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Das seltsame Schicksal des GrafenZeppelin - Neue Zürcher Zeitung

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80 Samstag/Sonntag, 9./ 10. Juli 1988 Nr. 158<br />

WOCHENENDE 9lcue<br />


3lciic ^iirdjcr leitung<br />

WOCHENENDE<br />

I J ö / O<br />

Samstag/Sonntag, 9/10. Juli 1988 Nr. 158 81<br />

Am 5. August 190 S endet die 24-Stunden-Teslfahrt der LZ 4 mit einer<br />

Katastrophe. In Echterdingen bei Stuttgart wird das Luftschiff von einer<br />

Sturmböe erfasst ud<br />

n brennt völlig aus.<br />

<strong>Das</strong> Innere der LZ 7 «Deutschland», das 1910 den Luftverkehr zwischen<br />

deutschen Städten besorgte.<br />

zurück an den Bodensee führte. Die Leute standen köpf. Eine<br />

begeisterte Menge, so heisst es in einem zeitgenössischen Bericht,<br />

«heftig gestikulierend, winkend und schreiend, begrüsste<br />

das neue Weltwunder. Aus allen Fenstern flogen die Köpfe heraus,<br />

alle Dächer waren besetzt, der Verkehr stockte, wie die<br />

Erscheinung eines Weltwunders staunten die Menschen diese in<br />

der Sonne glänzende Riesenzigarre an . . .» Fast 400 Kilometer<br />

waren zurückgelegt worden. Zwölf Stunden hatte die Fahrt gedauert.<br />

Aber der entscheidende 24-Stunden-Test stand noch aus. Anfang<br />

August 1908 sollte er stattfinden, von Friedrichshafen nach<br />

Mainz und zurück. Unterwegs gab es mehrmals Pannen.<br />

Schliesslich landete der Zeppelin am 5. August auf freiem Feld<br />

in Echterdingen bei Stuttgart, wo ein Motorenschaden zu beheben<br />

war. Es war eine verhältnismässig einfache Sache. Alles<br />

schien im Griff. Aber nun stellte sich das alte Pech wieder ein.<br />

Eine Sturmböe riss die LZ 4 von ihrer Verankerung, sie ging in<br />

Flammen auf und verbrannte vollständig. Graf Zeppelin stand<br />

erneut vis-ä-vis de rien.<br />

<strong>Das</strong> hätte das Ende der Luftschiffahrt in Deutschland bedeuten<br />

können. Aber das Gegenteil trat ein. Eine Welle <strong>des</strong> Mitleids<br />

und de r Sympathie für den so schwer geprüften Grafen, der<br />

eben 70 Jahre alt geworden war, ging durch Deutschland. Spontan<br />

wurde eine Nationalspende eröffnet; sie erbrachte innerhalb<br />

kürzester Zeit die phantastische Summe von 6,5 Millionen Mark.<br />

<strong>Das</strong> Deutsche Reich wurde vom Taumel de r Zeppelin-Begeisterung<br />

ergriffen. Städte wetteiferten, ihm das Ehrenbürgerrecht zu<br />

schenken, Universitäten überreichten Doktorhüte. Dichter<br />

schrieben Verse, in denen sich «heller» und «schneller» auf Propeller<br />

reimten, ein Graf-Zeppelin-Marsch ertönte. Eine ganze<br />

Devotionalienindustrie entstand mit Tellern, Gläsern, Büsten,<br />

Löffeln, Taschenmessern, Postkarten, Modellbögen. In rasch erkanntem<br />

Geschäftssinn wurde de r Name Zeppelin vermarktet.<br />

Auf der Unglücksstätte von Echterdingen erhob sich ein Gedenkstein<br />

mit dem markigen Sechszeiler:<br />

«Mit dem Luftgeist hat er gerungen.<br />

Den grimmen Feind siegreic h bezwungen.<br />

Aus Flammengeist stieg er empor.<br />

Noch herrlicher als je zuvor.<br />

Der Deutschen Stolz. Dem Recken kühn,<br />

Ihm gilt der Stein: Graf Zeppelin.»<br />

Die <strong>Zeitung</strong>en überschlugen sich in euphorischen Kommentaren.<br />

In einer Zeit, da das Bild <strong>des</strong> deutschen Kaisers im Bewusstsein<br />

<strong>des</strong> Volkes zu verblassen begann, suchte sich Deutschland<br />

eine neue Vaterfigur. Sie wurde gefunden im Grafen Zeppelin.<br />

An seinem <strong>Schicksal</strong> konnte sich die Phantasie entzünden.<br />

Der eher kleinwüchsige, untersetzte Mann mit dem martialischen<br />

eisgrauen Schnauzbart und der weissen Schiffermütze auf<br />

dem kahlen Schädel entsprach den Bilderbuchhelden, wie das<br />

Volk sie liebt: verkannt, verlacht erst, aber unbeirrbar, unentwegt,<br />

unverzagt, allen Gefahren und Widrigkeiten trotzend - das<br />

Pathos triefte nur so aus den Federn.<br />

Daneben standen aber handfeste Realitäten. Nach dem Absturz<br />

von Echterdingen entwickelten sich die Luftschiffe tatsächlich<br />

zu einem bedeutenden Faktor <strong>des</strong> deutschen Binnenverkehrs<br />

und der deutschen Industrie. Am laufenden Band entstanden<br />

nun in Friedrichshafen, das zum grössten Industriezentrum<br />

am Bodensee wurde, Zeppeline. Bis 1914 besorgten sie die Verbindung<br />

zwischen den grösseren deutschen Städten. Fliegen war<br />

«in», und wenn es zunächst auch teuer war und nur eine kleine<br />

Schicht es sich leisten konnte, so hatten die Zeppeline doch eine<br />

Pioniertat vollbracht, während die eben aufkommenden Flugzeuge<br />

ihnen gegenüber scheinbar hoffnungslos im Rückstand<br />

waren.<br />

Und als 1914 der Krieg begann, da lief der Zeppelinbau erst<br />

recht auf Hochtouren. Fast hundert deutsche Luftschiffe wurden<br />

während <strong>des</strong> Krieges gebaut. Sie flogen über die feindlichen<br />

Graf Zeppelin (links) 1916 in einem Kriegsluftschiff im Gespräch mit einem<br />

österreichischen Offizier.<br />

Linien, bombardierten Paris und London, ja führten sogar einmal<br />

von Bulgarien aus einen Raid tief nach Afrika hinein. Als<br />

Graf Zeppelin am 8. März 1917 starb, erhielt er in Stuttgart ein<br />

prunkvolles Begräbnis. Zeppelinkreuzer kreisten über seinem<br />

Grab, 'und de r Kaiser sandte ein bombastisches Telegramm:<br />

«Mitten aus diesem gewaltigen Kriege abberufen, an dem er so<br />

tatkräftig und erfolgreich zur Bekämpfung der Feinde mitwirken<br />

konnte, ist es ihm leider nicht vergönnt, an dem Endkampf persönlich<br />

teilzunehmen. Sein Werk aber wird von der Armee und<br />

von der Marine in seinem Geiste fortgeführt werden.»<br />

Tatsächlich aber hatte die deutsche Kriegführung schon damals<br />

erkannt, dass die Zeppeline gegenüber den kleineren und<br />

wendigeren Flugzeugen nur beschränkt zum Kriegseinsatz tauglich<br />

waren. Von den 96 im Krieg verwendeten deutschen Zeppelinen<br />

gingen 72 verloren - eine untragbare Verlustquote.<br />

Pl<br />

Der deutsche Monarch, der Zeppelin als den «grössten Mann <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts» feierte, empfängt den Grafen 1909 in Berlin.<br />

Der Bau dauerte rund ein Jahr. Am 2. Juli 1900 konnte de r<br />

erste Flugversuch unternommen werden. Der Erfolg war massig.<br />

exceuen; ijeneraL der cavauerie<br />

Zwar strömte eine Menge Schaulustiger hinzu, aber das Schiff<br />

grar zeppelin von berlin jcnios:.<br />

blieb nur wenige Minuten in de r Luft. Im Herbst 1900 war das<br />

Kapital der Gesellschaft aufgebraucht, die Liquidation wurde<br />

beschlossen.<br />

irlrgt,ipl)ir jHt<br />

Urs Brutto« lindis.<br />

Graf Zeppelin schrieb neue Denkschriften, machte neue<br />

Sammlungen. Berlin W. Haiipl-Tdqinpliaumt<br />

Im November 1905 war das zweite Luftschiff fertig,<br />

rrisdricnsnaten senior., \i ü9/b 3-iu<br />

itt<br />

die LZ 2. Bei seiner ersten Fahrt wurde es nach einer Notlandung<br />

ni>;<br />

von einem Sturm beschädigt, so dass es abgewrackt werden<br />

iiernlM ' mnjcn zur queciaicn ertönten landung ,<br />

musste. Wieder Denkschriften, Sammelaufrufe, Lotterien und<br />

Darlehensgesuche. Jetzt ging es rascher. Im April 1906 bereits<br />

dieses ziel,<br />

dass lcti<br />

ßrreicnt ! iCti lactis ilr die ireude innen<br />

sie a . l . s . das iiunenresiients 19<br />

nun 3ucn<br />

begann der Bau der LZ 3. Der Deutsche Reichstag bewilligte<br />

«estei.Lt nane . <strong>des</strong>sen vortuducner cmiandaur sie dereinst<br />

Kredite zum Bau einer neuen schwimmenden Halle in Manzell.<br />

innen<br />

areo<br />

<strong>Das</strong> neue Luftschiff sollte vom Reich finanziert und übernommen<br />

werden, aber nur wenn gewisse Bedingungen erfüllt würden.<br />

+#''.'<br />

Die wichtigste war, dass der Flugkörper sich während 24<br />

Stunden in der Luft sollte halten können.<br />

tfJÄrr/«-iflA.«iVi\.i&i 'm<br />

<strong>Das</strong> war ein erster Durchbruch. Zeppelin begann seine Werkstätten<br />

von Manzell ins nahe Friedrichshafen zu verlegen, das<br />

nun zum Zentrum der Zeppelin-Werke wurde. Ein neues Schiff, rtk-- r- -/£.'' 1^=.<br />

die LZ 4, wurde gebaut. Am I.Juli 1908 startete sie zum ersten Glückwunschtelegramm <strong>des</strong> Königs von Württemberg mit handschriftlichen<br />

grossen Flug, de r nach Luzern und über Zürich und Winterthur<br />

Notizen Zeppelins.<br />

Beisetzung <strong>des</strong> Grafen<br />

Zeppelin am 11. März 1917 in Stuttgart.<br />

Die Hoffnung, dass nach dem Krieg die Luftfahrt vor allem<br />

im interkontinentalen Verkehr von den Zeppelinen forciert und<br />

dominiert würde, schien sich in der zweiten Hälfte der zwanziger<br />

Jahre zu erfüllen. Deutsche Zeppeline flogen nach Nord- und<br />

Südamerika, nach dem Nordpol und um die ganze Erde. Mit<br />

dem Absturz von LZ 129 «Hindenburg» aber endete im Mai<br />

1937 die Luftschiffahrt jäh und unwiderruflich. Im Zweiten<br />

Weltkrieg wurden keine Zeppeline mehr eingesetzt. Nach 1945<br />

eroberte sich das Flugzeug den Weltluftverkehr. Versuche Hugo<br />

Eckeners, <strong>des</strong> Sachwalters der Zeppeliner nach dem Tode <strong>des</strong><br />

Grafen, eine Renaissance der Luftschiffahrt herbeizuführen,<br />

blieben erfolglos.<br />

So endet schliesslich Zeppelins <strong>Schicksal</strong> im Nachruhm doch<br />

noch tragisch. Er geriet in Vergessenheit. Sein Name verblasste.<br />

Geblieben ist nur die Erinnerung an jene silberglänzenden Kolosse,<br />

die überall in der Welt, wo sie auftauchten. Menschen<br />

begeisterten. Bald wird nur noch die Fama bleiben von dem<br />

«Reitergeneral, der in die Luft wollte», der alle Hindernisse<br />

siegreich bezwang und für die letzten Jahre seines Lebens zum<br />

Idol einer ganzen Generation wurde, die ihn als den Bezwinger<br />

de r Lüfte feierte, weil er einen alten Menschheitstraum wahrgemacht<br />

hatte.<br />

r<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Zürcher</strong> <strong>Zeitung</strong> vom 09.07.1988<br />

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