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BEST OF Otto Brenner Preis 2009 - Otto Brenner Shop

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<strong>BEST</strong> <strong>OF</strong><br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> <strong>2009</strong><br />

Kritischer Journalismus –<br />

Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten<br />

<strong>Preis</strong>träger <strong>2009</strong> · Begründungen der Jury · Prämierte Beiträge<br />

Recherche-Stipendien · <strong>Preis</strong>verleihung <strong>2009</strong> · Ausschreibung 2010


<strong>BEST</strong> <strong>OF</strong><br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> <strong>2009</strong><br />

Kritischer Journalismus –<br />

Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten


INHALT<br />

5 Vorwort<br />

Jupp Legrand<br />

8 Eröffnung<br />

Berthold Huber<br />

14 Festrede<br />

Tom Schimmeck<br />

<strong>Preis</strong>träger <strong>2009</strong><br />

Medienprojektpreis<br />

33 Attac Deutschland<br />

„ZEIT“-Plagiat<br />

1. <strong>Preis</strong><br />

37 Marc Thörner<br />

„Wir respektieren die Kultur“<br />

2. <strong>Preis</strong><br />

43 Ulrike Brödermann und<br />

Michael Strompen<br />

„Der gläserne Deutsche –<br />

wie wir Bürger ausgespäht<br />

werden“<br />

3. <strong>Preis</strong><br />

49 Simone Sälzer<br />

„Leben in Würde“<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> „Spezial“<br />

53 Christian Semler<br />

„Fleißig gebuddelt,<br />

wenig Ertrag“<br />

Recherche – Stipendien I<br />

62 Moderatorin Sonia Seymour<br />

Mikich im Gespräch mit Jury-<br />

Mitglied Thomas Leif<br />

64 Sandro Mattioli<br />

„Auf Dreck gebaut: Wie sich<br />

die Müllmafia in Deutschland<br />

etabliert“<br />

66 Tina Groll<br />

„Angepumpt und abkassiert:<br />

Subprime in Deutschland“<br />

68 Marianne Wendt und<br />

Maren-Kea Freese<br />

„Ich schreibe, also bin ich“<br />

Recherche – Stipendien II<br />

74 Jury-Mitglied Thomas Leif im<br />

Gespräch mit ehemaligen <strong>Preis</strong>trägern<br />

Ergebnisse abgeschlossener Stipendien<br />

82 Veronica Frenzel<br />

„Schattenbrüder“<br />

86 Günter Bartsch<br />

„Schickt Briefe!“<br />

„Helios Media: Das Geschäft mit<br />

der Eitelkeit“<br />

97 Thomas Schuler<br />

„Soft Power“<br />

103 Thomas Schnedler<br />

„Stell! Mich! An!“<br />

Ausgewählte Texte und Reden<br />

112 Georg Mascolo<br />

Laudatio zur Verleihung des<br />

„Leuchtturms für besondere<br />

publizistische Leistungen“<br />

118 Die Jury<br />

124 Daten und Fakten<br />

zum <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> <strong>2009</strong><br />

126 <strong>Preis</strong>träger 2005 – 2008<br />

128 Ausschreibung<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> für<br />

kritischen Journalismus 2010<br />

131 Impressum<br />

132 Inhaltsverzeichnis der DVD<br />

3


„<strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>“: Eine anspruchsvolle Auszeichnung<br />

für herausragenden Journalismus<br />

Die noch kurze, aber erfolgreiche Geschichte des „<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>es für kritischen<br />

Journalismus“ steht für den Anspruch, nur Beiträge zu prämieren, die in<br />

der breiten Masse durch eigenständige und intensive Recherche auffallen, durch<br />

die Themenwahl überzeugen und sich durch besondere journalistische Qualität<br />

auszeichnen. Garant für die treffsichere Auswahl und die anspruchsvolle Auszeichnung<br />

besonderer journalistischer Leistungen ist die unabhängige Jury,<br />

die ihre Entscheidungen anhand transparenter Kriterien trifft – und öffentlich<br />

begründet.<br />

VORWORT<br />

Die überwältigende Resonanz, auf die die Ausschreibung zum „<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong><br />

<strong>Preis</strong> <strong>2009</strong>“ wieder gestoßen ist, unterstreicht, dass die professionelle Arbeit<br />

der ehrenamtlich tätigen Fach-Jury hohes Ansehen genießt und der Journalistenpreis<br />

der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung eine breite Wertschätzung erfährt. Über 500<br />

Bewerbungen sind ein Beleg für den guten Ruf, den sich der „<strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>“<br />

schon nach fünf Jahren erworben hat. 187 BewerberInnen gaben bei ihrer Bewerbung<br />

<strong>2009</strong> an, dass sie den <strong>Preis</strong> bereits vor der Ausschreibung kannten, und<br />

95 haben auf persönliche Empfehlungen von KollegInnen hin ihre Unterlagen<br />

eingereicht. Diese Zahlen verdeutlichen, dass unser <strong>Preis</strong> inzwischen zu einer<br />

festen Größe geworden ist und in der Fachwelt für Seriosität, Unabhängigkeit<br />

und Professionalität steht. Mit dem „Best of <strong>2009</strong>“ dokumentieren wir Teile der<br />

<strong>Preis</strong>verleihung, stellen die prämierten Beiträge vor, machen die Laudatien der<br />

Jury zugänglich und informieren rund um den „<strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>“.<br />

Ganz im Sinne <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong>s wollen wir weiterhin kritischen und engagierten<br />

Journalismus fördern, weil Aufklärung, demokratische Wachsamkeit und<br />

Medienvielfalt für das Funktionieren von Demokratie überlebenswichtig sind<br />

und für die Entwicklung der Zivilgesellschaft „systemrelevant“ bleiben.<br />

Bewerbungen für den „<strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> 2010“ nehmen wir vom 1. April bis einschließlich<br />

13. August an. Die <strong>Preis</strong>verleihung ist am 2. November in Berlin.<br />

Jupp Legrand, Geschäftsführer der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung<br />

5


ERÖFFNUNG<br />

Berthold Huber<br />

Rede zur Verleihung der<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>e für<br />

kritischen Journalismus <strong>2009</strong>


Liebe <strong>Preis</strong>trägerinnen<br />

und <strong>Preis</strong>träger,<br />

liebe Gäste der <strong>Preis</strong>träger,<br />

liebe Mitglieder der <strong>Preis</strong>-Jury,<br />

sehr geehrte Damen und Herren,<br />

liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,<br />

herzlich Willkommen zur „Verleihung<br />

der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>e <strong>2009</strong> für kritischen<br />

Journalismus“. Es freut mich,<br />

dass Sie unserer Einladung gefolgt<br />

sind.<br />

Heute verleihen wir zum fünften Mal<br />

den Journalistenpreis der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong><br />

Stiftung. Ein guter Anlass, eine kurze<br />

Zwischenbilanz zu wagen.<br />

Als wir 2005 den <strong>Preis</strong> erstmals ausschrieben,<br />

waren wir über die Resonanz<br />

überrascht. 135 Bewerbungen<br />

wurden der Jury eingereicht. 2006 und<br />

2007 stiegen die Bewerbungen kontinuierlich<br />

an. Der <strong>Preis</strong> gewann in der<br />

Fachöffentlichkeit an Profil. 2008 und<br />

auch <strong>2009</strong> wurden der Jury jeweils<br />

über 500 Bewerbungen vorgelegt. Mit<br />

dieser Zahl von Bewerbungen hat sich<br />

der „<strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>“ fest in der oberen<br />

Liga der deutschen Journalistenpreise<br />

etabliert.<br />

Der <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> ist mit insgesamt<br />

45.000 Euro dotiert. Damit kann er<br />

sich auch in dieser Hinsicht unter den<br />

deutschen Journalistenpreisen gut<br />

sehen lassen. Die Zahl der Bewerbungen<br />

und die Höhe des <strong>Preis</strong>geldes sind<br />

aber nicht die Kriterien, an denen wir<br />

die Bedeutung eines Journalistenpreises<br />

messen sollten.<br />

Es gibt <strong>Preis</strong>e, die Journalisten mit<br />

Stolz tragen. Also <strong>Preis</strong>e, die eine Biografie<br />

schmücken und journalistische<br />

Leistungen unterscheidbar machen.<br />

Es gibt aber auch <strong>Preis</strong>e, die in keinem<br />

Lebenslauf auftauchen, die „versteckt“<br />

werden. <strong>Preis</strong>e also, die gut fürs Portemonnaie<br />

sind, aber mit publizistischem<br />

Profil nichts zu tun haben. Zu der Flut<br />

von Journalistenpreisen sagt der<br />

Medienwissenschaftler Michael Haller:<br />

„Ziel bei vielen Ausschreibungen ist<br />

es, nur ein bestimmtes Thema verstärkt<br />

in die Medien zu bringen.“<br />

Journalistenpreise sind dann ernst zu<br />

nehmen, wenn sie journalistische Leistungen<br />

prämieren, die Vorbild für die<br />

ganze Branche sind. Es gibt Journalistenpreise,<br />

in deren Jury zwar „verdiente“<br />

Lobbyisten sitzen, aber keine Leute<br />

vom Fach. Aber letztlich entscheidet<br />

die Zusammensetzung und der Spielraum<br />

einer Jury über die Bedeutung<br />

eines Journalistenpreises.<br />

Die Jury des „<strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>es“ sichtet<br />

die Bewerbungen, diskutiert die Eingaben,<br />

wägt ab, wählt die <strong>Preis</strong>träger<br />

anhand transparenter Kriterien aus<br />

und begründet ihre Entscheidungen<br />

öffentlich. Die hohe Wertschätzung,<br />

die der „<strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>“ schon nach<br />

fünf Jahren in der Fachwelt genießt,<br />

hängt untrennbar damit zusammen,<br />

dass eine der wohl profiliertesten<br />

Jurys die Verantwortung für die Auswahl<br />

trägt. Unabhängigkeit, Profil,<br />

Professionalität, Kompetenz: dafür<br />

stehen unsere Jury-Mitglieder. Sie<br />

haben den <strong>Preis</strong> zu dem gemacht, was<br />

er heute ist: Ein <strong>Preis</strong>, der kritischen<br />

Journalismus fördert und hartnäckige<br />

Recherchen auszeichnet.<br />

Liebe Gäste,<br />

nach so viel Vorrede darf ich die Mitglieder<br />

der Jury kurz vorstellen.<br />

Frau Mikich ist seit 2002 Redaktionsleiterin<br />

und als Moderatorin das<br />

„Gesicht“ des WDR Politik-Magazins<br />

„Monitor“. Vorher war sie u.a. Korrespondentin<br />

in Moskau, dort auch – als<br />

erste Frau – Leiterin des ARD-Studios.<br />

Diese Aufgabe nahm sie auch von Mitte<br />

1998 bis Ende 2000 in Paris wahr. Frau<br />

Mikich und ihre Redaktion sind selbst<br />

Träger renommierter <strong>Preis</strong>e und vieler<br />

Auszeichnungen.<br />

Liebe Frau Mikich, ganz herzlichen<br />

Dank für Ihre kenntnisreiche Mitarbeit<br />

in der Jury. Wir freuen uns, dass Sie<br />

sich nicht nur jedes Jahr beherzt an die<br />

Jury-Arbeit machen, sondern heute<br />

auch wieder die <strong>Preis</strong>verleihung moderieren.<br />

Dem „<strong>Brenner</strong>-<strong>Preis</strong>“ von Anfang an<br />

eng verbunden ist Harald Schumann,<br />

Redakteur für besondere Aufgaben<br />

beim Tagesspiegel, der hier in Berlin<br />

erscheint. Harald Schumann, bekannt<br />

für gewissenhafte Recherchen, ist auch<br />

Autor zahlreicher Bücher, mit denen er<br />

sich als kompetenter Globalisierungskenner<br />

ausweist.<br />

Lieber Herr Schumann, herzlich Willkommen<br />

und vielen Dank, dass Sie Ihr<br />

breites Wissen in die Jury einbringen<br />

und Sie uns alle an Ihren Einschätzungen<br />

teilhaben lassen.<br />

8 9


Dr. Heribert Prantl ist Ressortleiter<br />

Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung.<br />

Durch seine SZ-Kommentare –<br />

in Sprache, Stil und Klarheit einzigartig<br />

– hat er sich in der deutschen<br />

Medienlandschaft einen großen<br />

Namen ge-macht und einen unverwechselbaren<br />

Status erreicht. Prantl<br />

ist wegen seiner rhetorischen Fähigkeiten<br />

berühmt und wird wegen seiner<br />

politischen Zuspitzungen gefürchtet.<br />

Er ist Autor vieler Bücher und Träger<br />

zahlreicher Auszeichnungen. Altkanzler<br />

Schröder hat ihn mal in einer Laudatio<br />

als „3. Senat des Bundesverfassungsgerichts“<br />

geadelt.<br />

Lieber Herr Prantl, herzlich Willkommen<br />

und herzlichen Dank für Ihr Engagement<br />

in der Jury.<br />

Mit dem Namen Volker Lilienthal ist<br />

und bleibt die Aufdeckung von<br />

Schleichwerbung in ARD und ZDF verbunden.<br />

Volker Lilienthal war 20 Jahre<br />

lang Redakteur beim Evangelischen<br />

Pressedienst, darunter 5 Jahre lang<br />

Chef von „epd-medien“. Unser Jury-<br />

Mitglied ist Träger renommierter <strong>Preis</strong>e<br />

und Autor relevanter Fachbücher.<br />

Seit Juli <strong>2009</strong> ist er erster Inhaber der<br />

„Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur<br />

für die Praxis des Qualitätsjournalismus“<br />

an der Uni in Hamburg.<br />

Lieber Herr Prof. Dr. Lilienthal! Erstmal:<br />

Herzlichen Glückwunsch zur ordentlichen<br />

Professur. Wir sind froh, dass<br />

der einzige Professor für „die Praxis<br />

des Qualitätsjournalismus“ in der<br />

<strong>Brenner</strong>-Jury mitarbeitet. Wir wollen<br />

Ihre Kompetenz und Ihr Wissen nicht<br />

missen und freuen uns sehr, dass Sie<br />

Ihren Sach- und Fachverstand einbringen.<br />

Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass<br />

„der Leif“ geklont sei oder zumindest<br />

ein Double von ihm unterwegs ist.<br />

Thomas Leif ist nicht einfach nur<br />

„Chef-Reporter Fernsehen“ beim SWR<br />

in Mainz. Er ist Filmemacher, Reporter,<br />

Autor von Bestsellern, Herausgeber<br />

zahlreicher Bücher, Planer, Organisator<br />

und Moderator von Veranstaltungen,<br />

nicht zuletzt: Gründer und Vorsitzender<br />

des netzwerk recherche e. V..<br />

Er ist alles zugleich: Macher, Ideengeber<br />

und Berater – oft auf der großen<br />

Bühne, nicht selten im Hintergrund.<br />

Er tanzt jedenfalls auf mehr als den<br />

berühmten tausend Hochzeiten. Seit<br />

Anfang <strong>2009</strong> hat er mit „2 + Leif“<br />

seine eigene Sendung und seit Mitte<br />

des Jahres ist er Professor in Koblenz-<br />

Landau. Dass er trotz all dieser Verpflichtungen<br />

noch Zeit hat, sich aktiv<br />

in die Jury-Arbeit einzubringen, wissen<br />

wir sehr zu schätzen.<br />

Lieber Thomas Leif, auch Ihnen ein<br />

herzliches Willkommen und vielen<br />

Dank dafür, dass Sie sich seit Jahren in<br />

ganz besonderer Weise für den <strong>Preis</strong><br />

stark machen und seine Entwicklung<br />

bis heute engagiert mitgeprägt haben.<br />

Verehrte Anwesende,<br />

es ist mir eine besondere Freude, mit<br />

Tom Schimmeck den Festredner des<br />

heutigen Tages zu begrüßen.<br />

Tom Schimmeck ist bei der OBS kein<br />

Unbekannter. 2007 erhielt er den erstmals<br />

ausgelobten „Spezialpreis“.<br />

Heribert Prantl formulierte es damals<br />

in seiner Laudatio so:<br />

„Der Meinungsjournalismus steht ja<br />

immer in der Gefahr belehrend zu sein,<br />

oberlehrerhaft daher zu kommen.<br />

Tom Schimmeck ist das allerbeste<br />

Beispiel dafür, dass das überhaupt<br />

nicht sein muss. Wenn man seine<br />

Sache gut macht, ist überhaupt<br />

nichts Oberlehrerhaftes dabei.“<br />

Ich bin mir sicher: Tom Schimmeck<br />

wird heute seine Sache wieder gut<br />

machen und einen originellen Blick<br />

auf „Meinungsmacher“ und „Meinungsmärkte“<br />

werfen!<br />

Sehr geehrter Herr Schimmeck,<br />

herzlich Willkommen bei uns!<br />

Wir freuen uns auf Ihre Rede über<br />

„Medien, Macht und Meinungsmache“.<br />

Berthold Huber, Verwaltungsratsvorsitzender<br />

der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung (seit Mai <strong>2009</strong>)<br />

und Mitglied der „<strong>Brenner</strong>-<strong>Preis</strong>“-Jury<br />

10 11


FESTREDE<br />

Tom Schimmeck<br />

„Medien, Macht und Meinungsmache“<br />

Festrede zur Verleihung der<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>e für<br />

kritischen Journalismus <strong>2009</strong>


Meine sehr geehrten Damen<br />

und Herren,<br />

ich freue mich sehr, hier heute die Festrede<br />

zur Verleihung der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong><br />

<strong>Preis</strong>e halten zu dürfen. Auch weil ich<br />

weiß, wie herrlich es ist, diesen <strong>Preis</strong><br />

zu bekommen. Vor zwei Jahren war ich<br />

der Glückliche, der den gerade neu<br />

geschaffenen <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Spezialpreis<br />

erhielt. Heribert Prantl hielt eine<br />

Laudatio auf mich, infolge der ich<br />

gefühlte dreieinhalb Tage rot war vor<br />

Stolz. Er nannte mich damals – ich<br />

habe das nochmal nachgelesen und<br />

wurde prompt wieder rot – einen Diamanten.<br />

Das ist objektiv betrachtet<br />

kompletter Unfug. Aber es tut so gut.<br />

Der Mann hat seither kein Wort mehr<br />

mit mir gewechselt. Mir auch nie einen<br />

Auftrag gegeben. Aber jedes Mal,<br />

wenn ich seinen Namen lese, bin ich<br />

nicht nur inhaltlich inspiriert, mir wird<br />

auch ein bisschen warm ums Herz.<br />

Wir Journalisten sind ja merkwürdige,<br />

zwiespältige Wesen. Einerseits müssen<br />

wir stets Kompetenz und Sicherheit<br />

verströmen, permanent so tun, als<br />

seien wir über alles Geschehen global<br />

und komplett im Bilde; als verfügten<br />

wir über enormes Fachwissen, exklusivste<br />

Informationen und ein glasklares<br />

Urteil. Die Alpha-Exemplare unserer<br />

Gattung vermögen Tag und Nacht<br />

mit großer Geste und bedeutungsschwerem<br />

Blick vor jede Kamera zu<br />

treten. Oft sagen sie dabei nur ihre<br />

dreieinhalb Lieblingssätze. Aber es<br />

wirkt doch irgendwie souverän.<br />

Andererseits sind wir eigentlich ziemlich<br />

unsicher und empfindlich. Obwohl,<br />

oder gerade weil wir mit unserem<br />

Namen, unserer Stimme, unserem<br />

Gesicht mehr oder weniger prominent<br />

in der Öffentlichkeit herumstehen.<br />

Meist können wir viel schlechter einstecken<br />

als austeilen. Wir wissen ja<br />

ziemlich genau, wie wenig wir wissen.<br />

Wir wissen, dass uns zum Berichten<br />

und Analysieren meist – bestenfalls –<br />

ein einigermaßen solides Halbwissen<br />

reichen muss. Und zum Kommentieren<br />

ein halbwegs plausibler Verdacht.<br />

Gerade Journalisten, die ihren Beruf<br />

besonders gut machen wollen, sind oft<br />

chronisch überfordert. Alles wird immer<br />

komplexer. Die Materialfülle ist gigantisch.<br />

Wir finden so vieles unglaublich<br />

spannend. Wir wollen alles unbedingt<br />

durchschauen. Und laufen dabei immer<br />

häufiger Gefahr, gründlich an der Nase<br />

herumgeführt zu werden. Manchmal<br />

ist es zum Jaulen. Und eigentlich nicht<br />

zu schaffen.<br />

Max Weber hat schon 1919 beschrieben,<br />

dass es – Zitat – „keine Kleinigkeit ist,<br />

über alles und jedes, was der »Markt«<br />

gerade verlangt, über alle denkbaren<br />

Probleme des Lebens, sich prompt und<br />

dabei überzeugend äußern zu sollen,<br />

ohne nicht nur der absoluten Verflachung,<br />

sondern vor allem der Würdelosigkeit<br />

der Selbstentblößung und ihren<br />

unerbittlichen Folgen zu verfallen.“<br />

Was ich Ihnen klarmachen will: Wie<br />

wirklich wunderbar es sich anfühlt,<br />

plötzlich so einen <strong>Preis</strong> zu bekommen.<br />

Man lächelt da nicht nur reflexartig<br />

lieb. Man ist tatsächlich glücklich. All<br />

das mühsame Hausieren und Debattieren<br />

und Recherchieren und Reisen<br />

und Schreiben und/oder Schneiden<br />

schnurrt zusammen auf diesen feinen<br />

Augenblick. Das Wort Ehre klingt<br />

scheußlich altmodisch. Es ist auch<br />

gründlich missbraucht worden. Aber<br />

die Substanz ist eigentlich ungemein<br />

schön: Man hat etwas richtig Gutes<br />

zustande gebracht. Das ist anderen,<br />

auf deren Urteil man etwas gibt, aufgefallen.<br />

Man findet Anerkennung,<br />

wird hervorgehoben, gelobt.<br />

Man kriegt sogar Geld, hurra. Und wird<br />

folglich selbst in der Sparkassen-Filiale<br />

plötzlich viel freundlicher begrüßt.<br />

Weil offenbar doch noch Hoffnung<br />

besteht, dass mal was reinkommt.<br />

Der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> ist ein <strong>Preis</strong>,<br />

der für guten Journalismus steht. Vergeben<br />

von einer Jury, die journalistische<br />

Integrität repräsentiert. Das ist wichtig.<br />

Umso mehr, als es inzwischen an die<br />

300 Journalistenpreise gibt. Ein Journalist<br />

kann mit einem <strong>Preis</strong> rechnen,<br />

wenn er die Zeitarbeit „mit ihrem innovativen<br />

Anspruch und ihren Perspektiven“<br />

darstellt. Er kann den „Business<br />

of Beauty Medienpreis Friseur“ ergattern,<br />

den „Journalistenpreis Tiefkühlkost“<br />

und den „proDente Journalistenpreis<br />

‚Abdruck’“ – vergeben für<br />

„besonderes Engagement im Bereich<br />

Zahnmedizin und Zahntechnik“. Ich<br />

will hier nicht die Zahntechnik schlecht<br />

machen. Aber darauf hinweisen, dass<br />

auch <strong>Preis</strong>e längst fester Bestandteil<br />

der Firmen-PR sind. Teil des An-Der-<br />

Nase-Herumführens. Aber hier fühle<br />

ich mich auf ziemlich sicherem Terrain.<br />

„Kritischer Journalismus: das sollte<br />

eigentlich eine Tautologie sein“, hat<br />

Heribert Prantl 2005 in der ersten<br />

14 15


<strong>Otto</strong>-<strong>Brenner</strong>-<strong>Preis</strong>-Ansprache gesagt.<br />

Eigentlich schon. Wir sind hier, weil wir<br />

wissen, dass kritischer Journalismus<br />

der Ausnahmefall ist. Dieser <strong>Preis</strong> will<br />

bewirken, dass solcher Journalismus<br />

nicht untergeht in den Erregungswellen<br />

der kunterbunten Medienwelt. Und<br />

thematisiert so immer auch den Zustand<br />

unserer Öffentlichkeit. Wo wird<br />

genau hingeschaut? Was erfahren wir<br />

noch? Warum sind mediale Debatten<br />

zunehmend abstrus? Wer führt uns an<br />

der Nase herum?<br />

In den letzten Jahren wurde ziemlich<br />

intensiv diskutiert über den Zustand<br />

des Journalismus und der Medien.<br />

Wir Journalisten haben uns durchaus<br />

beschäftigt mit diversen Schwächen<br />

und Defiziten des eigenen Metiers.<br />

Wer wissen will, woran es hapert und<br />

krankt, kann in Bergen von Reden,<br />

Dossiers, Tagungsberichten nachlesen.<br />

Ich nenne hier schnell drei Faktoren.<br />

Erstens: Der ökonomische Faktor. In<br />

letzter Zeit überdeutlich. Guter Journalismus<br />

braucht Geld. Weil gute Leute,<br />

die halbwegs Bescheid wissen und<br />

wirklich losfahren und hingucken und<br />

nachhaken, einfach kosten. Doch die<br />

Einnahmen vieler Verlage und Sender<br />

schrumpfen – schon seit dem<br />

Zusammenbruch des sogenannten<br />

„Neuen Marktes“ zu Beginn des Jahrtausends.<br />

Oder steigen zumindest<br />

nicht wie gewünscht. Ohnehin stecken<br />

alle klassischen Medien in einer Phase<br />

des Umbruchs. Das Internet ist wirklich<br />

eine Revolution. Und, nebenbei<br />

bemerkt, so wenig böse wie einst die<br />

Erfindung des Buchdrucks. Die vernetzte<br />

Welt kann ganz wunderbare<br />

Wirkungen entfalten. Sie ist zum Beispiel<br />

potentiell ungeheuer demokratisch.<br />

Derzeit aber herrscht im Mediengewerbe<br />

furchtbare Nervosität, geradezu<br />

Hysterie. Die Eigentümer, ihre Manager<br />

und Controller rennen aufgeregt<br />

durcheinander und rufen verzweifelt,<br />

ihr „Geschäftsmodell“ sei ruiniert.<br />

Es wird ein paar Jahre dauern, bis<br />

funktionierende, einträgliche Strukturen<br />

gefunden sind. Entscheidend in<br />

dieser Übergangsphase ist, dass Verlage<br />

und Sender ihre Renditeerwartungen<br />

herunterschrauben. Oder sogar<br />

mal ein paar Jahre vergessen. Es ist<br />

auch wirtschaftlich unvernünftig, die<br />

Ressourcen des Journalismus immer<br />

weiter zu verknappen, die Redakteure<br />

und Autoren unentwegt mit Kürzungen,<br />

Entlassungen, Zusammenlegungen<br />

und Schließungen zu traktieren. Die<br />

Medieninhaber demoralisieren damit<br />

ihre Leute – ihre Autoren, Redakteure,<br />

Produzenten, Techniker. Und ruinieren<br />

so auf Dauer, was guten Journalismus<br />

vom Trash unterscheidet: Originalität,<br />

Genauigkeit, Eleganz, Trennschärfe,<br />

Tiefgang, Witz. Kurzum: Sie machen<br />

ihre Produkte kaputt.<br />

Faktor 2 ist der Herdentrieb. Der hat<br />

einiges mit Nummer 1 zu tun. Weil der<br />

ewige Spar- und Zeitdruck Medienmenschen<br />

konformer, uniformer macht.<br />

Weil sich Getriebene einfach schneller<br />

zu Herden sammeln. Das Problem aber<br />

geht weit darüber hinaus. Wir erleben<br />

seit einigen Jahren, dass bestimmte<br />

Deutungen und Denk-Moden sehr<br />

aggressiv zelebriert werden. Der hiesige<br />

Hauptstadtjournalismus lässt da<br />

immer wieder hübsche Blüten sprießen.<br />

Zyklisch werden politische Figuren und<br />

Themen derart stereotyp herauf- und<br />

heruntergeschrieben, dass man sich<br />

zuweilen fragt, wer da eigentlich die<br />

Fernbedienung drückt. Manchmal<br />

nennt sich das Politgeschwader schon<br />

selbst „die Meute“. Das ist der Titel<br />

einer berühmten Journalisten-Dokumentation<br />

der Fotografin Herlinde<br />

Koelbl aus dem Jahre 2001. Schon<br />

damals war Rudelbildung erkennbar.<br />

Der Konkurrenzdruck, der reflexionsfreie<br />

„Echtzeit“-Journalismus, der Drang<br />

zum schnellen Bild, Soundbyte und<br />

Online-Quote lässt das Hecheln der<br />

Meute lauter werden. Manchmal wirkt<br />

sie auf mich ein bisschen wie so eine<br />

Testosteron-dampfende Clique Rowdys<br />

am Bushäuschen, die sich gemeinsam<br />

superstark fühlt. Die machen noch Bier<br />

auf und sagen dann: Ey, Kurt Beck,<br />

haste mal Feuer? Was haste denn da<br />

für’n komischen Bart, Alter? Ey, haste<br />

was gesagt? Klappe, Alter! Oder: Ey,<br />

Ypsilanti, was bist’n du für ne linke<br />

Hexe? Verzieh dich, Ypsi! Heul doch!<br />

Ich habe mich dieses Jahr fast ausschließlich<br />

mit Phänomenen medialer<br />

Gleichschaltung, Verrohung und Instrumentalisierung<br />

beschäftigt und ein<br />

Buch darüber geschrieben, das nun<br />

endlich bald fertig ist. Für ein kleines<br />

Kapitel über die Demontage der Andrea<br />

Ypsilanti zum Beispiel habe ich einige<br />

hunderte Berichte, Interviews und<br />

Portraits durchgeackert. Bis ich richtig<br />

übellaunig wurde. Weil in dieser Ballung<br />

überdeutlich wurde, wie zäh<br />

unsere Polit-Berichterstatter an einer<br />

16<br />

17


vorgegebenen Story kleben und diese<br />

ewig weiterspinnen. Da sind sie zur<br />

Abwechslung auch manchmal wirklich<br />

verdammt hartnäckig. Vor einem Jahr,<br />

als das Geschrei schon fast vorbei war,<br />

bat der Mainzer Mediendisput, eine<br />

medienkritische Institution, Andrea<br />

Ypsilanti zur Analyse. Sie sprach dort,<br />

recht zurückhaltend, über ihre Abenteuer<br />

mit dem Mainstream in den Redaktionen.<br />

Sie bekam großen Beifall.<br />

Zum Schluss fragte sie die Journalisten:<br />

„Gehen sie jetzt raus und machen<br />

weiter?“ So war es. „Spiegel online“<br />

meldete Minuten später: „Ypsilanti<br />

schmollt im Mainzer Wohlfühl-Exil.“<br />

Der Wirtschaftsjournalismus der vergangenen<br />

zehn Jahre ist ein noch krasseres<br />

Exempel. Was da an berauschter<br />

Verklärung geleistet wurde, trug schon<br />

sektenhafte Züge. Mit dem großem<br />

Kollaps kommt nun der Kater. Die Chefideologen<br />

der totalen Privatisierung<br />

und Liberalisierung wirken ein wenig<br />

heiser und zersaust. Vor allem von den<br />

Angelsachsen, die es besonders wild<br />

getrieben haben, hört man jetzt manchmal<br />

erfrischend harte Selbstkritik. Die<br />

deutsche Zunft windet sich eher. Wenn<br />

Sie normale Redakteure fragen, kommen<br />

deutliche Worte. Die Meinungsführer<br />

aber sind oft merkwürdig verdruckst.<br />

Ich habe hier einen Artikel<br />

aus der Süddeutschen Zeitung vom<br />

Juni <strong>2009</strong>, ein Opus von imposanter<br />

Größe, wie sie sehen. Thema: Die<br />

„Finanzkrise und der Wirtschaftsjournalismus“.<br />

Verfasst vom ehemaligen<br />

Wirtschaftschef Nikolaus Piper. Der<br />

recht fröhlich mit von der neoliberalen<br />

Partie war. Hier findet sich durchaus<br />

manch scharfes Wort aus berufenem<br />

Munde. Pipers Schlussfolgerungen<br />

aber sind ein wattiges Vielleicht, ein<br />

wachsweiches „Ja, aber“. Kein Pieps<br />

zu den eigenen Kommentarleistungen<br />

der letzten Jahre. Seine Quintessenz?<br />

Ein glatter Freispruch. „Zunächst einmal<br />

sollte man akzeptieren, dass das<br />

Problem die Fakten sind, nicht die Meinungen.“<br />

Das steht groß auch in der<br />

Überschrift: „Fakten zählen“.<br />

Genau dies mag ich nicht akzeptieren.<br />

Das Problem scheint mir eher, dass<br />

der Blick auf viele zentrale Fakten lange<br />

Zeit vor einer gewaltigen Ideologie-<br />

Wolke vernebelt war.<br />

Aber, wie schon angedeutet: Wir sind<br />

alle auch schwach und fehlbar. Wir<br />

darben nach Anerkennung. Wir wollen<br />

gelobt werden vom Ressortleiter, vom<br />

Chefredakteur; wollen Eindruck schinden<br />

bei den Wichtigen; wollen die<br />

Sprache der Meinungsführer sprechen.<br />

Und im Falle der Wirtschaft sind dies<br />

eben Manager, Bankiers und die gefürchteten<br />

Wirtschaftsprofessoren. Das<br />

macht uns manchmal zu „Mitmachern“.<br />

Faktor 3 möchte ich etwas genauer<br />

beleuchten: Die organisierte Meinungsmache.<br />

Das klingt immer ein bisschen<br />

nach Verschwörungstheorie – leider ist<br />

es keine. Die Fabrikation von Meinung<br />

gegen Bezahlung gedeiht. Es ist eine<br />

Wachstumsbranche. Eine Industrie.<br />

Längst gibt es Lehrbücher und Kurse<br />

für Agendasetting und -surfing, für<br />

„Krisenkommunikation“ und flottes<br />

„Politainment“. Auch hier in Berlin<br />

blüht das Gewerbe der professionellen<br />

Meinungsfrisöre. In Mitte entsteht allmählich<br />

eine polit-mediale Parallelgesellschaft.<br />

Da wimmelt es von Beratern<br />

aller Art: Von Kommunikationsstrategen,<br />

Eventmanagern und Imagemachern,<br />

PR-Päpsten, Werbegurus und<br />

Spin-Doctors. Es sind Macht-Dienstleister.<br />

Weil sie in der Regel auf Seiten<br />

der politischen und wirtschaftlichen<br />

Macht arbeiten, um deren „Message“<br />

maximale Schlagkraft zu verleihen. Sie<br />

bewachen den Zugang zu Informationen.<br />

Sie setzen Personen und Interessen<br />

in Szene. Sie designen die Darsteller,<br />

drechseln ihnen passende Sätze,<br />

planen minutiös, was wann in die Welt<br />

gesetzt wird und wer wie wirken soll.<br />

Sie sind eng verwoben mit allerlei<br />

Think Tanks, Lobbygruppen und Stiftungen,<br />

die Interessen bündeln, Politik<br />

entwerfen und diese auch durchsetzen<br />

helfen.<br />

Und so haben wir auf der einen Seite<br />

die Schar der notorisch überforderten<br />

Berichterstatter, denen nun oft gar keine<br />

Zeit mehr bleibt, genauer hinzugucken.<br />

Sich auch mal selbst zu überprüfen.<br />

Sie hasten zu ihren Tastaturen<br />

und in ihre Studios, um das, was ihnen<br />

gerade eingeflüstert wurde, zu multiplizieren.<br />

Diese Rumpfmannschaften<br />

kommen kaum mehr vor die Tür; müssen<br />

schon betteln, um mal eine Bahnfahrkarte<br />

erstattet zu bekommen. Die<br />

Honorare der freien Mitarbeiter werden<br />

auch immer dürftiger. Weshalb sie<br />

immer mehr produzieren müssen. Was<br />

nicht unbedingt qualitätssteigernd wirkt.<br />

Auf der anderen Seite die professionellen<br />

Meinungsmacher. Die sehen schon<br />

mal viel chicer aus. Die sind ganz lässig.<br />

18<br />

19


Die wissen wie’s läuft. Die planen ihre<br />

Events, takten ihre PR passend zu den<br />

Erregungszyklen, in denen das Nachrichtengewerbe<br />

tickt. Die richtige<br />

News, das richtige Gesicht, im genau<br />

richtigen Moment. Eine kleine Umfrage<br />

vielleicht, ein grafisch ansprechendes<br />

Ranking, ein knackiges Zitat, ein symbolträchtiges<br />

Foto. Können sie alles<br />

haben, drucken, senden. Bitte, bitte.<br />

Sogar Zeitschriften selbst machen das<br />

inzwischen so. Vor der letzte Wahl zum<br />

Beispiel orderte das Magazin Stern<br />

beim Institut Forsa eine Umfrage, bei<br />

der – auf eine äußerst vage gehaltene<br />

Frage – 18 Prozent erklärten, sie könnten<br />

sich eventuell vorstellen, bei der<br />

Bundestagswahl auch eine Comedy-<br />

Figur wie Horst Schlämmer zu wählen.<br />

Was für ein Renner! Überall zitiert. Der<br />

Stern in aller Munde, Forsa und Horst<br />

Schlämmer auch. Eine Win-win-Situation<br />

sozusagen. Die einen glossierten<br />

das Ganze, die anderen zitterten in<br />

pathetischen Kommentaren um das<br />

Abendland. Besonders schön die Bild-<br />

Schlagzeile: „Horst Schlämmer fast so<br />

stark wie die SPD!“<br />

So steigt das Gros der zunehmend<br />

gehetzten Berichterstatter zu Kellnern<br />

ab. Sie servieren dem Publikum nur<br />

noch die appetitlich angerichteten<br />

Info-Häppchen, die PR-Köche zubereitet<br />

haben. Sie müssen einmal auf einen<br />

dieser Kommunikations- oder Politikkongresse<br />

hier in Berlin gehen. Da<br />

sehen sie Hunderte PR-Leute in<br />

Aktion. Und dazwischen schleichen<br />

eine Handvoll Journalisten wie arme<br />

Verwandte.<br />

Bedrückender war das Beispiel Deutsche<br />

Bahn. Sie erinnern sich? Das ist<br />

die Firma, die uns eigentlich auf Schienen<br />

von A nach B bewegen soll. Weit<br />

mehr Furore hat das Unternehmen in<br />

letzter Zeit mit der Bespitzelung von<br />

Journalisten und ihrer gezielten Steuerung<br />

gemacht. Unsere gute Bahn, so<br />

erfuhren wir im Nachhinein, ließ nach<br />

eigenen Angaben etwa 1,65 Millionen<br />

Euro für verdeckte PR springen, vor<br />

allem für sogenannte „No badge“-<br />

Aktivitäten. „No badge“ bedeutet: Ich<br />

mache kräftig Stimmung, aber keiner<br />

weiß, dass ich es bin. „Undercover“<br />

träfe es auch, klänge aber anrüchiger.<br />

Zu solchen „No badge“-Aktivitäten<br />

zählten im Falle DB Leserbriefe und<br />

Beiträge in Blogs, vermeintlich „spontane“<br />

Äußerungen in diversen Foren,<br />

vermeintlich unabhängige Umfragen<br />

und fertig produzierte Medienbeiträge,<br />

denen nicht anzusehen war, dass sie<br />

von der DB bezahlt worden waren.<br />

Kurzum: Eine groß angelegte, systematisch<br />

durchorganisierte Irreführung<br />

der Öffentlichkeit.<br />

Der Betrug war derart dreist, dass<br />

selbst der Deutsche Rat für Public<br />

Relations mehrere Rügen aussprach.<br />

So wurde im September <strong>2009</strong> die Berliner<br />

Agentur Allendorf Media nach<br />

mehrwöchiger Prüfung wegen verdeckter<br />

Bahn-PR gerügt. Der „PR-Dienstleister“<br />

versteht sich nach eigenem<br />

Bekunden „als Moderator zwischen<br />

Politik und Öffentlichkeit.“ Allendorf<br />

hatte, als Subunternehmer der European<br />

Public Policy Advisers GmbH,<br />

kurz EPPA, auf großen Onlineplattformen<br />

wie Brigitte.de und Spiegel online<br />

allerlei bahnfreundliche Statements<br />

platziert. Unter Pseudonym natürlich.<br />

Das sah aus wie von <strong>Otto</strong> Normalverbraucher.<br />

Die Tochterfirma und Künstleragentur<br />

Allendorf Riehl GmbH lancierte<br />

derweil Prominenz aus ihrem<br />

Sortiment mit bahnfreundlichen Worten<br />

in die Medien – etwa die Sat-1 –<br />

Moderatorin Barbara Eligmann und<br />

den Ex-RTL-Moderator Hans Meiser.<br />

Schon im Sommer waren auch die EPPA<br />

und der „Thinktank“ Berlinpolis wegen<br />

unlauteren Wettbewerbs gerügt worden.<br />

Berlinpolis hatte seinen „Globalauftrag“,<br />

die Bahnprivatisierung kräftig voranzutreiben,<br />

sehr ernst genommen. Man<br />

betrieb zum Beispiel das schein-neutrale<br />

Forum www.zukunftmobil.de.<br />

Thinktank-Chef Daniel Dettling fand<br />

zudem als Gastautor etwa beim Tagesspiegel,<br />

der Financial Times Deutschland<br />

und Capital warme Worte für die<br />

Privatisierung der Bahn. Berlinpolis<br />

spannte übrigens ebenfalls die Meinungsexperten<br />

von Forsa ein, die recht<br />

gezielt nach den Vorzügen der Bahnprivatisierung<br />

fragten. So wurde Stimmung<br />

gegen die SPD-Idee der „Volksaktien“<br />

gemacht. Eine entsprechende<br />

Mitteilung des „Thinktanks“ – Überschrift:<br />

„Die Bürger erteilen den Plänen<br />

einer ‚volkseigenen Bahn’ eine klare<br />

Absage“ – ging an die Agenturen und<br />

andere Medien. Als die Lokführer streikten,<br />

kam die gleiche Masche zum Einsatz.<br />

Da hieß es dann: „Bundesbürger<br />

halten Forderungen GDL für ungerechtfertigt.“<br />

Die Schlagzeile des „thinktank<br />

Politikbriefs“, des Mitteilungsblattes<br />

von Berlinpolis, lautete im September<br />

übrigens: „Mehr Ehrlichkeit<br />

wagen.“<br />

20<br />

21


Ich habe den Chef vor Jahren einmal<br />

ausführlicher interviewt. Er schien mir<br />

ein recht typisches Exemplar der nassforschen<br />

Berliner Moderne zu sein. Wir<br />

trafen uns in einer Kneipe. Er erklärte<br />

mir, er sei ein „Ideenproduzent für die<br />

nächste Generation“. Er sagte: „Unsere<br />

Vorgängergeneration hat die APO<br />

gemacht, wir machen Denkfabriken“.<br />

Er sprach von neuen “Handlungs-Eliten“<br />

und vom “radikal beschleunigten Wandel“.<br />

Er wollte das „Korsett der 70er<br />

und 80er“ abstreifen, das er als „eng“<br />

und „miefig“ empfand. Sein Berlinpolis,<br />

erklärte er mir, sei eine „Bewegung“.<br />

Er hatte ein Buch geschrieben: „Minima<br />

Moralia der nächsten Gesellschaft“.<br />

Er hängt es gern ziemlich<br />

hoch. Ich hatte bald das Gefühl, ich<br />

rede mit dem Mann im Mond.<br />

Es war die Zeit all dieser kuriosen Konvente,<br />

Stiftungen und Initiativen. Etliche<br />

Zeitungen und Magazine trompeteten<br />

deren Ziele als „Medienpartner“ ins<br />

Land. Es gab sogar eine „Aktionsgemeinschaft<br />

Deutschland“, zu der auch<br />

Berlinpolis gehörte. Schon damals war<br />

der Thinktank auch mit der „Initiative<br />

Neue Soziale Marktwirtschaft“, der<br />

INSM im Boot, die wir ja inzwischen<br />

alle schätzen und lieben. Die INSM,<br />

vor zehn Jahren mit Millionen der<br />

Metall-Arbeitgeber ins Leben gerufen,<br />

ist die wohl bekannteste Beeinflussungsorganisation<br />

Deutschlands. Bis<br />

heute vertraut sie auf das Knowhow<br />

der gewieften Werber von Scholz &<br />

Friends. Die INSM hat in Journalistenkreisen<br />

Berühmtheit erlangt, als sie –<br />

von Volker Lilienthal, einem Mitglied<br />

der Jury des <strong>Otto</strong>-<strong>Brenner</strong>-<strong>Preis</strong>es –<br />

dabei erwischt wurde, dass sie bei der<br />

ARD-Seifenoper „Marienhof“ für stolze<br />

58.670 Euro frohe Botschaften zum<br />

Thema „schlanker Staat“ und Zeitarbeit<br />

ins Drehbuch schreiben ließ. Max<br />

Höfer, einer der Geschäftsführer der<br />

„Initiative“, hat einer wissbegierigen<br />

Schar Agenda-Settern einmal griffig<br />

beschrieben, wie man Themen setzt.<br />

Man müsse, sagte er, „Gesichter mit<br />

bestimmten Botschaften in ein Event<br />

setzen“.<br />

Die Grundregel ist immer die gleiche:<br />

Aufmerksamkeit schaffen. Lärm erzeugen.<br />

Die Amerikaner nennen die<br />

zugrunde liegende Logik die „orchestra<br />

pit theory“, die Orchestergraben-<br />

Theorie: Zwei Typen stehen auf einer<br />

großen Bühne. Der eine sagt: „Ich<br />

habe die Lösung für das Nahost-Problem.“<br />

Der andere fällt krachend in<br />

den Orchestergraben. Frage: Wer<br />

kommt in die Nachrichten?<br />

Die INSM ist erst der Anfang. Vor einem<br />

Jahr bin ich nach Washington gereist,<br />

um mir anzuschauen, wie Meinungsmache<br />

im großen Stil aussieht. In Washington<br />

ist die Steuerung der Öffentlichkeit<br />

inzwischen ein Milliardengewerbe.<br />

Dort gibt es für jedes Industrieinteresse<br />

mindestens drei vermeintlich<br />

unabhängige Thinktanks, Institute,<br />

Organisationen. Im Internet finden sie<br />

jede Menge Gruppierungen mit pompösen<br />

Phantasienamen, die wie Bürgerinitiativen<br />

daherkommen, tatsächlich<br />

aber bezahlte Stimmungskanonen<br />

sind. Die Experten nennen sie „front<br />

groups“, Frontgruppen. Längst gibt es<br />

in den USA auch Organisationen, die<br />

sich zur Aufgabe gemacht haben, diese<br />

Machenschaften bloßzustellen.<br />

Nach sehr vielen Emails und Telefonaten<br />

durfte ich Rick Berman treffen,<br />

einen der brutalsten Meinungsmacher.<br />

Mit einem großen Büro auf der K Street,<br />

Ecke Vermont Avenue. Der Raum gleich<br />

hinter dem Empfang steht voll mit Auszeichnungen<br />

und Medaillen, die ihm<br />

PR-Organisationen für furchtlose Propaganda<br />

verliehen haben. Berman<br />

betreibt hier zum Beispiel das „American<br />

Beverages Institute“, das amerikanische<br />

Getränkeinstitut. Die Getränkeindustrie<br />

lässt hier passende Argumente<br />

produzieren. Bei Berman ist<br />

auch das „Center for Consumer Freedom“<br />

zuhause. Das agitiert zum Beispiel<br />

an der Seite von Fastfood Restaurants,<br />

die lieber keine Kalorienangaben<br />

auf ihre Schachteln schreiben<br />

wollen. Das Zentrum betreibt auch<br />

eine eigene Website, um Prominente<br />

anzuschwärzen, die sich für grüne Belange<br />

stark machen. Von sich behauptet<br />

dieses „Center“, es sei „eine gemeinnützige<br />

Organisation zum Schutz der<br />

freien Wahl des Konsumenten“.<br />

Berman ist einer dieser kantigen Republikaner-Typen<br />

mit hartem Händedruck<br />

und einem Lachen wie Donnergrollen.<br />

Große Zeitungen nennen ihn „Dr. Evil“.<br />

Dr. Böse. Ihm gefällt das. Er sehe das<br />

Ganze wie eine Militäroperation, erklärte<br />

er mir. Es gäbe halt Leute, die<br />

die Welt verändern und die Öffentlichkeit<br />

unbedingt überzeugen wollten.<br />

„Die sitzen in ihrem Schlafzimmer am<br />

Computer, in Unterwäsche“, sagt er<br />

schnaufend, „und dann gehen sie ins<br />

Internet und machen den Leuten<br />

Angst.“ In Unterwäsche! Berman läuft<br />

22<br />

23


dann, im Anzug, zu den Firmenchefs<br />

und fragt sie: „Wie könnt Ihr das geschehen<br />

lassen?“ Er plant die Schlacht.<br />

Sie geben ihm Geld. Er sagt nie, wer<br />

und wie viel.<br />

In einer U-Bahnstation sah ich bei meinem<br />

Washington-Besuch ein großes<br />

Plakat von „mercuryfacts.org“. Darauf<br />

ein riesiges Kindergesicht mit sehr<br />

traurigen Augen. „Fisch ist gesunde<br />

Nahrung“, stand da zu lesen. „Aber eine<br />

unsinnige Angst vor Dosen-Tunfisch<br />

schadet Amerikas ärmsten Kindern!<br />

Finden Sie heraus, wer daran schuld<br />

ist!“ Das wollte ich natürlich herausfinden.<br />

Auf der Website las ich: „Eine<br />

wachsende Clique von Umweltaktivisten,<br />

Gesundheitsforschern und Bürokraten<br />

versucht, den Amerikanern mit<br />

Ramsch-Wissenschaft sinnlos Angst zu<br />

machen vor dem Fisch, den sie essen.<br />

Dosentunfisch ist die einzige Quelle<br />

von Omega-3-Fettsäuren, den diese<br />

Mütter sich leisten können. Ihre Kinder<br />

sind Opfer grüner Gruppierungen und<br />

der Bundesregierung.“<br />

Die Hintergrund war: In Dosentunfisch<br />

waren enorme Konzentrationen von<br />

Quecksilber gefunden worden. Die<br />

Industrie hatte daraufhin mächtig Ärger<br />

bekommen. Und Berman mit einer<br />

kleinen Kampagne beauftragt.<br />

Gleich auf dem nächsten Bahnhof hing<br />

ein großes Plakat von „unionfacts“ –<br />

„Gewerkschaftsfakten“: „Das neue<br />

Aushängeschild der Gewerkschaften“<br />

stand da in Riesenlettern. Ein Schwarzweiß-Foto<br />

zeigte ein mit einer Kette<br />

verrammeltes Werkstor mit einem<br />

Schild: „Geschlossen“.<br />

Auch das war Berman. Anti-Gewerkschafts-Kampagnen<br />

sind eine Spezialität<br />

von ihm. Er produziert TV-Spots,<br />

in denen viele liebe Kinder ihre arme<br />

Lehrerin bedauern, weil sie Zwangsbeiträge<br />

an die Lehrergewerkschaft<br />

abführen müsse, mit denen die<br />

Gewerkschaftsbosse in Saus und<br />

Braus lebten und auch noch Bildungsreformen<br />

blockierten. Ich habe Ihnen<br />

hier mal einen anderen Spot aus der<br />

Berman-Werkstatt mitgebracht. Kinder<br />

spielen ein Spiel: Ich will Gewerkschaftsboss<br />

werden. Du musst mir<br />

Beiträge zahlen, sagt der eine Junge.<br />

Und das Mädchen sagt: Das ist eine<br />

Sauerei. Als Gewerkschaftsboss können<br />

Sie einfach ohne geheime Abstimmung<br />

einen Streik ausrufen, Geld unterschlagen,<br />

Politiker bezahlen und das<br />

Wahlrecht kaputtmachen, sagt der<br />

Sprecher. Und dann rufen alle Kinder:<br />

„Du wirst angeklagt!“<br />

Und weil es so schön war, hier noch<br />

ein Exemplar. Da werden arbeitende<br />

Menschen befragt, was sie an ihrer<br />

Gewerkschaft mögen. Ich finde es toll,<br />

spottet die Kassiererin, dass ich Gewerkschaftsbeiträge<br />

zahlen muss, nur<br />

damit ich nicht rausfliege. Ich mag es,<br />

sagt der Gabelstaplerfahrer, dass meine<br />

Beiträge an Politiker gehen, die ich<br />

nicht einmal ausstehen kann. Ich finde<br />

das richtig prima, schimpft der schwarze<br />

Bauarbeiter, wie die Gewerkschaft<br />

Minderheiten diskriminiert. Ich fühle<br />

mich gut dabei, stichelt die Kellnerin,<br />

dass ich den fetten Lebenswandel der<br />

Gewerkschaftsbosse unterstütze.<br />

Damit verglichen, das müssen sie zugeben,<br />

ist die INSM wirklich ziemlich<br />

lieb.<br />

Ich fasse zusammen: Die Balance<br />

kippt: Wir Text-, Ton- und Bildverarbeiter<br />

sind notorisch überfordert. Unsere<br />

Ressourcen schwinden. Die PR gewinnt<br />

allmählich die Überhand.<br />

Und obwohl die Zeit der Ruck-Reden<br />

und der Shareholder-Value-Predigten<br />

eigentlich vorbei sind, das neoliberale<br />

Hütchenspiel langsam zu Ende gehen<br />

müsste, ist doch noch nicht erkennbar,<br />

ob der öffentliche Diskurs wieder ehrlicher<br />

und offener wird. Oder ob wir<br />

weiter gehen auf jenem Pfad, den der<br />

Politologe Colin Crouch als „Postdemokratie“<br />

bezeichnet. Ein Zustand, in<br />

dem freie Wahlen und eine freie Presse<br />

nur noch Kulisse sind für das Diktat<br />

des ökonomischen Paradigmas. In<br />

dem Medien nur mehr eine Sparte der<br />

Unterhaltungsindustrie sind und die<br />

öffentliche Debatte sich in „Zynismus<br />

gegenüber der Politik und den Politikern“<br />

erschöpft.<br />

Ich will hier nicht nur in dunklen Farben<br />

malen. Man sieht in der Welt sehr<br />

verschiedene Stadien des publizistischen<br />

Zerfalls. Auch in Europa, wo sie<br />

eine Menge Xenophobie und Rechtspopulismus<br />

finden. In Deutschland<br />

sind die Zustände noch vergleichsweise<br />

angenehm. Wir haben bei den<br />

Verlagen doch zumindest eine Oligarchie.<br />

Wir haben einen öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk, in dem eine Menge<br />

Raum für tolle Sachen ist. Auch wenn<br />

große, fürs breite Publikum gedachte<br />

24<br />

25


Programmflächen geistig leergeräumt<br />

und ähnlich öde sind wie die der konkurrierenden<br />

Privatsender.<br />

Wir haben einen Minimalkonsens, der<br />

einem Berlusconi hier vorläufig wohl<br />

keine Chance gäbe. Auch ein Haider-<br />

Verschnitt ist nicht in Sicht. Wir haben<br />

nur das Duo Merkel-Westerwelle. Was<br />

jetzt, zum Ende der neoliberalen Ära,<br />

kurios und zweifellos anachronistisch<br />

wirkt. Nehmen wir es als Beweis einer<br />

vitalen Demokratie. Obwohl: Es kommt<br />

einem schon vor, als würde der Architekt,<br />

dessen gesamtes Oeuvre just<br />

krachend eingestürzt ist, zum Oberhofbaumeister<br />

ernannt. Andererseits<br />

musste die SPD wirklich dringend in<br />

die Werkstatt.<br />

Was wir brauchen, ist wieder mehr<br />

Sauerstoff. Mehr echte Neugier. Mehr<br />

Leute, die öfter mal sagen: Alles<br />

Quatsch. Das mache ich nicht mit. Das<br />

sehe ich völlig anders. Es ist wohl Sinn<br />

dieses <strong>Preis</strong>es, genau hier ein bisschen<br />

nachzuhelfen.<br />

Der vergangene Sommer hatte einen<br />

Hauch von Postdemokratie. Die Meute<br />

langweilte sich. Wir hörten viel über<br />

Dienstwagen. Wir sahen Alphajournalisten,<br />

die mit Aufrufen zum Wahlboykott<br />

durch die Talkshows tingelten.<br />

„Wir reden jede kleine Frage groß und<br />

jede große Frage zerlegen wir in kleine<br />

Münze“, hat die Journalistin Tissy Bruns<br />

einmal über ihre Hauptstadtkollegen<br />

gesagt.<br />

Ich habe mir heute Nacht beim Schreiben<br />

dieser Rede einen kleinen Reim<br />

gemacht auf diesen Hauptstadtjournalismus,<br />

mit dem ich mich verabschieden<br />

und bedanken möchte für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

<strong>2009</strong><br />

Grad gestern war Gewissheit noch,<br />

nun fall’n wir ins Milliardenloch.<br />

Die Welt erzittert, fragt voll Sorgen:<br />

Wie machen wir es besser morgen?<br />

Das Geld ist futsch, die Krise bellt.<br />

Es knirscht wie selten im Gebälk.<br />

Doch ist ein wenig fad, oh weh,<br />

den Journalisten an der Spree.<br />

Gruppenbild mit Moderatorin: die <strong>Preis</strong>träger <strong>2009</strong>, die Jury-Mitglieder und<br />

die Geschäftsführung der OBS<br />

Tom Schimmeck, freier Autor und Publizist,<br />

erhielt 2007 den erstmals ausgelobten<br />

„Spezial-<strong>Preis</strong>“ der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung.<br />

26


Jury-Mitglied Heribert Prantl gratuliert Michael Strompen, Gewinner des 2. <strong>Preis</strong>es <strong>2009</strong><br />

Jury-Mitglied Harald Schumann hielt die Laudatio auf Marc Thörner, Gewinner des 1. <strong>Preis</strong>es <strong>2009</strong><br />

Jury-Mitglied Sonia Seymour Mikich führte<br />

als Moderatorin durch die <strong>Preis</strong>verleihung<br />

Jury-Mitglied Volker Lilienthal hielt die Laudatio auf Simone Sälzer, Gewinnerin des 3. <strong>Preis</strong>es <strong>2009</strong>


DIE PREISTRÄGER <strong>2009</strong><br />

Attac Deutschland<br />

Marc Thörner<br />

Ulrike Brödermann und<br />

Michael Strompen<br />

Simone Sälzer<br />

Christian Semler


MEDIENPROJEKTPREIS<br />

Attac Deutschland<br />

33


„DIE ZEIT“<br />

(Plagiat, 65. Jahrgang, Nr. 18 vom 1. Mai 2010) *<br />

Begründung der Jury<br />

Auf acht Zeitungsseiten haben Mitarbeiter von Attac DIE ZEIT für den 1. Mai 2010<br />

plagiiert. In dieser Ausgabe kreiert Attac eine Post-Krisen-Zeit, in der Solidarität,<br />

Sozialstaatlichkeit, fairer Handel, Umweltschutz und Marktkontrolle die Lösung<br />

für die Krise sind. Die Politik wird zu Reformen durch den politischen Druck der<br />

Bevölkerung gezwungen. Der Abbau von Subventionen und Protektionismus soll<br />

die Ausbeutung der Entwicklungsländer durch die Industrieländer beenden. Ein<br />

neues Finanzsystem und die Überprüfung von Staatsschulden wird die Ungerechtigkeit<br />

für die Südhalbkugel beenden.<br />

Wo bleibt denn das Positive? Eine Standardklage, vor allem bei Nachrichten, wo es<br />

immerzu um Krise, Krieg, Katastrophen, Skandale zu gehen scheint.<br />

„Eine andere news ist möglich“, dachten wohl die Globalisierungskritiker von Attac<br />

und veröffentlichten mit ihrem Projekt „Am Ende des Tunnels“ gute Nachrichten aus<br />

der Zukunft: Am 1.Mai 2010 werden die Themen lauten: Das Ende des Kasinokapitalismus,<br />

ein fairer Welthandel, eine grüne Autoindustrie – alles machbar, so die Hoffnung<br />

in den gut recherchierten Artikeln.<br />

Dazu kopierte Attac die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ einschliesslich Layout, Schrifttype,<br />

hintersinniger Werbung und seriöser Anmutung.<br />

„ Den „Medienprojektpreis <strong>2009</strong>“ der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung für das „ZEIT“-Plagiat<br />

nahmen, stellvertretend für alle MacherInnen des Projektes, bei der <strong>Preis</strong>verleihung<br />

Jutta Sundermann, Fabian Scheidler und Thomas Pfaff entgegen. Das<br />

<strong>Preis</strong>geld in Höhe von 2.000 Euro will Attac in ein weiteres Medienprojekt<br />

investieren.<br />

Ein täuschend echtes Plagiat. Nicht unproblematisch. Der Journalismus ist oft genug<br />

untergraben von Medien-Fakes, ungeprüften Tatsachenbehauptungen, Falschmeldungen,<br />

so die Jury. Am Ende aber überzeugt die politische Botschaft: aufwachen und<br />

nachdenken! Es gibt Wege aus der Krise, eine gerechte Welt muss nicht Fiktion bleiben.<br />

* Das mit dem „Medienprojektpreis“ prämierte „ZEIT“ – Plagiat kann über die Homepage des „<strong>Brenner</strong>-<strong>Preis</strong>es“ aufgerufen<br />

werden und ist auch über die DVD, die dem „Best of“ beiliegt (siehe Umschlagseite 3), zugänglich. (Die Redaktion)<br />

vorgetragen von Sonia Seymour Mikich<br />

34<br />

35


Marc Thörner<br />

(Deutschlandfunk)<br />

1. PREIS<br />

37


„Wir respektieren die Kultur“ – Im deutsch kontrollierten<br />

Norden Afghanistans (Deutschlandfunk, 6.02.<strong>2009</strong>) *<br />

Begründung der Jury<br />

Als am Sitz des deutsch geführten Regionalkommandos Nord ein Student als<br />

Gotteslästerer zum Tode verurteilt wurde, bezeichneten deutsche Stellen das als<br />

unvermeidlich: Schließlich dürfe Afghanistan nicht zur Marionette des Westens<br />

werden, es müsse auch die eigene Kultur respektiert werden. Das Feature verfolgt<br />

den „Fall“ und zeichnet die politischen Verhältnisse in der Nordprovinz<br />

nach.<br />

Marc Thörner<br />

geboren 1964 in Hamburg<br />

Werdegang:<br />

<strong>2009</strong> Freier Journalist (vorwiegend für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten)<br />

1995-2007 Freier Mitarbeiter der ARD (Auslandsreporter)<br />

1994 Freier Mitarbeiter beim NDR<br />

1992 Referent an der Katholischen Akademie Hamburg<br />

1990-92 Freier Journalist<br />

1985 Studium der Geschichte und Islamwissenschaften in Hamburg<br />

Veröffentlichungen, u.a.:<br />

2007 „Der falsche Bart. Reportagen aus dem Krieg gegen den<br />

Terror“, Nautilus Verlag<br />

2006 „Nebel am Hindukusch“, DLF-Radiofeature über die<br />

Bundeswehr in Afghanistan<br />

2006 „Wie ein Fisch im Wasser? Auf der Suche nach Osama<br />

Bin Laden“, DLF/WDR-Radiofeature<br />

2005 „Von Saddam City zu Sadr City. Die irakischen Schiiten“,<br />

Lamuv-Verlag<br />

* Der preisgekrönte Radiobeitrag ist sowohl über die der Dokumentation beigefügte DVD (hinten,<br />

3. Umschlagseite) zugänglich als auch u .a. über die Homepage des „<strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>es“. (Die Redaktion)<br />

Warum kämpfen deutsche Soldaten in Afghanistan? Zwei Gründe werden immer wieder<br />

genannt: Zum einen soll Sicherheit geschaffen werden. Indem wir mit Soldaten und<br />

Ausbildern den Afghanen helfen, einen stabilen Staat zu bauen, verhindern wir, dass<br />

das Land erneut zum Freiraum für Al Qaida und andere Terrorgruppen wird, es also<br />

weniger Terroristen gibt, die uns bedrohen. Zum anderen bringen wir den Afghanen<br />

angeblich Demokratie, Aufklärung und den Rechtsstaat. Nie wieder Steinigungen oder<br />

öffentliche Auspeitschungen und Bildung für alle, auch für Frauen – so lautet das Versprechen.<br />

Inzwischen sind fast acht Jahre vergangen, seitdem die Bundeswehr dort<br />

eingerückt ist, und längst ist klar, dass beide Ziele nicht erreichbar sind. Der Präsident<br />

fälscht die Wahlen, die Taliban werden immer stärker, der Drogenhandel blüht und die<br />

Soldaten können den Sinn ihres Einsatzes selbst nicht mehr erkennen. Und obwohl all<br />

das offensichtlich ist, gibt es fast keine öffentliche Auseinandersetzung in Deutschland<br />

darüber, was eigentlich schief gegangen ist. Unsere Soldaten sterben und wir verlieren<br />

Milliarden – aber keiner guckt hin. Außer Marc Thörner.<br />

Meine Damen und Herren, ich bin froh, heute Abend einen Kollegen auszeichnen zu<br />

dürfen, der seit langem mit großem journalistischem Einsatz versucht, diese Ignoranz<br />

gegenüber unserem Krieg zu überwinden – und das mit einer Hartnäckigkeit, die höchste<br />

Anerkennung verdient.<br />

Natürlich gibt es auch andere Journalisten, die in Afghanistan hart recherchieren und<br />

kritisch berichten. Aber Marc Thörner ist mit seinem Radiofeature über die wahren<br />

Hintergründe der angeblich religiös motivierten Verfolgung und Verurteilung des Studenten<br />

Pervez Kaambaksh etwas gelungen, das weit über all die anderen Reportagen<br />

und Analysen hinausreicht, die gemeinhin geboten werden: Nach dem Anhören der<br />

Sendung – und auch nach dem Lesen des Manuskripts – hat selbst der vorher wenig<br />

kundige plötzlich ein ziemlich klares Bild von den afghanischen Verhältnissen. Es geht<br />

gar nicht in erster Linie um Religion und Kultur, um Rückständigkeit oder das Aufbegehren<br />

gegen die Besatzer. Nein, die vermeintliche afghanische Krankheit ist uralt und<br />

universal: Es ist die simple Gier nach Macht und Geld, die mit Gewalt durchgesetzt und<br />

ideologisch-religiöser Propaganda gerechtfertigt wird. Da wird ein Student zum Tode<br />

verurteilt, weil er an seiner Universität angeblich gotteslästerliche Texte verteilt hat<br />

38<br />

39


und der deutsche Mainstream tönt: Seht, das ist der religiöse Fanatismus der rückständigen<br />

Afghanen, so sind sie eben. Im Spiegel las man damals: „Er, also der Angeklagte,<br />

sprach vom Recht, gemacht von Menschen. Sie (gemeint waren Richter und Staatsanwalt)<br />

sprachen vom Recht, gemacht von Gott.“ Und alle haben’s geglaubt, einschließlich<br />

der deutschen Strategen hier gegenüber im Bendlerblock und im Bundestag, im<br />

AA und im Kanzleramt. Und unter der Maßgabe „Wir respektieren die Kultur“ gab es<br />

keine Einmischung.<br />

Marc Thörner aber gab sich nicht zufrieden damit. Im Gegensatz zu jenen, die nur das<br />

Klischee bedienten, um ihre Story rund aussehen zu lassen, nahm er die Klage des<br />

Bruders des Verurteilten ernst. Der hatte gesagt, das Urteil diene nur dazu, ihn, den im<br />

Land sehr bekannten Journalisten mundtot zu machen, damit er nicht weiter über die<br />

Verstrickung der Regierung Karzai und ihrer Provinzgouverneure in den Drogen- und<br />

Waffenhandel berichtet, solange sein Bruder im Gefängnis sitzt.<br />

Und dann fand Thörner Zeugen, die überzeugend bestätigen konnten, dass die Belastungszeugen<br />

gekauft waren, dass der Richter allgemein als korrupt bekannt ist und<br />

dass der zuständige Gouverneur, der zugleich der wichtigste Partner der Bundeswehr<br />

vor Ort ist, großes Interesse daran hatte, den Bruder des Verurteilten zum Schweigen<br />

zu bringen. Denn selbst der General der Grenzpolizei beschuldigte eben diesen Gouverneur,<br />

am Schmuggel mitzuverdienen.<br />

korrupten, machtgierigen Schicht ehemaliger Mudschaheddin-Generäle und Warlords,<br />

die genauso wenig wie ihre aus saudischen und pakistanischen Quellen geförderten<br />

Gegner davor zurückschrecken, den Islamismus als gewalttätiges Machtinstrument zu<br />

missbrauchen.<br />

So klar und so präzise, wie in dieser auch handwerklich hervorragend gemachten<br />

Reportage, habe ich, und ich glaube, das gilt für die ganze Jury, haben wir das noch<br />

nirgendwo gelesen, gehört oder gesehen. Darum bin ich froh, hierfür den 1. <strong>Preis</strong> vergeben<br />

zu können.<br />

Dahinter steht nicht zuletzt auch die Hoffung, dass wir damit Sie, Herr Thörner, aber<br />

hoffentlich auch noch viele andere Kollegen anstiften können, intensiver und genauer<br />

zu recherchieren, wenn sie aus Afghanistan berichten. Natürlich weiß auch ich nicht,<br />

wie wir je mit einem halbwegs erträglichen Ergebnis aus dem Konflikt herauskommen.<br />

Aber eins halte ich für sicher: Wenn wir nicht endlich eine ehrliche und gut informierte<br />

Debatte über Deutschlands Rolle in Afghanistan bekommen, dann werden wir so tief in<br />

diesen schmutzigen Krieg hineingezogen, dass auch unsere eigene Verfassung Schaden<br />

nehmen wird. Darum meine Bitte: Bleiben Sie dran!<br />

Vor allem aber, und das war für mich die größte Stärke des Stücks, wandte sich Thörner<br />

an die örtlichen Geistlichen, um zu nach der Scharia und ihrer Meinung zum Todesurteil<br />

zu befragen. Und in aller Offenheit bekennt der bis dahin führende Imam einer der<br />

größten afghanischen Moscheen, dass all das gar nichts mit der afghanischen Rechtstradition<br />

zu tun habe, sondern allein dem Missbrauch der mit den Gotteskriegern aus<br />

Saudi-Arabien importierten Ideologie der dortigen wahabistischen Prediger, deren<br />

Radikalität wiederum ein Produkt ihres Deals zur Teilung der Macht mit den<br />

saudischen Feudalherren ist.<br />

Mit anderen Worten: Wir und unsere Soldaten kämpfen auf der Seite einer kleinen<br />

vorgetragen von Harald Schumann<br />

40<br />

41


Ulrike Brödermann und<br />

Michael Strompen<br />

(ZDF)<br />

2. PREIS<br />

43


„Der gläserne Deutsche –<br />

wie wir Bürger ausgespäht werden“ (ZDF, 7.04.<strong>2009</strong>)*<br />

Jeder Verbraucher hinterlässt täglich zahlreiche Datenspuren durch Internet-<br />

Nutzung, Kunden- oder Paybackkarten. Die ZDF-Dokumentation zeigt, dass die<br />

Speicherung sensibler Daten von Bürgern schon fast zur gängigen Praxis in<br />

Deutschland gehört. Der Film schildert anschaulich, was durch die Verknüpfung<br />

von Daten heutzutage bereits möglich ist.<br />

Ulrike Brödermann<br />

geboren 1966 in Hamburg<br />

Werdegang:<br />

Seit 2007<br />

Seit 2005<br />

Seit 1998<br />

Dozentin, Media School, Hamburg<br />

Redakteurin und Autorin ZDF-Innenpolitik (Dokumentation), Mainz<br />

Reporterin ZDF-Landesstudio Brandenburg (u.a. Vertretungen in<br />

ZDF Studios Warschau und Brüssel)<br />

1997 Mitarbeit und Wahlbüroleitung für die OSZE, Bosnien-<br />

Herzegowina, Jablanica<br />

Seit 1991 Mitarbeit für Perspektiven e.V. (NGO für Behinderte und<br />

Straßenkinder in Osteuropa)<br />

1989-1995 freie Mitarbeit für National Geographic<br />

1988-1996 Studium Slavistik, Osteuropastudien und Amerikanistik (FU Berlin<br />

und St. Petersburg), Magisterabschluss<br />

1985-1987 Studium Generale (Internationales Recht und Literatur in<br />

Saarbrücken, Exeter und London)<br />

1985 Abitur in Hamburg<br />

Michael Strompen<br />

geboren 1980 in Münster<br />

Werdegang:<br />

Seit 2006 ZDF-Innenpolitik (Dokumentation)<br />

2005-2006 freie Mitarbeit 3sat-Wissenschaftsmagazin nano<br />

2005 ZDF-Innenpolitik (blickpunkt, Sondersendungen)<br />

2003-2004 Volontärpraktikum ZDF in Mainz<br />

2001-2006 Studium Journalistik und Sport in Dortmund<br />

2000-2001 Zivildienst bei der Caritas in Kamp-Lintfort<br />

2000 Abitur in Rheinberg/NRW<br />

1998-2003 freie Mitarbeit und Praktika (bei RTL Nachtjournal, WDR2, sid,<br />

Rheinische Post)<br />

Veröffentlichung:<br />

2008 „Eine wahre Erfolgsstory? Zur Authentizität moderner TV<br />

Dokumentationsformate“<br />

Auszeichnung:<br />

2003 LfM-Campus-Hörfunkpreis (Anerkennungspreis)<br />

* Der preisgekrönte Fernsehbeitrag ist sowohl über die der Dokumentation beigefügte DVD (hinten, 3. Umschlagseite)<br />

zugänglich als auch u .a. über die Homepage des „<strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>es“. (Die Redaktion)<br />

44<br />

45


Begründung der Jury<br />

Als ich die wunderbar aufrüttelnde Fernseh-Dokumentation von Ulrike Brödermann<br />

und Michael Strompen das erste Mal gesehen habe, ist mir ein Satz von Kafka in den<br />

Kopf geschossen. Kafka hat gesagt: „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche<br />

Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns<br />

nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?“<br />

Hätte Kafka schon Fernsehen gekannt, dann hätte er wohl gesagt: „Wenn das Fernsehen<br />

uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, warum schauen wir<br />

dann fern?“ Die meisten Leute schlafen ja beim Fernsehen gern ein, und die Fernsehmacher<br />

kommen ihnen bei diesem Wunsch sehr oft und sehr gern entgegen. Ich<br />

kenne mich da aus, denn ich gehöre zu den Leuten, von denen ich gerade rede.<br />

Bei dem Film von Ulrike Brödermann und Michael Strompen ist das ganz anders:<br />

Selten sitzt man so wach, so gepackt, so gefesselt, so irritiert und so empört vor<br />

dem Fernseher wie bei diesem Beitrag. Nie habe ich das nur vermeintlich trockene<br />

Thema Datenschutz so gut verfilmt gesehen. Die Dokumentation zeigt, wie Speicherung<br />

von sensiblen Daten von Bürgerinnen und Bürgern schon fast zur gängigen<br />

Praxis in Deutschland geworden ist. Dieser Film enthüllt, was durch die Verknüpfung<br />

von vermeintlich harmlosen Daten heute schon alles möglich ist: dieser Film setzt<br />

sich auf die Spuren, die jeder von uns im Internet sowie mit Kunden- und Payback-<br />

Karten hinterlässt. Er zeigt, was damit passiert, er zeigt, was schon jetzt alles möglich<br />

ist, wer meine, wer Ihre Daten erfasst, sammelt, verkauft, auswertet. Für 200 Euro<br />

kann man bei professionellen Datenhändlern Informationen über einen ganzen<br />

Stadtteil kaufen. Die Bewohner wissen davon nichts. Aber der Datenkäufer weiß<br />

dann, wo ein „Linker“, wo ein „Kleinbürger“ und wo ein „Konservativer“ wohnt,<br />

wo „Single-Frauen“ leben und ob sie für Werbung offen oder ob sie eher zugeknöpft<br />

sind.<br />

geht? Der Sozialwissenschaftler Andreij Holm, dessen Fall im Film dargestellt wird,<br />

hätte das gern schon früher gewusst: Er hatte über „Gentrifikation“, also über die<br />

Modernisierung und Yuppisierung von Wohngebieten geschrieben – das hatte ihn<br />

dem Bundeskriminalamt verdächtig gemacht. Beamte stürmten seine Wohnung.<br />

Später las er in den Akten, dass seine Telefonate, E-mails, Freunde, seine Reisen<br />

überwacht worden waren – unter anderem mit Hilfe der Bahn, die bereitwillig seine<br />

Reiseverbindungen an das BKA übermittelt hatte. Es kann jeden treffen, sagt der<br />

Film. Und das ist so.<br />

Das „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ ist 25 Jahre alt, aber von<br />

einer Selbstbestimmung der Bürger kann nicht die Rede sein; das Grundrecht auf<br />

informationelle Selbstbestimmung ist ein schwer malträtiertes Grundrecht. Die<br />

Schwere und die Folgen dieser Verletzungen dokumentiert der ausgezeichnete ZDF-<br />

Film. Er informiert, er sensibilisiert, er rüttelt wach. Er macht klar, warum Datenschutz<br />

nichts Abstraktes ist, sondern erste Hilfe für die Bürgerrechte im digitalen<br />

Zeitalter.<br />

Der prämierte Film ist ein Aufklärungsfilm. Er ist, obwohl nicht aus diesem Anlass<br />

produziert, einer der besten Beiträge zum 60. Jubiläum des Grundgesetzes.<br />

Brödermann und Stompen zeigen das alles so, dass nach dem Film keiner mehr<br />

sagt: Er habe ja nichts zu verbergen und also auch nichts zu befürchten. Nach einem<br />

so aufklärerisch gescheiten Film bleibt einem ein so törichter Satz im Hals stecken.<br />

Und die Frage, die einem nach diesem Film zu Recht umtreibt, ist die: Wie kann ich<br />

mich schützen, wie kann ich mich wehren, was kann ich tun, dass das nicht so weiter<br />

vorgetragen von Dr. Heribert Prantl<br />

46<br />

47


Simone Sälzer<br />

(Passauer Neue Presse)<br />

3. PREIS<br />

49


„Leben in Würde“<br />

(Artikelserie 21.02. - 23.05.<strong>2009</strong>, Passauer Neue Presse) *<br />

Begründung der Jury<br />

In der 14-teiligen Serie „Leben in Würde“ stellt die Autorin Einzelschicksale aus<br />

Deggendorf vor, die mit den Problemen der gesellschaftlichen Isolation kämpfen.<br />

Aus welchen Gründen kommt es dazu, dass Menschen sich von der Gesellschaft<br />

ausgeschlossen fühlen? Die Reihe hat darauf mehrere Antworten. Es sind<br />

Alkoholismus, Drogenkonsum, finanzielle Notlagen, Gewalt in der Partnerschaft,<br />

Krankheit, Alter und Tod, die von der Gesellschaft mehr Offenheit und Verständnis<br />

fordern, als sie in der Lage ist zu geben.<br />

Simone Sälzer<br />

geboren 1978 in Passau<br />

Werdegang:<br />

2007-<strong>2009</strong> Volontariat Passauer Neue Presse<br />

2006-2007 Freiberufliche Dozentin für Deutsch als Fremdsprache<br />

1999-2006 Studium der Germanistik, Romanistik, Politikwissenschaften<br />

und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Regensburg<br />

1999-2006 Praktika, u. a. bei SZ, BR und Goethe-Institut<br />

1998 Abitur am Gymnasium Freyung<br />

* Die Beiträge der Artikelserie sind über die Homepage des „<strong>Brenner</strong>-<strong>Preis</strong>es“ (www.otto-brenner-preis.de) zugänglich<br />

und auf der DVD, die dieser Dokumentation beigefügt ist, in Auszügen enthalten. (Die Redaktion)<br />

„,Ich wollte einfach nur mal mit jemandem reden’, erinnert sich Sara Hanson an ihren<br />

ersten Anruf bei Caritas-Schuldnerberaterin Cornelia Beetz. Die Frau mit den langen<br />

brauen Haaren atmet kurz durch. ,Uns steht das Wasser bis zum Halse.’ Die allein<br />

erziehende Mutter hat Schulden in sechsstelliger Höhe. Ihre vier Kinder sind 21, 17, 13<br />

und 4 Jahre alt, von ihrem Mann lebt sie seit gut einem Jahr getrennt.“<br />

Dieses Zitat aus der preisgekrönten Zeitungsserie von Simone Sälzer ist einer von gut<br />

einem Dutzend szenischen Einstiegen, mit denen sich die junge Journalistin jeweils<br />

prekären Feldern unserer Gesellschaft genähert hat. Mit solchen anschaulichen Exempeln<br />

nimmt Sälzer ihre Leser bei der Hand und zeigt jeweils gleich im ersten Absatz,<br />

was Sache ist: Überschuldung, Alkoholsucht, Gewalt gegen Frauen, Behinderungen,<br />

Asylsuche, Drogenkriminalität, Altersbetreuung, psychische Erkrankungen und was<br />

der sozialen und individuellen Probleme mehr sind, die die Volontärin der „Passauer<br />

Neuen Presse“ in ihrer 14-teiligen Serie „Leben in Würde“ geschildert hat.<br />

Als Soziographin zeigt Simone Sälzer einmal mehr, dass wir längst nicht mehr in der<br />

friedlichen nivellierten Mittelstandsgesellschaft von einst leben. Sie beweist kritische<br />

Aufmerksamkeit für Menschen am Rande, die von Marginalisierung bedroht sind. Als<br />

Journalistin hat Sälzer ein weiteres getan: Über die Dokumentation von Fallgeschichten<br />

hinaus zeigt sie mögliche Lösungen auf, sensibilisiert die Nicht-Betroffenen unter<br />

ihren Lesern und weist den Betroffenen den Weg zu sozialkaritativen Hilfen in Notlagen.<br />

Das ist Nutzwertjournalismus im besten Sinne: kein Blabla mit Freizeittipps, sondern<br />

verantwortliches Schreiben für den Tag und darüber hinaus, journalistisches<br />

Engagement mit Praxisbezug.<br />

Simone Sälzer hat hier eine überraschend reife Leistung hingelegt. Diese überaus<br />

gelungene Fleißarbeit einer Berufsanfängerin - 14 volle Zeitungsseiten, wahrlich keine<br />

Kleinigkeit! - ist auch als modernes journalistisches Format interessant. Denn jede Folge<br />

der Serie im Lokalblatt „Deggendorfer Zeitung“ bestand aus vier definierten Komponenten,<br />

die die Autorin konsequent und lesenswert umgesetzt hat. Ein Muster, von<br />

dem sich lernen lässt. Übrigens auch sprachlich. Die Klarheit, Nüchternheit und<br />

Anschaulichkeit ihres Stils sind die kommunikativen Qualitäten, die es braucht, um<br />

Leser einer Lokalzeitung anzusprechen.<br />

vorgetragen von Prof. Dr. Volker Lilienthal<br />

50<br />

51


Christian Semler<br />

OTTO BRENNER PREIS<br />

„SPEZIAL“<br />

(freier Autor, taz)<br />

53


Fleißig gebuddelt, wenig Ertrag *<br />

Bei der Arbeit des Ausschusses erwies es sich als nützlich, dass die CDU in einer<br />

Doppelrolle als loyaler Großkoalitionär und gleichzeitig als Ankläger gegen die<br />

vormalige rot-grüne Koalition auftrat. Dadurch konnte die SPD nicht alle rechtlichen<br />

Möglichkeiten ausschöpfen, die ihr die erdrückende Koalitionsmehrheit<br />

im Ausschuss gegeben hätte. Sie konnte nicht alle Initiativen der oppositionellen<br />

Ausschussmitglieder abbügeln. Dennoch erwies sich ein weiteres Mal, dass der<br />

parlamentarischen Kontrolle der Dienste enge Grenzen gesetzt sind. Dies gilt<br />

nicht nur für die Befugnis der Regierung, Zeugenaussagen zu verhindern oder<br />

Dokumente nicht zugänglich zu machen. Noch entscheidender ist, dass im Reich<br />

der Dienste fast alles mündlich abläuft, Diskussionen und Anweisungen nicht<br />

schriftlich festgehalten werden, Aktennotizen unterbleiben. Dies kraft Gesetz<br />

ändern zu wollen verkennt den Auftrag der Geheimen. Schlapphut und Transparenz<br />

– das geht nicht zusammen.<br />

Christian Semler<br />

geboren 1938 in Berlin<br />

Werdegang:<br />

Seit <strong>2009</strong><br />

Freier Autor der taz (Schwerpunkte: demokratische Rechte,<br />

historische Grundlagen der Politik, Geschichtspolitik)<br />

1989 Redakteur der taz mit Schwerpunkt Osteuropa; Kolumnist der<br />

„Wochenpost“<br />

Seit 1980 Freier Journalist; Unterstützungsarbeit für die demokratische<br />

Opposition in Ostmitteleuropa; Mitglied von „Solidarität mit<br />

Solidarnosc“<br />

1970 Mitbegründer und Funktionär der maoistischen KPD (AO)<br />

Seit 1965 Aktivist im Westberliner SDS (bis zu dessen Auflösung 1970)<br />

Seit 1962 Zweitstudium Politik und Geschichte; Journalistische Arbeit<br />

(u. a. für SFB und NDR)<br />

1957-1961 Studium der Rechtswissenschaft in Freiburg/Breisgau und<br />

München; 1. jur. Staatsexamen<br />

1957 Abitur am Goethe-Gymnasium, Berlin<br />

Veröffentlichungen:<br />

Seit 1980 Verfasser zahlreicher Aufsätze (u. a. für Freibeuter, Kursbuch,<br />

Kommune, Aus Politik und Zeitgeschichte, Le Monde diplomatique)<br />

und Herausgeber (Mitautor) von Textsammlungen, insbesondere<br />

zu politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in „Osteuropa“<br />

* Dieser Kommentar zum Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu diversen BND-Affären<br />

ist am 16.06.<strong>2009</strong> in der taz erschienen. Wir dokumentieren einen Auszug.<br />

Eine Serie weiterer Meinungsartikel aus der Feder des <strong>Preis</strong>trägers enthält die DVD, die diesem „Best of“ (siehe dritte<br />

Umschlagsseite) beigefügt ist.<br />

54<br />

55


Begründung der Jury<br />

Als Christian Semler Maoist war, war ich noch Ministrant. Das ist lange her. Mittlerweile<br />

ist Semler längst nicht mehr Maoist, und ich bin auch nicht mehr Ministrant. Wir beide<br />

sind, jeder auf seine Weise, fortgeschritten. Wir haben uns bisher, bis zum heutigen<br />

Abend, nie persönlich getroffen – und uns doch gefunden auf einem Gebiet, das uns<br />

beide angelegen ist: Er, der Ältere, und ich, der Jüngere, ackern auf einem Feld, auf<br />

dem viel Unkraut wächst: Es heißt Rechtsstaat und Bürgerrechte.<br />

Mir sind, als ich als Kommentator und Leitartikler noch sehr jung und sehr frisch war,<br />

sogleich die Stücke von Christian Semler in der taz aufgefallen. Ich spürte: Da zieht<br />

einer seine Furchen mit ungeheurer Sachkenntnis, mit Präzision, mit profundem Wissen.<br />

Und seitdem lese ich Christian Semler – der einer der klügsten journalistischen<br />

Köpfe ist, die ich kenne. Er ist einer, der nicht wohlfeil daherbrabbelt; er ist keiner,<br />

dessen Meinung schon fertig ist, bevor das Ereignis, das er kommentiert, passiert ist;<br />

er ist nachdenklicher, kein vorpreschender Mensch: Er ist ein bewundernswert<br />

gescheiter, ein scharfsinniger journalistischer Streiter für Rechtsstaat und Bürgerrechte.<br />

Er ist ein Radikaldemokrat im allerbesten Sinn, also einer, der sich nicht mit einem<br />

lauen Bekenntnis zur Demokratie zufrieden gibt; in seinen Texten geht er ihr auf den<br />

Grund, er verfolgt ihre Wurzeln zurück bis in die Tage der Revolution von 1848.<br />

Als Daniel Cohn-Bendit ihm zum 70. Geburtstag in der taz eine kleine Eloge geschrieben<br />

hat, hat er den Kopf des Christian Semler schön beschrieben: Christian Semler sei<br />

das „lebendige Gedächtnis der linken Revolte von 1968“. Und in diesem Kopf tobt ein<br />

ständiger Kampf zwischen linker und rechter Gehirnhälfte, „hier die kühle Analyse,<br />

dort Kreativität und Gefühle“. Man liest mit Spannung, was er schreibt, „weil man<br />

immer wissen will, welcher Verstand diesmal die Oberhand gewonnen hat“. Cohn-Bendit<br />

hat Christian Semler „ein starkes, linkes Gewissen attestiert“. Beides sei manchmal,<br />

zum Beispiel auf dem Balkan, schwer zusammenzubringen: „Aber Semler gelingt<br />

es, und das macht ihn menschlich“.<br />

Semler bläst beim Schreiben nicht in die Posaune. Er hat nicht die Illusion, dass man<br />

mit dem Schreiben die Mauern von Jericho einstürzen lassen kann. Er ist ein nachdenklicher,<br />

skrupulöser, ein wissender Schreiber. Er spürt die Widersprüche in sich und in<br />

den Dingen, und gibt ihnen beim Schreiben Raum: Ich vermute, dass er deswegen<br />

nicht Politiker geworden ist wie Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit, die Semlers<br />

Nachfolger und Erben waren in der 68er Revolte. Semler hat das gewaltige Ego nicht,<br />

das man braucht, um Widersprüche und Vorbehalte in sich selbst zu überspielen. Er<br />

streitet mit seinen klugen Arbeiten für die Demokratie – im Wissen, dass er einst gegen<br />

diese Demokratie gestritten hat. Sein Werk ist auch deswegen so glaubwürdig, weil es<br />

das Ergebnis eines langen, verschlungenen Weges ist, ein Produkt eines persönlichen<br />

Läuterungsprozesses: Semler war einer der führenden Köpfe der Studentenbewegung,<br />

er war der Gefährte von Rudi Dutschke. Und er wurde in und nach vielerlei Wirrnissen<br />

ein überzeugter, überzeugungskräftiger und weiser Demokrat.<br />

Semlers Leben ist ein politischer Roman. Wie kam eigentlich eine studentische Protestbewegung,<br />

die ursprünglich adrett gekleidet und gescheitelt, das Recht auf freie Meinungs<br />

äußerung auf dem Campus und eine demokratische Reform der Universitäten ein -<br />

forderte, zum Sozialismus als einer radikalen gesellschaftlichen Alternative? Christian<br />

Semler beantwortet diese Frage selbst, in einem Stück, das „Unser geliebter Sozialismus“<br />

heißt. Am Anfang, sagt er, „steht eine Ausstoßung, der Ausschluss des Sozialistischen<br />

Deutschen Studentenbundes SDS aus der SPD. Diese erzwungene Selbständigkeit zog<br />

wider Erwarten eine reale Selbständigkeit nach sich“. Das war sicher eine große Weichenstellung<br />

im Leben des Christian Semler.<br />

Über die andere Weichenstellung habe ich sinniert, als ich vor einiger Zeit im Wirtschaftsministerium<br />

vor der dortigen Bilder-Ahnengalerie der Minister stand: Das allererste<br />

Bild, das vor dem Bild von Ludwig Erhard hängt, zeigt Johannes Semler, den<br />

Vater unseres <strong>Preis</strong>trägers. Semler senior war ein gesuchter Finanzfachmann und<br />

Wirtschaftsprüfer, ein Abwickler von Großunternehmen, Sanierer der Hentschel-Werke,<br />

von Borgward und BMW, er war Mitgründer der CSU und Direktor der Verwaltung<br />

für Wirtschaft der Vereinigten Wirtschaftsgebiete nach dem Krieg, also quasi der erste<br />

bundesdeutsche Wirtschaftsminister. Wenn ich so einen Vater gehabt hätte, so dachte<br />

ich mir, als ich vor der Bilderwand stand, wäre ich wahrscheinlich auch nicht Ministrant,<br />

sondern erst mal Maoist geworden.<br />

56<br />

57


Seit über zwanzig Jahren schreibt Christian Semler ganz wunderbar für die taz, vor<br />

allem über Recht, Demokratie, Demokratiegeschichte und Geschichtspolitik. Seine<br />

Stücke zu Demokratie, Bürgerrechten und zu der Geschichte dieses Landes gehören<br />

zum Besten, was der politische Journalismus in Deutschland zu bieten hat. Und als ich<br />

über diese kleine Laudatio nachgedacht habe, ist mir ein Spruch zum Verhältnis von<br />

Macht und Recht eingefallen, zu einem Verhältnis also, das Christian Semler und mich<br />

immer wieder sehr beschäftigt. „Dass Macht vor Recht geht“, so sagt dieser Spruch,<br />

„damit könnte man sich zur Not noch abfinden. Aber dass das Recht auch noch hinter<br />

der Macht geht, das ist traurig!“ Ich weiß nicht, ob dieser Aphorismus von Christian<br />

Semler stammt. Er könnte jedenfalls von ihm sein.<br />

Lieber Christian Semler, meine Bewunderung, meine ganz herzlichen Glückwünsche zu<br />

diesem <strong>Preis</strong> für Ihr journalistisches Werk. Schreiben Sie weiter. Nicht nur die taz kann<br />

ihre Klugheit brauchen.<br />

Moderatorin u. Jury-Mitglied Sonia Seymour Mikich gratuliert Christian Semler,<br />

Gewinner des „Spezial“-<strong>Preis</strong>es <strong>2009</strong><br />

vorgetragen von Dr. Heribert Prantl<br />

Festredner Tom Schimmeck zwischen Ex-Maoist Semler (links) und Ex-Ministrant Prantl (rechts)<br />

58


RECHERCHE-STIPENDIEN I<br />

Sandro Mattioli<br />

Tina Groll<br />

Marianne Wendt und<br />

Maren-Kea Freese


Moderatorin Sonia Seymour Mikich im Gespräch<br />

mit Jury-Mitglied Thomas Leif<br />

Mikich: „Thomas, wie sahen die Bewerbungen in diesem Jahr aus, und was<br />

waren die Schwerpunkte?“<br />

Leif: „Die Bewerbungen waren durchwachsen, wie immer. Wenn man ehrlich ist,<br />

haben wir ein Aussortiersystem von ungefähr zehn Prozent der Bewerbungen,<br />

die ins engere Feld kommen und eigentlich unseren harten Kriterien entsprechen.<br />

Thematisch war es kreuz und quer. Einige internationale Reportagethemen, bei<br />

denen man auch ein bisschen den Verdacht haben kann, dass der eine oder andere<br />

sich das Land mal anschauen möchte. Aber durchaus auch Themen aus der<br />

Arbeitswelt. Es gibt keine eindeutigen Schwerpunkte, es ist sehr breit gestreut.“<br />

Mikich: „Welche Stolpersteine gibt es eigentlich, wenn junge Leute an so ein<br />

Stipendium heran kommen wollen?“<br />

Leif: „Stolpersteine? Sie müssen uns überzeugen! Wir sind, glaube ich, ziemlich<br />

kompliziert, weil wir natürlich zwei Dinge machen müssen: Einerseits wollen wir<br />

eine große Leistung, und dann soll diese große Leistung von einem noch möglichst<br />

jungen Menschen erbracht werden. Das ist ein innerer Spagat, den wir<br />

aushalten müssen, und wir müssen überzeugt werden. Sie kennen ja die ziemlich<br />

anspruchsvollen Persönlichkeiten in der Jury. Es muss eine eigene Idee sein,<br />

die Leute müssen durch ihre Persönlichkeit und den Lebenslauf nachweisen,<br />

dass sie es ernst meinen. Das ist für mich persönlich zum Beispiel sehr wichtig.<br />

Schließlich müssen sie eine originelle und gute Ausgangsbasis haben, die uns<br />

überzeugt.“<br />

Mikich: „Aber ein bisschen an die Hand genommen werden müssen sie auch,<br />

oder?“<br />

Leif: „Ja, wenn man so will, ist es auch ein kleines Geschenk des <strong>Preis</strong>es an die<br />

<strong>Preis</strong>träger: Sie kriegen einen Mentor oder eine Mentorin zu Seite gestellt. Wir<br />

werden gleich etwas von Frau Frenzel hören, die, vom früheren ARD-Korrespondenten<br />

in Spanien, Stefan Rocker, betreut wurde. Was sehr wichtig ist: Wir ver-<br />

suchen, z. B. aus unserem privaten Umfeld oder aus dem „netzwerk recherche“<br />

Betreuer zu finden, die bei Recherchen auch wirklich mit professionellem Rat<br />

und konkreter Tat zur Seite stehen.“<br />

Mikich: „Jetzt würde ich Dich einmal bitten, die Themen der Recherche-Stipendien<br />

zu nennen, die in diesem Jahr gewonnen haben.“<br />

Leif: „Da ist zunächst Sandro Mattioli. Er macht etwas ganz anspruchsvolles und<br />

zwar betrachtet er, wie die italienische Mafia sich neue Absatzgebiete und<br />

Geschäftsfelder in Deutschland sucht. Nämlich mit Müll, den sie nach Deutschland<br />

exportieren. Es geht um 250 000 Tonnen Material. Ich war am Anfang sehr<br />

skeptisch, das gebe ich zu, habe aber dann bemerkt, dass er in Italien gute Kontakte<br />

hat und sicherlich dieses Segment der Mafiaarbeit sehr erfolgreich präsentieren<br />

wird. Dazu noch der Hinweis, dass er auch mit der Justiz eng zusammenarbeitet<br />

und es eine zweite Story beim diesem Thema sein wird, wie Deutschland<br />

mit der italienischen Justiz kooperiert.<br />

Bei dem zweiten Stipendium geht es – wenn man so will – um die Praxis der<br />

Finanzkrise. Tina Groll wird sich damit beschäftigen, wie Verbraucher von den<br />

Deutschen Banken über den Tisch gezogen worden sind, wie man wertlose<br />

Immobilien verticken will und wie man damit sozusagen Kleinverdiener an den<br />

Rand des wirtschaftlichen Ruins gebracht hat. Also eine ganz praktische Story<br />

aus dem Bereich der Finanzkrise.<br />

Und das dritte Stipendium ist eine Geschichte, die sich auf den ersten Blick sehr<br />

harmlos anhört. Marianne Wendt und Maren-Kea Freese kümmern sich um Analphabeten<br />

und schauen nach, wie eigentlich die Welt ohne diese Schriftkultur<br />

ausschaut. Auf den ersten Blick kennen wir alles, aber sie haben mich zum Beispiel<br />

sehr durch die Intensität, wie sie mit dem Thema umgehen, überzeugt, und<br />

sie werden uns frei nach Gabriel, dem neuen SPD-Chef, in die Ecken führen, ‘wo<br />

es stinkt und nicht so amüsant ist.’“<br />

62<br />

63


Sandro Mattioli<br />

freier Reporter (Rom)<br />

Aus der Würdigung der Jury:<br />

„Sandro Mattioli will mit seiner Arbeit aufdecken, dass die italienische Mafia mit einem<br />

neuen Geschäftsmodell in Deutschland präsent ist: Dem Import von kontaminierter<br />

Erde. Eine investigative Recherche in einem gefährlichen Milieu – brisant und relevant.<br />

Die Jury des <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>es unterstützt diese Arbeit über eine aktuelle Form<br />

organisierter Kriminalität mit einem Stipendium.“<br />

„Auf Dreck gebaut:<br />

Wie sich die Müllmafia in Deutschland etabliert“<br />

Deutschland nimmt seit Jahren, nicht erst seit der Müllkrise in und um Neapel,<br />

große Mengen von Abfall aus Italien auf. Allein in Rheinland-Pfalz wurden in den<br />

vergangenen fünf Jahren über 250.000 Tonnen Material angeliefert. Nur der<br />

kleinste Teil dieser Stoffe sind Siedlungsabfälle. Die größte Gruppe stellen „Boden<br />

und Steine (dar), die gefährliche Stoffe enthalten“. Bei diesen Erdimporten geht<br />

nicht alles mit rechten Dingen zu.<br />

Sandro Mattioli<br />

geboren 1975 in Heilbronn<br />

Werdegang:<br />

2008-<strong>2009</strong> Freier Reporter in Rom<br />

2006-2008 Volontär bei der Stuttgarter Zeitung<br />

1995-2006 Freier Journalist für verschiedene Medien, Autor für das<br />

Schwäbische Tagblatt<br />

1996-2004 Studium der Allgemeinen Rhetorik, Neueren Geschichte und Empirischen<br />

Kulturwissenschaft in Tübingen und Rom, Magisterabschluss<br />

1995 Abitur am Albert-Schweitzer-Gymnasium, Neckarsulm<br />

Auszeichnung:<br />

2007 „herausragende Leistung“, Axel-Springer-<strong>Preis</strong><br />

64<br />

65


Tina Groll<br />

Redakteurin (ZEIT-online)<br />

Aus der Würdigung der Jury:<br />

„Tina Groll zeigt mit ihrer Recherche ‚Angepumpt und abkassiert’, dass die so genannte<br />

‚Subprime-Krise’ längst in Deutschland angekommen ist. Auch in der Bundesrepublik<br />

haben Banken überhöhte Kredite für wertlose Immobilien vergeben, obwohl die ‚Kleinverdiener’<br />

nicht solvent waren. Die <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung und die <strong>Preis</strong>-Jury halten das<br />

Thema für so relevant, dass sie die Arbeit der jungen Kollegin mit einem Stipendium<br />

unterstützen.“<br />

„Angepumpt und abkassiert: Subprime in Deutschland“<br />

Die Recherche soll zeigen, dass es Geschäfte im Stile der Subprime-Krise in den<br />

USA auf verschiedenen Ebenen auch in Deutschland gegeben hat. Die Autorin<br />

wird – stellvertretend für tausende von Fällen – einige Geschichten von geprellten<br />

Anlegern erzählen, deren Existenz akut gefährdet wurde. Zudem zeigt sie, dass<br />

bis heute weder eine echte Regulierung, noch eine strenge Aufarbeitung der gierigen<br />

Geschäfte stattgefunden hat.<br />

Tina Groll<br />

geboren 1980 in Itzehoe<br />

Werdegang:<br />

Seit August <strong>2009</strong> Redakteurin bei ZEIT-online im Wirtschaftsressort<br />

2007 - <strong>2009</strong> Volontariat bei der Bremer Tageszeitungen AG<br />

2003 - 2007 Studium Internationaler Studiengang Fachjournalistik an der<br />

Hochschule Bremen und dem Manipal Institute of Communication<br />

in Manipal, Indien; Abschluss: Diplom-Journalistin<br />

2002 - 2003 Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei der Diakonie Bremen<br />

2002 Abitur an der Kaiser-Karl-Schule, Städtisches Gymnasium Itzehoe<br />

Auszeichnungen und Veröffentlichungen, u .a:<br />

2008 „Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ (Medium Magazin)<br />

2008 „Beruf Journalistin. Von kalkulierten Karrieren und behinderten<br />

Berufsverläufen“, VDM-Verlag<br />

66<br />

67


Marianne Wendt /<br />

Maren-Kea Freese<br />

Aus der Würdigung der Jury:<br />

„Marianne Wendt und Maren-Kea Freese beobachten in ihrem Projekt verschiedene<br />

Analphabeten. Ihre Protagonisten versuchen, lesen zu lernen, um ihre Lebenssituation<br />

zu verbessern. Ein Langzeitprojekt, das nicht im täglichen Focus steht. Stiftung und<br />

Jury fördern diese innovative Recherche mit 5.000 Euro.“<br />

„Ich schreibe, also bin ich“.<br />

Als Analphabet in einer Welt der Schriftkultur<br />

Vier Millionen Analphabeten leben in Deutschland. Die Gefahr vor Isolation,<br />

Arbeitslosigkeit und Armut, sowie der schwierige Weg, aus dieser Situation auszubrechen,<br />

sind der Öffentlichkeit nicht bekannt. Die Autorinnen treffen verantwortliche<br />

Bildungspolitiker, stellen – unter anderem – die Frage, warum in einem<br />

Land, das sich seines hohen Bildungsniveaus rühmt, so wenig gegen Analphabetismus<br />

getan wird. Sie versuchen, mit ihrem Hörfunkfeature dieses tabuisierte<br />

Thema ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.<br />

68<br />

69


Marianne Wendt<br />

geboren 1974 in Berlin-Charlottenburg<br />

Maren-Kea Freese<br />

geboren 1960 in Hannover<br />

Werdegang:<br />

Seit 2005 Autorin und Regisseurin für Hörspiele und Features<br />

Seit 2004 Drehbuchautorin<br />

2001-2005 freie Theaterregisseurin<br />

1999-2001 Dramaturgin am Deutschen Theater Berlin<br />

1997-1999 Regie- und Dramaturgieassistentin, Deutsches Theater Berlin<br />

Bis 1999 Studium der Architektur (Diplom, TU München/UdK Berlin) und<br />

der Theaterregie (Uni Hamburg). Aufbaustudiengang Drehbuchwerkstatt<br />

München (HFF München, 2006)<br />

Auszeichnungen, u. a.:<br />

<strong>2009</strong> Nominierung für den Deutschen Kinder-Hörspielpreis der ARD<br />

(„Die Raben des Barbarossa“)<br />

2008 Hörspielförderung der Filmstiftung NRW für „Anständige Bürgerin“<br />

2007 Aufenthaltsstipendium „Writer in Residence“, Villa Decius in Krakau<br />

2006 Stipendium Drehbuchwerkstatt München<br />

Werdegang:<br />

Seit 2000 Regie- und Drehbuchautorin (u.a. Was ich von ihr weiß, 2006)<br />

1999 Abschluss Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb)<br />

1989 FU Berlin (Filmwissenschaften, Publizistik, Germanistik),<br />

Magister-Abschluss<br />

seit 1982 Regieassistenz, Kurzfilme und Dokumentationen<br />

1979 Abitur am Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasium in Köln<br />

Auszeichnungen, u. a.:<br />

1999 Regieförderpreis, Filmfest München<br />

1988 <strong>Preis</strong> der Feminale, Köln<br />

70<br />

71


RECHERCHE-STIPENDIEN II<br />

Veronica Frenzel<br />

Günter Bartsch<br />

Thomas Schuler<br />

Thomas Schnedler<br />

73


Jury-Mitglied Thomas Leif im Gespräch<br />

mit ehemaligen Stipendiaten<br />

Mikich: „Ich will – zur Überleitung – ganz kurz noch etwas zu Thomas Leif sagen:<br />

Er hat wirklich Wucht und Energie, Berthold Huber hat das ja schon vorhin angedeutet,<br />

und eine unglaubliche Sicherheit, was journalistische Standards angeht.<br />

Eben nicht nur in seinen eigenen Sendungen, in seinen Berichten, in Büchern,<br />

er sorgt eben unermüdlich dafür, dass junge Kollegen sich für die Mühen des<br />

ungeliebten investigativen Journalismus begeistern. Er will, dass No-Names<br />

nach oben kommen, dass sie durchhalten, dass sie glänzen. Thomas Leif –<br />

er ist Jury-Mitglied, er ist bei „netzwerk recherche“ – wird jetzt <strong>Preis</strong>träger vergangener<br />

Jahre einmal über Siege und Niederlagen interviewen, und er hat mit<br />

ihnen gebangt und gerungen. Ich bitte jetzt im fliegenden Wechsel Veronica<br />

Frenzel, Günter Bartsch und Thomas Schuler auf die Bühne und übergebe das<br />

Wort an Thomas Leif.“<br />

Leif: „Frau Frenzel ist jemand, die uns kurz erzählen kann, was sie gemacht hat.<br />

Sie hat sich nämlich um diejenigen in Spanien gekümmert, auf die sonst niemand<br />

schaut. Erzählen Sie ganz kurz, was sie gemacht haben.“<br />

Frenzel: „Mein Thema war die illegale Einwanderung in Spanien und wie die<br />

Wirtschaftskrise diese Menschen trifft. Meine These war, dass diese Menschen<br />

besonders hart davon getroffen werden und das habe ich dann auch während<br />

der Recherche bestätigt gefunden. Sie müssen jetzt noch schlechtere Bedingungen<br />

akzeptieren, als sie eigentlich bisher sowieso schon mußten, finden einfach<br />

gar keine Arbeit mehr.“<br />

Leif: „Das heißt also, das soziale Elend der Schicht, wo sonst niemand hinschaut,<br />

ganz unten. Wo haben Sie die Ergebnisse denn am Ende veröffentlicht?“<br />

Frenzel: „Ich habe zum einen eine Reportage in der Zeitschrift „E + Z“ veröffentlicht,<br />

das ist eine Spezialzeitung von der Stiftung „Invent“, die auch von der<br />

Bundesregierung unterstützt wird, und dann auch noch in der österreichischen<br />

Wochenzeitung ‚Die Furche’.“<br />

Leif: „Heute haben Sie uns eine Überraschung mitgebracht – keiner wußte das –<br />

und das ist auch ein kleines Geheimnis dieser Stipendien: Sie haben mit einer<br />

Freundin auch in Spanien über ein halbes Jahr einen Film gedreht.“<br />

Frenzel: „Genau. Ich habe aus der Recherche noch zusätzlich einen halbstündigen<br />

Dokumentarfilm* gemacht. Er ist allerdings noch nirgends erschienen und er ist<br />

auch erst letzte Woche fertig geworden.“<br />

Leif: „Aber das zeigt, und das ist, glaube ich, einen extra Applaus wert: Sie hat<br />

mehr gemacht, als sie machen mußte. Erklären Sie es vielleicht ganz kurz, weil<br />

viele im Publikum wissen es nicht: Hätten Sie ohne das Stipendium die Story<br />

auch gemacht?“<br />

Frenzel: „Auf jeden Fall nicht in diesem Ausmaß. Ich hätte vielleicht etwas Kleines<br />

gemacht, aber ich hätte nicht so lange daran arbeiten können. Und ich hätte<br />

nicht in die Tiefe gehen können wie ich gegangen bin und ich hätte vor allem<br />

nicht den finanziellen Rückhalt gehabt. Besonders aber auch den Rückhalt von<br />

meinem Mentor Herrn Rocker, der mich ja immer wieder unterstützt und mir<br />

gesagt hat: ‚Machen Sie weiter, das ist eine gute Richtung’.“<br />

Leif: „Das ist ein gutes Zeichen, und ich glaube, dass der Film fertig ist, ist ein<br />

Sonderbeweis für Ihren Einsatz. Irgendwie wird es auch noch eine Lösung geben,<br />

dass man den Film vernünftig synchronisieren kann und die Gelder dafür werden<br />

sich sicher auch noch finden.<br />

Und dann geht das Mikro weiter an Günter Bartsch. Der hat sich im Grunde<br />

beschäftigen wollen mit dem, was Tom Schimmeck uns in seiner Rede gesagt<br />

hat, nämlich Lobbystrukturen, politische Beeinflussung in Berlin – wie sieht das<br />

eigentlich ganz praktisch aus? Aber Herr Bartsch – man kann doch eigentlich im<br />

Grunde sagen – Sie sind am Ende erfolgreich gescheitert mit ihrem Stipendium?“<br />

* Wir machen den Film über die DVD, die der Dokumentation beiliegt, erstmals öffentlich zugänglich. (Die Redaktion)<br />

74<br />

75


Bartsch: „Meine Erfahrung: Man stößt auf eine Mauer des Schweigens, wenn man<br />

versucht, Ansprechpartner hinter den Kulissen zu finden. Also, es war sehr<br />

schwierig. Ich habe es über soziale Netzwerke probiert. Es ging insbesondere im<br />

Speziellen um einen Berliner Verlag namens Helios, der sich der politischen<br />

Kommunikation widmet, Magazine herausgibt, die erwähnten Politikkongresse<br />

durchführt.* Ich habe auch Gruppen im Internet gefunden, die sich die „Heliosopfer“<br />

nennen, so halb Spaß halb Ernst, glaube ich. Man kriegt zwar einen Kontakt,<br />

aber es bricht dann relativ schnell wieder ab. Das heißt, ich mußte andere<br />

Wege finden, wie ich an Informationen komme. Da hat es sich dann angeboten,<br />

sowohl Programme von Kongressen als auch Magazine und die Zeitschriften, die<br />

der Verlag rausbringt, sich genau anzuschauen, Jahrgang für Jahrgang durchzugehen<br />

und dann entdeckt man dann doch Muster, die ganz interessant sind.<br />

Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) ist ja hier schon angesprochen<br />

worden. Die INSM ist einer der wichtigsten Anzeigenkunden in einem dieser<br />

Magazine, „Politik und Kommunikation“, und die Geschäftsführer der INSM<br />

dürfen in dieser Zeitschrift auch publizieren, schreiben. Da gibt es also Muster,<br />

die problematisch sind.“<br />

Leif: „Aber woran lag es am Ende, dass Sie die Ehemaligen nicht bekommen<br />

haben? Lag es an Ihnen, dass Sie nicht hartnäckig genug waren oder woran lag<br />

es? Man weiß: Viele Informationen kommen von Ehemaligen, die betrogen worden<br />

sind, belogen, gedemütigt am aller besten. Das sind die besten Informanten.<br />

Er hat aber niemanden gefunden, obwohl es ja viele gibt von diesen in dem<br />

Umfeld des Helios Verlags.“<br />

Bartsch: „Na ja, die arbeiten ja alle noch wie gehabt in dieser Branche und auf<br />

den ersten Blick, oder so nach ein paar Wochen, dachte ich‚ anscheinend ist der<br />

Verlag so relevant ja doch nicht, wie ich mir gedacht habe. Und durch diese<br />

Erfahrung ist mir bewußt geworden, wenn irgendwie alle Kritik üben an seichtem<br />

Niveau vieler Veranstaltungen usw., merkt man dann, dass offenbar doch<br />

Macht dahinter steckt, dass sich niemand traut, viel öffentlich zu kritisieren.“<br />

Leif: „Also Sie bekommen am Ende eine Strukturanalyse, ganz umsonst war es<br />

nicht, aber es gibt eine ganz interessante Erfahrung. Astrid Geisler* ist es ja<br />

gelungen, mit ihrer Recherche die ersten beiden Seiten der taz vollständig zu<br />

füllen, das hat ihr sehr geholfen nach einem OBS-Stipendium. Jetzt haben Sie<br />

gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist, die Ergebnisse zu präsentieren. Warum<br />

war das so schwer, Ihre Rechercheergebnisse zu veröffentlichen?“<br />

Bartsch: „Also ich habe von Redaktionen oft die Reaktionen bekommen: ‘Das ist<br />

zu kompliziert’. Die Verflechtungen, die es gibt zwischen PR und Journalismus,<br />

kann man aber nachlesen, in der Dokumentation zum MainzerMedienDisput<br />

<strong>2009</strong>. Diese Verflechtungen sind ziemlich kompliziert, man muss genau recherchieren,<br />

man braucht auch Platz dafür und Redaktionen tun sich offenbar<br />

schwer, mit diesem Thema umzugehen. Zumal immer gewisse Angriffspunkte<br />

auch bei Redaktionen oder bei Verlagen vorhanden sind.“<br />

Leif: „Klingt das bei Ihnen nach aufgeben – oder wie geht es weiter?“<br />

Bartsch: „Nein, also ich glaube, die Ergebnisse, die ich jetzt habe, sind zumindest<br />

so, dass man was etwas draus machen kann. Interessant war eigentlich,<br />

dass ich über dieses Wühlen bei diesem einen Fall auf ganz viele andere Fälle<br />

gestoßen bin.** Sei es die Solarindustrie, wo plötzlich Initiativen loslegen und<br />

verdeckte PR betrieben wird oder das Beispiel ‘Berlinpolis’.“<br />

Leif: „Wir haben noch die Hoffnung, dass dieser Text in der „taz“ erscheint als<br />

Geschenk, denn der Politikkongress startet in zwei Wochen hier in Berlin.<br />

Jetzt kommen wir zu Tom Schuler. Ein alter Grantelhase aus München, der viel in<br />

der Süddeutschen schreibt, der auch schon ein Buch über Franz-Josef Strauss<br />

gemacht hat, sehr wichtige Bücher über die Familie Mohn und den Verlag Bertelsmann.<br />

Warum braucht der eigentlich noch ein Stipendium?“<br />

* Siehe den Beitrag über „Helios“ in diesem Band. * Gewinnerin eines Recherche-Stipendiums der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung 2005<br />

** Siehe den Beitrag „Schickt Briefe“ in diesem Band.<br />

76<br />

77


Schuler: „Das ist eine gute Frage. Aber ich würde sagen, es hat mir gut getan,<br />

dieses Exposé zu dem Thema Stiftung zu entwickeln. Denn ich stand auch vor<br />

dem Problem, dass ich schon ein Buch über die Mohns publiziert hatte, also im<br />

Thema drin war, auch sonst ein bisschen einen Namen habe. Aber das heißt<br />

nicht, dass man dieses Thema, diese Recherche dort anbringen kann, wo man<br />

sie wirklich haben will. Ich wollte ein Buchprojekt zum Thema Stiftungen und ich<br />

wollte einen großen Buchverlag. Das Exposé hat sich zwei-, dreimal grundlegend<br />

gewandelt, bis ich einen Verlag gefunden hatte. Jetzt bin ich mitten in der Produktion,<br />

2007 habe ich das Stipendium bekommen, eigentlich arbeite ich an<br />

dem Thema schon seit dem Abschluß meines Buches über die Familie Mohn.<br />

Weil ich damals schon das Gefühl hatte, dass ich das Thema Bertelsmannstiftung<br />

nicht wirklich zu fassen bekommen und es nicht so umgesetzt habe, wie<br />

ich es mir gewünscht hatte. Das ist jetzt mein zweiter Versuch. Jetzt bin ich gerade<br />

mitten in der Produktion, habe sogar ein schlechtes Gewissen, dass ich jetzt<br />

hier bin und nicht an meinem Schreibtisch. Aber ich bin zuversichtlich.“<br />

Leif: „Kann man sagen, dass mit diesem Stipendium ein größeres intensiveres<br />

Buchprojekt* gefördert wird – mit viel Informationen zu Bertelsmann, die bis<br />

jetzt noch nicht auf dem Markt sind.“<br />

Schuler: „Ja, das ist schon der Anspruch, wenn man sich so lange mit einem<br />

Thema beschäftigt. Wenn jetzt jemand sagt, was grundlegend Neues wirst Du<br />

wahrscheinlich auch nicht herausbringen, dann sage ich: ‘Mir reicht es ja schon,<br />

wenn ich mehr habe, als ich bislang darüber lesen konnte’.“<br />

Leif: „Geben Sie uns bitte zum Schluß noch einen Einblick in Ihre Arbeitsweise.<br />

Ihnen ist es zum Beispiel gelungen, die erste Ehefrau des verstorbenen Mohn zu<br />

‘knacken’, so nennt man es im Neudeutschen, und den Sohn der Familie Mohn.<br />

Wie schaffen Sie es – das ist ja die Hauptarbeit einer solchen Recherche –, die<br />

Akteure auf ihre Seite zu bringen, dass sie sich bei Ihnen ausheulen und Ihnen<br />

erzählen, was sonst keiner erfährt?“<br />

* Siehe den Beitrag „Soft Power“ des Autors in diesem Band.<br />

Schuler: „Quellen erschließen, das ist die eine hartnäckige Arbeit. Die Mohns,<br />

die erste Frau und andere sitzen natürlich auf einem großen Berg von Wissen<br />

und Material.<br />

Also es reicht nicht, eine Anfrage, zwei Anfragen oder drei Anfragen oder vier zu<br />

stellen, es müssen dann eben fünf oder sechs Anfragen sein und es muss mit<br />

einem Brief beginnen und es muss irgendwie dann alles ein „Gesicht“ bekommen.<br />

Derjenige oder diejenige muss das Gefühl bekommen, dass da jemand ist,<br />

der ein ehrliches Interesse daran hat. Das ist, glaube ich, das Wesentliche und<br />

dazu gehört ein Stück Unabhängigkeit und da bin ich wieder beim Stipendium.<br />

Für mich war es eigentlich ganz gut, dass ich nicht sozusagen täglich immer die<br />

aktuellen Zeitungsartikel machen musste und ich mir diese Zeit so mühsam<br />

rausschneiden musste. Denn Zeit, das haben wir vorhin auch mitbekommen, ist<br />

ja das Wesentliche an der ganzen Geschichte.“<br />

Leif: „Das heißt: Ein Hauch von Schwiegersohnmentalität kommt auch noch dazu?“<br />

Schuler: „Das glaube ich nicht. Bei Stiftungsgeschichten überwiegen schon sehr<br />

nüchterne Papiere. Da ist es eher die Frage, wieviel Energie man aufbringen<br />

kann, um immer wieder noch etwas zu lesen, was eigentlich auf den ersten hundert<br />

Seiten sturzlangweilig ist.“<br />

Leif: „Das war für Sie nur ein ganz kleiner Eindruck von drei Stipendien, mit ganz<br />

verschiedenen Methoden. Bei Frau Frenzel, die Ausdauer über ein halbes Jahr.<br />

Bei „Meister“ Bartsch die Frage, wie man auch Ehemalige knacken kann und<br />

dranbleiben muss und bei Herrn Schuler die Energie, auch langweilige Texte<br />

intensiv zu studieren.<br />

Wir glauben, die machen alle noch weiter und ich hoffe, das Publikum hat begriffen,<br />

wie wichtig die Stipendien sind.<br />

Vielen Dank!“<br />

78<br />

79


Jury-Mitglied Thomas Leif (rechts) im Gespräch mit Thomas Schuler, Günter Bartsch und<br />

Veronica Frenzel (v.l.n.r.)<br />

Festredner Tom Schimmeck und die Gewinner <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong>e <strong>2009</strong><br />

RECHERCHE-STIPENDIEN II<br />

Ergebnisse<br />

abgeschlossener<br />

Stipendien<br />

Veronica Frenzel<br />

Günter Bartsch<br />

Thomas Schuler<br />

Thomas Schnedler<br />

81


Veronica Frenzel<br />

Schattenbrüder *<br />

Illegale Einwanderer trifft die Weltwirtschaftskrise besonders hart – in Spanien<br />

zum Beispiel. Mit der Baubranche ist einer der wichtigsten Arbeitsmärkte für<br />

Einwanderer ohne Papiere weggebrochen. Auch in der Landwirtschaft finden<br />

immer weniger Osteuropäer, Chinesen, Afrikaner und Südamerikaner Jobs. Die<br />

Konkurrenz wächst, die Arbeitsbedingungen werden schlechter. Diese Reportage<br />

schildert das Schicksal von zwei Männern. Sie ist das Ergebnis eines Recherche-<br />

Stipendiums der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung, das die Autorin 2008 erhielt.<br />

Den Ort, an dem sein Leben besser werden sollte, hatte sich Moussa S. (31) aus<br />

dem Senegal anders vorgestellt. Die Straßenkreuzung in La Mojonera bei<br />

Almería ist grau und staubig, drum herum ducken sich ein paar farblose Hausklötze<br />

vor dem ständig blasenden Wind, der um sieben Uhr morgens noch kalt<br />

und feucht ist. Seit rund hundert Tagen sieht Moussa jeden Tag von hier die Sonne<br />

aufgehen. Er wartet auf einen „Chef“, der ihm ein paar Stunden Arbeit gibt.<br />

Moussas Augen sind starr geradeaus gerichtet. Nur wenn ein Lastwagen an der<br />

Kreuzung hält, schnellt sein Blick zum Mann am Steuer. Doch Moussa sieht<br />

stattdessen nur in die flehenden Augenpaare der anderen, die mit ihm an der<br />

Kreuzung auf einen Heilsbringer warten.<br />

„Die Gewächshäuser an der Küste von Almeria sind der Wartesaal Europas für<br />

illegale Einwanderer“, sagt Spitu Mendy von der Landarbeitergewerkschaft SOC.<br />

„Mit einer Arbeitsgenehmigung braucht man hier eigentlich gar nicht erst nach<br />

einem Job fragen. Die Landwirte vergeben die Arbeit fast nur ohne Vertrag.“<br />

Auf den Auberginen-, Zucchini- und Tomatenplantagen sind die Löhne so<br />

schlecht wie nirgends sonst auf dem spanischen Acker, mickrige 30 Euro für<br />

einen Acht-Stunden-Tag gelten hier als gutes Geld. Seit Beginn der Wirtschaftskrise<br />

bezahlen die Landwirte weniger. Wenn überhaupt. Seit das spanische Wirtschaftswunder<br />

vorbei ist, finden illegale Einwanderer wie Moussa keinen Job<br />

mehr. Die Spanier kehren zurück auf die Felder und konkurrieren mit den<br />

Arbeitsimmigranten. Fast 18 Prozent der Spanier haben gerade keine Arbeit,<br />

rund ein Drittel der viereinhalb Millionen in Spanien gemeldeten Einwanderer ist<br />

zur Zeit arbeitslos, Tendenz steigend. Die spanische Regierung schätzt, dass es<br />

dazu noch gut eine Million illegaler Einwanderer gibt. Der Anteil derjenigen ohne<br />

Arbeit ist bei ihnen deutlich höher. Der Konkurrenzkampf an der Kreuzung von<br />

La Mojonera wird täglich größer.<br />

„Mit dem Lohn für die Arbeiter ist es wie mit dem <strong>Preis</strong> für die Tomaten: Je mehr<br />

Angebote es gibt, desto weniger wird bezahlt.“ Manuel Sabio Perez ist Landwirt<br />

in Almería, er steht in seinem Gewächshaus, neben ihm reihen sich Zehntausende<br />

von Tomatenpflanzen aneinander.<br />

Im Januar war Moussa an einem Strand von Marokko in ein Holzboot gestiegen.<br />

Tausend Euro zahlte er den Schleppern für die Fahrt nach Marokko. Geld, das er<br />

sich von Freunden geliehen hatte. Geld, das er zurückzahlen wollte, sobald er in<br />

Europa war. 400 Euro hatte er dann noch für die Überfahrt nach Spanien, die<br />

Schlepper verlangten 500 Euro mehr, die er nicht hatte. Auch die muss er noch<br />

zurückzahlen. Die Bande weiß, wo seine Familie lebt.<br />

Die Überfahrt dauerte fast drei Tage. Eine Nacht war geplant gewesen, Nahrung<br />

und Getränke waren rationiert. Er war glücklich, als er endlich die spanische Küste<br />

sah. Doch als die Polizei das kleine Holzboot, in dem er reiste, ein paar Kilometer<br />

vor Cádiz aufgriff, dachte er, er sei gescheitert. Die Beamten brachten ihn in<br />

das Internierungslager von Algeciras, wo er Tage lang fürchtete, er müsse zurück<br />

in den Senegal. Doch dann setzten ihn die Polizisten vor die Tür und drückten<br />

ihm einen Zettel in die Hand. Dort stand, er müsse Spanien sofort verlassen und<br />

dürfe in den nächsten fünf Jahren nicht wieder einreisen. Mitarbeiter vom Roten<br />

Kreuz erklärten Moussa, dass er mit dem Abschiebebescheid kaum Chancen auf<br />

* Der dokumentierte Beitrag ist erschienen in: E+Z, 50. Jahrgang, Ausgabe 6/<strong>2009</strong>, S. 234-236<br />

82<br />

83


eine Arbeitserlaubnis hätte. Dann gaben sie ihm ein Busticket nach Almeria.<br />

Laut dem spanischen Ausländergesetz dürfen illegal eingereiste Immigranten 60<br />

Tage festgehalten werden. Wenn kein Rückführungsvertrag mit dem Herkunftsland<br />

besteht oder wenn in diesem Zeitraum nicht die Abschiebung erfolgt, müssen<br />

sie wieder freigelassen werden. Oft reicht die Zeit nicht aus, um die Rückführung<br />

zu organisieren oder um das Herkunftsland des Immigranten festzustellen – fast<br />

keiner hat einen Ausweis dabei, auch Moussa nicht.<br />

Seit drei Monaten ist er jetzt hier, seiner Familie hat er noch keinen Cent geschickt,<br />

nicht einmal anrufen kann er. Nur dann, wenn die anderen ihm etwas Geld<br />

geben. Mit zehn anderen Senegalesen wohnt er in einem heruntergekommen<br />

Haus am Ortsausgang von La Mojonera, mit Blick auf die schmutzigen Plastikplanen<br />

der Gewächhäuser. Ein zehn Quadratmeter-Zimmer teilen sie sich zu<br />

dritt. Bezahlen kann er die Matratze, auf der er die Nächte verbringt, nicht. Auch<br />

das Essen bekommt er von seinen Mitbewohnern. „Meine Frau versteht nicht,<br />

wieso ich nicht arbeite“, sagt Moussa traurig. Er vergräbt sein Gesicht in seinen<br />

Händen. Es gibt kein Zurück. Nach Hause kann er erst, wenn er Geld verdient<br />

hat. „Ich bin gekommen, um unser Leben in Afrika zu verbessern.“<br />

Zweihundert Kilometer nördlich von La Mojonera steht Mamadou D. (27) in einer<br />

Ecke des Busbahnhofs von Úbeda. Auch er ist aus dem Senegal. Auch er wartet<br />

nicht auf einen Bus, sondern auf einen Landbesitzer, der ihm in einem Olivenhain<br />

Arbeit gibt. Seit zwei Wochen steht er jeden Morgen hier, Oliven hat er bisher<br />

keine gesehen. In der Nacht schläft er auf einem Bürgersteig, gleich in der<br />

Nähe. Er schläft nicht viel, es ist zu kalt.<br />

Mamadou ist nicht allein, mit ihm suchen rund 5000 Immigranten in der Provinz<br />

Jaen Arbeit in der Olivenernte. Nur wenige von ihnen finden Platz in den Obdachlosenherbergen,<br />

noch weniger Arbeit.<br />

Vor zweieinhalb Jahren setzte Mamadou vom Senegal auf die Kanarischen Inseln<br />

über. Die Küstenwache griff ihn auf und brachte ihn in ein Internierungszentrum.<br />

Nach ein paar Wochen fuhren ihn Polizisten zum Flughafen. Während des Flugs<br />

dachte er, sie würden ihn zurück in den Senegal bringen. Doch als das Flugzeug<br />

landete, war er in Barcelona und ein Sozialarbeiter des Roten Kreuz wartete auf<br />

ihn. Er gab ihm zwei Wochen lang ein Zimmer, dann musste er raus, die nächsten<br />

Neuankömmlinge von den Kanaren kamen. Er fand ein Bett in einem Zimmer mit<br />

zwei anderen Senegalesen und Arbeit auf dem Bau. „Ich verdiente gut“, sagt er,<br />

etwas mehr als tausend Euro für acht Stunden an sechs Tagen in der Woche.<br />

Jeden Monat konnte er mindestens 200 Euro nach Hause zu seinen Eltern und<br />

Geschwistern schicken. Doch Anfang des vergangenen Jahres war es vorbei.<br />

Seitdem ist Mamadou ein Nomade, zieht von Ernte zu Ernte.<br />

In einer Bar, gleich gegenüber von der Bushaltestelle in Úbeda, klebt auf einem<br />

Schwarzen Brett ein handgeschriebener Zettel: „Spanier, erfahren, zuverlässig,<br />

bietet sich für die Olivenernte an, José“. Darunter eine Telefonnummer. José ist<br />

ein großer, breiter Mann, ein Familienvater, Mitte 40 mit viel Erfahrung bei der<br />

Olivenernte. Er hat vor kurzem seine Arbeit auf dem Bau verloren, deshalb sucht<br />

er jetzt wieder auf dem Feld. „Die Immigranten nehmen uns die Arbeit weg“,<br />

sagt er. „Sie arbeiten mehr Stunden für weniger Geld und die Bauern nehmen<br />

sie lieber.“ Zwischen 30 und 40 Euro bekommen die Afrikaner für einen Arbeitstag,<br />

schwarz, ohne Zusatzkosten. Bis die Sonne untergeht, ernten sie Oliven. In<br />

Úbeda wartet nur der Bordstein auf sie, zuhause, in ihrem echten Leben, die<br />

Familie auf eine bessere Zukunft. Der Agrartarifvertrag in Jaen sieht 50 Euro für<br />

sechseinhalb Stunden vor. „Bisher hat mich noch kein Bauer angerufen, dabei<br />

hängt das Schild schon seit Tagen dort“, sagt José. „Doch ich brauche dringend<br />

Arbeit. Wir wissen nicht, wie wir unsere Rechnungen bezahlen sollen.“<br />

„Jeden Tag fragen mich Leute nach Arbeit, ich schreibe ihren Namen und ihre<br />

Nummer auf, aber Jobs habe ich keine.“ Die Liste von Bauer Manuel Sabio aus<br />

Almería ist lang, mehr als hundert Namen stehen dort. Jeden Tag werden es mehr.<br />

Als Moussa um acht Uhr morgens zurück in das Haus in La Mojonera kommt,<br />

setzt er sich in eine Ecke des abgesessenen Sofas und starrt auf den Bildschirm<br />

des Fernsehers. Es läuft ein Musikvideo aus dem Senegal, „Le chemin de l’espoir“<br />

heißt das Lied, Weg der Hoffnung. Es geht um einen jungen Mann, der nach Europa<br />

aufbricht, um dort sein Glück zu suchen. Im Senegal hätte er jetzt dazu getanzt.<br />

2008 erhielt Veronica Frenzel ein Stipendium der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung. Der hier dokumentierte<br />

Beitrag ist ein Ergebnis ihrer Recherchen. Ergebnisse des Stipendiums wurden u.a. veröffentlicht<br />

in E+Z, 50. Jahrgang, 6/<strong>2009</strong>, S. 234-236; Die Furche, 41/<strong>2009</strong>, S. 22-23, die tageszeitung,<br />

4. Januar 2010, S. 4<br />

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Günter Bartsch<br />

Schickt Briefe! *<br />

und den Niederlanden“ ergeben, dass „interaktive Medien wie Blogs, Foren,<br />

Pod- und Vodcasts“ die „klassischen Medien“ wie den Brief nicht verdrängten,<br />

sondern ergänzten“.<br />

Zwei Prozent – diese Zahl bereitet der Deutschen Post Kummer: Jedes Jahr werden<br />

zwei Prozent weniger Briefe verschickt. 1 Jahr für Jahr. Der Brief wird verdrängt,<br />

durch E-Mails und andere elektronische Kommunikationsformen. Konjunktur<br />

hatte das Briefeschreiben jüngst im Wahlkampf: Regierende, Oppositionelle,<br />

Kandidaten schickten da Post an den lieben Wähler. „Dialogmarketing“<br />

heißt das auf neudeutsch. Damit die Kasse klingelt, wird das Geschäft stark<br />

beworben – unter anderem von der „Initiative ProDialog“. Diese arbeitet auch<br />

mit Berlinpolis zusammen, jenem „Thinktank“, der wegen verdeckter PR für die<br />

Deutsche Bahn und die Biosprit-Industrie in die Schlagzeilen geriet. Auch zum<br />

Thema Dialogmarketing gab es bis vor Kurzem eine Berlinpolis-Webseite.<br />

Danach gefragt, ließ der Chef des „Thinktanks“, Daniel Dettling, die Seite löschen.<br />

„Brief wird nicht verdrängt“<br />

Gefällige Studien zählen zum beliebten Mittel der „Denkfabrik“ Berlinpolis, um<br />

Interessen ihrer Auftraggeber in die Öffentlichkeit zu tragen. Auch ProDialog<br />

kann sich auf wertvollste Expertisen berufen: Vor zwei Jahren erschien eine von<br />

ProDialog und Berlinpolis gefertigte Studie mit dem Titel „Regierungskommunikation<br />

2.0“. 2 Danach hatte eine „Trendumfrage“ unter „je fünfzig Experten aus<br />

den Regierungszentralen und Ministerien der Länder Frankreich, Deutschland<br />

1 Vgl. Deutsche Post AG: Marktanteile. Bonn <strong>2009</strong>. URL: http://investors.dpdhl.de/de/investoren/segmente/brief/marktanteile/index.html<br />

2 Vgl. Berlinpolis: „Regierungskommunikation 2.0“ - Studie und Trendumfrage zur Zukunft der Regierungskommunikation<br />

Deutschland im Vergleich mit Frankreich und den Niederlanden. Berlin 2007. URL:<br />

http://www.berlinpolis.de/fileadmin/Downloads/Einzelpublikationen/Studie_Regierungskommunikation_2.0.pdf<br />

Das freut die Post und die lässt sich nicht lumpen. Bei einer Million Euro soll<br />

anfangs das jährliche Budget der Deutschen Post für ProDialog gelegen haben.<br />

Inzwischen soll es etwas weniger sein; Zahler und Empfänger wollen sich zur<br />

tatsächlichen Höhe der Zuwendungen allerdings nicht äußern.<br />

Warum die Geheimnistuerei? Dass verdeckte PR ihren <strong>Preis</strong> hat, zeigte die Berlinpolis-Arbeit<br />

für die Deutsche Bahn 3 und den Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie<br />

4 (enthüllt von LobbyControl). Auch Kerstin Plehwe, die Chefin der<br />

Initiative ProDialog, taucht immer wieder als Gastautorin auf. Sie schrieb auf<br />

Handelsblatt.com 5 über die von ProDialog pünktlich zum Bundestagswahlkampf<br />

veröffentlichte Studie „Wege zum Wähler“ – und gab dazu auch stern.de ein<br />

Interview. 6 Und da sieht die traurige Brief-Welt plötzlich ganz fröhlich aus: „Die<br />

Ansprache über den guten alten Brief finden immer noch mehr Menschen attraktiv<br />

als die Wahlkampfkommunikation per E-Mail“, erklärt Plehwe. Dass ihre Initiative<br />

von der Post finanziert wird, bleibt unerwähnt.<br />

Die „Vorsitzende“ kommt vom Direktmarketing-Verband<br />

Die 2005 gegründete Initiative betreibt die „Dialog-Lounge“ in der Friedrichstraße<br />

– noble Büro- und Veranstaltungsräume in bester Lage, nur ein paar Schritte<br />

vom Reichstag entfernt. Laut eigener Webseite hat sich ProDialog zum Ziel<br />

gesetzt, „die Kommunikation zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft<br />

3 Vgl. LobbyControl: LobbyControl enthüllt verdeckte PR-Aktivitäten der Deutschen Bahn. Köln <strong>2009</strong>. URL:<br />

http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/<strong>2009</strong>/05/lobbycontrol-enthullt-verdeckte-pr-aktivitaten-derdeutschen-bahn/<br />

4 Vgl. LobbyControl: Erneut verdeckte Meinungsmache - heute: Biosprit. Köln <strong>2009</strong>.<br />

http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/<strong>2009</strong>/07/erneut-verdeckte-meinungsmache-heute-biosprit/<br />

5 Vgl. Kerstin Plehwe: Warum die Politik am Wähler vorbeiballert. In: Handelsblatt.com, 10.6.<strong>2009</strong>. URL:<br />

http://www.handelsblatt.com/politik/gastbeitraege/warum-die-politik-am-waehler-vorbeiballert;2345218<br />

6 Vgl. Dorit Kowitz: Das letzte Mittel der Enttäuschten. In: stern.de, 9.6.<strong>2009</strong>. URL: http://www.stern.de/wahl-<br />

<strong>2009</strong>/aktuell/phaenomen-nichtwaehler-das-letzte-mittel-der-enttaeuschten-701767.html<br />

*(Bei diesem Text handelt es sich um eine leicht gekürzte Version des unter http://guenterbartsch.de/index.php?id=19<br />

veröffentlichten Blog-Beitrags. Die durch das Stipendium der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung ermöglichten Recherchen<br />

bilden den Grundstein für das von mir geführte Blog mit den Schwerpunktthemen Lobbyismus und PR.)<br />

86<br />

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zu fördern und Wissen im Bereich Dialogkommunikation zu vermitteln“. 7 Kerstin<br />

Plehwe, ehemals Präsidentin des Deutschen Direktmarketingverbandes (DDV),<br />

der sich heute Dialogmarketingverband nennt, wird als „Vorsitzende“ aufgeführt.<br />

Eine gewählte Vorsitzende ist sie allerdings nicht. Hinter ProDialog steckt organisatorisch<br />

eine Firma namens IIPG Internationales Institut für Politik & Gesellschaft<br />

GmbH. Geschäftsführende Gesellschafterin: Kerstin Plehwe.<br />

Dass es der Deutschen Post darum geht, der Politik das Dialogmarketing näher<br />

zu bringen, ist kein Geheimnis: Dazu bekannte sie sich schon bei der Gründung<br />

von ProDialog. 8 Von einem Lobbyorgan will man indes nicht sprechen, vielmehr<br />

von einer „Plattform“, auf der verschiedene Dialoginstrumente den Interessierten<br />

im politischen Raum vorgestellt würden, so ein Sprecher.<br />

Und so wirbt Plehwe in ihren Newslettern 9 regelmäßig für Veranstaltungen des<br />

„Siegfried Vögele Instituts – Internationale Gesellschaft für Dialogmarketing“.<br />

Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus: Eine Tochterfirma der Deutschen Post.<br />

Im Dezember 2008 und im März <strong>2009</strong> veranstaltete ProDialog eine Veranstaltung<br />

namens „Herzlich, Ihr MdB – Politikerpost, die ankommt“.<br />

PR-Frau mit eigener TV-Sendung<br />

Bei ProDialog gebe es keine einseitige Bevorzugung eines Mediums, sagt Plehwe.<br />

Insofern ist es offenbar auch kein Problem, dass sie eine eigene Fernsehsendung<br />

moderiert: „Politik Konkret“ auf TV Berlin „Sie kauft sich ein“, meint ein<br />

Berliner Agenturinhaber – und tatsächlich wird die Initiative sogar im Abspann<br />

als Unterstützerin aufgeführt. Um aber zu erfahren, dass die Moderatorin der<br />

Sendung ProDialog-Chefin und ehemalige DDV-Präsidentin ist, muss der Zuschauer<br />

schon die Webseite ansteuern. Und auch dort erfährt er nicht, dass ProDialog<br />

von der Post finanziert wird. Plehwe und TV Berlin ist das transparent genug.<br />

ProDialog fördere den politischen Diskurs in der Gesellschaft und sei parteipoli-<br />

7 ProDialog: Unsere Zielsetzung: Dialog fördern. Berlin. URL: http://prodialog.org/content/ueberuns/ziele<br />

8 Deutsche Post AG: Mehr Dialog in Politik und Staat. Deutsche Post gründet Initiative ProDialog in Berlin. Bonn 2005.<br />

URL: https://www.dp-dhl.de/de/presse/pressemitteilungen/2005/dialog_in_politik_und_staat.html<br />

9 Vgl. ProDialog: Dialog News. Berlin. URL: http://prodialog.org/content/details/newsletter/<br />

tisch unabhängig, sagt TV-Berlin-Geschäftsführer Mathias Adler. Daher sehe er<br />

hier kein Problem – „zumal die redaktionelle Hoheit natürlich beim Sender liegt“.<br />

Wie das in der Praxis aussieht, kann man zum Beispiel in der Sendung vom April<br />

2008 sehen, als Plehwe mit Patrick Tapp sprach, dem damaligen DDV-Vizepräsidenten.<br />

10 Mit kritischen Fragen von Ex-Verbandspräsidentin Plehwe musste er<br />

nicht rechnen: Seelenruhig konnte Tapp erklären, dass sein Verband nicht nur<br />

die Unternehmen seiner Branche, sondern auch die Verbraucher vertrete. Ohnehin<br />

seien die Lobbyisten gar nicht so mächtig, wie man es ihnen oft unterstelle:<br />

„Weil das würde ja auch bedeuten, dass Politik sich an der Stelle beeinflussen<br />

lassen würde von Interessenvertretern. Das stellen wir nicht fest.“ Datenschützer<br />

sehen das anders: Sie machen die intensive Lobbyarbeit für die Aufweichung<br />

der Datenschutznovelle zu Ungunsten der Verbraucher verantwortlich. Im April<br />

<strong>2009</strong> schrieb der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, dass sich „Lobbyisten<br />

der Werbewirtschaft, des Adresshandels, aber auch die Profiteure des<br />

illegalen Datenhandels massiv eingeschaltet“ hätten. 11<br />

Auch Berlinpolis warb für den Brief<br />

Berlinpolis hat sich mit „Dialogmarketing“ auf einer eigenen Webseite beschäftigt.<br />

Auf der Internet-Seite dialogmarketing.wordpress.com behandelte sie das<br />

Thema „Integriertes Dialogmarketing“. E-Mail-Marketing und Google-Werbung<br />

würden „immer ineffizienter“, heißt es da, schuld sei etwa die „Spamflut“. Hingegen<br />

sei der Aufbau einer Online-Community „schneller und günstiger“ über<br />

eine „intelligente und Web 2.0 gerechte Direkt Marketing Aktion per Post mit<br />

direkter Verbindung zur Online-Welt“ möglich.<br />

Auch dies eine Zusammenarbeit zwischen Berlinpolis und ProDialog? Kerstin<br />

Plehwe erklärt, die Webseite nicht zu kennen. Auch sonst habe es „keine Zuar-<br />

10 Vgl. Politik Konkret - Das Politik Magazin, April 2008. URL:<br />

http://prodialog.org/content/prodialog_tv/politik_konkret/2008-04-15<br />

11 Vgl. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit: 22. Tätigkeitsbericht 2007-<br />

2008. Datenschutz: Jetzt entschieden handeln! Berlin <strong>2009</strong>. URL: http://www.bfdi.bund.de/cln_118/DE/<br />

Oeffentlichkeitsarbeit/Pressemitteilungen/<strong>2009</strong>/PM_12_22TB.html<br />

88<br />

89


Günter Bartsch<br />

Helios Media: Das Geschäft mit der Eitelkeit *<br />

beiten“ von Berlinpolis gegeben, sondern lediglich „vereinzelte, klar umrissene<br />

Projekte“ wie das Co-Sponsoring des Berlinpolis-Redner- und Dialogpreises. 12<br />

Ganz so „vereinzelt“ ist die Zusammenarbeit allerdings nicht – die Auflistung<br />

lässt sich mühelos erweitern: Ebenfalls 2007 gab es die oben erwähnte gemeinsame<br />

Studie zur Regierungskommunikation. Berlinpolis betreibt auch die Redaktion<br />

des ProDialog-Magazins „Sinnmacher“. Im Juni 2008 sprach Plehwe bei<br />

einer von Berlinpolis organisierten Podiumsdiskussion. Und im Herbst 2008<br />

schrieb sie für das Berlinpolis-Magazin „thinktank“ über den US-Wahlkampf.<br />

Auf Anfrage ließ Berlinpolis-Chef Dettling die Webseite löschen. Sie sei für die<br />

Denkfabrik „heute nicht mehr brauchbar“.<br />

Hajo Schumacher will sie verlassen, die „alten Schützengräben des Helmut-<br />

Kohl-Deutschlands“. Diese Themen, bei denen man nur dafür oder dagegen sein<br />

kann, über die man gar nicht mehr sachlich sprechen könne – eben Dinge wie:<br />

Atomkraft. Schumacher, von Beruf Journalist, sitzt auf einem Barhocker im<br />

Atrium eines Bürohauses in der Berliner Georgenstraße und schwärmt von einer<br />

neuen Diskussionskultur à la Obama und von der „Transparenzmaschine“ Internet.<br />

Und solche Chancen, meint Schumacher, biete auch die neue Quadriga-<br />

Hochschule, die hier ein Studienzentrum betreibt und an diesem Abend mit<br />

einer Podiumsdiskussion auf sich aufmerksam macht. Die Privathochschule will<br />

„moderne Kommunikationsmanager in Wirtschaft und Politik“ ausbilden. An der<br />

Spitze als Präsident der PR-Hochschule: Ein Journalist – der ehemalige SWR-<br />

Intendant und ARD-Vorsitzende Peter Voß.<br />

Hajo Schumacher wünscht sich, dass die Absolventen „ehrliche, selbstbewusste<br />

Kommunikatoren“ werden. Deshalb sitze er im Quadriga-Kuratorium – wofür er<br />

in den vergangenen Wochen häufig angefeindet worden sei.<br />

12 Inzwischen hat Berlinpolis-Chef Dettling erklärt, dass die Webseite durchaus im Zusammenhang mit einem<br />

ProDialog-Auftrag entstanden ist. Vgl. LobbyControl: Wie die Deutsche Post mit ProDialog trickst. Köln <strong>2009</strong>.<br />

URL: http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/<strong>2009</strong>/12/wie-die-deutsche-post-mit-prodialog-trickst/<br />

Dabei ist es eigentlich nicht überraschend, dass Schumacher im Kuratorium sitzt.<br />

Denn die Quadriga-Hochschule wurde von Rudolf Hetzel, dem Chef des Verlags<br />

Helios Media, initiiert. Und bei Helios gibt es kaum eine Veranstaltung, auf der<br />

sich Schumacher nicht blicken lässt: Er moderiert Diskussionen beim Kommunikationskongress,<br />

den Helios für den Bundesverband der Pressesprecher organisiert<br />

– und auch beim jährlichen „Politikkongress“ des Verlags lauschen die Pressesprecher,<br />

PR-Leute und Lobbyisten immer wieder den Fragen Schumachers. Mit<br />

manch launiger Frechheit unterhält er sein Publikum. Bei der Deutschen Presseakademie<br />

(depak), der zu Hetzels Konglomerat gehörenden PR-Schule, gibt Schumacher<br />

Seminare zum „effizienten Kommunizieren“ – und erklärt dort PR-Leuten<br />

in rund neun Stunden, „wie Journalisten funktionieren“. 990 Euro plus Mehrwertsteuer<br />

kostet die Weiterbildung. Auch die Quadriga langt ordentlich zu: Zwischen<br />

19.000 und 26.000 Euro legt man für die 18-monatigen Studiengängen hin.<br />

* Bei Redaktionsschluß des „Best of“ noch unveröffentlicher Beitrag des Autors, der im Rahmen des<br />

OBS-Stipendiums entstanden ist.<br />

90<br />

91


In den Bundestag schafft es jeden Monat das Helios-Magazin „Politik & Kommunikation“<br />

(P&K) – Abgeordnetenbüros kriegen Gratis-Exemplare. „Wenn etwas<br />

nach einem Jahr nicht funktioniert, macht Hetzel das wieder dicht“, teilte Hajo<br />

Schumacher einmal dem Handelsblatt mit. Kürzlich hat es ihn selbst erwischt:<br />

Das an Journalisten gerichtete Online-Magazin „V.i.S.d.P.“ und der zugehörige<br />

<strong>Preis</strong> „Goldener Prometheus“ sind dem Rotstift zum Opfer gefallen. Mit<br />

„V.i.S.d.P.“ macht Schumacher jetzt auf eigene Faust weiter.<br />

Doch ansonsten bleiben sich Helios und Schumacher offenbar treu – schließlich<br />

passen sie ja gut zusammen: Auch Helios gibt sich alle Mühe, die „alten Gräben“<br />

zuzuschütten. Das bringt dem Verlag regelmäßig die Kritik ein, den Berliner<br />

Klüngel zwischen Politik, Medien und Lobbyisten zu bestärken. Zudem wird die<br />

Firma von vielen in der Beraterzunft belächelt: „Ich sehe keine Inhalte, die<br />

dahinter stehen“, sagt eine Beraterin – „der Laden ist als Praktikantenschleuder<br />

verschrien“. Trotz Helios’ angeblicher Bedeutungslosigkeit will sie aber lieber<br />

anonym bleiben.<br />

Auch andere kritisieren das oft seichte Niveau der Vorträge und Diskussionen –<br />

die hier freilich „Keynote“, „Best Case“ oder „Panel“ genannt werden. Selbst ein<br />

Agentur-Chef, der Helios gewogen ist, meint zum inhaltlichen Nutzen der Veranstaltungen:<br />

„Da ist Herr Hetzel mit Sicherheit der Letzte, der dort auf völlig gesichertem<br />

Boden steht.“<br />

Für Lobbyisten gebe es bessere Gelegenheiten, ihrem Geschäft nachzugehen,<br />

meint die erwähnte Beraterin: Parlamentarische Abende, die Feste der Landesvertretungen,<br />

exklusive Clubs oder Einladungen zu Abendessen in intimer Runde.<br />

Bei Helios bleiben die PR-Leute hingegen oft unter sich – abgesehen von einigen<br />

Politikern und Journalisten auf den Podien.<br />

Doch trotzdem gehen alle hin, auch bekannte Gesichter der Branche lassen sich<br />

die Kongresse nicht entgehen. „Weil alle anderen ja auch da sind“ – so hat sich<br />

der Journalist Tom Schimmeck das erklärt.* Ein ehemaliger Helios-Mitarbeiter<br />

spricht vom „Body-Geschäft“: Anwesenheit für ein bisschen mehr Bekanntheit –<br />

oder als unausgesprochene Gegenleistung für den Erhalt eines <strong>Preis</strong>es, wie den<br />

jetzt gestoppten „Prometheus“. Seit „Bild“-Wirtschaftschef Oliver Santen ausgezeichnet<br />

wurde, ist er Stammgast bei Helios-Veranstaltungen – etwa beim Politikkongress.<br />

Erstaunlich übrigens, wofür „Bild“ den <strong>Preis</strong> erhielt: „Anstatt die Bürger<br />

mit panischen Schlagzeilen zu verunsichern, hat die Politik- und Wirtschaftsredaktion<br />

der Bild wohltuend sachlich und ruhig berichtet“, so die Begründung.<br />

Doch viele bewundern Hetzels Cleverness – mit seinen Datendiensten beliefert<br />

er die Branche mit Terminen und Kontaktdaten. Als Coup betrachtet mancher,<br />

dass er vom Pressesprecher-Verband beauftragt wurde, dessen Geschäftsstelle<br />

zu betreiben. Aber vor allem fürs Selbstverständnis der PR-Branche scheint<br />

Helios inzwischen eine gewichtige Rolle zu spielen: Wissenschaftler wie der<br />

Leipziger PR-Professor Günter Bentele stellen hier ihre Studien vor – Bentele ist<br />

jetzt auch Dozent der Quadriga-Hochschule, die sein Mitarbeiter René Seidenglanz<br />

als Vizepräsident leitet. Quadriga-Präsident und Ex-SWR-Intendant Peter<br />

Voß begründet sein Engagement damit, dass Journalisten und die Gesellschaft<br />

von gut ausgebildeten Kommunikatoren profitierten: „Da man die PR-Branche ja<br />

nicht abschaffen kann, muss man doch an Qualität interessiert sein – nicht nur<br />

im Sinne von: Wie instrumentalisiere ich die Öffentlichkeit? – sondern auch hinsichtlich<br />

ethischer Standards“, so Voß.<br />

Die Hochschule bewegt sich da allerdings in einem riskanten Umfeld: Denn in<br />

den Publikationen von Helios Media nimmt man es mit der Trennung von PR-Beiträgen<br />

und Journalismus nicht so genau, wie ein Artikel in der Februar-Ausgabe<br />

<strong>2009</strong> von „Politik & Kommunikation“ zeigt: Wie immer stellt die Wirtschaftskanzlei<br />

Freshfields Bruckhaus Deringer darin das „Gesetz des Monats“ vor.<br />

Diesmal: Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Der Autor, ein Freshfields-Jurist,<br />

zieht ein positives Fazit: „Mit dem FMStG hat die Bundesregierung einen wichtigen<br />

Schritt zur Bewältigung der Finanzkrise gemacht. Mag es auch Kritik an einzelnen<br />

Punkten des Gesetzes geben: Die Krise hat der Regierung – wie auch den<br />

Parlamentariern – schnelles und entschlossenes Handeln abverlangt.“ Ein super<br />

* Siehe auch die Festrede von Tom Schimmeck zur „<strong>Brenner</strong>-<strong>Preis</strong>verleihung <strong>2009</strong>“; Seite 14 ff<br />

92<br />

93


Gesetz also. Was der Anwalt nicht erwähnt: Freshfields selbst hat den Gesetzentwurf<br />

im Auftrag der Bundesregierung formuliert. Auch im März <strong>2009</strong> durfte<br />

Freshfields das eigene Werk bejubeln. Chefredakteur Sebastian Lange betont,<br />

dass der Auftrag versehentlich nicht erwähnt wurde – und verspricht für die<br />

Zukunft, verstärkt auf Transparenz zu achten.<br />

Die Wege von Helios zum Berater-Geschäft sind kurz – drei P&K-Chefredakteure<br />

wechselten bereits in die PR-Branche: Mirjam Stegherr ging zur Agentur Fischer-<br />

Appelt, Tobias Kahler managt die deutsche Filiale der Armuts-Lobby-Organisation<br />

„One“ und Manuel Lianos ist heute bei der auf Regierungsbeziehungen spezialisierten<br />

Lobby-Firma LNE Group.<br />

Zu den Autoren von „P&K“, das sich laut Chefredaktion als „offenes Forum“<br />

betrachtet, zählten immer wieder auch die Geschäftsführer der Initiative Neue<br />

Soziale Marktwirtschaft (INSM), einem vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall<br />

finanzierten Lobby-Organ, das durch verdecktes Themenplacement in der ARD-<br />

Vorabendserie „Marienhof“ in die Schlagzeilen geraten war. Über mehrere Ausgaben<br />

von P&K nahmen sich INSM-Chefs „Worthülsen“ wie Gesundheitssoli,<br />

Reichensteuer und Gleichstellungsgesetz vor. Letzteres zum Beispiel nennt der<br />

langjährige INSM-Chef Dieter Rath einen „Sieg der Gleichmacherei über die Freiheit“.<br />

Lobbys aus Kirchen, Behinderten- und Seniorenverbänden hätten sich<br />

gegen Kanzlerin Merkel durchgesetzt und erhielten jetzt ein Klagerecht, wenn<br />

eines ihrer Mitglieder diskriminiert werde – sie könnten jetzt „satte Entschädigungen<br />

rausholen“. Die INSM zählt gleichzeitig zu treusten Anzeigenkunden von P&K.<br />

Nicht immer werden dabei Ross und Reiter benannt: Im Juli 2007 findet sich in<br />

der Zeitschrift ein Inserat für die INSM-Webseite „Unicheck.de“, wo es um den<br />

Einsatz von Studiengebühren geht. Einen Hinweis auf die INSM sucht man in der<br />

Annonce allerdings vergeblich. Trotz solcher Versuche der Irreführung trat INSM-<br />

Geschäftsführer Max Höfer bei beinahe jedem Helios-Kongress als Referent auf.<br />

In der „P&K“-Redaktion hat man die Problematik erkannt. Chefredakteur Lange<br />

verweist darauf, dass die INSM-Kolumne bereits im Mai 2007 abgeschafft wurde.<br />

Auch gäbe es keine Kopplungsgeschäfte im Heft, also Einflüsse von Anzeigen-<br />

kunden auf redaktionelle Inhalte. Dass das Magazin diesbezüglich sauber bleibt,<br />

erachte er als wesentlich für dessen Glaubwürdigkeit als unabhängiges Fachmedium.<br />

Doch bei Helio-Tagungen wie dem Kommunikationskongress wird nach wie vor<br />

der Bock zum Gärtner gemacht: Vor Schumachers Abschlusspanel zum „Superwahljahr<br />

<strong>2009</strong>“ hielt Kerstin Plehwe einen Impulsvortrag. Plehwe wird auf der<br />

Kongress-Webseite als „Vorsitzende der überparteilichen Initiative ProDialog“<br />

vorgestellt, deren Ziel es sei, „den Dialog zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft<br />

zu stärken sowie Demokratie und Engagement zu fördern“. Dass die<br />

in noblen Geschäftsräumen im Berliner Regierungsviertel untergebrachte Initiative<br />

von der Deutschen Post finanziert wird, die damit das Direktmarketing-<br />

Geschäft beflügeln will, bleibt unerwähnt.<br />

Bei der Quadriga-Diskussion in der Georgenstaße kam als erster Thorsten Hofmann<br />

zu Wort, der in der Hochschule den Fachbereich „Politics & Public Affairs“<br />

leitet. Hofmann ist Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung<br />

PRGS. Kürzlich wurde ein Papier namens „Kommunikationskonzept Kernenergie“<br />

bekannt, in dem PRGS dem Energieunternehmen EON Kernkraft Tipps<br />

für den Wahlkampf gibt. Darin wurden Journalisten namentlich entsprechend<br />

ihrer Gesinnung einsortiert. Beispielsweise heißt es darin, dass lediglich die<br />

Welt „mit Daniel Wetzel als schwarz-grünem Redakteur“ eine „vermittelnde<br />

Position zwischen den Lagern“ wahrnehme. Und offenbar ist es für PRGS<br />

„selbstverständlich“, ohne Nennung des Auftraggebers aufzutreten: „Selbstverständlich<br />

wurden diese Gespräche ohne Nennung E.ONs oder des Auftrags<br />

geführt.“ E.ON behauptete anschließend, es habe gar keinen Auftrag gegeben,<br />

das Papier – 109 Seiten ausgefeilter Wahlkampfplanung – sei „eine Art Bewerbungspapier“<br />

gewesen. Später ruderte E.ON Kernkraft zurück: „Es gab lediglich<br />

einen Auftrag, neue Botschaften und Argumente zu entwickeln“, zitierte das<br />

Fachblatt „Werben & Verkaufen“ die Sprecherin der E.ON Kernkraft, Petra Uhlmann.<br />

PRGS sei mit dem gelieferten Konzept „weit darüber hinausgegangen“.<br />

Es gab also doch einen Auftrag.<br />

94<br />

95


Thomas Schuler<br />

Soft Power<br />

Ein Händchen haben die Helios-Leute für Prominente. Zum Abschied vom „Promtheus“-<strong>Preis</strong><br />

wurden in der damaligen Ausgabe von V.i.S.d.P. noch mal alle <strong>Preis</strong>träger<br />

aufgeführt: Illner, Will, Plasberg und viele andere kamen, um sich ihre<br />

Trophäen abzuholen. Unschwer zu erkennen, dass sich hier vor allem Helios mit<br />

den bekannten <strong>Preis</strong>trägern schmückt. Finanziert wurde die Show von Sponsoren,<br />

die dann mit den prämierten Journalisten an einem Tisch speisen durften. Ähnlich<br />

geschickt gelingt es Helios, Redaktionsbeiräte aus renommierten Vertretern<br />

von Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu formen. Nach dem Vorbild<br />

der Beiräte wurde nun auch die Quadriga besetzt: Dem Kuratorium gehören etwa<br />

FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast<br />

an – und eine ganze Reihe von Chefredakteuren wie Wilm Herlyn (dpa), Wolfgang<br />

Kenntemich (MDR), Steffen Klusmann (Financial Times Deutschland), Thomas<br />

Schmid (Welt), Wolfram Weimer (Cicero, zukünftig Focus) und Peter Limbourg<br />

(N24/Sat1). Und Hajo Schumacher, der nicht nur Helios-Veranstaltungen moderiert:<br />

Beim TV-Sender N24 hat er zusammen mit Hans-Hermann Tiedje eine eigene<br />

Sendung namens „Links-Rechts“. Ex-„Bild“-Chef Tiedje ist nicht nur Moderator,<br />

sondern auch Vorstandsvorsitzender von WMP Eurocom, jener Lobby-Agentur, die<br />

sich als Türöffner für Unternehmen, die das Gespräch mit Politikern suchen, einen<br />

Namen gemacht hat. Tiedjes Lobby-Arbeit macht laut Schumacher immer wieder<br />

Probleme – allerdings ganz andere, als man erwarten möchte: Leute, mit denen<br />

Tiedje anderweitig zu tun habe, kämen als Talkgäste nicht infrage – da fielen einige<br />

interessante Leute raus, erklärt Schumacher, der selbst oft für die Wirtschaft<br />

arbeitet: Unter anderem moderiert und referiert er für den „Informationskreis<br />

Kernenergie“ (März <strong>2009</strong>), den Bundesverband Medizintechnologie (Juli 2007)<br />

und den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (Juni <strong>2009</strong>). Das sei<br />

kein Problem, weil er als Journalist antrete und sich weder Fragen noch Antworten<br />

diktieren lasse. Allerdings: Für die Auswahl der Gäste ist bei solchen Diskussion<br />

gewöhnlich der Veranstalter zuständig. Im Vorwort einer Helios-Veranstaltung zu<br />

„Corporate Media“ im November 2008 schreibt Schumacher: „Unternehmens-<br />

Medien informieren, klären auf.“ Das könnte einiges erklären.<br />

Günter Bartsch, geb. 1979, Journalist, Diplom-Politologe; Schwerpunkte: Lobbyismus und PR,<br />

Medienkritik; seit August <strong>2009</strong>: Geschäftsführer netzwerk recherche e.V.<br />

Die Bertelsmann-Stiftung ist einzigartig: Sie umarmt Politiker, verschafft der<br />

Familie ihres Stifters Ansehen und gesellschaftlichen Einfluss – und sie zahlt<br />

keine Steuern. Was legitimiert sie dazu? Und nutzt sie wirklich der Allgemeinheit<br />

mehr als sich selbst? Ansatz und Protokoll einer Recherche für das Buch<br />

„Bertelsmann Republik Deutschland“*<br />

Am 1. Juli 2010 feiert Bertelsmann den 175. Geburtstag. Es soll dann am Unternehmens-<br />

und Stiftungssitz in Gütersloh eine große Feier geben. Im September<br />

wird Bertelsmann auch in Berlin mit Politikern, Künstlern und Prominenten feiern.<br />

Ein Jahr nach dem Tod von Nachkriegs-Unternehmensgründer und Stifter Reinhard<br />

Mohn (er starb am 3. Oktober <strong>2009</strong>) wird man dann sein Lebenswerk rühmen. In<br />

seinen Augen und Worten war das die Stiftung. Mit ihr wollte er den Erfolg seines<br />

Unternehmens, den er vor allem mit seiner Führungsarbeit begründete, auf Staat<br />

und Gesellschaft übertragen. Alles sollte messbar sein, damit Wettbewerb entsteht.<br />

Was Bertelsmann groß machte, das sollte das ganze Land voranbringen.<br />

Er sprach es nie aus, aber sein Ziel war eine Bertelsmann Republik Deutschland.<br />

Mohns erster Gedanke bei der Gründung galt allerdings nicht der Gesellschaft,<br />

sondern seinem Unternehmen. Er wollte es über seinen Tod hinaus erhalten,<br />

ohne dass die Erben einen Teil verkaufen müssen, um Erbschaftssteuer zu<br />

bezahlen. Gegründet hat er die Stiftung 1977. Im Laufe der Jahre wuchs sie zu<br />

einem Institut mit 300 Mitarbeitern und 70 Millionen Euro Jahresbudget. Man<br />

* Die Recherchen zu dem Buch wurden u.a. ermöglicht durch das Stipendium, das der Autor 2007<br />

von der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung erhielt.<br />

96<br />

97


könnte sie als private Forschungsuniversität mit exklusivem Zugang zur politischen<br />

und gesellschaftlichen Elite bezeichnen. Teilweise operiert sie als Think<br />

Tank, der Diskussionen und Entwicklungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen<br />

lenkt und beeinflusst – von der Europa-, Bildungs- zur Gesundheits-, Kommunal-,<br />

Verwaltungs- und Arbeitsmarktpolitik. Die Grundlagen für Hartz IV wurden von<br />

der Stiftung entwickelt; ebenso die Studiengebühren durchgesetzt. Doch was<br />

legitimiert sie dazu? Was rechtfertigt den Erlaß von Steuergeldern für ein solches<br />

halbprivates Institut, das sich in Politik und Staat einmischt? Agiert sie wirklich<br />

so selbstlos, wie sie behauptet? Was ist ihre Agenda? Wie setzt sie sie durch?<br />

Um diese Fragen geht es in meinem Buch. Die Bertelsmann Stiftung ist ein Zentrum<br />

der Macht, mit dem die Familie Mohn (die noch 23 Prozent der Bertelsmann<br />

AG besitzt, aber auch die Stiftung kontrolliert) Nähe zur Politik schafft,<br />

Einfluß nimmt und ihr Unternehmen erhält. Die Stiftung hat sogar die Politik in<br />

ihrem ureigensten Bereich beeinflußt, indem sie vielfältige Aktivitäten, Foren<br />

und Schriften zum Stiftungswesen veranstaltet und herausgegeben hat. Sie versuchte,<br />

die deutsche Rundfunkpolitik und ihre Aufsicht zu reformieren. Auch das<br />

ein Interessenskonflikt, schließlich ist die Bertelsmann AG, an der sie 77 Prozent<br />

der Kapitalanteile hält, mit RTL der größte private Rundfunkveranstalter Europas.<br />

Warum ist die Nähe zur Politik heikel? Die Stiftung versammelt Leute, auf die es<br />

ankommt. Leute, die Dinge entscheiden in einem Staat. Die Stiftung lädt ein und<br />

übernimmt die Rechnung. Sie tut das selbstlos. Sagt sie. Aber es wäre zu einfach,<br />

ihr das zu glauben. Die Stiftung will Einfluß nehmen und dazu braucht sie<br />

das Ohr und die Sympathie der Personen, die Politik in Gesetze gießen. Dieselben<br />

Leute bestimmen allerdings über die gesetzlichen Grundlagen, auf der die<br />

Stiftung agiert und daraus resultiert ein grundsätzlicher Konflikt. Die Politik<br />

nimmt solche Einladungen dankbar an und denkt kaum darüber nach, wer wirklich<br />

die Rechnung bezahlen muß. Die Stiftung ist gemeinnützig und agiert steuerfrei<br />

und deshalb geht es auch um die Frage, wie sehr die Bertelsmann Stiftung<br />

dem Allgemeinwohl verpflichtet ist. Ist eine Stiftung, die Politik beeinflusst –<br />

und das tut die Bertelsmann-Stiftung – noch die Privatangelegenheit der Familie<br />

Mohn? Ich denke nicht. Die Öffentlichkeit hat in Deutschland bei Stiftungen aber<br />

nichts zu sagen – im Gegensatz zu den USA beispielsweise. Stifter und ihre Mitarbeiter<br />

betonen gerne, dass ein Stifter wie Reinhard Mohn fast sein ganzes Vermögen<br />

der Allgemeinheit geschenkt hat. Das ist eine geschickte PR-Formulierung.<br />

In Wirklichkeit gehören Stiftungen sich selbst und die eigentliche Frage ist,<br />

wer sie kontrolliert. Im Falle der Bertelsmann Stiftung ist das nicht die Allgemeinheit,<br />

sondern die Familie Mohn. Bekannte, Mitarbeiter oder ehemalige Mitarbeiter<br />

des Unternehmens, die heute teilweise für die Stiftung arbeiten und die sie gut<br />

für ihre Loyalität bezahlt, erwecken den Anschein von Öffentlichkeit. Von Unabhängigkeit<br />

kann jedoch keine Rede sein. Das ist offenbar politisch so gewollt.<br />

Oder anders formuliert: die Öffentlichkeit stellt dieses System nicht lautstark<br />

genug in Frage. Politiker sehen keinen Bedarf, zu handeln.<br />

Öffentlichkeit herzustellen war das Ziel, aber auch die Schwierigkeit dieser Recherche.<br />

Man kann nicht behaupten, dass die Stiftung heimlich agiert, zumindest<br />

nicht nur. Im Gegenteil: Sie gibt viel Geld aus für Öffentlichkeitsarbeit – weit mehr<br />

als andere Stiftungen. Aber die Informationen, die sie bietet, erlauben oft kein<br />

wirkliches Bild, wie sie vorgeht, wo sie Einfluß nimmt und mit welchen Kriterien<br />

sie bestimmte Sichtweisen an die Politik heranträgt.<br />

Was war das Schwierige der Recherche? Die Politik der Bertelsmann Stiftung ist<br />

begraben in Hunderten von Studien und Publikationen. Um zu zeigen, worin die<br />

Arbeit und der Einfluß der Stiftung besteht, musste ich an die Personen ran. Ich<br />

habe deshalb seit zehn Jahren Veranstaltungen der Stiftung besucht und viele<br />

Gespräche mit Mitarbeitern und Kritikern der Stiftung geführt. Um die Stiftung<br />

hinsichtlich Arbeit, Ansehen und Wirkung einschätzen zu können, habe ich auch<br />

Konferenzen und Symposien anderer einflussreicher Stiftungen besucht und mit<br />

Stiftungsexperten über Grund legendes gesprochen. Für diese grundlegende<br />

Recherche, die zu einem Buchexpose führte, habe ich ein Stipendium der <strong>Otto</strong><br />

<strong>Brenner</strong> Stiftung erhalten. Ich finde es wichtig, dass Journalistenstipendien nicht<br />

nur Nachwuchsjournalisten unterstützen. In den USA erlauben Universitäten,<br />

etwa in Stanford oder Harvard, er fahrenen Journalisten viel stärker, ein ganzes<br />

98<br />

99


Jahr tief in relevante Themen einzudringen und mit Wissenschaftlern darüber zu<br />

diskutieren. Eine solche Förderung wäre auch in Deutschland sinnvoll.<br />

Wie eng die Bertelsmann Stiftung mit der Politik kooperiert, zeigt das Beispiel<br />

von Sophia Schlette. Zeitweise hat sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin einer<br />

MdB gearbeitet, dann wechselte sie zur Stiftung. Aber während sie dort für<br />

Gesundheitspolitik zuständig war, brachte die ehemalige Gesundheitsministerin<br />

Ulla Schmidt sie in ihrem Ministerium unter. Sie schrieb Reden und arbeitete der<br />

Ministerin zu. Dabei war sie immer noch in der Stiftung angestellt. Unklar ist, wer<br />

sie bezahlte. Fest steht, daß sie zwischen Februar 2007 und August 2008 acht<br />

Monate im Ministerium arbeitete, wie das Ministerium zugeben musste. Angeblich<br />

arbeitete sie nicht an Gesetzen und Verordnungen. Das heißt jedoch nicht,<br />

daß sie keinen Einfluss hatte, sie arbeitete ja nicht irgendwo im Ministerium. Sie<br />

beriet die Ministerin. Das spricht für ihre Sachkenntnis, stellt aber auch eine<br />

fragwürdige Entwicklung und Gefahr des parteiischen Einflusses und eine neue<br />

Qualität des Lobbyismus dar – ohne, daß Bürger davon Kenntnis erhalten.<br />

Die Stiftung betreibt einen so genannten Schuldenmonitor, der die Verschuldung<br />

von Bundesländern, Städten und Gemeinden errechnet und protokolliert.<br />

Eigentlich eine gute Sache, denn die Stiftung schafft damit ein Bewusstsein für<br />

sparsamen Umgang mit Geldern, die der Allgemeinheit gehören. Das zumindest<br />

ist die Idee. Sie prüft auch die Effizienz von Verwaltungen. Auch das ist im Sinne<br />

von Bürgern. Und sie bietet Konzepte an, wie man die Effizienz verbessern kann.<br />

Nein, das ist falsch. Nicht die Stiftung bietet das an, sondern das Unternehmen.<br />

Aber lässt sich das so genau trennen, wie es Stiftung und Unternehmen behaupten<br />

und gerne wünschen? In East Riding in England steuert die Bertelsmann-<br />

Tochterfirma Arvato einen ganzen Landkreis und hat dazu rund 1000 Verwaltungsmitarbeiter<br />

übernommen – im Frühjahr 2008 gelingt dem Dienstleister<br />

Arvato auch in Deutschland der Einstieg in den Markt der Verwaltung. „Würzburg<br />

integriert“ ist ein Projekt, das Pilotcharakter für weitere Kommunen haben<br />

soll. Das Bertelsmann-Tochterunternehmen Arvato steuert alle Abläufe in der<br />

Würzburger Kommunalverwaltung über eine zentrale Internetplattform. Ziel sei<br />

es, Bürgern, Unternehmen und Partnern alle Dienstleistungen der Stadt über nur<br />

eine Anlaufstelle anzubieten. Würzburg erhofft sich während der Laufzeit von<br />

zehn Jahren Einsparungen in Höhe von mehr als 27 Millionen Euro, indem Personal<br />

abgebaut wird: 75 Mitarbeiter, die nach und nach in Ruhestand gehen, werden<br />

nicht ersetzt. 10 der eingesparten 27 Millionen Euro sollen an die Stadt<br />

gehen. Dem Vernehmen nach belaufen sich die Projektkosten auf weitere 10<br />

Millionen Euro. Somit bleiben Arvato bis zu sieben Millionen Euro Gewinn.<br />

Rolf Buch, der Vorstandsvorsitzende von Arvato, sagt, der Bereich verfüge über<br />

großes Potenzial, da in Deutschland rund 1,5 Millionen Personen in Kommunalverwaltungen<br />

arbeiteten. Bei durchschnittlichen Jahreskosten von 70 000 Euro<br />

pro Mitarbeiter ergebe sich ein Gesamtvolumen von 105 Milliarden Euro. Experten<br />

gingen davon aus, dass man davon rund 20 Prozent outsourcen könne. Der<br />

potenzielle Gesamtmarkt belaufe sich also auf 20 Milliarden Euro pro Jahr allein<br />

in Deutschland. Langfristig spielt dieser Markt eine wichtige Rolle für das Wachstum<br />

von Bertelsmann. Die Stiftung beteuert, sie leiste keine Vorarbeit für das<br />

Unternehmen, denn ihre Konzepte seien öffentlich für jede Firma zugänglich.<br />

Das stimmt – was die Studien betrifft. Aber entscheidend sind Kompetenz,<br />

Kenntnis und Kontakte, um diesen Markt zu erobern. Ist die Stiftung wirklich<br />

unabhängig vom eigenen Unternehmen?<br />

Ist sie unabhängig von der Politik, die sie berät? „Es ist uns egal, wer regiert“,<br />

sagt Vorstandschef Thielen. Die Haltung hinter diesen Worten könnte heißen:<br />

Die Stiftung ist politisch unabhängig. Das ist gut so. Punkt. Kritisch betrachtet,<br />

kann die Aussage auch bedeuten: die Stiftung steht über der Politik, im Sinne<br />

von Einfluss und Macht. Sie ist unangreifbar in ihrer Position und sie weiß das.<br />

Denn Politiker sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt und kämpfen zu sehr<br />

gegeneinander, als daß sie den Einfluss der Stiftung dort begrenzen würden, wo<br />

es nötig wäre, und für Transparenz zu sorgen.<br />

Die größte Bedrohung der Stiftung ist die Stiftung selbst. Die Gefahr, so zeigte<br />

sich 2007, kam von innen, in Gestalt ihres leitenden Mitarbeiters Werner Weidenfeld.<br />

Der Professor der Universität München eilt als Politikberater von Hauptstadt<br />

zu Hauptstadt, von Land zu Land, von Termin zu Termin. Er berät Regierun-<br />

100<br />

101


Thomas Schnedler<br />

Stell! Mich! An!*<br />

gen und Kommissionen, hält Konferenzen und Kontakt zu Ministern, Akademikern,<br />

Funktionsträgern und Präsidenten. Die FAZ schrieb: „Auf gewisse Weise verkörpert<br />

Werner Weidenfeld insofern die Bertelsmann Stiftung, ihre Rastlosigkeit, ihre<br />

Allgegenwart, ihren ständigen Seitenwechsel an den Grenzen von privatwirtschaftlich,<br />

gemeinnützig, staatsnah und halbwissenschaftlich, prominenzorientiert<br />

und kommunal.“ Jedenfalls machte einer seiner Neider der Öffentlichkeit<br />

Arbeits- und Spesenabrechnungen zugänglich, wonach Weidenfeld zu viele<br />

Stunden abrechnet. Die Staatsanwaltschaft München ermittelte wegen des Verdachts<br />

der Untreue, Weidenfeld mußte gehen. Weil die Stiftung mehr ihren Verantwortlichen<br />

und dem Unternehmen Bertelsmann als der Allgemeinheit nutze,<br />

forderten im Frühjahr <strong>2009</strong> ihre Kritiker, der Staat müsse ihr die Gemeinnützigkeit<br />

entziehen. Auch die Stichhaltigkeit und Erfolgsaussichten dieser Forderung<br />

habe ich untersucht – mehr dazu im Buch.<br />

Was ist der blinde Fleck der Stiftung? Außer wie eine private Elite-Universität, die<br />

im Geld schwimmt, und wie ein Think Tank agiert die Stiftung oft auch quasi wie<br />

eine Unternehmensberatung für staatliche Einrichtungen: Ob Arbeitsweise, Kultur<br />

und Produktivität in öffentlichen Verwaltungen, Finanzämtern, Hochschulen oder<br />

Krankenhäusern – Reinhard Mohn ließ alles messen. Einmal suchte er nach einer<br />

Messgröße, um den Erfolg von Partnerschaft und Ehen zu messen, weil gescheiterte<br />

Beziehungen und Scheidungen die Gesellschaft viel Geld kosteten. Die Idee<br />

einer halbwissenschaftlich agierenden Partneragentur wurde indes nie verwirklicht.<br />

Im Alter entwickelte er großes Interesse an Religiosität und ließ ihre Kraft weltweit<br />

in einem so genannten Religionsmonitor messen. Am liebsten würde er auch<br />

den Erfolg von Politikern messen lassen, sagte er einmal. Mohn wollte alles messen<br />

und den Menschen Vergleichsdaten zukommen lassen, nur eines hat er nie<br />

messen lassen: die Effizienz seiner Stiftung und ihren Nutzen für die Allgemeinheit.<br />

Thomas Schuler, geb. 1965, lebt als freier Journalist in München. Er schreibt vor allem über<br />

Medien für Berliner Zeitung, Süddeutsche Zeitung und Neue Zürcher Zeitung. 2004 veröffentlichte<br />

er das Buch „Die Mohns“ über die Eigentümer der Bertelsmann AG im Campus-Verlag.<br />

Sein Buch „Bertelsmann Republik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik“ erscheint Mitte<br />

Juni 2010 im Campus Verlag.<br />

102<br />

Keiner hat auf mich gewartet, ich bin trotzdem gekommen. Ohne Termin. Die<br />

junge Frau am Empfang der Leiharbeitsfirma Manpower mustert mich kurz, überrascht<br />

von dem plötzlichen Besuch ist sie nicht. Ich stehe in einem schlichten<br />

Großraumbüro am Berliner Kurfürstendamm und stelle mich vor: Schnedler, elf<br />

Semester Journalistik, Zeitungsvolontariat, Diplom, auf der Suche nach einer<br />

festen Stelle. Das genügt. Mein Einsatzgebiet steht ohnehin schon fest. »Käme<br />

auch ein Callcenter für Sie in Frage?«, will die Frau wissen. »Wenn die Konditionen<br />

stimmen«, antworte ich ausweichend. Damit bin ich eine Runde weiter.<br />

Es ist mein erster Schritt in eine Branche, die umstritten ist wie kaum eine andere:<br />

die Leiharbeit. Das Geschäft hat einen miserablen Ruf – gegen den die Branche<br />

mit der immer gleichen Botschaft ankämpft: Leiharbeit sei keine Notlösung<br />

mehr, sondern ein Sprungbrett, der schnelle Weg zum Wunschberuf. Neuerdings<br />

behaupten die Werbestrategen sogar, gerade Akademiker könnten über Leiharbeit<br />

den Berufseinstieg schaffen: Erfahrung sammeln, Projekte machen, sich<br />

Arbeitgebern empfehlen.<br />

Ich habe meine Zweifel daran, trotzdem sitze ich kurz darauf vor der Rekrutierungschefin.<br />

Sie kenne die schwierige Arbeitsmarktlage für Journalisten, sagt<br />

sie, und verstehe, dass ich mich nach Alternativen umsehe. Manpower arbeite<br />

nur mit seriösen Callcentern, in denen die Arbeitsbedingungen ständig kontrolliert<br />

würden – bis zur Zahl der Rollen unter den Bürostühlen.<br />

* Leiharbeit klingt nach Ausbeutung. Doch die Leiharbeitsfirmen sagen, sie böten ein Sprungbrett in den Beruf.<br />

Unser Autor macht den Selbstversuch. Der Bericht, als Ergebnis eines Recherche-Stipendiums, das die<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung 2006 vergeben hat, ist erschienen in ZEIT-Campus 03/2008, Mai/ Juni 2008.<br />

103


»Ich könnte Sie mir gut bei einem unserer Kunden vorstellen, einer großen<br />

Immobilienfirma.« Sie hofft, dass ich anbeiße. Händeringend suchen Unternehmen<br />

wie Manpower nach Mitarbeitern, die Branche wächst wie kaum eine andere.<br />

Laut der Bundesagentur für Arbeit gab es im Juni letzten Jahres 730.000 Leiharbeiter,<br />

knapp ein Viertel mehr als im Jahr davor.<br />

Aber das Callcenter einer Immobilienfirma? Ein Sprungbrett sieht anders aus.<br />

Ich soll Ausbildung und Diplom vergessen, Leute anrufen und Häuser anpreisen.<br />

Arbeitsmarktforscher kennen die Gefahr, dass Akademiker in der Leiharbeit keine<br />

adäquaten Jobs finden. »Zeitarbeitskräfte werden häufig unter ihrer Qualifikation<br />

eingesetzt«, sagt Claudia Weinkopf von der Universität Duisburg-Essen.<br />

Die Werbung der Leiharbeitsfirmen klingt anders. Sie präsentieren sich auf Karrieremessen,<br />

bieten Workshops an Universitäten an und schalten großformatige<br />

Anzeigen. Nach dem Versuch bei Manpower stoße ich in einer Tageszeitung auf<br />

die Annonce der AZ GmbH, einer mittelständischen Leiharbeitsfirma. Sie sucht<br />

in Berlin einen Onlineredakteur, um ihn an die Betreiber eines Internetfinanzportals<br />

zu entleihen. Ich bewerbe mich. Auch dem Marktführer Randstad schicke<br />

ich meine Unterlagen, genau wie dem zweitgrößten Unternehmen, Adecco.<br />

Welche Hoffnungen manche Akademiker in die Leiharbeit setzen, erfahre ich in<br />

München. Auf Deutschlands größter Zeitarbeitsmesse suchen Tausende Bewerber<br />

nach Jobs. Wer studiert hat, bekommt eine Liste mit rund 45 Unternehmen,<br />

die Akademiker suchen: Ärzte, Juristen, Botaniker oder Raumfahrttechniker.<br />

Für sie alle kennt die Liste einen passenden Verleiher, und dem winkt ein einträgliches<br />

Geschäft: In der Branche kassieren die Verleiher durchschnittlich das<br />

Zweieinhalbfache des Stundenlohns des Leiharbeiters. Billiger als Festangestellte<br />

sind Leiharbeiter also selten. Trotzdem leihen Unternehmen ihre Mitarbeiter gern,<br />

denn Leiharbeitern können sie jederzeit kündigen.<br />

Constanze Spreewald** ist eine der Bewerberinnen. Die 34-jährige Ägyptologin<br />

hat promoviert und mehrere Jahre in Kairo geforscht. Seit Monaten schreibt sie<br />

Bewerbungen, bislang ohne Erfolg. »Ich hoffe, dass ich Kontakt zu verschiedenen<br />

Unternehmen finde. Daraus soll dann aber auch eine Festanstellung werden«,<br />

** Namen von der Redaktion geändert<br />

sagt sie. Die monatelange Arbeitslosigkeit hat ihre Ansprüche schrumpfen lassen.<br />

Für den Einstieg sei eine Stelle als Teamassistentin in Ordnung. Dass viele<br />

Firmen mit dieser Stellenbezeichnung verschleiern, dass eigentlich eine Sekretärin<br />

gesucht wird, weiß Constanze. »Man muss aufpassen, dass man sich nicht zu<br />

weit unter seinen Möglichkeiten einstellen lässt.«<br />

Meine eigene Jobsuche kommt nicht so richtig in Schwung. Die Münchner Messe<br />

hatte kein Angebot für mich, und bei der AZ GmbH lande ich nach einem telefonischen<br />

Vorstellungsgespräch in der Datenbank. Die Stelle als Onlineredakteur<br />

bekommt ein anderer.<br />

Auch Randstad lässt mich warten. Ich rufe an, werde vertröstet, rufe wieder an.<br />

Nach zwei Monaten dann eine Einladung zum Gespräch. Bevor ich aber einen<br />

Disponenten treffen darf, soll ich bei einem Onlinetest beweisen, dass ich Word,<br />

Excel und Powerpoint beherrsche. Das klingt simpel, wird aber zum Desaster. Ich<br />

kann keine Serienbriefe erstellen, versage bei der Umsatzberechnung im Tabellenblatt<br />

»Quartalsergebnisse« und scheitere, als ich ein Organigramm erweitern<br />

soll. Mein Testergebnis ist vernichtend.<br />

Adecco lädt mich persönlich zu einem »Bewerbertag« ein, aber auch der bringt<br />

mich nicht weiter. Kein Adecco-Mitarbeiter will mit mir sprechen. Stattdessen<br />

sitze ich im Flur und starre auf Fragebögen. Wie fit bin ich bei der Tabellenkalkulation?<br />

Na ja. Kann ich stenografieren? Nein. Softwarekenntnisse bei der Lohnund<br />

Gehaltsabrechnung? Null. Mein Studium, Volontariat und journalistische<br />

Praktika quetsche ich schließlich in die Rubrik »Sonstiges«. Das Standardformular<br />

und ich passen nicht zusammen. Auf Akademiker wie mich scheint Adecco<br />

nicht vorbereitet zu sein. Wie wollen sie mich da »passgenau« weitervermitteln?<br />

»Mit den Bewerberbögen fragen wir Grundkenntnisse ab und machen uns ein erstes<br />

Bild von den Bewerbern«, rechtfertigt sich später eine Unternehmenssprecherin.<br />

Der Fragebogen könne natürlich nicht das persönliche Gespräch ersetzen.<br />

Ich warte auf eine Einladung, doch es tut sich monatelang nichts. Dabei bin ich<br />

mit meinem Abschluss kein Exot: Schon fast jeder vierte ihrer Leiharbeiter habe<br />

studiert, sagt Adecco – und es würden mehr. Adecco läge damit deutlich über dem<br />

Schnitt: Marktforscher beziffern den Anteil der Akademiker unter allen Leihar-<br />

104<br />

105


eitern auf gut zehn Prozent. Die Bundesagentur für Arbeit, die mit anderen<br />

Daten rechnet, geht von rund sieben Prozent aus.<br />

Nur eines stellen sie alle fest: Der Markt für ausgeliehene Akademiker wächst.<br />

Zum Beispiel hat sich in den vergangenen fünf Jahren der Anteil der von Leiharbeitsfirmen<br />

gemeldeten Stellen für Dolmetscher und Übersetzer verdreifacht,<br />

sagt die Bundesagentur für Arbeit.<br />

Dafür gibt es mehrere Gründe. Markus Promberger, Arbeitsmarktforscher der<br />

Bundesagentur, spricht von »Sättigungstendenzen« auf dem Markt für herkömmliche<br />

Leiharbeit. Buchhalter, Maler, Lagerhelfer und Putzfrauen werden zur Genüge<br />

verliehen, die Firmen müssen sich neue Zielgruppen und Geschäftsfelder suchen.<br />

Außerdem darf seit der rot-grünen Arbeitsmarktreform von 2004 ein Leiharbeiter<br />

zeitlich unbegrenzt an ein Unternehmen ausgeliehen werden. Damit lohnt es<br />

sich für die Firmen, studierte Leiharbeiter für qualifizierte Jobs über mehrere<br />

Monate einzuarbeiten.<br />

Andere Unternehmen sind dazu übergegangen, vakante Stellen zunächst für ein<br />

paar Monate mit Leiharbeitern zu besetzen. Eine »ausgelagerte Probezeit«<br />

nennt das die Hamburger Personaldienstleisterin Heidrun Jürgens. »Leiharbeit<br />

mit Übernahmeoption« heißt das Modell. Die Vorteile für die Unternehmen: Sie<br />

können die Bewerber erst einmal unverbindlich testen und auf einen Schlag die<br />

Probezeit verdoppeln, denn kein Gesetz zwingt sie, die Leiharbeit anzurechnen.<br />

Und sie sparen sich die lästige Kündigung. »Die unangenehmen Gespräche führt<br />

dann nicht der Kunde, sondern wir«, sagt Jürgens.<br />

Die Vorteile der Firma sind die Nachteile der Leiharbeiter. Manfred Lohre** kennt<br />

ihn gut, diesen Druck, irgendwo Fuß fassen zu wollen, aber nicht zu können. Der<br />

Diplom-Ingenieur arbeitet schon seit vier Jahren als Leiharbeiter für Siemens,<br />

mittlerweile könnte er sich schon wie ein Siemensianer fühlen, sagt er. »Aber<br />

man ist doch nur Mitarbeiter zweiter Klasse.«<br />

Das sieht er jeden Monat auf seinem Konto: Er verdient nur etwa zwei Drittel von<br />

dem, was seine festangestellten Kollegen bei Siemens bekommen: brutto fast<br />

1000 Euro weniger im Monat. »Natürlich ist das nicht motivierend, wenn man<br />

weiß, dass andere Leute die gleiche Arbeit machen, aber dafür viel mehr Geld<br />

bekommen«, sagt er. Für ihn könnte sich die Leiharbeit als Sackgasse erweisen,<br />

er ist schon über 50. »Wenn ein Ingenieur nach drei oder vier Jahren immer noch<br />

Leiharbeiter ist, dann wundern sich Personalchefs und fragen sich, ob es ein<br />

Problem gibt«, sagt Promberger.<br />

Für mich hat Randstad mittlerweile eine Akte angelegt. Mein Scheitern beim<br />

Onlinetest sei nicht so dramatisch, hat man mich im Vorstellungsgespräch<br />

beruhigt. Aber: »Es wird darum gehen, Kompromisse zu machen.«<br />

Welche Zugeständnisse erwartet werden, erfahre ich einige Zeit später. Die AZ<br />

GmbH, von der ich seit Monaten nichts mehr gehört habe, meldet sich plötzlich<br />

auf meinem Handy. Ein großes Gebrauchtwagenportal im Internet suche einen<br />

Content-Manager als Urlaubsvertretung. Losgehen soll es schon ein paar Tage<br />

später, nach zwei Monaten sei Schluss. Ich schaue mir die Seite im Internet an,<br />

und nach ein paar Klicks weiß ich, dass ich für meinen alten Polo, Baujahr 1995,<br />

noch ungefähr 1200 Euro verlangen könnte. Schön und gut – aber wie soll ich<br />

als Journalist beim Autoverkauf helfen?<br />

Das wäre dann wohl der »Jedermann-Arbeitsmarkt«, wie Markus Promberger<br />

von der Bundesagentur ihn genannt hat. Auf der einen Seite des Arbeitsmarktes,<br />

sagt er, gebe es Absolventen mit begehrten Qualifikationen, wie zum Beispiel<br />

Ingenieure oder Betriebswirte. Normalerweise finden sie auch so einen Job. »Sie<br />

können aber von der Leiharbeit profitieren, wenn sie individuell etwas schlechtere<br />

Arbeitsmarktchancen haben.« Wer also mäßige Noten habe, kaum Berufserfahrung<br />

oder eine seltene Fachrichtung, der könne so den Einstieg schaffen.<br />

»Auf der anderen Seite gibt es die Absolventen von Exotenfächern oder eher<br />

marktfernen Fächern«, fügt Promberger hinzu. Die landeten dann oft im »Jedermann-Arbeitsmarkt«.<br />

Bin ich als Journalist etwa »marktfern«? Ich soll das Onlineportal bei der Einführung<br />

einer neuen Software unterstützen und alte Ratgebertexte renovieren.<br />

Dafür bekäme ich einen exakt auf die zwei Monate befristeten Vertrag bei der<br />

106<br />

107


AZ GmbH. Der brächte mir 1317 Euro netto im Monat, für eine Vollzeitstelle. Ein<br />

Blick in den Tarifvertrag zeigt: Damit würde ich sogar zu den Besserverdienern<br />

gehören. Andere Firmen starten mit einem Stundenlohn von 5,77 Euro. Meiner<br />

soll immerhin bei 9,16 Euro liegen.<br />

Leiharbeitsfirmen sprechen gerne davon, dass man auch mal einen Schritt<br />

zurückgehen müsse, um dann zwei nach vorn in eine Festanstellung zu machen.<br />

Ich überlege nur kurz, bevor ich der AZ GmbH absage. Wenn eine Stelle überhaupt<br />

keine Perspektive bietet, dann bleibt es beim Rückschritt.<br />

Als mich mein Randstad-Disponent anruft, rechne ich schon gar nicht mehr mit<br />

einer echten Chance. Er habe die Anfrage einer großen PR-Agentur in Berlin,<br />

Marktführer im Bereich der politischen Kommunikation. Die Agentur betreue ein<br />

Magazin des Deutschen Bundestags, plane Kampagnen für die Bundesregierung<br />

oder arbeite für die EU-Kommission.<br />

Wenig später sitze ich tatsächlich im Vorstellungsgespräch. Die Agentur hat<br />

einen repräsentativen Backsteinbau unweit der Spree bezogen, im Konferenzraum<br />

laufen auf kleinen Monitoren die Weltnachrichten von CNN und BBC ohne<br />

Ton. Mir gegenüber sitzen ein Redakteur und eine PR-Beraterin. Sie verblüffen<br />

mich: Hier geht es gar nicht um Leiharbeit, sondern um eine Festanstellung.<br />

Wenn man offene Stellen zu besetzen habe, fordere man auch Profile von Personaldienstleistern<br />

an, erklären sie mir. Mein Profil scheint ihnen gefallen zu haben.<br />

Ob ich mir als Journalist denn überhaupt vorstellen könne, für eine PR-Agentur<br />

zu arbeiten, fragt mich die Beraterin. Ich müsse Abschied nehmen von unabhängiger<br />

Berichterstattung, denn letzten Endes entscheide nur die Zufriedenheit<br />

des Kunden über die Qualität eines Textes. »Solange Sie nicht für einen russischen<br />

Oligarchen arbeiten, hätte ich damit kein Problem«, sage ich. »Auch das<br />

hatten wir schon«, antwortet sie kurz.<br />

Ich soll in der Redaktion eingesetzt werden und für Publikationen schreiben, die<br />

die Agentur im Auftrag des Bundesinnenministeriums erstellt, erklärt der Redakteur<br />

mir. Ausgerechnet PR für Schäuble, denke ich. Einen Jahresvertrag und<br />

2300 Euro brutto pro Monat soll ich dafür bekommen, nach einem halben Jahr<br />

werde das Gehalt noch einmal überprüft. Einen Tag Bedenkzeit handele ich aus.<br />

Fünf Monate sind vergangen, seit ich die Bewerbungen abgeschickt habe. Damit<br />

steht fest: Ein schneller Weg zum Job war die Leiharbeit für mich nicht. Das Resultat<br />

der Suche: Eine Bewerbung war ein totaler Flop, eine zweite hätte mich<br />

beinahe zum Gebrauchtwagenspezialisten gemacht. Mit der dritten Bewerbung<br />

hatte ich schließlich einen Glückstreffer – den Job in einer Agentur, deren Namen<br />

ich vorher nicht einmal kannte.<br />

Das ist wohl die wichtigste Lehre: Wer einen großen Verteiler für seine Bewerbung<br />

sucht, der findet ihn bei den Leiharbeitsfirmen. Mehr als eine Ergänzung<br />

zur eigenen Jobsuche darf man aber nicht erwarten. Die angebotenen Stellen<br />

sind meistens Kompromisse, eine Garantie für einen Job gibt es nicht – und wer<br />

schließlich doch eine Stelle bekommt, spürt den ständigen Druck von kurzen<br />

Kündigungsfristen und zweitklassiger Bezahlung.<br />

Jeder, der sich bewirbt, braucht außerdem den Mut, dubiose oder unverschämte<br />

Angebote einfach abzulehnen. Schwarze Schafe gibt es genügend, und manchmal<br />

ist die Grenze zur Ausbeutung fließend.<br />

Ich selbst werde nicht im Callcenter antreten. Aber auch die Sicherheitspolitik<br />

des Innenministers werde ich nicht bewerben: Der Agentur sage ich ab. Schon<br />

vor einigen Wochen habe ich an der Universität Hamburg unterschrieben, als<br />

wissenschaftlicher Mitarbeiter. Die Stelle habe ich ohne Leiharbeitsfirmen gefunden,<br />

aber sie ist ähnlich prekär: befristet, viel Arbeit für wenig Geld, Zukunft<br />

ungewiss.<br />

Thomas Schnedler, geb. 1974, Dipl.-Journalist, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich<br />

der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft<br />

der Universität Hamburg. Er arbeitet zudem als freiberuflicher Journalist und<br />

Kommunikationswissenschaftler, insbesondere am Institut für Medien- und Kommunikationspolitik<br />

in Berlin, wo er als Projektleiter und Redakteur ein Online-Portal zur Medienkonzernbeobachtung<br />

(www.mediadb.eu) betreut.<br />

108<br />

109


AUSGEWÄHLTE TEXTE<br />

UND REDEN<br />

Georg Mascolo


Georg Mascolo<br />

füllen ohne großen Aufwand, aber dennoch gut bezahlt. Deshalb ist es so wichtig,<br />

dass all die Journalisten ermuntert werden, die abseits des Mainstreams,<br />

abseits der lancierten Meldungen, abseits der Wünsche von PR-Leuten eigene<br />

Themen suchen, Zusammenhänge finden und den Hörer mit eigenen Geschichten<br />

überraschen.<br />

Laudatio zur Verleihung des<br />

„Leuchtturms für besondere publizistische Leistungen“<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

liebe Freie!<br />

Ich bedanke mich für die Gelegenheit, hier heute die Laudatio auf die diesjährigen<br />

<strong>Preis</strong>träger des „Leuchtturms“ halten zu dürfen. Das gibt mir Gelegenheit,<br />

ein paar Dinge loszuwerden, die mir besonders am Herzen liegen. Allzu lange,<br />

das kann ich Ihnen versprechen, wird es nicht dauern. 2:30 sind im Radiojournalismus<br />

bekanntlich das Maß der Dinge. Ich werde mir erlauben, die Zeit zu verdoppeln.<br />

Zu ehren habe ich heute die Journalisten des NDR-Reporterpools, die seit vier<br />

Jahren für den Hörfunk im Norden arbeiten. Sechs fest angestellte Redakteure<br />

und eine Anzahl freier Mitarbeiter gehören dem Pool an. Die Freien werden, um<br />

umfassend recherchieren zu können, pauschal und nicht per Beitrag bezahlt.<br />

Das ist ungewöhnlich, aber gerecht, notwendig und vernünftig. Denn allzu häufig<br />

werden noch immer jene Journalisten finanziell belohnt, die ganz bequem<br />

Pressemitteilungen umformulieren und – wenn überhaupt – dazu noch schnell<br />

die Stimmen von Betroffenen einholen. Damit lassen sich auch Sendeminuten<br />

Das tut der Reporterpool und deshalb hat er sich diese Auszeichnung verdient.<br />

Die Recherchen über Waffenhandel in Afghanistan, rechtsextremistische Umtriebe<br />

in Norddeutschland, Bluttests bei Firmen oder Skandale der HSH Nordbank<br />

haben bundesweit Schlagzeilen gemacht.<br />

Als Hörer des Programms war ich häufig gefesselt von diesen Geschichten. Als<br />

Chefredakteur habe ich mehr als einmal gedacht: Warum haben wir das eigentlich<br />

nicht? Herzlichen Glückwunsch also, liebe Kollegen, seien Sie stolz auf Ihre<br />

Arbeit. Ich bin es.<br />

Damit könnte ich zum versprochenen schnellen Ende kommen, wenn es nicht<br />

noch eine weitere Gratulation vorzunehmen gäbe. Und auch eine Ermahnung<br />

auszusprechen.<br />

Die Ehrung geht an den Norddeutschen Rundfunk, der Mut und Weitblick besessen<br />

hat, etwas Ungewöhnliches zu wagen. Journalisten einfach machen zu lassen,<br />

ohne sie per Organigramm und Stellenausschreibung in ein von Redaktionsmanagern<br />

erdachtes Format zu pressen. Herausgekommen sind übrigens mehr –<br />

vor allem aber bessere Beiträge. Wenn es doch nur immer so vernünftig im<br />

öffentlich-rechtlichen System zugehen würde ...<br />

Die Ermahnung gilt unserem Berufsstand. Ein Reporterpool wie jener des NDR<br />

gehörte bislang in diesem Land nicht automatisch zu den Favoriten einer Auszeichnung<br />

wie dem Leuchtturm. So erinnert uns der Erfolg der diesjährigen<br />

<strong>Preis</strong>träger an unsere ureigenste Aufgabe. Der Journalist muss neugierig, er<br />

muss gründlich und ehrgeizig sein.<br />

112<br />

113


Er darf die wahre Aufgabe seines Berufes nicht vernachlässigen – und das ist, den<br />

Dingen auf den Grund zu gehen. Wir bekommen unser Geld für unsere Neugierde.<br />

Ja, manchmal mag es an Zeit fehlen. Aber zu oft ist es auch nur Bequemlichkeit.<br />

Wahrscheinlich ist das der Grund, warum heute so gern vom „investigativen<br />

Journalismus“ geschwärmt wird, ein Begriff der inzwischen so inflationär genutzt<br />

wird, dass damit auch schon ein zweites Telefonat gemeint sein könnte.<br />

Die Suche nach Unbekanntem, die Aufklärung eines Sachverhaltes, die nötige<br />

Distanz und Skepsis braucht es immer. Ich nenne das Recherche. Ohne diese<br />

Leidenschaft, den Wunsch Nachrichten zu machen anstatt ihnen hinterherzulaufen,<br />

geht es nicht. Nur wer sich für den mühsamen Weg entscheidet, wird dafür<br />

auch belohnt. Er wird zum Anlaufpunkt für Informanten, zum Empfänger brisanter<br />

Unterlagen. Egal ob es die Süddeutsche Zeitung ist oder jetzt der NDR-<br />

Reporterpool oder mein Haus, der SPIEGEL, – wir alle profitieren vom Engagement<br />

und der Leidenschaft der einzelnen Mitarbeiter.<br />

Die Fleißigen, die Hartnäckigen, die Unerbittlichen sind es, die den Erfolg unserer<br />

Unternehmungen ausmachen. Nachrichten seien heute nichts mehr wert, frei<br />

verfügbar, heißt es inzwischen gern. Das ist falsch. Fakten sind der Rohstoff<br />

unserer Branche und sie sind schwer zu ermitteln, sie müssen mühsam zusammengetragen<br />

werden, sie taugen nicht zur Massenproduktion.<br />

So bitte ich alle hier, Intendanten und Chefredakteure, Kollegen, Verlagsmanager<br />

und Volontäre, von der Auszeichnung heute Abend etwas zu lernen. Was der<br />

NDR-Reporterpool geleistet hat, das müssen Sie auch wollen. Das müssen auch<br />

Sie können. Und Sie müssen es möglich machen. Schon damit hier im nächsten<br />

Jahr ein anderer geehrt werden kann.<br />

Die Laudatio von Georg Mascolo, Spiegel-Chefredakteur, zur Verleihung des „Leuchtturms für<br />

besondere publizistische Leistungen“ an den Reporterpool von NDR-Info am 08. Dezember<br />

<strong>2009</strong> wurde uns vom „netzwerk recherche e. V.“, das auch den <strong>Preis</strong> auslobt, zur Verfügung<br />

gestellt. Die <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung dankt dem „nr“ für die Bereitstellung des Textes.<br />

Die Dokumentationen<br />

nr-Werkstatt:<br />

In der Lobby brennt noch Licht<br />

und<br />

nr-Werkstatt:<br />

Quellenmanagement<br />

können kostenfrei gegen einen adressierten<br />

und ausreichend frankierten Rückumschlag<br />

(DIN C5, 1.50 Euro) beim netzwerk recherche<br />

bezogen werden.<br />

Bezugsadresse:<br />

netzwerk recherche e.V.<br />

Geschäftsstelle<br />

Stubbenhuk 10, 5. OG<br />

20459 Hamburg<br />

www.netzwerkrecherche.de<br />

infoπnetzwerkrecherche.de<br />

@<br />

114


DIE JURY<br />

Sonia Seymour Mikich<br />

Prof. Dr. Heribert Prantl<br />

Harald Schumann<br />

Prof. Dr. Volker Lilienthal<br />

Prof. Dr. Thomas Leif<br />

Berthold Huber


Sonia Seymour Mikich<br />

Prof. Dr. Heribert Prantl<br />

Geboren 1951<br />

Redaktionsleitung des ARD-Magazins Monitor<br />

Werdegang<br />

2004 - April 2007: Redaktionsleitung der ARD/WDR-Dokumentationsreihe „die story“<br />

Seit Januar 2002: Redaktionsleitung und Moderatorin des ARD-Magazins Monitor, WDR Köln<br />

1998 - 2001: Korrespondentin und Studioleitung des Deutschen Fernsehens in Paris<br />

1992 - 98: Korrespondentin des Deutschen Fernsehens in Moskau (ab 1995: Studioleitung)<br />

1982 - 84: Volontariat beim Westdeutschen Rundfunk, Redakteurin und Reporterin<br />

1979 - 81: wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arnold-Gehlen-Forschungsgruppe am Institut<br />

für Soziologie an der RWTH Aachen. Freie Journalistin für Zeitschriften, Tageszeitungen und<br />

Aufsatzsammlungen<br />

1972 - 79: Studium Politologie, Soziologie und Philosophie an der RWTH Aachen mit<br />

Magisterabschluss Februar 1979<br />

1970 - 72: Volontariat bei der Aachener Volkszeitung<br />

Auszeichnungen, u. a.<br />

Telestar als Beste Reporterin (1996); Bundesverdienstkreuz (1998); Deutscher Kritikerpreis für<br />

Auslandsberichterstattung (2001)<br />

Veröffentlichungen, u. a.<br />

Der Wille zum Glück. Lesebuch über Simone de Beauvoir, Reinbek 1986; Planet Moskau.<br />

Geschichten aus dem neuen Rußland, Köln 1998<br />

Geboren 1953<br />

Ressortchef Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung<br />

Werdegang<br />

Seit 1995: Ressortchef Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung<br />

Seit 1988: Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Zunächst innenpolitischer Kommentator<br />

und innenpolitischer Redakteur mit Schwerpunkt Rechtspolitik<br />

1981 - 87: Richter an verschiedenen bayerischen Amts- und Landgerichten sowie Staatsanwalt<br />

Studium der Philosophie, der Geschichte und der Rechtswissenschaften. Erstes und Zweites<br />

Juristisches Staatsexamen, juristische Promotion, juristisches Referendariat. Parallel dazu<br />

journalistische Ausbildung<br />

Auszeichnungen, u. a.<br />

Thurn und Taxis-<strong>Preis</strong> für die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften (1982); Leitartikelpreis der<br />

Pressestiftung Tagesspiegel Berlin (1989); Pressepreis des Deutschen Anwaltvereins (1992);<br />

Geschwister-Scholl-<strong>Preis</strong> (1994); Kurt-Tucholsky-<strong>Preis</strong> (1996); Siebenpfeiffer-<strong>Preis</strong> (1998/99);<br />

Theodor-Wolff-<strong>Preis</strong> (2001); Rhetorikpreis für die Rede des Jahres 2004 der Eberhard-Karls-Universität<br />

Tübingen; Erich-Fromm-<strong>Preis</strong> (2006); Arnold-Freymuth-<strong>Preis</strong> (2006); Roman-Herzog-Medienpreis<br />

(2007); Justizmedaille des Freistaats Bayern (<strong>2009</strong>)<br />

Veröffentlichungen, u. a.<br />

Kein schöner Land. Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit, München 2005; Der Terrorist als<br />

Gesetzgeber. Wie man Politik mit Angst macht, München 2008<br />

118<br />

119


Harald Schumann<br />

Prof. Dr. Volker Lilienthal<br />

Geboren 1957<br />

Redakteur für besondere Aufgaben bei „Der Tagesspiegel“, Berlin<br />

Geboren 1959<br />

Inhaber der Rudolf Augstein Stiftungsprofessur für „Praxis des Qualitätsjournalismus“ (Uni Hamburg)<br />

Werdegang<br />

Seit 10. 2004: Redakteur „Der Tagesspiegel“ Berlin<br />

2003 - 04: Redakteur im Berliner Büro des SPIEGEL<br />

2000 - 02: Ressortleiter Politik bei SPIEGEL ONLINE<br />

1992 - 2000: Redakteur im Berliner Büro des SPIEGEL<br />

1990 - 91: Leitender Redakteur beim Ost-Berliner „Morgen“<br />

1986 - 90: Wissenschaftsredakteur beim SPIEGEL<br />

1984 - 86: Redakteur für Umwelt und Wissenschaft bei der Berliner tageszeitung, Studium<br />

der Sozialwissenschaften in Marburg, Landschaftsplanung an der TU Berlin, Abschluss als<br />

Diplom-Ingenieur<br />

Auszeichnungen, u. a.<br />

Bruno-Kreisky-<strong>Preis</strong> für das politische Buch, (1997); Medienpreis Entwicklungspolitik, (2004);<br />

Gregor Louisoder-<strong>Preis</strong> für Umweltjournalismus, (2007); „Das politische Buch“, Friedrich-Ebert-<br />

Stiftung (<strong>2009</strong>)<br />

Veröffentlichungen, u. a.<br />

Futtermittel und Welthunger, Reinbek 1986; Die Globalisierungsfalle (gemeinsam mit Hans-Peter<br />

Martin), Reinbek 1996; attac – Was wollen die Globalisierungskritiker? (mit Christiane Grefe und<br />

Mathias Greffrath), Berlin 2002; Der globale Countdown, Gerechtigkeit oder Selbstzerstörung –<br />

die Zukunft der Globalisierung (gemeinsam mit Christiane Grefe), Köln 2008<br />

Werdegang<br />

2005 - <strong>2009</strong>: Verantwortlicher Redakteur von „epd medien“<br />

1997 - 2005: stellv. Ressortleiter „epd medien“<br />

Seit 1989: Redakteur beim Evangelischen Pressedienst (epd)<br />

1999: Lehrbeauftragter für Medienkritik und Medienjournalismus an der Universität Frankfurt /M.<br />

1996 - 98: journalistischer Berater und Autor der Wochenzeitung „DIE ZEIT“<br />

1988: Redakteur von „COPY“ (Handelsblatt-Verlag)<br />

1987: Dr. phil. in Germanistik der Universität-GH Siegen<br />

1983: Diplom-Journalist der Universität Dortmund<br />

Auszeichnungen, u. a.<br />

Leipziger <strong>Preis</strong> für die Freiheit und Zukunft der Medien (2006); Nominierung zum Henri Nannen<br />

<strong>Preis</strong> in der Sparte „Bestes investigatives Stück“ (2006); „Fachjournalist des Jahres“ (2005);<br />

„Reporter des Jahres“ (2005); „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ der Journalistenvereinigung<br />

„netzwerk recherche e. V.“ (2004); zweiter <strong>Preis</strong> „Bester wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz“<br />

der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft<br />

(DGPuK) (2004); „Besondere Ehrung“ beim Bert-Donnepp-<strong>Preis</strong> für Medienpublizistik (2002);<br />

Hans-Bausch-Mediapreis des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart (1997)<br />

Veröffentlichungen, u. a.<br />

Professionalisierung der Medienaufsicht (Hrsg., Wiesbaden <strong>2009</strong>); Literaturkritik als politische<br />

Lektüre, Am Beispiel der Rezeption der ,Ästhetik des Widerstands’ von Peter Weiss (Berlin 1988);<br />

Sendefertig abgesetzt. ZDF. SAT.1 und der Soldatenmord von Lebach (Berlin 2001); TV-Dokumentation<br />

„Der Giftschrank des deutschen Fernsehens“ 1994 auf VOX/DCTP.<br />

120<br />

121


Prof. Dr. Thomas Leif<br />

Berthold Huber<br />

Geboren 1959<br />

1. Vorsitzender ‘netzwerk recherche e. V.’<br />

Werdegang<br />

Seit <strong>2009</strong>: Moderator von „2+Leif“ (SWR)<br />

Seit 2001: Vorsitzender der Journalistenvereinigung netzwerk recherche e. V.<br />

Seit Januar 1997: Chefreporter Fernsehen beim SWR in Mainz<br />

Seit März 1995: Redakteur/Reporter beim SWR-Fernsehen<br />

Seit Mai 1985: fester freier Mitarbeiter beim Südwestrundfunk Mainz in den<br />

Redaktionen Politik, ARD Aktuell, Report u. a.<br />

1978 - 85: Studium der Politikwissenschaft, Publizistik und Pädagogik an der<br />

Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Bis 1989: Promotion<br />

Veröffentlichungen, u.a.<br />

Die strategische (Ohn)-Macht der Friedensbewegung. Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen<br />

in den achtziger Jahren (Opladen 1990); Rudolf Scharping, die SPD und die Macht (zus. mit<br />

Joachim Raschke) (Reinbek 1994); Leidenschaft: Recherche. Skandal-Geschichten und Enthüllungs-<br />

Berichte (Hrsg.) (Opladen 1998); Mehr Leidenschaft: Recherche. Skandal-Geschichten und Enthüllungsberichte.<br />

Ein Handbuch zu Recherche und Informationsbeschaffung (Hrsg.) (Opladen 2003);<br />

Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland (Hrsg.) (Wiesbaden 2006); Beraten und Verkauft.<br />

McKinsey & Co. – der große Bluff der Unternehmensberater (Gütersloh 2007); 10. Auflage; Aktualisierte<br />

Neuauflage; (München 2008) (Taschenbuch); Angepasst und Ausgebrannt. Die Parteien in<br />

der Nachwuchsfalle (München <strong>2009</strong>)<br />

Geboren 1950<br />

Erster Vorsitzender der IG Metall<br />

Vorsitzender des Verwaltungsrates der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung<br />

Werdegang<br />

Seit 2007: Erster Vorsitzender der IG Metall<br />

2003 - 2007: Zweiter Vorsitzender der IG Metall<br />

1998 - 2003: Bezirksleiter für Baden-Württemberg<br />

1993 - 1998: Koordinierender Abteilungsleiter, Zweiter Vorsitzender (Walter Riester)<br />

1991 - 1993: Abteilungsleiter, Erster Vorsitzender (Franz Steinkühler)<br />

ab 1990: Hauptamtliche Tätigkeit bei der IG Metall in Ostdeutschland<br />

1985: Studium der Geschichte und Philosophie an der Universität Frankfurt<br />

1978: Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsvorsitzender<br />

1971: Ausbildung zum Werkzeugmacher und Tätigkeit bei der Firma Kässbohrer<br />

(heute Evo-Bus) in Ulm<br />

Aufsichtsratmandate<br />

Audi AG, Ingolstadt (stellvertretender Vorsitzender); Siemens AG, München (stellvertretender<br />

Vorsitzender); Porsche Automobil Holding SE, Stuttgart<br />

122<br />

123


Daten und Fakten zum <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> <strong>2009</strong><br />

Termine<br />

Bewerbungszeitraum 01.04. - 15.08.<strong>2009</strong><br />

Jury-Sitzung<br />

08.10.<strong>2009</strong> Frankfurt/Main<br />

<strong>Preis</strong>verleihung<br />

17.11.<strong>2009</strong> Berlin<br />

Eingereichte Bewerbungen 510<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> 397<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> „Spezial“ 47<br />

Newcomer/Medienprojektpreis 38<br />

<strong>Preis</strong>träger<br />

Medienprojektpreis Attac Deutschland<br />

Recherche-Stipendien Sandro Mattioli, freier Reporter (Rom)<br />

Tina Groll (ZEIT-online)<br />

Marianne Wendt und Maren-Kea Freese<br />

1. <strong>Preis</strong> Marc Thörner (Deutschlandfunk)<br />

2. <strong>Preis</strong> Ulrike Brödermann und Michael Strompen (ZDF)<br />

3. <strong>Preis</strong> Simone Sälzer (Passauer Neue Presse)<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> „Spezial“ Christian Semler, freier Autor (taz)<br />

Recherche-Stipendium 28<br />

<strong>Preis</strong>gelder<br />

45.000 Euro (insgesamt)<br />

1. <strong>Preis</strong> 10.000 Euro<br />

2. <strong>Preis</strong> 5.000 Euro<br />

3. <strong>Preis</strong> 3.000 Euro<br />

Spezial-<strong>Preis</strong><br />

drei Recherche-Stipendien<br />

Medienprojektpreis<br />

10.000 Euro<br />

je 5.000 Euro<br />

2.000 Euro<br />

124<br />

125


<strong>Preis</strong>träger 2005 - 2008<br />

2008<br />

2007<br />

2006<br />

2005<br />

1. <strong>Preis</strong>:<br />

Anita Blasberg und Marian Blasberg<br />

für „Abschiebeflug FHE 6842“<br />

(ZEIT - Magazin LEBEN, Nr. 03/2008)<br />

2. <strong>Preis</strong>:<br />

Jürgen Döschner<br />

für „Fire and Forget – Krieg als<br />

Geschäft“ (WDR 5, 21. März 2008)<br />

3. <strong>Preis</strong>:<br />

Steffen Judzikowski und<br />

Hans Koberstein<br />

für „Das Kartell – Deutschland im Griff<br />

der Energiekonzerne“<br />

(ZDF, Frontal21, 14. August 2007)<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> „Spezial“:<br />

Christian Bommarius<br />

Kommentare, Meinungsbeiträge,<br />

Leitartikel, Essays (Berliner Zeitung)<br />

Medienprojektpreis:<br />

Andrea Röpke<br />

für „langwierige und schwierige<br />

Recherchen in der Neonazi-Szene“<br />

Recherche-Stipendien:<br />

Veronica Frenzel, Clemens Hoffmann,<br />

N.N. (verdeckte Recherche)<br />

1. <strong>Preis</strong>:<br />

Michaela Schießl<br />

für „Not für die Welt“<br />

(Der Spiegel 19/2007)<br />

2. <strong>Preis</strong>:<br />

Ingolf Gritschneder<br />

für „Profit um jeden <strong>Preis</strong> –<br />

Markt ohne Moral“<br />

(WDR, 28. Februar 2007)<br />

3. <strong>Preis</strong>:<br />

Markus Grill<br />

Die Jury würdigt Markus Grills<br />

Gesamtwerk an pharmakritischer<br />

Berichterstattung<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> „Spezial“:<br />

Tom Schimmeck (freier Autor)<br />

für „Angst am Dovenfleet“<br />

(taz, 30. Dezember 2006)<br />

Recherche-Stipendien:<br />

Katrin Blum, Thomas Schuler und<br />

Martin Sehmisch<br />

1. <strong>Preis</strong>:<br />

Redaktion „Der Tag“ – hr2<br />

für Radiobeiträge „Der Tag“ – hr2<br />

2. <strong>Preis</strong>:<br />

Frank Jansen<br />

Die Jury würdigt Frank Jansens<br />

Langzeit-Reportagen über<br />

die Opfer rechtsextremer Gewalt<br />

in Deutschland<br />

3. <strong>Preis</strong>:<br />

Redaktion „ZAPP“ – NDR<br />

für ihren TV-Beitrag<br />

„Verdeckt, versteckt, verboten –<br />

Schleichwerbung und PR in den<br />

Medien“ (NDR, 2. November 2005)<br />

Newcomer-<strong>Preis</strong>:<br />

Lutz Mükke<br />

für seinen Beitrag<br />

„Der Parlamentsbroker“<br />

(Medienmagazin Message,<br />

4. Quartal 2005)<br />

Recherche-Stipendien:<br />

Boris Kartheuser, Thomas Schnedler<br />

und Melanie Zerahn<br />

1. <strong>Preis</strong>:<br />

Markus Rohwetter<br />

für „Ihr Wort wird Gesetz“<br />

(Die Zeit, 6. Oktober 2005)<br />

2. <strong>Preis</strong>:<br />

Nikola Sellmair<br />

für „Kollege Angst“<br />

(Stern, 31. März 2005)<br />

3. <strong>Preis</strong>:<br />

Brigitte Baetz<br />

für ihren Hörfunkbeitrag<br />

„Meinung für Millionen –<br />

Wie Interessengruppen die öffentliche<br />

Meinungsbildung beeinflussen“<br />

(Deutschlandfunk, 26. August 2005)<br />

Newcomer-<strong>Preis</strong>:<br />

Maximilian Popp<br />

für „Passauer Neue Mitte“<br />

(Schülerzeitung „Rückenwind“,<br />

März 2005)<br />

Medienprojektpreis:<br />

Andreas Hamann und Gudrun Giese<br />

für „Schwarzbuch Lidl“<br />

Recherche-Stipendien:<br />

Golineh Atai, Julia Friedrichs und<br />

Astrid Geisler<br />

126<br />

127


OTTO BRENNER PREIS<br />

FÜR KRITISCHEN JOURNALISMUS 2010<br />

„Nicht Ruhe und Unterwürfigkeit gegenüber der Obrigkeit ist die erste<br />

Bürger pflicht, sondern Kritik und ständige demokratische Wachsamkeit.“<br />

(<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> 1968)<br />

Ausschreibung<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> 2010<br />

Es werden Beiträge prämiert, die für einen kriti schen Jour na lis mus<br />

vorbildlich und beispielhaft sind und die für demo kra tische und gesel l -<br />

schaftspolitische Verant wor tung im Sinne von <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> stehen.<br />

Vorausgesetzt werden gründliche Recherche und eingehende Analyse.<br />

Der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> ist mit einem <strong>Preis</strong>geld<br />

von 45.000 Euro dotiert, das sich wie folgt aufteilt:<br />

1. <strong>Preis</strong> 10.000 Euro<br />

2. <strong>Preis</strong> 5.000 Euro<br />

3. <strong>Preis</strong> 3.000 Euro<br />

Zusätzlich vergibt die <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung:<br />

für die beste Analyse (Leitartikel, Kommentar, Essay)<br />

den <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> „Spezial“ 10.000 Euro<br />

in Zusam men arbeit mit „netzwerk recherche e. V.“<br />

drei Recherche-Stipendien von je 5.000 Euro<br />

und für Nachwuchsjournalisten oder Medienprojekte<br />

den „Newcomer- /Medienprojektpreis“ 2.000 Euro<br />

Einsendeschluss: 13. August 2010<br />

Die Bewerbungsbögen mit allen erforderlichen Informationen erhal ten Sie unter:<br />

www.otto-brenner-preis.de<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung<br />

Wilhelm-Leuschner-Str. 79<br />

60329 Frankfurt am Main<br />

E-mail: info@otto-brenner-preis.de<br />

Tel.: 069 / 6693 - 2576<br />

Fax: 069 / 6693 - 2786


Spendenkonten der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung<br />

Die <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung ist die gemeinnützige Wissenschaftsstiftung der IG Metall mit Sitz in<br />

Frankfurt/Main. Als Forum für gesellschaftliche Diskurse und Einrichtung der Forschungsförderung<br />

ist sie dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem<br />

Ausgleich zwischen Ost und West.<br />

Sie ist zuletzt durch Bescheid des Finanzamtes Frankfurt/M. V-Höchst vom 20. März <strong>2009</strong> als<br />

ausschließlich und unmittelbar gemeinnützig anerkannt worden.<br />

Aufgrund der Gemeinnützigkeit der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung sind Spenden steuerlich absetzbar<br />

bzw. begünstigt.<br />

Geben Sie bitte Ihre vollständige Adresse auf dem Überweisungsträger an, damit wir Ihnen nach<br />

Eingang der Spende eine Spendenbescheinigung zusenden können oder bitten Sie in einem kurzen<br />

Schreiben an die Stiftung unter Angabe der Zahlungsmodalitäten um eine Spendenbescheinigung.<br />

Spenden erfolgen nicht in den Vermögensstock der Stiftung, sie werden ausschließlich für Projekte<br />

entsprechend des Verwendungszwecks genutzt.<br />

Bitte nutzen Sie folgende Spendenkonten<br />

Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von<br />

Wissenschaft und Forschung zu den Schwerpunkten:<br />

– Förderung der internationalen Gesinnung und des Völkerverständigungsgedankens<br />

Konto: 905 460 03 Konto: 161 010 000 0<br />

BLZ: 500 500 00 oder BLZ: 500 101 11<br />

Bank: HELABA Frankfurt/Main Bank: SEB Bank Frankfurt/Main<br />

Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von<br />

Wissenschaft und Forschung zu den Schwerpunkten:<br />

– Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland<br />

(einschließlich des Umweltschutzes),<br />

– Entwicklung demokratischer Arbeitsbeziehungen in Mittel- und Osteuropa,<br />

– Verfolgung des Zieles der sozialen Gerechtigkeit.<br />

Konto: 905 460 11 Konto: 198 736 390 0<br />

BLZ: 500 500 00 oder BLZ: 100 101 11<br />

Bank: HELABA Frankfurt/Main Bank: SEB-Bank Berlin<br />

Verwaltungsrat und Geschäftsführung der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung danken für die finanzielle<br />

Unterstützung und versichern, dass die Spenden ausschließlich für den gewünschten Verwendungszweck<br />

genutzt werden.<br />

Impressum<br />

Herausgeber<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung<br />

Wilhelm-Leuschner-Str. 79<br />

60329 Frankfurt / Main<br />

Verantwortlich<br />

Jupp Legrand<br />

Redaktion<br />

Jan Burzinski und<br />

Jupp Legrand<br />

Artwork<br />

N. Faber de.sign, Wiesbaden<br />

Fotonachweis S. 112: Markus Kirsch<br />

Druck<br />

ColorDruckLeimen GmbH<br />

Redaktionsschluss<br />

4. März 2010<br />

130<br />

131


Inhaltsverzeichnis der DVD<br />

1. Eingangspräsentation zur <strong>Preis</strong>verleihung <strong>2009</strong><br />

2. Medienprojektpreis<br />

„DIE ZEIT“-Plagiat<br />

3. Hörfunkbeitrag 1. <strong>Preis</strong><br />

„Wir respektieren die Kultur“<br />

Marc Thörner<br />

4. Fernsehbeitrag 2. <strong>Preis</strong><br />

„Der gläserne Deutsche – wie wir Bürger ausgespäht werden“<br />

Ulrike Brödermann und Michael Strompen<br />

5. Artikelserie 3. <strong>Preis</strong><br />

„Leben in Würde“<br />

Simone Sälzer<br />

6. <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> <strong>Preis</strong> „Spezial“<br />

Serie von Zeitungsbeiträgen<br />

Christian Semler<br />

7. Ergebnis eines Recherche-Stipendiums<br />

„Nächster Halt Huelva“<br />

Veronica Frenzel<br />

132


www.otto-brenner-preis.de<br />

www.otto-brenner-stiftung.de

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