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ZÜRICH UM 1780 - Neue Zürcher Zeitung

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Steile ÄicrÄnifl<br />

WOCHENENDE<br />

009/77<br />

SamjU»/SonnUf, 12./ 13. Januar 19Ü0 Nr. 9 77<br />

Das ausgehende 18. Jahrhundert erlebte eine Welle patriotischer Begeisterung und Besinnung aufalte Bräuche. Seit 1784 publizierte die «Musikgesellschaft aufder Deutschen Schule» jährlich einen Band «Nationale Kinderlieder<br />

ßr die zürcherische Jugend», in welchem solche Bräuche dargestellt wurden. Hier die Knaben der Metzgerzunft bei ihrem Aschermittwoch-Umzug zur Erinnerung an die Mordnacht von 1350.<br />

i<br />

Die Stadt, in der .vor 200 Jahren, am 12. Januar<br />

<strong>1780</strong>, erstmal s die «<strong>Zürcher</strong> <strong>Zeitung</strong>» erschien,<br />

war nicht mehr, wie in der Jahrhundertmitte,<br />

die Hochburg des geistigen Lebens im<br />

deutschen Sprachraum. Aber noch Hei ein Abglanz<br />

der sich zu Ende neigenden ruhmreichen<br />

Epoche Ober Zürich. Johann Jakob<br />

Breitinger<br />

war zwar schon 1776 gestorben, aber noch lebte<br />

sein Kampfgefährte, Johann Jakob Bodmer,<br />

hochbetagt in seinem Haus «am Berg». Salomon<br />

Gessner, gleichermassen berühmt als Idyllendichter<br />

wie als Maler, hatt e sich noch nicht<br />

in sein Refugium im Sihlwald zurückgezogen,<br />

und die von ihm mitgetragene Verlagsbuchhandlung<br />

und Druckerei von Orell, Gessner,<br />

Füssli und Compagnie, die auch die neue «<strong>Zürcher</strong><br />

<strong>Zeitung</strong>» herausgab, genoss einen Ruf, der<br />

weit über die Landesgrenzen hinausging und<br />

selbst dem jungen Goethe den begeisterten Ausruf<br />

entlockte, dieser einzige Verlag hab e ebenso<br />

viele gute Werke publiziert wie der halbe Buchhandel<br />

Deutschlands zusammen. Und da lebten<br />

noch in Zürich Pfarrer Johann Kaspar Lavater<br />

und Bäbe Schulthess, bei denen Goethe freundschaftlich<br />

verkehrt hatte, Johann Heinrich Pestalozzi,<br />

der eben daran war, seinen Erziehungsroman<br />

«Lienhard und Gertrud» fertigzustellen,<br />

der Philosoph Johann Georg Sulzer, der Maler<br />

und Fabeldichter Ludwig Meyer von Knonau,<br />

der Arzt Johann Kaspar Hirzel, der einst den<br />

philosophischen Bauern «Kleinjogg» geschildert<br />

hatte, der Naturforscher Johann Gessner<br />

und viele andere. Der deutsche Schriftsteller<br />

<strong>ZÜRICH</strong> <strong>UM</strong> <strong>1780</strong><br />

Vor Alfred Cat tani<br />

Wilhelm Heinse, .damals zu Besuch in Zürich, gleicher. .Zejt erbauten Haus zur Krone, dem <strong>Zeitung</strong>en<br />

,<br />

behauptete sogar, in der kleinen Stadt von<br />

heutigen Rechberg.<br />

;<br />

Schöne<br />

Innenausstattungen' reiche .<br />

Lund Zeitschriften wurden in<br />

- der<br />

10000 Bewohnern lebten 800 Personen, die; und reichverzierte schmiedeiserne Portale zeugten<br />

von gutem Geschmack. 1778 waren auf prischeinenden<br />

«<strong>Zürcher</strong> <strong>Zeitung</strong>» gab es die<br />

so verlags- und dfückfrcudigen Stadt herausgegeben:<br />

neben der wöchentlich zweimal er-<br />

schon etwas hätten drucken lassen . .<br />

vate Initiative hin die ersten öffentlichen Oellampen<br />

installiert worden, beim Rathaus , oben richten», ein Anzeigenblatt; dazu Zeitschriften<br />

«Freitags-<strong>Zeitung</strong>» und die «Donnstags-Nach-<br />

«Enge, krumme, übelriechende Gassen . . .»<br />

Zürich war nach wie vor ein wichtiges an der Marktgasse und in vielen andern Quartieren.<br />

Meiners liess sich durch die äussere Beter<br />

(ab 1781) die «Monatlichen Nachrichten».<br />

wie die «FreymQthigen Nachrichten» und spä-<br />

Ziel<br />

der im 18. Jahrhundert so beliebten Bildungsreisen.<br />

Christoph Meiners, scheidenheit der Privathäuser nicht täuschen, Die Stadtbibliothek, damals in der Wasserkirche,<br />

verfügte über reichhaltige Bestände und ge-<br />

Professor der Philosophie<br />

in Göttingen,<br />

wenn er konstatiert:<br />

der die Stadt im Sommer<br />

1783 besuchte, schildert sie so:<br />

«Unter den Borgern und Einwohnern von Zürich<br />

findet sich viel Wohlhabenheit; allein noch<br />

noss weitherum einen guten Ruf.<br />

«Zürich... ist in zwo ungleiche Hälften gethcilt.<br />

Die so genannte grosse Stadt (d. hat das Glück nicht in den Händen von Wenigen «Das Vieltrinken war so ziemlich gemein»<br />

h. die Quartiere<br />

rechts der Limmat) ungeheure ReichthOmer versammlet . . . Hunderttausend<br />

Gulden machen in dieser Stadt, wo Han-<br />

Kaspar Heidegger,<br />

hat wie fast alle<br />

Das tägliche Leben war einfach. Johann<br />

Städte<br />

meistens enge, krumme, übelriechende und oft<br />

einer der Teilhaber bei<br />

so<br />

steile Gassen, dass es nicht möglich wäre, del und Fabriken so sehr blühen, schon einen reichen<br />

Mann; und nur wenige giebt Füssli und Compagnie, be-<br />

es, die zwey-<br />

Orell, Gessner,<br />

mit einem<br />

Fuhrwerk oder auch nur mit einem Pferde oder dreymal schwört am Jahrhundertende, 1797, in einem<br />

so viel besitzen.»<br />

nostalgisch angehauchten<br />

hinanzuklimmcn. Die öffentlichen Gebäude sind<br />

Rückblick die Vergangenheit,<br />

alle schön und prächtig: die" Häuser der Einwohner<br />

aber im Durchschnitt weder in die Augen Dieser von Gewerbefleiss und unternehmerischem<br />

Geschick herrührende Wohlstand bildete<br />

wobei er über <strong>1780</strong> zurückgeht und<br />

fallend<br />

noch weitläufig; wohl manches beschönigend verklärt:<br />

doch Finden sich in der kleinen<br />

Stadt (d. h. links der Limmat) den äusseren Rahmen jenes regen Geisteslebens,<br />

dessen sich Zürich im Rokoko rühmen<br />

«Unsere Väter», sagt er, «richteten sich nach<br />

viele schöne Privatgebäude,<br />

so wie auch gerade und breite Strassen.<br />

Die Häuser habe n alle Zeichen und Benenschaften<br />

waren damals gegründet nem Geschäfte. Wenn es Abend war, besuchte der<br />

worden, wie<br />

durfte. Zahlreiche Bildungsvereine der Tageszeit . . . Alles war früh und jeder in sei-<br />

und Gesellnungen<br />

wie in Teutschland die Gasthöfe: zum<br />

Beyspiel zur Reblaube, zum gewundenen die Naturforschende oder Physikalische Hausvater etwa einen Spaziergang, und zuweilen,<br />

Gesellschaft,<br />

welche die berühmten<br />

nicht täglich, eine Gesellschaft, wo dann freilich<br />

Sehwerdt ...»<br />

«Bauerngespräche»<br />

organisierte, in denen Ober Entwicklung<br />

die Massigkeit im Trinken keine der ersten Tugenden<br />

war. Das Vieltrinken war so ziemlich gemein,<br />

In den drei Jahrzehnten vor <strong>1780</strong> waren in<br />

Zürich tatsächlich einige und Rationalisierung der Landwirtschaft diskutiert<br />

wurde, die Cosmographische Gesellschaft, nach<br />

doch kehrten die Väter spätestens um sieben Uhr<br />

bauliche Akzente gesetzt<br />

worden: in der 1752 Hause, wo die Hausgenossen alle schon seiner<br />

warteten, und alles legte sich früh zu Bett»<br />

erstellten neuen die Mathematisch-Militärische, die<br />

Meise, im Waisenhaus, Helvetische<br />

das 1771 eröffnet wurde Gesellschaft, die den Bürgersinn pflegen und «Die damalige Lebensart», so heisst es an anderer<br />

Stelle, «war so einfach, dass man ganz (heute Amtshaus I) und in dem ungefähr zu erneuern wollte, und viele andere mehr. Zahl-<br />

fried-<br />

Hochzeitsfeier einer vornehmen Familie (Stiche von David Herrliberger). Im Bild links der Hochzeitszug, der sich über die Sihlbrücke nach Altstetten begibt, dessen Kirche damals ein bevorzugter Ortfür Eheschliessungen war. Rechtes<br />

Bild: Gratulationscour vor dem Brautpaar, das sich unter dem Spiegel aufgestellt hau um die Glückwünsche der Verwandten entgegenzunehmen.<br />

>;* <strong>Neue</strong> <strong>Zürcher</strong> <strong>Zeitung</strong> vom 12.01.1980


I<br />

.<br />

009/78 /"<br />

78 SaauUt/SoiiiiUtlZ/D. Juror IMO Nr. WOCHENENDE dleue<br />

=3iirdjcr 3citaitg<br />

verstorbene Maler und Fabeldichter Ludwig<br />

Meyer von Knonau:<br />

«Der geringste zürcherische Bürger hatte als<br />

regimentsfähig das tiefe Gefühl, mehr zu sein als<br />

irgendein Landmann. Der Bäcker, von dem meine<br />

Ehern das Brot kauften, ... war ein talentvoller,<br />

der Geschäfte kundiger Mann, ... ein sehr angesehener<br />

Zunftmeister, und man näherte sich ihm in<br />

ehrerbietiger Haltung. So verhielt es sich noch mit<br />

mehreren Andren, und eine grosse Zahl von<br />

Handwerkern war berechtigt,<br />

als Glieder des<br />

Grossen Radus Ehrerbietung zu fordern.»<br />

Der Einfalt an Kleidern entspricht das übrige<br />

Hausger&th, selbst in wohlhabenden Häusern.<br />

Man findet es durchgehends bequem, reinlich und<br />

zierlich; aber<br />

nirgends oder selten sehr kostbar...<br />

An den Frauenzimmern sieht man hier gar<br />

keine Schminke und sehr wenig von französischen<br />

Moden und Sitten, ungeachtet viele Jünglinge und<br />

Männer in Frankreich gedient haben, oder noch<br />

dienen. Weiber und Jungfrauen haben noch die<br />

liebenswürdige Bescheidenhei<br />

t und Schüchternheit<br />

... Die Ehen sind zwar hier so wenig als an<br />

irgendeinem anderen Orte auf der Erde unverleu-<br />

&,"$&*£*&&*#.<br />

Das 1752 von David Morf erbaute Zunfthaus zur Meisen (oben die Ansicht vom Münsterhof aus). Der Bau<br />

fand damals bei den <strong>Zürcher</strong>n keineswegs ein ungeteiltes Lob.<br />

Jahrmarkt aufdem Münsterhof. In der Bildmitte im Mittelgrund der 1 766/67 erbaute Brunnen, der heftig kritisiert<br />

und schliesslich 1811 wieder abgebrochen wurde.<br />

Zunftregime<br />

Freilich war die Zeit kcineswcg so idyllischfriedlich<br />

und spannungslos. Ganz im Gegenteil.<br />

lieh en famille. lebte, das ist. Vater, Mutter und Der geistige Aufbruch Zürichs hatte vor allem<br />

Kinder bewohnten nur ein<br />

Stube und hatten gewöhnlich<br />

auch nur eine . . . Selbst ein Mann von sche hinaus auch nach politischer Erneuerung<br />

die Jugend, die über das Literarisch-Künstleri-<br />

senatorischer Würde machte hierin selten eine strebte, bald in Konflikt mit der Obrigkeit ge-<br />

Ausnahme. Er genügte sich, in einer Ecke seiner<br />

Stube seine Geschäftsstelle zu haben. Die Frau<br />

und die Kinder umschlossen den Tisch mit häuslichen<br />

Arbeiten, und das Spinnrad misstönte in keinem<br />

Ohr; auch nicht das Gekreische der kleinen<br />

Kinder . . . Kam ein ehrlicher Bürger oder Bauer,<br />

der (GeschäfIs-)Verkehr hatte, so geschah es im<br />

-"<br />

'Beisein der Familie :.. Diese offene Verhandlung<br />

. . . gab Erfahrungen, die manche Frau fähig<br />

machten, den Mann gut zu beraten . . . Daher ist es<br />

gekommen, dass ich verschiedene alte Frauen<br />

kannte, die, ohne die mindeste schulmässige Kultur<br />

genossen zu haben, doch so viel Weltklugheit<br />

hatten, ... ihr Heimwesen gut zu verwalten . . .; ja<br />

ich kannte welche, die einen Platz auf einem Richterstuhl<br />

besser und viel ehrenhafter würden besetzt<br />

haben als mancher Mann.»<br />

bracht, die streng über ihre Privilegien wachte.<br />

Die Verfassung war oligarchisch, mit einigen<br />

demokratischen Zügen. 1776 teilten sich 75 Familien<br />

in ein Regime, dessen hervorstechendstes<br />

Merkmal das Zunftwesen, die Bewahrung der<br />

Handels- und Gewerbevorrechte waren. Nach<br />

Auffassung von Johann Caspar Bluntschli, dem<br />

Historiker, Politiker und Staatsrechtler, der einige<br />

Jahrzehnte spater die politischen und gesellschaftlichen<br />

Zustände des Ancien regime<br />

kritisch analysierte, hatte die zürcherische Aristokratie<br />

«nie den grossartigen Charakter des Berner Patriziates,<br />

sondern behielt einen Anstrich von spiessbürgerlicher<br />

Beschränktheit und Kramerei. Sie<br />

war eher hochmütig als stolz, eher nach Gewinn<br />

als nach Ehre begierig, eher kaufmännisch als adelig.»<br />

Die regierenden Häupter Zürichs verfügten<br />

jedoch über eine fest verankerte Autorität. In<br />

seinen Lebenserinnerungen schreibt der 1785<br />

Und Bluntschli erklärt:<br />

«Nicht als ob die Aristokratie der Stadt bösartig<br />

oder tyrannisch gewesen wäre, nur in gewerblichen<br />

Sachen war sie drückend, in den übrigen<br />

durchgängig milde, hausväterlich und wohlwollend.»<br />

Sittenmandate und Zensur<br />

Ein wichtiges Instrument dieses patriarchalischen<br />

Regiments waren die Kleider- und Sittenmandate,,<br />

grundlegend jenes von 1755, das<br />

mehrmals, zuletzt noch 1779, erneuert und ergänzt<br />

worden war. Der durchreisende Meiners<br />

berichtet darüber:<br />

«Mannspersonen dürfen weder Gold noch Silber,<br />

noch Sammet oder Seide; Frauenzimmer<br />

keine Edelgesteine, Spitzen oder Federn tragen.<br />

Wenn die letztern in die Kirche gehen, müssen sie<br />

mit einem langen schwarzen Kleide von wollenem<br />

Zeug angethan und ihr Haar mit einem Schleyer<br />

oder Haube bedeckt seyn; und selbst im härtesten<br />

Winter ist ihnen kein Pelzmantel erlaubt. In der<br />

Stadt darf niemand in Kutschen Besuche machen,<br />

wiewohl dieses Gesetz bisweilen eludirt (d. h. umgangen)<br />

werden soll.<br />

Die Angehörigen der Weggenzunft begeben sich mit steifer Würde in ihrer alten Tracht in geschlossenem Zug feierlich nach dem Grossmünster, um hier am Schwörsonntag<br />

ihren Eid abzulegen (Stich von David Herrliberger).<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Zürcher</strong> <strong>Zeitung</strong> vom 12.01.1980<br />

lieh; allein, dass eheliche Treue hier nicht so selten<br />

oder gar Thorheit ist, . . . kann man daraus schliessen,<br />

dass die Frauen und Mütter sich ihres Hauswesens<br />

und der Erziehung der Kinder mit Ernst<br />

annehmen . . .»<br />

Dass hier der fremde Besucher bei seinem<br />

kurzen Aufenthalt sich vielleicht allzusehr von<br />

den Aeusserlichkeiten hat beeindrucken lassen,<br />

bezeugt Johann Kaspar Heidegger, der die Wirkung<br />

der strengen Sittenmandate relativiert, indem<br />

er sagt, dass sie zwar<br />

'<br />

«alle öffentlichen Freuden verboten, hingegen an-<br />

gelweit die Thüre öffneten, in verschlossenen Häusern<br />

weit schädlichere Zerstreuungen zu suchen».<br />

Noch mehr als gegen die Sittenmandate<br />

wurde Sturm gelaufen gegen die Zensur, die in<br />

ihrer Engherzigkeit und Aengstlichkeit jede geistige<br />

Regung, sofern sie Verbreitung durch die<br />

Druckerpresse finden sollte, zu ersticken drohte.<br />

Alle Literaten, Publizisten, Drucker und Verleger<br />

kämpften gegen sie und wandten die abenteuerlichsten<br />

Tricks an, sie zu umgehen umsonst<br />

Das alte Regime, unsicher den neuen<br />

Ideen von Freiheit und Aufklärung gegenüberstehend,<br />

brachte die Kraft nicht auf, sie auf<br />

legalem Wege einzudämmen oder gar abzuschaffen.<br />

Die Briefe des Conte di Sant 'Alessandro<br />

Einer der eifrigsten Kritiker von damals, der<br />

junge Johann Heinrich Füssli (1745-1832),<br />

später Nachfolger Bodmers als Professor für<br />

Vaterländische Geschichte, in den letzten Jahren<br />

des Alten Zürich als Obmann noch eines<br />

der wichtigsten politischen Häupter, in der Helvetik<br />

dann als Anhänger der neuen Ordnung<br />

einer der profiliertesten Politiker und schliesslich,<br />

1805 als einer der Mitinhaber des<br />

Verlages Chefredaktor der «<strong>Zürcher</strong> <strong>Zeitung</strong>»,<br />

dieser Füssli machte seinem Unwillen über das<br />

obrigkeitliche Regiment in den siebziger Jahren<br />

in bezeichnender Weise Luft. Kurz nachdem er<br />

von seiner Bildungsreise aus Italien zurückgekehrt<br />

war, schrieb der 25jährige, inspiriert von<br />

Montesquieus «Lettres persanes», unter dem<br />

Pseudonym Conte di Sant'Alessandro Briefe<br />

über Zürich, in denen er an den Zuständen in<br />

seiner Vaterstadt vieles auszusetzen fand. Ironisierend<br />

verulkt er die steife Würde der Mitglieder<br />

des Rates, wenn sie in ihrer «altdeutschen<br />

Tracht» majestätisch an seinem Hotel selbstverständlich<br />

dem berühmtesten der Stadt, dem<br />

«Schwert» über die Brücke zum Rathaus<br />

schreiten, und er lässt seinen Diener Floriconct<br />

ausrufen:<br />

«Sehen Sie dort... den schwarzgekleideten<br />

Hanswursten! Hier wieder einer! Guckt, seht,<br />

noch einen! Aber einen! Sie laufen alle, wie es<br />

scheint, nach dem grossen Haus gegenüber . . .»<br />

Und lächelnd klärt der Conte den Domestiken<br />

auf, dass man es hier keineswegs mit einem<br />

Karneval, sondern mit einer sehr ernst zu nehmenden<br />

politischen Veranstaltung zu tun habe.<br />

Ebenso ärgerlich findet Füssli den Brunnen,<br />

der 1766/67 auf dem Münsterhof errichtet worden<br />

war und der in der Oeffentlichkeit weidlich<br />

kritisiert wurde. Es handle sich, so schreibt der<br />

Conte an seinen fiktiven Freund in Italien , um<br />

eine Fontäne, die «in Absicht auf die darauf<br />

angewendete Masse Stein den grössten in Rom<br />

wenig weichet, in Ansehung der Arbeit aber er -<br />

bärmlich ist». Die den Brunnen zierenden Figuren,<br />

so meint der Kritiker, seien von so verzerr-,<br />

ten Formen, dass künftige Kunstsachverständige<br />

..«höchs t<br />

irrig daraus auf die Gestalt des<br />

Menschenvolkes schliessen würden, weiches


3iird|tr<br />

Sicut -ütiliiiin<br />

WOCHENENDE<br />

009/79<br />

Samstag/Sonntag, I2./I3. Januar 1980 Nr. 9 79<br />

diese Ungeheuer für Meisterstücke halt». (Der<br />

Brunnen, der wegen eines technischen Fehlers<br />

kaum Wasser spendete, wurde 1811 wieder abgerissen.)<br />

Füsslis Zorn wendet sich auch gegen das<br />

neuerbaute Zunfthaus zur Meisen:<br />

«Gleich diesem Brunnen en face stehet ein Gebäude,<br />

welches ebenfalls das schönste in hier sein<br />

soll und ein Zunfthaus ist ... In Absicht auf die<br />

Grosse und Menge der Steinen darf auch dieses<br />

manchem Palast in Welschland nicht weichen. Es<br />

wimmelt aber so von groben architektonischen<br />

sendung zürcherischer Truppen nach dem politisch<br />

unruhigen Genf zu öffentlicher Kritik an<br />

der Obrigkeit gekommen, was diese zu einem<br />

harten Durchgreifen veranlasste (eine von Johann<br />

Heinrich Fässli edierte Zeitschrift, «Der<br />

Erinnerer», 1765 erscheinend, wurde damals<br />

verboten). Jakob Heinrich (Henri) Meister,<br />

Sohn eines Pfarrers und selber Geistlicher,<br />

wurde wegen der Publikation einer angeblich<br />

atheistischen Schrift «De l'origine des principes<br />

religieux» 1769 ins Exil gezwungen, der Verleger<br />

Rudolf Fässli (der Vater von Johann Heinrich)<br />

gemassregelt, die Schrift selber eingezo-<br />

liebten Pfarrer Johann Heinrich Waser festnehmen<br />

liess und ihn des Hochverrats beschuldigte.<br />

Waser, wegen ständiger Schwierigkeiten im<br />

Amt von seinem Dienst dispensiert, hatte sich<br />

als Wissenschafter, vor allem als Statistiker, einen<br />

weit über Zürich hinaus berühmten Nannen<br />

gemacht. Anlass zum Konflikt mit dem<br />

Regime<br />

war die Weigerung-Wasers, ihm aus dem Archiv<br />

zur Einsichtnahme überlassene Staatspapiere<br />

wieder zurückzugeben. Das genügte der Obrigkeit,<br />

um gegen ihn das Todesurteil aussprechen<br />

und ihn am 27. Mai <strong>1780</strong> öffentlich hinrichten<br />

zu lassen.<br />

sogleich in ihrer ersten Geburt zu ersticken. Der<br />

Freyheit athmende Schweitzer, wenn er einmal anfängt<br />

zu toben, ist nicht so leicht wieder auf seine<br />

erste Ruhe zurückzubringen. Man sagte mir sogar<br />

von einer heimlichen Gähning unter den Bürgern<br />

Zürichs Ober Wasers Tod. Wenn diese in einen<br />

Ausbruch gekommen wäre; so hält es ein ziemliches<br />

Blutbad absetzen können, da die Meinungen<br />

sehr ungleich, und ungleich mehr für als wider<br />

Wasen waren.»<br />

Weder die politischen Differenzen von 1777<br />

noch Wasers Tod oder die ständigen Bemühun-<br />

Alle Bräuche, die heule noch erhalten sind, im Zürich von einst. Im Bild links das Knabenschiessen, an dem damals als erste Preise mit Bändern geschmückte Silbertaler winkten. Im Bild rechts die Verbrennung des Bööggs am<br />

Sechseläuten, das jeweils am ersten Montag nach der Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gkichc stattfand.<br />

Fehlern...: Unter anderem sind oben an dem<br />

bäurischen Werke Larven oder vielmehr Fratzen<br />

angebracht, die unter<br />

gewissen Umstanden meine<br />

empfindliche Gioconda nicht sehen dürfte, aus<br />

Besorgnis einer<br />

ungestalten Nachkommenschaft.<br />

Auch hat dieser Steinhaufe, welcher bei uns kaum<br />

20000 Scudi wert wäre, mehr als 40000 gekostet<br />

...»<br />

Und noch ärgerlicher findet der kritische<br />

Graf die Bräuche auf der Zunftstube, wenn er<br />

ein Zunftmahl schildert:<br />

«Sie werden mir kaum glauben, wenn ich sage,<br />

dass für einen Mann sechs bis sieben Pfund<br />

Fleisch, ein habscher Fisch, eine halbpfündigc<br />

Wurst, der Quart von einer Pasteten, ein paar<br />

Pfund Brot und vier bis sechs Schoppen Wein dargereicht<br />

wurden. Diese Gerichte tischet man zu<br />

zweien Malen auf, zwischen welchen die ganze<br />

Zunft wieder für eine Stunde in die Rauchstube<br />

gehet, mittlerweile die Dauungswerkzeuge wirken<br />

lasst und zu neuen Verrichtungen aufziehet»<br />

Mit Ueberraschung bemerkt der Conte jedoch,<br />

dass die meisten Gäste ihr Essen kaum<br />

berührten, sondern nur die Sauce des Fisches<br />

auftunkten.<br />

«Auf einmal entstand ein Geräusch, welches<br />

mich aus meinem Erstaunen aufscheuchte. Der<br />

Aufwärter erteilte einem jeden Gast zwei grosse<br />

Regalbogen Packpapier aus, worein jeder mit ausnehmender<br />

Geschwindigkeit und mathematischem<br />

Geschick seinen Kram... einwickelte.<br />

Einige<br />

schoben sogar ihren Fisch mit ein, nachdem sie<br />

ihn vorher durch das Maul gezogen, damit ja<br />

nichts durch die Ausdünstung bis auf den folgenden<br />

Morgen verloren gehe . . .»<br />

Nach dem Essen nahmen gegen zehn Uhr<br />

die meisten Zunftvorsteher Abschied. Der<br />

Conte wird gebeten, noch ein wenig zu bleiben<br />

und das Nachspiel abzuwarten.<br />

'<br />

«Alle jungen Zünfter setzten sich rund um eine<br />

grosse Tafel, die mit vielen hundert Glasern und<br />

Flaschen ganz überführt war, und erhoben mit heischerem<br />

Geschrei ihre Stimme zum gröbsten Lob<br />

des Beischlafs und des Weins, den sie mehr verschatteten<br />

als tranken. Unter dem Saufen schmissen<br />

sie Glaser hinter sich, für sich und übcrzwerch,<br />

stampften mit den Fussen und Ellenbogen auf<br />

Tisch und Boden und erhoben einen rasenden<br />

Lärmen . . . Letztlich schwenkten sie mit dn<br />

e Stahlen<br />

und ritten mit denselben Ober die Trümmern<br />

der Glaser her. Nur der lacherliche Kontrast des<br />

Eifers, wormit dieses elende Bacchanale getrieben<br />

wurde, machte dasselbe<br />

einigermassen spasshaft»<br />

Füsslis kritische Worte konnten damals nicht<br />

gedruckt werden ; sie wurden jedoch eifrig abgeschrieben<br />

und gingen von Hand zu Hand. Ihr<br />

Echo dürfte um so grösser gewesen sein, als sie<br />

von einem frischen, angriffigen Stil geprägt waren<br />

und nicht nur Negatives enthielten, sondern<br />

ausführlich Nutzen und Bedeutung der gespräche Bauern-<br />

schilderten und schliesslich in einer<br />

Salomon Gessner in den Mund gelegten geistvollen<br />

Analyse zürcherischen Geisteslebens seit<br />

der Reformation endeten.<br />

Politische Unrast<br />

Tatsächlich war um <strong>1780</strong> die allgemeine<br />

Stimmung in Zürich<br />

keineswegs ausgeglichen.<br />

Auch hier hatte die Unruhe der geistigen Welt<br />

ihre politischen Folgen; die Ideen Montesquieus,<br />

Rousseaus und der andern französischen<br />

Aufklärer fanden eifrige Verfechter.<br />

Noch war der Grebel-Handel der frühen sechziger<br />

Jahre nicht vergessen, als es nur mit Mühe<br />

gen. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erhielt<br />

die Unrast neue Nahrung. Am Bettag Ohne Zweifel spielte die Ueberlegung, nach<br />

1776<br />

wurde die Bevölkerung beunruhigt den Unruhen von 1777 ein Exempel zu statuieren<br />

und einen<br />

durch eine<br />

wenig beliebten, auflüpfischen<br />

bis heute nicht<br />

aufgeklärte Vergiftung des im und querulierenden Mitbürger zu beseitigen,<br />

Grossmünster<br />

gereichten Abendmahlweines, eine gewisse Rolle beim harten Urteil gegen<br />

nach dessen Genuss viele Personen erkrankten. Waser,<br />

Politisch ernster zu nehmen war ein Jahr später<br />

das noch Jahre später, vor allem in<br />

Deutschland, heftig diskutiert und nicht selten<br />

der Unwille, welchen der von der Obrigkeit eilig als Vergeltungs- und Blutjustiz einer unbelehrbaren<br />

Obrigkeit bezeichnet wurde. In Zürich<br />

und heimlich betriebene Abschluss eines neuen<br />

Soldbündnisses mit Frankreich auslöste. Bis selbst war öffentliche Kritik nicht möglich. Hinte<br />

r der Mauer des amtlichen Schweigens gingen<br />

hinein in die Reihen der Vorsteherschaft der<br />

Zünfte kam es zu Unmutskundgebungen, so<br />

dass die Regierung in einer gedruckten .aber die emotionalen Wogen hoch. Der deutsche<br />

Historiograp<br />

h<br />

und Hofrat Georg Wilhelm<br />

Erklärung<br />

versichern musste, künftig das Mitspracherecht<br />

der Zünfte in solchen Angelegenheiten<br />

Zürich weilte und<br />

Zapf, der im Herbst 1781 in<br />

besser zu wahren. Gleichzeitig seine Gespräche immer wieder auf den Fall zu<br />

beteuerte die Regierung,<br />

sie sei beim Abschluss des Bündnisses<br />

bringen suchte<br />

(wobei er persönlich von der<br />

Ungerechtigkeit<br />

in jeder Hinsicht «landesväterlich» vorgegangen,<br />

und warf den Kritikern vor, dass ihr Ver-<br />

Haltung der zürcherischen Behörden mit der in-<br />

des gegen Waser ergangenen<br />

Urteils überzeugt war), erklärte die unbeugsame<br />

halten Ruhe und Ordnung gefährde und das gegenseitige<br />

Vertrauen zu erschüttern drohe. len Charakter der freiheitlich gesinnten Schweiternationalen<br />

Lage und dem politisch emotiona-<br />

Ihren Höhepunkt zet' «Die Theilung Polens», schreibt er, «mag vielleicht<br />

jetzt den <strong>Zürcher</strong>n ein abschreckendes Bey-<br />

erreichten diese unterschwelligen<br />

Spannungen im Jahre <strong>1780</strong>, als die spiel seyn (man befürchtete österreichische Annexionsgelüste<br />

auch<br />

Obrigkeit im März den seit langem wegen sejnes<br />

gegenüber der Schweiz, der<br />

eigenwillig-unverträglichen Charaktere unbe- Verf.), und<br />

deswegen suchen sie kleine Unruhen<br />

Ji.. j!2 ßaunptefuütre tut efuirye .<br />

J.SSMMBLXE<br />

iJ , J '^'iiitrr. J&moyr/rjmiifns, ./sus /* atitmr*<br />

ger Jahre nicht vergessen, als es nur mit Mühe -.r-rrr- ~ " |S £/* FILLE

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