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128 Diskussion bisherige Studienlage hat bisher keinen inhaltlich schlüssigen Zusammenhang zwischen präattentiver und kontrollierter Informationsverarbeitung aufzeigen können. Eine alternative Erklärung für die bisher widersprüchlichen Befunde bieten Scholes & Martin- Iverson (2009, 2010) an. Sie verwendeten ein statistisches Verfahren aus dem Bereich der Psychopharmakotherapie - die Schild- Plot Analyse - zur Bestimmung verschiedener Parameter (R MAX , hillslope, treshold, EC 50 ) der Schreckreizkurve in einem aufmerksamkeitsmodulierenden Paradigma. Sie wiesen nach, dass PPI- Defizite in der passiven Bedingung durch eine mangelnde selektive Aufmerksamkeit bei schizophrenen Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen erklärbar waren. Das würde bedeuten, dass nicht eine verminderte präattentive Aufmerksamkeit eine verminderte selektive Aufmerksamkeit bedingt, sondern dass umgekehrt eine verminderte selektive Aufmerksamkeit in der verminderten präattentiven Aufmerksamkeit abgebildet wird. In diesem Bereich stehen noch zukünftige Studien aus, die diese ersten Hinweise auf einen Paradigmenwechsel bestätigen können. Vielleicht ist die „vorbewusste Aufmerksamkeits- Filterfunktion“ im Sinne Braffs (1991), die auf der Filtertheorie der Aufmerksamkeit im Sinne Broadbents (1957) basiert, zu überdenken (vergleiche auch Nuechterlein et al., 2006). Vielleicht beschreibt der reflexhafte (auf Hirnstammebene verschaltete) „Entdeckungsschutz“ im Sinne Grahams (1992) die Präpulsinhibition besser. Blumenthal (1999) schlug diplomatisch vor, dass beide Ansichten ihre Berechtigung haben und vielleicht verschiedene Aspekte der gleichen Sache beschreiben. Von einem Reflex würde man jedoch keine Kovariation zu einem kontrollierten Aufmerksamkeitstest erwarten. Es ist vorstellbar, dass so ein „Entdeckungsschutzreflex“ in der Allgemeinbevölkerung normalverteilt auftritt und sowohl durch neurologische als auch psychopharmakologische Störungen beeinträchtigt wird. Die Modulation dieses „Entdeckungsschutzreflexes“ durch Aufmerksamkeit könnte zum einen inkonsistente Daten erklären und würde dann auch eher motivationale oder psychologische Erklärungen erlauben im Gegensatz zu zugrundeliegenden neurobiologischen Defiziten. Motivationale oder psychologische Faktoren könnten auch die Frage beantworten, was Patienten mit einer ADS, einer Schizophrenie oder einer Alzheimer Demenz u.a. mit Enuretikern pathogenetisch gemeinsam haben, da für alle Gruppen PPI-Defizite nachgewiesen wurden (Braff et al., 2001; Ornitz et al., 1999).

Diskussion 129 6.6 Informationsverarbeitung bei schizophrenen Patienten: Zusammenfassung und Ausblick Die bisherigen Befunde und die vorliegenden Studienergebnisse zusammenfassend gibt es für die Informationsverarbeitung der Schizophrenie betreffend eine „gute“ und eine „schlechte“ Nachricht. Ich möchte mit der schlechten Nachricht beginnen und zitiere Lavretsky (2008): „Despite extensive research, the international psychiatric community still lacks diagnostic precision, clarity of etiology, and knowledge of underlying pathophysiology of schizophrenia." (S.3). Andreasen (2000) spricht sogar von einem „Friedhof“: “The study of neuropathology of schizophrenia is sometimes called a “graveyard”. (…) Perhaps this is because we have been looking in the wrong place or thinking in the wrong way.” (S. 110). Zum aktuellen Zeitpunkt, wie u.a. Lawrie, Olabi, Hall & McIntosh (2011) in ihrem Übersichtsartikel darlegten, gibt es keine konsistenten Befunde in der Genetik, der Neuroanatomie, der Physiologie, der Psychophysiologie oder der Neuropsychologie, die Schizophreniespezifische Defizite frei von Artefakten oder nachgewiesenen Einflussfaktoren belegen könnten. Das hat verschiedene Arbeitsgruppen wiederholt über das Wesen der Erkrankung und zuallererst über die Diagnostik nachdenken lassen (zum Beispiel Andreasen, 2000; Braff et al., 2007; Heinrichs, 1993). Inkonsistente Befunde lassen eine inkonsistente Diagnostik vermuten. Tatsächlich sind die schizophrenen Subtypen zeitlich instabil und nicht ko - exklusiv (Goldberg & Weinberger, 1995; Heinrichs, 1993). Die für die Bestimmung der Subtypen zugrundeliegende schizophrene oder psychotische Symptomatik tritt auch im Rahmen anderer psychischer und neurologischer Erkrankungen auf, ist also nicht für die Diagnose der Schizophrenie spezifisch (Heinrichs, 1993; Lawrie et al., 2011). So schlägt van Os (2009) für das DSM-V sogar vor, einen neuen Begriff, nämlich das „salience syndrome“ (Salienz- Syndrom) einzuführen, denn „evidence suggests that the natural phenotype for psychosis is dimensional, with different domains of distributed positive, negative, disorganization, depressive, manic and neurocognitive symptoms that are continuous with normal mentation and relatively non-specific with regard to traditional diagnostic constructs, or at least not specific enough to be of diagnostic value (…)”. Keshavan, Nasrallah & Tandon (2011) schlagen den Begriff der „psychosis spectrum disorder“ sowie ein multi- dimensionales Konstrukt namens „disease space“ bestehend aus Gen- und Umweltrisikofaktoren und einer Krankheitsausprägung auf molekularer, physiologischer und Verhaltensebene vor. Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Diskussion über den Erkrankungsbegriff und dem zugrundeliegende Störungsmodell nicht abgeschlossen, verdeutlicht jedoch, dass die Arbeit mit den bis-

Diskussion 129<br />

6.6 Informationsverarbeitung bei schizophrenen Patienten: Zusammenfassung und<br />

Ausblick<br />

Die bisherigen Befunde und die vorliegenden Studienergebnisse zusammenfassend gibt es<br />

für die Informationsverarbeitung der Schizophrenie betreffend eine „gute“ und eine<br />

„schlechte“ Nachricht. Ich möchte mit der schlechten Nachricht beginnen und zitiere Lavretsky<br />

(2008): „Despite extensive research, the international psychiatric community still<br />

lacks diagnostic precision, clarity of etiology, and knowledge of underlying pathophysiology<br />

of schizophrenia." (S.3). Andreasen (2000) spricht sogar von einem „Friedhof“: “The study<br />

of neuropathology of schizophrenia is sometimes called a “graveyard”. (…) Perhaps this is<br />

because we have been looking in the wrong place or thinking in the wrong way.” (S. 110).<br />

Zum aktuellen Zeitpunkt, wie u.a. Lawrie, Olabi, Hall & McIntosh (2011) in ihrem Übersichtsartikel<br />

darlegten, gibt es keine konsistenten Befunde in der Genetik, der Neuroanatomie,<br />

der Physiologie, der Psychophysiologie oder der Neuropsychologie, die Schizophreniespezifische<br />

Defizite frei von Artefakten oder nachgewiesenen Einflussfaktoren belegen<br />

könnten. Das hat verschiedene Arbeitsgruppen wiederholt über das Wesen der Erkrankung<br />

und zuallererst über die Diagnostik nachdenken lassen (zum Beispiel Andreasen, 2000; Braff<br />

et al., 2007; Heinrichs, 1993). Inkonsistente Befunde lassen eine inkonsistente Diagnostik<br />

vermuten. Tatsächlich sind die schizophrenen Subtypen zeitlich instabil und nicht ko - exklusiv<br />

(Goldberg & Weinberger, 1995; Heinrichs, 1993). Die für die Bestimmung der Subtypen<br />

zugrundeliegende schizophrene oder psychotische Symptomatik tritt auch im Rahmen<br />

anderer psychischer und neurologischer Erkrankungen auf, ist also nicht für die Diagnose<br />

der Schizophrenie spezifisch (Heinrichs, 1993; Lawrie et al., 2011). So schlägt van Os<br />

(2009) für das DSM-V sogar vor, einen neuen Begriff, nämlich das „salience syndrome“<br />

(Salienz- Syndrom) einzuführen, denn „evidence suggests that the natural phenotype for<br />

psychosis is dimensional, with different domains of distributed positive, negative, disorganization,<br />

depressive, manic and neurocognitive symptoms that are continuous with normal<br />

mentation and relatively non-specific with regard to traditional diagnostic constructs, or at<br />

least not specific enough to be of diagnostic value (…)”. Keshavan, Nasrallah & Tandon<br />

(2011) schlagen den Begriff der „psychosis spectrum disorder“ sowie ein multi- dimensionales<br />

Konstrukt namens „disease space“ bestehend aus Gen- und Umweltrisikofaktoren und<br />

einer Krankheitsausprägung auf molekularer, physiologischer und Verhaltensebene vor. Zum<br />

aktuellen Zeitpunkt ist die Diskussion über den Erkrankungsbegriff und dem zugrundeliegende<br />

Störungsmodell nicht abgeschlossen, verdeutlicht jedoch, dass die Arbeit mit den bis-

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