. Er ist allgegenwärtig und erhält alles; Er ist <strong>der</strong><br />

Schöpfer, Er ist unwandelbar, allmächtig, unvergänglich, <strong>der</strong> Erlöser <strong>der</strong> Sün<strong>der</strong>,<br />

unerkennbar, unerreichbar, ohne Anfang, grenzenlos und reines Bewußtsein. Er ist<br />

ewig, unanfechtbar, unerschöpflich an Weisheit und Nektar. Er ist ohne Merkmale, Er<br />

ist gütig zu Seinen Verehrern. Er ist selbstexistent, unabhängig von allem, ein Ozean<br />

unendlicher Süße und Reinheit, allgegenwärtig. Seine Form ist <strong>der</strong> Shabd, und Sein<br />

Name erhält alles.<br />

Der amerikanische Philosoph Will Durrant schreibt in seinem Buch The Mansions of<br />

Philosophy:<br />

"Das Innere <strong>der</strong> Materie enthält etwas Nichtstoffliches, das ihr Form und Energie<br />

verleiht; es besitzt seinen eigenen Antrieb und seine eigene Lebenskraft. Und<br />

diese verborgene und doch ständig offenbarte Lebenskraft ist <strong>der</strong> Ursprung von<br />

allem, was wir kennen."<br />

Was ist dieser Ursprung? Es ist die Allmacht des Herrn, die - wie schon erwähnt -<br />

Intellekt und Vorstellungskraft übersteigt. Gott durchdringt alles, und Er ist immer bei<br />

uns. Da wir uns aber dauernd mit den Dingen dieser Welt beschäftigen, können wir<br />

Ihn nicht sehen. <strong>Die</strong> Sonne ist doch nicht schuld daran, daß die Fle<strong>der</strong>mäuse sie<br />

nicht sehen können; sie scheint für alle. Wenn nun <strong>der</strong> Herr allgegenwärtig ist,<br />

weshalb sehen wir Ihn dann nicht? Es liegt daran, daß uns die Augen, die Ihn sehen<br />

können, noch nicht geöffnet sind. Es sind dies nicht die physischen Augen.<br />

"O Nanak! Jene Augen, die Ihn sehen können, sind an<strong>der</strong>e."<br />

Adi Granth<br />

Wir vermögen subtile Dinge erst dann wahrzunehmen, wenn wir selbst subtiler<br />

geworden sind. Gott ist im höchsten Grade subtil. Erst wenn wir genauso subtil<br />

geworden sind wie Er, können wir mit Ihm vereinigt werden. Grundsätzlich muß das<br />

Organ, mit dem wir sehen, dem entsprechen, was wir sehen sollen. Unsere Augen<br />

können we<strong>der</strong> extrem helles noch sehr schwaches Licht wahrnehmen, und auch die<br />

Ohren vernehmen nur die Töne, die innerhalb unseres Hörbereichs liegen. Um etwas<br />

hören zu können, das außerhalb unseres Hörbereichs liegt, müssen wir<br />

Spezialinstrumente einsetzen, d.h., mit Hilfe dieser Instrumente werden diese Töne<br />

verstärkt, um sie für unser Ohr hörbar zu machen. Mit einem Fernrohr können wir<br />

weit entfernte und mit einem Mikroskop winzige Dinge sehen, soweit es sich um<br />

Grobstoffliches handelt. Um jedoch astrale Dinge sehen zu können, muß unser<br />

inneres Auge geöffnet werden. Das Subtilste von allem ist Gott. Um Ihn erkennen zu<br />

können, müssen wir in gleichem Maße subtil werden. Den Höchsten Herrn, den<br />

Namenlosen, Ewigen, Makellosen und Eigenschaftslosen zu beschreiben, ist nicht<br />

möglich. Es liegt jenseits unseres geistigen und sprachlichen Ausdrucksvermögens;<br />

we<strong>der</strong> durch den Verstand noch durch die Vorstellungskraft wird Er uns begreiflich<br />

o<strong>der</strong> verständlich. Ihn kann nur die Seele erfahren, wenn Verstand und Denken zur<br />

Ruhe gekommen sind.<br />

Mit seiner Geduld am Ende gab <strong>der</strong> deutsche Philosoph Kant schließlich auf und<br />

dachte nicht weiter über die jenseits <strong>der</strong> menschlichen Erkenntnis liegende Realität<br />

nach. John Stuart Mill schreibt in Three Essays on Religion: Über den "Ursprung allen<br />

Seins" und was wir unter dem Wort "Ursprung" verstehen, lehrt uns die Erfahrung,<br />

daß die ursächliche, allem innewohnende und alles durchdringende Kraft reine Ener-


gie ist. Beide Gelehrten kommen zu <strong>der</strong> Ansicht, daß eine Macht, die sich nicht<br />

beschreiben läßt, <strong>der</strong> Ursprung dieses Universums war und daß diese Macht ewig<br />

und unsterblich ist.<br />

In den Upanischaden erklären die Seher: "<strong>Die</strong> Wirklichkeit läßt sich nicht mit<br />

unseren Begriffen und unserer Vorstellung beschreiben. So wie man Öl nicht aus<br />

Sand gewinnen o<strong>der</strong> den Durst nicht mit Wein löschen kann, so absurd ist es auch,<br />

Brahm (den Herrn) durch gelehrtes Wissen erkennen zu wollen." In den Upanischaden<br />

gibt es einen kurzen Ausspruch: "Neti, Neti" (nicht dies, nicht dies). Es wird<br />

viermal wie<strong>der</strong>holt und bedeutet: Was beschrieben werden kann, ist we<strong>der</strong> Brahm<br />

noch Gott. O<strong>der</strong>, mit an<strong>der</strong>en Worten: Was sich je<strong>der</strong> Bezeichnung und Form<br />

entzieht, ist Brahm. Da Er ohne Merkmale und unbeschreiblich ist, nehmen unsere<br />

Augen Ihn nicht wahr, und dem Verstand und <strong>der</strong> Sprache ist Er auch nicht<br />

zugänglich.<br />

Guru Nanak sagt auch, daß Er für unser Denkvermögen nicht faßbar ist: "Wir mögen<br />

noch so angestrengt nachdenken, Ihn können wir nicht begreifen." <strong>Die</strong> folgenden<br />

Zitate sind aus dem Adi Granth:<br />

"Alldurchdringend bist Du. Was soll ich sagen?<br />

Höre mein Meister, Der Große Allwissende bist Du."<br />

"Der allmächtige Herr bist Du,<br />

Nicht wahrnehmbar, nicht sichtbar.<br />

Und wenn wir Dich suchen,<br />

Finden wir Dich unergründlich.<br />

Du bist jenseits des Jenseitigen.<br />

Und nur Du allein kennst Dich selbst."<br />

"Er ist <strong>der</strong> Herr unzähliger Universen und <strong>der</strong> Erhalter<br />

allen Lebens. Jedem gewährt Er Fürsorge und Halt;<br />

Das Universum aber erkennt Seine Wohltaten nicht."<br />

"Gewaltig und erhaben ist <strong>der</strong> Hof des Herrn,<br />

Unergründlich und unvorstellbar.<br />

Nanak sagt: Es ist <strong>der</strong> Name des Herrn,<br />

Durch den man mit Herrlichkeit gesegnet wird."<br />

"O, grenzenloser Herr,<br />

Der Du Ursprung allen Anbeginns bist,<br />

Du, unser höchster Herr, Du Makelloser.<br />

Wie kann ich in Einklang mit Dir leben,<br />

O, Verkörperung <strong>der</strong> Wahrheit?"<br />

Wo ist Gott?<br />

<strong>Die</strong> Unwissenden glauben, daß Gott über den Wolken o<strong>der</strong> in den Tiefen <strong>der</strong> Meere<br />

wohnt. Würdige Seelen erkennen Ihn in ihrem Herzen und vollkommene Meister<br />

sehen Ihn überall, innen und außen. <strong>Die</strong> Heiligen sagen, daß Er das gesamte<br />

Universum durchdringt und daß das Universum in Ihm ist. <strong>Die</strong>se Kraft ist<br />

alldurchdringend und lenkt das gesamte, gewaltige Universum <strong>der</strong> Universen.


Liebende sind <strong>der</strong>en viele - aber Geliebter ist nur einer. Religionen und<br />

Glaubensbekenntnisse sind verschieden, aber alle haben dasselbe Ziel.<br />

In allen religiösen Schriften wird Er als "<strong>der</strong> Herr aller Universen" beschrieben und<br />

nicht einer bestimmten Rasse, Religion o<strong>der</strong> einem bestimmten Volk zugeordnet. Und<br />

weiter heißt es: Alles ist von Ihm ausgegangen. Er durchdringt alles. Es gibt nichts -<br />

sei es mit o<strong>der</strong> ohne Empfindung -, das ohne Sein Licht ist.<br />

Wohin soll ich gehen vor Deinem Geist<br />

Und wohin fliehen vor Deinem Angesicht?<br />

Führe ich gen Himmel, so bist Du da;<br />

Bettete ich mich bei den Toten,<br />

Siehe, so bist Du auch da.<br />

Nähme ich Flügel <strong>der</strong> Morgenröte<br />

Und bliebe am äußersten Meer,<br />

So würde auch dort Deine Hand mich führen und<br />

Deine Rechte mich halten.<br />

Psalm 139<br />

<strong>Die</strong>ses Universum ist Seine Substanz, und Er wohnt in ihm. Er durchdringt jedes<br />

Atom in <strong>der</strong> gleichen Art, wie die Seele jede Pore des Körpers durchdringt und ihn<br />

dadurch lebensfähig macht. Verläßt die Seele den Körper, so wird er zu Staub. Auch<br />

dieses Universum wird zugrunde gehen, wenn Er Seine Macht daraus zurückzieht.<br />

Der Äther, aus dem dieses Universum erschaffen ist, und die Lebensenergie, die es<br />

erhält, sind vom Herrn geschaffene Kräfte. Er ist <strong>der</strong> Schöpfer, <strong>der</strong> Erhalter und<br />

Zerstörer des gesamten Universums.<br />

Wo aber ist Gott, <strong>der</strong> Herr? Nach <strong>der</strong> Erschaffung dieser Welt trennte Er sich nicht<br />

von ihr. Er ist das Höchste Wesen. Sein Wohnsitz ist die Schöpfung, die Er<br />

durchdringt. Er ist unsterblich und allgegenwärtig. Man muß Ihn daher nicht in <strong>der</strong><br />

Einöde suchen, son<strong>der</strong>n das innere Auge öffnen, mit dem man Ihn wahrnehmen<br />

kann.<br />

Ohne eigene Erfahrung ist es schwierig, dies zu verstehen. Anhand eines Beispiels<br />

läßt sich aber etwas feststellen: Man kann Ihn mit den Wellen eines starken<br />

Fernsehsen<strong>der</strong>s vergleichen, die alles durchdringen und überall wi<strong>der</strong>hallen. Wer<br />

feinfühlig geworden ist und im Einklang mit Ihm lebt, <strong>der</strong> kann Ihn hören und Seine<br />

Herrlichkeit schauen.<br />

Wir sind winzige Teile des Herrn. Unser Verhältnis zu Ihm ist wie das eines Teils<br />

zum Ganzen. Der Ozean ist nicht von seinen Wellen zu unterscheiden und die Sonne<br />

nicht von ihren Strahlen. Der Herr vergißt uns keinen Augenblick. Er sorgt immer für<br />

uns; nie sind wir von Ihm getrennt. Er ist immer bei uns und durchdringt unser<br />

ganzes Wesen.<br />

Was ist Gott und in welcher Beziehung stehen wir zu Ihm?<br />

Der Höchste Vater ist <strong>der</strong> Schöpfer aller Universen. Wir benötigen Material, wollen<br />

wir in dieser Welt etwas herstellen. Er aber bedarf keiner Hilfe und Mittel<br />

irgendwelcher Art, um das Universum zu erschaffen. Er ist das Höchste Wesen und<br />

kann alles vollbringen. Er erschafft alles aus sich selbst heraus. Daher ist Er <strong>der</strong><br />

wahre Schöpfer.


Der Herr ist grenzenloses Bewußtsein. Er verkörpert wahre Vernunft und höchste<br />

Intelligenz. Er ist <strong>der</strong> Quell <strong>der</strong> Liebe und des Erbarmens. Wir sind ein Teil von Ihm,<br />

und Er ist das allumfassende Ganze. Der Ursprung, aus dem unsere Seele entstanden<br />

ist, dieser Urquell ist Gott. Er ist <strong>der</strong> Ozean des Bewußtseins, und wir sind ein<br />

Tropfen davon. Er ist die Sonne des absoluten Bewußtseins, und wir sind die<br />

Strahlen. Jedes Partikel ist ein Teil des Ganzen. Unser wahres Wesen ist ein Teil <strong>der</strong><br />

Gesamtheit, die wir Gott nennen.<br />

"Der Herr durchdringt alles Lebende,<br />

Er ist das verborgene Wissen aller Herzen.<br />

Wer - durch das WORT des Gurus - Ihn innen schaut,<br />

Der sieht den Herrn in allen Wesen."<br />

Adi Granth<br />

Wenn wir wie die Kin<strong>der</strong> werden, dann behütet uns <strong>der</strong> Herr. Wachsen wir aber zu<br />

Verstandesmenschen heran, und beginnen wir, alles begründen zu wollen,<br />

Schlußfolgerungen zu ziehen und zu grübeln, dann werden wir unzufrieden. Wenn<br />

wir uns Ihm zuwenden und uns an Ihm festhalten, in <strong>der</strong> Welt leben, Ihn aber -wie<br />

ein Kind die Mutter - nicht mehr loslassen, dann werden wir glücklich sein. Erbitte<br />

von Ihm, iß, trink und rufe: "O Mutter, ich bin dein, ob gehorsam o<strong>der</strong> nicht, ich bin<br />

in deinem Schoß. Wohin könnte ich auch gehen, wenn ich dich verließe?" Das muß<br />

aber mit Liebe, Aufrichtigkeit und Einfalt und ohne Berechnung gesagt werden.<br />

Aufrichtigen Kin<strong>der</strong>n vergibt man ihren Eigensinn. Auch <strong>der</strong> Herr schätzt Liebe,<br />

Einfalt und Vertrauen.<br />

"<strong>Die</strong> Einfältigen werden den Herrn erkennen."<br />

Bleibt also Kin<strong>der</strong> Gottes. Gebt euer kostbares Erbrecht nicht auf. Erkennt, daß <strong>der</strong><br />

Herr in euch wohnt und alles sieht. Bedenkt, daß Er lebendig ist. Seid voller Hingabe.<br />

Gewisse Merkmale sind Ihm eigen - an<strong>der</strong>erseits entzieht Er sich ihnen und steht<br />

vollkommen darüber. Er, <strong>der</strong> Gestalt annimmt, ist zugleich <strong>der</strong> formlose Eine.<br />

<strong>Die</strong> Kräfte, die in <strong>der</strong> Seele sind, sind auch im Herrn. <strong>Die</strong> Seele ist Bewußtsein, und<br />

<strong>der</strong> Herr ist grenzenloses Bewußtsein. <strong>Die</strong> Seele kann denken, und <strong>der</strong> Herr hat<br />

unermeßliches Denkvermögen. <strong>Die</strong> Seele besitzt Einsicht und Wissen, und <strong>der</strong> Herr<br />

hat allumfassendes Wissen und höchste Weisheit. <strong>Die</strong> Seele ist voller Liebe, und <strong>der</strong><br />

Herr ist <strong>der</strong> Ursprung aller Liebe. Wir sind Sein Ebenbild. Jedes Teil fügt sich zum<br />

Ganzen - so auch wir.<br />

Er bestimmt und lenkt die Geschicke <strong>der</strong> rein geistigen Regionen und auch die <strong>der</strong><br />

Universen und <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>en Welten nach Seinem Willen. Ist diese Arbeit, <strong>der</strong>en<br />

ungeheures Ausmaß für uns unvorstellbar und verwirrend ist, für Ihn eine Last?<br />

Beschäftigt es Ihn ständig? Nein! Während Er alles vollbringt, bleibt Er frisch wie eine<br />

Blüte, und trotz aller Erschwernisse bleibt Er frei und ungebunden. Er ist unbesorgt,<br />

unabhängig und gelassen. Er hat das Universum geschaffen und sorgt für sein<br />

rechtes Fortbestehen, dennoch läßt es Ihn unbelastet und immer glücklich.<br />

Der zehnte Sikh Guru schrieb ein außergewöhnliches Loblied auf den<br />

allgegenwärtigen Herrn:<br />

Gott ist im Wasser, Gott ist auf dem Land.<br />

Gott ist im Herzen, Gott ist im Wald.<br />

Gott ist im Gebirge, Gott ist in Höhlen,


Gott ist auf Erden, Gott ist im Himmel.<br />

Gott ist hier, Gott ist da.<br />

Gott ist im Raum, Gott ist in <strong>der</strong> Zeit.<br />

Gott ist unsichtbar, Gott ist ohne Glauben.<br />

Gott ist ohne Sünde, Gott ist ohne Haß.<br />

Gott ist unsterblich, Gott ist ohne Zuflucht.<br />

Gott ist undurchdringlich, Gott ist unauflöslich.<br />

Gott ist jenseits von Magie und Zauber;<br />

Gott hat Sein eigenes Licht; Beschwörungen berühren Ihn nicht.<br />

Gott ist ohne Rang, Gott ist ohne Stammbaum. Gott ist ohne Freunde, Gott hat<br />

keine Mutter. Gott kennt keine Körper- o<strong>der</strong> Seelenqualen. Gott ist ohne Zweifel,<br />

Gott ist ohne Karma. Gott ist unbesiegbar, Gott ist furchtlos. Gott ist<br />

unzerbrechlich, Gott ist unauflöslich. Gott kann nicht bestraft werden, Gott ist<br />

strahlend. Gott ist überragend, Gott ist unergründlich. Gott ist unüberwindbar,<br />

Gott ist unvergänglich. Wie<strong>der</strong>hole die Namen Gottes; nimm Ihn in deinem<br />

Herzen auf; tue Buße und wie<strong>der</strong>hole Seinen Namen.<br />

O Gott, Du bist im Wasser, Du bist auf dem Land.<br />

Du bist im Fluß, Du bist im Meer.<br />

Du bist im Baum, Du bist in seinen Blättern.<br />

Du bist in <strong>der</strong> Erde, Du bist im Firmament.<br />

Deinen Namen wie<strong>der</strong>holt man immerdar.<br />

Dein Name ist tief im Menschenherzen verankert.<br />

Du bist Raum, Du bist Zeit.<br />

Du bist Bewohner, Du bist Wohnung.<br />

Du bist ungeboren, Du bist furchtlos.<br />

Du bist unfaßbar, Du bist unzerstörbar.<br />

Du bist Enthaltsamkeit, Du bist <strong>der</strong> Halt.<br />

Du bist Befreier, Du bist Ratgeber.<br />

Du allein bist, Du allein bist.<br />

SAT NAAM - Der wahre Name Gottes<br />

Untersuchungen <strong>der</strong> Frühgeschichte und alter religiöser Schriften zeigen, daß die<br />

Menschen des Altertums die Mächte <strong>der</strong> Natur wie den Mond und die Sonne usw.<br />

verehrten, um ihr Vertrauen in Gott zu stärken. Man prägte auch verschiedene<br />

Namen für Ihn, was dazu führte, daß die Menschheit sich in all diesen Namen wie in<br />

einem Spinnengewebe verfangen hat.<br />

Guru Gobind Singh erwähnt im Jap Ji Sahib mehr als tausend Namen für Gott. Er<br />

hebt aber hervor, daß es unumgänglich ist, den wahren Sinn dieser Namen zu<br />

verstehen, und erklärt weiter, daß man sich über sie erheben und - das Ziel aller<br />

Namen - den "Genannten" erkennen muß.<br />

Sat Naam (<strong>der</strong> wahre Name Gottes) ist die unvergängliche Wahrheit aller drei<br />

Zeitbegrenzungen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft). Sie gilt immer und ist<br />

unwandelbar. Sat Nam ist <strong>der</strong> eigentliche Name Gottes. Der fünfte Sikh Guru sagt:<br />

"Der Mund spricht Deine verschiedenen Namen aus –<br />

Sat Naam ist Dein ureigener, ursprünglicher Name."


Alle an<strong>der</strong>en Namen sind Definitionen einer bestimmten Eigenschaft o<strong>der</strong> Tugend.<br />

Man nennt Ihn z.B den Schöpfer, weil Er erschafft, o<strong>der</strong> den barmherzigen Herrn,<br />

weil Er barmherzig ist.<br />

Es ist überaus schwierig, Sat zu begreifen. Es wird gewöhnlich mit Wahrheit<br />

übersetzt. Es unterscheidet sich von Wahrheit und Unwahrheit. Wahrheit und<br />

Unwahrheit sind zwei Gegensätze, wobei das eine die Bedeutung des an<strong>der</strong>en<br />

beleuchtet. <strong>Die</strong> Gurus bezeichnen mit Sat jedoch etwas Unabhängiges, das aus<br />

eigener Kraft leuchtet und autark ist und in dem we<strong>der</strong> Wahrheit noch Unwahrheit<br />

existieren; beide aber werden durch Sat erhalten. Im Adi Granth heißt es:<br />

"Wahr, wahr, wahr ist Er,<br />

Ja, niemand ist von Sat Purush getrennt."<br />

Sat erkennt man, wenn Verstand und Sinne zur Ruhe gekommen sind, und wer Sat<br />

erkennt, <strong>der</strong> kennt den Schöpfer.<br />

"Für den, <strong>der</strong> Ihn kennt, ist alles Wahrheit.<br />

O Nanak, Er allein ist wahr."<br />

"Wer Gott in seinem Herzen für die Wahrheit hält,<br />

Der kennt das Wesen des Schöpfers,<br />

Den Ursprung aller Ursachen."<br />

Adi Granth<br />

Laut dem Wörterbuch entspringt das Wort "Naam" einem Stammwort des Sanskrit<br />

mit <strong>der</strong> Bedeutung: bekannt, bestimmend, entscheidend. Der Name ist das, womit<br />

wir eine Person o<strong>der</strong> einen Gegenstand bezeichnen, um sie von an<strong>der</strong>en zu<br />

unterscheiden. Aber mit Nam bezeichnen die Meister die allesdurchdringende Kraft,<br />

die alle Universen und Regionen regiert. Sie ist <strong>der</strong> Quell allen Wissens und aller<br />

Kontemplation; sie erhält alles. Guru Arjan preist Naam im Adi Granth wie folgt:<br />

"Naam hält alles Wissen<br />

Und alle Kontemplation aufrecht.<br />

Naam erhält alle Himmel und Unterwelten.<br />

Naam durchdringt alle Welten."<br />

Der Herr offenbart sich uns als Naam o<strong>der</strong> Tonstrom (Klangstrom). Sat ist eine<br />

Woge dieser ewigen Existenz, und die Seele wird damit verbunden und ist glückselig.<br />

Es gibt nur einen Gott. Offenbart Er sich aber, erkennen wir Ihn als Sat Naam<br />

(Wahrer Name). <strong>Die</strong> Seele erfährt Ihn, wenn sie sich mit Seiner endgültigen und<br />

unteilbaren Existenz vereinigt. Das ist nicht nur Gerede und auch nicht bloße<br />

Phantasie. Es ist die Erfahrung Heiliger und Propheten, und sie bekennen sich auch<br />

dazu. Daran ist nicht zu zweifeln.<br />

Gotterkenntnis<br />

Unsere physischen Augen vermögen nicht, Ihn zu sehen. <strong>Die</strong> Augen, mit denen<br />

man Ihn sehen kann, müssen aber erst geöffnet o<strong>der</strong> erweckt werden. Den Herrn<br />

schaut man mit dem inneren Auge, und man lauscht Ihm mit dem inneren Ohr.<br />

Wie können wir Ihn, den Einen, <strong>der</strong> alles durchdringt, erkennen? Nach den


Schriften <strong>der</strong> Sikhs ist nur <strong>der</strong> dazu imstande, den Er mit Seiner Gnade beschenkt.<br />

Der Meister ist es, durch den die innere Sicht entwickelt wird, durch die man den<br />

Herrn in Seinem Glanz überall sieht und die alle Zweifel beseitigt.<br />

"Es gibt nur einen Gott.<br />

Er offenbart sich aber in verschiedenen Formen.<br />

Er durchdringt jedes Herz.<br />

O Ravi Das, Er ist nahe.<br />

Man kann Ihn erkennen, wenn Er es wünscht."<br />

Ravi Das<br />

Es wird oft gefragt, weshalb man Gotterkenntnis anstreben soll, wo sie doch so<br />

schwer zu erreichen ist. Darauf läßt sich antworten, daß ein Hungriger ebensowenig<br />

ohne Nahrung leben kann wie wir ohne Gott. Der heilige Augustinus sagt:<br />

"O Gott, Du hast uns erschaffen für Dich, und das Menschenherz<br />

bleibt ruhelos, bis es in Dir ruht."<br />

Wie schon erwähnt, können uns nur jene wahres Wissen über Gott vermitteln, die<br />

Ihn in den transzendenten Regionen wahrgenommen haben, denn ihr Wissen ist<br />

nicht bloße Einbildung, sie haben es auch nicht aus religiösen Schriften o<strong>der</strong> vom<br />

Hörensagen, son<strong>der</strong>n sie haben Ihn mit eigenen Augen gesehen. Durch Ausdehnung<br />

ihres Bewußtseins und durch Erleuchtung haben sie Ihn erkannt und verhelfen auch<br />

an<strong>der</strong>en dazu. Auch heute können sie Gottsuchern zur Gotterkenntnis verhelfen.<br />

Er ist nicht fern von uns, son<strong>der</strong>n Er befindet sich tief in unserem Herzen. Er ist<br />

auch nicht von uns getrennt, denn man spürt Seine Gegenwart, wohin man auch<br />

schaut. Nur selten jedoch gelingt es einem Ergebenen, dieses Stadium während<br />

seines Lebens zu erreichen und sich so des immerwährenden Glückes zu erfreuen.<br />

"Er ist in deinem Körper,<br />

Ob du Ihn findest o<strong>der</strong> nicht.<br />

Der Gottergebene sucht Ihn innen,<br />

Und bei <strong>der</strong> Begegnung mit Ihm<br />

Erlangt er ewigen Frieden<br />

Und vereinigt sich mit Ihm."<br />

Adi Granth<br />

<strong>Die</strong> Liebe Gottes<br />

Wir wissen, daß unsere Vorliebe für die Welt, für die weltlich gesinnten Menschen<br />

und für die Objekte dieser Welt die Ursache vielen Elends ist, weil alles vergänglich<br />

ist und uns früher o<strong>der</strong> später verläßt. Bei unserem Tod werden wir alles<br />

zurücklassen. Wir sollten daher unsere Liebe auf ein Wesen richten, das über dem<br />

Tod steht und das nie von uns getrennt werden wird, damit wir nie den<br />

Trennungsschmerz erleiden müssen.<br />

Ein solches Wesen ist Gott o<strong>der</strong> Seine Manifestation, <strong>der</strong> Meister, dessen Seele<br />

ganz in Gott aufgegangen ist und ewiges Leben besitzt. Nur Gott - in Gestalt Seiner


Heiligen - verdient unsere Liebe. Gott ist in jedem von uns und kann daher - im<br />

Gegensatz zu den Dingen <strong>der</strong> Welt - nicht von uns getrennt werden. Ihn zu lieben,<br />

wird niemals Schmerz verursachen. Nur Gott o<strong>der</strong> Seinen Heiligen kann man<br />

ununterbrochen in Liebe verbunden bleiben. Möchtest du immer lieben und geliebt<br />

werden, dann solltest du deine Liebe Gott allein in Seiner Manifestation auf Erden,<br />

dem Sat Guru, schenken.<br />

Der höchste und größte Segen, <strong>der</strong> einem Menschen gewährt werden kann, ist die<br />

Liebe Gottes. Doch nur <strong>der</strong>, dem Er Seine Gnade erweist, wird dieses erhabene<br />

Geschenk empfangen.<br />

Im allgemeinen verehren die Menschen Gott mit Hintergedanken: Sie bitten um<br />

irdischen Segen, daß die Kin<strong>der</strong> gesund sein mögen, und sie bitten auch um die<br />

Freuden des Himmels. Sie sind entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Weit o<strong>der</strong> den Genüssen des Himmels<br />

zugetan. Nur wenige verehren Gott um Seiner Selbst willen. Unser Bestreben sollte<br />

es sein, an Gott aus lauter Liebe zu denken. Mit weltlichen Wünschen sollten wir<br />

unser Herz nicht beflecken und Ihn auch um nichts weiter bitten, als die Liebe zu<br />

Ihm.<br />

Wie können Menschen, die von weltlichen Bindungen besessen sind, etwas von<br />

Gottes Liebe wissen? Solange sie von ihren Bindungen nicht frei sind, werden sie<br />

Gottes Liebe nicht kosten können.<br />

Wer von Gott Weltliches erbittet, dem werden seine Wünsche erfüllt. Gott aber<br />

wird ihnen nicht begegnen. Er kennt jeden unserer Gedanken, wie könnten wir Ihn<br />

also betrügen? Ihm sind selbst unsere verborgenen Wünsche bekannt. Manchenorts<br />

sind die Menschen ganz von ihrer Liebe zu weltlichen Dingen erfüllt. An<strong>der</strong>enorts<br />

wie<strong>der</strong>um verehren sie abstrakte, überirdische Ziele. Hier und da aber begegnen wir<br />

auch Menschen, die ihre Liebe dem Herrn aufrichtig darbringen. Liebe für weltliche<br />

Dinge ist vorübergehend und vergänglich. <strong>Die</strong> Liebe für ein himmlisches Ziel ist<br />

besser. <strong>Die</strong> edelste und reinste Form <strong>der</strong> Liebe aber ist die Liebe zu Gott.<br />

Es ist sehr schwierig, die wahre Liebe zu Gott zu beschreiben. Einige behaupten, es<br />

sei unmöglich, Gott zu lieben, es bedeute lediglich, Seinen Geboten zu folgen. <strong>Die</strong>se<br />

kennen die Höchste Wahrheit nicht.<br />

An<strong>der</strong>e behaupten, man solle Gottes Schöpfung lieben, damit wir Gott lieben<br />

können. Zunächst erscheint es einleuchtend, gehen wir aber etwas tiefer, stellt sich<br />

heraus, daß dieses Prinzip nicht ganz richtig ist, denn reine Liebe ist frei von aller<br />

Bindung an die Welt <strong>der</strong> Materie und <strong>der</strong> Illusion. Wir finden sie nur in den Regionen<br />

jenseits des Bereichs von Verstand und Maya (Materie und Illusion).<br />

Wer mit dem Allmächtigen Vater eins werden will, <strong>der</strong> muß erst einmal den Unrat<br />

seines Denkens mit dem Wasser <strong>der</strong> Liebe wegwaschen. Erst wenn <strong>der</strong> Schleier des<br />

Ichs von unseren Augen entfernt ist, erst dann können wir den Herrn schauen. Und<br />

dieser Schleier wird nur dadurch entfernt, daß wir alles außer dem Gedanken an den<br />

geliebten Herrn aus uns verbannen. Kein einziger Gedanke darf zwischen dem<br />

Ergebenen und dem Empfänger seiner Hingabe stehen.<br />

Es heißt, die Liebe sei blind und verrückt, da <strong>der</strong> Liebende auf niemanden höre.<br />

Wer aber Gott liebt, ist nicht blind, er besitzt Augen, die die Wahrheit sehen. Er sieht<br />

nur den Einen, den er sehen möchte. Nur diesen Einen erkennt er an, nur an Ihn<br />

glaubt er. Verrückt ist er keineswegs. Er schenkt sein Herz nur Einem und ist befreit<br />

von Dualität. "<strong>Die</strong> Liebe ist das göttliche Gesetz, sie siegt, wo Denken versagt."<br />

Gott ist die Liebe. So wie es nicht möglich ist, Ihn gebührend zu preisen, so ist es<br />

auch nicht möglich, die Liebe zu definieren. Wer tief aus dem Kelch <strong>der</strong> Liebe trinkt,<br />

<strong>der</strong> wird von ihr berauscht, und in seiner Verzückung preist er Ihn. Folgende Zitate<br />

sind Beispiele dafür:


"<strong>Die</strong> Liebe ist Gott. Sie ist die Religion und <strong>der</strong> Glaube des Menschen."<br />

"<strong>Die</strong> Liebe ist eine Pilgerfahrt. Sie ist eine magnetische Kraft, die die Herzen und<br />

alles Gute und Schöne in ihnen anzieht."<br />

"Ein mit Liebe erfülltes Herz ist zufrieden und sanft."<br />

"<strong>Die</strong> Liebe tröstet und stärkt die Herzen. Sie ist die Hoffnung, das Verlangen nach<br />

Vereinigung und eine Woge <strong>der</strong> Ergriffenheit des Herzens."<br />

"<strong>Die</strong> Liebe furcht sich nicht, sie kann auch nicht ver<strong>der</strong>ben.<br />

Es müßte Gott zuvor samt Seiner Gottheit sterben."<br />

"Sie ist eine Macht. Wenn wir lieben, lernen wir, mutig und furchtlos zu sein."<br />

"Sie ist <strong>der</strong> Schild, <strong>der</strong> alle Waffen abwehrt. Sie ist Wahrheit und Wirklichkeit. Sie<br />

ist Vertrauen und Opfer."<br />

"Sie ist eine göttliche Blume, die dem ganzen Universum ihren Duft verleiht. Sie ist<br />

eine duftende Blüte, die das Menschenleben verschönt."<br />

"Sie ist ein Licht, das das ganze Universum erhellt."<br />

"Sie ist eine tiefe, verborgene Ergriffenheit, die voller Süße ist, in <strong>der</strong> man sein<br />

Selbst vollkommen vergißt."<br />

"Sie ist ein himmlisches Geschenk und Nahrung für die Seele."<br />

"Sie ist ewige Vereinigung. Sowohl <strong>der</strong> Liebende als auch <strong>der</strong> Geliebte sind<br />

unvergänglich. Sie ist ein unbeschreiblicher Zustand ihres Herzens."<br />

"Der Schlüssel zum Himmelreich ist die Liebe und nicht <strong>der</strong> Verstand."<br />

"Der nächste Weg zu Gott ist durch <strong>der</strong> Liebe Tür; Der Weg <strong>der</strong> Wissenschaft<br />

bringt dich gar langsam für."<br />

"<strong>Die</strong> Liebe macht nicht blind. Sie weitet die innere Sicht."<br />

"<strong>Die</strong> Liebe geht zu Gott unangesagt hinein, Verstand und hoher<br />

Witz muß lang im Vorhof sein."<br />

"<strong>Die</strong> Liebe ist unverän<strong>der</strong>lich, unvergänglich und unendlich. Alle Bande mit <strong>der</strong><br />

Welt werden schließlich zerbrochen, aber die Bande <strong>der</strong> Liebe können niemals<br />

zerstört werden. Sie ist stärker als Ketten aus Stahl, und sie kann selbst<br />

durch den Tod nicht vernichtet werden, da sie ein Teil <strong>der</strong> Seele ist."<br />

"Trägst du Liebe für deinen Meister im Herzen, dann liebt dich ganz gewiß auch<br />

Gott, denn <strong>der</strong> Meister ist die Manifestation Gottes auf Erden."<br />

"<strong>Die</strong> Liebe, welche sich zu Gott in dir beweist,<br />

Ist Gottes ew'ge Kraft, Sein Feuer und heiliger Geist."<br />

"<strong>Die</strong> Lieb ist's schnellste Ding, sie kann für sich allein<br />

In einem Augenblick im höchsten Himmel sein."<br />

"<strong>Die</strong> Lieb ist das Gewicht. Ist's wahr, daß wir Gott lieben,<br />

So werden wir von ihr stets hin zu Gott getrieben."


Kapitel 2<br />

DER KLANGSTROM ODER SHABD<br />

Das Wort Shabd entstammt dem Sanskrit. Sein Ursprung ist nicht bekannt. Es<br />

bedeutet: Klang, Buchstabe, Stimme, Name, Gewissen, Wort, Klarheit, Erklärung,<br />

Ausdruck, Sprache usw. Etwas, das gesprochen werden o<strong>der</strong> Geheimnisse enthüllen<br />

kann, wird Shabd genannt. <strong>Die</strong> Gurus und höchsten Meister haben das Wort jedoch<br />

in einem tiefgründigen und schwer verständlichen Sinn gebraucht.<br />

Vor <strong>der</strong> Schöpfung war <strong>der</strong> Shabd nicht offenkundig und hatte keinen Namen. Er<br />

existierte in sich selbst. In diesem Stadium bezeichnete man ihn als unbeschreiblich,<br />

namenlos, unsichtbar, unergründlich und unaussprechlich. Als er sich manifestierte,<br />

wurde er als Naam o<strong>der</strong> Shabd bekannt.<br />

"Als <strong>der</strong> Shabd sich noch nicht manifestiert hatte, hatte er keinen Namen<br />

- als er sich manifestierte, wurde er <strong>der</strong> NAME."<br />

Sar Bachan<br />

Bevor er offenbar wurde, existierten we<strong>der</strong> Sonne, Mond noch Himmel. Der Shabd<br />

war ohne Gestalt. Er ist jedoch Bewußtsein, das alles regiert. Ohne den Shabd kann<br />

sich nichts offenbaren. Der Shabd ist das Leben, das Wesen, <strong>der</strong> Ursprung und <strong>der</strong><br />

Inbegriff von allem Geschaffenen. Zu seiner Offenbarung ist er auf nichts<br />

angewiesen, aber alles Sichtbare und Unsichtbare wird von ihm erhalten.<br />

Der Shabd, <strong>der</strong> Klang- o<strong>der</strong> Tonstrom, das WORT o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Heilige Geist ist ein<br />

Thema, dem man mit Worten nicht gerecht werden kann. Um ihn verständlich zu<br />

machen, sei nur gesagt, daß er die Quintessenz des Herrn ist und Millionen von<br />

Universen und Regionen erhält. Er ist <strong>der</strong> Seelenstrom des Bewußtseins, die<br />

himmlische Melodie. <strong>Die</strong>ser Lebensstrom geht von Gott aus und durchdringt alles.<br />

Der Herr erschafft und erhält das gesamte Universum durch diesen gewaltigen<br />

Kraftstrom. Er verleiht <strong>der</strong> ganzen Schöpfung Leben, und er vermag jedes<br />

Lebewesen in seine ursprüngliche Heimat - Gott - zurückzuführen. <strong>Die</strong> Ströme des<br />

Herrn durchdringen alles wie Radiowellen. Seine göttliche Musik erfüllt das gesamte<br />

All. <strong>Die</strong>sen Klang können wir jedoch erst vernehmen, wenn wir genau auf ihn<br />

eingestimmt sind. Sind wir feinsinnig genug geworden, nehmen wir die Melodie<br />

deutlich wahr. Der Shabd ist das Band, das alles und jeden mit Gott verbindet.<br />

Der Klangstrom ist die Grundlage aller wahren Religionen, denn Religion bedeutet<br />

"das, was uns mit dem Höchsten verbindet". Alle Naturkräfte werden durch den<br />

Klangstrom erhalten. <strong>Die</strong> lebensspendende Kraft ist ebenfalls eine seiner<br />

Erscheinungsformen, auch wenn sie in den Bereichen Mayas wirkt. Wie Elektrizität<br />

durchdringt <strong>der</strong> Shabd alles, ob es sichtbar ist o<strong>der</strong> nicht. Der Shabd ist allmächtig<br />

und <strong>der</strong> Schöpfer aller Dinge.<br />

Der Klangstrom ist <strong>der</strong> Schöpfer<br />

<strong>Die</strong> Schriften aller Religionen erkennen den Shabd als den Schöpfer des<br />

Universums an. Den Veden zufolge entstanden durch die Kraft des Kalma vierzehn<br />

Regionen. Im Johannes-Evangelium steht, daß die Welt durch das WORT o<strong>der</strong> den<br />

Logos erschaffen wurde: "Im Anfang war das WORT... und das WORT war Gott.<br />

Dasselbe war im Anfang bei Gott..." <strong>Die</strong> Sikh-Schriften sagen aus, daß die gesamte<br />

Schöpfung durch den Shabd erhalten wird und daß dieser <strong>der</strong> Schöpfer des ganzen


Universums ist. Himmel und Erde wurden durch den Shabd geschaffen, und er<br />

durchdringt sie und erhält das ganze Weltall.<br />

"Das WORT ist das Leben des Himmels und <strong>der</strong> Erde,<br />

Aus seinem Glanz wird alles geboren,<br />

Und die gesamte Schöpfung hallt davon wi<strong>der</strong>.<br />

O Nanak, in allen Seelen erschallt diese himmlische Kraft."<br />

Adi Granth<br />

Der Klangstrom ist Form und Wesen des Höchsten. Er erschafft und erhält das<br />

ganze Universum. Der Shabd ist <strong>der</strong> Same <strong>der</strong> gesamten Schöpfung. Schon <strong>der</strong><br />

Same umschließt all das, was <strong>der</strong> Baum, <strong>der</strong> daraus wächst, hervorbringt. <strong>Die</strong><br />

Ewigkeit umfaßt das alles. Was sich auch in Raum und Zeit offenbart, geht in ihn ein.<br />

Der Shabd ist <strong>der</strong> Ursprung aller Dinge.<br />

<strong>Die</strong> Wirkung ist eine Darstellung <strong>der</strong> Ursache: <strong>der</strong> Shabd die Ursache und die<br />

gesamte Schöpfung seine Wirkung. Was nicht Bestandteil <strong>der</strong> Ursache ist, kann sich<br />

in <strong>der</strong> Wirkung nicht wie<strong>der</strong>finden. Fällt ein Sonnenstrahl auf einen sauberen Spiegel,<br />

dann kann man die ganze Sonne darin sehen. Wenn unsere Gedanken völlig rein und<br />

ohne die geringste Spur von Egoismus sind, dann wird sich <strong>der</strong> Herr darin wi<strong>der</strong>spiegeln.<br />

<strong>Die</strong> Sonnenstrahlen gehen von <strong>der</strong> Sonne aus und unterscheiden sich nicht<br />

von ihr. <strong>Die</strong> Ursache ist immer in ihrer Wirkung enthalten. So gesehen unterscheiden<br />

sich die Eigenschaften des Herrn nicht von denen <strong>der</strong> Seele.<br />

Der Klangstrom durchdringt alles. Selbst in Steinen und Holz ist er vorhanden, da<br />

sie aus Atomen bestehen, denen Bewegung eigen ist. Durch diese Bewegung<br />

verän<strong>der</strong>t sich alles ununterbrochen. <strong>Die</strong> Bewegung ist die Ursache des Wandels. In<br />

Wahrheit ist alles einem ständigen Wechsel unterworfen. Unsere Welt verän<strong>der</strong>t sich<br />

mit je<strong>der</strong> Stunde, je<strong>der</strong> Minute und je<strong>der</strong> Sekunde.<br />

Ob wir uns dessen bewußt sind o<strong>der</strong> nicht, auch ein Stein verän<strong>der</strong>t sich ständig,<br />

da Bewegung in ihm ist. Ein Ton ist die unvermeidliche Begleiterscheinung von<br />

Bewegung; daher ist auch ein Stein nicht ohne Klang. Alles - ob sichtbar o<strong>der</strong><br />

unsichtbar - ist in Bewegung. Deshalb ist <strong>der</strong> Klang in allem, denn er ist die Essen<br />

von allem. Ob voll o<strong>der</strong> leer, alles ist von Seiner göttlichen Melodie erfüllt. Sie<br />

durchdringt alles. Sie ist <strong>der</strong> Spen<strong>der</strong> und Erhalter allen Lebens. <strong>Die</strong>ser Bewußtseinsstrom<br />

ist sehr zart und fein, und um ihn hören zu können, muß man für<br />

solche feinen Töne empfänglich sein.<br />

<strong>Die</strong> Wellen dieses Shabd-Ozeans steigen in jedem von uns auf. Wer von seinen<br />

Wassern trinkt, wird nicht mehr hungern noch dursten, son<strong>der</strong>n ewiges Leben<br />

haben. Eben dieses Lebenswasser bot Christus <strong>der</strong> Frau von Sychar am Brunnen an,<br />

damit sie ihren Durst für immer stillen könne. Auch als das Brot des Lebens wird <strong>der</strong><br />

Shabd beschrieben; ißt man davon, wird <strong>der</strong> Hunger für immer gestillt. Der Shabd ist<br />

jenes Allheilmittel, das uns von allen Übeln befreit.<br />

Der Klang kommt von dorther, wohin die Seele streben muß. Ohne ihn wan<strong>der</strong>t die<br />

Seele im Dunkeln. In den Schriften wird <strong>der</strong> Shabd auch WAHRHEIT, NAME o<strong>der</strong><br />

NAAM, GÖTTLICHE AMBROSIA und NEKTAR genannt. <strong>Die</strong> Sikh-Gurus bezeichnen ihn<br />

auch als Wahrheit, weil er unvergänglich ist.<br />

"Er war wahr von Anbeginn und ist es durch die Zeitalter hindurch geblieben.<br />

Er ist wahr in <strong>der</strong> Gegenwart und wird es auch in Zukunft sein, o Nanak."


<strong>Die</strong> Wahrheit wird dem zuteil, <strong>der</strong> einem wahren Meister begegnet und seinen<br />

Anweisungen folgt. Nur durch seine Gnade kann sie in uns wohnen. So heißt es im<br />

Adi Granth:<br />

"Ohne den Meister bleibt alles dunkel;<br />

ohne das WORT aber erkennen wir dies nicht.<br />

Das WORT des Meisters erleuchtet den Weg,<br />

Und man geht in die Wahrheit ein.<br />

Durch das WORT des Meisters wird aller Egoismus verbannt.<br />

Und die Wahrheit wohnt im Herzen.<br />

Der Herr ist barmherzig,<br />

Er Selbst bewirkt, daß wir Ihn erkennen.<br />

Durch das WORT des Gurus zieht Er in unser Herz ein,<br />

Und wir werden mit <strong>der</strong> Wahrheit vereint.<br />

Wer dem wahren Herrn dient,<br />

Dem wird die Herrlichkeit <strong>der</strong> Wahrheit durch die Gnade des Meisters zuteil.<br />

Für den, <strong>der</strong> die Wahrheit liebt, Haben nur das WORT und die Melodie Bedeutung.<br />

In seinem Herzen wohnt <strong>der</strong> Name Gottes. Zorn und Egoismus gibt er auf.<br />

In ihm ist <strong>der</strong> Schatz des Namens.<br />

Durch den Namen wird er erkannt.<br />

Er verehrt den Namen und versenkt sich in Ihn,<br />

Der die ewige Wahrheit ist.<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit ist inwendig und auch außen, sie ist ewig.<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit ertönt in den vier Zeitaltern.<br />

Sie verkündet nichts als die Wahrheit.<br />

<strong>Die</strong> Verehrer Gottes kehren in ihren Ursprung zurück.<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit ist allgegenwärtig."<br />

Was ist das WORT o<strong>der</strong> Naam? Über Naam läßt sich leicht reden, seine wahre<br />

Bedeutung jedoch können nur jene vermitteln, die Naam erfahren haben. Zwischen<br />

dem Namen und dem Benannten besteht kein Unterschied. Wer den Namen erhält,<br />

wird auch den Benannten erkennen. Wer darin nicht eingeweiht ist, ist Millionen von<br />

Meilen von ihm entfernt.<br />

Naam ist alles in allem. Alles geht von ihm aus. Wer Naam nicht kennt und ihn<br />

auch nicht erfahren hat, <strong>der</strong> weiß nichts. Er kommt mit leeren Händen in die Welt<br />

und verläßt sie wie<strong>der</strong> mit leeren Händen, wie ein Spieler, <strong>der</strong> sein Hab und Gut<br />

verschwendet hat.<br />

Im Adi Granth wird <strong>der</strong> Shabd auch Nektar genannt - <strong>der</strong> Nektar, <strong>der</strong> uns<br />

Unsterblichkeit verleiht. Das ist allein durch den Shabd möglich. Der Shabd des Gurus<br />

ist dieser Nektar, und wenn man ihn trinkt, wird man von allen Begierden befreit und<br />

mit dem Wahren Herrn vereint. Im Adi Granth heißt es:<br />

"Des Gurus WORT ist <strong>der</strong> Nektar; wer davon trinkt,<br />

Dessen Durst wird gestillt.<br />

Der Geist nimmt die Farbe <strong>der</strong> Wahrheit an und geht in sie ein."<br />

"Ich suche ihn nicht länger außen,<br />

Denn <strong>der</strong> Guru hat ihn mir im Innern enthüllt.<br />

<strong>Die</strong> immerwährende Musik ertönt an <strong>der</strong> Zehnten Tür.<br />

Dort wurde mir <strong>der</strong> Nektar von Naam gereicht."


Kabir sagt:<br />

"Laßt uns nach Sukhman gehen,<br />

Dem Land <strong>der</strong> Stille, unbewegt von Leidenschaften;<br />

Laßt uns dort verweilen und den Trunk genießen,<br />

Der so selten gereicht wird,<br />

Voller Süße des Wissens<br />

Und gewürzt mit <strong>der</strong> Blüte <strong>der</strong> Meditation,<br />

Gläubig bereitet mit dem Wasser des Gemüts."<br />

Ton und Licht<br />

Ton und Licht dienen uns in <strong>der</strong> Welt als Wegweiser. Folgt man diesen beiden,<br />

wird man auf dem Pfad <strong>der</strong> Spiritualität Fortschritte machen. Beide führen zum<br />

Erfolg. Es geht darum, dem inneren Klang zu lauschen und das innere Licht zu<br />

sehen. Beide haben ihre Bedeutung. Das Licht ist in uns, und es birgt den Klang in<br />

sich. Wenn wir das Licht sehen und den Klang hören, entsteht in uns wahre Hingabe:<br />

"Als <strong>der</strong> Geist den Shabd vernahm, wurde er frei und gelassen.<br />

Es erschien im Innern ein Licht,<br />

und <strong>der</strong> himmlische Klang ging von ihm aus.<br />

Durch ihn wurde ich zum Verehrer des wahren Herrn."<br />

Der Klang und das Licht sind in Wirklichkeit ein und dasselbe. Schwingungen bis zu<br />

einem bestimmten Grad erzeugen Klang; wird aber ihre Frequenz mehrfach erhöht,<br />

dann werden sie zu Licht. Der spirituelle Klang ist die wahre, allem zugrundeliegende<br />

Lebenskraft, die das gesamte Universum erhält. Von ihm geht das Licht aus, das in<br />

unserem dunklen Haus, unserem Körper, leuchtet. Den physischen Augen bleibt<br />

dieses Licht jedoch verborgen. Es ist in jedem von uns. Auch Christus erwähnt, daß<br />

es allen leuchtet, ganz gleich, ob sie Hindus, Moslems o<strong>der</strong> Christen sind.<br />

"In ihm war Leben, und das Leben war das Licht des Menschen. Und das Licht<br />

leuchtet in <strong>der</strong> Finsternis - es war das wahre Licht, das jedem Menschen leuchtet,<br />

<strong>der</strong> in die Welt kommt."<br />

Auch <strong>der</strong> heilige Augustinus beschreibt das Licht, das er im Innern sah:<br />

"So betrat ich, von Dir geführt, mein Innerstes; ich vermochte es, weil Du mein<br />

Helfer warst. Ich trat ein und schaute mit dem Auge meiner Seele - denn so war<br />

es - hoch darüber hinaus und sah über meinem Geist das unwandelbare Licht. Es<br />

war kein gewöhnliches, allen Sterblichen sichtbares Licht, denn es war herrlicher<br />

als dieses, und sein Glanz - um ein Vielfaches größer und erhabener - erfüllte<br />

alles. <strong>Die</strong>ses Licht, wahrlich, war an<strong>der</strong>s, unvergleichbar allem an<strong>der</strong>en. Wer die<br />

Wahrheit kennt, weiß, was das Licht bedeutet, und wer das weiß, kennt die<br />

Ewigkeit."<br />

Alle geistig erhabenen Seelen des Ostens und des Westens, die in sich gegangen<br />

sind und Zugang zu den inneren Reichen hatten, haben den Klang und das Licht<br />

erwähnt. <strong>Die</strong> Seele wird im Gefängnis von Körper und Geist festgehalten. Sowohl


Licht als auch Klang sind in uns. Sie stehen in Beziehung zu den beiden Fähigkeiten<br />

<strong>der</strong> Seele: dem Hören (Surat) und dem Sehen (Nirat). Beim Aufstieg in die<br />

spirituellen Regionen führt Nirat, gefolgt von Surat.<br />

Sind Surat und Nirat.vollkommen, wird die Seele von den Fesseln des Körpers<br />

befreit und steigt in die höheren Regionen auf. Damit ist sie vom Rad <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten<br />

erlöst. Darauf wird im Sar Bachan Bezug genommen:<br />

"Ich werde <strong>der</strong> Führung von Nirat folgen und Sat Lok erreichen."<br />

Am Anfang ist nur <strong>der</strong> Klang hörbar; das Licht erscheint später. Auch bei <strong>der</strong><br />

Übung sind wir zuerst auf den Klang angewiesen, obwohl wir mit Simran und Dhyan<br />

beginnen. Sie schaffen die Voraussetzungen dafür, daß <strong>der</strong> Klangstrom vernommen<br />

werden kann. Simran und Dhyan haben ihre eigene Funktion, sind aber nur<br />

Wegweiser und Vorbereiter für den Shabd, auf den alles ankommt. Will man dem<br />

Klangstrom lauschen, dann ist Simran <strong>der</strong> Schlüssel dazu. Der Suchende erreicht<br />

durch seine Übungen Bereiche, in denen er von strahlendem Licht umgeben ist. Um<br />

durch den Glanz dieses Lichtes hindurchzugelangen, dient <strong>der</strong> Klang als Führer. In<br />

einigen Regionen herrscht absolute Finsternis, wie in Mahasunn (große Leere). Hier<br />

ist allein <strong>der</strong> Klang <strong>der</strong> wahre Pfadfin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Führer. So wie das Bellen eines Hundes<br />

einen verirrten Wan<strong>der</strong>er in <strong>der</strong> Dunkelheit eines einsamen Waldes zu einem Hause<br />

zurückführen kann, so hilft auch <strong>der</strong> Klang dem blinden Sucher in ähnlicher Lage auf<br />

<strong>der</strong> inneren Wan<strong>der</strong>ung. Darin ist <strong>der</strong> Pfad des Klangstromes an<strong>der</strong>en Richtungen<br />

überlegen.<br />

Der Shabd und <strong>der</strong> Klang sind in Wirklichkeit ein und dasselbe. In den unteren<br />

Bereichen <strong>der</strong> Schöpfung, wo <strong>der</strong> Anteil von Eigengeist und Maya überwiegt und <strong>der</strong><br />

Shabd die Regionen feiner und grober Materie erschafft, än<strong>der</strong>t sich seine Melodie<br />

o<strong>der</strong> sein Klangprinzip. Da es in <strong>der</strong> Schöpfung fünf Hauptregionen gibt, hört es sich<br />

so an, als ob wir es mit fünf verschiedenen Shabds zu tun haben. Bis Trikuti gibt es<br />

zwei Shabds, zwei weitere von Trikuti bis Satlok, und <strong>der</strong> fünfte ist in Satlok. Dort<br />

werden die fünf Klänge vollkommen. Durch die Übung des inneren Hörens, wie von<br />

einem Adepten angewiesen, vereinigt sich die Seele mit den fünf Klängen und wird<br />

eins mit Gott, ihrem Ursprung.<br />

"Das höchste Gut erhält man durch die Gnade des Meisters,<br />

wenn <strong>der</strong> Barmherzige die fünf Melodien erklingen läßt."<br />

Adi Granth<br />

Der Klangstrom, <strong>der</strong> in je<strong>der</strong> Region zu hören ist, wird bei <strong>der</strong> Einweihung durch<br />

den Meister verständlich gemacht. Wenn <strong>der</strong> Schüler Übung erlangt und in die<br />

höheren Regionen aufsteigt, nimmt er alles mit seinem inneren Auge wahr. Nur einer<br />

beson<strong>der</strong>s glücklichen Fügung ist es zu verdanken, wenn einem Menschen die fünf<br />

Melodien hörbar werden, und er ist wahrhaft gesegnet.<br />

"In jenem glücklichen Haus erklingen die fünf Melodien,<br />

Nachdem Gott seine Macht offenbart hat."<br />

Adi Granth<br />

<strong>Die</strong>se Melodien sind keine Einbildung. Alle, die dem Pfad des Klangstromes folgten,<br />

beschrieben ihn zu je<strong>der</strong> Zeit in <strong>der</strong> gleichen Weise. Selbst heute hören ihn<br />

unwissende Kin<strong>der</strong> und Sucher, die die Gemeinschaft <strong>der</strong> Heiligen pflegen, und legen


aufgrund eigener Erfahrung Zeugnis darüber ab. Auch die Upanischaden erwähnen<br />

die Klänge des Shabds:<br />

"Zu Beginn <strong>der</strong> Übung sind laute Klänge vernehmbar.<br />

Sie nehmen an Stärke zu und werden subtiler.<br />

Am Anfang gleichen sie dem Meeresrauschen, dem Donner, dem Trommelklang,<br />

dem Fließen eines Baches, <strong>der</strong> Glocke o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Muschel."<br />

In dem Buch Bhakti-Sagar erwähnt <strong>der</strong> Heilige Charandas zehn verschiedene<br />

Klänge: das Schilpen von Sperlingen, das Zirpen von Grillen, helles Klingen kleiner<br />

Glocken, das Läuten großer Glocken, das Rauschen <strong>der</strong> Muschel, <strong>der</strong> Ton <strong>der</strong><br />

Dudelsackpfeife, <strong>der</strong> Zimbeln, <strong>der</strong> Rohrflöte, <strong>der</strong> kleinen Trommel, <strong>der</strong> Flöte und das<br />

Gebrüll von Löwen.<br />

Im Hathyog Pradeepika werden ebenfalls zehn ähnliche Klänge beschrieben: das<br />

Summen von Bienen, Fußglöckchen, die Muschel, die Glocke, die Zimbel, die Flöte,<br />

die Pauke, die kleine Trommel, die Rohrflöte und das Brüllen von Löwen.<br />

Auf Seite 98 des Sar Bachan finden wir auch die zehn Klänge, die man in<br />

Sahansdal Kanwal vernimmt:<br />

"Es ertönen die Klänge <strong>der</strong> Muscheln und Glocken, <strong>Die</strong> herrliche Musik <strong>der</strong> Vina<br />

und Rohrflöte. Dann <strong>der</strong> Klang <strong>der</strong> Zimbel, Trommel und Kingri, Der Trommel<br />

und des Tambourins. Der Nektar strömt wie tausend Regenschauer; Der Himmel<br />

kreist wie ein Rad."<br />

Madame Blavatsky, Grün<strong>der</strong>in <strong>der</strong> Theosophischen Gesellschaft, schreibt in<br />

ihrem Buch <strong>Die</strong> Stimme <strong>der</strong> Stille:<br />

"Der erste (Klang) gleicht dem lieblichen Gesang <strong>der</strong> Nachtigall, die ihrem<br />

Gefährten ein Abschiedslied singt. Den zweiten erfährt man wie den Klang <strong>der</strong><br />

silbernen Zimbeln des Dhyanis, <strong>der</strong> die funkelnden Sterne weckt. Das nächste ist<br />

wie das Klagelied des Meeres, das in einer Muschel gefangen ist. Dann hört man<br />

die Vina, und <strong>der</strong> fünfte Klang schrillt wie die Bambusflöte in den Ohren. <strong>Die</strong>ser<br />

geht in einen Trompetenstoß über. Der letzte Klang schwingt wie das dumpfe<br />

Rollen gewitterschwerer Wolken."<br />

Amir Khusro beschreibt diese Klänge so:<br />

"Der erste gleicht dem Summen von Bienen,<br />

Der zweite dem Klingeln von Glocken.<br />

Der dritte ist das Rauschen <strong>der</strong> Muschel.<br />

Der vierte <strong>der</strong> Klang einer großen Glocke.<br />

Der fünfte <strong>der</strong> Laut <strong>der</strong> hohen Glocke.<br />

Der sechste <strong>der</strong> Klang <strong>der</strong> Flöte.<br />

Der siebte <strong>der</strong> Ton <strong>der</strong> Kesselpauke.<br />

Der achte <strong>der</strong> <strong>der</strong> kleinen Trommel.<br />

Der neunte <strong>der</strong> Klang <strong>der</strong> Klarinette.<br />

Der zehnte gleicht dem Brüllen eines Löwen."


Von zehnerlei Art ist die nie endende Musik:<br />

"<strong>Die</strong> Yogis versinken in ihr,<br />

Und Geist und die Sinne schwinden dahin.<br />

Wenn die immerwährende Musik erklingt,<br />

Verlassen die <strong>Die</strong>be den Körper.<br />

<strong>Die</strong> Gnade des Meisters ruht auf ihm.<br />

Khusro ist in die göttliche Musik eingegangen."<br />

<strong>Die</strong> eben erwähnten Klänge betreffen die Anfangsstadien. Der wahre Klang gleicht<br />

<strong>der</strong> Glocke und <strong>der</strong> Muschel. Sie gehören den höheren Regionen an.<br />

"Niemand weiß, wo <strong>der</strong> Geliebte wohnt, doch von<br />

jener Region kommt <strong>der</strong> Klang <strong>der</strong> Glocke."<br />

"O, lausche den Sängern im Garten.<br />

Wie harmonisch ist ihr Spiel auf Harfe, Laute,<br />

Gitarre, Pfeife, Flöte und Rohrflöte."<br />

Hafiz<br />

Bekanntlich läuten die Hindus in ihren Tempeln Glocken. Das gleiche geschieht in<br />

den Kirchen <strong>der</strong> Christen. In den Gurdawaras <strong>der</strong> Sikhs verwendet man<br />

Muschelhörner, Muscheln sowie Glocken, und es werden Trommeln geschlagen.<br />

Durch Nachforschung weiß man, daß diese Instrumente die innere Musik nachahmen.<br />

Befaßt man sich näher damit, stellt sieh heraus, daß in Hindu-Tempeln in <strong>der</strong><br />

Mitte <strong>der</strong> Kuppel eine Glocke hängt. Wer den Tempel betritt, läutet die Glocke. Im<br />

menschlichen Kopfe, <strong>der</strong> auch einer Kuppel ähnelt, vernimmt <strong>der</strong> Ergebene den<br />

Shabd am Sitz <strong>der</strong> Seele. Das zeigen auch die christlichen Kirchen mit ihren Glocken<br />

in den hohen Glockentürmen. Der Ursprung ist auf die Form <strong>der</strong> menschlichen Nase<br />

zurückzuführen, denn wenn sich die Seele im Bereich <strong>der</strong> beiden Augenbrauen, in<br />

Höhe <strong>der</strong> Nasenwurzel, konzentriert hat, hört man den Klang <strong>der</strong> Glocke.<br />

Auch in den Tempeln <strong>der</strong> Buddhisten findet man Glocken. Tatsächlich wird <strong>der</strong><br />

Glockenklang in den Schriften aller Religionen erwähnt. Wenn man nach innen geht,<br />

in den Tempel des-lebendigen Gottes, vernimmt man einen Klang wie das Läuten<br />

einer Glocke. Gleichermaßen hört man auch noch verschiedene an<strong>der</strong>e Töne in den<br />

inneren Regionen. Davon sind fünf die Hauptklänge, die in Wechselbeziehung<br />

zueinan<strong>der</strong> stehen.<br />

Wenn man von einem Adepten in die Technik des Klangstromes eingeweiht ist und<br />

die spirituellen Übungen ausführt, kann man in die Region gelangen, von <strong>der</strong> die<br />

Melodie <strong>der</strong> fünf Klänge ausgeht. Es ist <strong>der</strong> Wohnsitz des Höchsten Herrn. <strong>Die</strong><br />

musikalischen Klänge sind sozusagen Meilensteine auf dem Weg zum Lande des<br />

Herrn, an denen man erkennt, wie weit man gekommen ist.<br />

Bei religiösen Zusammenkünften verwendet man oft Musikinstrumente. In allen<br />

Religionen spielen sie eine wichtige Rolle. Yogis und auch Moslems benutzen sie. Und<br />

auch von Hindus, Sikhs und Christen wird die Musik viel eingesetzt. Wenn Sadhus<br />

sich versammeln, musizieren sie. Menschen singen Loblie<strong>der</strong> mit Instrumentalbegleitung<br />

und geraten angesichts <strong>der</strong> schönen Klänge und Harmonien in Verzückung.<br />

Das Gemüt wird von äußeren Klängen hingerissen, aber ein höheres<br />

Bewußtsein erlangt man dadurch nicht. <strong>Die</strong> Heiligen lehnen diese Form des<br />

Gottesdienstes ab. Sie weisen darauf hin, daß Musizieren nicht zur Kontemplation


führt. <strong>Die</strong> Wahrheit wird nicht erkannt. Auch wird <strong>der</strong> Egoismus nicht im geringsten<br />

abgebaut, und man erlangt keinen wahren und dauerhaften Frieden.<br />

<strong>Die</strong> Zeit, die damit vertan wird, Melodien und Rhythmen zu vervollkommnen, wäre<br />

viel nützlicher mit meditieren gemäß den Weisungen des Meisters verbracht.<br />

Äußere Musik kann dazu beitragen, die zerstreute Aufmerksamkeit zu sammeln,<br />

aber sie führt die Gefühle in eine Sackgasse. Äußere Musik ist eine Falle, in <strong>der</strong> wir<br />

uns selbst und den Herrn vergessen. Beethoven, <strong>der</strong> bedeutende Komponist, sagte:<br />

"<strong>Die</strong> Musik ist die Mittlerin zwischen dem geistigen und dem sinnlichen Leben." Durch<br />

die Musik, den äußeren Klang, werden wir in eine Phantasiewelt versetzt, die <strong>der</strong><br />

Musiker o<strong>der</strong> Sänger vor uns ausbreitet. <strong>Die</strong> innere Bindung an die materielle Welt<br />

wird dadurch nicht gelöst, und Sehnsüchte werden nicht gestillt. Der Gurbani<br />

beleuchtet diesen Punkt eindringlich: Auch wenn wir von Musik betört und angezogen<br />

werden und alle Welt sich schöner Musik erfreut, bleiben wir dennoch im<br />

Bereich <strong>der</strong> drei Gunas und verschwenden unser Leben. Ohne die wahre, alles<br />

durchströmende innere Musik sind wir weiterhin dem Elend und <strong>der</strong> Illusion<br />

preisgegeben.<br />

<strong>Die</strong> göttliche Musik dagegen sprengt unsere weltlichen Fesseln und macht uns<br />

wahrlich rein. Dann schwimmen wir wie eine Lotosblume oben auf den Wellen Mayas<br />

und fliegen wie eine Ente, die vom Wasser aufsteigt, mit trockenen Flügeln davon,<br />

Der menschliche Körper ist <strong>der</strong> Tempel Gottes. Der Shabd ist in ihm und kann leicht<br />

erfahren werden. Er ist das Geburtsrecht eines jeden Menschen. Ob man reich ist<br />

o<strong>der</strong> arm, ob gebildet o<strong>der</strong> Analphabet, ob man diesem Land o<strong>der</strong> jener Religion<br />

angehört, je<strong>der</strong> kann - wenn er von einem wahren Meister eingeweiht ist - den<br />

Shabd in sich selbst erfahren. Ist man Schüler geworden, ist es einfach, dem<br />

Klangstrom zu lauschen, und diese Übung trägt bald Früchte.<br />

"Der Tempel Gottes ist auch Gottes Laden,<br />

Ihn schmückt das WORT.<br />

In ihm wird Gottes WORT zum Kauf angeboten,<br />

Und durch den Guru erhalten wir es."<br />

Adi Granth<br />

Blind und taub ist ein Mensch mit weltlichem Reichtum,<br />

er bleibt in Dunkelheit und Zweifel verstrickt,<br />

denn er hört den Shabd nicht.<br />

Mammons Günstlinge sind blind und taub,<br />

Sie können niemals mit <strong>der</strong> himmlischen Harmonie<br />

in Einklang gebracht werden."<br />

Adi Granth<br />

"Blind ist die Seele ohne Shabd. Wohin könnte sie gehen?<br />

Sie findet die Pforte zum Namen Gottes nicht und<br />

wan<strong>der</strong>t ruhelos umher."<br />

Kabir<br />

Alle Heiligen erklären, daß <strong>der</strong> Shabd, den man im Innern vernimmt, das Mittel für<br />

die Befreiung aus dieser Welt ist. Man erhält ihn nur, wenn man von einem Heiligen,<br />

einem Adepten, unterwiesen wird. Man zieht dann die Aufmerksamkeit von den neun<br />

Pforten des Körpers zurück und sammelt sie an einem Punkt hinter den Augen. Der<br />

Shabd führt die Seele dann in ihre ursprüngliche Heimat zurück.


Der Name des Herrn, NAAM, ist den Heiligen seit Beginn <strong>der</strong> Welt bekannt, und sie<br />

haben ihn zu allen Zeiten gelehrt. Er ist Gottes eigenes Gesetz. Er sorgt für die<br />

Rettung <strong>der</strong> Menschheit. Kabir Sahib, Guru Nanak und die an<strong>der</strong>en neun Sikh Gurus<br />

sowie Dadu Sahib, Paltu Sahib, Tulsi Sahib und viele an<strong>der</strong>e Heilige lehrten ihre<br />

Schüler im Verlauf <strong>der</strong> vergangenen vier bis fünf Jahrhun<strong>der</strong>te diesen Pfad.<br />

Moslemische Heilige lehrten denselben NAMEN in den letzten 1300 - 1400 Jahren,<br />

desgleichen auch <strong>der</strong> Prophet Mohammed und an<strong>der</strong>e Moslem-Heilige wie Shamas-i-<br />

Tabriz, Maulana Rumi, Hafiz usw. Johannes <strong>der</strong> Täufer und Christus sprachen vor<br />

fast 2000 Jahren vom NAMEN des Herrn. Auch Zarathustra lehrte ihn und vor 2500<br />

Jahren ebenso Buddha.<br />

Archäologische Ausgrabungen in Ägypten brachten zutage, daß <strong>der</strong> vor 4000<br />

Jahren herrschende König Echnaton dazu ermutigte, den NAMEN zu üben, den man<br />

damals "Aton" nannte.<br />

Zur Zeit <strong>der</strong> Upanischaden wurde er heimlich geübt; man findet in ihnen viele<br />

diesbezügliche Hinweise. Im Kupfernen Zeitalter war Krishna damit vertraut.<br />

Hinweise auf diese Übungen enthält die Rig-Veda, die als ältestes Buch <strong>der</strong> Welt<br />

angesehen wird. Und im Vak Devi Sukt wird <strong>der</strong> NAME sehr gepriesen.<br />

In den Veden wird <strong>der</strong> göttliche Klang Nad (Innere Musik) o<strong>der</strong> Akashvani (<strong>der</strong><br />

Klang, <strong>der</strong> vom Himmel kommt) genannt. In den buddhistischen Schriften wird er als<br />

klangvolles Licht beschrieben.<br />

<strong>Die</strong> frühen griechischen Philosophen erwähnen den Shabd ebenfalls. Sokrates<br />

berichtet, daß er einen inneren Klang vernahm, <strong>der</strong> ihn zu unbeschreiblichen<br />

spirituellen Regionen führte. Auch Plato erwähnt ihn. Pythagoras nannte ihn "<strong>Die</strong><br />

Musik <strong>der</strong> Sphären"; im Griechischen heißt er Logos, das WORT.<br />

Der Klang, <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Stille hervorgeht, wird das WORT genannt. Alles entstammt<br />

Ihm. In den chinesischen Schriften bezeichnet man ihn als Tao, was <strong>der</strong> Weg o<strong>der</strong><br />

das WORT bedeutet. Der altpersische Prophet Zarathustra erwähnt sechs spirituelle<br />

Kräfte und spricht von einer weiteren, die er Sharosha nennt. <strong>Die</strong>ses Wort ist auf die<br />

Sanskrit-Wurzel "Sh" zurückzuführen und bedeutet die hörbare Energie Gottes. Es<br />

entspricht dem Wort Shabd, das die indischen Heiligen benutzen.<br />

In Zarathustras Buch Zend Avesta findet man ein Gebet, das da lautet: "O Mazda<br />

(Gott): Schicke Sharosha dem, den Du liebst."<br />

Kabir und viele an<strong>der</strong>e indische Heilige o<strong>der</strong> wahre Meister lehrten, wie man dem<br />

Shabd lauscht. In <strong>der</strong> Bibel wird er, wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, das<br />

WORT genannt:<br />

"Im Anfang war das WORT, und das WORT war bei Gott, und Gott war das<br />

WORT. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe<br />

gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist."<br />

"Das Gras welkt dahin, die Blume verblüht, doch das WORT unseres Gottes<br />

währet ewig."<br />

Madame Blavatsky nannte den göttlichen Klang "die Stimme <strong>der</strong> Stille". Bei den<br />

Freimaurern heißt er "das verlorene WORT", nach dem je<strong>der</strong> Ordensmeister sucht.<br />

Erfahren kann man es aber nur von einem Heiligen o<strong>der</strong> wahren Meister des<br />

WORTES.<br />

Im Koran steht, daß Gott sprach: "Es sei, und es war." Mit an<strong>der</strong>en Worten: <strong>der</strong><br />

Shabd offenbarte sich, und die ganze Schöpfung wurde ins Leben gerufen.<br />

<strong>Die</strong> persischen Sufis nannten das WORT Wadan, den göttlichen Klang. Sie<br />

schrieben darüber:


"Hätte Er sich nicht offenbart, Gäbe es we<strong>der</strong> Klang noch Welt."<br />

Hätte also das Nichtoffenbarte nicht die Absicht gehabt, sich zu offenbaren, dann<br />

gäbe es keinen schöpferischen Klang, keine schöpferische Macht, und die Welt hätte<br />

nicht Gestalt angenommen.<br />

Der Sufi-Heilige Hazrat Inayat Khan, <strong>der</strong> Zugang zu den spirituellen Regionen<br />

hatte, nennt den Klang die göttliche Musik. Er sagt, daß alles aus ihm hervorging und<br />

alles auf ihn zurückzuführen ist. In den Schriften <strong>der</strong> indischen Heiligen wird<br />

ebenfalls klar dargelegt, daß alle Universen und Regionen durch den Shabd<br />

erschaffen wurden. Das Udgit o<strong>der</strong> himmlische Lied hallt in allem wi<strong>der</strong>. Hazrat Sahib<br />

nannte es Sot-e-Sarmadi o<strong>der</strong> die Stimme Gottes. Darauf nehmen viele moslemische<br />

Meister in ihren Schriften Bezug:<br />

"Im Alter von 40 Jahren erfuhr Mohammed seine Erleuchtung. Er hatte 15 Jahre<br />

lang dem Klang gelauscht, wie es Tradition war. Oft hatte er Träume von Gott,<br />

und sieben Jahre vor <strong>der</strong> Offenbarung sah er verschiedene Lichter. Zwei Jahre<br />

davor hatte er sich in eine Höhle bei Hara zurückgezogen und meditierte dort<br />

einen Monat lang."<br />

"O, du Mutiger, hol’ dir den Himmel zu Füßen. Lausche <strong>der</strong> 'Stimme <strong>der</strong> Stille',<br />

die vom Himmel kommt."<br />

Maulana Rumi<br />

"<strong>Die</strong> Welt ist erfüllt vom göttlichen Klang,<br />

Öffne deine Tore weit;<br />

Lausche <strong>der</strong> ewigen Musik, die nie vergeht.<br />

Der Klang kommt aus <strong>der</strong> göttlichen Heimat.<br />

Warum hast du dich in den Schlingen <strong>der</strong> Welt verfangen?"<br />

Hafiz<br />

"Laß den Zweifel deine Ohren nicht verschließen, damit du den himmlischen<br />

Klang vernimmst. Er ist eine göttliche Botschaft. Und das ist nichts an<strong>der</strong>es, als<br />

dem himmlischen Klang im Innern zu lauschen."<br />

Maulana Rumi<br />

Der Prophet sagt über die Stimme Gottes:<br />

"Ich höre sie wie an<strong>der</strong>e Stimmen auch. Eure Ohren hat Gott jedoch<br />

Mit einem Siegel versehen, Ihr hört Seine Stimme nicht."<br />

Durch den Shabd beginnt <strong>der</strong> Mensch ein neues Leben. Jesus sprach von diesem<br />

neuen Leben durch das WORT o<strong>der</strong> den Heiligen Geist, was bei den Christen<br />

heutzutage jedoch in Vergessenheit geraten ist. Im Johannes-Evangelium heißt es<br />

dazu:<br />

"Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch;<br />

und was vom Geist geboren ist, das ist Geist."<br />

Und weiter über das neue Leben, das beginnt, wenn man das WORT hört:<br />

"Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht,<br />

woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, <strong>der</strong> aus dem<br />

Geist geboren wird."


"Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Es sei denn, daß jemand von neuem<br />

geboren werde, so kann er nicht in das Reich Gottes gelangen."<br />

"Wun<strong>der</strong>t euch nicht, daß ich zu euch sage:<br />

Ihr müßt von neuem geboren werden."<br />

Wenn Heilige in die Welt kommen, weisen sie immer wie<strong>der</strong> auf die Bedeutung des<br />

neuen Lebens durch den Shabd hin. Wenn man bei <strong>der</strong> Einweihung durch einen<br />

Meister mit dem Shabd verbunden wird, beginnt das neue Leben.<br />

Über die Hingabe an den Shabd<br />

Hingabe an den Shabd bedeutet, sich nach innen zu wenden und zielgerichtet, mit<br />

ganzer Aufmerksamkeit seiner Melodie zu lauschen. Der Klang ist sehr fein, und<br />

wenn wir uns nicht entsprechend verfeinern, können wir ihn auch nicht hören. Damit<br />

die Seele mit ihm verbunden werden kann, muß sie von allen weltlichen<br />

Umhüllungen befreit sein.<br />

Weshalb hören wir diesen Klang nicht? Er ertönt zwar ununterbrochen, wir nehmen<br />

ihn aber deshalb nicht wahr, weil wir ständig mit Gedanken <strong>der</strong> verschiedensten Art<br />

beschäftigt und voller Selbstsucht und Stolz sind. Daher können wir uns des Klanges<br />

nicht erfreuen und lieben auch den Namen Gottes nicht.<br />

"Der Sog eines Strudels hält den Geist gefangen,<br />

das Ich ist mächtig aufgebläht. So ist man nicht auf den Shabd<br />

eingestimmt und schätzt auch den Namen des Herrn nicht..."<br />

Adi Granth<br />

Im übrigen, sagt Maulana Rumi, nehmen unsere Ohren die göttliche Musik deshalb<br />

nicht wahr, weil unsere Sünden das subtile Hörvermögen beeinträchtigen und außer<br />

Kraft gesetzt haben.<br />

Der Klang liegt nicht in dem Wahrnehmungsbereich unserer physischen Ohren, ein<br />

je<strong>der</strong> hat aber die Fähigkeit, den Klang innen zu hören. Dazu muß zuerst das innere<br />

Ohr geöffnet werden, und das geschieht erst dann, wenn wir den Anweisungen des<br />

Meisters folgen.<br />

Wer noch nicht nach innen gegangen ist und sich noch mit weltlichen<br />

Wissenschaften befaßt, kennt diese göttliche Melodie nicht. Mit den Naturwissenschaften<br />

wird man den Klangstrom nicht beweisen können, aber alles hier<br />

Beschriebene ist eine Tatsache und kann von jedem Suchenden durch Übung im<br />

Augenzentrum, dem Laboratorium <strong>der</strong> Heiligen, erfahren werden.<br />

Wenn wir unsere Augen und Ohren den äußeren Eindrücken verschließen, dann<br />

können wir den Ruf des Herrn vernehmen. Wenn dann unsere Gedanken nicht mehr<br />

umherschweifen, werden wir die inneren Melodien erst schwach, dann immer besser<br />

hören und immer mehr Geschmack an den himmlischen Freuden finden. Allmählich<br />

werden uns dann die Geheimnisse des Herrn offenbart.<br />

Wie erfährt man den Shabd?<br />

1. Durch die Gnade des Herrn. Nur wem Gott Seine Gnade schenkt, <strong>der</strong> kann den<br />

Klangstrom erfahren. Er offenbart sich dann in ihm.


"Wem Gott Seine Gnade schenkt, In dessen Herz wohnt <strong>der</strong> Shabd, er wird von<br />

allen Zweifeln frei. Körper, Geist und Sprache werden rein. Und <strong>der</strong> Name<br />

lebt in den Gedanken.<br />

Nur <strong>der</strong> erkennt den Namen, den <strong>der</strong> Herr mit sich vereinigt.<br />

Der Einklang mit dem Wahren Einen ist vollzogen,<br />

und das Loblied Seines Namens ertönt Tag und Nacht."<br />

Adi Granth<br />

2. Durch Satsang (Gemeinschaft mit einem Heiligen) und den Satguru. Wenn <strong>der</strong><br />

Herr es gut mit uns meint, begegnen wir einem Meister, <strong>der</strong> unsere Seele mit dem<br />

Tonstrom verbindet.<br />

"Durch die Gnade des Herrn begegnen wir einem vollkommenen Guru,<br />

und erst dann verbindet er unsere Seele mit dem WORT."<br />

Adi Granth<br />

3. Den Shabd wird man erfahren können, wenn man Selbstüberheblichkeit und<br />

Standesdünkel ablegt und sich in die Gesellschaft des Meisters begibt.<br />

Befasse dich nicht mit dir selbst, deinem Wohlstand, deinem Wissen, deiner<br />

Position, deinem Glaubensbekenntnis, dem Adel o<strong>der</strong> Ruhm deiner Familie. Sie<br />

lassen den Klangstrom versiegen. Schmücke dich mit Demut und lausche dem Klang,<br />

dann werden dich seine berauschende Kraft und Süße beglücken.<br />

Wird Saatgut in ein unvorbereitetes Feld o<strong>der</strong> zu ungeeigneter Zeit gesät, wird es<br />

keine Frucht bringen. Gleichermaßen hören auch die Gedanken nicht auf zu wan<strong>der</strong>n,<br />

wenn <strong>der</strong> Verstand nicht wunschlos und vollkommen rein geworden ist. Nur durch<br />

Hingabe an den Shabd wird Reinheit des Geistes erlangt. Solange die<br />

Aufmerksamkeit noch geteilt ist und Stolz und Egoismus nicht überwunden sind,<br />

kann man nicht erfolgreich sein und we<strong>der</strong> den Shabd hören noch den Herrn<br />

schauen; und an <strong>der</strong> rechten Liebe fehlt es auch. Es ist daher viel wichtiger, den<br />

Verstand von Unrat zu befreien, als gegen äußeren Schmutz anzugehen.<br />

Weltlich orientierte Menschen wissen nichts vom Klang. Folgt man den<br />

Instruktionen eines vollkommenen Meisters, <strong>der</strong> die Praxis des Klanges beherrscht,<br />

und geht nach innen, vernimmt man zahlreiche Klänge, während an<strong>der</strong>e, die<br />

daneben sitzen, nichts hören:<br />

"Einer vernimmt im Innern Hun<strong>der</strong>te von Klängen, an<strong>der</strong>e,<br />

die neben ihm sitzen, hören sie nicht."<br />

Maulana Rumi<br />

Der Körper hat zehn Tore: neun führen nach außen und eines nach innen.<br />

"<strong>Die</strong> Festung des Körpers hat neun Tore. Das zehnte ist ein Geheimnis.<br />

<strong>Die</strong>ses geheime Tor öffnet sich nicht, das vollbringt nur <strong>der</strong> Shabd des Meisters."<br />

Adi Granth<br />

Solange die Seele durch die neun Tore nach außen wan<strong>der</strong>t, wird sie ihres<br />

Geburtsrechtes beraubt. Sie ist nicht in <strong>der</strong> Lage, den Schatz zu sehen, <strong>der</strong> sich<br />

innen befindet. An <strong>der</strong> zehnten Tür jedoch erklingt die himmlische Musik.


"Wer die neun Tore schließt und die wan<strong>der</strong>nden Gedanken zur Ruhe bringt,<br />

betritt durch das zehnte Tor seine ursprüngliche Heimat.<br />

Dort lauscht er nach den Anweisungen des Gurus<br />

Tag und Nacht <strong>der</strong> ungespielten Musik."<br />

Adi Granth<br />

Der Shabd des Gurus ist grenzenlos, er endet nie. Kal kann ihn nicht erreichen.<br />

"Du bist <strong>der</strong> Freund, <strong>der</strong> Weise, <strong>der</strong> Eine, <strong>der</strong> vereinigt.<br />

Durch das Wort des Gurus preise ich Dich.<br />

Doch Lob gebührt Dir ewiglich. Wo <strong>der</strong> Name des Herrn wohnt,<br />

ist Kai ohne Macht."<br />

Adi Granth<br />

Der Meister ist <strong>der</strong> Shabd o<strong>der</strong> das fleischgewordene WORT, und nur er allein kann<br />

den Shabd offenbaren. Der Shabd ist ein Geschenk des Meisters. Er pflanzt ihn in<br />

unser Herz. Niemand sonst vermag den Klang zu offenbaren.<br />

"Nur er kann uns den Shabd des Gurus schenken.<br />

Außer ihm kann niemand ihn offenbaren."<br />

Adi Granth<br />

Bhajan<br />

Der Bhajan, das Lauschen auf den Tonstrom, hat mehrere Vorteile. Der Shabd ist<br />

ein Kraftreservoir. Er ist <strong>der</strong> Ursprung aller Weisheit. Wer mit ihm verbunden ist und<br />

von ihm erhalten wird, ist ein wahrer Sohn Gottes. Der Shabd löst alle Fesseln <strong>der</strong><br />

Seele und bewirkt ihre Befreiung. Er ist das "Brot des Lebens", das von Sach Khand,<br />

<strong>der</strong> wahren und unvergänglichen Region, ausgeht. Wer von diesem Brot ißt, wird<br />

unsterblich und erlangt ewiges Leben. Er benötigt keine Lichtquelle wie die einer<br />

Lampe, <strong>der</strong> Sonne o<strong>der</strong> des Mondes, denn ihm leuchtet das Licht <strong>der</strong> Lichter in<br />

seinem Innern.<br />

Lauscht man dem Klang, dann verliert die Welt ihre Anziehungskraft, und die<br />

Bindungen an sie lösen sich auf. Das nie<strong>der</strong>e Wunschdenken verschwindet, und die<br />

fünf Feinde - Sinnenlust, Zorn, Verhaftetsein, Habsucht und Stolz - werden besiegt.<br />

Ist die Seele von diesen Leidenschaften befreit, schnellt sie zu den geistigen<br />

Regionen empor.<br />

"<strong>Die</strong> Melodie <strong>der</strong> Seligkeit und Harmonie geht vom wahren inneren Klang aus.<br />

Der Geist wird auf die Wahrheit eingestimmt, und <strong>der</strong> Ergebene verwahrt in<br />

seinem Herzen den unergründlichen, unsichtbaren NAMEN."<br />

Adi Granth<br />

Nur durch den Klangstrom wird <strong>der</strong> Mensch erlöst. Nur durch ihn wandelt sich <strong>der</strong><br />

Mensch von Glas in Gold, von Gift in Nektar.


"Lauscht man dem Klangstrom, verwandelt sich Glas in Gold,<br />

und Gift wird zu Nektar, Wenn wir den Namen,<br />

den uns <strong>der</strong> Meister gab, üben.<br />

Adi Granth<br />

Der Shabd ist <strong>der</strong> einzige Pfad, <strong>der</strong> uns in unsere ursprüngliche Heimat<br />

zurückführt. Er ist das Schiff, das die Seele über den Ozean des Daseins, zurück in<br />

den Schoß des Herrn bringt.<br />

Der Shabd ist sowohl bewußt sein als auch Bewußtsein. Er ist eine Welle, die vom<br />

Ozean des Herrn ausgeht, und <strong>der</strong> Mensch ist ein Teil davon. Er ist mit Gott<br />

verbunden wie ein Teil mit dem Ganzen. Gott ist <strong>der</strong> Ozean des Überbewußtseins<br />

und <strong>der</strong> Shabd eine Woge davon. <strong>Die</strong> Seele wie<strong>der</strong>um ist ein Tropfen dieses Ozeans.<br />

Der Shabd, die Welle des Überbewußtseins, zieht die bewußte Seele an sich und<br />

nimmt sie in sich auf. Erst wenn die Seele mit Hilfe des Shabds in ihre ursprüngliche<br />

Heimat aufsteigt, wird sie erlöst.<br />

<strong>Die</strong> Melodie des Klangstroms ertönt in uns allen. Wenn die Seele mit ihm<br />

verbunden wird, kann sie vom Begrenzten ins Unbegrenzte aufsteigen.<br />

Der göttliche Klang ist für die Seele ein natürliches Bindeglied. Durch das Wesen<br />

und die Melodie des Klangstroms kommt <strong>der</strong> menschliche Geist zur Ruhe. <strong>Die</strong> Seele<br />

geht in dem Klang auf und wird eins mit dem Herrn. Der Klangstrom geht vom<br />

Höchsten aus, und durch ihn erkennt die Seele den Herrn.<br />

Der Höchste, die Seele und <strong>der</strong> Shabd sind eine heilige Dreieinigkeit. Der Höchste<br />

ist jede dieser drei Formen. <strong>Die</strong> Seele hat keine von dem zeitlosen Einen getrennte<br />

Existenz, son<strong>der</strong>n ist Teil von Ihm.<br />

Ein Mensch, <strong>der</strong> Shabd erfahren hat, ist nie mehr allein. Wo immer er auch ist, sein<br />

Herr mit Seiner göttlichen Melodie ist immer bei ihm und ruft ihn in seine<br />

ursprüngliche Heimat zurück. Durch das Üben des Klangstromes verschwinden alle<br />

Leiden, Laster und Sünden. Sinnenlust, Zorn und an<strong>der</strong>e Leidenschaften können bei<br />

ihm nicht mehr Fuß fassen, und er wird vollkommen rein und losgelöst. Der<br />

Klangstrom ist Halt im Leben wie im Tode. <strong>Die</strong> Todesfurcht verbannt er. In <strong>der</strong><br />

Todesstunde legt <strong>der</strong> Eingeweihte seinen Körper wie alte Kleidung ab. <strong>Die</strong> Macht des<br />

Shabd erlöst ihn vom Rad <strong>der</strong> Geburten und Tode. Das von Kal veranlaßte Leiden<br />

und die Todesangst nehmen ein Ende. <strong>Die</strong> Hin<strong>der</strong>nisse des inneren Pfades lösen sich<br />

auf, das Karma aus Millionen von Leben wird vernichtet, und <strong>der</strong> Mensch läßt den<br />

Ozean des weltlichen Daseins hinter sich.<br />

Beim Bhajan erscheint das innere Licht, und <strong>der</strong> Lotos des Herzens blüht auf. Man<br />

erkennt sein wahres Selbst und erlangt die Fähigkeit zu sterben, während man noch<br />

lebt. Man erhebt sich über den Bereich <strong>der</strong> drei Attribute und über die Zeit. In <strong>der</strong><br />

Leere gerät man in Verzückung, und das Zehnte Tor öffnet sich. Man erfährt das<br />

Kennzeichen des Tores Gottes, taucht ein in das Licht des Herrn und wird von wahrer<br />

Hingabe und göttlicher Seligkeit erfüllt. Am Hofe des Herrn wird man geehrt; man<br />

erlangt Erlösung und erfreut sich höchster Glückseligkeit.<br />

Kapitel 3<br />

DER MEISTER ODER SATGURU<br />

Was bedeutet die Bezeichnung "Guru", und wer ist ein Guru?<br />

Einen Guru - o<strong>der</strong> Meister - zu erkennen und seine wahre Bedeutung zu erfassen,


ist sehr schwierig. Dazu bedarf es eines geistig-wahrnehmenden Auges wie dem<br />

seinen. Nur ein Gottmensch kann einen Gottmenschen erkennen. Wie könnte<br />

jemand, <strong>der</strong> in den Grenzen des Körpers gefangen ist, die Herrlichkeit Gottes<br />

begreifen? Wir können sie erst dann verstehen, wenn wir wie Er geworden sind.<br />

"Wer zu Seinen Höhen aufgestiegen ist,<br />

<strong>der</strong> allein kann den EINEN erkennen."<br />

Adi Granth<br />

Nur ein Schwan, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Schwäne im Flug begleitet, kennt sie. Wie sollten<br />

Spatzen und Krähen wissen, aus welchem Land die Schwäne kommen und wohin sie<br />

fliegen? Der Guru vollbringt sein Werk auf Erden und kehrt dann in den Himmel<br />

zurück.<br />

Obwohl die Meister Menschengestalt gleich <strong>der</strong> unsrigen angenommen haben und<br />

unter uns leben, so sind sie doch stets bei dem Herrn aller Regionen und Universen.<br />

Es mag erscheinen, als seien sie durch den irdischen Körper erdgebunden; sie weilen<br />

aber jenseits aller Himmel.<br />

"Ihr Körper ist auf Erden,<br />

Aber ihre Seele weilt bei dem Herrn <strong>der</strong> Welt.<br />

Ihr Körper ist an die Erde gebunden,<br />

Ihre Seele aber ist jenseits <strong>der</strong> sieben Himmel."<br />

Den Höchsten Herrn kann man nie angemessen preisen. Auch den vollkommenen<br />

Meister nicht, <strong>der</strong> Seine Offenbarung ist. Er ist wie <strong>der</strong> Herr, den wir mit Gedanken,<br />

Vorstellungen, Schlußfolgerungen, Vermutungen, Theorien und Argumenten nicht<br />

erreichen können. Gott kann man we<strong>der</strong> sehen und hören noch beschreiben. Selbst<br />

wenn man ein Buch nach dem an<strong>der</strong>en füllen und das ganze Leben mit Schreiben<br />

verbringen wollte, so hätte man damit Sein Wesen nicht einmal mit einem<br />

Buchstaben beschrieben.<br />

"Du bist jenseits von Schlußfolgerungen, Vorstellungen, Wägbarkeiten und<br />

Intellekt, Und jenseits von allem, was ich hörte, sah und las. Das Buch ist<br />

geschrieben, das Leben ist zu Ende, und über den ersten Buchstaben sind wir<br />

nicht hinausgekommen."<br />

Wollten wir den Herrn beschreiben, so könnten wir es nur aus <strong>der</strong> Sicht unseres<br />

Verstandes tun. Sollte Gott von einem Büffel beschrieben werden, so würde dieser<br />

Ihn als einen mächtigen Büffel darstellen. Würde ein kleines Kind vor seine Mutter<br />

hintreten und sagen: "Mutter, ich kenne dich", wie unvollkommen wäre doch sein<br />

Mutterbild. Und wollten wir dem Meister Lob darbringen, wie mangelhaft wäre doch<br />

unser Lobpreis.<br />

Millionen von Menschen besuchen einen Meister. Sie sehen ihn, hören seine<br />

Ausführungen und beschreiben ihn entsprechend ihrem jeweiligen Verständnis als<br />

gütigen Menschen, als Philosophen, Gelehrten o<strong>der</strong> weisen Ethiker. Damit trösten sie<br />

sich. Aber es sind auch einige darunter, die Gott in ihm erkennen. Ein je<strong>der</strong> lobt ihn<br />

so, wie er ihn erkennt. Wäre <strong>der</strong> Meister nur Mensch, so könnte er uns nur<br />

menschliche Tugenden schenken. Er ist aber mehr als ein Mensch. Wer spirituell<br />

nicht entwickelt ist, kann ihn nicht erkennen. Er offenbart sich nur denen, die geistig<br />

genügend fortgeschritten sind. Kann ein Blin<strong>der</strong> einen an<strong>der</strong>en Menschen sehen und


ihn an seinem Gesicht erkennen? Erst wenn <strong>der</strong> Herr, <strong>der</strong> Wahre Eine, sich gnädig<br />

erweist, wird man den Guru als Guru erkennen können. Solange sich <strong>der</strong><br />

vollkommene Meister, die verkörperte Wahrheit, nicht offenbart, kann man ihn nicht<br />

erkennen. Selbst wenn <strong>der</strong> Meister im Nachbarhaus wohnen würde, wäre das einem<br />

spirituell Unerfahrenen nicht bekannt. Sehr oft kommt es vor, daß auch<br />

Familienangehörige des Meisters seine wahre Größe nicht erkennen.<br />

Das WORT ist <strong>der</strong> Meister des ganzen Universums und die Seele <strong>der</strong> Schüler. Wenn<br />

die Seele mit dem WORT eins geworden ist, kann man beide voneinan<strong>der</strong> nicht mehr<br />

unterscheiden. In <strong>der</strong> Sphäre von Einheit und Einssein ist <strong>der</strong> Höchste als das WORT<br />

<strong>der</strong> Guru des ganzen Universums. In <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> Mannigfaltigkeit hingegen wirkt<br />

jemand als Guru, in dem sich das WORT verkörpert hat, und dem <strong>der</strong> Status eines<br />

Meisters verliehen wurde.<br />

Gibt es nur einen Guru o<strong>der</strong> viele?<br />

Es kann viele Heilige geben, aber von diesen ernennt <strong>der</strong> Herr nur selten einen<br />

zum vollkommenen Meister o<strong>der</strong> Guru mit <strong>der</strong> Vollmacht zur Einweihung. Alle<br />

vollkommenen Meister sind Heilige, aber nicht alle Heiligen sind Gurus. Viele<br />

Studierte besitzen Diplome, aber nicht alle sind Professoren. So werden auch nicht<br />

alle, die nach Spiritualität suchen, Guru. Das ist tatsächlich nur selten <strong>der</strong> Fall.<br />

<strong>Die</strong> vollkommenen Meister o<strong>der</strong> Heiligen, auch Gurus genannt, sind Regenten o<strong>der</strong><br />

Bevollmächtigte des Allerhöchsten. Sie teilen sich in zwei Gruppen: Zum einen die<br />

Sant-Sat-Gurus mit geburtsmäßigem Anrecht. Sie sind von Geburt an vollkommene<br />

Meister, die direkt von <strong>der</strong> höchsten spirituellen Region kommen, wie Kabir, Guru<br />

Nanak und an<strong>der</strong>e. Alle lehrten schon in jungen Jahren den wahren spirituellen Pfad.<br />

Sie bleiben immer mit dem Herrn verbunden.<br />

Wenn diese Heiligen in die Welt kommen, rufen sie eine Welle <strong>der</strong> Spiritualität<br />

hervor. Ihnen folgen dann an<strong>der</strong>e und setzen die Lehre fort. Nach einigen<br />

Generationen verblaßt allmählich das begonnene Werk und gerät dann ganz in<br />

Vergessenheit. Dann kommt wie<strong>der</strong> ein Heiliger und erweckt die Spiritualität aufs<br />

neue. <strong>Die</strong>se Meister können überall und in je<strong>der</strong> Nation erscheinen.<br />

Zu <strong>der</strong> zweiten Art gehören die Heiligen, die nicht als Heilige geboren werden,<br />

son<strong>der</strong>n durch Meditation in dieser Welt die Stufe von Anami, dem Namenlosen,<br />

erreichen. Sie besitzen die notwendige Fähigkeit und sind vom Herrn beauftragt, als<br />

Guru tätig zu sein. Auch sie erlangen die Meisterschaft nicht hier, son<strong>der</strong>n sind schon<br />

vollkommen, wenn sie herkommen. Nur dem Anschein nach erreichen sie ihre<br />

Vollkommenheit und Vollendung erst hier.<br />

Ein Heiliger <strong>der</strong> ersten Art erhält vom Höchsten Herrn die Weisung, Guru zu<br />

werden, und er wird dann geboren bzw. er nimmt menschliche Gestalt an. <strong>Die</strong><br />

Meister <strong>der</strong> zweiten Art erhalten erst nach <strong>der</strong> Geburt den Auftrag, als Guru zu<br />

wirken. Sie unterscheiden sich nicht durch ihre spirituelle Macht o<strong>der</strong> ihr Wirken von<br />

denen <strong>der</strong> ersten. Beide sind mit vollkommener Machtbefugnis ausgestattet und<br />

machen nötigenfalls von ihr Gebrauch.<br />

Außer diesen beiden Arten vollkommener Meister sind alle an<strong>der</strong>en, die sich als<br />

Guru ausgeben, lediglich Betrüger. Viele von ihnen sind selbstsüchtig und stolz und<br />

dienen Maya. Sie mißbrauchen die nach Spiritualität Suchenden für eigene Zwecke,<br />

indem sie ihr Wissen als Werkzeug einsetzen. Ihre Lehre hat Engstirnigkeit und<br />

religiöse Vorurteile zur Folge. Gurus dieser Art sind gefährlich, denn aufgrund ihres<br />

eigensinnigen und tadelnswerten Benehmens rücken sie die "vollkommenen Gurus" -<br />

diese unanfechtbare, makellose höhere Macht - in ein schlechtes Licht.


Für die Hungrigen gibt es Brot und für die Durstigen Wasser. Vor 500 Jahren<br />

versorgte die Natur ein Kind genauso mit Milch wie vor 2000 Jahren, und sie tut es<br />

auch heute noch. Das Naturgesetz ist unwandelbar. So liefe es auch diesem Gesetz<br />

zuwi<strong>der</strong>, wollte man behaupten, daß es vor <strong>der</strong> Zeit Jesu Christi o<strong>der</strong> nach seiner Zeit<br />

für einen nach dem spirituellen Pfad Suchenden keine Hilfe gab. <strong>Die</strong> Behauptung,<br />

wahre Gurus seien nur über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahrhun<strong>der</strong>ten auf<br />

diese Erde gekommen und vorher und nachher sei die Weit ohne sie gewesen, das<br />

Gesetz von "Angebot und Nachfrage" habe also nur für diesen Zeitraum gegolten,<br />

stimmt nicht. <strong>Die</strong> Lehre <strong>der</strong> Heiligen gilt für alle Menschen und für alle Zeiten und<br />

beschränkt sich nicht auf zwei- bis dreihun<strong>der</strong>t Jahre.<br />

"Immer, durch alle Zeiten hindurch, lebten Gurus in dieser Welt.<br />

Zu allen Zeiten gab es Meister und Gläubige, die Naam dienten."<br />

Adi Granth<br />

Sowohl Kabir als auch Guru Nanak waren vollkommene Meister. Seiner<br />

Lebensbeschreibung zufolge wurde Kabir 1440 zur Zeit des Vollmondes in <strong>der</strong> Nähe<br />

von Benares geboren, und 1518 ging er wie<strong>der</strong> in das Ewige Licht ein. Guru Nanak<br />

wurde 1469 in Talwandi im Punjab geboren, und er ging 1539 in Kartarpur in das<br />

Ewige Licht ein. Wir sehen daran, daß Kabir 71 Jahre vor Guru Nanak auf die Welt<br />

kam und daß sie von 1469 bis 1518 Zeitgenossen waren. Beide lehrten den wahren<br />

geistigen Pfad des Surat Shabd Yoga.<br />

Auch Shamas-i-Tabriz und Maulana Rumi waren in Persien von 1207 - 1247<br />

Zeitgenossen. Guru Arjan und Dharam Das waren von 1561 - 1606 zur selben Zeit<br />

auf Erden. Daraus ersieht man, daß mehrere vollkommene Gurus zur gleichen Zeit<br />

wirken können. Wer aber Gurmukh o<strong>der</strong> liebevoller Schüler werden will, darf nur<br />

einem Guru dienen.<br />

<strong>Die</strong> Lebensweise des Gurus<br />

Der Meister führt ein beson<strong>der</strong>es Leben, das ihn von an<strong>der</strong>en unterscheidet. Nun<br />

könnte man fragen, was so beson<strong>der</strong>s an diesem vollkommenen Menschen sein soll.<br />

Weshalb und woher kam er, als er durch die verschiedenen Regionen herabstieg. Wo<br />

lebt er, und was macht er hier? <strong>Die</strong> Antworten auf diese Fragen lauten: Er kommt<br />

von Sat Lok, <strong>der</strong> Wahren Region, in dieses Land des Todes und lebt nun hier. Er<br />

verkörpert die Allerhöchste Wahrheit, und er trägt die Macht und Tugenden <strong>der</strong><br />

höheren Regionen in sich.<br />

1. Der Meister ist freigebig. Er kommt nie als Bettler. Er begehrt nichts. Er verdient<br />

seinen eigenen Lebensunterhalt und fällt niemandem zur Last. Er versorgt sich selbst<br />

und hilft den Hilflosen und Leidenden.<br />

"Kein Meister ist, wer bettelnd von Tür zu Türe geht.<br />

Unterwirf dich ihm nicht. Wer arbeitet und mildtätig ist,<br />

O, Nanak, <strong>der</strong> ist auf dem richtigen Weg."<br />

Adi Granth<br />

2. Für seine Lehre verlangt er keine Gebühr, und er nimmt auch keine Geschenke<br />

an. Seine Lehre verkündet er unentgeltlich, so wie uns die Natur Luft, Wasser,<br />

Sonnenschein usw. schenkt.


3. Sein Schmuck sind Gebet und Demut. Obwohl er allmächtig ist, stellt er nie zur<br />

Schau, daß er Außergewöhnliches vollbringen kann. Er weist immer auf den Herrn<br />

o<strong>der</strong> auf seinen eigenen Sat Guru als denjenigen hin, <strong>der</strong> etwas geschehen läßt.<br />

Wahrlich, ein Zweig voller Früchte beugt sich immer demütig hinab.<br />

"Wer demütig ist, besitzt wahre Größe."<br />

Adi Granth<br />

4. Er steht niemandem feindlich o<strong>der</strong> ablehnend gegenüber und bemängelt nie das<br />

Verhalten an<strong>der</strong>er. Auch wenn ihm jemand grollt, verzeiht er ihm. Er kritisiert und<br />

verleumdet niemanden. Er liebt je<strong>der</strong>mann, auch seine Feinde, und verwirklicht das<br />

Gebot: "Liebe deine Feinde."<br />

5. Er ist die strahlende Sonne <strong>der</strong> Reinheit, <strong>der</strong> universellen Weisheit, <strong>der</strong> Wahrheit<br />

und Spiritualität. Er ist spirituell, und diejenigen, die nach Spiritualität suchen,<br />

versammeln sich um ihn wie die Motten um das Licht, und <strong>der</strong> spirituelle Gewinn, <strong>der</strong><br />

ihnen zuteil wird, bereichert ihr Leben.<br />

6. Er kleidet sich ganz normal und martert seinen Körper nicht, um seinen Geist zu<br />

beherrschen. Seine Methode ist eine völlig an<strong>der</strong>e, sie ist einfach und natürlich.<br />

7. Er stellt sich nicht durch Wun<strong>der</strong>wirken zur Schau wie ein Gaukler, <strong>der</strong> seinem<br />

Publikum gefallen möchte. Obwohl er allmächtig ist, hält er seine Macht verborgen,<br />

macht aber mitunter, wenn er es für richtig hält, von ihr Gebrauch. Seine Schüler<br />

kommen immer in den Genuß seiner Gnade.<br />

<strong>Die</strong> Merkmale eines vollkommenen Meisters<br />

und <strong>der</strong> Einfluß seiner Gegenwart<br />

1. In <strong>der</strong> Gegenwart eines vollkommenen Meisters zu sitzen und ihn anzuschauen,<br />

läßt den Geist fügsam werden; er wird ruhiger.<br />

Strahlen <strong>der</strong> Reinheit gehen unablässig vom Meister aus. Er ist voller Licht und<br />

Güte. Er hat einen unbeschreiblichen Einfluß auf an<strong>der</strong>e und zieht sie wie ein Magnet<br />

an. Seine Worte, die voll mystischer Bedeutung sind, erheben die Seele, die von<br />

einem unbeschreiblichen Glücksgefühl erfüllt wird.<br />

2. Ein ungewöhnliches Strahlen und eine seltsame Anziehung gehen von seinen<br />

Augen und seiner Stirn aus, selbst wenn man ihn nur für einen Augenblick anschaut.<br />

Man fühlt sich nach innen gezogen, die Aufmerksamkeit konzentriert sich und<br />

schickt sich an, von <strong>der</strong> physischen in höhere, feinere Regionen aufzusteigen. Das<br />

Bewußtsein weitet sich und wird erhoben.<br />

3. Ein vollkommener Meister ist voller Frieden und Seelenruhe. In seiner<br />

Gegenwart durchströmt uns ein Glücksgefühl, und wir freuen uns, wenn wir ihm<br />

begegnen. Alle Zweifel verschwinden, und die Gewißheit, daß wir nun unser<br />

endgültiges Ziel erreichen werden, erfüllt uns.<br />

"Der ist Sat Guru, dessen Anblick dich mit Glück erfüllt, <strong>der</strong> alle<br />

Zweifel zerstreut und dich die Heimat des Herrn erreichen läßt."<br />

Adi Granth<br />

4. Er ist das "Elixier des Lebens". Sein Gesicht ist schön und strahlend, seine<br />

Stimme ist anziehend und sympathisch, und das Licht seiner Augen ist<br />

bezaubernd und durchdringend. Mächtige Ströme voll geistiger Kraft gehen von


einem Meister aus und erfüllen die ganze Umgebung. Seine Worte haben einen<br />

seltsamen Einfluß. Sie dringen tief in das Herz <strong>der</strong> Zuhörer. <strong>Die</strong> bloße Gegenwart<br />

eines Heiligen kann die Seele erwecken und erlösen.<br />

5. Ein vollkommener Meister kann mit einem einzigen Blick den inneren Zustand<br />

eines Menschen erkennen. Unserer inneren Bereitschaft entsprechend unterweist er<br />

uns. Steht jemand vor ihm, so sieht er dessen inneren Zustand, als wäre er aus<br />

durchsichtigem Glas. Aber er behält es für sich. Bienen fliegen zu den Blüten ihres<br />

Duftes und des Honigs wegen; in ähnlicher Weise streben Suchende zu einem<br />

vollkommenen Meister, um an dem Reichtum seiner Spiritualität und Lauterkeit<br />

teilzuhaben. Niemand verläßt den so freigebigen Meister mit leeren Händen. Je<strong>der</strong><br />

erhält die Saat von Naam, die früher o<strong>der</strong> später Früchte tragen und die Seele<br />

befreien wird. Mit den Besuchen bei einem vollkommenen Meister fangen für jeden<br />

die guten Zeiten an.<br />

6. Der Sant Sat Guru ist <strong>der</strong> wahre Sohn Gottes. Für ihn gibt es keine Religions-,<br />

Klassen- und Glaubensunterschiede. Er sieht den einen Gott in allen Lebewesen.<br />

Ohne Vorliebe für irgendeine Religion o<strong>der</strong> Gesellschaftsschicht teilt er allen<br />

Menschen dieselbe Botschaft mit. Für ihn sind alle Menschen Kin<strong>der</strong> Gottes, und sie<br />

alle sind gleich.<br />

Er bittet niemanden, seine Religion aufzugeben und eine an<strong>der</strong>e anzunehmen,<br />

denn für ihn ist nur die Seele wichtig. Welcher Religion man angehört, spielt für ihn<br />

keine Rolle, aber ein innerer Drang nach geistigem Fortschritt muß vorhanden sein.<br />

7. Der vollkommene Meister ist Gott in Menschengestalt. So wie <strong>der</strong> Herr den<br />

Heiligen Seine Lehre ohne das Werkzeug <strong>der</strong> Sprache übermittelt, so geben auch die<br />

Heiligen ihren Schülern die Botschaft durch inneres Erleben weiter, ohne dabei von<br />

<strong>der</strong> menschlichen Sprache Gebrauch zu machen.<br />

<strong>Die</strong> Lehre <strong>der</strong> Heiligen wird durch eine Sprache ohne Worte vermittelt; es ist die<br />

Sprache <strong>der</strong> Seele, die von Seele zu Seele übermittelt wird. <strong>Die</strong> Seele ist ein<br />

Fünkchen Gottes und Seines großen Mysteriums. Zum Sprechen braucht sie we<strong>der</strong><br />

Zunge noch Kehle; sie wirkt ohne die Beihilfe <strong>der</strong> Sinne.<br />

"Er sieht ohne Augen, er hört ohne Ohren.<br />

Er geht ohne Beine, er arbeitet ohne Hände.<br />

Er spricht ohne Zunge. Er stirbt, während er lebt.<br />

O Nanak, er kennt Sein Gesetz.<br />

Er ist eins mit Ihm."<br />

Adi Granth<br />

8. Bei den Ausführungen eines vollkommenen Meisters kommt es oft vor, daß die<br />

nach Wahrheit Suchenden keine Fragen zu stellen brauchen. Sie erhalten die<br />

Antwort, ohne die Frage gestellt zu haben.<br />

9. Immer wenn Meister auf Erden erscheinen, lehren sie die Praxis des<br />

Klangstromes, den Surat-Shabd-Yoga, und sie erklären deutlich, daß Gott niemals<br />

durch äußerliche Religionsbräuche erkannt wurde und auch in Zukunft nicht erkannt<br />

werden wird, denn Er wohnt im Herzen <strong>der</strong> Menschen. Das Herz ist <strong>der</strong> wahre<br />

Tempel Gottes, dort muß man Ihn suchen. Den Herrn können wir erst dann<br />

erkennen, wenn wir uns nach innen wenden.<br />

Wer Ihn außerhalb des Körpers sucht, ist ein Narr. Aus Unwissenheit wan<strong>der</strong>n viele<br />

in die Einöde o<strong>der</strong> in die Wüste. Der Makrokosmos ist im Mikrokosmos. Gott müssen<br />

wir in unserem Innern suchen. Wenn wir Ihn in Bächen, Strömen, auf Hügeln, in von<br />

Menschen erbauten Tempeln o<strong>der</strong> sonstwo suchen, sind wir auf dem Holzwege. Dort<br />

finden wir Ihn nicht. Kennen wir aber das Geheimnis des Pfades, dann werden wir


Ihm begegnen. Ohne einen vollkommenen Meister jedoch können wir nicht nach<br />

innen gehen.<br />

"Wisset durch die Gnade des Meisters: Der Tempel Gottes ist in euch."<br />

Adi Granth<br />

10. <strong>Die</strong> Lehre <strong>der</strong> vollkommenen Meister ist die Wahrheit, und sie ist eine<br />

Wissenschaft. Sie ist natürlich und praktizierbar und nicht etwa das Produkt<br />

menschlicher Phantasie o<strong>der</strong> des Intellekts. Was die Meister lehren, ist ihre<br />

vollkommene Überzeugung, denn sie haben die Lehre nicht durch bloßes Lesen o<strong>der</strong><br />

Studieren erworben, son<strong>der</strong>n ihr liegt eigene innere Erfahrung zugrunde, die bei allen<br />

Meistern die gleiche ist. <strong>Die</strong> spirituellen Erfahrungen eines Heiligen stimmen mit<br />

denen an<strong>der</strong>er Heiliger überein. <strong>Die</strong> Meister verlangen von den Menschen keinen<br />

blinden Glauben. Sie haben den Herrn selbst gesehen.<br />

11. Wenn Meister o<strong>der</strong> Heilige auftreten, schaffen sie manchmal eine Atmosphäre,<br />

die den weltlich Gesinnten nicht gefällt. Sie wollen damit erreichen, daß die Sklaven<br />

<strong>der</strong> Welt und Verehrer des Mammons, die sich oft wie Fliegen um sie scharen, sich<br />

wie<strong>der</strong> entfernen, damit die wirklich Suchenden unter ihnen nicht zu leiden haben.<br />

Sie sorgen absichtlich für Grund zur Kritik, damit nur diejenigen zu ihnen kommen,<br />

die es verdient haben.<br />

"Sollte es keinen Wächter an <strong>der</strong> Pforte des Meisters geben? Doch!<br />

Damit sich die Unaufrichtigen nicht hineindrängen können.<br />

Verleumdung wirkt wie ein Wächter an seinem Tor.<br />

Sie verhin<strong>der</strong>t, daß unwürdige Seelen zu ihm gelangen."<br />

Immer wenn Heilige auf die Erde kommen, so berichtet Guru Nanak, werden sie<br />

von vielen Betrügern, die sich religiösem Brauch verschrieben haben, kritisiert. Auch<br />

diejenigen, die dem Meister folgen, werden von den sogenannten Schülern <strong>der</strong><br />

"Pseudo-Gurus" kritisiert. <strong>Die</strong> Menschen vergessen den Yoga des Klangstromes. Sie<br />

lesen das geschriebene Wort und knien zum Gebet. Den Pfad <strong>der</strong> nie endenden Musik<br />

kennen sie nicht mehr. Sie wie<strong>der</strong>holen an<strong>der</strong>e heilige Namen, und <strong>der</strong> Pfad <strong>der</strong><br />

inneren Hingabe ist ihnen unbekannt. "Wenn <strong>der</strong> Yoga des Klangstromes nicht mehr<br />

praktiziert wird, werde Ich im Gewand eines Heiligen erscheinen. Und wenn die<br />

Übung des Shabd wie<strong>der</strong> aufgenommen wird, dann wird man wissen, daß Ich da<br />

war."<br />

12. Lebt ein Heiliger auf Erden, entsteht eine Woge <strong>der</strong> Spiritualität. Von allen<br />

Seiten strömen wahre Sucher zu ihm. Allen, den einfachen wie den rechtschaffenen<br />

Menschen, kommt die Lehre zugute, denn sie finden wahre Erfüllung in ihr. Mitunter<br />

kommen sogar Räuber, <strong>Die</strong>be und an<strong>der</strong>e Sün<strong>der</strong> zu ihnen; sie ziehen großen<br />

Nutzen aus <strong>der</strong> Lehre und werden selbst Heilige. Wie Wäscher waschen die Meister<br />

uns vom Schmutz unserer Sünden rein. Sie sind unser bestes Beispiel für<br />

Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft. Sie leiten und lenken unser Herz. Spiritualität<br />

verkünden sie im großen. Zu Tausenden drängt man sich um sie, und je<strong>der</strong>mann<br />

wird von <strong>der</strong> überzeugenden Hingabe und Spiritualität in Erstaunen gesetzt.<br />

13. Vollkommene Meister sind machtvolle Persönlichkeiten. Sie behüten ihre<br />

Schüler, ganz gleich, ob diese weit entfernt o<strong>der</strong> nahe sind. Das stärkt natürlich das<br />

Vertrauen <strong>der</strong> Schüler. <strong>Die</strong> Macht <strong>der</strong> Meister ist nicht weniger groß als die des Herrn<br />

und reicht über die sieben Himmel hinaus. Wenn die Bindung des Schülers zum


Meister sich verstärkt, dann kommt dem Schüler das immer mehr zugute, und er<br />

erlebt neue Wun<strong>der</strong>. Geht er nach innen, dann sieht er die Strahlengestalt des<br />

Meisters, die sich mit ihm unterhält und ihm Antworten auf seine Fragen gibt. <strong>Die</strong><br />

Strahlengestalt verläßt den Schüler nie mehr.<br />

"Überlaß Körper und Geist dem,<br />

Der keine Wünsche hat,<br />

Der sich selbst überwunden hat<br />

Und dich mit dem Herrn verbindet.<br />

Den Geist übergeben heißt alles übergeben,<br />

Denn <strong>der</strong> Körper folgt dem Geist.<br />

Was bleibt dir noch zu geben übrig?<br />

Kabir sagt: Gibst du Körper und Geist hin,<br />

So geschieht das zu deinem Besten,<br />

Denn dann wirst du von aller Last befreit.<br />

Beteuert jemand,<br />

Er habe es aus eigener Kraft geschafft,<br />

So ist er völlig im Irrtum.<br />

Körper und Geist hat man nicht hingegeben,<br />

Wenn noch diesbezügliche Wünsche bestehen.<br />

Zu diesem Suchenden sagt Kabir:<br />

Wie wird das Gemüt beherrscht?<br />

Wenn Körper und Geist wahrhaft unterworfen<br />

Und auch alle Wünsche verschwunden sind.<br />

Kabir sagt, daß er furchtlos ist,<br />

Denn seine Gedanken sind beim Meister.<br />

Selbst die verborgensten Gedanken<br />

hat er ihm zu Füßen gelegt.<br />

O Kabir, allein die Füße des Meisters,<br />

Nichts weiter sehe ich."<br />

Kabir<br />

Das Werk des Gurus<br />

Der Meister ist <strong>der</strong> Gebende, er ist kein Bettler. Sein Wohlwollen gilt allen, ob reich<br />

o<strong>der</strong> arm. Es bereitet ihm große Freude, Seelen von <strong>der</strong> Knechtschaft des Körpers zu<br />

befreien. Welches Äußere er auch angenommen hat, er wirkt nur für das Heil <strong>der</strong><br />

Seele und för<strong>der</strong>t die spirituelle Entfaltung. Er hält nicht viel von blindem Glauben<br />

und verlangt ihn auch von niemandem. Was er lehrt, ist hier und jetzt - sozusagen<br />

auf dem Ladentisch - nachprüfbar. Er verspricht die Befreiung und Erlösung nicht<br />

erst für nach dem Tode. Was er sagt, ist für jeden bestimmt und zur Nachforschung<br />

empfohlen. Es ist eine offene Botschaft, wie ein breiter Weg, den je<strong>der</strong> gehen kann.<br />

"Erst wenn ich mit eigenen Augen sehe,<br />

Glaube ich den Worten des Meisters."<br />

Swami Ji<br />

Es ist zwar wahr, daß wir uns auf den Meister verlassen müssen, um<br />

experimentieren zu können; sobald wir aber durch eigene Erfahrung die Wahrheit


<strong>der</strong> Lehre erkannt haben, wird unser Glaube felsenfest und wankt auch dann nicht<br />

mehr, wenn die ganze Welt gegen uns steht. Angenommen, wir sehen die Sonne<br />

aufgehen. Wenn nun Hun<strong>der</strong>te von Blinden schwören würden, keine Sonne sei zu<br />

sehen, so wäre unser Glaube dennoch unerschütterlich, weil wir sie mit eigenen Augen<br />

haben aufgehen sehen. Wessen inneres Auge nicht geöffnet ist, <strong>der</strong> kann diese<br />

Wahrheit nicht erfahren.<br />

Unser Dasein in dieser Welt und das des Meisters unterscheiden sich wesentlich<br />

voneinan<strong>der</strong>. Sowohl <strong>der</strong> Gefangene als auch <strong>der</strong> Arzt, <strong>der</strong> ihn medizinisch betreut,<br />

gehen ins Gefängnis. Der Gefangene muß dort die Strafe für seine Missetaten<br />

verbüßen, während <strong>der</strong> Arzt sich zur Behandlung des Gefangenen dorthin begibt. Wir<br />

leben hier, um die Folgen unseres Karmas, unserer guten und schlechten Taten, zu<br />

begleichen. <strong>Die</strong> Meister aber kommen, um uns zu erlösen.<br />

Es gibt vielerlei Arten von guten Taten, mit denen Menschen an<strong>der</strong>en helfen. <strong>Die</strong><br />

gute Tat des Meisters aber ist von <strong>der</strong> edelsten Art: Er befreit uns aus dem Gefängnis<br />

Kals und von <strong>der</strong> Täuschung Mayas und vereint uns mit Gott.<br />

Einem fürsorglichen Menschen tun die Gefangenen leid; er versorgt sie mit Milch.<br />

Das ist eine gute Tat; die Gefangenen sind vorübergehend zufrieden. Ein an<strong>der</strong>er<br />

bringt ihnen Süßigkeiten; wie<strong>der</strong> sind sie für eine Weile zufrieden und glücklich. Ein<br />

Dritter versorgt sie mit Kleidung, und für gewisse Zeit sind sie gut gekleidet. Aber<br />

trotz all dieser Wohltaten bleiben sie dennoch Gefangene. Wie<strong>der</strong> kommt jemand,<br />

diesmal ist es <strong>der</strong> Guru; er hat einen Schlüsselbund bei sich. Er öffnet das Tor,<br />

befreit die Gefangenen und schickt sie nach Hause. Alle Helfer taten Gutes, die beste<br />

Tat aber war die des Gurus.<br />

Es gibt viele Arten von guten Taten auf Erden, aber trotz alledem werden wir durch<br />

sie nicht aus dem Gefängnis des Körpers und des Geistes befreit. Wenn <strong>der</strong> Meister<br />

in die Welt kommt, in dieses Gefängnis mit 8400000 Zellen, befreit er uns und führt<br />

uns nach Hause. Seine Tat ist die wertvollste, weil sie wahrhaft Hilfe bringt. Er<br />

kommt, um Leben zu spenden und die Seelen aus dem Gefängnis <strong>der</strong> 8400000<br />

Zellen zu befreien und sie zu Gott zurückzuführen.<br />

Vollkommene Meister sind ganz in Gott eingegangen und unterscheiden sich nicht<br />

von Ihm. Durch den Willen Gottes nehmen sie Menschengestalt an, um Seelen aus<br />

den nie<strong>der</strong>en Regionen zurückzuholen und sie mit Gott zu vereinen. Wer ihre<br />

Anweisungen befolgt, den verbinden sie mit dem Herrn und machen ihn sich selbst<br />

gleich.<br />

Sind Heilige Rivalen Gottes? Nein, niemals. Gott wird eher von Seinen Heiligen<br />

"gefangengehalten", denn sie fesseln Ihn mit den Banden <strong>der</strong> Liebe. Der Wille Gottes<br />

geschieht immer durch Seine Heiligen. Sie sind in diesem Universum Seine<br />

Beauftragten, Seine Bevollmächtigten, und führen Sein Werk aus. Paltu sagt: "An<br />

Seinem Hof gibt es keine weiteren Verwalter." Alle Heiligen lieben das WORT. Was<br />

immer sie wünschen, das geschieht.<br />

<strong>Die</strong> Meister sind eins mit Gott. Sie kommen lediglich hierher, um die Seelen zu<br />

erlösen. Davon berichten die Verse aller Heiligen. Shamas-i-Tabriz sagt:<br />

"Ihr wißt nicht, was für Wesen wir sind<br />

Und was wir lautlos wie<strong>der</strong>holen.<br />

Scheinbar sind wir Bettler in dieser Welt.<br />

Erkennt die Wahrheit und seht,<br />

Daß wir Könige sind!<br />

Wir sind scheinbar arm.<br />

Schaut ihr aber in euer Herz,


So seht ihr, welche Schätze wir besitzen.<br />

Da wir Könige in unserem eigenen Lande sind,<br />

Was macht es da, hier eine Zeitlang gefangen zu sein?<br />

Wie könnten wir für immer in diesem Hause leben?<br />

Sind wir doch alle nur Gäste hier.<br />

Unserem König gaben wir Versprechen,<br />

Und diese werden wir halten.<br />

Solange wir den Mantel (Menschengestalt) tragen,<br />

Grämen wir uns nicht und fügen niemandem Leid zu.<br />

Wir sind voller Licht und Glück wie im Himmel.<br />

Wir essen, wir sind froh und lachen."<br />

Guru Gobind Singh drückt es ähnlich aus:<br />

"Aus <strong>der</strong> Dualität verschmolzen wir zu Einem. Ich hatte kein Verlangen, in diese<br />

Welt zu kommen, aber <strong>der</strong> Herr wollte es und sandte mich hierher."<br />

Den Schüler vorzubereiten und ihn an den Hof des Herrn zu führen, ist die<br />

Hauptaufgabe des Meisters. Er übernimmt die Verantwortung für diejenigen, die<br />

Zuflucht bei ihm suchen. Immer wie<strong>der</strong> kommen Meister in die Welt, um sich <strong>der</strong><br />

nach Wahrheit Suchenden anzunehmen und ihnen den spirituellen Weg zu zeigen.<br />

Ob <strong>der</strong> Schüler in <strong>der</strong> Nähe des Meisters ist o<strong>der</strong> weit entfernt, ist nicht wesentlich.<br />

<strong>Die</strong> Entfernung spielt keine Rolle, denn seine Hand ist die Hand Gottes, und in ihr<br />

ruht die Macht des Herrn.<br />

Der Meister bewahrt den Schüler vor Situationen, die dieser nicht bewältigen kann.<br />

So wie die Mutter ein unwissendes Kind vor drohendem Unheil beschützt, so bewahrt<br />

<strong>der</strong> Meister den Schüler vor Leid und Schwierigkeiten, ohne daß dieser davon etwas<br />

ahnt. Er erleichtert dem Schüler irdisches Leid, das ihm vom Schicksal bestimmt ist,<br />

und schenkt ihm Kraft, es als unbedeutend anzusehen. Er hilft ihm, Schwierigkeiten<br />

nicht nur auf <strong>der</strong> physischen Ebene zu überwinden, son<strong>der</strong>n auch auf <strong>der</strong> geistigen.<br />

Es gibt keinen an<strong>der</strong>en Helfer außer ihm.<br />

All diese Fürsorge wird dem Schüler zuteil, während er in dieser Welt lebt. Beim<br />

Tod aber, einer Zeit größter Bedrängnis, kommt <strong>der</strong> Meister selber und steht dem<br />

Schüler zur Seite und nimmt die Seele mit sich. Auch bei <strong>der</strong> endgültigen<br />

Rechenschaftsablegung ist <strong>der</strong> Meister zugegen.<br />

<strong>Die</strong> Bekanntschaften und Freundschaften <strong>der</strong> Menschen sind flüchtig und<br />

vergänglich. Einige verlassen uns, wenn wir in Not sind, und an<strong>der</strong>e in unserer<br />

letzten Stunde. Der wahre Beschützer und Helfer des Schülers aber ist <strong>der</strong> Meister,<br />

<strong>der</strong> immer bei ihm ist, wenn er in Not gerät. Er verläßt ihn in <strong>der</strong> Todesstunde nicht<br />

und läßt ihn auch danach nicht allein.<br />

<strong>Die</strong> Beziehung des Meisters zu seinem Schüler und umgekehrt ist die wahrer Liebe.<br />

Der Meister ist gütig. Er lehrt uns, wie wir in unsere Heimat zurückkehren können,<br />

und er betet zum Herrn, uns unsere Sünden zu vergeben und unsere Knechtschaft zu<br />

beenden.<br />

Der Herr wohnt im Herzen des Meisters. In ihm reflektiert sich die Tugendhaftigkeit<br />

und das Wesen des Herrn. In ihm, dem verehrenswerten Meister, vereinen sich<br />

Vollendung <strong>der</strong> Persönlichkeit und Vollendung <strong>der</strong> Tugenden. <strong>Die</strong> Tugenden <strong>der</strong><br />

Göttlichkeit werden durch ihn offenbar. Wer Gott schauen will, betrachte den Guru.


"Er hat eine Sonne im Menschen verborgen."<br />

Maulana Rumi<br />

Wenn sich das innere Auge öffnet, erkennt man, daß es <strong>der</strong> Meister ist, vor dem<br />

sich alle demütig verneigen sollten. Er ist die Lebenskraft des Universums. Er ist die<br />

menschgewordene Wahrheit, die Realität in Menschengestalt. Er ist von <strong>der</strong><br />

Wahrheit, und er reflektiert die Wahrheit. Er ist die Krone <strong>der</strong> Schöpfung. Es gibt<br />

keinen Erhabeneren als ihn und niemand ist mächtiger als er - jetzt und immerdar. Er<br />

hat alle guten Eigenschaften <strong>der</strong> astralen und kausalen Regionen, und alle Tugenden<br />

sind in ihm vereint. Wer ihn gesehen hat, hat Gott in Menschengestalt gesehen. Der<br />

Meister spiegelt die Tugenden des Herrn wi<strong>der</strong>, er ist Sein Ebenbild in <strong>der</strong> Welt. Er ist<br />

<strong>der</strong> Stellvertreter Gottes und vollführt hier Sein Werk. Sein Intellekt, sein Wissen und<br />

seine Weisheit sind einzigartig, sein Urteil ist gerecht und klar und läßt sich nicht<br />

beanstanden. Mag er auch keine Schulbildung erhalten haben, so ist er dennoch <strong>der</strong><br />

Urquell allen Wissens. Sein Verständnis umfaßt die wahre Bedeutung in allem.<br />

Selbst aus menschlicher Sicht betrachtet ist er <strong>der</strong> vollkommenste Mensch. Alle<br />

Tugenden entströmen ihm. Er lebt nicht in einem beson<strong>der</strong>en Land und gehört<br />

keiner beson<strong>der</strong>en Nation an. Er ist für alle da, er dient allen und lehrt alle, und er<br />

liebt alle. Seine Lehre ist für die ganze Menschheit bestimmt. Er strahlt seine Liebe<br />

aus und kam als Bote Gottes hierher und lebt in dieser Welt, um Sein Licht zu<br />

verbreiten.<br />

Der Guru führt ein Leben wie ein gewöhnlicher Mensch. Er lebt in <strong>der</strong> Welt, doch<br />

läßt sie ihn unberührt. Er behandelt alle mit Wohlwollen und Zuneigung, und seine<br />

Liebe und Fürsorge übertreffen bei weitem die einer Mutter. Er ist ein vollkommener<br />

Mensch und ohne Mängel. Trotz unserer Fehler erbarmt er sich unser.<br />

Rein äußerlich gesehen ist er ein Mensch, in Wirklichkeit ist er aber ein<br />

Übermensch. Er ist jenseits von Gut und Böse und ist unter den Menschen <strong>der</strong><br />

erhabenste. Er ist Gott selbst in Menschengestalt. Sittlichkeit und Spiritualität<br />

vereinen sich in ihm. Obwohl er allmächtig ist, gibt er sich machtlos. Trotz seiner<br />

erhabenen Größe ist er voller Demut. Das Idealbild, das Plato und an<strong>der</strong>e<br />

Philosophen <strong>der</strong> Menschheit als erstrebenswert hinstellen - Macht in Verbindung mit<br />

Demut und Besorgtheit, Weisheit mit Liebe - das findet man nur in einem Guru.<br />

In Wahrheit ist <strong>der</strong> Guru mehr als ein Übermensch, denn seine Macht überschreitet<br />

die Grenzen des Menschen. Er wirkt in Regionen, die unsere Sinne nicht<br />

wahrnehmen können, und er hat Zutritt zu den subtilen und kausalen Regionen und<br />

noch darüber hinaus. Selbst mit Hilfe <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Technik können diese von<br />

unseren Sinnen nicht erfaßt werden. Auch den Wissenschaftlern sind diese Regionen<br />

nicht sichtbar, weil es ihnen nicht möglich ist, über das physische Universum<br />

hinauszugelangen, da sie sich auf die Welt des Verstandes und des Intellekts<br />

beschränken. Zwar haben sie schon viele Experimente durchgeführt, was auch in<br />

Zukunft geschehen wird, aber es gibt subtile Regionen und Welten, die <strong>der</strong> Verstand<br />

nicht mehr erfassen kann, und die Regionen des reinen Bewußtseins sind noch<br />

unerreichbarer. Der Meister durchmißt diese Welten jeden Tag.<br />

Der Meister ist die Offenbarung Gottes<br />

Gott ist unergründlich und jenseits aller menschlichen Erkenntnis, aber Er offenbart<br />

sich im Meister. Der Meister manifestiert die Herrlichkeit Gottes. Das Tor im Innern<br />

unseres Körpers hat Gott verschlossen, und Er hält sich dahinter verborgen. Er


nimmt selbst Menschengestalt an und bringt den Schlüssel zum Öffnen des Tores<br />

mit. <strong>Die</strong> Gestalt, die Er annimmt, lieben wir ganz beson<strong>der</strong>s, sie sollten wir verehren.<br />

Der Glanz und die Herrlichkeit des Höchsten erstrahlen durch den Meister. <strong>Die</strong><br />

Menschengestalt ist sein Äußeres, in ihr lebt Er unter uns. Da Er einen Körper wie<br />

den unsrigen hat, durchlebt Er auch Schmerz und Freude wie wir. Daher ist uns die<br />

sichtbare Erscheinungsform Gottes, wie wir sie mit unseren Augen sehen, auch viel<br />

lieber als Seine ursprüngliche, unsichtbare.<br />

Den Meister kann man von Gott nicht unterscheiden; er und Gott sind eins. Wie<br />

kann dann <strong>der</strong> eine mächtiger sein als <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e? Gott und die Heiligen<br />

unterscheiden sich tatsächlich nicht. Maulana Rumi sagt:<br />

"Wenn du einen Meister annimmst, wisse, daß in ihm Gott und <strong>der</strong> Prophet<br />

vereint sind. Halte sie nicht für verschieden und sage nicht, sie seien voneinan<strong>der</strong><br />

getrennt. Sieh vielmehr den Meister als jemanden, <strong>der</strong> in Gott<br />

eingegangen ist. Wenn du einen Sehfehler hast, werden <strong>der</strong> Meister und Gott dir<br />

als unterschiedliche Wesen vorkommen, und du wirst sowohl dich selbst als auch<br />

die wahre Spiritualität verlieren. Wer einen Unterschied zwischen Gott und dem<br />

Meister macht, ist in Wahrheit tot und kein Schüler."<br />

In Johannes 14, 8-10 heißt es: Spricht zu ihm Philippus: "Herr, zeige uns den<br />

Vater, so genüget uns." Jesus antwortete: "So lange bin ich bei euch, und du kennst<br />

mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, <strong>der</strong> sieht den Vater; wie sprichst du denn,<br />

zeige uns den Vater? Glaubst du nicht, daß ich im Vater bin und <strong>der</strong> Vater in mir ist?"<br />

Und an an<strong>der</strong>er Stelle sagt Jesus: "Ich und <strong>der</strong> Vater sind eins. Wer mich gesehen<br />

hat, <strong>der</strong> hat den Vater gesehen. Was ich euch sage, sage ich nicht aus mir selbst,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Vater, <strong>der</strong> in mir wohnt, wirkt seine Werke. Darum glaubet mir, daß ich<br />

im Vater bin und <strong>der</strong> Vater in mir ist."<br />

Mit seinem Körper weilt <strong>der</strong> Meister hier auf Erden, doch seine Seele erhebt sich zu<br />

den sieben Himmeln. Rein äußerlich ist er Mensch, aber Gott spricht durch ihn. In<br />

Wirklichkeit ist er Gott, Gott und Mensch, ein Gott-Mensch. Er ist das Bindeglied, das<br />

uns mit Gott verbindet. Der Meister ist <strong>der</strong> Shabd, <strong>der</strong> sich als Mensch darstellt. Er<br />

muß die Menschengestalt annehmen, um sich uns verständlich machen zu können.<br />

Man erzählt, daß <strong>der</strong> Zar von Rußland, Peter <strong>der</strong> Große, nach Holland ging, um die<br />

Kunst des Schiffsbaus zu erlernen. Er verkleidete sich als Arbeiter. In Holland<br />

arbeiteten viele Russen, die seiner Tyrannenherrschaft entflohen waren. Er erzählte<br />

ihnen von Rußland und riet ihnen, in ihre Heimat zurückzukehren. Dazu waren sie<br />

gerne bereit, doch - so sagten sie - habe <strong>der</strong> Zar sie des Landes verwiesen, und<br />

daher könnten sie nicht zurückkehren. Darauf erwi<strong>der</strong>te Peter, daß <strong>der</strong> Zar sein<br />

Freund sei und er, Peter, sich bei ihm für sie einsetzen wolle und <strong>der</strong> Zar sie wie<strong>der</strong><br />

aufnehmen würde.<br />

Als Peter, nachdem er die Kunst des Schiffsbaus erlernt hatte, sich zur Heimreise<br />

aufmachte, schlössen sich ihm diejenigen an, die seinen Worten Glauben schenkten.<br />

Als er sein Land betrat, verbeugte sich je<strong>der</strong>mann vor ihm und bezeugte ihm seine<br />

Ehrerbietung. Das bestärkte seine Begleiter in <strong>der</strong> Hoffnung, daß er den Zaren<br />

umstimmen könnte und dieser ihnen gestatten würde, in Rußland zu bleiben. Als sie<br />

die Hauptstadt erreichten, verließ Peter seine Begleiter und bat sie, den Zaren<br />

aufzusuchen. Von Staunen ergriffen waren sie, als sie Peter selbst auf dem Thron<br />

sitzen sahen, hatten sie doch geglaubt, er sei ein Arbeiter wie sie. Keinen Augenblick<br />

hatten sie geahnt, daß er <strong>der</strong> Herrscher war. Nun waren sie dankbar, daß er sie<br />

unter dem Vorwand, einer von ihnen zu sein, nach Hause zurückgebracht hatte.


Der Meister spielt eine ähnliche Rolle. Um die Menschen in ihre ursprüngliche<br />

Heimat zurückzuführen, nimmt er Menschengestalt an. Nach außen hin ist er<br />

Gefangener unter Gefangenen, in Wahrheit aber ist er <strong>der</strong> König aller Regionen und<br />

Universen und keineswegs ein Gefangener. Zwar scheint er Gefangener zu sein, er<br />

kommt aber, um die Gefangenen zu erlösen und sie von <strong>der</strong> Knechtschaft zu<br />

befreien.<br />

Soll eine Amsel sprechen lernen, setzt man sie vor einen Spiegel, hinter dem sich<br />

jemand verbirgt und spricht. <strong>Die</strong> Amsel hält nun ihr Spiegelbild für einen<br />

Artgenossen, <strong>der</strong> spricht. Ganz ähnlich verbirgt sich auch <strong>der</strong> Herr im Gewand eines<br />

Heiligen und spricht durch ihn. Der Herr ist unbeschreiblich und wun<strong>der</strong>bar. Um sich<br />

den Menschen kundzutun, muß Er Menschengestalt annehmen. Wie sollte er sich<br />

ohne Körper den Menschen mitteilen können?<br />

Kabir sagt: Gott spricht mit Hilfe des Körpers zu uns, weil es ohne diesen nicht<br />

geht. Wie will man jemanden ohne Merkmale erkennen, wenn er nicht eine Gestalt<br />

wie die unsrige annimmt?<br />

Durch die äußeren Merkmale bedingt, gehört <strong>der</strong> Meister einem bestimmten Land<br />

an, aber von <strong>der</strong> Knechtschaft des Körpers ist er frei. Er kann sich nach Belieben in<br />

die höheren Regionen erheben. Er ist Meister und die Offenbarung des<br />

Klangstromes. Er ist für alle da. Er ist eins mit dem Herrn, er ist allgegenwärtig und<br />

immer bei dem Schüler, um ihm zu helfen. Im Innern offenbart er sich dem Schüler.<br />

Ein vollkommener Guru zeigt nicht all seine Macht und Fähigkeiten am ersten Tag.<br />

Je fortgeschrittener <strong>der</strong> Schüler ist, desto mehr offenbart sich ihm <strong>der</strong> Meister.<br />

Zunächst erscheint er nur als älterer Herr, doch nach und nach zeigt er sich als<br />

vollkommener Meister. Dabei bleibt es aber nicht. Er läßt den Schüler erkennen, daß<br />

er in Gott eingegangen ist und daß zwischen ihm und dem Herrn kein Unterschied<br />

besteht. In <strong>der</strong> Bibel weist Johannes folgen<strong>der</strong>maßen auf die Strahlengestalt des<br />

Meisters hin:<br />

"Ich war im Geist am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie<br />

eine Posaune.<br />

Und ich wandte mich um nach <strong>der</strong> Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich<br />

umdrehte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den sieben<br />

Leuchtern einen, <strong>der</strong> war eines Menschen Sohne gleich, <strong>der</strong> war angetan mit<br />

einem langen Gewand und begürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel.<br />

Sein Haupt aber und sein Haar waren weiß wie Wolle, weiß wie <strong>der</strong> Schnee, und<br />

seine Augen wie eine Feuerflamme. Und seine Füße gleich Messing, das im Ofen<br />

glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen.<br />

Danach schaute ich, und siehe, eine Tür ward aufgetan im Himmel, und die erste<br />

Stimme, die ich gehört hatte, mit mir reden wie eine Posaune, die sprach: Steig<br />

hierherauf, ich will dir zeigen, was in Zukunft getan werden soll."<br />

Offenbarung<br />

Der vollkommene Meister ist <strong>der</strong> Shabd, die Göttliche Musik. Und zwischen dem<br />

Höchsten Herrn und dem Shabd besteht kein Unterschied. Der Shabd ist ein<br />

Bewußtseinsstrom jener gewaltigen Kraft, die das Universum erschaffen hat und die<br />

es ganz durchdringt. Das Universum hat seinen Ursprung in diesem Shabd.


"Wisse, <strong>der</strong> Shabd ist <strong>der</strong> Guru. Dein Guru wird es dir offenbaren.<br />

Werde <strong>der</strong> geliebte Schüler. <strong>Die</strong> Seele wird <strong>der</strong> Melodie folgen."<br />

Adi Granth<br />

Nur <strong>der</strong> ist ein Heiliger o<strong>der</strong> vollkommener Meister, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e einweihen kann.<br />

Der Shabd ist eine Erscheinungsform des Höchsten Herrn, er wird den Heiligen o<strong>der</strong><br />

vollkommenen Meistern enthüllt. Sie unterscheiden sich nicht vom Herrn.<br />

"Ich kämpfte in den Wogen des Körpers, und mir wurde ein wun<strong>der</strong>barer Anblick<br />

zuteil: Der Herr ist <strong>der</strong> Guru und <strong>der</strong> Guru <strong>der</strong> Herr. O Nanak, zwischen beiden<br />

besteht kein Unterschied."<br />

Adi Granth<br />

"In ihren jeweiligen Bereichen sind alle bedeutende Heilige.<br />

Wer aber den Shabd erfahren hat, <strong>der</strong> übertrifft alle.<br />

Es gibt mehrere Gurus und ihre Methoden sind verschieden.<br />

Verehre nur den Guru, <strong>der</strong> dich mit dem Shabd verbindet."<br />

Kabir<br />

In dem Buch Sar Bachan wird <strong>der</strong> vollkommene Meister, <strong>der</strong> Guru, so beschrieben:<br />

"Nur <strong>der</strong> ist ein wahrer Guru, <strong>der</strong> den Shabd liebt. Wer den Shabd nicht kennt,<br />

ist kein vollkommener Guru. Wer dem Shabd lauscht, Ist ein vollkommener Guru.<br />

Verneige dich vor diesem Guru, werde zum Staub seiner Füße."<br />

Der vollkommene Meister, <strong>der</strong> Sat Guru, ist <strong>der</strong> wahre Heilkundige, denn er hat<br />

das lebensspendende Heilmittel: das WORT o<strong>der</strong> den Shabd.<br />

Je<strong>der</strong> Mensch begeht Fehler. Es gehört zu seiner Natur. Der Meister jedoch ist nur<br />

nach außen hin Mensch, im Innern ist er eins mit dem Herrn und ist, wie Er, frei von<br />

Fehlern.<br />

<strong>Die</strong> Bezeichnung Guru bezieht sich nicht auf den Menschen, er ist vielmehr eine<br />

Macht, die für eine bestimmte Zeit einen Körper angenommen hat. Der Guru ist<br />

unser wahres Vorbild, und durch ihn machen wir wahren spirituellen Fortschritt. Er<br />

strahlt - ähnlich einer elektrischen Glühbirne - eine Fülle von Licht aus. In seinem<br />

Licht kommen Gedanken über die Beschaffenheit <strong>der</strong> Glühbirne überhaupt nicht auf.<br />

<strong>Die</strong> nach Spiritualität Suchenden opfern sich, wie Motten, diesem göttlichen Licht.<br />

Der Meister ist kein Geschöpf dieser Welt und ist an seinen Körper nicht gebunden.<br />

Er erhebt sich über alle nie<strong>der</strong>en Welten und Regionen, über den Verstand und das<br />

Denken.<br />

Er lebt in den spirituellen Regionen und geht dort ein und aus. In seiner<br />

Barmherzigkeit gewährt er Tausenden von Menschen die innere Schau, damit sie<br />

diese Regionen durchqueren können.<br />

Der lebende Meister ist eins mit dem Herrn und Seine wahre Offenbarung in dieser<br />

Welt. Ihm wurde die Pflicht auferlegt, die Erlösung <strong>der</strong> Geschöpfe <strong>der</strong> Welt in die<br />

Wege zu leiten. Er ist <strong>der</strong> Quell <strong>der</strong> Liebe und verkörpert Glückseligkeit und Frieden.<br />

Nur ein Mensch kann einem an<strong>der</strong>en Menschen den Weg weisen. Das ist eine<br />

natürliche Gesetzmäßigkeit. <strong>Die</strong>sem Gesetz zufolge nimmt <strong>der</strong> Meister Menschengestalt<br />

an, damit er die Menschen überzeugt und durch seine Kraft mit dem Herrn<br />

vereint. In die Glückseligkeit <strong>der</strong> innersten und höchsten Regionen des Lichts und<br />

des Lebens kann er je<strong>der</strong>zeit ganz nach Belieben eingehen.


"Machtvoll ist die Hand des Meisters,<br />

Nicht weniger mächtig als die des Herrn.<br />

Seine Hand ist die Macht Gottes.<br />

Ihrer Größe sollte man vertrauen,<br />

Denn sie reicht bis zum höchsten Himmel.<br />

In ihr fließt <strong>der</strong> ewige Strom.<br />

Gott ist in Seiner Größe und Herrlichkeit<br />

ohnegleichen.<br />

Gott hat eine Sonne im Menschen verborgen.<br />

Erkenne den Meister so, wie er ist."<br />

Maulana Rumi<br />

Der Höchste Herr kommt zu uns in <strong>der</strong> Gestalt eines Meisters. Er kennt unsere<br />

Leiden, er hat Mitleid mit uns und liebt uns. Wo aber ist Gott? Wir können Ihn nur<br />

durch die strahlende und herrliche Gestalt des Meisters sehen - sonst nicht. Wir<br />

können Gott erst schauen, wenn wir die Regionen des reinen Bewußtseins erreichen,<br />

in die <strong>der</strong> Verstand, die Sinne und das Denken nicht gelangen können. In dieser Welt<br />

ist Gott für uns lediglich ein Begriff; wir klammern uns nur an eine Vorstellung von<br />

Ihm. Aber im Meister wird Er uns vor Augen geführt, denn <strong>der</strong> Meister lebt unter<br />

uns, und wir können ihn sehen.<br />

Im physischen Universum sind die Heiligen die Erlöser <strong>der</strong> Menschen. Der lebende<br />

Meister ist die Hoffnung und das Licht <strong>der</strong> Welt, <strong>der</strong> Retter <strong>der</strong> Menschheit. Durch die<br />

Gnade des Shabds unterliegt <strong>der</strong> vollkommene Meister keiner Begrenzung und<br />

Bindung. Er entreißt die Seele dem stürmischen Meer von Geburt und Tod und führt<br />

sie zu den unvergänglichen Regionen. Der Meister ist vom Shabd nicht zu<br />

unterscheiden. Nach außen hin hat er einen menschlichen Körper. Wer zu ihm<br />

kommt, den lehrt und überzeugt er. Erreichen wir aber die subtilen Regionen, so<br />

nimmt er eine subtile Form an und begleitet uns in dieser Form. Und wenn wir die<br />

kausale Region erreichen, so nimmt er die kausale Form an und hilft uns in dieser<br />

Gestalt. Er hat alle Stufen des Pfades bis hin zu den höchsten Regionen erklommen<br />

und kann uns auch dort seine Hilfe gewähren. Er ruht nicht eher, bis er uns mit<br />

seiner wahren Gestalt, dem Shabd, vereint hat.<br />

Kapitel 4<br />

DER SCHUTZ DES MEISTERS<br />

Zuflucht beim Meister zu suchen, bedeutet, den eigenen Willen dem Willen des<br />

Meisters unterzuordnen und sich ihm bedingungslos zu unterwerfen. Es ist eine<br />

einfache Art, vom Kreislauf von Geburt und Tod befreit zu werden. Der Schüler sollte<br />

sich so blind auf den Meister verlassen, wie er sich einem Chirurgen anvertraut und<br />

ihm sein Leben ausliefert. Wenn man sich in <strong>der</strong> Wildnis verirrt hat, müde und<br />

zerschlagen ist und den Weg allein nicht mehr finden kann, folgt man auch den<br />

Hinweisen eines Führers. <strong>Die</strong> Aufgabe des Meisters besteht nicht nur darin, den<br />

Schüler zu lehren, son<strong>der</strong>n ihm auch über Schwierigkeiten hinwegzuhelfen. Er allein<br />

ist ein wahrer Freund, <strong>der</strong> nicht nur in Schwierigkeiten Rat weiß, son<strong>der</strong>n uns auch<br />

hilft, sie zu überwinden.


Sich dem Meister zu Füßen zu werfen, bedeutet ganz einfach, ihm zu begegnen<br />

und bei ihm Zuflucht zu suchen. In ähnlicher Weise wird einem oft geraten, sich vor<br />

einem <strong>Die</strong>ner Gottes, einem Heiligen o<strong>der</strong> Meister zu verbeugen, an ihn zu denken<br />

o<strong>der</strong> sich ihm zu opfern.<br />

"Ihr Rat lautet: Verbeuge dich vor dem Meister.<br />

Denn spiritueller Fortschritt<br />

Erfor<strong>der</strong>t unbedingt einen lebenden Guru.<br />

Niemand findet den Herrn ohne einen Meister,<br />

Auch dann nicht,<br />

Wenn er sich Millionenmal bemüht.<br />

Werde zum Staub <strong>der</strong> Füße <strong>der</strong> Heiligen,<br />

Und gib dein Geltungsbedürfnis auf.<br />

Laß alle Klugheit und Schläue beiseite<br />

Und wirf dich dem Meister zu Füßen."<br />

Adi Granth<br />

Einen Guru als Vorbild zu haben, dient allein einem spirituellen Zweck und hat<br />

nichts mit Personenkult zu tun. Mit dem Wort Guru ist nicht nur <strong>der</strong> Meister in seiner<br />

Menschengestalt gemeint, son<strong>der</strong>n auch seine Shabdform. Der Menschenleib gleicht<br />

einem Gewand, das <strong>der</strong> Schüler und auch <strong>der</strong> Meister einmal ablegen müssen.<br />

Gesegnet ist <strong>der</strong> Körper, in dem Er wirkt! Wir achten ihn und sollten ihn verehren. Er<br />

wird auch Guru genannt. Wir haben einen Körper, können daher nur von jemandem<br />

unterwiesen werden, <strong>der</strong> auch einen Körper hat. Wer das In-<strong>der</strong>-Gegenwart-eines-<br />

Meisters-Sein als Personenkult bezeichnet, kennt die Wirklichkeit nicht. Aber selbst<br />

wenn diese Kritik <strong>der</strong> Wahrheit entspräche, so wäre es weit besser als Bücher- o<strong>der</strong><br />

Götzenverehrung. Der Mensch ist ein denkendes Wesen und kann nur von<br />

seinesgleichen unterrichtet werden.<br />

Wird jemand in die Familie des Meisters geboren, d.h., sucht jemand beim Meister<br />

Zuflucht, so ist es seine Pflicht als Schüler, dem Pfad zu folgen, wie <strong>der</strong> Meister es<br />

lehrt. Alles, was er auf Verlangen des Meisters tut, ist Hingabe an ihn. Wenn ein<br />

Reisen<strong>der</strong> beim Überqueren eines Flusses auf einer Fähre den Anweisungen des<br />

Fährmanns folgt, gelangt er ans an<strong>der</strong>e Ufer. Er sollte ihm daher ohne Wi<strong>der</strong>spruch<br />

gehorchen. Sein Wohlergehen hängt davon ab.<br />

Der Meister ist in je<strong>der</strong> Hinsicht für seinen Schüler verantwortlich. Daher sollte <strong>der</strong><br />

Schüler alle Gebote des Meisters liebevoll befolgen und sich nicht von seinen eigenen<br />

Launen stören lassen, auch wenn die Anweisungen des Meisters manchmal auf den<br />

ersten Blick etwas merkwürdig erscheinen mögen. Der Meister ist allmächtig. Es<br />

können sich also Situationen ergeben, <strong>der</strong>en Zusammenhänge wir nicht verstehen<br />

können.<br />

Beim Meister Zuflucht zu suchen, bedeutet, ihm volles Vertrauen zu schenken und<br />

sich von ihm führen zu lassen. Seinen Geboten sollte man folgen, ohne sich über<br />

<strong>der</strong>en Angemessenheit o<strong>der</strong> Richtigkeit Gedanken zu machen. Um was <strong>der</strong> Meister<br />

uns auch bittet, es ist immer zu unserem Besten, auch wenn es zunächst nicht<br />

korrekt und nicht för<strong>der</strong>lich erscheinen mag.<br />

Es ist unbedingt notwendig, dem Meister in Worten, Taten und Gedanken zu<br />

gehorchen und entsprechend seinem Willen zu handeln. Davon hängt die Erlösung<br />

des Schülers ab. Es mag sein, daß je<strong>der</strong> den Meister sieht, es ist aber unbedingt<br />

erfor<strong>der</strong>lich, daß wir seinen Worten folgen und uns im Shabd - seinem Geschenk -<br />

üben.


"Je<strong>der</strong> kann zum Meister gehen. Das führt aber nicht zur Erlösung,<br />

wenn man den Shabd nicht übt."<br />

Adi Granth<br />

Das Meditieren ist einfacher als die bedingungslose Hingabe an den Meister. Wenn<br />

wir beim Meister Zuflucht suchen, müssen wir werden wie die Kin<strong>der</strong>. Der eigene<br />

Wille muß weichen und dem Willen des Meisters Platz machen. In Gedanken, Worten<br />

und Taten müssen wir uns dem Meister hingeben. Das ist sehr schwer. Wenn wir<br />

aber das Glück haben, unter seinen Schutz zu gelangen, dann werden uns alle<br />

Wünsche erfüllt,und wir werden eins mit dem Meister.<br />

In dem Maße, wie wir die Worte des Meisters in die Tat umsetzen, werden sie<br />

fruchten.<br />

"Der Meister ist immer barmherzig.<br />

Wir bekommen nur das, was wir verdienen.<br />

Er sorgt mit <strong>der</strong>selben Güte für alle.<br />

Und wir empfangen seine Gnade in dem Maße,<br />

Wie wir ihn lieben."<br />

Adi Granth<br />

Wenn <strong>der</strong> Schüler sich dem Meister endgültig unterworfen hat, sorgt <strong>der</strong> Meister in<br />

je<strong>der</strong> Hinsicht für ihn. Wie eine Mutter ihr Kind umsorgt, so nimmt sich <strong>der</strong> Meister<br />

seiner Schüler an. Wenn <strong>der</strong> Schüler geläutert ist, gibt ihm <strong>der</strong> Meister geistigen<br />

Reichtum.<br />

Das Kind im Schoße <strong>der</strong> Mutter braucht sich nicht zu sorgen, es ist glücklich, denn<br />

seine Sorgen trägt die Mutter. So wird auch <strong>der</strong> Schüler sorglos und froh, wenn er<br />

beim Meister Zuflucht gefunden hat.<br />

<strong>Die</strong> Beziehung zwischen dem Schüler und dem Meister ist schwer zu verstehen; mit<br />

Worten kann sie nur unzureichend beschrieben werden. <strong>Die</strong> Heiligen versuchen<br />

jedoch, sie uns so gut es geht verständlich zu machen. Sie sagen, daß alle irdischen<br />

Beziehungen dem Eigennutz dienen. <strong>Die</strong> Beziehung zwischen Meister und Schüler<br />

jedoch ist rein, selbstlos. Das können wir ein wenig verstehen, wenn wir sie mit <strong>der</strong><br />

Mutter-Kind-Beziehung vergleichen. Eine Mutter sorgt sehr aufopfernd für ihr<br />

neugeborenes Kind. Sie teilt seine Freuden und Schmerzen. Das Kind ist<br />

unvermögend und kann z. B. zwischen sauber und schmutzig noch nicht<br />

unterscheiden. Weint es, so ist die Mutter besorgt und versucht alles, das Unbehagen<br />

zu beheben, auch wenn sie dabei die Nacht ohne Schlaf verbringt. Ist das Kind froh<br />

und lacht, dann ist auch die Mutter glücklich.<br />

Ein kleines Kind kann noch nicht sprechen und weiß nichts von seinem Elternhaus.<br />

<strong>Die</strong> Mutter schaut das Kind an und das Kind die Mutter. Sie plau<strong>der</strong>t mit ihm und<br />

bringt ihm das Sprechen bei. Sie kümmert sich um alles, sie achtet darauf, daß es die<br />

Hand nicht ins Feuer steckt, sie füttert es und säubert es. So erzieht sie das Kind<br />

behutsam, bis es erwachsen ist.<br />

Auch <strong>der</strong> Schüler ist, wenn er in die Familie des Meisters "hineingeboren" wird, auf<br />

spirituellem Gebiet unwissend. Seine Gedanken und Neigungen sind immer mit<br />

nie<strong>der</strong>en Wünschen verbunden. Der Meister aber bringt die Gedanken und Sinne des<br />

Schülers zum Schweigen und läutert ihn. Spiritueller Fortschritt ist erst möglich,<br />

wenn wir Verstand und Sinne beherrschen und sie zur Ruhe bringen. Während <strong>der</strong><br />

Meister dem Schüler gnadenvoll .hilft, seinen Verstand zu zähmen, lehrt er ihn<br />

gleichzeitig, die "ungesprochene Sprache" zu verstehen und zu sprechen. Behutsam


lenkt <strong>der</strong> Meister beständig den Fortschritt seines Schülers. Er unternimmt alles,<br />

damit er vollkommen rein wird - makellos und fehlerfrei.<br />

"Ich habe keinen Freund außer Dir, o Herr!<br />

Der Meister ist meine Zuflucht; dort finde ich den Herrn.<br />

O Mitreisen<strong>der</strong>, dem Handel mit nichtigen, weltlichen Dingen verschrieben,<br />

Komm und suche einen Meister und erwirb Schätze, die unvergänglich sind."<br />

Adi Granth<br />

<strong>Die</strong>ses Universum ist ein Ozean. Der Meister ist ein Schiff und auch <strong>der</strong> Kapitän.<br />

Niemand kann den Ozean ohne den Meister überqueren. Nur durch seine Gnade<br />

können wir dem Herrn begegnen. Niemand findet Erlösung ohne sie.<br />

"Der Guru ist das Schiff, <strong>der</strong> Guru ist <strong>der</strong> Kapitän. Ohne Guru gelangt niemand<br />

ans an<strong>der</strong>e Ufer. Durch seine Gnade begegnen wir dem Herrn. Ohne Guru kann<br />

niemand Erlösung erlangen."<br />

"Vom Meister bekam ich das unvergleichliche Geschenk,<br />

Er pflanzte den Namen des Herrn in mein Herz.<br />

Wenn <strong>der</strong> Barmherzige gütig ist,<br />

Gewährt Er uns beim Meister Schutz."<br />

Adi Granth<br />

Maulana Rumi rät, zu einem Menschen zu gehen, <strong>der</strong> unser Herz kennt, unsere<br />

Nöte und Leiden versteht, unsere Trauer teilt und sie beseitigen kann. Wir sollten im<br />

Schatten des Baumes sitzen, <strong>der</strong> frische Blüten und Früchte trägt, die Geist und Herz<br />

erquicken und von dem wir die Frucht des spirituellen Lebens erhalten. Nicht wie<br />

Landstreicher sollten wir die Wege <strong>der</strong> Welt ziellos durchwan<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n uns dort<br />

nie<strong>der</strong>lassen, wo wir den Nektar des Herrn kosten können. <strong>Die</strong>sen Nektar hüten die<br />

Meister, und sie können diesen Schatz mit jedem teilen. Sie haben die Vollmacht des<br />

Herrn, und durch sie teilt <strong>der</strong> Herr Seinen Reichtum aus.<br />

"Wenn Gott gütig ist, so ist das gut.<br />

Ist er es nicht, so macht es nichts.<br />

Wenn aber <strong>der</strong> Meister nicht gnädig und gütig ist,<br />

So gehe ich zugrunde."<br />

"Rama gäbe ich auf, aber nicht den Meister.<br />

Gott betrachte ich dem Meister nicht ebenbürtig.<br />

Gott sandte mich in diese Welt,<br />

Aber <strong>der</strong> Meister befreite mich von Leben und Tod.<br />

Gott hetzte fünf Räuber auf mich,<br />

aber <strong>der</strong> Meister rettete meine einsame Seele.<br />

Gott verstrickte mich in Familienbande,<br />

aber <strong>der</strong> Meister löste alle Fesseln.<br />

Gott ließ mich durch Krankheit und Leiden gehen,<br />

aber <strong>der</strong> Meister machte mich zum Yogi und befreite mich davon.<br />

Gott ließ mich Verdienstvolles tun,<br />

aber <strong>der</strong> Meister zeigte mir mein wahres Selbst.<br />

Gott verbarg sich vor mir,


aber <strong>der</strong> Meister gab mir ein Licht und zeigte mir Gott.<br />

Gott ließ mich gefangennehmen und befreien,<br />

Aber <strong>der</strong> Meister nahm mir alle Zweifel.<br />

Ich bringe mich Charandas zum Opfer dar.<br />

Gott werde ich aufgeben, nicht aber den Meister."<br />

Sahjo Bai<br />

<strong>Die</strong> Liebe zum Meister und was sie bewirkt<br />

Wie kann man für das erhabene Geschenk <strong>der</strong> Liebe zum Herrn empfänglich<br />

werden? <strong>Die</strong>ses Geschenk wird nur dem gewährt, <strong>der</strong> die Gebote des Meisters<br />

befolgt, nur <strong>der</strong> kann es empfangen, <strong>der</strong> reinen Herzens ist und dem <strong>der</strong> Herr<br />

beson<strong>der</strong>e Gnade schenkt.<br />

Den Herrn haben wir noch nicht gesehen und wissen nicht, wie man Ihn lieben<br />

kann. <strong>Die</strong> Offenbarung <strong>der</strong> göttlichen Liebe aber ist <strong>der</strong> Meister. Den Meister lieben,<br />

bedeutet, die eigene Identität ganz in den Meister zu verlieren und dabei in den<br />

Herrn einzugehen.<br />

Der Geliebte ist es, <strong>der</strong> uns zu Liebenden macht. Seine Anziehungskraft im Innern<br />

bringt diese Liebe hervor, und seine Gnade hält sie lebendig. Ohne ihn wäre sie<br />

sinnlos. Für den Liebenden soll <strong>der</strong> Geliebte immer <strong>der</strong> König aller Könige sein.<br />

Gewährt <strong>der</strong> Geliebte <strong>der</strong> Hartnäckigkeit des Liebenden Erfüllung, so ist es seine<br />

Gnade. Seine Erhabenheit wird dadurch keineswegs geringer. Seine Gebote sind die<br />

eines Königs, und sie sind die Gebote Gottes. Man sollte ihnen immer gehorsam sein.<br />

Niemals sollten auf Dünkel, Selbstüberheblichkeit o<strong>der</strong> Stärke beruhende geringschätzige<br />

Worte geäußert werden. Und niemals sollten wir uns als auf gleicher Stufe<br />

stehend betrachten und respektlos werden.<br />

Heilige sind die gewaltig aufsteigenden Wogen des Meeres <strong>der</strong> göttlichen Liebe,<br />

und sie sind das Leuchtfeuer für unseren Lebensweg in dieser Welt. Christus, Guru<br />

Nanak, Guru Amar Das, Guru Ram Das, Kabir, Swami Ji, Ram Krishna, Shamas-i-<br />

Tabriz, Hafiz und viele an<strong>der</strong>e Heilige prägten ihre Spuren in den Treibsand <strong>der</strong> Zeit,<br />

um uns den Weg zu zeigen. Ihr Leben war ein Meer <strong>der</strong> Liebe. Wenn wir ihre<br />

Schriften lesen, erhebt sich die Sehnsucht nach Spiritualität in uns. Vor allem aber<br />

müssen wir einen lebenden Meister finden, <strong>der</strong> die Offenbarung Gottes ist, damit er<br />

uns führen kann und wir den Nektar <strong>der</strong> Liebe in uns selbst finden.<br />

Gott ist unendlich. Er hat we<strong>der</strong> Gestalt noch Namen. Ihm sind keine Grenzen<br />

gesetzt, und Er hat keine Merkmale. Wir aber haben eine Menschengestalt, und das<br />

Herz eines Liebenden wünscht selbstverständlich, daß <strong>der</strong> Geliebte in ähnlicher<br />

Gestalt vor ihm erscheinen möge, damit er ihn anschauen kann. <strong>Die</strong> Augen des<br />

Liebenden sehnen sich danach, den Geliebten zu betrachten, die Hände möchten ihn<br />

berühren, die Ohren seine liebe Stimme hören. Er möchte den Geliebten umarmen.<br />

Er möchte seiner Liebe Ausdruck verleihen und wünscht sich deshalb das Spirituelle<br />

in irdischer Form.<br />

Wir lieben die Heiligen, weil sie mit <strong>der</strong> göttlichen Liebe eins geworden sind. Wenn<br />

wir ihnen begegnen o<strong>der</strong> bei ihnen sind, dann sind wir dem Herrn begegnet und sind<br />

in Seiner Gegenwart. Jesus sagte: "Wer mich gesehen hat, <strong>der</strong> hat den Vater<br />

gesehen."<br />

<strong>Die</strong> Heiligen sind ein Meer <strong>der</strong> Liebe, weil sie bereits mit dem Herrn eins sind, und<br />

Er ist die Liebe. <strong>Die</strong> Ströme <strong>der</strong> Liebe, die von den Heiligen ausgehen, strahlen bis in<br />

die kleinsten Winkel <strong>der</strong> Welt und verwandeln sie. Wenn diese Ströme ins Herz


dringen, dann entsteht <strong>der</strong> Wunsch, dem Herrn zu begegnen.<br />

<strong>Die</strong> Heiligen lehren immer nur die Liebe, weil die Liebe und Gott eins sind. Er ist<br />

die Liebe, und Sein Wi<strong>der</strong>schein ist die Liebe. <strong>Die</strong> Heiligen unterscheiden sich von<br />

an<strong>der</strong>en Menschen nur durch die Tiefe ihrer Liebe. Sie sind die Liebe in Person und<br />

verschenken sie an an<strong>der</strong>e. Sie lieben gute und schlechte Menschen gleichermaßen,<br />

ihre Liebe ist von <strong>der</strong> höchsten Art. <strong>Die</strong> Liebe ist wahre Religion und wahrer Wegbereiter.<br />

Durch die Liebe zum Meister prägt sich die Liebe zum Herrn in uns ein, und unser<br />

Herz wird von einer Sehnsucht ergriffen, Ihm zu begegnen. Das erfüllt uns mit<br />

innerer Zufriedenheit, und gleichzeitig gewinnen wir die Herrschaft über den<br />

Verstand, indem wir ihn mit dem Wie<strong>der</strong>holen Seines Namens beschäftigen. Guru<br />

Arjan betont:<br />

"Ohne den Meister können wir die Liebe nicht erringen. Vergiß nicht, daß Gott<br />

die Liebe ist und daß Er sich im Meister offenbart. Und es ist <strong>der</strong> Meister, <strong>der</strong> uns<br />

den Herrn finden läßt."<br />

Der Mensch hat wahres Glück, dessen Herz <strong>der</strong> Herr mit Liebe zum Meister erfüllt,<br />

denn durch die Liebe zum Meister lernen wir, den Herrn zu lieben. <strong>Die</strong> Liebe zum Sat<br />

Guru um seiner selbst willen ist besser als jede an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong> Liebe, weil seine innere<br />

Herrlichkeit nie vergeht. <strong>Die</strong> Herrlichkeit des Herrn ist immerwährend, und Er<br />

zeigt sich im Sat Guru. Daher ist die Liebe zum Meister frei von allem Makel. Um aber<br />

den Herrn und den Meister lieben zu können, muß erst die wahre Sehnsucht<br />

erwachen.<br />

Solange <strong>der</strong> Mensch noch den Sinnesfreuden frönt, stellt sich bei ihm die wahre<br />

Sehnsucht nach dem Herrn nicht ein. <strong>Die</strong> Heiligen lehren uns daher, daß wir uns<br />

davor hüten müssen, sinnlicher Liebe Ausdruck zu verleihen. Sie legen uns ans Herz,<br />

unserem Satguru und nicht irdischen Erscheinungsformen unsere Liebe zu schenken,<br />

denn <strong>der</strong> Meister ist frei von aller unreinen Erdenlast. Lieben wir ihn, so werden wir<br />

nicht in die Welt verstrickt. Und diese Liebe zum Meister ist erfor<strong>der</strong>lich, weil sie uns<br />

an den Herrn denken läßt.<br />

<strong>Die</strong>se Stufe bezeichnen die Heiligen als das Eingehen in den Satguru. Da <strong>der</strong><br />

Satguru eins mit dem Herrn ist, steigt <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> mit dem Satguru vereint wird,<br />

von selbst zur nächsten Stufe auf und geht in den Herrn ein. So erlangt <strong>der</strong> Mensch<br />

Gotterkenntnis.<br />

<strong>Die</strong> Nähe Gottes erreicht und spürt man auf zweierlei Art: innerlich und äußerlich.<br />

Äußerlich spüren wir sie, wenn wir die Gemeinschaft mit Heiligen pflegen, innerlich<br />

aber nur, wenn die Herzen miteinan<strong>der</strong> verbunden sind. Damit <strong>der</strong> Weg zur<br />

Begegnung bei<strong>der</strong> Herzen geebnet wird, müssen wir uns die höchste Form <strong>der</strong> Liebe<br />

ganz zu eigen machen. Haben dann Liebe und Zuneigung unser Herz gänzlich<br />

eingenommen, fällt uns die innere Betrachtung des Geliebten leicht, weil im Herzen<br />

eines Liebenden das Bild des Geliebten stets und ständig gegenwärtig ist.<br />

Sich mit <strong>der</strong> Liebe zum Meister großzutun, ist keine Kunst, aber ein wahrer<br />

Lieben<strong>der</strong> zu sein, ist äußerst schwer. Der Schüler sollte die Liebe zu seinem Meister<br />

allmählich wachsen lassen; dann wird sie eines Tages in einen wahren<br />

Freudentaumel übergehen, und die Gestalt des Meisters wird sich dem Schüler tief<br />

einprägen. Ohne Dhyan können die Bande <strong>der</strong> Liebe zum Meister nicht stark werden,<br />

und dem Schüler wird es nicht gelingen, seine Aufmerksamkeit für längere Zeit auf<br />

die Gestalt des Meisters zu fixieren. Wer Gott liebt, wird daher Seinen Namen<br />

wie<strong>der</strong>holen und die Gestalt des Meisters im Innern betrachten. So wird sich die


innere und die äußere Betrachtung vorteilhaft für ihn auswirken.<br />

Der Meister ist ein Lieben<strong>der</strong> Gottes. In ihm sind grenzenlose Ströme <strong>der</strong> wahren<br />

Liebe, ja er ist die Verkörperung dieser Liebe. Wer ihn liebt, hat die wichtigste Quelle<br />

zur Entfaltung seiner eigenen Liebe zu Gott gefunden, da <strong>der</strong> Meister die<br />

Offenbarung Gottes ist und Gott über alles liebt. Sein Antlitz spiegelt den Glanz und<br />

die Kraft Gottes wi<strong>der</strong>. Schaut man den Meister an, so wachsen im Herzen Liebe und<br />

Sehnsucht zum Herrn. Wenn wir den Meister lieben, lieben wir auch Gott, denn wenn<br />

wir den Meister lieben, denken wir beständig an Gott.<br />

Manchmal erscheint uns <strong>der</strong> Meister gleichgültig. Damit - und mit ähnlichen Mitteln<br />

- will er die Ichsucht und die Überheblichkeit des Schülers beseitigen. Mitunter<br />

offenbart er seine Liebe gegenüber dem Schüler, wodurch er dessen Liebe stärkt,<br />

und die Seele steigt höher hinauf. Kabir sagt:<br />

"Einem wahren Schüler verursacht es we<strong>der</strong> Pein noch Schmerz, wenn <strong>der</strong> Herr<br />

mit ihm unzufrieden ist, denn er hat den Beistand des Meisters. Ist aber <strong>der</strong><br />

Meister nicht zufrieden, so findet <strong>der</strong> Schüler we<strong>der</strong> in dieser noch in <strong>der</strong><br />

nächsten Welt Zuflucht."<br />

Durch die einzigartige magnetische Kraft seiner Liebe zieht <strong>der</strong> Meister den Schüler<br />

an und macht ihn gegenüber irdischen Dingen gleichgültig. <strong>Die</strong>se Anziehungskraft<br />

kennzeichnet den Meister und drückt sich in all seinen Handlungen und Bewegungen<br />

aus. Alles, was vom Meister ausstrahlt - das Leuchten seines anmutigen Antlitzes, die<br />

Falten seiner Stirn, selbst seine Gelassenheit bei tadelnswertem Verhalten des<br />

Ergebenen, <strong>der</strong> von ihm ausgehende Glanz, wenn er lächelnd spricht -, all das<br />

bewegt das Herz des Ergebenen tief, und er fühlt sich zu seinem Meister hingezogen.<br />

In dem leuchtenden Antlitz des Meisters strahlt <strong>der</strong> Glanz Gottes wi<strong>der</strong>, und man<br />

erkennt Ihn in seinem Meister.<br />

Immer wenn ein Meister in diese Welt kommt, strömen die nach Wahrheit<br />

Suchenden zu ihm wie Motten, die vom Licht angezogen werden. Wie Bienen<br />

umschwirren sie diese Blüte <strong>der</strong> Spiritualität und erfreuen sich ihres<br />

Wohlgeschmacks. <strong>Die</strong> Trennung können sie auch nicht für einen Augenblick ertragen.<br />

Denn durch die göttliche Kraft des Meisters werden die Seelen zu ihm hingezogen,<br />

und das Feuer unauslöschbarer Liebe und Hingabe wird in ihnen entzündet. Und<br />

durch diese Liebe und Hingabe wird <strong>der</strong> Schüier für die Gnade des Herrn empfänglich<br />

und in seine wahre Heimat zurückgeführt.<br />

Für den Meister ist nur das Innerste des Schülers von Bedeutung und nichts<br />

Äußerliches, seine Religion o<strong>der</strong> Staatsangehörigkeit. Wen <strong>der</strong> Meister für geeignet<br />

hält, den weiht er in den inneren Pfad ein, wen er unvorbereitet findet, den lehnt er<br />

ab. Welchen Prüfstein er dabei verwendet, ist nur ihm bekannt. Aber die Sanskaras<br />

des Schülers (die Auswirkungen vergangenen Karmas) sieht er so deutlich, als lägen<br />

sie unter Glas.<br />

Der Meister übermittelt den Wahrheitssuchenden die Lehre durch seine göttliche<br />

Macht und kann sich ihnen - ob nah o<strong>der</strong> fern - ohne Schrift und Sprache offenbaren.<br />

Wen die Heiligen in ihren Schutz nehmen, <strong>der</strong> ist mit dem Siegel <strong>der</strong> göttlichen<br />

Gnade gekennzeichnet. Er wird vor Kal und dessen strengem Gericht bewahrt und ist<br />

auf seinem Wege aufwärts vor dessen For<strong>der</strong>ungen sicher.<br />

"Der Meister ist <strong>der</strong> 'Stein <strong>der</strong> Weisen'. Nach <strong>der</strong> Begegnung mit ihm verwandelt<br />

sich <strong>der</strong> menschliche Geist - rostigem Eisen gleich - in reines Gold."<br />

Adi Granth


<strong>Die</strong> Meister berichten von vielfältiger Gunst, die uns zuteil wird, wenn wir beim<br />

Meister Zuflucht suchen. So verschwinden Schmerz, Sorge und Elend gänzlich, und<br />

Sinnenlust, Habgier und an<strong>der</strong>e Mängel verlassen uns. Körper und Geist werden rein,<br />

und man findet inneren Frieden. Alle Leiden sind vergessen, und auch die<br />

Todesfurcht ist überwunden. Der Ergebene läßt das Meer des Erdendaseins hinter<br />

sich und lebt in ständiger Hingabe an den Herrn. Der Lotos seines Herzens bricht zur<br />

vollen Blüte auf. Der Schüler erwacht zu neuem Leben. Der Herr ist in seinem<br />

Bewußtsein lebendig und in allem gegenwärtig. Frieden und Glückseligkeit begleiten<br />

ihn, und er erreicht die höchste Region.<br />

Es gibt viele Loblie<strong>der</strong> mit Gebeten, man möge einen Meister finden, um diese<br />

Wohltaten zu empfangen. Der lebende Meister unterliegt nicht den Grenzen des<br />

Körpers, er kann auch die höheren Regionen des Universums betreten. <strong>Die</strong><br />

Betrachtung seiner Strahlengestalt ist <strong>der</strong> zweite Schritt des geistigen Fortschritts.<br />

Wenn die Seele durch das Wie<strong>der</strong>holen <strong>der</strong> Namen in höhere Regionen aufsteigt,<br />

kann sie dort nur durch die Kontemplation (versunkene Betrachtung) <strong>der</strong><br />

Strahlengestalt des Meisters verweilen. Daher betonen die Meister so nachdrücklich,<br />

daß man in seinem Herzen Platz für den Meister machen muß.<br />

"Laß den Meister in deinem Herzen gegenwärtig sein,<br />

dann findet die tiefe Sehnsucht des menschlichen Geistes Erfüllung.<br />

Laß den Meister in deinem Herzen gegenwärtig sein,<br />

dann werden deine Leiden ein Ende finden.<br />

Laß den Meister in deinem Herzen gegenwärtig sein,<br />

versenke dich in ihn und laß das Meer <strong>der</strong> Leidenschaft hinter dir."<br />

Adi Granth<br />

Der Meister ist <strong>der</strong> Heilkundige, <strong>der</strong> uns Sehvermögen gibt. Er wohnt in uns. <strong>Die</strong><br />

Menschheit ist blind und wirkt in <strong>der</strong> Finsternis. Wer aber einem Meister begegnet,<br />

<strong>der</strong> wird den Herrn mit eigenen Augen in seinem Innern sehen.<br />

"Wer sich in sein inneres Selbst versenkt,<br />

Wird das Kleinod erkennen.<br />

Der vollkommene Meister<br />

Schenkt einen einzigen Blick<br />

Und erlöst damit den Schüler.<br />

Der Schüler folgt dem Meister,<br />

Und sein Verstand kommt zur Ruhe.<br />

Der Meister, ein König und wahrer Kenner von Juwelen,<br />

Entdeckt auf einen Blick das Kleinod in uns<br />

Und kauft es los."<br />

Adi Granth<br />

Ein Meister ist die Offenbarung Gottes. Weltliches von ihm zu erflehen, hieße einen<br />

König um Pfennige bitten. Wer den Meister wahrhaft liebt, verlangt nicht einmal<br />

Erlösung o<strong>der</strong> Sat Nam. Er liebt den Meister um <strong>der</strong> Liebe willen und erhält daher<br />

alles, ohne darum zu bitten. Vor allen Dingen verleiht er die höchste Kostbarkeit <strong>der</strong><br />

Liebe, die Frieden, Konzentration, ein Leben voller Glückseligkeit und inneres<br />

Erwachen schenkt. <strong>Die</strong> Hingabe des Liebenden gilt allein dem Herrn.<br />

Allen, die wahrhaft ergeben sind, gewährt <strong>der</strong> vollkommene Meister den Shabd, die


wahre Lebenskraft. Sie ist Teil seines Selbst, und da er ohne Ich ist, wird <strong>der</strong> Shabd<br />

in ihm lebendig. Er hat das Tal des Todes überwunden. Er hat die Lebenskraft des<br />

Herrn, die sich im Klangstrom zeigt, erkannt und verwirklicht, und er kann einem<br />

Schüler neues Leben o<strong>der</strong> spirituelles Erwachen gewähren.<br />

Der Zustand eines wahrhaft Liebenden in <strong>der</strong> Gegenwart des Meisters ist<br />

unbeschreiblich, und <strong>der</strong> Anblick des Meisters (Darshan) läßt das Feuer seiner Liebe<br />

auflo<strong>der</strong>n, so daß er völlig verwandelt erscheint. Schaut man den Meister an, so wird<br />

man ganz von selbst an den Herrn erinnert, und davon ganz durchdrungen steigt die<br />

Seele in höhere Regionen auf und erfährt unbeschreibliche Glückseligkeit.<br />

<strong>Die</strong> inneren Mysterien lassen sich we<strong>der</strong> schriftlich noch mündlich in Worte fassen.<br />

Nur <strong>der</strong> vollkommene Meister <strong>der</strong> jeweiligen Zeit kann sie erläutern. Er begleitet den<br />

Schüler bei seinem spirituellen Aufstieg und führt ihn durch alle schwierigen<br />

Abschnitte seiner Reise hindurch.<br />

Der Meister begleitet die Seele durch alle geistigen Regionen und Reiche. In <strong>der</strong><br />

Region von Brahm nimmt er die Shabdform an und führt die Seele in ihre endgültige<br />

Heimat Sach Khand. Wenn dem ergebenen Schüler die Strahlengestalt im Innern<br />

erscheint, verliert er alle Zweifel; sein <strong>Die</strong>nen findet Billigung, und die Hälfte seiner<br />

Aufgabe ist erfüllt. Von da an hat <strong>der</strong> Ergebene nichts mehr zu tun, denn <strong>der</strong> Strahlengestalt<br />

obliegt es nun, die Seele in ihre endgültige Heimat zurückzuführen.<br />

So wie die Motte zum Licht strebt, so sollte auch <strong>der</strong> Schüler zu seinem Meister<br />

und Gott streben. Im Feuer <strong>der</strong> Liebe zum Herrn sollte er verbrennen, denn ein<br />

solches Opfer bringt nicht den Tod, son<strong>der</strong>n immerwährendes Leben. Liebende, die<br />

in ihrer Liebe zum Meister ihr Selbst ganz vergessen, trinken aus dem Quell des<br />

Lebenselixiers und erlangen ewige Glückseligkeit.<br />

Nicht nur <strong>der</strong> Liebende erträgt Leiden;<br />

Der Geliebte leidet weitaus mehr um des Liebenden willen.<br />

<strong>Die</strong> Motte verbrennt nur ein einziges Mal<br />

Und ist von allem Schmerz befreit.<br />

<strong>Die</strong> Flamme aber brennet ewiglich.<br />

Kapitel 5<br />

GÖTTLICHER WILLE UND FREIER WILLE<br />

Tue nur das, was dem Herrn gefällt. Handle also so, daß es Ihm Freude bereitet.<br />

Was Ihm gefällt, sollte auch für uns erstrebenswert sein. "Füge dich in Seinen Willen"<br />

besagt also, daß wir in Seinem Willen glücklich sein sollen. Moslemische Heilige<br />

nennen dies: "Sich Seinem Willen unterwerfen". Wer das tut, wird immer sagen: "O<br />

Herr, was Dir gefällt, ist gut". Ein persischer Heiliger sagt:<br />

"Was nicht nach unserem Wunsch gelang, Es war gut, daß daraus nichts wurde."<br />

Alles, was wir tun, sollte dem Herrn gefallen, damit wir Ihm lieb und teuer<br />

werden. Das geschieht, wenn wir Seinem Willen gemäß handeln.<br />

"Dem Willen des Geliebten beuge ich willig mein Haupt."


Überlegen wir doch einmal, wie wir handeln, wenn wir jemandem eine Freude<br />

machen möchten. Das wichtigste ist, ihm bedingungslos zu gehorchen und seine<br />

Weisungen nicht einmal um Haaresbreite zu übertreten. Nehmen wir zum Beispiel ein<br />

Tier. Ein Hund, <strong>der</strong> die Befehle seines Herrn versteht und sie genau ausführt, findet<br />

Anerkennung bei ihm. Ein gehorsamer Sohn bereitet seinen Eltern Freude und<br />

Genugtuung. Der Ehemann liebt die ergebene Ehefrau, den Herrn erfreut ein<br />

gehorsamer <strong>Die</strong>ner. Ein gesetzestreuer und friedlicher Bürger ist dem Staat<br />

willkommen. <strong>Die</strong>ses Prinzip wird überall angewandt: wollen wir jemanden erfreuen,<br />

so müssen wir seine Gebote ausführen und einverstanden sein mit dem, was er<br />

wünscht. Dann ist man glücklich und lebt in seinem Willen.<br />

Bei <strong>der</strong> Erfüllung unserer Pflichten, bei allem, was wir tun, sollten wir stets bemüht<br />

sein, den Herrn zu erfreuen.<br />

Guru Nanak zählt die verschiedenen Methoden auf, die herkömmlicherweise<br />

angewandt werden, um Gotterkenntnis zu erlangen: Den Herrn können wir mit<br />

Intellekt und Vernunft nicht erreichen, auch nicht durch Askese, Fasten, durch ein<br />

Schweigegelübde usw. We<strong>der</strong> Klugheit noch Schlauheit helfen, Ihn zu finden. Aber<br />

wie sollen wir dann verfahren, damit wir Zugang zu Seinem Tor erlangen und Ihn<br />

schauen können, wenn wir den Schleier <strong>der</strong> Illusionen beseitigt haben? Guru Nanak<br />

sagt: Allein durch gehorsames Sich-in-Seinen-Willen-Fügen können wir den Herrn<br />

erkennen. Das ist das Grundprinzip.<br />

"Von Gott können wir uns kein Bild machen,<br />

So sehr wir auch über Ihn nachdenken.<br />

Und durch endloses Schweigen Erreichen wir Ihn auch nicht.<br />

Zufriedenheit können wir mit allen Schätzen<br />

dieser Welt ebensowenig erwerben.<br />

Unbegrenzte Klugheit führt auch nicht zum Ziel.<br />

Wie also werden wir rein?<br />

Wie wird <strong>der</strong> Schleier <strong>der</strong> Unwahrheit zerrissen?<br />

Nur durch Erfüllung des göttlichen Willens.<br />

So schreibt es unser Schicksal vor, o Nanak."<br />

Adi Granth<br />

Göttliche Fügung, göttliches Gesetz und göttlicher Wille sind drei verschiedene<br />

Aspekte <strong>der</strong> einen Wahrheit: Des Herrn Wille. Gottes Fügung ergibt sich aus Seinem<br />

Willen, also auch Glück und Freude. Durch Seinen Willen wird Sein Gesetz wirksam.<br />

Das göttliche Gesetz ist die wahrnehmbare Form Seiner Fügung. Es ist <strong>der</strong> Shabd,<br />

<strong>der</strong> Name o<strong>der</strong> das WORT.<br />

Wer sich dem Willen Gottes unterwirft, wird eins mit Ihm. <strong>Die</strong>s ist die höchste<br />

Form, Seinen Willen zu lobpreisen.<br />

"Wer sich Deinem Willen unterwirft,<br />

Der wird mit Dir vereint.<br />

Wem Dein Wille Freude bereitet,<br />

Der wird in Dich eingehen.<br />

Herrlich ist's, sich dem Willen Gottes zu beugen,<br />

Doch selten <strong>der</strong> Mensch, <strong>der</strong> dieses vollbringt."<br />

Adi Granth


Der Mensch ersinnt Tausende von Plänen, einige davon verwirklicht er, aber das<br />

Schicksal an seiner Seite lacht ihn aus. Des Menschen Bemühen entspringt dem<br />

Willen des Herrn. Was vermag schon des Menschen Wille gegen den göttlichen<br />

Willen auszurichten? Gar nichts.<br />

"Selbst äußerstes Bemühen dient keinem Zweck.<br />

Es geschieht nur das, was Gott bestimmt."<br />

Wir begegnen einan<strong>der</strong> und trennen uns wie<strong>der</strong>, so wie das Schicksalskarma und<br />

Sein Wille es vorschreiben. Was Er will, geschieht. Niemand kann den Willen des<br />

Höchsten vereiteln.<br />

Als Rabia Basari einmal zwei heilige Männer traf, bat sie diese, ihr etwas über den<br />

Willen des Herrn zu sagen. Der eine sprach: "Allen Schmerz und alles Leid, das <strong>der</strong><br />

Herr zuteilt, sollte man ertragen." "Darin ist Geltungsbedürfnis enthalten",<br />

entgegnete Rabia Basari. Der an<strong>der</strong>e Heilige sprach: "Alles Leid, das <strong>der</strong> Herr uns<br />

schickt, sollten wir freudig ertragen." "Auch darin ist Geltungsbedürfnis zu finden",<br />

sagte sie und fügte hinzu: "Wir sollten zwischen Freude und Leid, das vom Herrn<br />

kommt, gar keinen Unterschied empfinden und beides als Sein Geschenk ansehen."<br />

Ob wir reich sind o<strong>der</strong> arm, gesund o<strong>der</strong> krank, glücklich o<strong>der</strong> unglücklich, alles<br />

sind Seine Wohltaten und ist das Ergebnis unseres eigenen Karmas. Nimm es freudig<br />

an und sei glücklich in Seinem Willen. Versuche so zu handeln, wie vom Meister<br />

angewiesen, und befreie dich dadurch und mit Hilfe Seines Namens von den Fesseln<br />

des Karmas und des Todes. Sein Wille ist Sein größtes Geschenk, es gibt kein<br />

besseres. Nur wenn es Sein Wille ist, werden wir Ihm gehorchen, und nur wenn Sein<br />

Wille es vorsieht, werden wir einem Meister begegnen. Erst wenn Er es will, können<br />

wir <strong>der</strong> Wahrheit würdig werden und ihre Glückseligkeit kosten. Und nur wem es<br />

bestimmt ist, <strong>der</strong> erfährt sie.<br />

"Ich gehorche, da Er es will.<br />

Ich empfange Glückseligkeit, da Er es will.<br />

Er will es, und ich finde einen Meister.<br />

Er will es, und ich versenke mich in die Wahrheit.<br />

Kein Geschenk ist größer als Sein Wille.<br />

Wahrlich, das ist die Wahrheit.<br />

Beim Schöpfer finde ich Zuflucht."<br />

"Wenn Du mir beistehst, o Herr, erreiche ich alles.<br />

Wenn Du in mir verweilst, habe ich Frieden.<br />

Wenn Du in mir wohnst, wird mir Segen zuteil.<br />

Dein Wille macht mich zum König.<br />

Dein Wille läßt mich Bettler werden.<br />

Dein Wille ruft Flüsse in <strong>der</strong> Wüste hervor.<br />

Durch Deinen Willen erblüht das<br />

Himmelszelt in Blütenpracht.<br />

Durch Deinen Willen überqueren wir das Meer des Lebens.<br />

Dein Wille läßt uns im Strom ertrinken.<br />

Durch Deinen Willen lieben wir den Herrn<br />

Und werden so wie Er."<br />

Adi Granth


Erkennen wir Sein Gesetz, so gilt das als Zeichen dafür, daß wir mit dem Herrn<br />

vereint sind. Dann sind wir in allem gleichmütig, sind immer zufrieden und stets<br />

glücklich in Seinem Willen.<br />

"Das ist das Kennzeichen <strong>der</strong> Vereinigung mit Gott:<br />

Man erkennt das göttliche Gesetz. Man lebt gemäß<br />

dem Willen des Herrn und ist stets zufrieden und gelassen."<br />

Adi Granth<br />

Da man dem "Pfeil des Schicksals" nicht entfliehen kann, bleibt dem Menschen<br />

keine an<strong>der</strong>e Wahl, als sein Karma zu schultern. Aus unserer alltäglichen Erfahrung<br />

wissen wir, daß trotz allen Bemühens Erfolg o<strong>der</strong> Mißerfolg nicht in unserer Hand<br />

liegen. Selbstverständlich ist es unsere Pflicht, uns zu bemühen. <strong>Die</strong>sen Rat gab<br />

Krishna auch seinem Schüler Arjuna: Er solle seine Pflicht tun und die Früchte dem<br />

Herrn überlassen, da er auf das Ergebnis seiner Taten keinen Einfluß habe.<br />

Nach einer alten Geschichte heißt es, daß ein Araber eines Tages mit folgenden<br />

Worten zum Propheten Mohammed kam: "O Prophet Gottes, <strong>der</strong> Herr wacht ohne<br />

Unterlaß über uns. Was wäre, wenn ich meinem Kamel nachts die Beine nicht<br />

zusammenbinden und sein Wan<strong>der</strong>n Ihm überlassen würde im Vertrauen auf Seinen<br />

Willen? Wäre das richtig?"<br />

Maulana Rumi faßte die Antwort des Propheten in folgende Worte:<br />

„Mit lauter Stimme erwi<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Prophet: ‚Binde die Beine deines Kamels<br />

zusammen und verlasse dich dann auf Gott.’“<br />

Der Prophet sagte unmißverständlich, daß es des Mannes Pflicht sei, die Beine des<br />

Kamels zusammenzubinden. Tue deine Pflicht. Dann sei zufrieden mit dem, was<br />

Gottes Wille ist, und überlasse Ihm das Ergebnis. Gib dein Bestes und überlasse alles<br />

weitere dem Herrn.<br />

Wer sich bewußt nach dem göttlichen Gesetz o<strong>der</strong> Willen richtet, handelt<br />

entsprechend. Das soll nicht heißen, daß wir müßig herumsitzen und die Hände in<br />

den Schoß legen sollen. Nur <strong>der</strong> ist ein Mensch <strong>der</strong> Tat, <strong>der</strong> handelt.<br />

<strong>Die</strong> Beziehung zwischen Schicksal und eigenem Bemühen ist sehr eng miteinan<strong>der</strong><br />

verknüpft. Ein persisches Sprichwort lautet: "Der Mensch denkt, Gott lenkt."<br />

Bis zu einem gewissen Grade hat <strong>der</strong> Mensch einen freien Willen; darüber hinaus<br />

sind ihm Grenzen gesetzt. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen: Ein Junge läßt<br />

einen Drachen steigen. Von seinem Vater hat er ungefähr 200 Meter Schnur<br />

bekommen. Er kann nun nach Belieben seinen Drachen bis zum Ende <strong>der</strong> Schnur<br />

steigen lassen, aber eben nur bis dahin. So sollten auch wir - gemäß unseren Kräften<br />

- unser Bestes versuchen und alles weitere dem Herrn überlassen. Wir sollten uns<br />

mit Hilfe unserer Intelligenz nach Kräften bemühen und uns dann dem Willen Gottes<br />

beugen und ihn als süß akzeptieren.<br />

"Lebe beständig in ernsthaftem Bemühen.<br />

Gewinne dadurch bleibendes Glück.<br />

Begegne dem Herrn durch Kontemplation.<br />

Und verbanne alle Sorge und Angst."<br />

Adi Granth<br />

<strong>Die</strong> Schriften <strong>der</strong> Gurus befassen sich an vielen Stellen mit dem Willen Gottes und<br />

dem freien Willen des Menschen. Wenn man unter "Gottes Wille" versteht, daß alles,<br />

was geschehen soll, auch geschieht und daß alle Mühe des Menschen ohne Nutzen


ist, weshalb nahmen dann die Gurus immer wie<strong>der</strong> Menschengestalt an, verbreiteten<br />

ihre Lehre, scheuten keine Mühe, Vorträge zu halten und Schriften zu verfassen? <strong>Die</strong><br />

Gurus sagen, daß wir uns sehr wohl bemühen müssen - aber stets im Einklang mit<br />

dem Willen des Herrn.<br />

Der Wille des Meisters ist <strong>der</strong> Wille des Herrn<br />

Gott ist für uns nicht sichtbar, und daher können wir auch Seinen Willen nicht<br />

verstehen. Der Guru aber ist die sichtbar gewordene Erscheinungsform Gottes. Aus<br />

diesem Grund müssen wir so handeln, wie er es wünscht, weil er den Willen Gottes<br />

ausführt.<br />

"<strong>Die</strong> Tugenden, die <strong>der</strong> Herr liebt, lehrt uns <strong>der</strong> Meister.<br />

Unterwirf dich dem Willen des Meisters, und du wirst gesegnet sein.<br />

Ich verehre den Meister."<br />

Adi Granth<br />

Der Wille Gottes ist <strong>der</strong> Wille des Meisters. Wir können den Meister aufsuchen und<br />

bei ihm alles über den Weg <strong>der</strong> Wahrheit erfahren. Wer seinen Willen befolgt, dem<br />

wird die Gnade des Herrn zuteil.<br />

"Er ist gütig zu denen, die den Willen des Meisters befolgen.<br />

Der Herr kennt das Geheimnis ihres Herzens, sie handeln,<br />

wie Er es will."<br />

Adi Granth<br />

Wer nach dem Willen des Meisters handelt, richtet sich gleichermaßen nach dem<br />

Willen des Herrn. Er erntet bald die Früchte, die ein in Gottes Willen geführtes Leben<br />

erbringen.<br />

Der Wille des Herrn enthält Nektar. Da <strong>der</strong> Wille des Gurus ganz vom Willen des<br />

Herrn durchdrungen ist, enthält auch er Nektar. Wenn <strong>der</strong> Ergebene sich in Naam<br />

versenkt, dann kann er, wenn es <strong>der</strong> Herr will, den Nektar trinken. Dann wird er die<br />

Wahrheit erkennen können.<br />

Wenn wir dadurch, daß wir den Anweisungen eines vollkommenen Meisters folgen,<br />

seinen Willen verstehen, werden wir zum "Verwalter" des Willens des Höchsten. All<br />

unser Tun und Lassen geschieht dann im Namen des Herrn. Der Herr wirkt durch<br />

uns, und unser Wille und <strong>der</strong> Wille des Herrn werden eins.<br />

Der Wille und Intellekt des Menschen sind begrenzt und daher schwach,<br />

unzureichend und unvollkommen. Wenn sie aber in den ewigen Willen und die<br />

vollkommene Weisheit des Herrn eingehen, werden auch sie unbegrenzt. Da das<br />

Gesetz <strong>der</strong> Harmonie mit dem Willen des Herrn übereinstimmt, nimmt <strong>der</strong> Mensch<br />

das Echo <strong>der</strong> Göttlichen Musik wahr. Der unzureichende Menschenwille findet dann in<br />

den vollkommenen göttlichen Willen zurück und wird Ihm gleich. Er beginnt, Gottes<br />

Willen wahrhaftig zu verstehen und ihm zu folgen. Er muß nicht mehr im dunkeln<br />

tappen, son<strong>der</strong>n bekommt nun einen klaren Einblick und ist von aller Verblendung<br />

befreit.<br />

<strong>Die</strong> göttlichen Tugenden, die <strong>der</strong> Herr liebt, erkennt und erlangt man durch den<br />

Meister. Zwischen Gott und dem vollkommenen Meister besteht kein Unterschied,<br />

und <strong>der</strong> Meister führt ergeben den Willen Gottes aus.


"Nur <strong>der</strong> ist dem Meister ergeben,<br />

Der zufrieden ist im Willen des Herrn.<br />

In ihm klingt die ungespielte Melodie <strong>der</strong> Seligkeit.<br />

Und ihn schließt <strong>der</strong> Höchste Selbst in die Arme."<br />

Adi Granth<br />

Der Meister ist Gottes Wille, <strong>der</strong> Menschengestalt bzw. einen Körper angenommen<br />

hat. Wenn wir den Willen des Meisters befolgen, erkennen wir den Willen des Herrn.<br />

<strong>Die</strong>se Einsicht aber kann uns nur ein vollkommener Meister gewähren.<br />

"O Herr, laß mich immer in Deinem Willen leben.<br />

Segne mich mit <strong>der</strong> Herrlichkeit Deines Namens.<br />

Der vollkommene Meister läßt uns Deinen Willen erkennen,<br />

und wir erreichen inneres Gleichgewicht."<br />

Adi Granth<br />

In vielen Religionsschriften wird auf diese Dinge hingewiesen. Darüber sollten wir<br />

uns einmal in <strong>der</strong> Gegenwart des Meisters (einer verwirklichten Seele) Gedanken<br />

machen. Der wichtigste Schritt besteht darin, daß wir bei einem vollkommenen<br />

Meister Zuflucht suchen und dem Pfad, den er vorschreibt, ohne Zögern folgen.<br />

Seine Worte sind die Worte Gottes, und seine Gebote sind die Gebote Gottes.<br />

Wer dem Meister dient und in seinem Licht aufgeht, wird am Tor des Herrn<br />

angenommen. Wer den Willen des Herrn tief in sein Bewußtsein einprägt, ist wie Er.<br />

Er nimmt Sein Wesen an. Darüber gibt es keinen Zweifel.<br />

"Wer einem wahren Meister dient, findet die Anerkennung des Herrn.<br />

Sein Licht geht in <strong>der</strong> Flamme auf. Der allein dient Gott,<br />

Der sich Seinem Willen unterwirft."<br />

Adi Granth<br />

Wer im Willen des Herrn lebt, ist sehr glücklich zu preisen. Das Boot von NAAM ist<br />

ihm leicht zugänglich.<br />

"Der Meister ist <strong>der</strong> Lotse, <strong>der</strong> Name des Herrn das Boot.<br />

Wie gelangt man in das Boot?<br />

Indem man sich dem Willen des Meisters ergibt, wird man übergesetzt.<br />

Wahrhaft gesegnet ist, wen <strong>der</strong> Meister mit Gott vereint."<br />

Adi Granth<br />

Shamas-i-Tabriz bezieht sich mit folgenden Worten sehr treffend auf die Beziehung<br />

zwischen dem Schüler und dem Willen seines Meisters: "Ich fragte meinen Meister:<br />

'O mein geliebter Herr, wie lange wollt Ihr mich an diese Welt gefesselt halten und<br />

mich leiden lassen?’ Der Meister erwi<strong>der</strong>te: 'Ich führe dich dorthin, wo ich will, und<br />

lasse dich dort, wo ich will. Du aber sollst schweigen und gehorchen.’"<br />

Am Schluß sagt er: "O Meister! Nur das, was Ihr wollt, will ich wissen, und nur das,<br />

was Ihr mich sehen laßt, will ich sehen. Wenn Ihr mich so leben laßt, möchte ich so<br />

leben. Und wenn Ihr mich unter an<strong>der</strong>en Umständen leben laßt, möchte ich nichts<br />

an<strong>der</strong>es als das." In dieser Antwort des Schülers findet sich keine Spur mehr von<br />

Geltungsbedürfnis, son<strong>der</strong>n vollkommene Ergebenheit in Seinen Willen.


"Was weiß ich schon,<br />

Wenn Du es mich nicht wissen läßt?<br />

Was kann ich schon sehen,<br />

Wenn Du es mich nicht sehen läßt?<br />

Ich will so leben, wie Du es wünschst.<br />

Willst Du es an<strong>der</strong>s haben, so will auch ich es."<br />

Läßt <strong>der</strong> Meister den Suchenden jemals in seinem Ringen allein? Nein, nie. Er gibt<br />

dem Schüler inneren Halt, und außen erteilt er ihm Schläge, damit er von allen<br />

Unreinheiten befreit wird. So wird das Gefäß rundherum vorbereitet, um den<br />

unvergänglichen, ewigen Schatz aufzunehmen.<br />

"Nur wenn es <strong>der</strong> wahre Herr will, können wir Ihn verehren.<br />

Dann erfüllt Sein Wille unser Herz.<br />

Nur ein wahrer Ergebener weiß,<br />

Daß Verehrung ganz in Seinem Willen leben heißt.<br />

O Heilige, wer sich in Gottes Willen ergibt, erfährt Glückseligkeit.<br />

Letztendlich ist es nur Sein Name, <strong>der</strong> uns begleitet.<br />

Schickst Du mir Freude, so preise ich Dich.<br />

Schickst Du mir Leid, dann denk ich an Dich.<br />

Schickst Du mir Hunger, so bin ich's zufrieden.<br />

Im Schmerz finde ich Freude. Läßt Du mich nahe bei Dir sein,<br />

Dann verweilen meine Gedanken bei Dir.<br />

Wenn Du mich schlägst und von Dir weist,<br />

Rufe ich nach Dir. Wenn mich jemand preist, gebührt <strong>der</strong> Ruhm nur Dir.<br />

Wenn man mich verleumdet, verlasse ich Dich nicht."<br />

Adi Granth<br />

Durch das Wie<strong>der</strong>holen <strong>der</strong> Namen, die <strong>der</strong> Meister uns gegeben hat, verschwindet<br />

<strong>der</strong> Eigendünkel, und <strong>der</strong> Schüler gewinnt Einblick in die Wirkungsweise des<br />

göttlichen Gesetzes. Er beugt sich ihm und sieht in allem sein Wirken. Er nimmt es<br />

ständig wahr und geht schließlich in Gott ein. Keine Tat wird höher bewertet, als<br />

diesem Gesetz zu folgen. Wer so handelt, für den gibt es kein Hin<strong>der</strong>nis auf dem<br />

Wege nach Sach Khand.<br />

"Wer das Gesetz befolgt, hat Zutritt zu Seinem Hof.<br />

Da er den Schlüssel zur Wahrheit besitzt, wird ihn nichts aufhalten."<br />

Adi Granth<br />

In ihren Schriften erwähnen die Gurus verschiedene Vorteile, die ein Leben nach<br />

dem göttlichen Gesetz mit sich bringt. Zweifel und Sorgen verschwinden. Man wird<br />

rein und erlangt Erlösung. Man erfährt den Shabd, den Namen o<strong>der</strong> die Wahrheit,<br />

und das Ich wird ausgelöscht. Tod und Wie<strong>der</strong>geburt enden. <strong>Die</strong> ewige Seligkeit wird<br />

erlangt und die wahre Heimat erreicht. Man geht in den Herrn ein.


Kapitel 6<br />

DAS GEBET<br />

Aus <strong>der</strong> Sicht des Materialisten ist dieses Leben nur eine Maschine, <strong>der</strong>en Teile von<br />

den blinden Mächten von Ursache und Wirkung angetrieben werden, und er erkennt<br />

die Existenz eines höchsten Wesens, das alles lenkt, nicht an. Wer aber die Wahrheit<br />

erkannt und akzeptiert hat, daß alles nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung<br />

abläuft, weiß auch, daß es nach dem Gebot und den Weisungen des höchsten<br />

Wesens geschieht. Während er also die Ursachen und ihre Folgen berücksichtigt,<br />

bittet er den Herrn, den Höchsten Verursacher, um Seine Hilfe und ergibt sich freudig<br />

in Seinen Willen. Gott möge alles für ihn lenken, denn nur Gott weiß, was für ihn das<br />

beste ist. Entspricht dies auch seinen eigenen Wünschen, so ist er dankbar, wenn<br />

nicht, fügt er sich freudig, denn er weiß, daß alles nach Gottes Gebot und Willen geschieht.<br />

Bei jedem Schritt erbittet er Gottes Hilfe, denn er weiß, daß es immer etwas<br />

geben wird, dem mit eigenem Bemühen nicht beizukommen ist. Solch einen Hilferuf<br />

nennt man Gebet.<br />

Das Gebet gibt einer Empfindung Ausdruck, die sich einstellt, wenn ein Mensen<br />

von Unannehmlichkeiten, Sorge, Krankheit, Gefahr o<strong>der</strong> Unheil bedrängt wird und er<br />

ihnen entgehen möchte. Auch wenn er physische Bedürfnisse befriedigen o<strong>der</strong><br />

spirituellen Fortschritt machen möchte, wenn er Kraft braucht, Schwierigkeiten zu<br />

überwinden, weil er sich nicht stark genug fühlt, o<strong>der</strong> wenn er die Hilfe eines machtvollen<br />

Wesens sucht. Wir erleben täglich, daß wir oft einen Stärkeren o<strong>der</strong> Fähigeren<br />

um Hilfe bitten müssen. Wenn ein Schüler ein Problem nicht lösen kann, wendet er<br />

sich an seinen Lehrer. Sind wir krank, so suchen wir einen Arzt auf. Ein Angestellter<br />

bittet seinen Vorgesetzten um Hilfe. Das sind alles Beispiele für Gebete.<br />

Wenn wir uns in Schwierigkeiten befinden o<strong>der</strong> von einem Feind verfolgt werden<br />

und keinen Schutz finden, wenden wir uns an den allmächtigen Herrn des<br />

Universums o<strong>der</strong> an einen Menschen, in dem Er sich offenbart hat. Das nennt man<br />

Gebet.<br />

Es ist ganz natürlich, daß wir einen stärkeren o<strong>der</strong> fähigeren Menschen um Hilfe<br />

bitten. Noch natürlicher ist es, Hilfe bei <strong>der</strong> höchsten Macht zu suchen, dem Herrn<br />

aller Regionen und Universen - dem Schöpfer - o<strong>der</strong> bei jemandem, <strong>der</strong> mit Ihm eins<br />

ist. Im Grunde genommen können wir gar nichts dagegen tun; das Gebet entsteht<br />

wie von selbst.<br />

In allen Religionen heißt es, daß uns durch das Bittgebet zu Gott o<strong>der</strong> dem Meister<br />

Gnade zuteil wird. Nur durch das Gebet können wir geistigen Fortschritt machen. Es<br />

ist die natürlichste, direkteste und einfachste Verbindung des Menschen mit dem<br />

Schöpfer, des Sklaven mit dem Herrn. Je<strong>der</strong> Suchende muß von Anfang bis Ende<br />

inständig bitten, bis er Gott erkennt und in Ihn eingeht. Durch das Gebet werden alle<br />

körperlichen, religiösen, nationalen und sozialen Bedürfnisse erfüllt und körperliche<br />

und geistige Krankheiten beseitigt. Nur durch das Gebet wird letztendlich die Seele<br />

mit dem Herrn vereint. In <strong>der</strong> Bibel heißt es:<br />

"Alles, was ihr in eurem Gebet erbittet, glaubet mir, daß ihr's<br />

empfangen werdet, und es wird euch gegeben werden."


Und ferner:<br />

"Bittet, so wird euch gegeben. Suchet, so werdet ihr finden. Klopfet an, so wird<br />

euch aufgetan. Denn alles, worum ihr bittet, werdet ihr erhalten, und was ihr<br />

suchet, werdet ihr finden, und dem, <strong>der</strong> anklopft, wird aufgetan."<br />

Es zeigt sich aber, daß die Menschen um tausen<strong>der</strong>lei bitten und ihre Gebete nicht<br />

alle erhört werden. Was bedeutet dann das Zitat? Gehen wir doch dem einmal nach,<br />

weshalb nicht jedes Gebet erhört werden kann und welche Art von Gebeten erhört<br />

wird. <strong>Die</strong> Schwierigkeit liegt darin, daß wir die Gnade Gottes nicht kennen und um<br />

Dinge bitten, die unserem wahren Wohlergehen nicht dienlich sind. Der Allmächtige<br />

wünscht, daß wir uns spirituell entfalten und Fortschritte machen. Sieht Er aber, daß<br />

das Erbetene uns weiter an die Welt bindet, so wird Er es nicht gewähren. Enthält Er<br />

uns die gewünschten Dinge vor, weil Er uns vor Sünde bewahren will, so ist das zu<br />

unserem Besten. <strong>Die</strong> Bibel berichtet darüber folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

"Ihr bittet, und eure Bitte wird nicht erfüllt, weil ihr Übles erbittet,<br />

das eure Lust noch mehr verstärkt."<br />

<strong>Die</strong> Sinnesfreuden halten uns gefangen, und wir haben nicht genug Weitblick.<br />

Würde uns alles Gewünschte gewährt, so würden wir ganz sicher noch mehr den<br />

Sinnesfreuden verfallen und uns noch mehr Sünde aufladen. In diesem<br />

Zusammenhang müssen wir wissen, daß <strong>der</strong> Mensch nur ein Glied im "Rä<strong>der</strong>werk"<br />

des Universums und mit allen an<strong>der</strong>en Teilen verzahnt ist. Da unsere Sicht begrenzt<br />

ist, beschränkt sie sich nur auf uns selbst und unsere Umgebung. Aber <strong>der</strong> Herr o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Meister überblickt das ganze Universum. Er weiß alles von Anfang bis Ende. Er<br />

kennt auch die wahren Bedürfnisse des Schülers. Folgendes Beispiel mag die<br />

Einseitigkeit wie<strong>der</strong>geben: Stadtbewohner, die von unerträglicher Hitze geplagt werden,<br />

beten um Regen, während die Bauern darum beten, daß <strong>der</strong> Sonnenschein<br />

ihnen erhalten bleiben möge, damit das Getreide reifen kann. Das Denkvermögen<br />

des Menschen ist sehr begrenzt, und er kann nicht wissen, ob das Erbetene ihm auf<br />

lange Sicht zum Vorteil gereichen wird. Er sieht nur das Unmittelbare und kennt die<br />

Zukunft nicht. Aufgrund seiner begrenzten Intelligenz bittet er oft um etwas, das ihm<br />

schaden würde. Voreilig verlangt er viele Dinge, erkennt dann aber seinen Irrtum<br />

und ist dankbar, daß sein Gebet nicht erhört wurde und ihm so große Nachteile<br />

erspart blieben.<br />

Gott <strong>der</strong> Herr o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Meister kennt unsere Vergangenheit, Gegenwart und<br />

Zukunft. Er weiß, wann etwas Erbetenes für uns nachteilig ist, und erfüllt deshalb<br />

unsere Bitte nicht. Nicht selten bittet ein Suchen<strong>der</strong> um etwas, was ihm keinen<br />

wirklichen Nutzen bringt. Es drängt ihn danach, vielleicht wird es ihm auch<br />

versprochen, dennoch bekommt er es nicht. Ein Kind erbittet z.B. von seiner Mutter<br />

Gift. Weil es darauf besteht, verspricht die Mutter es ihm vielleicht sogar;<br />

aushändigen aber wird sie dem Kind das Gift nicht, obwohl sie dem Anschein nach<br />

einwilligte. Es wäre dem Kind nicht dienlich, aber in seiner Unwissenheit versteht es<br />

so etwas nicht. Daher raten uns die Heiligen, wie folgt zu Gott zu beten:<br />

"O Gott! Ich bin unwissend. Ich bin dem Verstand und<br />

<strong>der</strong> Illusion (Maya) ausgeliefert."<br />

Ravi Das


Nizami sagt:<br />

"O mein Wohltäter, führe mich zu dem, was für mich das beste ist.<br />

Zeige mir den Pfad, <strong>der</strong> Dir wohlgefällt und mir Erlösung bringt."<br />

Der Herr und <strong>der</strong> Meister sind allwissend. Sie wissen am besten, was für uns<br />

sinnvoll ist und was uns schadet. Im Koran heißt es:<br />

"O Herr, gib uns in dieser Welt, was uns auch nach diesem Leben hilft,<br />

und bewahre uns vor den Qualen <strong>der</strong> Hölle."<br />

Eine Beson<strong>der</strong>heit im Menschenleben ist die Liebe, die nur das Geben, nicht aber<br />

das Nehmen kennt. Hafiz sagt:<br />

"Deine tägliche Pflicht ist es, zum Herrn zu beten. Das ist deine wahre Arbeit.<br />

Schenke <strong>der</strong> Frage, ob dein Gebet am Hofe des Herrn erhört wird o<strong>der</strong> nicht,<br />

keinen Gedanken. Das ist Sein Vorrecht."<br />

Unser Beten sollte mit dem Willen des Herrn und des Meisters übereinstimmen,<br />

und wir sollten in Seinem Willen glücklich sein.<br />

Um wahrhaft beten zu können, müssen wir unser Leben so führen, wie <strong>der</strong> Meister<br />

es wünscht, und an den Herrn zu denken, sollte uns Freude bereiten.<br />

Das Gebet, das von Sünde erlösen und körperliche, geistige und seelische Leiden<br />

heilen kann, muß voller Vertrauen in den Herrn in <strong>der</strong> Überzeugung gebetet werden,<br />

daß Er allmächtig ist. Gefühle, die wir noch nicht zum Ausdruck gebracht haben, sind<br />

Ihm nicht verborgen. Jede Regung und je<strong>der</strong> Gedanke sind Ihm bekannt. Er kennt<br />

die Not <strong>der</strong> Übel- und <strong>der</strong> Gutgesinnten.<br />

Wenn ein lebhafter Wunsch in uns anschwillt, entsteht in Wirklichkeit ein Gebet.<br />

Würden wir alles Wünschen und Handeln, noch bevor wir es zum Ausdruck bringen,<br />

dem Herrn überantworten, dann stünde dem Erfolg nichts mehr im Wege.<br />

Das Gebet ist richtig, das voller Sehnsucht und Schmerz ist. Geduldig und voller<br />

Vertrauen mit liebevollem Herzen und in aller Demut und Ergebenheit sollte es<br />

vorgebracht werden.<br />

"O Verstand, habe Ehrfurcht vor dem Herrn.<br />

Selbst den Allerniedrigsten ruft Er zu Sich."<br />

Adi Granth<br />

Beten sollten wir nach den Anweisungen des Meisters und um unser Leben<br />

umzuformen. So drücken wir unsere Dankbarkeit für erhaltene Wohltaten aus. Mit<br />

leeren Worten, die unserer Haltung nicht entsprechen, können wir unsere<br />

Dankbarkeit nicht ausdrücken. Da <strong>der</strong> Meister <strong>der</strong> Shabd ist und <strong>der</strong> Shabd seine<br />

Form, ist er im Shabd gegenwärtig. Wer den Shabd zu einem Teil seines Lebens<br />

macht, <strong>der</strong> wird dem Meister lieb und willkommen.<br />

Der Meister sagt: "Wenn du mich liebst, dann tue, was ich gesagt habe."<br />

Und Christus: "Wenn ihr mich liebt, so haltet meine Gebote."<br />

Damit das Gebet erhört wird, muß <strong>der</strong> Schüler seinem Meister ergeben sein und


seine Worte beherzigen. Dann kann er alles erbitten, und es wird ihm gegeben.<br />

Wenn wir voller Freude an den Herrn denken, wird Er unsere Wünsche erfüllen.<br />

Christus sagt:<br />

"Wenn ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben,<br />

könnt ihr erbitten, was ihr wollt, und es wird euch wi<strong>der</strong>fahren."<br />

"Gedenke voller Freude des Herrn, und Er wird dir<br />

die Wünsche deines Herzens erfüllen."<br />

Wahres Gebet ist das unaufhörliche Bemühen, unser Leben rein und<br />

wahrheitsliebend zu gestalten. Es zieht die Barmherzigkeit Gottes nach sich, und in<br />

Seiner Gnade und grenzenlosen Güte erfüllt Er unsere ernsthaften und lauteren<br />

Herzenswünsche.<br />

Auf unser bloßes Bitten hin, daß wir Gott o<strong>der</strong> den Meister lieben mögen, beginnen<br />

wir allerdings noch nicht, Ihn zu lieben. Aber wenn wir bewußt für ein aufrichtiges<br />

und reines Leben beten und versuchen, unseren Lebenswandel zu bessern, dann<br />

werden wir nach Seinem Willen geformt. Wir werden nach und nach Seine<br />

Gegenwart erkennen und Seine Liebe spüren.<br />

Ist es nötig, zu Gott zu beten?<br />

Manch einer würde gerne wissen, weshalb er überhaupt beten soll, da Gott doch<br />

weiß, was wir benötigen. Wenn uns nur auf unser Bitten hin etwas gewährt wurde,<br />

dann wäre es auch möglich, daß wir aufgrund unserer Unwissenheit o<strong>der</strong> unseres<br />

Unverständnisses etwas nicht erhalten. Ferner wäre es möglich, daß wir etwas<br />

erbitten, das sich für uns nachteilig auswirken würde. <strong>Die</strong> Erfahrung hat uns gelehrt,<br />

daß uns manchmal etwas gewährt wurde, worum wir gebetet hatten. Wenn es sich<br />

dann aber nachteilig auswirkte, bedauerten wir unser Gebet. Wie ein Vater weiß, was<br />

für sein Kind gut und notwendig ist, so weiß auch unser himmlischer Vater, wessen<br />

wir bedürfen und was sich für uns vorteilhaft auswirkt. <strong>Die</strong> Heiligen - da sie wissen,<br />

daß Gott unsere Bedürfnisse kennt - raten uns, dies zu bedenken, wenn wir beten.<br />

Jesus sagte:<br />

"Euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr Ihn darum bittet."<br />

Gebete aus Eigennutz und solche, die um geistigen Fortschritt bitten, sind<br />

grundverschieden. Im Vergleich zum spirituellen Gebet ist ersteres ohne jegliche<br />

Bedeutung. Im Gebet die Sünden zu bekennen und dann zu glauben, sie seien damit<br />

ausgelöscht, ist ein Irrtum. Durch diesen Irrglauben verfehlen wir die wahre<br />

Spiritualität. Unsere Sünden werden nur vergeben, wenn <strong>der</strong> Herr o<strong>der</strong> Meister sie<br />

vergibt. Solche Gebete können sogar sehr schädlich sein, denn wir könnten nach<br />

dem Gebet ohne Bedenken weiter sündigen in dem Irrglauben, unsere Sünden<br />

würden uns aufgrund solchen Betens vergeben.<br />

Der Meister aber will die Menschen dazu bewegen, vom Sündigen abzulassen, und<br />

will sie zu Gott zurückführen. Unsere Pflicht ist es, so zu handeln, wie er es wünscht,<br />

und von allem Bösen, das weltlicher Natur ist, abzulassen. So können wir uns vor <strong>der</strong><br />

Sünde bewahren, und durch die Meditation und die Erinnerung an den Herrn werden<br />

wir mit Ihm vereint. <strong>Die</strong> Liebe zu Gott und dem Meister verwandelt uns in bessere<br />

Menschen und läßt uns dem Pfad Gottes folgen. Der Mensch kann verzeihen, aber<br />

letztendlich kann nur die alles durchdringende Macht des Meisters einen Sün<strong>der</strong><br />

bessern.


Wenn wir glauben, daß Seine Barmherzigkeit von unserem Gebet abhängt, dann ist<br />

das falsch. Ob er uns vergibt o<strong>der</strong> bestraft, hat mit unserem Gebet nichts zu tun.<br />

Sonst hätten wir mit dem Gebet eine Rechtfertigung, weiter sündigen zu dürfen.<br />

Allumfassende Weitsicht und Rücksichtnahme bestimmen das Wirken des Meisters.<br />

Einerseits vergibt er Sünden, an<strong>der</strong>erseits hält er den Schüler davon ab, weiter zu<br />

sündigen, damit dieser rein und makellos wird.<br />

Gebete können den Strom <strong>der</strong> Gnade nicht än<strong>der</strong>n. Sie bleibt wie sie ist. Gebete<br />

können uns aber auf den Strom <strong>der</strong> Gnade einstimmen. Um Dinge zu bitten, die wir<br />

fürs Leben benötigen, ist überflüssig; dies wird oft zum Hin<strong>der</strong>nis. Sicherlich<br />

erschließt ein in Demut und Vertrauen verrichtetes Gebet den Gnadenstrom eher.<br />

Aber es bedarf dazu keines gesprochenen Gebetes, da Er unsere geheimsten<br />

Regungen kennt.<br />

Gott ist die Liebe. Steht es uns zu, Er möge noch liebevoller sein? Wo liegt die<br />

Notwendigkeit, um noch mehr Gnade zu bitten, wenn Er uns bereits mehr gewährt,<br />

als wir verdienen? Wir kommen Ihm und Seiner Gnade näher, wenn wir unsere<br />

Empfindungen unausgesprochen lassen. Er ist ewig. Er bleibt <strong>der</strong>selbe wie am<br />

Anfang, jetzt und in alle Ewigkeit.<br />

Gott ist allumfassende Wahrheit. Unaufhörlich und unaufgefor<strong>der</strong>t strömt die<br />

Wahrheit von Ihm aus. Wie könnte <strong>der</strong> Mensch in seiner begrenzten Erkenntnis Ihm<br />

raten wollen? Der Strom Seiner Gnade verbreitet sich uneingeschränkt und dient<br />

ganz von selbst unserem Schutz - allgegenwärtig, all unserer Gefühle und Wünsche<br />

gewahr, wohl wissend, was zu unserem Besten ist. Wozu sollten wir da noch zu Gott<br />

beten?<br />

"Wohin ich auch schaue, wird mir Deine Gegenwart bewußt.<br />

Zu wem sollte ich beten? Der Herr hört alles."<br />

Adi Granth<br />

Es ist unsere Pflicht, in Einklang mit Ihm zu leben, um so den besten Nutzen<br />

daraus zu ziehen. In unserer Meditation muß die ganze Aufmerksamkeit im Dritten<br />

Auge Ihm gelten, damit Sein Wi<strong>der</strong>schein in uns erstrahlt. <strong>Die</strong> Seele ist ein Fünkchen<br />

Gottes und Sein Ebenbild. Sie besitzt Seine wun<strong>der</strong>baren Eigenschaften. Gott zu<br />

begreifen suchen, ist ein unaufhörlicher Lernprozeß, zu dessen Erfolg wir Ihm all<br />

unsere Gedanken, Fähigkeiten und Wünsche innerlich zu Füßen legen sollten. Wir<br />

behaupten zwar, Gott sei allgegenwärtig und ewig, aber merkwürdigerweise wollen<br />

wir Ihm dennoch von uns erzählen. Sind wir dem Herrn für all Seine Gaben und<br />

Wohltaten dankbar? Wenn unser Dank aufrichtig ist, werden wir für weitere Gnade<br />

würdig, auch ohne darum zu bitten.<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit kann we<strong>der</strong> durch das Gebet geän<strong>der</strong>t werden, noch verhilft es uns<br />

dazu, sie zu verstehen. Zur Wahrheit gelangen wir durch die Anziehungskraft <strong>der</strong><br />

Liebe und Sehnsucht und durch Gehorsam gegenüber den Weisungen des Meisters.<br />

Um die Wahrheit verstehen zu lernen, brauchen wir nicht laut zu beten; es kann<br />

innerlich geschehen o<strong>der</strong> durch einen reinen Lebenswandel in Seinem Willen.<br />

Der Sinn des Gebets liegt in <strong>der</strong> Hinführung zu einer Handlungsweise, wie sie <strong>der</strong><br />

Herr von uns wünscht. Wir sind schwach und möchten den Herrn mit Hilfe <strong>der</strong><br />

Barmherzigkeit und <strong>der</strong> Macht des Meisters erreichen. Auch wenn wir bei jedem<br />

Schritt fallen, diese Macht hilft uns dennoch. Ein spirituelles Gesetz lautet: Wenn <strong>der</strong><br />

Schüler einen Schritt auf dem vom Meister angewiesenen Weg macht, kommt ihm<br />

<strong>der</strong> Meister 100 Schritte entgegen. Er ist es, <strong>der</strong> alle Wohltaten schenkt. Er ist über<br />

alles Lob erhaben und mit unserem Verstand nicht zu erfassen. Er ist unsterblich und


grenzenlos.<br />

"Gehst du einen Schritt auf den Meister zu, um bei ihm Zuflucht zu suchen, so<br />

kommt er dir 100 Schritte entgegen. Wenn du nur einmal an ihn denkst, so<br />

gedenkt er deiner immer und immer wie<strong>der</strong>. Auch wenn deine Hingabe so gering<br />

ist wie <strong>der</strong> Splitter einer Muschel, so überhäuft <strong>der</strong> Meister dich dennoch mit<br />

allen Wohltaten. Der Meister ist grenzenlos in seiner Gnade. Seinen Ruhm mißt<br />

kein Maß. Immer wie<strong>der</strong> verneige ich mich vor dem einzig unbegreiflichen<br />

Meister."<br />

Bhai Gur Das<br />

<strong>Die</strong> Wirkung des Gebets<br />

Der Sinn des Gebets ist es, das eigene innerste Selbst mit dem Herrn zu vereinen<br />

und ganz in Ihm aufzugehen. Das Gebet ist das Wesentliche <strong>der</strong> Spiritualität. Durch<br />

Beten lernen wir, Gott zu erkennen.<br />

Das Gebet ist die beste Art <strong>der</strong> Entspannung und Erholung. Körper, Geist und<br />

Seele finden segensreiche Ruhe und Glückseligkeit wie durch nichts an<strong>der</strong>es sonst.<br />

Selbst bei einem Minimum an Schlaf erleiden Körper und Geist keinen Schaden.<br />

Durch das Beten wachsen innere Standhaftigkeit und Furchtlosigkeit, und wir<br />

erlangen innere Reinheit. Auch eigenes und fremdes Leiden kann geheilt werden. In<br />

Not und Gefahr wird uns unerwartet Hilfe zuteil. <strong>Die</strong>se Erfahrungen lehren, wie<br />

unentbehrlich das Gebet an die göttliche Macht ist. Schlagen alle menschlichen<br />

Bemühungen fehl, bringt eine Bitte an den Herrn und Meister die nötige Hilfe.<br />

"Wo alles menschliche Bemühen versagt, da hilft das Gebet."<br />

Das Gebet hinterläßt einen tiefen Eindruck in uns. Selbst wenn es unser Schicksal<br />

nicht än<strong>der</strong>t, verän<strong>der</strong>n wir uns zweifellos. Unsere ganze Einstellung zu Unglück und<br />

Mißgeschick än<strong>der</strong>t sich. Der Entschluß, unsere Erlösung anzustreben, erstarkt.<br />

Än<strong>der</strong>t sich <strong>der</strong> Blickwinkel, so verwandelt sich die ganze Welt. Wir sehen Himmel<br />

und Erde in einem an<strong>der</strong>en Licht. Im Unglück fühlt <strong>der</strong> Mensch sich sehr bedrängt;<br />

än<strong>der</strong>t sich aber seine Betrachtungsweise, so erträgt er das Unglück heiter und<br />

gelassen.<br />

Gewöhnlich bittet <strong>der</strong> Mensch um Gottes Beistand, wenn er hilflos o<strong>der</strong> arm ist.<br />

Gelangt er aber zu Wohlstand, so hält er das Gebet für überflüssig und glaubt, daß<br />

seine eigene Stärke und sein gesellschaftlicher Einfluß ihm in Zukunft genügen<br />

werden. Damit begeht er einen schweren Fehler.<br />

Wir sollten in je<strong>der</strong> Lebenslage beten. Wenn wir uns in Schwierigkeiten befinden,<br />

sollten wir um eine Lösung bitten. Gibt es aber keine, so bitten wir um die Kraft, den<br />

Mut nicht zu verlieren und die Schwierigkeiten zu ertragen. Wenn uns infolge unseres<br />

Bemühens das Glück hold ist, sollten wir vom Herrn Gnade und Barmherzigkeit<br />

erbitten, damit wir nicht auf unsere eigene Tüchtigkeit bauen und überheblich<br />

werden. Wenn seine Gnade und Barmherzigkeit mit unserem Bemühen nicht Hand in<br />

Hand gehen, bleibt wahrer Erfolg aus. Ist unser Herzenswunsch in Erfüllung<br />

gegangen, so ziemt es sich, Ihm alles in Dankbarkeit zu Füßen zu legen.<br />

Gebet bedeutet in Wirklichkeit das Sammeln und Glätten <strong>der</strong> Wogen des Gemüts<br />

im inneren Zentrum. Wenn in uns ein Wunsch entsteht o<strong>der</strong> wir uns um ein<br />

weltliches Mißgeschick Sorgen machen, dann denken wir im Herzen an die Macht des<br />

Herrn und ersuchen sie um Erleuchtung. Der Herr wohnt in unserem Herzen. Er ist


unerschöpflich in Seiner Macht und unser wahres und vollkommenes Vorbild.<br />

Versenken wir uns in Ihn, dann werden wir innerlich ruhig und stark. <strong>Die</strong> innere Kraft<br />

verhilft uns dazu, einen Ausweg aus unserem Mißgeschick zu suchen, d.h., wir<br />

bekommen die Kraft für weitere Anstrengungen. Durch das Beten werden unsere<br />

Gedanken zielgerichtet. Es entstehen Gedankenströme, die Geduld hervorrufen, die<br />

uns aufmerksam und aktiv werden lassen. Wir entwickeln Geduld, Zufriedenheit und<br />

Nachsicht und erhalten Mut und Kraft, Schwierigkeiten entgegenzutreten. So wirkt<br />

das Gebet.<br />

<strong>Die</strong> höchste Form des Betens ist nicht das Gebet als solches, son<strong>der</strong>n sich des<br />

Herrn bewußt zu werden. Ist diese Stufe erreicht, so schwinden Leid und Sünde, und<br />

<strong>der</strong> Tod wird überwunden. Wahres Beten besteht darin, die Liebe für den Meister im<br />

Innern wachsen zu lassen und in ihn einzugehen. Wenn wir eins mit ihm geworden<br />

sind, dann werden die verborgenen Kräfte <strong>der</strong> Seele durch die Berührung mit Gott<br />

erweckt.<br />

Gebet und eigenes Bemühen<br />

Sollten wir aufhören, uns zu bemühen, wenn wir beten? Nein, solange wir nicht<br />

bewußt Seinem Willen gemäß mitarbeiten, müssen wir uns weiter bemühen. Sinn des<br />

Gebetes o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gnade ist es keineswegs, das eigene Bemühen einzustellen und<br />

nur zu beten. Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen. Ein Junge verspätet sich auf<br />

dem Schulweg. Fänden wir es angebracht, wenn er sich hinsetzen und beten würde:<br />

"O Herr, laß mich nicht zu spät kommen!"? Richtig wäre es, wenn er sich während<br />

des Betens auch bemüht und schneller geht, um weniger spät anzukommen.<br />

Sich bemühen und gleichzeitig beten, das bringt vor allem Erfolg. Wahres Gebet ist<br />

<strong>der</strong> aufrichtige Wunsch und das ernsthafte Bemühen um dessen Erfüllung. Allzuoft ist<br />

unser Gebet nur Lippenbekenntnis, dem unsere Lebensweise nicht entspricht. Solch<br />

ein Gebet findet kein Gehör. Wenn wir uns aus tiefstem Herzen ernsthaft um etwas<br />

bemühen, dann kommt das Gebet aus je<strong>der</strong> Pore unseres Seins, auch wenn wir<br />

dabei keine einzige Silbe sprechen. Wenn die Umstände o<strong>der</strong> eine Notlage es<br />

erfor<strong>der</strong>n, sollten wir entschlossen und voller Vertrauen unser Bestes tun und den<br />

Herrn bitten, die Mängel zu beseitigen, die unsere Unvollkommenheit und unsere<br />

Schwäche hervorgerufen haben. In einer Notlage sollten wir nicht den Mut verlieren.<br />

Nur wer keine Zuflucht hat, läßt den Mut sinken. Immerwährende Zuflucht gewährt<br />

uns Gott in Seiner Menschengestalt, dem Meister. Mißlingen unsere Bemühungen<br />

trotz größter Anstrengung, so sollten wir darin Gottes Willen sehen. Scheitern alle<br />

Versuche, so ist auch das Sein Wille.<br />

<strong>Die</strong> Stätte <strong>der</strong> Verehrung<br />

Sein Gebet an einem Ort an den Herrn zu richten, <strong>der</strong> als religiös angesehen wird,<br />

ist unnötig. Allein das innere Bedürfnis ist von Bedeutung. Man braucht nur etwas<br />

Abgeschiedenheit, damit man nicht gestört o<strong>der</strong> gehin<strong>der</strong>t wird. Das kann im Hause<br />

o<strong>der</strong> im Freien sein. Je<strong>der</strong> ruhige Platz eignet sich, es kann auch <strong>der</strong> Schlafraum<br />

sein. Es können religiöse Bücher und Bil<strong>der</strong> vorhanden sein, die uns an Heilige<br />

erinnern, die wir verehren. Steht kein ganzer Raum zur Verfügung, so kann man<br />

auch den Teil eines Raumes dazu nutzen. Ist auch <strong>der</strong> nicht vorhanden, dann suche<br />

man einen Tempel, eine Satsanghalle, Moschee o<strong>der</strong> Kirche auf. Ist selbst das nicht


möglich, so bete man, wenn man allein wan<strong>der</strong>t - in den Fel<strong>der</strong>n, in den Bergen, im<br />

Wald o<strong>der</strong> am Flußufer. Man konzentriere sich hinter <strong>der</strong> Stirn auf den Herrn und<br />

Meister und trage ihm sein innerstes Anliegen vor. Abgeschiedene Plätze beeinflussen<br />

wohl das Gebet etwas, aber dazu bedarf es im Grunde keines beson<strong>der</strong>en<br />

Platzes o<strong>der</strong> Tempels. <strong>Die</strong> ganze Welt ist Sein Tempel.<br />

Ziehe dich beim Beten in dein innerstes Kämmerlein zurück und schließe die<br />

äußeren Tore. <strong>Die</strong> Aufmerksamkeit darf nicht hinauswan<strong>der</strong>n. Öffne dem Herrn dein<br />

Herz. Er erhört das Gebet, das hier im verborgenen gesprochen wird. Christus sagt:<br />

"Wenn du aber betest, gehe in dein Kämmerlein, schließe die Tür und bete im<br />

verborgenen zum Vater. Und <strong>der</strong> Vater, <strong>der</strong> das Verborgene sieht, wird es dir<br />

vergelten."<br />

Drei Formen des Gebets<br />

Das Gebet kann man auf dreierlei Art und Weise verrichten: mit dem Mund, mit<br />

dem Verstand und mit <strong>der</strong> Seele. Das gesprochene Gebet ist hörbar. Gewöhnlich<br />

wie<strong>der</strong>holen die Menschen bestimmte vorgeschriebene Abschnitte aus<br />

Religionsschriften o<strong>der</strong> von Heiligen verfaßte Gebete. Von einigen werden sie für<br />

wenig nutzbringend gehalten, da sie die Empfindung <strong>der</strong> Heiligen zum Ausdruck<br />

bringen, während wahres Beten das innige Flehen des eigenen Herzens ist. Wenn<br />

unser Gebet nicht aus tiefstem Herzen kommt, bringt es keinen Gewinn. Das<br />

Hersagen von Gebeten an<strong>der</strong>er ist wie das Tragen frem<strong>der</strong> Kleidung, die nicht paßt.<br />

<strong>Die</strong> Gebete von Heiligen können uns als Beispiel dienen, da wir ähnliche Empfindungen<br />

haben könnten. Insofern können diese Gebete uns helfen.<br />

Beten wir vor einer Zuhörerschaft, so übertreiben wir unsere Gefühle. Und erbitten<br />

wir etwas, ohne es von ganzem Herzen haben zu wollen, d.h., wenn Verstand und<br />

Herz nicht ernsthaft danach verlangen, dann ist unser Gebet nichts weiter als ein<br />

nichtiges Wie<strong>der</strong>holen von Worten in <strong>der</strong> Öffentlichkeit. Ist unser Gebet aber<br />

aufrichtig und erflehen wir etwas aus tiefstem Herzen, dann wird <strong>der</strong> Herr, da Er das<br />

Gebet vernimmt, dies gewähren. Kann sich ein öffentlich vorgetragenes Gebet, das<br />

je<strong>der</strong> Herzensregung entbehrt, als segensreich erweisen? Werden die Worte, die wir<br />

aussprechen, dem Allmächtigen eher bekannt als unsere innersten Regungen? Nein,<br />

niemals. Gesprochene Gebete werden zu reiner Formsache. Sie lassen uns vom<br />

Gefühl her unbeteiligt und nehmen uns nicht voll in Anspruch. Das Nachsprechen von<br />

Gebeten, die dem Herzen eines an<strong>der</strong>en entsprungen sind, erfüllt seinen Zweck<br />

nicht, wenn es nicht auch den Regungen unseres Herzens entspricht. <strong>Die</strong>se Gebete<br />

können nicht heilsam sein und unser Leben nicht auf Dauer verän<strong>der</strong>n. Ein Pfeil, <strong>der</strong><br />

abgeschossen wird, ohne daß <strong>der</strong> Bogen zur Brust gespannt wurde, verfehlt sein Ziel.<br />

So erreichen auch Worte, die nicht vom Herzen kommen, den Herrn nicht. Er weiß,<br />

wessen wir wirklich bedürfen, noch bevor wir darum bitten.<br />

In den Veden, im Koran und an<strong>der</strong>en Religionsschriften wird das gemeinsame<br />

Gebet zum Wohle aller nachdrücklich hervorgehoben. Sind solche Gebete sinnvoll?<br />

Ja, sicherlich, wenn mehrere Menschen demütig und lauteren Herzens für das<br />

Gemeinwohl beten. Ihnen wird die Gnade des Herrn zuteil, und ihr Gebet ist niemals<br />

vergebens. Das Bitten um das Wohlergehen aller bedeutet im Willen des Herrn leben.<br />

Es bringt viel Segen mit sich und ist eine gute Art und Weise, die Menschen ganz<br />

allgemein für die höheren Dinge des Lebens sensibel zu machen.<br />

Hat lautes Beten einen Einfluß auf uns? Ja. Es erhebt unsere Gedanken, und wir


werden zeitweilig ernst. Geht man aber <strong>der</strong> Sache tiefer auf den Grund, so zeigt sich,<br />

daß, solange wir die Wahrheit noch nicht erkennen, lautes Beten <strong>der</strong> Bereitung des<br />

spirituellen Fundaments im Wege steht, und es schleicht sich mitunter <strong>der</strong> Wunsch<br />

ein, gelobt zu werden. Lautes Beten könnte uns zum Heucheln veranlassen. Gebete,<br />

die nicht <strong>der</strong> Wahrheit entsprechen und nicht von Herzen kommen, sollen nur das<br />

Wohlwollen an<strong>der</strong>er erwecken. Gewisse äußerliche Eindrücke rufen Gedanken <strong>der</strong><br />

Freude o<strong>der</strong> ein Glücksgefühl in uns hervor. Und dieses Glücksgefühl kann uns zu<br />

höheren Erfahrungen führen, wenn wir spirituelle Fortschritte machen. Das aber ist<br />

erst möglich, wenn wir das Geheimnis <strong>der</strong> Seele kennen. Von unseren Gemütsbewegungen<br />

wird Gott nicht berührt. Wir brauchen daher nicht laut zu klagen und zu<br />

weinen, damit Er uns hört. Er ist nicht weit. Sein unsichtbares Ohr hört alles. Er<br />

kennt das Geheimnis eines jeden Herzens und kann jeden Wunsch erfüllen.<br />

Spiritueller Reichtum wird nicht durch lautes Gebet erworben.<br />

Das Gebet sollte unauffällig und ohne Geltungsbedürfnis verrichtet werden. Man<br />

braucht dazu nicht auf einem hohen Podest zu stehen und die Stimme zu erheben.<br />

Mit <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Seele sollte man im Stillen beten und immer nur um eines bitten:<br />

daß man immer so handeln möge, wie <strong>der</strong> Herr es wünscht.<br />

Bei <strong>der</strong> zweiten Form des Gebets wird in Gedanken gebetet, ohne daß <strong>der</strong> Mund<br />

die Worte formt. Für diese Art des Gebets braucht man Konzentration. Man spürt<br />

schon vor Beginn die Gegenwart des alles durchdringenden Herrn, bittet um Seine<br />

Hilfe und versenkt sich ganz in die Kontemplation auf Ihn. In diesem Zustand beginnt<br />

das Gebet, das völlige Konzentration erfor<strong>der</strong>t. <strong>Die</strong> Gedanken müssen ganz von <strong>der</strong><br />

Außenwelt zurückgezogen und auf die Gegenwart des Herrn, des Meisters, gerichtet<br />

werden. Dann kann man mit Dankbarkeit und Hingabe sein Herz vor ihm<br />

ausschütten, seine Schwächen bekennen und um Hilfe bitten. Öffne dem Herrn dein<br />

Herz. Damit es gelingt, muß viel Geduld aufgebracht werden, und man muß fest<br />

entschlossen sein. In Eile kann es nicht geschehen. Es ist wie beim Erlernen des<br />

Geigespielens o<strong>der</strong> eines an<strong>der</strong>en Instrumentes, das auch viel Ausdauer und<br />

konsequentes Üben erfor<strong>der</strong>t.<br />

Bei diesem inneren Beten stößt <strong>der</strong> Suchende zuweilen auf Schwierigkeiten, weil er<br />

anscheinend keine Antwort erhält. Er mag dann vielleicht zu zweifeln beginnen. Da er<br />

die Gegenwart Gottes nicht spürt, kommt es ihm vor, als ob er in einem luftleeren<br />

Raum betet. Manche stützen sich darauf, daß, obwohl sie Gott nicht sehen können,<br />

Er sie wohl sieht. <strong>Die</strong>ses Stadium ist aber nur vorübergehend. Schließt <strong>der</strong> Suchende<br />

die Augen, so umgibt ihn nichts als Dunkelheit. Er versteht diese dunkle Stille als<br />

Antwort auf sein Gebet. <strong>Die</strong> Sinne können in dieser Stille nicht funktionieren, und in<br />

diesem Zustand, da <strong>der</strong> Suchende nichts wahrnimmt, fühlt er sich verloren. Mit <strong>der</strong><br />

Kraft seines Glaubens möchte er voranschreiten, fällt aber immer wie<strong>der</strong>. Es ist ein<br />

überaus schwieriges Stadium und erfor<strong>der</strong>t die Führung eines Meisters. Hinzu kommt<br />

eine gewisse Trostlosigkeit. Man möchte gar nicht beten, und zwingt man sich dazu,<br />

schwindet jeglicher Antrieb. Ein Suchen<strong>der</strong> muß sehr lange in diesem Stadium <strong>der</strong><br />

Trostlosigkeit und Dunkelheit ausharren. So manches Mal bleiben seine Bemühungen<br />

ergebnislos, weil er nicht zur Wohnstatt des Herrn findet. Mit diesen<br />

Täuschungsversuchen bringen Maya und Kal den Suchenden vom Wege ab. Dem<br />

kann man entgegenwirken durch unbeirrte Kontemplation <strong>der</strong> inneren Gestalt des<br />

Meisters und durch den Versuch, ungeteilte Konzentration zu erlangen.<br />

Suchende und Schüler des inneren Pfades werden solange über die Machenschaften<br />

des Verstandes Tränen vergießen, bis dieser ein Zentrum <strong>der</strong> Ruhe gefunden<br />

hat. Bei dem Versuch, unsere Gedanken von <strong>der</strong> Außenwelt zurückzuziehen<br />

und sie in einem Zentrum in <strong>der</strong> unsichtbaren. Welt innerlich zu konzentrieren, treten


unsere angestauten Gedanken und Ängste - verursacht durch unsere Sünden in <strong>der</strong><br />

Vergangenheit - von selber in Erscheinung. Sie sollten durch gelassenes und ruhiges<br />

Argumentieren o<strong>der</strong> durch Beten ausgeschaltet werden. <strong>Die</strong> beste Methode, diese<br />

Schwierigkeiten zu überwinden, besteht darin, den Meister im Innern anzurufen und<br />

sich ganz in <strong>der</strong> Kontemplation seiner Gestalt zu verlieren. <strong>Die</strong>se Art <strong>der</strong> ständigen<br />

Kontemplation öffnet uns den Weg zum Herrn und macht uns für Seine Gnade<br />

empfänglich.<br />

Durch das Denken an den Herrn und das Betrachten des Meisters im Innern<br />

kommt <strong>der</strong> Verstand ganz allmählich zur Ruhe, und <strong>der</strong> Sieg wird errungen. Kommt<br />

ein Suchen<strong>der</strong> durch laute o<strong>der</strong> innere Gebete ein wenig voran, so sollte er Gottes<br />

Barmherzigkeit und Gnade abwarten. Wenn er diese Übung beherrscht, wird eine<br />

Flut von Frieden und Glückseligkeit seinen Geist und seine Seele nach dem Beten<br />

durchströmen und ihn mit Freude erfüllen.<br />

Hat <strong>der</strong> Verstand einmal diese Freude gekostet, so schweift er nicht mehr umher.<br />

Es sind Zeichen für die herabströmende Gnade des Herrn und des Meisters.<br />

Unsere Gebete sollten aus tiefstem Herzen kommen und mit unseren Gedanken<br />

und Worten übereinstimmen. Beim Beten sollten, unsere innersten Gefühle erweckt<br />

werden; jede Pore, jede Faser unseres Körpers sollte flehentlich bitten, und unsere<br />

A<strong>der</strong>n sollten gespannt sein wie die Saiten einer Violine. Von Liebe erfüllt sollten wir<br />

ganz im Gebet aufgehen. Das Unterscheidungsvermögen sollte in uns erwachen.<br />

Stellen wir uns vor, Gott ist gegenwärtig. Er ist Zeuge. Öffnen wir Ihm unser Herz.<br />

Nichts sollte zwischen uns und dem Herrn stehen. Bitten wir Ihn in aller Demut um<br />

Hilfe.<br />

Gott akzeptiert jedes Gebet, das von Herzen kommt, auch wenn wir uns noch so<br />

unbeholfen ausdrücken. Auf die Gefühle des Herzens kommt es an, Worte sind nur<br />

ihre Ausdrucksform. Er möchte wahre Sehnsucht, die von Herzen kommt. Lassen wir<br />

sie in uns wachsen und schüren wir das Feuer <strong>der</strong> Liebe, das alle Gedanken und<br />

Worte verzehrt.<br />

Im allgemeinen glauben die Menschen, das sei alles. Ein Suchen<strong>der</strong> aber sollte<br />

dankbar sein und sich um so mehr durch das Gebet <strong>der</strong> Seele die Vereinigung mit<br />

dem Herrn wünschen. Durch sie wird <strong>der</strong> Suchende über die Knechtschaft des<br />

Körpers erhoben und steigt in die Gegenwart Gottes und des Meisters empor, von wo<br />

alle Wohltaten kommen. Nun erkennt er das Wirken <strong>der</strong> unsichtbaren Hände, das<br />

nicht beschrieben werden kann. Der Suchende spürt, daß er den Körper hinter sich<br />

gelassen und ein neues Königreich betreten hat. Er bewegt sich in spirituellen Regionen<br />

und verweilt dort schon in diesem Leben. Er schaut den Herrn von Angesicht<br />

zu Angesicht und erfreut sich dieses erhabenen Glücks. Von <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong> göttlichen<br />

Anziehungskraft werden Herz, Verstand und Seele des Suchenden ganz<br />

durchdrungen.<br />

Das kann man mystisches Gebet nennen. Es wurde von vielen Heiligen<br />

beschrieben, die es selbst erfahren haben. <strong>Die</strong>se Art des Gebets ist auch heute noch<br />

möglich, allerdings nur durch die beson<strong>der</strong>e Gnade und Barmherzigkeit des Herrn.<br />

Das Bemühen des Suchenden spielt hierbei keine Rolle. Ein solches Erlebnis - und sei<br />

es auch nur für einen kurzen Augenblick - führt zu Vertrauen in Gott und den<br />

Meister, und wir werden zuversichtlich, was unsere spirituellen Fortschritte und<br />

Erfahrungen angeht. Sünde, Selbstsucht und Furcht vergehen. Wir machen<br />

Fortschritte und empfangen im Innern die Gnade <strong>der</strong> Heiligen.<br />

Beim Beten sollten wir in <strong>der</strong> Gegenwart des Herrn bleiben und dem Körper keinen<br />

einzigen Gedanken schenken. Wenn wir einerseits an den Herrn und an<strong>der</strong>erseits an<br />

den Körper denken, dann ist unsere Aufmerksamkeit geteilt. In Seine Gegenwart


sollten wir ohne die Hüllen des Verstandes und des Körpers treten, nur wir selbst in<br />

aller Demut. Dann sind nur Er und wir da. Ständig bei dem Herrn zu sein, heißt Seinen<br />

Anordnungen Folge leisten. Eine wun<strong>der</strong>bare Liebe zum Herrn wird dann in uns<br />

erwachen.<br />

Unsere Beziehung zu Gott ist wie die eines Bruchteils zum Ganzen. Sind wir<br />

vollkommen mit Ihm vereint, dann ist kein Gedanke an den Körper mehr vorhanden<br />

und <strong>der</strong> Eigendünkel verschwunden. So wird <strong>der</strong> Bewußtseinsstrom des Herrn uns zu<br />

neuem Leben erwecken, und alles Leid und Unheil wird nicht mehr sein. Wenn wir<br />

also im Gedenken an Gott alle körperlichen Aktivitäten einstellen, dann wird Sein<br />

Lebensstrom uns erfüllen, und unsere materiellen und spirituellen Unzulänglichkeiten<br />

werden beseitigt.<br />

Wesentliche Voraussetzung für das Gebet ist das Vorhandensein eines Wesens,<br />

dem das Gebet gilt. Felsenfestes Vertrauen in Gott o<strong>der</strong> Seine Manifestation, den<br />

Meister, sollte Vorhandensein. Ohne Vertrauen und Glauben an Seine Macht ist<br />

wahres Beten nicht möglich. Über Gott haben wir in Büchern gelesen o<strong>der</strong> von<br />

Heiligen gehört. Er offenbart sich in den Heiligen. Wer einen Heiligen gesehen hat,<br />

hat den Herrn gesehen.<br />

"Wer mich gesehen hat, <strong>der</strong> hat den Vater gesehen." Joh. 14,9<br />

Wir haben unseren Meister, zu dem wir beten können, und ein Schüler sollte bei<br />

jedem Schritt um seine Hilfe bitten. Vertrauen wir voller Liebe, Glauben und Demut<br />

seiner Macht. Und beten wir mit reinen Gedanken, demütig, ohne Eigennutz, voller<br />

Liebe und Vertrauen und ohne jeden Zweifel. Ein Gebet mit dieser Einstellung und in<br />

aller Demut vorgebracht ist nie vergebens. Überlassen wir demütigen Herzens alles<br />

seinem gütigen Wohlwollen, Wenn wir beten, sollten wir zu Gott o<strong>der</strong> dem Meister -<br />

Seiner Offenbarung - beten. Er kann uns alles geben.<br />

"Worum du den Vater in meinem Namen bittest,<br />

Er wird es dir geben." Joh. 16, 23<br />

Zweifellos verhält es sich beim Gebet ähnlich wie mit weltlichen Dingen, wenn wir<br />

jemanden mit Einfluß um Hilfe bitten. Erbitten wir von <strong>der</strong> Macht Beistand, die <strong>der</strong><br />

Ursprung aller Kraft und allen Reichtums ist, dann wird unser Gebet wirksam und<br />

wahr. Doch beim Beten zu seufzen und Ihn als von uns getrennt zu sehen, zeugt von<br />

Unwissenheit. Er ist ein makelloses und unbegrenztes Wesen. In Seiner<br />

Barmherzigkeit hat Er sich in uns nie<strong>der</strong>gelassen und erleuchtet unsere Seele. Der<br />

Schlüssel zum Erfolg liegt also darin, daß wir zu <strong>der</strong> Macht beten, die in unserer<br />

Seele wohnt. Ein Gebet zu Gott als einem von uns getrennten Wesen ist kein wahres<br />

Gebet, denn dann richten wir uns an ein Wesen, dessen Existenz wir bezweifeln, und<br />

wir werden immer noch von Eigendünkel und dem Gefühl beherrscht, von Ihm<br />

getrennt zu sein. Gewisse Zweifel, ob wir Seine Gnade empfangen werden, halten<br />

sich hartnäckig, und <strong>der</strong> rechte Glaube und grenzenloses Vertrauen fehlen.<br />

Wer da glaubt, Gott sei im Himmel und lenke die Geschicke <strong>der</strong> Welt von dort, wird<br />

selten eine Antwort auf sein Gebet erhalten. Gott ist bei uns, Er ist in uns und nicht<br />

fern von uns. - Er wohnt in uns und ist nichts an<strong>der</strong>es als die lebensspendende Kraft<br />

unserer Seele. Beten wir Ihn im Innern an, lobpreisen wir Ihn und erbitten wir Seine<br />

Hilfe.


"Den Einen preise und wie<strong>der</strong>hole Seinen Namen.<br />

Des Einen gedenke und vergiß Ihn nie.<br />

Laß deinen Lobgesang für Ihn nie enden,<br />

Versenke dich mit Leib und Seele in den Herrn.<br />

Er ist Einer, ja <strong>der</strong> ewig Eine. Er allein durchdringt alles.<br />

Aus dem Einen sind viele geworden.<br />

Bete zu dem Einen, dann flieht die Sünde.<br />

Der Einmalige durchdringt Leib und Seele.<br />

Durch die Gnade des Meisters kennt Nanak diesen Einen."<br />

Adi Granth<br />

Gehst du zum Tor des Herrn o<strong>der</strong> des Meisters, so gehe als Bettler. Vor niemand<br />

an<strong>der</strong>em sollten wir uns verneigen. Nur Er hört das Gebet dessen, <strong>der</strong> im Strudel<br />

Mayas hin- und hergerissen wird. Nur Er hat das Heilmittel für das von Habgier und<br />

Verhaftetsein blutende Herz. Verlorene Hoffnung vermag nur Er wie<strong>der</strong>zuerwecken.<br />

<strong>Die</strong>se Eigenschaften besitzt nur <strong>der</strong> Herr o<strong>der</strong> Seine an<strong>der</strong>e Form, <strong>der</strong> Meister.<br />

Blutende Herzen heilt Er mit dem Strom Seines inneren Bewußtseins.<br />

Den Guru bitten, heißt Gott bitten. Er ist allmächtig. Möchtest du zu Ihm beten, <strong>der</strong><br />

Leben geben und nehmen kann, so flehe Ihn an, den lebendigen Gott, und vertraue<br />

Ihm und glaube an Ihn. Suche nicht in Irdischem Zuflucht. Wende deine<br />

Aufmerksamkeit innerlich Ihm zu. Der Gedanke, dir könne auch jemand an<strong>der</strong>s<br />

helfen, sollte sich niemals einstellen. Nur Ihm gilt deine ganze Aufmerksamkeit. Er<br />

wird deine Hilferufe hören. Selbst wenn sich <strong>der</strong> Schüler auf <strong>der</strong> einen und <strong>der</strong><br />

Meister auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite des Ozeans befindet, so sollte <strong>der</strong> Schüler seine<br />

Aufmerksamkeit nur dem Meister zuwenden. Der Meister wird dann seine<br />

Bemühungen mit Erfolg krönen. Der Meister ist <strong>der</strong> König aller Könige. Alles steht in<br />

seiner Macht.<br />

Erbitte von Gott nur Ihn selbst. Etwas an<strong>der</strong>es erbitten, hieße Unheil<br />

heraufbeschwören. O Herr, gib uns Dein WORT, damit wir Frieden finden und unser<br />

Hunger gestillt werde. Wir sind kurzsichtig und bitten Gott und den Meister um<br />

Dinge, die oft unser Leid nur noch verschlimmern. Statt den freigebigen Herrn um<br />

Vergünstigungen zu bitten, sollten wir nur Ihn selbst erbitten. Was könnte uns dann<br />

noch fehlen? Wenn wir von Ihm Wohltaten erbitten, dann zeugt das von Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühlen<br />

und mangeln<strong>der</strong> Hochachtung.<br />

Wir sollten zu Gott und dem Meister beten, daß uns Gelegenheit gegeben werde,<br />

sie zu sehen, bei ihnen Zuflucht zu suchen und das WORT von ihnen zu erhalten.<br />

Daß sie uns helfen, den Fallen <strong>der</strong> Sinnesfreuden zu entgehen und den Ozean des<br />

Lebens zu überqueren, darum sollten wir sie bitten. Sie sind allmächtig und können<br />

uns gewähren, was immer sie wollen.<br />

Der Schüler sollte auch darum bitten, daß er sein Leben so führen möge, wie es<br />

von Gott und dem Meister gewünscht wird. Wir besitzen keine Tugenden, sind<br />

töricht, ungebildet und unwissend. Wir wissen nicht, was wir tun sollen. O Herr, hab'<br />

Erbarmen, laß uns Dich lobpreisen, damit wir in Deinem Willen leben mögen.<br />

"Ohne Tugend und Weisheit, ungebildet und unwissend<br />

sind wir und wissen nicht, was wir tun sollen.<br />

Hab’ Erbarmen mit Nanak,<br />

auf daß er Dir Loblie<strong>der</strong> singen möge."<br />

Adi Granth


Wenn es schließlich Freude bereitet, sich dem Willen des Herrn zu ergeben, hört<br />

<strong>der</strong> Suchende auf, um etwas zu bitten. Er weiß, daß dem Herrn nichts verborgen<br />

bleibt. Er ist glücklich mit dem, was <strong>der</strong> Herr ihm bestimmt hat, und liebt Sein<br />

Wirken.<br />

So spürt <strong>der</strong> Schüler, daß Gott immer bei ihm ist. Ihm übergibt er all sein Leid und<br />

seine Sorgen. Freude o<strong>der</strong> Schmerz berühren ihn nicht mehr. Er ist davon überzeugt,<br />

daß <strong>der</strong> Herr unendlich viel weiser, klüger, stärker und gütiger ist als er selbst, daß<br />

Er Seinen Schüler im Auge behält und sein größter Wohltäter ist. Er übergibt Ihm alle<br />

seihe Sorgen und Gedanken und fügt sich in Seinen Willen. Sein Verstand wird geschärft,<br />

und sein Gebet wird vollkommen. Er legt alles in Gottes Hand und sagt: "O<br />

Herr, Du bist die Zuflucht aller Geschöpfe. Ihretwegen kamst Du auf die Welt. Dein<br />

Wille ist stets das beste für mich, so lautet mein einziges Gebet."<br />

Beispiele von Gebeten<br />

Wenn wir um Vergebung unserer Sünden bitten, so sollten wir zuerst den an<strong>der</strong>en<br />

vergeben und dann beten. Christus sagt:<br />

"Und wenn ihr stehet und betet, so vergebet, wo ihr etwas wi<strong>der</strong> jemand habt,<br />

auf daß auch euer Vater im Himmel euch vergebe eure Fehler."<br />

Markus 11,25<br />

Jeden Augenblick begehe ich Fehler. Aufgrund meiner Taten kann ich mich nicht<br />

aus dieser Welt befreien. Nur Du kannst vergeben. Vergib mir und geleite mich über<br />

diesen Ozean. Ich bin ein großer Sün<strong>der</strong> und begehe unzählige Fehler. O Herr, bitte<br />

vergib mir! Unsere Sünden sind so zahlreich wie die Tropfen im Ozean. Wir sind<br />

Steine und werden ertrinken. Hab' Mitleid und Erbarmen und rette uns vor dem<br />

Ertrinken. Jesus Christus betete:<br />

"Vater unser, <strong>der</strong> du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich<br />

komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden. Unser täglich<br />

Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben<br />

unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, son<strong>der</strong>n erlöse uns von<br />

dem Übel, denn Dein ist das Reich, und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit."<br />

Mein Gebet ist aufrichtig, o Geliebter, ich bin bereit, alles zu opfern für die<br />

Vereinigung mit Dir und sei es nur für einen Augenblick. Wie aber soll ich bitten,<br />

damit Du mich erhörst? Ruhelosigkeit quält mich, denn ich hungere und dürste nach<br />

Deinem Anblick. Durch das WORT des Meisters können wir Gott erfahren. O Herr, ich<br />

flehe Dich an, laß mich die Wahrheit erkennen.<br />

"Laß mich in Dich eingehen. Ich liege vor Deinem Tor,<br />

O Herr, erlöse mich, denn ich bin des Wan<strong>der</strong>ns müde.<br />

Befreie mich, o Herr, denn Du hilfst immer Deinen Ergebenen.<br />

Nur Du kannst mir helfen. Nimm mich bei <strong>der</strong> Hand und geleite mich<br />

über den Ozean des Universums."<br />

Adi Granth


O erhabener Einer in Ewigkeit! Du bist <strong>der</strong> makellose Erhalter. Ich flehe Dich an.<br />

Der Mensch lebt in Unwissenheit und denkt nicht an Gott. So vergeudet er sein<br />

Leben. Dein Geschöpf ist stets vergeßlich. Du aber wahrst die Würde Deiner<br />

angeborenen Natur. O Helfer <strong>der</strong> Unwürdigen! Wie soll ich Deine Tugenden<br />

beschreiben? Was kann ein ungebildeter Sklave schon wissen? <strong>Die</strong>ses Leben und<br />

dieser Körper sind Dein Geschenk. Da wir Zuflucht bei Dir genommen haben, hast Du<br />

uns vor den Flammen dieser Welt bewahrt, indem Du uns aus ihr hinausgeführt hast.<br />

Wir vertrauen Dir und stützen uns voll Zuversicht auf Dich; alle an<strong>der</strong>en Hoffnungen<br />

haben wir begraben. Du bist unergründlich, grenzenlos und unaussprechlich. Dich<br />

kann man mit Worten nicht beschreiben. O Herr, bei Dir habe ich Zuflucht<br />

genommen, und Du kannst mich beschützen. Dir übergebe ich mein Leben und<br />

meinen Körper. Alles ist Deiner Güte zu verdanken; wer würde mich sonst kennen?<br />

Was ich auch immer zu sagen habe, ich sage es Dir. Zu wem könnte ich sonst beten?<br />

O Herr, niemand ist hilfloser als ich, und keiner ist barmherziger als Du. Wir<br />

bekennen uns zu Dir, aber das sind nur Worte. Mache uns vollkommen.<br />

Ein Gebet aus dem Sar Bachan<br />

O Meister, öffne Du des Herzens Tor!<br />

Vergebens hat <strong>der</strong> Geist es oft versucht;<br />

Nicht einmal ist es ihm gelungen.<br />

Du bist allmächtig, an nichts mangelt es Dir; weshalb wartest Du?<br />

Von Lust und Leid werde ich hin- und hergeworfen;<br />

Weshalb wurde mir noch kein Erfolg gewährt?<br />

Hab' Erbarmen, o Gütiger! Zu den Himmeln<br />

Nimm meine Aufmerksamkeit und meinen Geist.<br />

Er sucht den falschen Trost und kennt die Wahrheit nicht.<br />

Ihn zieht's zu den Freuden dieser Welt,<br />

Den Nektar des Klanges kostet er nicht.<br />

Wie soll ich meinen Geist belehren, wie ihn bekehren?<br />

Denn er beherzigt des Meisters Worte nicht.<br />

Son<strong>der</strong>bar ist dieser Geist;<br />

Er liebt und ehrt den Klangstrom nicht.<br />

Wie soll er dem Kreislauf <strong>der</strong> "84" entrinnen?<br />

Er wie<strong>der</strong>holt des Meisters Namen nicht.<br />

Umhergestoßen werde ich in dieser Welt<br />

Und jählings in das Todesreich hinabgezerrt.<br />

Lange schon ertrage ich diese Marter.<br />

Meinen Geist berührt es nicht, er hat es vergessen.<br />

Du, Meister, bist die treibende Kraft in allen Herzen.<br />

Warum rufst Du diesen Leidenden nicht zu Dir?<br />

Niemand sonst habe ich außer Dir.<br />

Nur Du kannst zur ew'gen Wohnstatt mich geleiten.<br />

Hab' Erbarmen, O Radha Soami, und führe mich hinüber.<br />

Ich könnte unklug handeln,<br />

ein Frem<strong>der</strong> bin ich in einem fremden Land.<br />

Weise mir den rechten Pfad in diesem Leben.<br />

Vor Dir verbeuge ich mich Tag für Tag. Bereuen will ich.<br />

Wie kann ich sonst Wie<strong>der</strong>vereinigung mit Dir erlangen?


Auf Erden weile ich und Du, o Herr, im Himmel.<br />

Ohne den Geliebten bin ich verzagt.<br />

O Meister, erhöre mein Flehen!<br />

In seinem Netz hält Kal mich gefangen.<br />

Hilflos bin ich und erbärmlich; ich rufe zu Dir.<br />

O Meister, hör' mein Flehen.<br />

Barmherzig bist Du und gibst je<strong>der</strong>mann.<br />

Nur ich bin unglücklich und voller Leid.<br />

Wie soll ich meinen Schmerz beschreiben?<br />

Mir ist, als durchbohre mich ein Pfeil.<br />

Nun gibst Du, o Meister, neue Hoffnung mir,<br />

Daß ich auf Schwingen <strong>der</strong> Liebe<br />

In den Himmel aufsteigen werde.<br />

Dank Deiner Gnade habe ich den Herrn gefunden.<br />

Dahin sind Schmerz und Herzeleid.<br />

O Meister, hör' mein Flehen!<br />

Immer wie<strong>der</strong> bitte ich Dich:<br />

Befreie mich von unheilvollem Denken.<br />

Gib mir Zuflucht zu Deinen Füßen.<br />

Über das Meer des Universums führe mich;<br />

Mein Boot treibt mitten in <strong>der</strong> Strömung.<br />

Bei Dir allein finde ich Beistand.<br />

Steh' Du mir bei und mache mich Dir zu eigen.<br />

Arglistig bin ich und ein Heuchler, aber Dein.<br />

Du bist <strong>der</strong> grenzenlose, gnädige Herr,<br />

Ich hilflos und verachtenswert.<br />

Befreie und errette mich, ganz wie es Dir gefällt.<br />

Ich knie vor Dir und bitte Dich<br />

Und übergebe Dir Leib, Geist und Seele.<br />

Ich habe jetzt eine große Hilfe gefunden.<br />

Ich bin gering, unwissend und ungeschickt;<br />

Das Geheimnis des Klanges hast Du mir ins Herz gelegt.<br />

Mein ver<strong>der</strong>bter Geist fand keinen Geschmack daran.<br />

Von Lust und Leid ward ich geblendet<br />

Und strebe nach Ehren dieser Welt.<br />

Wie kann ich meinen Geist zum Besseren bekehren,<br />

Wenn Du, mein Meister, mir Hilfe nicht gewährst?<br />

O Radha Soami, zieh meinen Geist zu Dir empor,<br />

Darum bitte ich Dich flehentlich.<br />

Kapitel 7<br />

SATSANG<br />

<strong>Die</strong> wörtliche Bedeutung von Satsang ist "wahre Gemeinschaft". "Sat" bedeutet<br />

Wahrheit, "Sang" Gemeinschaft. "Sat", die Wahrheit, ist auch ein an<strong>der</strong>er Name für<br />

Gott. Sie wohnt in den Heiligen und bei ihren Zusammenkünften. Somit ist Gott auch<br />

da, wo Seine Jünger leben. Dort entspringen die Wellen von Liebe und Hingabe, dort<br />

bringen Gnade und Glückseligkeit Frieden über alle. Satsangs kann man in drei Arten


einteilen:<br />

1. Äußerer Satsang, <strong>der</strong> von einem Heiligen o<strong>der</strong> in Anwesenheit eines Heiligen<br />

gehalten wird.<br />

2. Äußerer Satsang, <strong>der</strong> nur in geistiger Anwesenheit eines Heiligen gehalten wird.<br />

3. Innerer Satsang, durch den die Seele sich mit Gott verbindet und in Ihm<br />

aufgeht.<br />

All denen, die das große Glück haben, <strong>der</strong> ersten Satsang-Art beizuwohnen, wird die<br />

frische Atmosphäre seiner belebenden Spiritualität die gleiche spirituelle Heilsamkeit<br />

und Frische verleihen und sie in kurzer Zeit selbst zu guten Menschen machen. Dann<br />

werden sich die tugendhaften Eigenschaften in ihnen offenbaren. Lauscht man den<br />

Satsangs mit Herz und Verstand und findet Gefallen daran, wird man die Sinne leicht<br />

beherrschen, und die Seele wird in <strong>der</strong> Gesellschaft von Heiligen und Meistern fest<br />

und unerschütterlich.<br />

Wo ein Satguru lebt, wird durch seinen Körper, seinen Geist und seine<br />

Lebensweise die ganze Umgebung vergeistigt. Schon seine bloße Anwesenheit wirkt<br />

sich in hohem Maße auf die Menschen um ihn aus. Wenn ein Satguru spricht, eine<br />

Handbewegung macht o<strong>der</strong> einen gnadenvollen Blick schenkt, geht ein beson<strong>der</strong>er<br />

Bewußtseinsstrom von ihm aus, <strong>der</strong> einen mächtigen Einfluß auf Verstand und<br />

Gemüt <strong>der</strong> Zuhörer hat. Voraussetzung dafür ist, daß es den Zuhörern nicht gänzlich<br />

an lieben<strong>der</strong> Hingabe mangelt und sie nicht gleich Kieselsteinen unfähig sind zu<br />

verstehen und anzunehmen. Ein solcher Bewußtseinsstrom hilft <strong>der</strong> Seele<br />

aufzusteigen, und wer solchen spirituellen Vorträgen lauscht, erweitert sein<br />

esoterisches Wissen erheblich.<br />

<strong>Die</strong> Gedankenströme und die Wellen <strong>der</strong> Spiritualität, die vom Meister während<br />

seines Vortrages ausgehen, helfen das Thema verständlich zu machen, so daß es<br />

je<strong>der</strong> vollkommen erfaßt. Auf diese Weise wird <strong>der</strong> Unrat übler Gedanken<br />

weggewaschen, die Dunkelheit des Unwissens schwindet, und statt dessen bricht das<br />

Licht <strong>der</strong> Erkenntnis hervor.<br />

Satsang ist ein einzigartiges Geschenk, das <strong>der</strong> Meister unentgeltlich an Gebildete<br />

und Ungebildete austeilt. Seine überwältigende Erhabenheit und Größe, sein Glanz<br />

und seine magnetische Kraft ziehen jeden entsprechend seinen Verdiensten in <strong>der</strong><br />

Weise an, daß er die Welt und ihre Objekte vergißt. Man verliert den Sinn für die Zeit<br />

und merkt nicht, wie sie verstreicht. Bhai Gur Das sagt:<br />

"In <strong>der</strong> Gesellschaft von Heiligen wird <strong>der</strong> Schüler zum Heiligen, genauso wie das<br />

Wasser, das man in den Fluß gießt, seine Identität verliert und mit dem Fluß eins<br />

wird. Der Fluß mündet in den Ozean und wird selbst zum unergründlichen<br />

Ozean. So verwandelt auch die ozeangleiche Gesellschaft eines Heiligen die<br />

Schüler und läßt sie werden wie ihn. Dem süßen Blumenduft gleich, <strong>der</strong> beruhigt<br />

und besänftigt und Seelenfrieden spendet, schenkt auch <strong>der</strong> Anblick o<strong>der</strong><br />

Darshan eines Heiligen Frieden und innere Ruhe. Wie <strong>der</strong> Klangstrom <strong>der</strong><br />

Spen<strong>der</strong> aller Gaben ist, so verwandelt auch die Gesellschaft <strong>der</strong> Tugendhaften<br />

sogar den Unwissenden in einen spirituell Wissenden."<br />

Wer dort lebt, wo es ihm nicht vergönnt ist, in <strong>der</strong> physischen Gegenwart seines<br />

Gurus zu sein, kann <strong>der</strong> zweiten Satsang-Art beiwohnen. Christus sagt:


"Wo zwei o<strong>der</strong> drei sich in meinem Namen versammeln,<br />

da bin ich mitten unter ihnen."<br />

Wo zwei o<strong>der</strong> mehrere Satsangis versammelt sind, um über Sant Mat zu sprechen,<br />

dort ist auch <strong>der</strong> Guru anwesend. Allerdings ist nur das Treffen ein "Satsang" - mit all<br />

seinen Vorteilen -, dessen Thema Sant Mat gewidmet ist. Zusammenkünfte weltlich<br />

gesinnter Menschen kann man nicht Satsang nennen.<br />

Der Satsang bedarf keiner Formalitäten, da sie vom spirituellen Zweck ablenken<br />

könnten. Man benötigt zum Treffen we<strong>der</strong> Kirche noch Tempel noch einen<br />

beson<strong>der</strong>en Ort, da <strong>der</strong> wahre Tempel, die wahre Stätte <strong>der</strong> Anbetung, im Innern<br />

und nicht draußen ist.<br />

Satsangs müssen zwei Erfor<strong>der</strong>nisse erfüllen: sie müssen eine Atmosphäre <strong>der</strong><br />

Hingabe und Liebe für den Meister schaffen und sowohl Sucher als auch Eingeweihte<br />

in <strong>der</strong> Sant-Mat-Lehre unterrichten. Man kann über die Worte eines Meisters<br />

sprechen o<strong>der</strong> einen Vortrag darüber halten. Satsang ist es aber nur, wenn<br />

diejenigen, die die Diskussion leiten o<strong>der</strong> den Vortrag halten, sich als Kanal für die<br />

Lehre des Meisters und seine Liebe betrachten. Der Meister allein ist <strong>der</strong> Leiter.<br />

Wer dem Satsang beiwohnt, hört ganz von selbst zu, sinnt über die Worte nach<br />

und stellt sich die Gestalt des Satgurus im Geiste vor. Dazu sind keine Bücher nötig,<br />

da <strong>der</strong> Satsang ihn auf praktische Art belehrt. Wissen wird nicht nur durch Bücher<br />

vermittelt, son<strong>der</strong>n auch durch die Satsangs.<br />

Nehmen wir das Beispiel eines Blinden: er lernt durch Hören. Durch aufmerksames<br />

Zuhören können wir neues Wissen aufnehmen. Wenn im Satsang ein beson<strong>der</strong>es<br />

Thema erläutert wird, werden die Gedanken <strong>der</strong> Zuhörer in die gleiche Richtung<br />

gelenkt, so daß die ganze Umgebung von diesen Gedankenströmen erfüllt wird. Das<br />

ist für die gesamte Zuhörerschaft von Nutzen, und das Thema hinterläßt einen<br />

unauslöschlichen Eindruck bei den Anwesenden.<br />

Der menschliche Geist ist etwas Wun<strong>der</strong>bares. Er wird wie die Gesellschaft, in <strong>der</strong><br />

er sich bewegt; er übernimmt die Eigenschaften dessen, womit er sich beschäftigt.<br />

Wenn er weltlichen Umgang pflegt, wird er weltlich orientiert. Lebt er dagegen mit<br />

spirituell gesinnten Menschen, wird er spirituell ausgerichtet. Strebt man also zum<br />

Spirituellen hin und wünscht, spirituelles Wissen zu erlangen, muß man die Gemeinschaft<br />

mit spirituell Fortgeschrittenen pflegen und die Gedanken auf sie ausrichten.<br />

<strong>Die</strong> dritte Satsang-Art kann man wie folgt erklären: Äußerer Satsang ist das<br />

Bemühen, ein Feuer zu entzünden, wohingegen innerer Satsang dem Sitzen nahe am<br />

Feuer gleicht, um <strong>der</strong> Kälte zu entgehen, während man noch viele an<strong>der</strong>e Pflichten<br />

erfüllt. Wer mit einem Heiligen in Verbindung kommt, dessen Seele wird durch die<br />

von diesem Heiligen ausgehenden geistigen Ströme erweckt. Aber <strong>der</strong> innere<br />

Satsang ist dem äußeren weit überlegen. Obwohl selbst ein flüchtiger Anblick eines<br />

Heiligen große Vorteile mit sich bringt, ist es auch wichtig, daß <strong>der</strong> Schüler<br />

körperlichen <strong>Die</strong>nst leistet, den Anweisungen des Heiligen unbedingt folgt und dessen<br />

geistige Lehre vollständig in die Praxis umsetzt.<br />

Der Satsang ist eine machtvolle spirituelle Schulung, wo praktische Lektionen in<br />

Spiritualität und Liebe erteilt werden. Er ist eine wun<strong>der</strong>bare Werkstatt, in <strong>der</strong> das<br />

Durcheinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gedanken in Ordnung gebracht und man so geformt wird, daß<br />

man sich selbst und Gott zu erkennen vermag. Folgende Vorteile beschert uns <strong>der</strong><br />

Satsang:<br />

1. Indem wir von Gott und Seinen Merkmalen hören, werden wir glücklich und<br />

sehnen uns nach Vereinigung mit Ihm.


2. Indem wir an Gott denken und Seinen Namen wie<strong>der</strong>holen, lösen wir uns nach<br />

und nach von den weltlichen Banden und geben Wünsche und Sinnesfreuden<br />

auf, und es verlangt uns immer dringen<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Begegnung mit Gott.<br />

3. Der Geist wird frei von Lust und Zorn, und wir werden furchtlos.<br />

4. Wir werden von <strong>der</strong> Liebe zu Gott und zu Seiner Schöpfung erfüllt. In <strong>der</strong><br />

Gemeinschaft <strong>der</strong> Heiligen bleibt uns niemand fremd, keiner ist unser Feind.<br />

Wir werden mit dem Universum eins.<br />

5. Durch ständige Ergebenheit und Übung werden wir <strong>der</strong> Vereinigung mit dem<br />

Herrn würdig und beginnen, überall - innen wie außen - Seine Gegenwart<br />

wahrzunehmen.<br />

6. Eine Flut von Wonne, Glück und Liebe steigt in unserem Herzen auf.<br />

Für die Umwandlung böser Gedanken in edle gibt es kein vollkommeneres und<br />

nützlicheres Mittel als Satsang. In <strong>der</strong> Gesellschaft Tugendhafter erwirbt man Tugend<br />

und wird frei von allem Makel und aller Sünde. Spirituell entwickelte Seelen erfüllen<br />

die Umgebung, in <strong>der</strong> sie leben, stets mit Strömen <strong>der</strong> Reinheit. Selbst <strong>der</strong> größte<br />

Sün<strong>der</strong> kann sich ihrem Einfluß nicht entziehen und muß gut werden; in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft von Heiligen wird man von Gott geprägt.<br />

Kapitel 8<br />

DIENEN<br />

In den Schriften steht geschrieben, daß wir Ihm, <strong>der</strong> die ganze Welt erschaffen hat<br />

und uns ins Leben rief, dienen sollen, denn nur durch solchen <strong>Die</strong>nst wird uns wahre<br />

Gunst gewährt und erlangen wir Ehre an Seinem Hofe. Deshalb sollten wir nur dem<br />

Einen Gott dienen, <strong>der</strong> nicht Seinesgleichen hat, <strong>der</strong> uns mit Nahrung und Obdach<br />

versieht, uns Vater und Mutter, Familie und Kin<strong>der</strong> gibt, <strong>der</strong> zu Lande, zu Wasser und<br />

überall gegenwärtig ist und alles erhält. Ihm zu dienen sollten wir alles im Leben<br />

opfern, denn durch dieses <strong>Die</strong>nen werden wir vom Kreislauf <strong>der</strong> Geburten und Tode<br />

erlöst.<br />

Neben dem <strong>Die</strong>nst am Herrn sind alle Wallfahrten, Gebete, Rezitationen,<br />

Bußübungen und an<strong>der</strong>e Formen <strong>der</strong> Verehrung bedeutungslos. <strong>Die</strong>nt man an<strong>der</strong>en,<br />

so geschieht das mit Hintergedanken. Wahrer Gottesdienst zielt nicht auf materiellen<br />

o<strong>der</strong> sonstigen Gewinn. Daher sollten wir Gott aus reiner Liebe und Hingabe dienen,<br />

sonst wäre es wie das Trinken eines Bechers Gift, während wir die mit Ambrosia gefüllte<br />

Schale verschmähen und uns allen möglichen Schwierigkeiten und<br />

Entbehrungen aussetzen. Alles an<strong>der</strong>e <strong>Die</strong>nen führt zu nichts und ist ohne Sinn und<br />

Zweck.<br />

Der Mensch sollte deshalb nach einem vollkommenen Meister suchen, <strong>der</strong> ihm das<br />

Geschenk <strong>der</strong> Einweihung, die größte aller Gaben, gewähren kann. Denn durch sie<br />

werden wir von den Fesseln des Kommens und Gehens befreit. Das Ziel unseres<br />

<strong>Die</strong>nens sollte nur die Liebe zu Gott und Seinen Heiligen, Seinen Inkarnationen, sein.<br />

Ein Haus, dem solches <strong>Die</strong>nen fehlt, gleicht einer Grabstätte. Einem Heiligen zu<br />

dienen ist indes nur durch die überreiche Gnade des Herrn möglich. Und wer ihm<br />

selbstlos dient, den segnen <strong>der</strong> Herr sowie <strong>der</strong> Meister, die Verkörperung Gottes hier<br />

auf Erden.<br />

Wenn wir dem Meister dienen, dienen wir Gott. <strong>Die</strong> Schriften gehen sogar so weit<br />

zu sagen: Wenn man Gott dienen möchte, dann verehre man seinen Meister, denn


damit verehrt man Gott. Ohne dem Meister zu dienen, ist es we<strong>der</strong> möglich, sich<br />

dem Herrn hinzugeben, noch kann <strong>der</strong> Verstand die Früchte <strong>der</strong> Konzentration<br />

ernten. Wer dem Meister dient und sich ihm ergibt, ist bei seiner nächsten Geburt<br />

eines menschlichen Körpers würdig. Jene, die dem Meister dienen, werden in ihrer<br />

Todesstunde immer vom Meister beschützt, während diejenigen, die ihm nicht<br />

dienen, ihr Leben sinnlos vergeuden.<br />

Je<strong>der</strong> dient auf seine Weise einem Meister. Aber welches <strong>Die</strong>nen ist sinnvoll? Guru<br />

Ram Das sagt:<br />

"Nur das <strong>Die</strong>nen wird belohnt, das dem Meister willkommen ist und ihm Freude<br />

bereitet. Und sollte er an ihm Gefallen finden, erlischt all unser schlechtes<br />

Karma. Wir erlangen Gotterkenntnis, wenn wir dem Meister dienen. <strong>Die</strong>nt ihm<br />

jedoch jemand aus Eigennützigkeit, so geht er ohne Lohn aus."<br />

Woran erkennen wir, daß unser <strong>Die</strong>nst für den Meister sich positiv auswirkt? Je<strong>der</strong><br />

<strong>Die</strong>nst, <strong>der</strong> uns dazu verhilft, dem Klangstrom in uns zu lauschen, ist wahrer und<br />

lohnen<strong>der</strong> <strong>Die</strong>nst.<br />

<strong>Die</strong> Heiligen Schriften nennen verschiedene Vorteile, die aus dem <strong>Die</strong>nst für den<br />

Meister erwachsen:<br />

1. Man findet inneren Frieden und Glück.<br />

2. Der Geist wird vom Klangstrom durchtränkt, und man wird sich Seiner inneren<br />

Nähe bewußt.<br />

3. Man wird von Kal und seinen Strafen befreit.<br />

4. Verschiedenes schlechtes Karma wird samt seinen Auswirkungen gelöscht.<br />

5. Alle Wünsche werden erfüllt.<br />

6. Schließlich wird man von Geburt und Tod befreit.<br />

Das <strong>Die</strong>nen hat viele Vorteile, <strong>der</strong> wichtigste ist jedoch <strong>der</strong>, daß wir die<br />

Eigenschaften dessen annehmen, dem wir dienen.<br />

Wir sollten den Meister verehren und dadurch ihn alle Verantwortung für unsere<br />

Erlösung schultern lassen. Der Meister ist Gott in menschlicher Gestalt, und wenn wir<br />

ihn verehren, verehren wir Gott.<br />

Wer kann dem Meister und Gott dienen?<br />

Nur <strong>der</strong>jenige ist in <strong>der</strong> Lage, dem Meister zu dienen, dem Gott Seine Gnade<br />

schenkt, denn dieses <strong>Die</strong>nen ist ihm auf die Stirn geschrieben und wurde ihm als<br />

Ergebnis seines Karmas, seines Tuns und Lassens aus früheren Leben<br />

vorherbestimmt.<br />

Wahrhaft glücklich zu nennen ist, wer sich ganz dem <strong>Die</strong>nst für seinen Meister<br />

widmet, denn <strong>der</strong> Herr selbst offenbart sich im Meister. Und nur <strong>der</strong>jenige kann dem<br />

Meister dienen, den Gott dazu ausersieht.<br />

Unehrliche, arglistige Naturen o<strong>der</strong> solche mit bösen o<strong>der</strong> hinterhältigen Motiven<br />

sind unwürdig und ungeeignet, dem Meister zu dienen.<br />

Ein Schüler sollte seinem Meister ohne jegliche Anmaßung und ohne jeden<br />

Gedanken an Belohnung dienen und immer in <strong>der</strong> Absicht, dem Meister eine Freude<br />

zu bereiten. Auf diese Weise ist er sich stets und ständig des Meisters bewußt. Und<br />

wenn man sich jemanden intensiv innerlich vor Augen führt, wird man eines Tages<br />

dessen Eigenschaften annehmen.


Der Meister liebt immer den, <strong>der</strong> sein Ego ablegt, ihm bedingungslos gehorcht und<br />

Gott mit konzentrierter Aufmerksamkeit verehrt. Ein wahrer Schüler ist, wer seinem<br />

Meister dient und ganz und gar nach seinen Wünschen arbeitet. In ihm wird sich <strong>der</strong><br />

Klangstrom manifestieren. Seine Probleme lösen sich von selbst, und seine Wünsche<br />

finden Erfüllung. Es ist jedoch sehr schwer, dieses Stadium zu erreichen, da es nur<br />

mit <strong>der</strong> grenzenlosen Gnade des Meisters geschehen kann.<br />

Wie man dem Meister dient<br />

Man diene dem Meister, indem man völlig Abstand nimmt vom Ego und dadurch<br />

demütig wird. Nur solcher <strong>Die</strong>nst ist rein, und leisten kann ihn auch nur <strong>der</strong>jenige,<br />

dessen Herz und Sinn rein sind. Guru Arjan sagt:<br />

"<strong>Die</strong>ne Gott Tag und Nacht. Ermüde nicht und werde nicht nachlässig. Man<br />

verehrt Gott, indem man den Meister mit Liebe und Hingabe verehrt, nachdem<br />

man Stolz und Verstocktheit abgelegt hat."<br />

<strong>Die</strong>nen sollte man unablässig und nicht nur vorübergehend. Den Wert des <strong>Die</strong>nens<br />

kann man mit Geld nicht ermessen. Kalkuliert man jedoch o<strong>der</strong> verrichtet man seinen<br />

<strong>Die</strong>nst mit hinterhältigen Motiven, verliert er seinen Wert und bringt keinen Lohn. Wir<br />

sollten mit Hingabe und Ehrerbietung dienen. Wenn Liebe im Herzen wohnt und<br />

Verehrung aus den Augen spricht, dann ist es leicht, Gotterkenntnis zu erlangen. Der<br />

Lehre <strong>der</strong> Heiligen gemäß gibt es vier Formen des <strong>Die</strong>nens:<br />

1. <strong>Die</strong>nen mit dem Körper.<br />

2. <strong>Die</strong>nen mit Hab und Gut.<br />

3. <strong>Die</strong>nen mit dem Verstand.<br />

4. <strong>Die</strong>nen mit <strong>der</strong> Seele.<br />

<strong>Die</strong>nen mit dem Körper<br />

Wie sollten wir dienen? Guru Amar Das sagt, wir sollten unseren <strong>Die</strong>nst tun wie ein<br />

Elefant, <strong>der</strong> dem Stock seines Treibers folgt. Wir sollten, mit an<strong>der</strong>en Worten, das<br />

Gebot des Gurus als treibenden Ansporn betrachten. Wir sollten uns vor dem Meister<br />

verneigen und ihm ohne Zögern und Murren in Liebe und Ergebenheit dienen. Guru<br />

Ram Das sagt:<br />

"<strong>Die</strong>s ist mein einziges Gebet an Euch, o Herr: daß Eure <strong>Die</strong>ner (Heiligen)<br />

meinen <strong>Die</strong>nst annehmen mögen. Ich wäre froh, selbst meinen Geist und Körper<br />

auf dem Altar <strong>der</strong> Heiligen darzubringen; ich würde, mit an<strong>der</strong>en Worten,<br />

überaus glücklich sein, wäre ich von Hochmut und Dünkel befreit. Was immer ich<br />

von den Heiligen empfange, betrachte ich als Nektar. O Herr, ich bin immer<br />

bereit, mich für meinen Meister zu opfern und ihm zu Füßen zu fallen, denn ich<br />

bin arm und hilflos und sehne mich ständig nach Eurem Anblick, den nur die<br />

Hilfe und Gnade eines Meisters schenken kann."<br />

Ein wahrer Schüler ist immer um den Darshan seines Meisters bemüht und ergreift<br />

jede Gelegenheit, um in seiner Gegenwart sein zu können. Selbst durch bittere Kälte<br />

und Schneetreiben läßt er sich nicht abschrecken, denn die Anziehungskraft seines<br />

Gurus ist so stark, daß er sich allein schon um eines flüchtigen Blickes willen auf den


Weg macht. Es verlangt ihn ständig danach, ihm zu begegnen, um Tag und Nacht<br />

seinen Anblick zu genießen. Guru Arjan sagt:<br />

"Welchen <strong>Die</strong>nst du durch deiner Hände Arbeit für den Meister ermöglichen<br />

kannst, verrichte ihn, denn <strong>der</strong> Meister legt seine schützende Hand auf uns und<br />

errettet uns aus dem Feuer <strong>der</strong> Seelenwan<strong>der</strong>ung. Arbeite für ihn, denn durch<br />

ihn wirst du Gott erkennen. <strong>Die</strong>ne ihm unaufhörlich, denn nur durch seine Gnade<br />

wandeln sich alle Feinde in Freunde."<br />

Durch solches <strong>Die</strong>nen fühlen wir uns erhoben. Es ist eine einzigartige Freude, die<br />

we<strong>der</strong> durch Macht noch durch Mammon erreicht werden kann. Daher ist es<br />

erfor<strong>der</strong>lich, daß wir uns nicht nach irdischen Freuden sehnen.<br />

<strong>Die</strong>nen mit Hab und Gut sowie mit dem Verstand<br />

Der <strong>Die</strong>nst für den Meister wirkt sich nur dann positiv aus, wenn er mit<br />

zielgerichteter Aufmerksamkeit geschieht, denn nur dann erlangen wir geistige<br />

Konzentration. Wenn wir ihm dienen, ist unser Herz mit dem seinen in Einklang.<br />

Dann wird <strong>der</strong> Klangstrom in uns offenbar, und wir werden dem Herrn ohne große<br />

Mühe begegnen können. All unsere Wünsche werden erfüllt, weil wir keine mehr<br />

haben.<br />

Wer kann einem Meister dienen? An<strong>der</strong>s gesagt: wer kann zur Gotterkenntnis<br />

gelangen? Das gelingt nur denen, die, um dem Meister zu dienen, ihren Eigengeist<br />

sowie Hab und Gut dem Meister zu Füßen legen.<br />

"Drum diene demjenigen, <strong>der</strong> die tiefe Hingabe und das innere Verlangen deines<br />

Herzens kennt. Das ist niemand an<strong>der</strong>s als ein wahrer Meister. Lege deinem<br />

Meister deinen Geist und Verstand zu Füßen und verehre ihn, denn er ist die<br />

Verkörperung des unsterblichen Einen."<br />

Guru Arjan Dev<br />

Derjenige erreicht alles, <strong>der</strong> dem Meister nahe ist, <strong>der</strong> sich seiner inneren<br />

Gegenwart stets bewußt ist, <strong>der</strong> ihm in selbstloser Hingabe und ohne Stolz gehorcht,<br />

seine Gedanken bezwingt und sich dem Meister übergibt.<br />

<strong>Die</strong>nen mit <strong>der</strong> Seele<br />

<strong>Die</strong>ser <strong>Die</strong>nst besteht darin, den Lebensstrom aus je<strong>der</strong> Pore des Körpers<br />

zurückzuziehen und mit dem Shabd zu verbinden. Dadurch haben alle Praktiken wie<br />

Anbetung, Wie<strong>der</strong>holen heiliger Namen, Bußübungen und Kasteiungen automatisch<br />

ihren Zweck erfüllt, und das Ego ist vernichtet. Das Ziel all dieser Übungen wird<br />

erreicht, wenn die Hingabe an den wahren Meister, die Verkörperung Gottes,<br />

vollkommen ist. <strong>Die</strong>se Hingabe kann nur durch seine Gnade und durch spirituelle<br />

Übung (dem Klangstrom lauschen) entstehen.<br />

<strong>Die</strong> Fähigkeit, sich mit dem Shabd zu vereinen, liegt außerhalb des<br />

Fassungsvermögens unseres Verstandes. Es ist also nur <strong>der</strong> Gnade eines Meisters zu<br />

verdanken, wenn eine Seele dienen darf. Und die Gnade des Meisters wird erfleht,<br />

wenn <strong>der</strong> Schüler durch Hingabe sein Ego völlig aufgibt. Wie können wir dies


erreichen? Nur dadurch, daß die Seele durch Wie<strong>der</strong>holen <strong>der</strong> vom Meister gegebenen<br />

heiligen Namen nach innen geht, indem sie sich von den neun Pforten des<br />

Körpers zurückzieht, den Stern, die Sonne und den Mond durchdringt und die<br />

Strahlengestalt des Meisters schaut. <strong>Die</strong> Seele verschmilzt nun mit dem Shabd und<br />

steigt Stufe um Stufe auf, bis sie ihr endgültiges Ziel erreicht. Das ist wahrer <strong>Die</strong>nst<br />

mit <strong>der</strong> Seele.<br />

Es ist leicht, mit dem Körper sowie mit Hab und Gut zu dienen; das vermögen<br />

Hun<strong>der</strong>te von Menschen. Das <strong>Die</strong>nen mit dem Geist aber ist schwierig, und nur<br />

wenige sind dazu in <strong>der</strong> Lage. Mit <strong>der</strong> Seele zu dienen, ist noch schwieriger und wird<br />

selten erreicht.<br />

All diese Arten des <strong>Die</strong>nens können im Grunde nur dann gelingen, wenn man sie<br />

nach den Instruktionen des Meisters ausführt. Der Geist wird durch das <strong>Die</strong>nen rein,<br />

und man wird <strong>der</strong> Hingabe an den Herrn würdig. Je<strong>der</strong>mann dient eifrig <strong>der</strong> Welt.<br />

Wir dienen <strong>der</strong> Menschheit, unserer Familie, <strong>der</strong> Gesellschaft und unserem Land. Das<br />

ist gut und sollte als unsere Pflicht angesehen werden; zur Erlösung indes kann es<br />

nicht verhelfen. Wenn an<strong>der</strong>erseits diese Bindungen zu stark werden, sind sie <strong>der</strong><br />

Grund dafür, daß wir immer wie<strong>der</strong> in diese Welt zurückkehren müssen.<br />

<strong>Die</strong> höchste Art des <strong>Die</strong>nens ist, dem Meister zu dienen, es ist zugleich die reinste<br />

Art. Der Meister ist frei von allen Bindungen und Fesseln. Er ist ein Ozean wogen<strong>der</strong><br />

Wellen <strong>der</strong> Liebe. Wenn wir ihm dienen, werden wir frei von den Bindungen und<br />

Verhaftungen an die vergängliche Welt; dann erwacht tiefe Liebe für Gott in uns.<br />

Wer Gott liebt, liebt auch Seine Schöpfung. Wir erkennen also Gott als den Vater und<br />

die Menschen als Geschwister, und daher entfaltet sich in uns nicht nur die Liebe zu<br />

Gott, son<strong>der</strong>n auch die Liebe zu Seiner Schöpfung.<br />

Kapitel 9<br />

HINGABE<br />

Hingabe ist eine uralte, dem Menschen angeborene Eigenschaft <strong>der</strong> Ergebenheit,<br />

gläubiger Inbrunst und inniger Verbundenheit. Durch sie steigt die Seele empor und<br />

vereinigt sich mit Gott. Auf diese Weise wird Gott zu Seinem Ergebenen<br />

herabgezogen und wohnt in ihm.<br />

Hingabe an den Herrn ist eine starke magnetische Kraft, durch die die<br />

Aufmerksamkeit von weltlichen Dingen abgelenkt und - ohne Einmischung des Intellekts<br />

und des Urteilsvermögens - ganz auf den Herrn konzentriert wird. Hingabe ist<br />

das Zurückziehen <strong>der</strong> Aufmerksamkeit von allem Weltlichen und die Konzentration<br />

auf Gott allein. Shandlya Rishi sagt:<br />

"Hingabe besteht darin, die Liebe, die Vorstellungen und Gedanken von<br />

weltlichen Dingen zurückzuziehen, nur an Gott zu denken und sich in diesen<br />

Gedanken völlig zu versenken.<br />

Das Zurückziehen <strong>der</strong> Aufmerksamkeit von den Dingen <strong>der</strong> Welt führt zu<br />

dauern<strong>der</strong> Verbindung und beständiger Berührung mit dem Herrn."<br />

Wir haben Gott nicht gesehen; wie können wir Ihn also verehren o<strong>der</strong> uns Ihm<br />

hingeben? Wen sollen wir da anbeten o<strong>der</strong> verehren? In welchem Wesen hat sich<br />

Gott manifestiert, und wer vermag die richtigen Voraussetzungen für unsere Hingabe<br />

zu schaffen und uns zu helfen, unsere Liebe zu Ihm wachsen zu lassen? Dazu ist


allein <strong>der</strong> wahre Meister in <strong>der</strong> Lage. Er trägt den Funken <strong>der</strong> Wahrheit in sich. Er<br />

verkörpert die Schönheit <strong>der</strong> Wahrheit und <strong>der</strong> Spiritualität, und er vermag seinen<br />

Schülern den wahren Pfad zu zeigen, indem er ihr Denken in die richtige Richtung<br />

lenkt. <strong>Die</strong> beste und edelmütigste Art, Gott zu begegnen, besteht darin, den Meister<br />

zu lieben und sich ihm zu übergeben. Das ist die erste Sprosse auf <strong>der</strong> Leiter zur<br />

Gotterkenntnis.<br />

Hingabe an den Meister bedeutet, ihn zu lieben. Es bedeutet, seine Vorschriften<br />

und Weisungen - körperlich und geistig - einzuhalten. Man sollte, mit an<strong>der</strong>en<br />

Worten, sein Herz dem Meister schenken. Es ist sehr wesentlich, das Herz dem<br />

Meister zu schenken, denn dadurch übergibt man ihm auch den Körper und legt sein<br />

ganzes Leben in seine Hände. Angesichts dessen, daß einem nun Leben und Körper<br />

nicht mehr gehören, weil man sie dem Meister übergeben hat, wo bleibt da unsere<br />

religiöse Überzeugung? Auch sie ist in den Meister eingegangen. Unser Körper, unser<br />

Gemüt und unser Leben, ja selbst unsere Religion, sie alle binden uns an diese Welt.<br />

Sobald wir sie dem Meister zu Füßen legen, sind wir von allem losgelöst und werden<br />

nicht wie<strong>der</strong>geboren.<br />

Dann hin<strong>der</strong>t die Seele nichts mehr auf dem Wege zur Gotterkenntnis, und unser<br />

Umherirren in <strong>der</strong> Welt findet ein Ende. Das sind nur einige wenige vorteilhafte<br />

Auswirkungen, die sich aus <strong>der</strong> Hingabe an den Meister ergeben. Der eigentliche<br />

Gewinn aber ist so groß, daß man ihn nicht in Worte fassen kann.<br />

Hingabe bedeutet, daß man dem Herzen die Gestalt des Meisters einprägt.<br />

Dadurch erwacht die Liebe im Schüler. Solange eine solche Liebe noch nicht<br />

vorhanden ist, sollte man sich unentwegt bemühen, die Voraussetzungen dafür zu<br />

schaffen. Hat erst einmal eine Ergebenheit dieser hohen Art das Herz erfaßt, dann<br />

beginnt die Seele ganz von selbst aufzusteigen und vermag nun, den Klangstrom zu<br />

erfassen.<br />

<strong>Die</strong>jenigen, die dem Klangstrom ohne wahre Hingabe an den Meister lauschen<br />

wollen, sind unwissend, denn nur durch die Gnade und Barmherzigkeit eines wahren<br />

Meisters kann man diesem Klange lauschen. <strong>Die</strong> Anziehungskraft seiner Liebe und<br />

unsere Hingabe ziehen die Seele hinauf in höhere Regionen.<br />

Hingabe ist ein unwillkürlicher magnetischer Strom, durch den man zum Geliebten<br />

hingezogen wird. <strong>Die</strong> Liebe besteht in <strong>der</strong> Verschmelzung des Selbst mit dem<br />

Geliebten. Sie ist ungeteilte Aufmerksamkeit und innige Verbundenheit mit dem<br />

Herrn. Mit an<strong>der</strong>en Worten: <strong>Die</strong> Liebe ist <strong>der</strong> Höhepunkt <strong>der</strong> Hingabe. <strong>Die</strong>se Art<br />

Hingabe ist nicht weltlicher Natur; sie duldet keine Einmischung. Einen kleinen<br />

Eindruck dieser Liebe vermitteln uns einige in dieser Welt seltene Arten wahrer<br />

irdischer Liebe, weil <strong>der</strong> Grundsatz, dem irdische Liebe und spirituelle Hingabe<br />

unterliegen, ein und <strong>der</strong>selbe ist. Irdische Liebe unterscheidet sich nur dadurch, daß<br />

sie vergänglich ist und sich eines Tages auflösen wird. Sie kann uns daher nicht<br />

annähernd das hohe Maß an Wonne und ewiger Glückseligkeit schenken wie die<br />

spirituelle Liebe und Hingabe.<br />

Körperliche Gefühlsregung o<strong>der</strong> Liebe (<strong>der</strong> Sinne) hat immer das eigene Glück zum<br />

Ziel, d.h. <strong>der</strong> Liebende macht das Objekt seiner Liebe zum Werkzeug für seine<br />

eigene Befriedigung und Freude. Hingabe dagegen ist eine Form <strong>der</strong> Liebe, die ihren<br />

Ursprung in <strong>der</strong> Seele hat und die voll <strong>der</strong> Hochachtung und Verehrung ist. <strong>Die</strong>se<br />

Liebe bemüht sich nur um das Wohl des Geliebten. Sie nimmt bereitwillig alle<br />

Unannehmlichkeiten auf sich und ist nur glücklich, wenn auch <strong>der</strong> Geliebte zufrieden<br />

und glücklich ist. Für den Geliebten opfert man seinen Körper, seinen Geist, sein Vermögen,<br />

seine Schönheit, seinen Intellekt und selbst sein Leben. All dies legt man


dem Herrn als Gabe <strong>der</strong> Anbetung zu Füßen. Der wahrhaft Ergebene gibt sein Ich<br />

vollkommen auf.<br />

"<strong>Die</strong>se Hingabe ist ein Pfad <strong>der</strong> Praxis und nicht <strong>der</strong> Theorie.<br />

Sprich daher nicht über Hingabe, son<strong>der</strong>n lebe sie,<br />

denn nur so wirst du etwas erreichen."<br />

Kabir<br />

"So wie Wasser keinen Stein durchdringen kann,<br />

mag er auch noch so lange darin liegen, so undurchdringlich<br />

wie <strong>der</strong> Stein sind jene, die ohne Hingabe sind."<br />

Adi Granth<br />

Grundsätze <strong>der</strong> Hingabe<br />

Der erste Grundsatz für die Hingabe ist <strong>der</strong>, daß man Gott als allwissenden<br />

Schöpfer anerkennt. Er ist fehlerlos, makellos rein und vollkommen. Er ist allgegenwärtig.<br />

Der Mensch, die nie<strong>der</strong>en Lebensformen und das ganze Weltall sind<br />

Zeichen Seiner Existenz. Wir sind alle Seine Kin<strong>der</strong>, und daher besteht unter uns und<br />

allen an<strong>der</strong>en eine natürliche Gemeinsamkeit. Achten wir daher die Älteren, und<br />

erweisen wir uns den Jüngeren gegenüber gütig, seien wir zu Gleichaltrigen<br />

freundlich, und lieben wir selbst unsere Feinde.<br />

Der zweite Grundsatz ist folgen<strong>der</strong>: Das Weltall ist Seine Schöpfung, und alles<br />

entspricht genau Seinem Plan. Je<strong>der</strong> sieht die Welt natürlich von seiner eigenen<br />

geistigen Warte aus.<br />

Der dritte Grundsatz besagt, daß man im Willen Gottes glücklich und bei allem,<br />

was geschieht, stets zufrieden und dankbar sein sollte. Denn, was auch immer sich<br />

ereignet, es geschieht stets zu unserem Besten. Daran ist nicht im geringsten zu<br />

zweifeln. Was uns als Leid begegnet, geschieht im Grunde nur zur Veredlung unseres<br />

Geistes. Bekanntlich wird Gold in <strong>der</strong> Glut des Feuers reiner und leuchten<strong>der</strong>. Man<br />

sollte sich daher nie beklagen.<br />

Der vierte Grundsatz ist <strong>der</strong>, daß man es als größte Sünde ansehen sollte, die<br />

Gefühle an<strong>der</strong>er zu verletzen. Wir sollten es als unsere höchste Pflicht betrachten,<br />

an<strong>der</strong>e zu trösten und glücklich zu machen, denn Gewaltlosigkeit in Gedanken,<br />

Worten und Taten ist die höchste Form religiöser Pflicht.<br />

Der fünfte Grundsatz erfor<strong>der</strong>t es, daß man ein Ergebener wird, indem man bei<br />

seinem Guru o<strong>der</strong> Meister Beistand sucht, damit man durch die Verbindung mit ihm,<br />

dem höheren Wesen, schließlich auch diese Stufe erreicht.<br />

Hingabe an den Meister heißt, ihn innig lieben. Lieben wir jemanden, so dienen wir<br />

ihm, und wir sind bereit, ihm alles zu opfern. <strong>Die</strong> Liebe kennt keine Last und keinen<br />

Zwang. Ein Ergebener opfert alles um des Geliebten willen - seinen Körper, seinen<br />

Besitz, seinen Verstand und seine Seele, ja alles legt er am Altar des Meisters nie<strong>der</strong>.<br />

Dem Meister zu dienen heißt, ihm ergeben zu sein.<br />

Weshalb sollen wir den Meister lieben? In erster Linie, damit wir uns sein Wesen<br />

und Vorbild zu eigen machen. Wenn wir den Meister lieben und an ihn denken, wird<br />

es licht in uns, und wir vergessen die Welt.<br />

Ihn zu lieben, dient dem Zweck, unsere Liebe von allen an<strong>der</strong>en Dingen zu lösen<br />

und sie auf ihn zu konzentrieren. Hat ein Wasserstrom neun Abflußmöglichkeiten und


läßt man ihm, weil man acht davon verschließt, nur eine offen, dann steigt sein<br />

Druck so stark, daß das Wasser wie ein Strahl herausschießt. Je kleiner die Öffnung,<br />

desto stärker <strong>der</strong> Strahl. Wenn unsere Liebe von allem losgelöst und nur noch auf<br />

den Meister gerichtet ist, dann sind wir frei von allen sündhaften Fesseln <strong>der</strong> Welt<br />

und begegnen Gott.<br />

Hingeben können wir uns nur jemandem, <strong>der</strong> auf einer höheren Stufe steht als wir,<br />

und seine Eigenschaften können wir nur in dem Maße annehmen, wie wir ihn lieben<br />

und ihm vertrauen. In dem Maße also, wie wir den Meister lieben und ihm ergeben<br />

sind, besitzt er für uns spirituelle Fähigkeiten und Kräfte.<br />

<strong>Die</strong> Verehrer<br />

Es gibt fünf verschiedene Arten von Verehrern:<br />

1. <strong>Die</strong> Nachahmenden: Menschen dieser Art sind nicht wirklich von Hingabe<br />

erfüllt, sehen sie jedoch echte Verehrer, ahmen sie diese nach und kommen so mit<br />

Heiligen zusammen. Es dauert sehr lange, bis sich bei ihnen wahre Hingabe einstellt.<br />

2. <strong>Die</strong> Bedrängten: Das sind von irdischem Mißgeschick geplagte Menschen, die<br />

den Schutz des Herrn suchen. Für sie ist Gott alles. <strong>Die</strong>se Hingabe ist von zweierlei<br />

Art: die eine von nie<strong>der</strong>er, die an<strong>der</strong>e von sehr hoher Art. <strong>Die</strong> nie<strong>der</strong>e Art ist <strong>der</strong><br />

Hingabe eines Schäferhundes für seinen Herrn vergleichbar. Selbst wenn <strong>der</strong><br />

Schafhirte sehr arm o<strong>der</strong> ganz einfach ist, ist er für seinen Hund dennoch <strong>der</strong> beste<br />

Herr, ist er König <strong>der</strong> Könige, und nichts kann die Ergebenheit des Hundes für seinen<br />

Herrn erschüttern. Solche Hingabe ist einfach und nichts Beson<strong>der</strong>es. Sie<br />

vervollkommnet sich aber nach und nach und wird zu einer Hingabe sehr hoher Art.<br />

Zu gegebener Zeit begehrt ein Mensch mit dieser Hingabe nichts weiter als die Liebe<br />

zu Gott. Ein solcher Ergebener sieht die Fehler o<strong>der</strong> Schwächen dessen, dem seine<br />

Verehrung gilt, nicht.<br />

3. <strong>Die</strong> Suchenden: Ein Suchen<strong>der</strong> ist, wer etwas über Gott wissen möchte. Das,<br />

was er erfährt, erweckt in ihm den Glauben an Gott und dann das Vertrauen zu Ihm.<br />

Daraus entsteht Hingabe ganz von selbst. Anfänglich unternimmt er Versuche, seine<br />

Idealvorstellung mit logischem Denken ad absurdum zu führen. Doch allmählich<br />

werden alle Zweifel beseitigt, und er liebt dann nicht nur Gott, son<strong>der</strong>n auch Seine<br />

Schöpfung.<br />

4. <strong>Die</strong> Selbstsüchtigen: Solche Menschen verfolgen so manches weltliche o<strong>der</strong><br />

religiöse Ziel und üben Hingabe mit Hintergedanken wie z. B., daß sie reich und<br />

berühmt werden wollen, daß sie Macht erlangen wollen usw. Sind aber ihre<br />

selbstsüchtigen Ziele verwirklicht, vergessen sie die Hingabe dennoch nicht. Ihre<br />

Liebe zum Herrn und ihr Vertrauen zu Ihm - was beides <strong>der</strong> Erfüllung ihrer<br />

selbstsüchtigen Interessen diente - versiegen nicht. Am Anfang lieben sie<br />

Gottergebene und mögen an<strong>der</strong>e nicht, doch verschwindet diese Einstellung nach<br />

und nach, und im Laufe <strong>der</strong> Zeit lieben sie alle Geschöpfe Gottes.<br />

5. <strong>Die</strong> Intellektuellen: Ihre Art <strong>der</strong> Hingabe unterscheidet sich von den vier<br />

an<strong>der</strong>en Arten dadurch, daß sie Kenntnis von Ursache und Wirkung, von Religion und<br />

spirituellen Dingen besitzen und deshalb mit Vertrauen und Liebe Verehrer des Herrn<br />

werden. Der Intellektuelle ist willens und geneigt, Fortschritte zu machen, und,<br />

sobald er einem Meister begegnet, steht seinem Erfolg auf dem Pfade nichts mehr im<br />

Wege.<br />

Ein Ergebener muß Vertrauen haben. Ein fester Glaube ist unbedingte<br />

Voraussetzung. Wenn dieser Glaube in Vertrauen übergeht, entsteht daraus Hingabe,


und ihre Krönung ist schließlich die Liebe. Weltliche Attraktionen o<strong>der</strong> Vergnügen<br />

interessieren einen solchen Ergebenen nicht. Es bleibt nur die Liebe zum Herrn.<br />

Wenn jemand, <strong>der</strong> dem Einfluß weltlicher Wünsche unterliegt, feststellt, daß es mit<br />

seiner Hingabe und <strong>der</strong> Erfüllung seiner Wünsche nicht zum besten steht, dann<br />

macht er in seiner Unwissenheit seinen Meister dafür verantwortlich.<br />

"O Kabir! Hingabe an einen Meister macht den Ergebenen unendlich glücklich.<br />

Wenn er sich aber nicht von nie<strong>der</strong>en Wünschen befreit, vermag er sich seines<br />

Glücks nicht zu erfreuen. Solange die Hingabe nicht ohne Wunsch nach<br />

Belohnung geschieht, ist alles <strong>Die</strong>nen vergeblich. O Kabir! Wie kann jemand, <strong>der</strong><br />

nicht selbstlos und ohne Wünsche ist, Gott erreichen? <strong>Die</strong> weltlich Gesinnten<br />

folgen dem Pfad <strong>der</strong> Hingabe, weil sie an<strong>der</strong>e ihm folgen sehen, und aus<br />

Selbstgefälligkeit. Wenn solche Menschen irgendwelche Mängel entdecken,<br />

geben sie in ihrer Unwissenheit demjenigen die Schuld, dem ihre Verehrung gilt."<br />

Kabir<br />

Arbeit, Wissen und Disziplin sind nötig, um Vereinigung mit Gott zu erlangen.<br />

Hingabe aber ist sowohl Praxis als auch die Belohnung für die Praxis. Auf dem Pfad<br />

des Wissens und dem Yoga-Pfad muß man bestimmte Fähigkeiten besitzen, um<br />

Fortschritte machen zu können. Der Hingabe aber sind Schwache, Kranke und sogar<br />

Ungebildete fähig. Der Pfad <strong>der</strong> Hingabe ist einfacher als <strong>der</strong> des Wissens, da man<br />

nicht mehr fällt o<strong>der</strong> schwankt, wenn man ihn einmal betreten hat.<br />

"Wissen ist sehr mühsam. Einfacher ist Hingabe. Der Ergebene ist immer glücklich,<br />

denn auf seinem Pfad gibt es keine Hin<strong>der</strong>nisse."<br />

Hin<strong>der</strong>nisse auf dem Pfad <strong>der</strong> Hingabe<br />

Schlechte Gesellschaft sollten wir vermeiden. Reichtum und Wollust sind zwei<br />

schwierige Hin<strong>der</strong>nisse, die zerstörerisch wirken, wenn man ihnen frönt. Vertrauter<br />

Umgang mit schlechter Gesellschaft führt in die Irre. Auch sollten wir den Umgang<br />

mit Menschen meiden, <strong>der</strong>en Verhalten uns vom Ziel unserer Hingabe ablenkt, denn<br />

ihre Gesellschaft wird uns vom Wege abbringen und uns zu Überheblichkeit und vielen<br />

an<strong>der</strong>en Lastern verleiten.<br />

Über Reichtum zu reden, erweckt habsüchtige Neigungen. Hört man von <strong>der</strong><br />

Wohlhabenheit an<strong>der</strong>er und beginnt sich damit zu beschäftigen, so wird dies auch<br />

bei uns den Wunsch erwecken, reich zu werden, und das führt ganz natürlich vom<br />

Pfad <strong>der</strong> Hingabe weg.<br />

Atheisten glauben nicht an die Existenz Gottes. Verkehrt man mit ihnen, so<br />

erheben sich Zweifel, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Glaube beginnt zu schwanken. Dadurch scheitern wir,<br />

denn die Grundlage <strong>der</strong> Hingabe ist aufrichtiger, wahrer Glaube.<br />

Lauschen wir Gesprächen über unsere Feinde, so regt sich <strong>der</strong> Zorn in uns. Auch er<br />

ist ein Hin<strong>der</strong>nis auf dem Pfad <strong>der</strong> Hingabe, denn Liebe und Zorn vertragen sich<br />

nicht.<br />

Das schwerste aller Hin<strong>der</strong>nisse aber ist <strong>der</strong> Stolz auf eigenen Reichtum, Macht,<br />

Nachkommen, Wissen, Intellekt, Herkunft, Glauben, Ansehen, guten Charakter,<br />

Schönheit usw.<br />

Was einen Ergebenen am meisten ziert, ist <strong>der</strong> Schmuck <strong>der</strong> Demut. Auf dem Pfad<br />

<strong>der</strong> Hingabe müssen alle nutzlosen Gedanken abgelegt werden und einzig dem<br />

Gedanken an den Geliebten Platz machen. Erst dann schenkt uns <strong>der</strong> Herr Seine


Gnade und Seine Barmherzigkeit.<br />

Ein weiteres Hin<strong>der</strong>nis auf dem Pfad <strong>der</strong> Hingabe ist die Heuchelei, die sich durch<br />

das Vortäuschen von Tugend, Frömmigkeit, Ergebenheit, Enthaltsamkeit und<br />

Rechtschaffenheit äußert. Ein sauberes Tuch saugt leicht Farben auf, genauso wird<br />

auch ein reines Herz leicht vom Lichte Gottes durchdrungen. Auf diesem Pfad muß<br />

man so unschuldig werden wie ein Kind, denn nur diejenigen, die reinen Herzens<br />

sind, treten in das Himmelreich ein. Christus sagt: "Wahrlich ich sage euch: Wenn ihr<br />

nicht werdet wie die Kin<strong>der</strong>, könnt ihr nicht in das Himmelreich eingehen."<br />

Voraussetzungen für die Hingabe<br />

Um wirklich ergeben sein zu können, muß man an die Allgegenwart Gottes<br />

glauben. Wahre Ergebene sind an den Pforten des Herrn immer willkommen. Sie<br />

verehren Gott durch die Heiligen, denn nur durch sie kann man Gott überall<br />

wahrnehmen und Ihm dadurch ergeben sein.<br />

Hingabe ist eine natürliche Neigung des Herzens. Sie kann sich aber nur durch die<br />

Gnade eines wahren Meisters entfalten, <strong>der</strong> selbst dem Herrn vollkommen ergeben<br />

ist.<br />

Erste Voraussetzung für die Hingabe ist es, nur ein einziges Ziel im Sinn zu haben,<br />

denn die Hingabe sollte nur einem gelten. Sonnenstrahlen, die durch ein<br />

Vergrößerungsglas gebündelt werden, können ein Stück Tuch in Brand setzen; das<br />

ist aber nicht möglich, wenn sie weiträumig verteilt sind. Konzentrieren wir also die<br />

Ströme unserer Hingabe auf unseren Geliebten, dann wird auch unsere Hingabe zur<br />

Reife gelangen. Solange unsere Hingabe nicht zielgerichtet ist, haben wir immer noch<br />

das Gefühl <strong>der</strong> Dualität, und deshalb kommt auch keine Konzentration zustande. Sie<br />

ist aber für wahre Hingabe unerläßlich.<br />

<strong>Die</strong> zweite wesentliche Voraussetzung ist Satsang. Wir müssen die Gesellschaft<br />

<strong>der</strong>er pflegen, denen die Hingabe zur festen Geisteshaltung geworden ist. <strong>Die</strong><br />

Gesellschaft <strong>der</strong> Heiligen wird uns durch <strong>der</strong>en Hingabe prägen.<br />

<strong>Die</strong> dritte wesentliche Voraussetzung ist eine richtige Ernährungsweise. Unsere<br />

Nahrung sollte das enthalten, was Ruhe und reine Gedanken hervorbringt. Dazu<br />

eignen sich Reis, Weizen, Hülsenfrüchte, Milch und Quark. Unsere Nahrung<br />

beeinflußt unser Denken, d. h. unsere Gedanken werden die gleichen Eigenschaften<br />

aufweisen wie die Nahrung, die wir zu uns nehmen. So rufen Fleisch, Fett usw. Zorn<br />

und Unruhe hervor und werden auch in unseren Gedanken Unruhe stiften. Nehmen<br />

wir Nahrung zu uns, die träge macht, wie Fisch, Wein und an<strong>der</strong>e schwerverdauliche<br />

und scharfe Speisen, dann werden wir zur Faulheit neigen.<br />

Das Lesen <strong>der</strong> Schriften, die Beibehaltung eines guten Charakters, <strong>der</strong> Simran, <strong>der</strong><br />

Besuch von Satsangs, Gewaltlosigkeit, Güte, Reinheit des Körpers und des Geistes,<br />

Glaube, Gebet, Gott in allem und jedem sehen - all das wird uns in unserer Hingabe<br />

zum Herrn helfen. Erfüllt von <strong>der</strong> Liebe zum Herrn, sollten wir uns selbst und alles<br />

an<strong>der</strong>e vergessen.<br />

Durch Hingabe an den Meister geben wir unser Selbst o<strong>der</strong> Ego auf<br />

Da <strong>der</strong> Pfad <strong>der</strong> Hingabe viele Vorteile mit sich bringt, folgt ein nach Wahrheit<br />

Suchen<strong>der</strong> ihm immer frohen Herzens und voller Eifer. Solange er aber seinen Geist<br />

nicht von allen niedrigen Sinnenbegierden befreien kann, wird er sich an den<br />

Früchten des Pfades nicht erfreuen können. Trägt man Demut nur zur Schau, ist sie


ohne Nutzen. Auch <strong>Die</strong>nen mit eigennütziger Absicht bringt keinen wahren Gewinn.<br />

"O Kabir! Laß ab von weltlichen Genüssen und zeige dadurch deinem Guru deine<br />

Hingabe. Wie Gift verzehren sie den Menschen. Nicht jedesmal wird dir die<br />

Menschengestalt gegeben.<br />

Wahre Hingabe ist äußerst schwer. Sie gleicht dem Gehen auf des Messers<br />

Schneide, ein Unterfangen, das Feiglingen nicht gelingt. Auf diesem Pfad muß<br />

man seinen Kopf als Opfer in die Hände legen, d.h., man muß sein Ich zerstören.<br />

In <strong>der</strong> Hingabe muß man das Selbst vollkommen auslöschen, indem man ganz in<br />

dem geliebten Meister aufgeht. Das soll jeden Tag geschehen. Wer es nicht<br />

vermag, gibt sich dem Essen, Trinken und den Lebensfreuden hin."<br />

Kabir<br />

Vom Ich sollte niemals die Rede sein, nur von Ihm sollte man sprechen, so daß zu<br />

gegebener Zeit nichts mehr sein wird außer Ihm. In den folgenden Zeilen legt Kabir<br />

das höchste Ziel <strong>der</strong> Hingabe dar:<br />

"Ich sagte immer: 'Du, Du', und ich bin Du geworden, da mein Selbst<br />

vollkommen verschwunden ist. Für Deinen Namen bin ich dankbar, denn spreche<br />

ich ihn aus, so sehe ich Dich, wo immer mein Blick hinfällt. Mit dem Blick auf das<br />

Ich zu reden, ist ein großes Übel. Kannst du dich seiner entledigen, so tue es, o<br />

Kabir, denn trifft Baumwolle auf Feuer, kann sie den Flammen nicht mehr<br />

entkommen. Du bist in mir und ich in Dir. Wie kann es da einen Unterschied<br />

geben? Suche ich aber einen Unterschied und lasse Dich außer acht, so<br />

wi<strong>der</strong>fährt mir Ungemach. Wenn Du bist, bin ich nicht, das habe ich in allem<br />

erfahren. Sehe ich Dich, bleibt keine Spur von mir. Das Seil von 'mein und dein'<br />

hat die materiell eingestellten Menschen in festem Griff, aber den Dir ergebenen<br />

Kabir bindet es nicht, denn <strong>der</strong> Herr ist sein Beistand."<br />

Hingabe übertrifft alles Brauchtum sowie den Weg des Wissens und die<br />

Yogaübungen. Wissen und religiöse Bräuche führen zu Überheblichkeit. Durch<br />

Hingabe werden wir ergeben und gehorsam, und die Tugend <strong>der</strong> Demut entfaltet<br />

sich in uns. Daher können Wissen und religiöses Brauchtum die Gnade Gottes nicht<br />

herbeiführen. Wer demütig ist, unterwirft sich vollkommen und vertraut auf die<br />

Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Das zieht die Gnade Gottes auf ihn herab, und in<br />

seinem Herzen wird die Liebe zu Gott erweckt.<br />

Den Pfad <strong>der</strong> Hingabe erreicht man nur durch einen Meister, und er wird nur dem<br />

gewährt, den <strong>der</strong> Herr mit Seiner Gnade beschenkt. Erst dann wird er sich Ihm mit<br />

Ergebenheit zuwenden. Selbst Engel sehnen sich nach Hingabe zu Ihm, aber ohne<br />

Meister erlangt man sie nicht. Durch bloßes Lesen heiliger Schriften werden wir nicht<br />

zu Ergebenen Gottes.<br />

Das Sehvermögen eines wahren Ergebenen wird so scharf, daß er den Geliebten<br />

überall und in allem sieht. Sein ganzes Sinnen und Trachten wird von Ihm und Seiner<br />

berauschenden Liebe beherrscht, und die Sehnsucht nach Ihm wird immer inniger. Er<br />

löst sich ganz von dieser Welt und von <strong>der</strong> nächsten, denn er hat sich vollständig<br />

dem Geliebten übergeben. Was könnte er an<strong>der</strong>es sehen wollen, was könnte ihm<br />

noch an dieser Welt liegen?<br />

Was die Hingabe bewirkt<br />

Durch die Hingabe werden die Wünsche des Menschen geläutert. Er wird zufrieden


und daher vom Kreislauf von Geburt und Tod befreit. Er hat keine Wünsche mehr,<br />

weil sie alle im Gedenken an den Herrn Erfüllung finden. Er liebt alle Menschen, weil<br />

er Gott liebt und weiß, daß alle Seine Kin<strong>der</strong> sind.<br />

Haß und Feindseligkeit verschwinden durch Hingabe an den Herrn. Da ihre<br />

wun<strong>der</strong>bare Süße Gleichgültigkeit gegenüber irdischen Freuden und Leiden<br />

hervorruft, ist und bleibt man berauscht in <strong>der</strong> Hingabe an den Höchsten. Begegnet<br />

man Gott, so erhält man alles und verlangt nicht mehr nach den Dingen <strong>der</strong> Welt.<br />

Dann ist und bleibt man voller Glückseligkeit in Seiner Gegenwart.<br />

"Nichts ist dem Ergebenen so süß wie <strong>der</strong> Name Gottes.<br />

Ich habe erkannt, daß außer dem Gedanken an Ihn alles an<strong>der</strong>e fad ist.<br />

Lobpreise den Einen. Übe Simran mit zielstrebiger Konzentration.<br />

Wie soll ich jenen Zustand preisen, da Körper und Geist in Hingabe<br />

an die eine Liebe vereint sind?"<br />

Adi Granth<br />

Ein Gottergebener nimmt den Herrn in allem wahr. Er opfert Ihm sein Selbst und<br />

legt Ihm all sein Tun und Lassen zu Füßen. Einziger Zweck seines Daseins ist die<br />

Hingabe an den Herrn. Solche Hingabe vernichtet alle Sünden und Übeltaten, und<br />

<strong>der</strong> Geist wird rein.<br />

Durch Hingabe an den Guru können wir unsere weltlichen Bindungen lösen. Nur<br />

diese Hingabe (Guru Bhakti) befreit uns von den starken, groben Bindungen an die<br />

Welt, und durch Hingabe an den Klangstrom (Naam Bhakti) werden die feineren<br />

Bindungen des Geistes veredelt. Naam Bhakti kann uns nur ein Guru gewähren. Erst<br />

wenn wir ihm begegnen, können wir Naam erhalten. Solange uns Naam nicht<br />

gewährt wird, können auch die Bindungen unseres Geistes an die Welt nicht gelöst<br />

werden. Christus beschreibt Guru Bhakti in einem Gleichnis wie folgt:<br />

"Bleibet in mir und ich in euch. Gleichwie die Rebe keine Frucht bringen kann<br />

aus sich selbst, sie bleibe denn am Weinstock, so auch ihr nicht, ihr bleibet denn<br />

in mir. Ich bin <strong>der</strong> Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in<br />

ihm, <strong>der</strong> bringt viele Früchte, denn ohne mich könnt ihr nichts tun… Gleichwie<br />

mich mein Vater liebt, so habe ich euch geliebt; bleibet in meiner Liebe."<br />

Der Meister hat, wie Gott, eine begrenzte und eine unbegrenzte Erscheinungsform.<br />

Nur durch Hingabe werden wir ihn in beiden Formen wahrnehmen können. Mit dem<br />

Blick <strong>der</strong> Hingabe erkennen wir die Gestalt des Meisters. Dann werden wir gewahr,<br />

daß das Licht seiner Augen das ganze Universum erfüllt. Den Meister kann man mit<br />

einem Ozean vergleichen, den Schüler mit einem Bach, <strong>der</strong> in den Ozean mündet<br />

und in ihm aufgeht. So verliert <strong>der</strong> Schüler seine Identität ganz und gar in <strong>der</strong><br />

Spiritualität des Meisters, die einem Ozean gleicht.<br />

"Wie <strong>der</strong> Rausch <strong>der</strong> Vereinigung den Liebenden und den Geliebten glücklich<br />

macht, wie das Gefühl <strong>der</strong> Einheit entsteht und sie sich des Weltgeschehens<br />

außerhalb ihres physischen Körpers unbewußt sind, so erfährt ein Ergebener,<br />

wenn er in Gott eingeht, noch größere Glückseligkeit und erhebt sich weit über<br />

Schmerz und Begehren, denn dieser Glückszustand ist die Erfüllung all seiner<br />

Wünsche."


<strong>Die</strong> Ströme <strong>der</strong> Liebe, die dem Herzen des Ergebenen entspringen, treffen auf das<br />

Herz des Meisters, stärken sich und kehren mit doppelter Kraft in das Herz des<br />

Ergebenen zurück. Auf diese Weise erfüllen die spirituellen Kräfte des Meisters das<br />

Herz des Schülers, und es erscheint ihm, als sei <strong>der</strong> Meister eins mit ihm geworden<br />

und er eins mit dem Meister. Hat <strong>der</strong> Schüler erst einmal diese enge Verbindung mit<br />

dem Meister, öffnen sich ihm alle Tore <strong>der</strong> Wonne und Glückseligkeit.<br />

Der innere Blick (Kontemplation) des Ergebenen ist immer auf die Gestalt des<br />

Meisters gerichtet; Tag und Nacht sind seine Gedanken bei ihm. Seine Aufmerksamkeit<br />

ist ununterbrochen auf ihn fixiert. Wenn <strong>der</strong> Ergebene stirbt, geht seine<br />

Seele dorthin, wo <strong>der</strong> Meister ist. Es gibt keinen an<strong>der</strong>en Ort für sie.<br />

"Und wer in seiner letzten Stunde an mich allein denkt und dann aus dem Leben<br />

scheidet - den Körper zurückläßt - geht in mich ein. Darüber gibt es keinen<br />

Zweifel. Was man ständig innerlich vor Augen hat, wird auch in <strong>der</strong> Todesstunde<br />

die Gedanken erfüllen, und dahin wird man gehen. Auf mich richte deine<br />

Gedanken, diene mir mit Hingabe, bringe mir dein Opfer dar und huldige mir,<br />

dann wirst du wahrlich zu mir kommen. <strong>Die</strong>ses Versprechen gebe ich dir, da du<br />

mir lieb und teuer bist."<br />

Bhagavadgita<br />

Durch Hingabe an den Herrn wird die Aufmerksamkeit des Ergebenen ganz von<br />

dem Gedanken an den Herrn erfüllt - all sein Tun und Lassen legt er Ihm zu Füßen.<br />

Dadurch wird er von den Fesseln <strong>der</strong> Welt erlöst. Hingabe befreit von Angst, Freude<br />

und Schmerz und schenkt statt dessen Seligkeit, inneren Frieden, Seelenruhe und<br />

Zufriedenheit.<br />

"Mensch, was du liebst, in das wirst du verwandelt werden.<br />

Gott wirst du, liebst du Gott, und Erde, liebst du Erden."<br />

Angelus Silesius<br />

Der schon so viele Leben schlief, wird erweckt, und <strong>der</strong> Kreislauf von Geburt und<br />

Tod findet ein Ende. Er durchquert den Ozean dieser Welt und wird erlöst. Er erreicht<br />

die höchste Region <strong>der</strong> Spiritualität. <strong>Die</strong> Seele geht in die Wahrheit ein; sie betritt das<br />

Reich Gottes und wird dort geehrt.<br />

Kapitel 10<br />

EHRFURCHT, ZUNEIGUNG UND VEREHRUNG<br />

Jedes Lebewesen, gleichgültig ob Mensch o<strong>der</strong> Tier, hat in <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Hinsicht Furcht. Nichts und niemand ist davon ganz frei. Nur <strong>der</strong> Höchste fürchtet<br />

sich vor niemandem, da Er unser aller Schöpfer ist. Er hat we<strong>der</strong> Teilhaber noch<br />

Begleiter. Wenn wir frei von Furcht werden wollen, müssen wir Gott verehren, denn<br />

was man denkt, das wird man. Verehren wir den furchtlosen Einen, so werden auch<br />

wir furchtlos. Gott wohnt in uns.<br />

"Und ich wurde furchtlos, alle Ängste schwanden,<br />

Und Sicherheit fand ich, fürwahr, beim Beschützer. So großzügig bist<br />

Du, o Herr, daß all mein Verlangen Erfüllung findet."<br />

Adi Granth


Wenn man sich vor irgend etwas in <strong>der</strong> Welt fürchtet, hat man Gott noch nicht<br />

erkannt.<br />

"Wenn die Erkenntnis gewonnen ist, Schwindet die Furcht;<br />

Wo die Furcht lebt, kann Gott nicht sein. O Heilige, seid dessen eingedenk,<br />

Denn Kabir sagt es nach reiflicher Überlegung."<br />

Kabir<br />

Es besteht kein Grund zur Furcht vor irgend jemandem außer vor Gott.<br />

"Außer Gott gibt es niemand, <strong>der</strong> zu fürchten ist."<br />

Adi Granth<br />

Vor wem haben wir Furcht? Doch nur vor jemandem, von dem wir wissen, daß er<br />

existiert. Man fürchtet sich nicht vor jemandem, an dessen Existenz man zweifelt.<br />

Wenn man also Gott fürchtet, ist man von Seiner Existenz überzeugt.<br />

Fürchtet man Gott, dann sind die Gedanken stets und ständig bei Ihm, und man<br />

kann infolgedessen keine Sünde begehen. So entstehen Ehrfurcht und Zuneigung.<br />

Wir verehren Gott, um stets Seiner eingedenk zu sein. Handeln wir aber, ohne an Ihn<br />

zu denken o<strong>der</strong> ohne Ehrfurcht Ihm gegenüber, dann ist unser Tun und Lassen<br />

sinnlos.<br />

<strong>Die</strong> Meister heben beson<strong>der</strong>s die Ehrfurcht hervor, wenn es um geistigen<br />

Fortschritt geht. Bei Ehrfurcht erhebt sich <strong>der</strong> dringende Wunsch, sich ihrer zu<br />

entledigen. Daher dient sie als ständiger Ansporn, keine Mühe zu scheuen, um das<br />

Ziel zu erreichen. Aus diesem Grund machen wir schnelle Fortschritte.<br />

Unsere Tage sind gezählt. Wann unser Ende kommt, wissen wir nicht. Je<strong>der</strong> Tag,<br />

jede Stunde, jede Minute bringt uns dem großen Wechsel, den man Tod nennt,<br />

näher. Ist dieser Zeitpunkt gekommen, verläßt die Seele den grobstofflichen, den<br />

Astral- und Kausalkörper und steigt in höhere Regionen auf. <strong>Die</strong>ser unser Körper ist<br />

das Schlachtfeld unserer Taten. Nur durch ihn sind wir aktionsfähig. Nur in ihm kann<br />

<strong>der</strong> Mensch sich selbst erkennen und den Zustand erreichen, in dem er sich von Gott<br />

nicht mehr unterscheidet. <strong>Die</strong> Furcht, dieses Ziel nicht vor dem Lebensende zu<br />

erreichen und das Menschenleben vergeudet zu haben, zwingt den Menschen zur<br />

Spiritualität. Sein Selbst nicht zu erkennen und Tag und Nacht in Sünde zu verbringen,<br />

gleicht einem Selbstmord. Wer dies aber zu vermeiden sucht, <strong>der</strong> lebt in<br />

Ehrfurcht vor dem Herrn und wird danach streben, sich von dieser Furcht zu befreien<br />

und Gotterkenntnis zu erlangen. So befreit er sich von <strong>der</strong> Todesangst. Wer aber<br />

ohne Gottesfurcht ist, lebt in Angst vor Tod und Wie<strong>der</strong>geburt.<br />

"Wer in Ehrfurcht vor Gott lebt, ist von Ängsten frei;<br />

Ohne Ehrfurcht hat man vieles zu befürchten.<br />

O Nanak, dieses Geheimnis wird erst gelüftet,<br />

Wenn wir in Seiner Gegenwart sind."<br />

Adi Granth<br />

Gott können wir nicht sehen; weshalb sollten wir also Ehrfurcht vor Ihm haben? Er<br />

offenbart sich im Meister, und wenn wir einem Meister begegnen, erwacht in uns die<br />

Gottesfurcht ganz von selbst. Dem Meister sind wir ein offenes Buch. Wenn wir den<br />

Meister sehen, kennen wir Gott.<br />

Der Meister kennt uns durch und durch, und wir fürchten uns vor unserer eigenen


Handlungsweise. Wir bemühen uns, sie abzulegen, und werden mühelos rein. Auf<br />

<strong>der</strong> einen Seite haben wir Ehrfurcht vor Ihm, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite bringt er sich bei<br />

uns in Erinnerung und zieht uns zu sich hinauf. Ehrfurcht entwickelt sich und<br />

vermischt sich mit Zuneigung, <strong>der</strong> Boden, auf dem unser Streben nach<br />

Vervollkommnung wächst.<br />

Maya, die trügerische Illusion dieser Welt, ist sehr mächtig. Das Universum<br />

unterliegt in Wirklichkeit ständigem Wandel. Nichts in ihm ist ewig o<strong>der</strong> beständig,<br />

obwohl es uns ewig und unverän<strong>der</strong>lich erscheint. Intellektuell sind wir vielleicht<br />

vorübergehend <strong>der</strong> Täuschung verfallen, unser Innerstes läßt dies jedoch nicht zu.<br />

Erst wenn wir einen Meister gefunden haben und immer mehr wie er werden, lüftet<br />

sich <strong>der</strong> Vorhang von Maya ein wenig, und wir beginnen, die Scheinnatur dieser Welt<br />

zu durchschauen. Wir verstehen allmählich die Ursache für den Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> Seele<br />

und das Leid in <strong>der</strong> Welt und sind bemüht, es aus unserem Leben zu entfernen. Der<br />

Glaube an Gottes Allmacht festigt sich. <strong>Die</strong> Liebe zu Ihm erwacht. <strong>Die</strong> Wirkungsweise<br />

Seines Willens wird erkennbar.<br />

"Durch die Gnade des Meisters Werden wir von Gottesfurcht erfüllt, und durch<br />

großes Glück Weilt Gott in unserem Herzen. Durch Gottesfurcht beherrschen wir<br />

das Gemüt, und durch das WORT wird das Ego vernichtet.<br />

Adi Granth<br />

Ehrfurcht entsteht nur, wenn wir einem wahren Meister begegnen. <strong>Die</strong><br />

ungewöhnliche Schönheit und Anziehungskraft des Meisters erwecken Ehrfurcht in<br />

uns, und Schmerzen <strong>der</strong> Liebe sind die Folge. Wir verspüren eine son<strong>der</strong>bare<br />

Empfindung von Liebe und Verlassenheit. Wenn <strong>der</strong> Schüler seinen Meister anschaut,<br />

werden Herz und Seele zu ihm hingezogen. In solch einem Augenblick füllt die<br />

Ehrfurcht seine Augen mit Tränen, aber er unterliegt dem Gebot <strong>der</strong> Schicklichkeit.<br />

Er kann nicht still bleiben, kann aber auch nicht sprechen. Seine Zunge ist wie<br />

gelähmt. Es läßt sich nicht beschreiben. Wie ein Lieben<strong>der</strong>, <strong>der</strong> im Raum des<br />

Geliebten ist, aber keine Silbe hervorbringt.<br />

Ehrfurcht und Liebe werden von den Meistern als zusammengehörig, an<strong>der</strong>erseits<br />

aber auch als getrennte Begriffe erwähnt. <strong>Die</strong> Gedanken weilen immer bei dem, den<br />

man liebt. Lieben wir ein schönes und göttliches Wesen, sind unsere Gedanken stets<br />

von ihm erfüllt. Liebe mit einer Spur Ehrfurcht wird zu wahrer Zuneigung, die weiter<br />

wächst.<br />

Welch schönes und edles Bild <strong>der</strong> Ehrfurcht und Liebe gibt uns Guru Nanak in <strong>der</strong><br />

Beschreibung <strong>der</strong> Werkstatt eines Goldschmieds: In <strong>der</strong> Werkstatt <strong>der</strong> Reinheit von<br />

Körper und Geist solle <strong>der</strong> Schüler geduldig mit dem Hammer des Wissens auf den<br />

Amboß <strong>der</strong> Weisheit schlagen. Mit dem Blasebalg <strong>der</strong> Ehrfurcht schüre er das Feuer<br />

in <strong>der</strong> Übung <strong>der</strong> Selbstzucht. Alsdann bereite er im Tiegel <strong>der</strong> Liebe den Nektar, den<br />

es durch das Destillat aus ständigem Denken an die Wirklichkeit Gottes zu gewinnen<br />

gilt. Das ist die wahre Werkstatt, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Shabd wirksam wird.<br />

"Dort schlägt <strong>der</strong> Goldschmied geduldig mit dem Hammer des Wissens auf den<br />

Amboß <strong>der</strong> Weisheit. Er schürt das Feuer <strong>der</strong> Selbstzucht mit Gottesfurcht und<br />

formt die Wirklichkeit im Gefäß <strong>der</strong> Liebe."


Verehrung<br />

Verehrung bedeutet, einem erhabeneren, höheren Wesen dienen o<strong>der</strong> es<br />

lobpreisen, weil es spirituell för<strong>der</strong>lich ist. Wohin man heutzutage schaut, überall<br />

herrscht die in Äußerlichkeiten sich erschöpfende Gottesverehrung vor. Hindus,<br />

Moslems, Christen, Sikhs und Anhänger an<strong>der</strong>er Religionen befleißigen sich alle <strong>der</strong><br />

äußerlichen Verehrung.<br />

Kirchen, Moscheen und Tempel sind religiöse Stätten, und die Menschen glauben,<br />

durch Beugen des Hauptes o<strong>der</strong> Darbringen von Blumen Gott zu verehren.<br />

Menschen, denen die innere Schau verborgen ist, verehren leblose Idole und<br />

Grabstätten, die sie mit Blumen schmücken. All ihr Bemühen hat aber keinen wahren<br />

spirituellen Wert. Es ist son<strong>der</strong>bar, daß sich <strong>der</strong> Mensch mit seinem natürlichen<br />

Tempel (Körper), <strong>der</strong> von Gott selbst erschaffen wurde, in von Menschenhand<br />

errichteten Tempeln Zwängen und Mühsal aussetzt.<br />

<strong>Die</strong> wahre Verehrung findet im Innern statt. Sie wird nicht von Händen und Füßen<br />

o<strong>der</strong> mit dem Mund ausgeführt, son<strong>der</strong>n ist Sache des Herzens und des Verstandes.<br />

"O Mutter, was soll ich dem Herrn darbringen?<br />

Ich finde we<strong>der</strong> schöne Blumen<br />

Noch sonst irgend etwas, das Seiner würdig wäre.<br />

We<strong>der</strong> Weihrauch noch Lichter,<br />

Noch Zuckerwerk, noch duftende Essenzen.<br />

Wie soll Dein <strong>Die</strong>ner Dich verehren?"<br />

"Wenn wir Körper und Verstand opfern,<br />

Erreichen wir Gott - durch die Gnade des Meisters.<br />

An<strong>der</strong>s können wir Ihn nicht verehren.<br />

O Ravidas, was wird dein Schicksal sein?"<br />

Ravidas<br />

Wenn <strong>der</strong> ergebene Schüler Fortschritte macht, schaut er Gott in Seinem<br />

vollkommenen Glanz. Er erkennt, daß Blumen und vieles an<strong>der</strong>e Schöne schon<br />

vorhanden sind und er sie nicht darzubringen braucht. Selbst Körper, Verstand und<br />

Besitz gehören uns nicht mehr. Wie wäre da ein Opfer möglich?<br />

Gott ist die Ursubstanz o<strong>der</strong> Essenz aller Formen und des Formlosen. Wie können<br />

wir Ihn verehren? Gott durchdringt als WORT o<strong>der</strong> Shabd das gesamte Universum.<br />

Verehren wir das WORT, so verehren wir auch Gott. <strong>Die</strong> Heiligen lehren uns die<br />

wahre Gottesverehrung: sich <strong>der</strong> Namen Gottes erinnern und sie wie<strong>der</strong>holen. Das<br />

ist Gott gefällig. <strong>Die</strong> meisten Menschen aber tun dies nicht und folgen einem falschen<br />

Pfad.<br />

"Nur jenes Wie<strong>der</strong>holen, jene Selbstzucht, jenes Fasten und jene Verehrung sind<br />

sinnvoll, die die Liebe zu Gott för<strong>der</strong>n. Außer <strong>der</strong> Liebe zu Gott ist jede an<strong>der</strong>e<br />

Anhänglichkeit trügerisch und im Nu vergessen."<br />

Adi Granth<br />

Solange <strong>der</strong> Mensch die höheren und feineren Regionen nicht erreicht hat, wo er<br />

Gott selbst anbeten kann, geziemt es ihm, die Verkörperung Gottes, den Meister, zu<br />

verehren. Der Schüler sollte daher die menschliche Gestalt des Meisters betrachten,<br />

innerlich Fortschritte machen und die Strahlengestalt des Meisters innen schauen.<br />

Wenn das Herz des ergebenen Schülers dem Herzen des Meisters begegnet, wird die


Melodie des Shabd wahrnehmbar. Hingabe an den Meister führt zu geistiger<br />

Verbundenheit. Verehren wir den Meister, so verehren wir Gott. <strong>Die</strong>s betonen die<br />

Meister mit Nachdruck. Damit wir Erlösung erlangen, sollten wir sowohl Gott als auch<br />

den Meister verehren.<br />

Gläubige, die ihre Verehrung äußerlich dartun, sprechen Gebete; wer aber Gott<br />

liebt, verläßt seinen Körper und betet, indem er nach innen geht. Gläubige beten<br />

täglich fünfmal zu festgesetzten Zeiten; wer aber Gott liebt, lauscht ständig <strong>der</strong><br />

inneren Musik.<br />

Kapitel 11<br />

BRENNENDE SEHNSUCHT<br />

In Bireh (brennende Sehnsucht) kommt die Liebe aktiv zum Ausdruck. Ein Lieben<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> von dieser tiefen Sehnsucht ergriffen ist, möchte seinen Geliebten nicht einmal<br />

einen Augenblick lang aus den Augen verlieren. Ist ihm Sein Anblick nicht vergönnt<br />

o<strong>der</strong> ist er von Ihm getrennt, durchdringt ein stechen<strong>der</strong> Schmerz sein Herz, und er<br />

leidet innerliche Qualen. <strong>Die</strong>ser Trennungsschmerz ist jedoch keineswegs weniger<br />

süß als das Zusammensein mit dem Geliebten. Das versteht man unter Bireh.<br />

Bireh entwickelt sich stufenweise. Zunächst denkt man voller Sehnsucht an den<br />

Geliebten und ruft sich die Vorstellung von Ihm ins Gedächtnis. <strong>Die</strong> Gedanken an Ihn<br />

und die innere Betrachtung werden so intensiv, daß die Aufmerksamkeit des<br />

Ergebenen völlig auf die Gestalt des Geliebten gerichtet ist, die stets und ständig vor<br />

seinem geistigen Auge ist. Der Geliebte wird zum Erhalter seines Lebens, und er will<br />

nicht mehr von Ihm ablassen.<br />

Beide sind eins geworden, und vollkommene Ruhe und Gelassenheit sind<br />

eingetreten. In diesem Zustand verliert <strong>der</strong> Ergebene sein eigenes Selbst und sieht<br />

den Geliebten in allem. Ein von wahrer Liebe für den Geliebten erfülltes Herz ist<br />

natürlich glücklich und wird beim Anblick des Geliebten o<strong>der</strong> bei einer Begegnung mit<br />

Ihm von einem Gefühl höchsten Glücks erfaßt.<br />

Weshalb kommt es zu dieser heftigen Sehnsucht? Ganz einfach deshalb, weil die<br />

Seele das noch nicht erlangt hat, wonach sie sich im tiefsten Grunde sehnt. So wie<br />

eine Mutter ruhelos ist, wenn man sie von ihrem Kind trennt, o<strong>der</strong> eine Frau rastlos<br />

ist ohne ihren Mann, wie ein Fisch, <strong>der</strong> ohne Wasser Qualen erleidet, genauso wird<br />

die Seele von großer Ruhelosigkeit erfaßt, weil sie von Gott getrennt ist.<br />

<strong>Die</strong>se tiefe Sehnsucht brandet stets wie eine Welle o<strong>der</strong> Strömung im Herzen auf<br />

und erfrischt den Geist mit <strong>der</strong> Erinnerung an Ihn. Durch ständiges Denken an Gott<br />

und durch Versenken in Seinen Anblick wird die Seelenpein gelin<strong>der</strong>t, und ein<br />

Glücksgefühl entsteht. <strong>Die</strong>se Stufe muß ein Suchen<strong>der</strong> erklommen haben, will er<br />

Vereinigung mit Gott erlangen.<br />

<strong>Die</strong> brennende Sehnsucht ist ein Wegbereiter für die Begegnung mit dem<br />

Geliebten. Auch ein Obstbaum muß erst Knospen haben und blühen, bevor er<br />

Früchte hervorbringen kann. Ohne Blüten kann keine Frucht entstehen, und ohne<br />

brennende Sehnsucht kann auch keine Begegnung mit dem Geliebten stattfinden.<br />

<strong>Die</strong>se Sehnsucht ist also eine Voraussetzung für die Begegnung mit Gott.<br />

Wer von brennen<strong>der</strong> Sehnsucht ergriffen ist, spürt in Gedanken an den Geliebten<br />

eine Ruhelosigkeit bis in jede Zelle seines Körpers, und ohne Begegnung mit Ihm<br />

o<strong>der</strong> ohne Seinen Anblick ist das Herz nicht beruhigt. Wir suchen die Heiligen auf,<br />

weil sie Vereinigung mit Gott erlangt haben, und wir flehen sie an, uns bei <strong>der</strong> Suche<br />

nach Gott zu helfen. Innerlich drängt es uns, Ihm zu begegnen, und ohne Ihn


können wir nicht leben.<br />

"O mein Meister, hilf mir, meinen Gott zu finden. Mein Geist und Körper lechzen<br />

nach <strong>der</strong> Begegnung mit Ihm. Ohne den Anblick meines Herrn kann ich nicht<br />

leben, und eine tiefe und ruhelose Sehnsucht brennt in mir."<br />

Adi Granth<br />

<strong>Die</strong> Lebensgeschichte aller Heiligen offenbart uns ihr starkes Verlangen und ihre<br />

Sehnsucht nach Gott. Weltliche Menschen essen, trinken und erfreuen sich <strong>der</strong><br />

irdischen Vergnügen und schlafen nachts tief und fest. Wer aber Gott liebt, weint<br />

und seufzt und ist die ganze Nacht hellwach in seinem Verlangen, dem Geliebten zu<br />

begegnen. Eine solche Seele ist von tiefer Sehnsucht nach Gott ergriffen und fleht:<br />

"Ach, wird es diesen Augen jemals vergönnt sein, Ihn zu sehen?"<br />

"Ohne den Herrn sind mein Geist und mein Körper - jede Faser meines Seins -<br />

Qualen ausgesetzt. Meine Augen finden keinen Schlaf. In Leib und Seele brennt<br />

<strong>der</strong> Trennungsschmerz. Den armen Ärzten gelingt es nicht, meine Krankheit zu<br />

erkennen. Und wie ein Süchtiger nach Rauschmitteln und Drogen verlangt, so<br />

kann ich nicht für einen einzigen Augenblick ohne meinen Geliebten sein. Wen<br />

tiefes Sehnen nach <strong>der</strong> Begegnung mit Dir erfüllt, für den ist alles an<strong>der</strong>e<br />

belanglos. Der Herr ist nicht bei mir, und dunkel ist die Nacht, von Blitzen<br />

durchzuckt, die mir Angst einjagen. Einsam ist es in meinem Bett. Ich bin ohne<br />

meinen Herrn. <strong>Die</strong> Qual ist so groß, daß ich lieber stürbe."<br />

Adi Granth<br />

Brennende Sehnsucht hat einen tiefgreifenden Einfluß wegen ihres starken<br />

Energiestromes. Sobald sie erweckt ist, können an<strong>der</strong>e Eindrücke nicht mehr in das<br />

Bewußtsein eindringen. Wer davon erfüllt ist, vergißt Körper und Kleidung, weil die<br />

Erinnerung an den Herrn ihn wie ein Magnet in seinen Bann gezogen hat und er ganz<br />

in Seiner Betrachtung versunken ist. Wenn wir uns ständig zu irgend jemandem o<strong>der</strong><br />

irgend etwas hingezogen fühlen, werden wir schließlich darin aufgehen.<br />

Unzählige Menschen in <strong>der</strong> Welt sehnen sich nach irdischen Dingen, und ihr<br />

Verlangen ist nur auf Materielles gerichtet. <strong>Die</strong>sen Menschen fällt es sehr schwer,<br />

den spirituellen Pfad zu gehen. Es ist mit keiner irdischen Methode möglich, sich von<br />

dieser Welt zu befreien. Nur ein tiefes Sich-nach-Gott-Sehnen hat einen Sinn, alles<br />

an<strong>der</strong>e Verlangen ist wertlos und irreführend. Shamas-i-Tabriz lehrte Maulana Rumi:<br />

"O mein Sohn, neun Dinge kennzeichnen die Gottesverehrer:<br />

1. Sie stoßen tiefe Seufzer aus.<br />

2. Sie sind blaß. Ein Ergebener wünscht die Vereinigung mit Gott, aber<br />

dies liegt nicht in seiner Macht. Jedesmal, wenn er an den Herrn denkt,<br />

schreit er auf, und seine Tränen können schwerlich das Feuer löschen,<br />

das in seinem Herzen brennt.<br />

3. Ihre Augen sind immer mit Tränen gefüllt.<br />

4. Sie essen wenig.<br />

5. Sie schlafen wenig.<br />

6. Tiefer Schlaf stellt sich bei ihnen nicht ein.<br />

7. Sie ächzen und stöhnen ständig.<br />

8. Sie sind ruhelos (ungeduldig, den Herrn zu sehen).<br />

9. Sie jammern und klagen fortwährend."


Kabir sagt:<br />

"Wenn das Feuer <strong>der</strong> Trennung im Herzen entbrennt und kein Rauch sichtbar ist,<br />

dann weiß nur <strong>der</strong> davon, <strong>der</strong> es selbst erfahren hat, o<strong>der</strong> <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> es<br />

geschürt hat. Nur wer verwundet war, kennt den Schmerz - sonst niemand.<br />

<strong>Die</strong>ses Feuer brennt im Innern, nicht außerhalb, und Tränen brechen hervor, die<br />

das Feuer zu löschen versuchen.<br />

Noch nie wurde jemand im Wege <strong>der</strong> Fröhlichkeit und des Frohsinns mit dem<br />

Geliebten verbunden. Wer Vereinigung mit Ihm erlangte, erfuhr sie erst nach<br />

vielen Tränen. Wäre es möglich, dem Geliebten lachend und mit Wohlbehagen<br />

zu begegnen, weshalb sollte man dann unter Trennungsschmerzen leiden?<br />

Weltlich gesinnte Menschen sind glücklich: sie essen und schlafen. Nur Kabir ist<br />

unglücklich. Er wacht und weint.<br />

O Kabir, meide ein Leben in Freuden und suche ein Leben in Tränen, denn wie<br />

willst du sonst deinen Geliebten finden?<br />

Meine Augen suchen Dich, wie die eines Wahnsinnigen, immerzu. Du aber<br />

kommst nicht zu mir. Ich bin nicht glücklich; Schmerzen und Anspannung sind<br />

meine ständigen Begleiter. Mein Körper ist ausgemergelt, ich bin nur noch ein<br />

Skelett. Unglücklich bin ich, daß mein Herr noch immer nicht gekommen ist. <strong>Die</strong><br />

Trennung hat meine Knochen und den Körper aufgezehrt. Ich bin tot, obwohl ich<br />

noch lebe.<br />

Wie eine starke Armee hat mich diese Trennung eingekreist. Sie erlaubt mir<br />

we<strong>der</strong> zu sterben noch zu leben, und mein Leben schwindet unter Qualen<br />

langsam dahin. Das Fernbleiben meines Herrn erfüllt mich mit großer Sehnsucht,<br />

und die Trennung quält mich ununterbrochen. Tag und Nacht finde ich keine<br />

Ruhe, und mein Atem wird langsam immer schwächer.<br />

<strong>Die</strong>se glühende Liebe läßt die Seele die ganze Welt vergessen. Nicht eine Sekunde<br />

ist sie ohne den Gedanken an den Herrn.<br />

"Tag und Nacht schaue ich den Pfad entlang, von wo mein Geliebter kommen<br />

soll. Da ich Ihm nicht begegne, bin ich ruhelos, und mein Herz ist betrübt.<br />

Glücklich wird <strong>der</strong> Tag sein, an dem mein Meister mich am Arm nimmt und ich<br />

Ihm zu eigen werde. Dann werde ich im Schatten Seiner Lotosfüße sitzen."<br />

Kabir<br />

Mira Bai sagt:<br />

"Ich habe die Sterne gezählt und die ganze Nacht gewacht. O Gott, wann wird<br />

die Zeit meines Glückes kommen? Mein Herr, komme zu mir und verlasse mich<br />

niemals mehr. Seitdem ich von Dir getrennt wurde, finde ich keine Ruhe. Höre<br />

ich Gesang zu Deinem Lob, werde ich ruhelos, denn Trost finde ich nur in<br />

Lie<strong>der</strong>n voll tiefer Sehnsucht nach Dir. Mit weit geöffneten Augen schaue ich den<br />

Pfad entlang (den Du kommen wirst), und die Nacht wird so lang wie ein halbes<br />

Jahr. Wem soll ich die Geschichte meiner Trennung erzählen? Wem, o mein<br />

Freund, von meiner brennenden Sehnsucht berichten? Wie ein Messer schneidet<br />

sie mir ins Herz. Wann kommt Miras Herr und bereitet ihr die Freude, daß Er sie<br />

von ihren Qualen befreit?"


Buddha nahm auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Wahrheit Zuflucht im Dschungel. Sein Körper<br />

magerte sehr stark ab.<br />

Auch die Lebensbeschreibungen an<strong>der</strong>er Heiliger zeigen, daß sie unter heftigem<br />

Trennungsschmerz litten. Wer den Pfad <strong>der</strong> Gotterkenntnis gewan<strong>der</strong>t ist, mußte den<br />

Fluß <strong>der</strong> Seufzer durchqueren, um Ihm zu begegnen. Es ist nur zu wahr, daß dieser<br />

Pfad durch Tränen führen muß. Maulana Rumi sagt:<br />

"O Mensch, willst du das Reich Gottes erreichen, dann wähle den Pfad <strong>der</strong><br />

Tränen, denn nur auf ihm wirst du Ihn finden. Nüchternes Beten und Zählen von<br />

Perlen, teilnahmsloses Lesen von Schriften, trockene Augen und ein leeres Herz -<br />

all dies gleicht einem ausgedörrten Pfad auf dem Wege zu Gott. Wärst du aber<br />

den Weg durchs Wasser (Tränen) gegangen, hättest du Ihn ohne jede<br />

Schwierigkeit erreicht."<br />

Shamas-i-Tabriz drückt es so aus:<br />

"<strong>Die</strong> Augen, die für den Darshan des Geliebten Tränen vergießen, werden Ihn<br />

eines Tages ganz bestimmt schauen. Tränen <strong>der</strong> Liebe wirken wie eine Leiter.<br />

Besteigst du sie, wirst du von selbst schnell zum Himmel aufsteigen. Der Ozean<br />

<strong>der</strong> Gnade des Geliebten dehnt sich von einem Ende zum an<strong>der</strong>en, kein Ort, den<br />

Seine Gnade nicht erreicht. <strong>Die</strong>ses Feuer brennen<strong>der</strong> Sehnsucht aber, das von<br />

<strong>der</strong> Trennung herrührt, dient <strong>der</strong> Vertiefung des Glaubens und des Vertrauens<br />

<strong>der</strong> Schüler dieses Pfades."<br />

Und Maulana Rumi:<br />

"<strong>Die</strong> Tränen gleichen den Wolken und die Sehnsucht <strong>der</strong> Hitze <strong>der</strong> Sonne. Wie<br />

die Sonnenglut für Regen aus den Wolken sorgt, durch den die Erde erhalten<br />

wird, so lassen Trennung, Sehnsucht und Ruhelosigkeit gleich einem Feuer die<br />

Ströme <strong>der</strong> Gnade und Barmherzigkeit Gottes hervorbrechen - ähnlich dem<br />

Regen - und besänftigen das Herz <strong>der</strong> Ergebenen. <strong>Die</strong> Tränen in den Augen und<br />

die Qualen des Herzens gleichen zwei Säulen, zwischen denen wir hindurch<br />

müssen, um nach innen zu gelangen."<br />

<strong>Die</strong> aus <strong>der</strong> Trennung entstandene Sehnsucht spült mit heißen Tränen die<br />

schlechten Gedanken fort. An ihre Stelle tritt das Denken an den Herrn. Aber diese<br />

Sehnsucht kann nur durch wahre Liebe und nicht durch Krokodilstränen erweckt<br />

werden. Eine so makellose und edle Sehnsucht wird nur im Herzen <strong>der</strong>er erweckt,<br />

die für die physische Offenbarung Gottes - den lebenden Meister - reine und<br />

unverfälschte Liebe empfinden. Wahre spirituelle Liebe für die physische Gestalt des<br />

Meisters ist eine Notwendigkeit für den Schüler. Wenn er die Strahlengestalt seines<br />

Meisters im Innern erblickt, weil er die spirituellen Übungen mit Liebe ausgeführt hat,<br />

dann wird er mit dieser einzigartigen Erscheinung und dem ihr entströmenden Shabd<br />

verbunden. Davon möchte er nie wie<strong>der</strong> getrennt werden. Durch die Trennung von<br />

<strong>der</strong> physischen Gestalt des Meisters erwacht die Sehnsucht, ihm innen zu begegnen.<br />

Sieht <strong>der</strong> ergebene Schüler die Form innen nicht, so stellen sich große Rastlosigkeit<br />

und quälende Gedanken ein.<br />

"<strong>Die</strong> ganze letzte Nacht hindurch konnte ich nicht mit meinem Geliebten<br />

Zusammensein, und mein ganzer Körper schmerzt. Wenn mir nach einer Nacht<br />

ohne ihn so zumute ist, wie ergeht es dann denen, die ihm nie begegnen? Wie<br />

verbringen diese ihre Nächte?"


Adi Granth<br />

<strong>Die</strong> Sehnsucht, die durch die Trennung vom Herrn hervorgerufen wird, birgt eine<br />

unbeschreibliche Süße in sich. Jene, die dem Diktat des Verstandes blindlings folgen<br />

und ganz von <strong>der</strong> weltlichen Schwelgerei im Essen, Trinken und Fröhlichsein<br />

beherrscht werden, können diese Süße nicht kosten. Glühende Sehnsucht und Flehen<br />

nach dem Herrn verwandeln sich immer in Glückseligkeit, und jene sind wirklich<br />

glücklich zu schätzen, die damit beschenkt werden.<br />

"<strong>Die</strong> Sehnsucht und ihr Schmerz lassen Weltliches bitter erscheinen.<br />

Nur <strong>der</strong> Name des Herrn ist süß."<br />

"Wird diese tiefe Sehnsucht in einem Menschen erweckt,<br />

dann wird er würdig, in <strong>der</strong> Wahrheit aufzugehen."<br />

Kabir<br />

<strong>Die</strong> Sehnsucht bringt Liebe und Verehrung für den Geliebten hervor. Gott ist die<br />

Liebe. Der Stärke seiner Sehnsucht entsprechend kommt <strong>der</strong> Ergebene dem Herrn<br />

näher. Immer klarer erkennt er auch die Bedeutung des Geliebten, was für ihn so<br />

zwingend offenbar wird, daß er ständig an die reine und erhabene Gestalt des<br />

Geliebten denkt.<br />

Das Heilmittel für den, <strong>der</strong> diese Qualen leidet, liegt in <strong>der</strong> Hand des Geliebten. Nur<br />

Er kann diesen Schmerz stillen, indem Er Seinen Darshan gewährt.<br />

Kapitel 12<br />

WAS DIE LIEBE BEWIRKT<br />

Als <strong>der</strong> heilige Johannes so alt geworden war, daß er nicht mehr gehen und nur noch<br />

mit großer Mühe sprechen konnte, nahm ihn ein an<strong>der</strong>er Schüler Christi mit zu einer<br />

Gruppe von Kin<strong>der</strong>n, zu denen er sprechen sollte. Er hob seinen Kopf und sprach:<br />

"Ihr kleinen Kin<strong>der</strong>, liebet einan<strong>der</strong>." Das sagte er noch einmal und wie<strong>der</strong>holte es<br />

ein drittes Mal. Dann schwieg er.<br />

Da sprachen die Leute, die ihm am nächsten standen: "Guter Mann, habt Ihr<br />

diesen Kin<strong>der</strong>n nichts Wichtigeres zu sagen?" Er antwortete: "<strong>Die</strong>sen Rat gebe ich<br />

immer und immer wie<strong>der</strong>, denn von allen guten Eigenschaften bedarf <strong>der</strong> Mensch<br />

<strong>der</strong> Liebe am meisten. Wenn ihr einan<strong>der</strong> liebtet und <strong>der</strong> Strom <strong>der</strong> Liebe euch<br />

erfüllte, würdet ihr auch alle an<strong>der</strong>en guten Eigenschaften besitzen. Liebet, und alles<br />

wird euch gegeben werden."<br />

Wenn wir die wahre Liebe erfahren könnten, würden wir uns selbst heilen und uns<br />

selbst Frieden und Glück bringen können. Dann würden helle Freudenströme uns<br />

beleben und stärken, und all unsere Schmerzen und unsere Traurigkeit ob <strong>der</strong><br />

Trennung vom Herrn, die daherrühren, daß wir die Grundsätze <strong>der</strong> Liebe nicht<br />

verstehen, werden verschwinden.<br />

Nur die Liebe kann uns Frieden und Glück bringen. Ohne sie ist das Leben leer und<br />

bedeutungslos, selbst die Freuden des Himmels sind ohne Wert. Ein Palast wird dem,<br />

<strong>der</strong> ohne Liebe ist, so schauerlich erscheinen wie ein Friedhof. Aber selbst armselige<br />

und verfallene Hütten werden schön, wenn <strong>der</strong> Funke <strong>der</strong> Liebe sie erleuchtet. <strong>Die</strong>


Liebe vermag selbst einen Urwald mit glücklichem Leben zu erfüllen, während ohne<br />

sie bevölkerte Städte öde und leer erscheinen.<br />

Durch den Zauber <strong>der</strong> Liebe allein erkennt <strong>der</strong> Liebende die wahre Natur von<br />

Freude und Leid, Glück und Trauer, von Wissen und Unwissenheit. In <strong>der</strong> Liebe<br />

besteht zwischen Gewinn und Verlust kein Unterschied. <strong>Die</strong> Liebe versetzt den<br />

Liebenden in die Lage, die schlechten Eigenschaften an<strong>der</strong>er zu verbergen. <strong>Die</strong> Liebe<br />

verhüllt alles Böse und Schlechte. In den Augen des Liebenden erscheint <strong>der</strong> Geliebte<br />

rein und frei von allem Bösen. Er sieht den Funken seines Geliebten in jedem. Und<br />

daher klingen seine Worte allen lieblich. Er beachtet nie die Fehler o<strong>der</strong> Unvollkommenheiten<br />

an<strong>der</strong>er. Weshalb sollte er dann kritisieren o<strong>der</strong> über jemanden<br />

reden? Kritik kommt dort auf, wo es an Liebe fehlt.<br />

In <strong>der</strong> Liebe verschwinden alle schlechten Eigenschaften des Gemütes wie Zorn,<br />

Trägheit, üble Nachrede, Haß usw., und wir sind in <strong>der</strong> Lage, unsere Gedanken und<br />

Taten mit Liebe zu beherrschen. <strong>Die</strong> Liebe regiert alles. Sie ist so wun<strong>der</strong>bar, daß in<br />

ihrer Gegenwart we<strong>der</strong> Zorn, Haß noch ähnliche Gefühle aufkommen können.<br />

"<strong>Die</strong>jenigen in <strong>der</strong> Welt, die den Herrn lieben, besitzen wahres Wissen, und<br />

wenn sie zufällig einmal ein strenges Wort äußern, verletzen sie damit niemanden,<br />

weil sie den Geist <strong>der</strong> Liebe nicht vergessen haben und deshalb jeden<br />

lieben. Sie sind die Auserwählten Gottes."<br />

Guru Ram Das<br />

<strong>Die</strong> Liebe gibt nur und nimmt nichts. Sie hat die einzigartige Eigenschaft, daß, wer<br />

sie empfängt, wunschlos wird. Sie macht den Menschen selbstlos und frei von allen<br />

Sorgen. In <strong>der</strong> Liebe stellt sich die Frage des Nehmens nicht, da sie nur das Geben<br />

kennt.<br />

<strong>Die</strong> Liebe erweckt Großmut und löscht Selbstsucht, da sie Hintergedanken nicht<br />

kennt. Würden alle Menschen im Geiste <strong>der</strong> Liebe leben, brauchten wir keine<br />

weltlichen Gesetze. Sie sind aber erfor<strong>der</strong>lich, weil noch nicht alle gelernt haben, in<br />

Liebe miteinan<strong>der</strong> auszukommen; folglich ist die Welt in ein Netz sinnlicher<br />

Neigungen verstrickt.<br />

Wenn wir lernen könnten, uns selbst, unsere Nachbarn, unser Land, die gesamte<br />

Menschheit und Gott zu lieben, wären die weltlichen Gesetze tatsächlich überflüssig,<br />

da die Liebe Liebe erzeugt. Dann würden uns die Harmonie und das Vertrauen unter<br />

den Nationen nicht fehlen, und die einzig herrschende Macht wäre die Liebe. Christus<br />

sagt:<br />

"Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden."<br />

Einem Liebenden erwächst die Kraft, jegliche Art von Leid und Schmerz zu<br />

ertragen. Weltliche Menschen lehnen sich gegen Verleumdungen auf, einem<br />

Liebenden aber sind sie gleichgültig. Seine Seele erhält solche Kraft, daß ihn kein<br />

Leiden bezwingen kann. <strong>Die</strong> Liebe ist ein perfektes Heilmittel für alle seelischen<br />

Leiden.<br />

Alles wird leicht, wenn man liebt. Unter dem Einfluß <strong>der</strong> Liebe bewältigt man die<br />

schwierigsten Aufgaben verhältnismäßig leicht. Durch die Liebe wird sogar<br />

Unmögliches möglich. "<strong>Die</strong> Liebe kennt keine Last o<strong>der</strong> unangenehme Pflicht; für sie<br />

gibt es keine Bürde." Man mag sehr hart arbeiten müssen, vielleicht auch große<br />

Verantwortung tragen, versteht man aber das Gesetz <strong>der</strong> Liebe, werden alle<br />

Schwierigkeiten durch sie ohne Mühe überwunden. "Viel vollbringt, wer viel liebt."


Wenn man eine bestimmte Arbeit gern tut, wird man sich unablässig damit<br />

befassen, weil die Liebe keine Bürde kennt. Einem Liebenden ist keine Last zuviel;<br />

freudig vollbringt er sogar Werke, die seine Fähigkeiten übersteigen. Er klagt nie<br />

über sein Unvermögen, etwas zu tun, weil er sich in <strong>der</strong> Atmosphäre seiner Liebe<br />

zutraut, jede Arbeit meistern zu können. <strong>Die</strong> Liebe verleiht ihm solche Kraft, daß er<br />

nichts für unmöglich hält.<br />

"Selbst wenn <strong>der</strong> Pfad <strong>der</strong> Liebe mit Ozeanen, Bergen, Wäl<strong>der</strong>n und endlosen<br />

Wüsten übersät wäre, würden diese aufgrund <strong>der</strong> Liebe lediglich wie ein einziger<br />

Schritt vorwärts erscheinen."<br />

Wie <strong>der</strong> Regen ein Segen für die Erde ist und sie durch ihn farbenprächtige Blumen<br />

und wun<strong>der</strong>schöne Sträucher und Bäume hervorbringt, so brechen die Knospen des<br />

geheimen Wissens um Gott zur Blüte auf, wenn <strong>der</strong> Augen Tränen auf den Grund<br />

des Herzens fallen.<br />

Durch die Liebe wird eine Stätte geheiligt. In einer solchen Umgebung fließt eine<br />

mächtige, erhebende Strömung, die aber nur ein liebendes Herz wahrnehmen kann.<br />

Wenn wir unsere häuslichen und an<strong>der</strong>en weltlichen Pflichten mit Liebe verrichten,<br />

werden wir uns eines behaglichen Lebens ohne Sorgen erfreuen können, da in <strong>der</strong><br />

Gegenwart <strong>der</strong> Liebe Verstand und Intellekt unsere innere Ruhe nicht zu stören<br />

vermögen. <strong>Die</strong> Liebe wirkt sich nicht nur auf Menschen aus. Sogar die Tiere sind<br />

ihrem erhebenden Einfluß unterworfen.<br />

<strong>Die</strong> Liebe selbst ist <strong>der</strong> Anfang und das Ende. Sie geht vom göttlichen Strom aus,<br />

<strong>der</strong> in das Herz eines lauteren Menschen dringt, seinen Einfluß rundum ausbreitet<br />

und so seine ganze Umgebung läutert. Das Herz eines Liebenden ist rein, und auch<br />

jene, die die Gelegenheit haben, einem solchen Menschen zu begegnen, können sich<br />

seinem läuternden Einfluß nicht entziehen. Wenn man eine solch reine Seele trifft,<br />

wird man so sehr beeinflußt, daß man sich von Kopf bis Fuß von Reinheit<br />

durchdrungen fühlt.<br />

Der Gemütszustand eines Menschen spiegelt sich immer auf seinem Gesicht wi<strong>der</strong>.<br />

Ob Freude o<strong>der</strong> Schmerz, Liebe o<strong>der</strong> Haß, sie zeigen sich in seinem<br />

Gesichtsausdruck, und wenn er spricht, kommt sein Gemütszustand klar zum<br />

Vorschein. Wenn ein Funke <strong>der</strong> Liebe zu Gott im Herzen eines Menschen entzündet<br />

wird, kann er dies nicht verbergen. Seine Augen verraten es. Selbst wenn sein Mund<br />

verschlossen ist, wird die Liebe in Form von Tränen hervorbrechen.<br />

"<strong>Die</strong> Liebe kann nicht verborgen bleiben, wenn sie einmal ins Herz eines<br />

Menschen eingezogen ist. Er spricht nicht darüber, aber seine Augen verraten<br />

es. Ist die Liebe einmal ins Herz eingezogen, macht sie den Menschen für alle<br />

Zeiten glücklich, denn dann wird er frei von allen Sorgen, und Ströme <strong>der</strong> Liebe<br />

gehen ständig von ihm aus."<br />

Kabir<br />

<strong>Die</strong> Religion eines Liebenden ist nichts als Liebe. Sie bewirkt in ihm eine<br />

einzigartige Konzentration und ein Gefühl <strong>der</strong> Einsamkeit. Sein Denken reicht über<br />

die Grenzen von Einssein und Dualität hinaus. Wenn er nur ein winziges Fünkchen<br />

<strong>der</strong> Liebe in sich trägt, wird ihm die ganze Welt wertlos erscheinen. Ein Herz, das<br />

auch nur wenige Tropfen aus dem Kelch <strong>der</strong> Liebe gekostet hat, wird überhaupt<br />

keinen Geschmack mehr an den Freuden dieser Welt finden. Es verlangt we<strong>der</strong> nach<br />

dem Himmel noch nach Erlösung.


Nach einiger Zeit nimmt die Liebe den Schüler ganz in Besitz, und er verspürt ein<br />

tiefes Verlangen nach dem Herrn. Indem er sich an seinen Meister erinnert, <strong>der</strong> die<br />

Verkörperung des Herrn ist, beginnt <strong>der</strong> Schüler, sich nach dem Darshan seines<br />

Meisters zu sehnen. Ihm kommen von selbst die Tränen, und seine Seele wird<br />

rastlos. <strong>Die</strong>se Rastlosigkeit läßt ihn sich selbst vergessen. Das Wie<strong>der</strong>holen <strong>der</strong><br />

heiligen Namen wird so intensiv, daß <strong>der</strong> Schüler ganz darin aufgeht und sein<br />

eigenes Selbst vergißt. Guru Ram Das sagt: "Mein Meister, die Verkörperung Gottes,<br />

hat mein Herz erobert, und ich sehne mich nach seinem Darshan."<br />

Mit Worten läßt sich dies alles nicht beschreiben, da ein solcher Mensch vom Elixier<br />

<strong>der</strong> Liebe berauscht ist und sich in einem Zustand des Überbewußtseins<br />

(Glückseligkeit) befindet. Wem die Liebe für den Meister fehlt, <strong>der</strong> kann dies nicht<br />

verstehen. Im Feuer <strong>der</strong> Liebe wird alles an<strong>der</strong>e aus dem Denken des Liebenden<br />

ausgelöscht.<br />

Das eigene Selbst zu vergessen, ist das Grundprinzip <strong>der</strong> Liebe. Alle Wünsche eines<br />

Liebenden entsprechen dem Willen des Geliebten. Sein ganzes Selbst verschmilzt mit<br />

dem Geliebten. Wenn es kein Selbst mehr gibt, wo sind da noch Wünsche?<br />

"Als ich war, war Er nicht. Wenn Er ist, bin ich nicht.<br />

Der Pfad <strong>der</strong> Liebe ist so schmal, daß ihn nur einer,<br />

nicht aber zwei gleichzeitig gehen können."<br />

Kabir<br />

<strong>Die</strong> einzigartige Eigenschaft <strong>der</strong> Liebe ist folgende: Wenn ein Same <strong>der</strong> Liebe gesät<br />

wird, folgen darauf Schmerz, Qual und Trennung. Das ist die Frucht, die daraus<br />

wächst.<br />

Der Liebende beklagt sich zuweilen: "Weshalb habe ich je geliebt?" Manchmal<br />

schilt er seine Augen und tadelt sie, jemals einen Blick auf den Geliebten geworfen<br />

zu haben. Er spricht mit niemandem, <strong>der</strong> seinen Herzenszustand nicht verstehen<br />

könnte, denn jemandem seinen Herzensschmerz mitzuteilen, <strong>der</strong> diesen nicht kennt,<br />

hieße, noch mehr Qualen auf sich zu laden. Wohin er aber schaut, er hat immer<br />

seinen Geliebten vor Augen.<br />

"Das Auge ist glücklich zu nennen, das Tränen in Erinnerung an den Geliebten<br />

vergießt. Das Herz ist glücklich zu nennen, das in <strong>der</strong> Trennung von seinem Herrn<br />

brennt, da je<strong>der</strong> Augenblick <strong>der</strong> Reue von einzigartiger Freude begleitet wird. Der<br />

Glücklichste von allen ist <strong>der</strong>jenige, dessen einziges Streben auf dieses Ziel gerichtet<br />

ist."<br />

Nur <strong>der</strong>jenige kennt den Zustand <strong>der</strong> Liebe, dessen Verstand und Körper im Ozean<br />

<strong>der</strong> Liebe versunken sind. Sonst niemand. Ein Lieben<strong>der</strong> ist ob seiner brennenden<br />

Sehnsucht außer sich, und die Menschen halten ihn für verrückt. Da er aber einmal<br />

diese einzigartige Liebe gekostet hat, ist er darüber so glücklich, daß ihn die Welt<br />

nicht mehr anzieht und er seine Zeit in einem Zustand beständiger Liebe zu Gott<br />

verbringt. Guru Arjan sagt:<br />

"O Gott! Dein demütiger <strong>Die</strong>ner ist im Zaubertrank Deiner Liebe versunken,<br />

und nun, da er ihn gekostet hat, will er nicht mehr davon ablassen."<br />

Wahre Vereinigung und zielgerichtete Konzentration wird nur durch die Liebe<br />

bewirkt. Den spirituellen Fortschritt, den man durch jahrelange Meditation erreicht,<br />

kann man durch die Liebe in einem einzigen Augenblick erzielen, da das<br />

Verschmelzen mit dem inneren Meister den Liebenden sofort ans Ziel führt. Das ist


wahre Liebe und wahrer Yoga. Es ist in <strong>der</strong> Tat unser ein und alles und sollte unser<br />

Zweck und Ziel sein, unser Fasten, unser Gebet, unsere Meditation und alles an<strong>der</strong>e<br />

auch.<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit ist Liebe, und sie wohnt in unserem Herzen. Liebe ist Nam. Sie ist tief<br />

in unserem Geist und in unserem Körper verborgen. Wer nach ihr sucht, wird sie<br />

finden. In dem Schüler eines Meisters wird die Liebe zu Gott erweckt. So werden<br />

seine Wünsche gestillt, und er verehrt nur noch Gott. Er wan<strong>der</strong>t auf dem Pfad <strong>der</strong><br />

Liebe und ist ganz in Glückseligkeit versunken.<br />

Gott ist Shabd. Gott ist die Liebe. Daher ist Shabd auch die Liebe. Heilige<br />

verkörpern Shabd. Sie verschenken ihn an an<strong>der</strong>e. Wer sich im Shabd übt und <strong>der</strong><br />

göttlichen Musik lauscht, wird zum Ozean <strong>der</strong> Liebe. Er liebt jeden und strahlt durch<br />

die Ströme göttlicher Liebe einen tugendhaften Einfluß auf die Welt aus.<br />

Gott ist die Liebe. Er ist allgegenwärtig. <strong>Die</strong> Seele ist ein Tropfen aus dem Ozean<br />

<strong>der</strong> Liebe, und gleich einem Fisch schwimmt sie in ihn zurück. Hat die magnetische<br />

Kraft <strong>der</strong> Liebe einmal von uns Besitz ergriffen, wird sie nie mehr vergehen. Gottes<br />

Ströme <strong>der</strong> Liebe dringen dann in unser Herz ein und machen uns zu Liebenden<br />

Gottes. <strong>Die</strong> Liebe zu Gott wächst im gleichen Maße wie die Liebe zum Meister, und<br />

<strong>der</strong> Schüler beginnt, inwendig Licht zu sehen.<br />

<strong>Die</strong>ses Licht erscheint manchmal in Form von Blitzen. Manchmal sieht man Sterne,<br />

die mitunter zerplatzen, woraufhin die Sonne und <strong>der</strong> Mond erscheinen. Manchmal ist<br />

die leuchtende und strahlende Gestalt des Meisters innen sichtbar. Sie befähigt die<br />

Seele, höhere geistige Regionen zu schauen und Brahm und Par Brahm zu<br />

durchqueren.<br />

Der Meister verbietet dem Schüler, diese Geheimnisse an<strong>der</strong>en mitzuteilen, da es<br />

gegen das Gesetz Gottes und das <strong>der</strong> Natur verstoßen würde. Durch die Gnade des<br />

Meisters nehmen die inneren Erlebnisse von Tag zu Tag und an Zahl und Intensität<br />

zu. Und durch das Betrachten <strong>der</strong> Gestalt des Meisters wächst auch allmählich die<br />

Liebe des Schülers zu Gott, wodurch seine Freude zu ungetrübter Glückseligkeit<br />

anwächst. <strong>Die</strong> berauschende Verzückung bringt dem Liebenden eine neue Welt vor<br />

Augen, die jenseits <strong>der</strong> physischen Region und des Gemütes liegt. Jedes Wort des<br />

Geliebten ist für ihn ein süßer Befehl. In Ihm zu leben ist höchstes Gut und süßeste<br />

Freude, kostbarer noch als das Leben.<br />

Der Liebende wird vom Strom <strong>der</strong> Liebe über Gut und Böse, über Glaube und<br />

Unglaube hinausgetragen in einen Zustand so erhaben, daß er unbeschreiblich ist.<br />

Wer von diesem einzigartigen Zustand <strong>der</strong> Wonne berauscht ist - in dem je<strong>der</strong><br />

Gedanke an Trennung o<strong>der</strong> Vereinigung schwindet - wird eins mit <strong>der</strong> Verkörperung<br />

<strong>der</strong> Liebe.<br />

Der Geist eines Liebenden ist stark und tief wie ein Ozean. Er kennt keinen<br />

Ansturm von Gedanken. Für ihn gibt es nur ein Ziel, und er hat nur einen Gedanken:<br />

den Geliebten. Wenn wir lieben, wird die Liebe <strong>der</strong> Rückhalt unserer Seele, und<br />

unsere gesamte Aufmerksamkeit ist auf den Geliebten gerichtet. Dann werden alle<br />

oberflächlichen Bindungen gelöst, die Seele wird von den Fesseln dieser Welt befreit<br />

und steigt in die höheren Regionen auf. <strong>Die</strong> höchste Region ist ihre wahre Heimat.<br />

Dort genießt sie die ununterbrochene Glückseligkeit <strong>der</strong> Vereinigung. <strong>Die</strong> Liebe führt<br />

die Seele weg von den materiellen und physischen Bindungen zu den feineren<br />

geistigen Regionen, wo sie - <strong>der</strong> Tropfen - im Ozean des Herrn aufgeht.<br />

Weil <strong>der</strong> Schüler die Liebe in sich trägt, ist Gott immer sein Führer. Er begegnet<br />

Gott, und Gott wohnt in seinem Herzen. Der Verstand wird zufriedengestellt. Der<br />

Schüler kehrt in seine wahre Heimat zurück und wird vom Kreislauf <strong>der</strong> Geburten und<br />

Tode befreit.

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