2013-Die Freiherren von Vaz und ihre Zeit - Burgenverein Untervaz
2013-Die Freiherren von Vaz und ihre Zeit - Burgenverein Untervaz
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<strong>Untervaz</strong>er <strong>Burgenverein</strong> <strong>Untervaz</strong><br />
Texte zur Dorfgeschichte<br />
<strong>von</strong> <strong>Untervaz</strong><br />
<strong>2013</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Zeit</strong><br />
Email: dorfgeschichte@burgenverein-untervaz.ch. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter<br />
http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter<br />
http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
- 2 -<br />
<strong>2013</strong> <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Zeit</strong> Werner Gees<br />
Geschenk des Autors an unseren Verein.
- 3 -<br />
S. 03: Vorwort<br />
Mein Interesse für die Geschichte des Geschlechts der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> hat<br />
vordergründig mit der Burg Belfort zu tun. Wenn man <strong>von</strong> Brienz taleinwärts<br />
fährt, sieht man im steilen Gelände oberhalb der Strasse auf einem<br />
Felsvorsprung die Burgruine Belfort stehen. <strong>Die</strong> aussichtsreiche schwer<br />
zugängliche Stelle bot sich gerade an für den Bau einer Burg. So entstand hier<br />
um 1230 eine der grössten Burgen Oberrätiens <strong>und</strong> wurde zum Sitz des<br />
Geschlechts der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>.<br />
In den Jahren 2002 bis 2006 wurde die immer weiter zerfallende Burgruine<br />
vom archäologischen <strong>Die</strong>nst des Kantons Graubünden durch weitgehende<br />
Sicherungsmassnahmen vor dem weiteren Zerfall geschützt. <strong>Die</strong> Fachleute<br />
erforschten die ganze Burganlage <strong>und</strong> entdeckten viele Einzelheiten, die auf<br />
das ehemalige Aussehen der Burganlage schliessen lassen. <strong>Die</strong> Zugänge zur<br />
Burg wurden neu angelegt <strong>und</strong> im Innern Wege <strong>und</strong> Treppen erstellt, damit die<br />
Burganlage ungefährdet besichtigt werden kann. <strong>Die</strong> Aufgabe der Stiftung<br />
besteht in der Förderung <strong>von</strong> Forschung <strong>und</strong> Lehre auf dem Gebiete der<br />
Archäologie <strong>und</strong> der Geschichte im ehemaligen Gebiet der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>.<br />
Sie erfüllt <strong>ihre</strong>n Zweck primär durch die finanzielle Unterstützung <strong>von</strong><br />
Projekten <strong>und</strong> Veranstaltungen sowie die Organisation <strong>von</strong> Exkursionen <strong>und</strong><br />
Führungen.<br />
Mit meiner Arbeit über die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> will ich eine Übersicht geben<br />
über die <strong>Zeit</strong> <strong>ihre</strong>s Wirkens <strong>von</strong> der Mitte des 12. bis in die Mitte des 14.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts. Dabei stütze ich mich auf verschiedene Autoren, die sich in der<br />
jüngeren Vergangenheit mit den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> befasst haben. Zu<br />
Recherchezwecken sind mir die Ergebnisse der Sicherungsarbeiten des<br />
archäologischen <strong>Die</strong>nstes Graubünden an der Burg Belfort <strong>von</strong> 2002 bis 2006<br />
samt den dabei gemachten Bildern zur Verfügung gestanden. Es war mir<br />
wichtig, auch die erste <strong>Zeit</strong> <strong>ihre</strong>s Wirkens im Linzgau am Bodensee <strong>und</strong> <strong>ihre</strong><br />
Verflechtungen mit dem dortigen Adel zu berücksichtigen. <strong>Die</strong>se <strong>Zeit</strong> bildete<br />
die Gr<strong>und</strong>lage für <strong>ihre</strong> späteren Erfolge.<br />
Ich wünsche gute Unterhaltung beim Lesen, Werner Gees <strong>2013</strong>
- 4 -<br />
S. 04: Inhaltsverzeichnis<br />
Rätien im Hochmittelalter<br />
<strong>Die</strong> politische Situation Seite 6<br />
<strong>Die</strong> Sprache des Volkes 7<br />
Besiedlung <strong>und</strong> Verkehrswege 7<br />
Alpine Wirtschaft 8<br />
Rätien <strong>und</strong> der Einfluss des deutschen Kaisers 10<br />
Besiedlung, Migration <strong>und</strong> Landesausbau 11<br />
Kirchen <strong>und</strong> Klöster 13<br />
Das religiöse Leben im Hochmittelalter 17<br />
<strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
<strong>Die</strong> rätischen Adelsgeschlechter 19<br />
<strong>Die</strong> Anfänge des Geschlechts <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 19<br />
Linzgauer Edelfreie 20<br />
Der Umzug der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> vom Linzgau nach Oberrätien 22<br />
Erster vazischer Besitz in Oberrätien 23<br />
Das Kloster Salem <strong>und</strong> seine Umgebung 24<br />
Der Zisterzienser Orden 24<br />
Privilegien <strong>und</strong> Erfolge des Klosters Salem 24<br />
Wachstum <strong>und</strong> Krisenmanagement 25<br />
Aus der Frühgeschichte <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>-Obervaz 27<br />
<strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> in <strong>ihre</strong>m Beziehungsnetz 27<br />
<strong>Die</strong> Burg Belfort, der neue Wohnsitz der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 29<br />
Der Bau weiterer Burgen in Mittelbünden aus dieser <strong>Zeit</strong> 30<br />
<strong>Die</strong> Funktion der Burgen 31<br />
Intensiver Burgenbau im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert 32<br />
Von der Wehrburg zum Herrensitz 34<br />
<strong>Die</strong> Grafen <strong>von</strong> Rapperswil <strong>und</strong> die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 36<br />
Weitere Parallelen zwischen Belfort <strong>und</strong> Rapperswil 37<br />
Eine Witwe in Nöten 37<br />
Stammbaum der Herren <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 38<br />
<strong>Die</strong> Grafen <strong>von</strong> Montfort <strong>und</strong> die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 39<br />
Familienverhältnisse um 1240 40
- 5 -<br />
S. 05: Siegeln <strong>und</strong> schöner wohnen 40<br />
<strong>Die</strong> Verschwägerung der <strong>Vaz</strong>er mit den Grafen <strong>von</strong> Montfort 41<br />
Grafengleiche <strong>Vaz</strong>er 42<br />
Dynastenpolitik <strong>und</strong> Burgenbau, Zusammenhänge 43<br />
Wanderbewegungen in Mitteleuropa im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert 44<br />
<strong>Die</strong> Einwanderung der Walser in Graubünden 45<br />
Durch die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> ausgelöste Zuzüge <strong>von</strong> Walsern 46<br />
<strong>Die</strong> Besiedlung des hintern Rheinwalds. Der Freibrief <strong>von</strong> 1277 46<br />
Davos, die grösste Walserkolonie in Oberrätien 48<br />
Das hohe Ziel der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 50<br />
Der Vertrag der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> mit den Davoser Walsern, 1289 51<br />
Kolonisation durch die Walser im Raum Davos 52<br />
<strong>Die</strong> Spina 54<br />
<strong>Die</strong> Besiedlung des Sertig 55<br />
Der Einschluss der Walser in die hohen Ziele der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 55<br />
<strong>Die</strong> Ausdehnung der <strong>von</strong> Walsern besiedelten Gebiete in Oberrätien 56<br />
<strong>Die</strong> Ansiedlung <strong>von</strong> Walsern im Vorderrheintal 57<br />
Freiherr Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, der letzte <strong>Vaz</strong>er 58<br />
<strong>Die</strong> letzte <strong>Zeit</strong> des Schlosses Belfort 62<br />
<strong>Die</strong> Burgruine Belfort 66<br />
S. 06: Rätien im Hochmittelalter<br />
<strong>Die</strong> politische Situation<br />
Um die Jahrtausendwende hatte sich die Erinnerung an die römischen<br />
Provinzen Raetia prima <strong>und</strong> Raetia sec<strong>und</strong>a weitgehend verflüchtigt. Auch die<br />
<strong>Zeit</strong> Karls des Grossen lag schon 200 Jahre zurück. Der Einfluss der deutschen<br />
Könige war vor allem in Oberrätien, das heisst, im Gebiet <strong>von</strong> der Landquart<br />
bis über die Alpen, eher gering. Eine wichtige Rolle spielte der Bischof <strong>von</strong><br />
Chur. Er war nicht nur der geistliche Hirte vom St. Galler Rheintal bis über die<br />
Bündner Alpen in den Vintschgau, sondern auch ein weltlicher Herr über viele<br />
rätische Gebiete, die weitgehend <strong>von</strong> Vasallen, die <strong>von</strong> ihm abhängig waren,<br />
regiert wurden, <strong>und</strong> die vor allem auch die Zinsen <strong>und</strong> Steuern einzogen. <strong>Die</strong>se<br />
Vasallen entstammten einheimischen Adelsgeschlechtern, die neben <strong>ihre</strong>n
- 6 -<br />
eigenen, meist nicht sehr grossen Besitzungen, diejenigen des Bischofs<br />
verwalteten, Zinsen einzogen <strong>und</strong> Recht sprachen. Solche Bündner<br />
Herrengeschlechter waren zum Beispiel die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Tarasp im<br />
Unterengadin, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Rhäzüns, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Belmont bei<br />
Flims, <strong>von</strong> Sax-Misox <strong>und</strong> andere Geschlechter. Sie regierten meist über ein<br />
eher kleines eigenes Gebiet. Es gab kein Herrengeschlecht, das im<br />
Hochmittelalter in Oberrätien, dem späteren Graubünden eine überragende<br />
Rolle spielen konnte. <strong>Die</strong> Klöster Pfäfers, St. Luzi in Chur, Disentis <strong>und</strong><br />
Müstair hatten je <strong>ihre</strong> Einflussgebiete mit den entsprechenden Zinseinnahmen,<br />
die dem Unterhalt der Klosteranlage <strong>und</strong> deren Insassen dienten. Sie waren<br />
weitgehend autonom <strong>und</strong> unterstanden dem Bischof <strong>von</strong> Chur.<br />
<strong>Die</strong> Bewohner der rätischen Gebiete waren weitgehend Hörige <strong>ihre</strong>s jeweiligen<br />
Herrn. Sie bebauten <strong>ihre</strong> Felder als Lehen, das beim Todesfall des<br />
Lehensnehmers in der Regel an seinen Herrn zurückging, der dann oft wieder<br />
die gleiche Familie belehnte. Der Herr übte die niedere <strong>und</strong> oft auch die hohe<br />
Gerichtsbarkeit aus. Noch weniger Rechte hatten die Leibeigenen. Deren Land<br />
gehörte dem Herrn, <strong>und</strong> sie mussten nicht nur den Lehenszins zahlen, sondern<br />
auch Frondienste für <strong>ihre</strong>n Herrn leisten. Das Wohlergehen der Untertanen<br />
hing <strong>von</strong> der Haltung des Herrn <strong>und</strong> vom Ertrag der bewirtschafteten Felder<br />
ab. Es gab so genannte Grosshöfe, die einem Herrn unterstanden. <strong>Die</strong>se<br />
bestanden in der Regel aus zwölf Höfen. Ein solcher Grosshof war zum<br />
Beispiel Obervaz. Zu diesem Hof gehörten auch Alpen, Weideland <strong>und</strong> Wald.<br />
Einen Territorialstaat, der in seinem Umfang etwa dem Gebiet des heutigen<br />
Kantons Graubünden entsprach, gab es im 10. bis 13. Jahrh<strong>und</strong>ert noch nicht.<br />
<strong>Die</strong> Gebiete waren, abgesehen vom Einfluss der Gebiete des Bistums Chur,<br />
kleinräumig, eine Art Flickenteppich. Jeder Herr verwaltete sein kleines<br />
Gebiet. <strong>Die</strong> Bevölkerung dieser Gebiete hatte auch nicht das Gefühl, zu einem<br />
grösseren Ganzen zu gehören. Gegen politische Einflüsse <strong>von</strong> aussen waren<br />
diese kleinen Besitztümer auch kaum zu verteidigen. In den innerrätischen<br />
Alpentälern vollzog sich in dieser <strong>Zeit</strong> erst der Prozess des Landesausbaus, der<br />
Churrätien zu grösseren Territorien werden liess. Das waren dann später<br />
Voraussetzungen zur Entstehung der drei rätischen Bünde.
- 7 -<br />
S. 07: <strong>Die</strong> Sprache des Volkes<br />
<strong>Die</strong> höher gelegenen Gebiete waren zum gossen Teil noch schlecht erschlossen<br />
<strong>und</strong> nur dünn besiedelt. <strong>Die</strong> damaligen Bewohner Rätiens waren Romanen.<br />
Von Norden her wanderten aber immer mehr Alemannen zu. <strong>Die</strong>se sprachen<br />
Deutsch. So wurde mit der <strong>Zeit</strong> die romanische Sprache in die inneren Täler<br />
Oberrätiens zurückgedrängt. In den nördlichen Gebieten nahm die deutsche<br />
Sprache langsam überhand. <strong>Die</strong>se Germanisierung war ein jahrh<strong>und</strong>ertelanger<br />
Prozess. Unter den Herrengeschlechtern hatte es auch Zugewanderte, zum<br />
Beispiel die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, die aus dem Bodenseegebiet kamen, oder die<br />
Grafen <strong>von</strong> Bregenz, die Deutsch sprachen. Das Volk nahm die Sprache der<br />
Herren mit der <strong>Zeit</strong> an. <strong>Die</strong> Grafen <strong>von</strong> Bregenz hatten <strong>ihre</strong> Einflussgebiete in<br />
Unterrätien. Auch unter den Bischöfen <strong>von</strong> Chur gab es zu dieser <strong>Zeit</strong> wenige<br />
Einheimische. Als weltliche Herren mussten sie ja dem Adelsstand angehören,<br />
damit sie <strong>von</strong> den übrigen Herren akzeptiert wurden.<br />
Besiedlung <strong>und</strong> Verkehrswege.<br />
Besiedelt waren vor allem die sonnseitigen Talflanken. Dort bauten <strong>und</strong><br />
bewirtschafteten die Bewohner <strong>ihre</strong> meist kleinen Höfe. Der Anbau <strong>von</strong><br />
Getreide war dort möglich. Genutzt wurden schon früh die über der<br />
Waldgrenze gelegenen Alpen, wobei zu jener <strong>Zeit</strong> der weitgehend<br />
<strong>und</strong>urchdringliche Wald bis gegen 2400 Meter hinauf reichte. <strong>Die</strong> noch kaum<br />
ausgebauten Verkehrswege folgten, so weites ging, den bewohnten Talflanken<br />
<strong>und</strong> überquerten dann bis 2500 Meter hohe Pässe. So führte der Weg <strong>von</strong><br />
Thusis über den Glaspass ins Safiental <strong>und</strong> über den Safierberg ins Rheinwald.<br />
Dabei nahm man grosse Höhenunterschiede <strong>und</strong> starke Steigungen in Kauf.<br />
Grosse Umwege wurden möglichst vermieden. Schluchten wie die Viamala<br />
<strong>und</strong> die Roflaschlucht waren um diese <strong>Zeit</strong> noch nicht begehbar. Anderseits<br />
wich man flachen Flusstälern wie dem Churer Rheintal wegen der<br />
Überschwemmungsgefahr möglichst aus. <strong>Die</strong> Siedlungen wurden an den<br />
Talrand gebaut, <strong>und</strong> die Verkehrswege folgten den Siedlungen, so wie etwa im<br />
Domleschg. Der Zugang nach Oberrätien führte über die Luziensteig. Walser<br />
gelangten nach 1270 vom Rheinwald durch die Täler <strong>und</strong> über die Höhen<br />
Oberrätiens bis nach Davos. Der ursprüngliche Weg nach Davos führte vom<br />
inneren Albulatal über die Wiesner- <strong>und</strong> die Alteinalpen hinein nach Davos.
- 8 -<br />
All diese Pfade wurden nur zu Fuss, zu Pferd oder mit Saumtiefen begangen<br />
<strong>und</strong> es war auch im Winter, dort wo keine Lawinengefahr bestand, möglich sie<br />
offen zu halten, so dass sie begangen werden konnten. In besonderen Fällen<br />
wurden Ochsen eingesetzt, die Baumstämme hinter sich her zogen, um die<br />
Wege begehbar zu machen. <strong>Die</strong> bequemste <strong>und</strong> leistungsfähigste Art des<br />
Reisens bot im Mittelalter der Schiffsverkehr auf den Binnengewässern wie<br />
Boden-, Zürich- oder Vierwaldstättersee. Auf der Alpensüdseite waren es der<br />
Langen- <strong>und</strong> der Comersee. <strong>Die</strong> schlechten Trampelpfade wurden nur in den<br />
besiedelten Tälern zu einfachen Karrenwegen ausgebaut. Wo es nötig war,<br />
errichtete man Stützmauern. Brücken gab es nur dort, wo man einen Fluss<br />
nicht mittels einer Furt überqueren konnte. Der Unterhalt der einfachen Wege<br />
war in der Regel die Aufgabe der Anstösser. Darüber gibt es im 12.<br />
S. 08: bis 14. Jahrh<strong>und</strong>ert auch Urk<strong>und</strong>en, vor allem darüber, wer zum Unterhalt<br />
einer Wegstrecke verantwortlich war. <strong>Die</strong> wichtigste Route für den<br />
Durchgangsverkehr in Rätien war - wie schon zur <strong>Zeit</strong> der Römer - jene <strong>von</strong><br />
Chur über die Lenzerheide nach Tiefencastel, durchs Oberhalbstein hinauf <strong>und</strong><br />
über den Septimerpass ins Bergell <strong>und</strong> nach Chiavenna. <strong>Die</strong>sen Weg benutzten<br />
auch die Kaiser, wenn sie die Alpen überquerten. Noch wichtiger waren<br />
damals der Brennerpass in den Ostalpen <strong>und</strong> der Grosse St. Bernhard im<br />
Westen. Seltener wurden andere Bündner Pässe wie der Lukmanierpass, Julier<br />
oder Ofenpass benutzt. Der Bischof besass Besitzungen <strong>und</strong> eine Burg im<br />
Vintschgau. Entlang dieser Passrouten gab es Herbergen, wo Reisende <strong>und</strong><br />
<strong>ihre</strong> Reittiere übernachten konnten <strong>und</strong> verpflegt wurden. Sicher gab es eine<br />
Herberge in Chur, weitere entlang der Septimer- <strong>und</strong> anderer<br />
Durchgangsrouten. Sie waren die Vorgänger der späteren Susten entlang dieser<br />
Routen. Für den Septimerpass ist der Bestand eines mehrteiligen<br />
Gebäudekomplexes für die Beherbergung <strong>und</strong> Verpflegung <strong>von</strong> Reisenden <strong>und</strong><br />
<strong>ihre</strong>n Begleittieren bezeugt. Zwischen dem 12. <strong>und</strong> 14. Jahrh<strong>und</strong>ert waren auch<br />
Wehrburgen entlang der Route <strong>von</strong> Chur über den Septimerpass bis ins Bergell<br />
wie Schloss Ortenstein im Domleschg, die Burg Riom <strong>und</strong> andere dazu<br />
angehalten, Reisende aufzunehmen. Auch die Klöster nahmen Reisende auf<br />
<strong>und</strong> verpflegten sie. <strong>Die</strong> Organisation des Pass- <strong>und</strong> Transitverkehrs war an das<br />
Herrschaftsrecht <strong>von</strong> Zoll <strong>und</strong> Geleit geb<strong>und</strong>en.
- 9 -<br />
Deren jeweilige Inhaber erhoben für die Benutzung eines bestimmten<br />
Wegabschnittes einen Zoll, wofür sie die Sicherheit auf der Strasse zu<br />
gewährleisten hatten. Es lag im Interesse der Zollherren, die ihnen unterstellte<br />
Route in gutem Zustand zu erhalten <strong>und</strong> mit komfortablen Einrichtungen<br />
auszustatten.<br />
Alpine Wirtschaft<br />
Im Hochmittelalter war in Rätien der Ackerbau bis in Höhen <strong>von</strong> 1500 Metern<br />
recht verbreitet. In höheren Lagen wurden vor allem sonnseitige Hänge<br />
genutzt, teils durch Stützmauern gesichert. Im Frühling waren diese Hänge<br />
zuerst aper <strong>und</strong> konnten bepflanzt werden. Man pflügte an den Hängen mit<br />
dem Schwingpflug, an ganz steilen Orten mit der Hacke. Wo das Getreide auf<br />
dem Acker nicht ausreifte, musste man es im Herbst auf Histen <strong>und</strong> an<br />
Stallwänden nachreifen lassen. Wo Ackerbau betrieben wurde, sind auch<br />
Mühlen bezeugt. <strong>Die</strong>se befanden sich immer an Bächen <strong>und</strong>, um die<br />
Wasserkraft nutzen zu können, meistens in Siedlungsnähe, damit man das<br />
Mahlgut nicht zu weit transportieren musste. Ackerbau wurde, soweit es ging,<br />
in der Nähe <strong>von</strong> Siedlungen betrieben, um nicht zu lange Arbeits- <strong>und</strong><br />
Transportwege zurücklegen zu müssen. Wo man Ackerbau betrieb, mussten<br />
auch Abgaben an den Herrn in Form <strong>von</strong> Korn oder Mehl erstattet werden.<br />
Weinbau war in Rätien nur in bevorzugten Lagen möglich. Da Wein damals zu<br />
den Nahrungsmitteln gehörte, musste man ihn aus den Bündner Südtälern, dem<br />
Veltlin <strong>und</strong> dem Tessin einführen. Durch die entstehenden Transportkosten<br />
wurde der Wein teuer <strong>und</strong> war nicht für die ganze Bevölkerung erschwinglich.<br />
S. 09: Eine grosse Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung hatte die<br />
Sammelwirtschaft. In den Südtälern machte die Kastanie einen guten Teil der<br />
Nahrung aus. In den ausgedehnten Weidegebieten <strong>und</strong> Tälern sammelte man<br />
verschiedene Arten <strong>von</strong> Beeren, Haselnüsse <strong>und</strong> Pilze. Eine wichtige Rolle<br />
spielte für die Versorgung der Bevölkerung auch der Fischfang in den Seen<br />
<strong>und</strong> Flüssen. Dafür gab es aber strenge Regeln, <strong>und</strong> mancherorts waren der<br />
Fischfang, wie auch die Jagd den Herren vorbehalten. Es gab dabei auch viele<br />
Verstösse, weil die darbende Bevölkerung manchmal auch gerne etwas<br />
zusätzliches Fleisch oder ein paar Fische aus dem nahen See gehabt hätte.<br />
Solche Verstösse wurden in der Regel gnadenlos geahndet, mit Gefängnis,<br />
oder in ganz schweren Fällen, gar mit dem Tod bestraft.
- 10 -<br />
Den wohl vielseitigsten <strong>und</strong> bedeutsamsten Teil der alpinen Wirtschaft machte<br />
die zu unterschiedlichsten Zwecken betriebene Viehhaltung aus. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
war zu unterscheiden zwischen alpabhängigen <strong>und</strong> nur im Bereich der<br />
Dauersiedlungen gehaltenen Nutztierarten. Zu letzteren gehörten neben den<br />
Bienen vor allem die Schweine, deren Alpsömmerung erst seit dem 16.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert erwiesen ist. Ebenfalls nur in den Zonen der Dauersiedlungen<br />
finden wir die verschiedensten Geflügelarten, neben Enten <strong>und</strong> Gänsen vor<br />
allem die Hühner. Das im mittelalterlichen Alpenraum wohl häufigste Nutztier<br />
war das Schaf. Es lieferte nicht nur Fleisch <strong>und</strong> Wolle, sondern auch Häute als<br />
Rohmaterial für den Schreibstoff Pergament, namentlich für die Klöster <strong>und</strong><br />
die bischöfliche Kanzlei. In gewissen Gebieten wurden auch Milchschafe<br />
gehalten. Als Milch- <strong>und</strong> Fleischlieferanten viel wichtiger waren die Ziegen.<br />
Sie spielten für grosse Teile der Bevölkerung für deren Versorgung eine<br />
wichtige Rolle. Ziegenmilch wurde auch zu Käse <strong>und</strong> Ziger verarbeitet. Ziegen<br />
<strong>und</strong> Schafe konnten auch auf Gebieten gehalten werden, die wenig Nutzen<br />
abwarfen. Auch Rinder wurden für die Milch-, Fleisch- <strong>und</strong> Lederproduktion<br />
im Alpenraum schon sehr früh gehalten. Vom 13. Jahrh<strong>und</strong>ert an fand eine<br />
Verlagerung zu vermehrter Rindviehhaltung statt. Da vor allem neu<br />
erschlossenes Grasland <strong>und</strong> auch Alpen immer mehr für die anspruchsvollere<br />
Rinderhaltung gebraucht wurden, ging die Schaf- <strong>und</strong> Ziegenhaltung zurück.<br />
Für die Grossviehhaltung war nicht nur das Grasland in den Tälern <strong>und</strong> in<br />
höher gelegenen Gebieten zur Gewinnung <strong>von</strong> genügend Futter für die<br />
Winterung der Tiere <strong>von</strong> Bedeutung. <strong>Die</strong> Alpen brauchte man für die<br />
Sömmerung des Viehs. Alpen waren zum Teil in Privatbesitz wie zum Beispiel<br />
in der Landschaft Davos. Dort gab es vor dem Einzug der Walser noch keine<br />
Alpen. Um autonom leben zu können, brauchten die Siedler zu <strong>ihre</strong>n Höfen die<br />
entsprechenden Alpen. <strong>Die</strong>se befanden sich in der Nähe der Talsiedlungen,<br />
siehe Beispiel Spina. Im Prättigau <strong>und</strong> in andern Bündner Tälern waren die<br />
Alpgebiete bei der Ankunft der Walser schon durch Kooperations- oder<br />
Gemeindealpen erschlossen, <strong>und</strong> die Walser mussten in diesen Alpen<br />
Weiderechte erwerben. Solche waren begehrt. Mit ihnen wurde auch<br />
gehandelt. Wiesner Bauern besassen auf den Alteinalpen, die den Gemeinden<br />
aus dem äusseren Albulatal gehörten, Alprechte. <strong>Die</strong>se führten wahrscheinlich<br />
zu einem Durcheinander <strong>von</strong> romanischen <strong>und</strong> deutschen Flurnamen. <strong>Die</strong>se<br />
Alpen gehörten ursprünglich dem
- 11 -<br />
S. 10: Bistum Chur. In der Alvaneuer Alp Ramoz auf Aroser Gebiet weit hinten im<br />
Welschtobel hatten einzelne Wiesner Bauern 12 Stösse Alprechte <strong>und</strong> konnten<br />
dort Ochsen <strong>und</strong> Pferde oder Rinder sömmern. Zugänglich war die Alp nur<br />
über Alvaneu. <strong>Die</strong> Wege in gewisse Alpen waren weit. Zum Beispiel Frömd<br />
Vereina im Vereinatal gehört den Gemeinden im Ausserprättigau. Auf <strong>ihre</strong>m<br />
langen Alpweg mussten die Begleiter darauf achten, dass die hungrigen Tiere<br />
unterwegs nicht fremdes Futter frassen. Manchmal mussten auch Pässe<br />
überquert werden, bis man die Alp erreicht hatte, zum Beispiel vom<br />
Unterengadin ins hintere Montafon. <strong>Die</strong>ser Viehauf- <strong>und</strong> Abtrieb über fremdes<br />
Gebiet führte immer wieder zu Streitigkeiten. Ein Beispiel, das die damalige<br />
Situation im Kleinen bezeichnet, ist der Verkauf der Schafalp Täli auf<br />
Jenisberger Gebiet, im Osten an Monstein angrenzend. <strong>Die</strong> Schafalp wurde<br />
1651 an drei Davoser verkauft, wo<strong>von</strong> der eine seinen Anteil fünf Jahre später<br />
an die Gemeinde Fideris verkaufte. Der Zugang zur Alp führte über<br />
Monsteiner Gebiet. Es kam zum Streit über das Durchgangsrecht für die<br />
Schafherde. 1692 erzielte man einen Vergleich. <strong>Die</strong> Gemeinde Fideris musste<br />
den Monsteinern jährlich 100 Gulden bezahlen, um freien Zugang zur Alp zu<br />
haben. Das Beispiel zeigt den Wert, den diese recht kleine Alp hatte. Solche<br />
Vereinbarungen gab es auch für andere Orte. Von Bedeutung war auch die<br />
Pferdezucht. Pferde vermochten nur begüterte Leute, Ritter <strong>und</strong> Herren zu<br />
halten. Wenn sie <strong>ihre</strong> Burgen mit <strong>ihre</strong>m Tross verliessen, ritten sie zu Pferd.<br />
Dadurch unterschieden sie sich vom gewöhnlichen Volk. Ein Pferd war ein<br />
kostbares Tier. Gross war der Schaden beim Verlust eines Pferdes, zum<br />
Beispiel bei einer Fehde oder durch Krankheit.<br />
In einzelnen Talschaften bildete der Bergbau einen wichtigen<br />
Wirtschaftszweig. Man weiss darüber einiges aus den hochmittelalterlichen<br />
Schriftquellen. So mussten etwa die Puschlaver an den Bischof jährliche<br />
Abgaben in Form <strong>von</strong> Metallgefässen oder Hufeisen leisten. Urk<strong>und</strong>lich ist der<br />
Bergbau - es handelte sich um den Abbau <strong>von</strong> Kupfer, Eisen <strong>und</strong> vereinzelt<br />
auch Silber - für Gebiete am Bernina, im Rheinwald <strong>und</strong> am Gonzen bezeugt.<br />
Vermutlich suchte man um diese <strong>Zeit</strong> auch an andern Orten in Rätien nach<br />
Erzen. Seit der <strong>Zeit</strong> der Römer bildeten der Abbau <strong>und</strong> die Verarbeitung <strong>von</strong><br />
Lavez (Speckstein) eine wichtige Rolle. Im Hochmittelalter muss der Abbau<br />
<strong>und</strong> die Verarbeitung <strong>von</strong> Speckstein zu allerlei feuerfestem Geschirr den<br />
Bedarf weitgehend gedeckt haben.
- 12 -<br />
Rätien <strong>und</strong> der Einfluss der deutschen Kaiser<br />
Im Allgemeinen waren die deutschen Kaiser bis um 1200 wenig darauf<br />
bedacht, in Rätien Einfluss zu nehmen. Erst die Stauferkaiser begannen ab<br />
1200 neben reichspolitischen Massnahmen auch hausmachtpolitische<br />
Interessen zu vertreten, die im rätischen Raum vor allem über die<br />
schwäbischen Herzöge erfolgten. <strong>Die</strong> Möglichkeit, den rätischen Raum zu<br />
kontrollieren, ergab sich für den Kaiser, ausser in der Begünstigung des<br />
Bischofs <strong>von</strong> Chur <strong>und</strong> der Reichsklöster, in der Besetzung der Vogtei über das<br />
Hochstift Chur mit staufischen Parteigängern. Der Vogt führte für den Bischof<br />
die weltlichen Herrschaftsrechte aus. Nach dem Aussterben der Grafen <strong>von</strong><br />
S. 11: Bregenz um 1140 gelangten deren Rechte an Rudolf <strong>von</strong> Pfullendorf, einen<br />
unbedingten Anhänger des staufischen Herrscherhauses. Nach dessen Tod<br />
1181 trat sein Sohn das Erbe an mit wichtigen Rechten <strong>und</strong> Kompetenzen,<br />
darunter der Hochvogtei über Chur. <strong>Die</strong> Hausmacht der Staufer reichte,<br />
begründet im Herzogtum Schwaben, weit in den rätischen Raum hinein. Der<br />
Churer Bischof spielte in dieser Sache eine wichtige Rolle. Er wurde deshalb<br />
zum Reichsfürsten erhöht. 1192 finden wir am Kaiserhof in Hagenau im Elsass<br />
rätische Adelige <strong>und</strong> 1194 am Bischofssitz in Chur. Mit dem Auftritt adeliger<br />
Herren in der Umgebung des Kaisers gegen Ende des 12. Jahrh<strong>und</strong>erts setzte<br />
sich ein Prozess fort, der schon 100 Jahre früher begonnen hatte: Das<br />
Aussterben der Grafen <strong>von</strong> Ober- <strong>und</strong> Unterrätien, die Übertragung des<br />
innerrätischen Besitzes an auswärtige Herren aus dem süddeutschen Raum,<br />
z.B. der Übergang der Hochvogtei Chur an das Geschlecht der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong>. Alles deutete um 1200 auf zugewanderte Gewalten <strong>und</strong> Machthaber hin,<br />
die kaiserlichen Interventionen wenig Raum liessen. Dazu gehörten<br />
zugewanderte <strong>und</strong> einheimische Herrengeschlechter, wie die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong>, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax-Misox, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Belmont mit <strong>ihre</strong>r Burg<br />
bei Flims, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Rhäzüns, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Tarasp <strong>und</strong> weitere<br />
Geschlechter.<br />
Besiedlung, Migration <strong>und</strong> Landesausbau.<br />
Im 10. Jahrh<strong>und</strong>ert war der oberrätische Raum recht unterschiedlich <strong>und</strong> dünn<br />
besiedelt. <strong>Die</strong> romanisch sprechende Bevölkerung bewohnte vor allem die<br />
sonnigen Talflanken mit Böden, die sich auch für den Ackerbau eigneten. Sie<br />
bewirtschafteten auch über der Waldgrenze gelegene Alpen. Viele Gebiete
- 13 -<br />
waren noch mit <strong>und</strong>urchdringlichem Wald bedeckt. Abgelegene Täler waren<br />
kaum besiedelt. Dort hielten sich nur Jäger <strong>und</strong> einzelne Schafhirten auf. Da<br />
<strong>und</strong> dort hielten Schluchten <strong>von</strong> der Besiedlung dahinter liegender Gebiete ab.<br />
Mit der Bevölkerungszunahme in den ersten Jahrh<strong>und</strong>erten des zweiten<br />
Jahrtausends nahm der Druck auf unbesiedelte Gebiete zu. Man begann,<br />
einzelne Waldgebiete zu roden <strong>und</strong> der Natur neues Kulturland abzutrotzen.<br />
Flur- <strong>und</strong> Ortsnamen wie Ronc, Tschappina, Acla, Selva, Rüti, Schwendi <strong>und</strong><br />
andere weisen darauf hin. Das gewonnene Land konnte in der Regel als<br />
Erblehen genutzt werden. Es entstanden kleine neue Siedlungen, Einzelhöfe<br />
<strong>und</strong> kleine Weiler. Nur dort, wo schon eine Kirche gestanden hatte, entstand<br />
ein kleines Dorf mit 100 oder 200 Einwohnern. So war das Davoser Hochtal<br />
bis gegen 1200 ein unbesiedeltes Waldgebiet. 1213 sind in Davos die ersten<br />
Siedler bezeugt. Sie rodeten vor allem im Haupttal. Es waren Romanen, die<br />
vom Albulatal her über die Alteinalpen <strong>und</strong> die Sattelhöhe nach Davos kamen.<br />
Monstein <strong>und</strong> Jenisberg gehen auf diese <strong>Zeit</strong> zurück. <strong>Die</strong>se beiden Orte<br />
wurden wahrscheinlich <strong>von</strong> Filisur her besiedelt. Im Prättigau war um diese<br />
<strong>Zeit</strong> die Rodung <strong>und</strong> Besiedlung im Gang. Im Vorderprättigau hatte sie schon<br />
früher, nach der Überwindung der Klus eingesetzt. Klosters war noch ein<br />
grosses Waldgebiet. Hier vollbrachten die Mönche des Stifts Klosters wichtige<br />
Rodungsarbeiten für <strong>ihre</strong>n eigenen Lebensbedarf. Auch im Oberland führte die<br />
Enge<br />
S. 12: <strong>von</strong> Tersnaus dazu, dass nur wenige romanische Siedler nach Vals vordrangen.<br />
Auch das obere Rheinwald wurde erst in der zweiten Hälfte des 13.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>von</strong> deutschsprachigen Walsern besiedelt.<br />
<strong>Die</strong> Einwanderer, die aus dem Norden, dem Bodenseegebiet <strong>und</strong> aus weiteren<br />
schweizerischen <strong>und</strong> deutschen Gegenden kamen, sprachen Deutsch <strong>und</strong><br />
drängten die romanische Sprache in die inneren Alpentäler zurück. <strong>Die</strong>ser<br />
Wechsel zur deutschen Sprache erfasste vor allem die nördlichen Gebiete<br />
Rätiens, die Bündner Herrschaft, das Churer Rheintal <strong>und</strong> das Prättigau <strong>und</strong><br />
dauerte Jahrh<strong>und</strong>erte. <strong>Die</strong> Neusiedler kamen vor allem durch ausgedehnte<br />
Rodungen zu neuem Kulturland. Man stellte sich unter den Schutz der<br />
örtlichen Schirmherren. Das gewonnene Kulturland durfte man als <strong>Zeit</strong>- oder<br />
gar Erblehen nutzen <strong>und</strong> hatte dem Herrn den Lehenszins zu bezahlen.<br />
Zusammen mit den verschiedenen Rodungen entstanden auch die
- 14 -<br />
Verbindungswege. Töbel wurden mit einfachen Holz- oder Steinbrücken<br />
überquert. Schluchten bildeten nur schwer zu überwindende Hindernisse. Das<br />
damalige Siedlungsbild lässt sich nur schwer rekonstruieren. Das durch die<br />
Rodungen gewonnene Holz wurde zum Bau einfacher, meist einstöckiger<br />
Häuser <strong>und</strong> Wirtschaftsbauten verwendet. <strong>Die</strong> Häuser waren am Anfang meist<br />
R<strong>und</strong>holzbauten mit gemauerter Küche. <strong>Die</strong> Siedlungen standen nahe beim zu<br />
bearbeitenden Land. So entstanden viele Einzelhöfe <strong>und</strong> Weiler. <strong>Die</strong> Romanen<br />
hatten <strong>von</strong> Anfang an die Tendenz, in Dörfern zu wohnen, wo die Gebäude<br />
nahe zusammengebaut wurden. Kleine Dörfer entstanden auch dort, wo<br />
Kirchen gebaut wurden. <strong>Die</strong>se errichtete man als Steinbauten. Bei den Kirchen<br />
entstanden meistens auch die vorwiegend aus Stein gebauten Herrenhöfe. Von<br />
diesen aus verwalteten die Gr<strong>und</strong> - oder Gebietsherren die ihnen unterstellten<br />
Gebiete. So entstand in jedem Tal mindestens ein, in manchen Tälern mehrere<br />
Zentren. Manchmal entstand auch zuerst eine Dorfsiedlung, <strong>und</strong> die Kirche<br />
wurde erst später zur Siedlung dazu gebaut.<br />
<strong>Die</strong> Verbindungswege mussten die Bewohner meistens selber unterhalten. Wo<br />
solche Wege <strong>von</strong> einem Tal in ein anderes führten, gab es Abkommen mit den<br />
an der Route liegenden Gemeinden über die Unterhaltspflicht <strong>von</strong><br />
Wegstrecken. Wegen des Wegunterhalts kam es auch zu Streitigkeiten. Eine<br />
entsprechende Urk<strong>und</strong>e habe ich im Gemeindearchiv <strong>von</strong> Schmitten gef<strong>und</strong>en.<br />
Sie wurde im Jahr 1544 ausgestellt. <strong>Die</strong> Familien Jud, Nikka <strong>und</strong> Flipp<br />
wohnten auf den Histen oberhalb Wiesen <strong>und</strong> waren verpflichtet, den Weg<br />
hinauf auf die Wiesner Alp <strong>und</strong> hinein bis auf Heinisch Alp zu unterhalten.<br />
<strong>Die</strong>ser Pflicht wollten sie nicht mehr nachkommen, wurden aber dazu<br />
gezwungen. Es handelte sich um den Höhenweg vom Albulatal über die<br />
Sattelhöhe nach Davos, eine sehr wichtige innerbündnerische Verbindung. Der<br />
Landesausbau war auch <strong>von</strong> lokalen Streitereien <strong>und</strong> Fehden begleitet. Oft<br />
ging es dabei um Alpen <strong>und</strong> Weideland, für die Neusiedler <strong>von</strong> grosser<br />
Bedeutung, wobei die Besitzesverhältnisse nicht immer klar geregelt waren.<br />
Der Landesausbau vollzog sich im 12. bis 14. Jahrh<strong>und</strong>ert im Rahmen der<br />
damaligen Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> landesherrlichen Strukturen, die sich im Laufe des<br />
Hochmittelalters auszubilden vermochten. Wichtige Träger der<br />
Siedlungspolitik waren die Klöster Pfäfers <strong>und</strong> Disentis, der Bischof <strong>von</strong> Chur<br />
mit
- 15 -<br />
S. 13: seinen Vasallen <strong>und</strong> <strong>Die</strong>nstleuten <strong>und</strong> die edelfreien Dynastien mit<br />
landesherrlichen Ambitionen, wie die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sagens-Wildenberg,<br />
Rhäzüns, <strong>Vaz</strong>, Sax-Misox, Belmont oder Tarasp. <strong>Die</strong>se Herrengeschlechter<br />
wohnten bis um 1200 in mehrgeschossigen, aus Holz oder Stein gebauten<br />
Häusern, die sich meistens in der Nähe schon bestehender Kirchen befanden.<br />
Ein solcher Bau war wahrscheinlich auch der erste Sitz der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong>, der sich in der Nähe der alten Kirche <strong>von</strong> Zorten, Obervaz, befand. Sie<br />
bauten dieses Haus auf dem Hügel <strong>von</strong> Nivagl bei Zorten zu einer Burg aus.<br />
Kirchen <strong>und</strong> Klöster<br />
Im Altsiedelland Rätien, das seit dem Ausgang der Antike christianisiert war,<br />
muss es viele aus dem Frühmittelalter <strong>und</strong> der karolingischen <strong>Zeit</strong> stammende<br />
Kirchen gegeben haben. <strong>Die</strong> Zeugnisse über die um die Jahrtausendwende<br />
entstandenen Kirchen sind mangelhaft. Bei Kirchengrabungen in Graubünden<br />
kommen laufend Gr<strong>und</strong>risse älterer Sakralbauten zum Vorschein, <strong>von</strong> deren<br />
Existenz die urk<strong>und</strong>liche Überlieferung nichts berichtet.<br />
Mehr Hinweise bieten die Schriftquellen zu den Klöstern. <strong>Die</strong>se entfalteten im<br />
Mittelalter eine rege Schreibtätigkeit, die sich mehrheitlich auf den<br />
herrschaftlich organisierten Güterbestand bezog, zum Beispiel Kauf, Verkauf<br />
oder Schenkung <strong>von</strong> Gütern. Das religiöse Leben wurde nur am Rande<br />
erwähnt. Wahrscheinlich brauchte man die des Schreibens k<strong>und</strong>igen<br />
Klosterleute auch als Schreiber <strong>von</strong> Urk<strong>und</strong>en.<br />
Kirchen <strong>und</strong> Klöster brauchten für die Ausübung des Kultes eine Ausstattung<br />
mit weltlichem Besitz, der in den mittelalterlichen Urk<strong>und</strong>en viele Spuren<br />
hinterliess. Vor allem Klöster verstanden es, <strong>ihre</strong>n Besitz immer weiter<br />
auszudehnen, indem sie Besitzungen <strong>und</strong> die dazu gehörenden Rechte an sich<br />
zogen, oder beim Aussterben eines Herrengeschlechts zu Schenkungen kamen.<br />
<strong>Die</strong> Tätigkeit der Klöster spielte sich auch ausserhalb der Klostermauern ab, in<br />
der Seelsorge der Kranken- <strong>und</strong> der Armenpflege. Es begünstigte das<br />
persönliche Seelenheil, einem Kloster eine Schenkung zu machen.<br />
Kirchen waren bis ins 12. Jahrh<strong>und</strong>ert meistens Talkirchen, die für ein<br />
grösseres Gebiet zuständig waren. Sie waren auch Tauf- <strong>und</strong> Begräbniskirchen<br />
für das ganze zu ihnen gehörende Gebiet. Noch herrschte der romanische<br />
Baustil mit den kleinen R<strong>und</strong>bogenfenstern vor. Im Laufe des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts
- 16 -<br />
wurde er durch den in die Höhe strebenden gotischen Stil abgelöst. Mit dem<br />
fortschreitenden Landesausbau <strong>und</strong> der beginnenden Urbarisierung <strong>von</strong><br />
Neuland wurde das Bedürfnis nach neuen, näher gelegenen Kirchen immer<br />
grösser. Viele neue Kirchen erhielten auch einen Glockenturm. Aber der hohe<br />
Polygonchor scheint sich erst im 15. Jahrh<strong>und</strong>ert voll durchzusetzen. In dieser<br />
<strong>Zeit</strong>, noch vor der Reformation, wurden viele bündnerische Dorfkirchen<br />
gebaut, zum Teil noch ohne Glockenturm. Das weitläufige Gebiet Rätiens<br />
gehörte zum grössten Teil zum Bistum Chur. Mittelpunkt dieser weitläufigen<br />
Diözese war die bischöfliche Residenz in Chur mit der Kathedrale St. Mariae<br />
Himmelfahrt.<br />
S. 14:<br />
<strong>Die</strong> mittelalterliche Kirche <strong>von</strong> Sent mit Herrenhaus,<br />
<strong>von</strong> dem nicht mehr viel steht<br />
<strong>Die</strong> heutige Kathedrale ist im 12. <strong>und</strong> 13. Jahrh<strong>und</strong>ert gebaut worden.<br />
Konzipiert <strong>und</strong> begonnen wurde der Bau unter dem Zisterzienser Bischof<br />
Adalgott um 1160. <strong>Die</strong> Schlussweihe erfolgte 1272 unter Bischof Heinrich <strong>von</strong><br />
Montfort. <strong>Die</strong>ser schwäbische Churer Bischof gründete im 12. <strong>und</strong> zu Beginn<br />
des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts in Oberrätien mehrere Prämonstratenserklöster. Das erste<br />
war das Kloster St. Luzi in Chur. <strong>Die</strong>ses Kloster kam zu umfangreichem<br />
Besitz. Der aus Nordfrankreich stammende Prämonstratenserorden breitete<br />
sich nach der Jahrtausendwende in weiten Gebieten Europas aus.
- 17 -<br />
<strong>Die</strong> Bevölkerung nahm zu jener <strong>Zeit</strong> stark zu. Das führte dazu, dass überall<br />
mehr Land gebraucht wurde, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren. <strong>Die</strong><br />
Prämonstratenser hatten sich auf die Rodung spezialisiert. <strong>Die</strong> Gewinnung <strong>von</strong><br />
Neuland war eine <strong>ihre</strong>r Hauptaufgaben. <strong>Die</strong> Besiedlung der Talgebiete hatte im<br />
Prättigau schon früh begonnen. Das vordere <strong>und</strong> mittlere Prättigau waren im<br />
12. <strong>und</strong> 13. Jahrh<strong>und</strong>ert schon weitgehend besiedelt. Aber in den Randgebieten<br />
gab es noch Wälder für Neusiedler. <strong>Die</strong> Mönche vollbrachten die gleiche<br />
strenge Arbeit wie andere Bauern, die Neuland gewannen. Nur durfte das<br />
Kloster das gerodete Land zinsfrei behalten <strong>und</strong> nutzen, während es andere<br />
Siedler <strong>von</strong> <strong>ihre</strong>m Herren als Lehen erhielten <strong>und</strong> den Zehnten bezahlen<br />
mussten.<br />
Um 1160 folgte die Gründung des Klosters Churwalden, dessen Schirmherren<br />
später die aus Schwaben stammenden <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> wurden. An der<br />
Gründung des Klosters um 1160 waren sie wahrscheinlich noch nicht beteiligt.<br />
Später erhielt das<br />
S. 15: Kloster <strong>von</strong> den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> Land zur Nutzung. Dort fanden die<br />
verstorbenen <strong>Vaz</strong>er auch <strong>ihre</strong> letzte Ruhestätte. <strong>Die</strong> Gründung des Stifts<br />
Klosters erfolgte kurze <strong>Zeit</strong> später. <strong>Die</strong>se Klöster hatten für ihr Umfeld eine<br />
besondere Bedeutung.
- 18 -<br />
Ihre Insassen pflegten in den abgelegenen Gegenden kein beschauliches<br />
Dasein. Sie waren nicht nur in der Krankenpflege <strong>und</strong> der Unterstützung der<br />
Armen tätig. Eine <strong>ihre</strong>r Hauptaufgaben war die Urbanisierung <strong>von</strong> Neuland.<br />
Das Land im Churwaldner Tal war zur <strong>Zeit</strong> der Klostergründung noch ein<br />
ausgedehntes Waldgebiet. Um sich mit den notwendigen Lebensmitteln<br />
versorgen zu können, mussten die Mönche Land roden <strong>und</strong> bebauen.<br />
Auch die Gegend <strong>von</strong> Klosters war zu Beginn des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts noch ein<br />
ausgedehntes Waldgebiet. <strong>Die</strong> in Klosters siedelnden Mönche bauten die<br />
Klosterser Kirche St. Jakob <strong>und</strong> daneben ein kleines Kloster. Wie in<br />
Churwalden mussten die Mönche Land urbarisieren, <strong>und</strong> bebauen, um sich mit<br />
dem Notwendigen zu versorgen. Bald besassen die Mönche im Talgr<strong>und</strong> <strong>von</strong><br />
Klosters eine Reihe <strong>von</strong> Höfen, die sie nutzen konnten. Zwei Höfe befanden<br />
sich in unmittelbarer Nähe des Klösterleins. Das Recht zur Nutzung <strong>ihre</strong>r Höfe<br />
erhielten die Mönche vom Bischof <strong>von</strong> Chur. Bei Grabungen fand man unter<br />
der heutigen Kirche die F<strong>und</strong>amente eines aus dem frühen 13. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
stammenden kleinen Kirchleins. Auch der romanische Turm stammt aus jener<br />
<strong>Zeit</strong>. <strong>Die</strong> heutige Kirche ist nicht älter als 500 Jahre. Im Haus Nett bei der<br />
Kirche fanden sich bei einem Umbau Fragmente, die auf den ehemaligen<br />
Klosterbau zurückgehen.<br />
S. 16: <strong>Die</strong> die Probstei umgebenden Höfe wurden <strong>von</strong> den Klosterleuten selber<br />
bewirtschaftet.
- 19 -<br />
<strong>Die</strong> klösterliche Gr<strong>und</strong>herrschaft war wesentlich grösser. Der ursprüngliche<br />
Zweck der Klostergründung bestand in der Urbarisierung <strong>und</strong> Nutzung des<br />
Landes im heutigen Gebiet <strong>von</strong> Klosters. Dazu gehörten weitere Höfe<br />
taleinwärts <strong>und</strong> -auswärts, wobei ein solcher Hof meistens aus 12 einzelnen<br />
Höfen bestand. Zum Besitz des Klosters gehörten auch Höfe im äusseren<br />
Prättigau, die <strong>von</strong> anderen gerodet wurden <strong>und</strong> durch Kauf oder Schenkung in<br />
den Besitz des Klosters kamen. Urk<strong>und</strong>en über diese Erwerbungen gibt es fast<br />
keine. Es zeigt sich aber, wie umfangreich der Besitz des kleinen Klosters mit<br />
der <strong>Zeit</strong> wurde. Viele Besitztümer waren wahrscheinlich Schenkungen.<br />
Schon früh kam das Kloster in den Besitz des Hofes Luzein. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> hatten ihn 1246 vom Bischof <strong>von</strong> Chur zu Lehen bekommen. <strong>Die</strong>se<br />
schenkten den Hof <strong>ihre</strong>rseits der Propstei Klosters. Zu Beginn des 16.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts umfasste der Luzeiner Hof 24 Güter. Zudem kauften die<br />
Prämonstratenser 1266 <strong>von</strong> den Rittern <strong>von</strong> Aspermont, die im Vorderprättigau<br />
<strong>und</strong> in der Herrschaft Güter besassen, einigen Gr<strong>und</strong>besitz. Es handelte "sich<br />
wahrscheinlich um Weinberge <strong>und</strong> Obstgarten in Malans. Das heisst: die<br />
Klosterser Chorherren konnten sich mit allem versorgen, was sie zum Leben<br />
brauchten. Im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert kaufte das Kloster auch zwei Klosterser Alpen<br />
<strong>von</strong> den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, die damals in der Gegend <strong>von</strong> Klosters Güter<br />
besassen. Auch das Mutterkloster Churwalden hatte Besitz in Luzein. <strong>Die</strong><br />
Kappelle St. Maria <strong>und</strong> Florinus, die heutige evangelische Kirche, die Kaplanei<br />
mit dem dazugehörigen Gut blieb bis zur Reformation direkt Churwalden<br />
unterstellt.<br />
S. 17: Das religiöse Leben im Hochmittelalter<br />
Dem religiösen Leben, das sich in <strong>und</strong> bei den Kirchen abspielte, will ich im<br />
Zusammenhang mit meiner Arbeit nicht weiter nachgehen. Zentrum war das<br />
Bistum Chur mit der Kathedrale. Der Bau wurde um 1160 begonnen <strong>und</strong> 1272<br />
eingeweiht. Das in den grösseren Klöstern wie Pfäfers <strong>und</strong> Disentis gepflegte<br />
geistig-kulturelle Leben strahlte weder auf die vornehme Oberschicht noch auf<br />
das breite Volk aus. <strong>Die</strong> Heiligenverehrung war weit verbreitet. Man hatte das<br />
Bedürfnis, sich vor plötzlich auftretendem Unglück zu schützen. Christophorus<br />
spielte dabei eine wichtige Rolle. Manche Malereizyklen mit Darstellungen<br />
aus dem alten <strong>und</strong> neuen Testament dienten als Biblia pauperum, als<br />
Volksbibel für die christliche Unterweisung des analphabetischen Volkes.
- 20 -<br />
<strong>Die</strong>sen Sinn hatte etwa die Bilderdecke in der Kirche Zillis <strong>und</strong> ähnliche<br />
Darstellungen wie in der Kirche Rhäzüns. Für die Verstorbenen wurden<br />
Jährliche Seelenmessen gelesen. <strong>Die</strong> Begräbnisrituale entsprachen dem<br />
sozialen Gefüge der Bevölkerung.<br />
S. 18:
- 21 -<br />
<strong>Die</strong> vornehmen Familien hatten <strong>ihre</strong> Grabstätten in der Kathedrale in Chur<br />
oder in den Hausklöstern, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> im Kloster Churwalden.<br />
Ausser einigen Grabsteinen, die der adeligen Oberschicht zuzuordnen sind,<br />
gibt es über die Kennzeichnung <strong>und</strong> den Schmuck der Gräber zwischen dem<br />
10. <strong>und</strong> 14. Jahrh<strong>und</strong>ert keine Zeugnisse. <strong>Die</strong> Kirchendecke in Zillis gehört zu<br />
den bedeutendsten Kunstwerken der Romanik in Graubünden. <strong>Die</strong> 153<br />
Bildtafeln überdecken das ganze Kirchenschiff. Das thematische<br />
Schwergewicht liegt auf der Darstellung des Lebens Christi <strong>und</strong> der Vitae des<br />
Kirchenpatrons St. Martin.<br />
S. 19: <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>.<br />
<strong>Die</strong> rätischen Adelsgeschlechter<br />
<strong>Die</strong> meisten rätischen Adelsgeschlechter stammten nicht aus Rätien. Sie waren<br />
Zugewanderte, viele aus dem süddeutschen Raum. Mit dem dortigen Adel<br />
unterhielten sie enge Beziehungen, die sich auch in Heiratsverbindungen <strong>und</strong><br />
Güterverflechtungen äusserten. <strong>Die</strong> rätischen Adelsgeschlechter, die im 12.<br />
<strong>und</strong> in den folgenden Jahrh<strong>und</strong>erten in Rätien eine Rolle spielten, waren zum<br />
grossen Teil keine Einheimischen. Sie wollten in dem zum Teil noch dünn<br />
besiedelten rätischen Raum neue Besitztümer aufbauen.
- 22 -<br />
Ihnen kam entgegen, dass die Besitzesverhältnisse noch nicht überall<br />
festgefügt waren, vor allem dort, wo Neuland gewonnen wurde. Es entstanden<br />
in verschiedenen rätischen Gebieten meist kleinere Besitztümer. Zu diesen<br />
zugewanderten Geschlechtern gehörten auch die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, die<br />
Linzgauer Edelfreie waren. Der Linzgau befindet sich nördlich des Bodensees<br />
in der Gegend <strong>von</strong> Uhldingen <strong>und</strong> Salem. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Belmont, die<br />
<strong>ihre</strong>n rätischen Sitz bei Flims hatten, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Rhäzüns, die<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sagogn - Wildenberg <strong>und</strong> andere Geschlechter waren auch<br />
nach Oberrätien zugewandert. Aber auch die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Tarasp hatten <strong>ihre</strong><br />
Wurzeln im schwäbischen Raum. <strong>Die</strong>se Herren hatten in <strong>ihre</strong>r ursprünglichen<br />
Heimat Besitztümer <strong>und</strong> Rechte, die sie veräusserten. Mit dem erworbenen<br />
Geld kauften sie Besitzungen in Oberrätien. <strong>Die</strong>se Geschlechter waren<br />
durchweg keine Grafen, denn sie besassen keine Lehen, die sie <strong>von</strong> einem<br />
König erhalten hatten. Darum nannten sie sich <strong>Freiherren</strong>. <strong>Die</strong> meisten<br />
Geschlechter sprachen Deutsch, <strong>und</strong> der Verkehr mit ihnen erfolgte in dieser<br />
Sprache. Sie wollten sich nicht mit dem gewöhnlichen, damals zu einem<br />
grossen Teil noch Romanisch sprechenden Volk auf eine Stufe stellen. <strong>Die</strong>se<br />
Abwendung <strong>von</strong> der Sprache des Volkes <strong>und</strong> die andere Lebensweise<br />
zeichnete diese Zuwanderer aus. Dazu wanderten deutschsprechende Leute aus<br />
Gebieten in Unterrätien zu. <strong>Die</strong>s fühlte dazu, dass die romanische Sprache <strong>von</strong><br />
Norden her zurückgedrängt wurde. <strong>Die</strong> meisten der neuen Herrengeschlechter<br />
wohnten auch ausserhalb der Dörfer. Das in Rätien erfolgreichste <strong>von</strong> diesen<br />
Geschlechtern war das der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, das schon nördlich des<br />
Bodensees umfangreiche Besitzungen <strong>und</strong> Rechte besass.<br />
<strong>Die</strong> Anfänge des Geschlechts <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> erschienen nach der neusten Forschung erstmals um<br />
1160 in Oberrätien mit Walter I. <strong>und</strong> seinem Sohn Walter II. Sie traten als<br />
Zeugen für eine Schenkung der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Tarasp an den Bischof <strong>von</strong><br />
Chur auf. Das ist die erste Erwähnung Walter des I. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Wann er geboren<br />
wurde, wissen wir nicht. Er wohnte in Schwaben nördlich des Bodensees<br />
zwischen Meersburg <strong>und</strong> Überlingen. Das Geschlecht der <strong>Vaz</strong>er lebte später in<br />
Oberrätien als Zugewanderte. Walter I. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> nannte sich auch Walter <strong>von</strong><br />
Seefelden. <strong>Die</strong> alte Kirche St. Martin in diesem Ort gehörte den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong>
- 23 -<br />
<strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> war eine der ältesten in der Gegend. Seefelden ist ein kleiner Ort bei<br />
Unteruhldingen direkt am Bodensee. Zu diesem Kirchspiel<br />
S. 20: gehörten zahlreiche Dörfer im Linzgau zwischen dem Bodensee <strong>und</strong> dem<br />
Kloster Salem. <strong>Die</strong>ses war die erste Niederlassung der Zisterzienser in diesem<br />
Raum. Hier beginnt die Geschichte der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Sie ist in <strong>ihre</strong>n<br />
Anfängen eng mit dem Zisterzienserkloster <strong>von</strong> Salem verknüpft.<br />
Bei der oben erwähnten Schenkung an den Bischof <strong>von</strong> Chur treten die<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> erstmals in Oberrätien <strong>und</strong> fast gleichzeitig, 1158, in<br />
Seefelden in Oberschwaben als Beteiligte auf. Das war kurze <strong>Zeit</strong> vor dem Tod<br />
<strong>von</strong> Walter dem I. Also hat er vor diesem Datum längere <strong>Zeit</strong> im Linzgau<br />
gelebt zusammen mit seinen Söhnen Walter dem II. <strong>und</strong> Rudolf dem I. Es kann<br />
auch sein, dass sie zeitweise in Rätien, in <strong>Vaz</strong>, lebten.<br />
<strong>Die</strong> Bauern mussten jährlich auf ein bestimmtes Datum den Lehenszins<br />
bezahlen. Sie waren meist Hörige <strong>ihre</strong>s Herrn oder gar Leibeigene. Wenn ein<br />
solcher Bauer starb, fiel das Lehen zurück an seinen Herrn. Seine<br />
Nachkommen mussten es wieder auslösen. Das war im Mittelalter weit herum<br />
das Verhältnis zwischen hörigen Bauern <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>m Herrn. Mit dem Einzug der<br />
Lehenszinsen wurden <strong>Die</strong>nstleute betraut. Solche Aufgaben dienten auch als<br />
Sprungbrett vom niederen in den hohen Adel. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> waren<br />
ursprünglich solche Angehörige des niederen Adels. Sie stiegen mit der <strong>Zeit</strong><br />
durch <strong>ihre</strong> Tüchtigkeit im Erwerb <strong>von</strong> Gütern <strong>und</strong> Rechten <strong>und</strong> auch durch <strong>ihre</strong><br />
Heiratspolitik zum Hochadel auf. Es ist gesichert, dass die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
<strong>ihre</strong> ersten Besitzungen im Linzgau erwarben <strong>und</strong> schon dort als Kirchenvögte<br />
<strong>von</strong> Seefelden zu Reichtum <strong>und</strong> Ansehen kamen. Sie erwarben aber auch<br />
schon bald Besitz <strong>und</strong> Rechte in verschiedenen Gebieten Oberrätiens, teils als<br />
Lehen des Fürstbischofs <strong>von</strong> Chur, mit dem sie sich <strong>von</strong> Anfang an auf guten<br />
Fuss zu stellen versuchten.<br />
Linzgauer Edelfreie<br />
Salem stand auf dem Eigengut eines Edelfreien, dessen Schenkung 1134/37<br />
auch zwei Seefelder Herren als Zeugen bestätigen: Albert I. <strong>und</strong> sein<br />
gleichnamiger Sohn. Das sind die ältesten bekannten <strong>Vaz</strong>er Vorfahren. Sie<br />
erscheinen aber nach dieser Zeugenschaft nicht mehr. <strong>Die</strong> <strong>Vaz</strong>er waren<br />
Linzgauer Edelfreie. Walter I. <strong>von</strong> Seefelden war wahrscheinlich ein damals
- 24 -<br />
noch unmündiger Bruder <strong>von</strong> Albert I. Er wurde 1158 mit seinen beiden<br />
Söhnen Walter II. <strong>und</strong> Rudolf I. bei einem Gütertausch zwischen dem Kloster<br />
Salem <strong>und</strong> der Kirche Seefelden genannt. Bei diesem Tausch, der vor der<br />
Kirche mit den anwesenden Kirchengenossen stattfand, war Walter sowohl als<br />
Vogt der Kirche, als auch als Besitzer <strong>von</strong> eigenen Gütern beteiligt. Das<br />
Kloster Salem erhielt <strong>von</strong> Kirche <strong>und</strong> Vogt die Zehnten zweier klosternaher<br />
Huben (eines Gutes in Maurach). Walter gab seiner Kirche Ackerboden in<br />
Seefelden <strong>und</strong> erhielt <strong>von</strong> Salem eine halbe Hube. Der Tausch betraf alle drei<br />
Parteien, weil die Zehntrechte zu zwei Dritteln dem Kirchherren <strong>und</strong> zu einem<br />
Drittel dem Pfarrherrn Berchtold <strong>von</strong> Seefelden zukamen. <strong>Die</strong>se Urk<strong>und</strong>e zeigt<br />
die zehntrechtlichen Beziehungen zum Kloster Salem, die noch bis 1307 alle<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> beschäftigen sollten.<br />
S. 21:<br />
Wo die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> im Linzgau lebten <strong>und</strong> wie lange, kann nicht<br />
festgestellt werden. Das Zentrum <strong>ihre</strong>r Herrschaft war die Kirche <strong>von</strong><br />
Seefelden. 1169 bestätigte der Bischof <strong>von</strong> Konstanz einen weiteren<br />
Gütertausch zwischen dem Kloster Salem <strong>und</strong> Seefelden <strong>und</strong> bezeichnete<br />
Walters Sohn Rudolf I. als Vogt der Seefelder Kirche. Seine Frau war mit<br />
<strong>ihre</strong>m ganzen väterlichen Erbe ausgestattet worden, was nahelegt, dass zu<br />
diesem <strong>Zeit</strong>punkt auch Walter II. schon verstorben war. Als Zeugen der<br />
Ausstattung wirkten Graf Mangold mit seinen Söhnen Wolfrad <strong>und</strong> Eberhard<br />
<strong>von</strong> Veringen, Vater <strong>und</strong> Bruder <strong>von</strong> Willibirg, der Frau <strong>von</strong> Rudolf I. <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong>. An der Veringer Ausstattung nahmen also edelfreie Zeugen auch die
- 25 -<br />
Brüder Burkard <strong>und</strong> Albert <strong>von</strong> Frickingen <strong>und</strong> Albert <strong>von</strong> Tarasp teil, der<br />
vielleicht ebenfalls aus dem Linzgau stammte. <strong>Die</strong> Frickinger <strong>und</strong> Tarasper<br />
Zeugen geben einen Hinweis darauf, wie die Herren <strong>von</strong> Seefelden zu <strong>ihre</strong>r<br />
Herrschaft in <strong>Vaz</strong> kamen: über Vintschgau <strong>und</strong> Unterengadin. <strong>Die</strong> Herren <strong>von</strong><br />
Frickingen waren schon 1134/37 Zeugen der Salemer Gründung <strong>und</strong> wurden in<br />
Bestätigungen 1183, 1185 <strong>und</strong> 1192 als Salemer Wohltäter genannt, <strong>und</strong> beim<br />
Gütertausch waren die Frickinger ebenfalls Zeugen neben Walter <strong>und</strong> seinen<br />
beiden Söhnen <strong>von</strong> Seefelden.<br />
1163 schenkte Burkhard dem Kloster Müstair einen Hof bei Meran, <strong>und</strong> 1173<br />
tauschten seine Söhne <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Mutter Heilwig, eine Schwester Gebhards <strong>von</strong><br />
Tarasp <strong>ihre</strong>n Hof in Burgeis gegen einen Hof in Ardez. Albert verkaufte als<br />
letzter Frickinger seinen ganzen Vintschgauer- <strong>und</strong> Unterengadiner Besitz mit<br />
der Burg in Ardez an den Churer Bischof. Er ist am 2. Februar 1209 ins Churer<br />
Totenbuch eingetragen.<br />
S. 22:<br />
Das Frickinger Beispiel <strong>von</strong> Linzgauer Edelfreien, die im Bistum Chur eine<br />
Herrschaft aufzubauen versuchten, darf auch auf die Seefelder Herren<br />
angewendet werden, denn zwei Urk<strong>und</strong>en zeigen eine Beziehung der <strong>Vaz</strong>er<br />
Herren zu den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Tarasp. Bei der Schenkung Ulrichs <strong>von</strong> Tarasp<br />
1160 wird Walter der I. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> an der Spitze der Zeugenliste genannt, vor<br />
den rätischen <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Rhäzüns, Sagogn <strong>und</strong> dem Tarasper Verwandten<br />
Friedrich <strong>von</strong> Matsch. Um 1170 wird Rudolf I. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> als Zeuge zwischen<br />
Gebhard <strong>von</strong> Tarasp <strong>und</strong> den Brüdern Heinrich <strong>und</strong> Albero <strong>von</strong> Burgeis,<br />
Eugino <strong>von</strong> Matsch <strong>und</strong> Henrich <strong>von</strong> Rhäzüns genannt. <strong>Die</strong>se frühen Auftritte
- 26 -<br />
machen es wahrscheinlich, dass die Herren <strong>von</strong> Seefelden-<strong>Vaz</strong>, Tarasp, Matsch<br />
<strong>und</strong> Burgeis eher zum Vintschgauer als zum oberrätischen Adel gehörten. Mit<br />
dem Erscheinen der Staufer in Rätien wurden die <strong>Vaz</strong>er zu deren wichtigsten<br />
Gefolgsleuten. Rudolf I. war 1192 am Hoftag Kaiser Heinrich VI. bei dessen<br />
Aufenthalt im elsässischen Haguenau <strong>und</strong> 1194 einer der Zeugen des Kaisers<br />
bei dessen Aufenthalt in Chur.<br />
Der Umzug der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> aus dem Linzgau nach Oberrätien<br />
<strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> stiessen zu Beginn des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts immer mehr<br />
an Grenzen bei der Ausdehnung <strong>ihre</strong>s Besitzes in Oberschwaben Es war ihnen<br />
vor allem nicht möglich, ein zusammenhängendes Gebiet mit den<br />
entsprechenden Rechten in <strong>ihre</strong>n Besitz zu bringen. Deshalb entschlossen sich<br />
die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> zum Umzug nach Oberrätien, um sich dort<br />
festzusetzen. Im zum Teil noch dünn besiedelten Oberrätien gab es auch noch<br />
Neuland, das man roden <strong>und</strong> in seinen Besitz bringen konnte. <strong>Die</strong>ser Umzug<br />
war ein Jahrzehnte langer Prozess. Während dieser <strong>Zeit</strong> verkauften die <strong>Vaz</strong>er<br />
in <strong>ihre</strong>r alten Heimat ein Gut nach dem andern. Das auf diese Weise<br />
gewonnene Geld setzten sie später dazu ein, in Oberrätien zu Besitz <strong>und</strong><br />
Rechten zu kommen. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> gehörten im 12. <strong>und</strong> 13.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert zu den wichtigsten Adelsgeschlechtern, zuerst in Oberschwaben,<br />
dann in Oberrätien.<br />
S. 23: Erster vazischer Besitz in Oberrätien<br />
<strong>Die</strong> Herren <strong>von</strong> Seefelden-<strong>Vaz</strong> erhielten in Oberrätien, was sie am<br />
Bodenseeufer aufgaben: einen Grosshof mit Kirche, der wohl den im<br />
karolingischen Reichsurbar <strong>von</strong> 842/43 genannten Höfen in <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> Lantsch<br />
mit 31 Huben entsprach. In der <strong>Zeit</strong> <strong>von</strong> 1160 <strong>und</strong> 1170 war im Unterengadin<br />
so einiges los an Güterübertragungen: Beteiligte waren die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
Tarasp <strong>und</strong> andere Geschlechter aus dem Unterengadin <strong>und</strong> dem Vintschgau.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, zuerst Walter I. <strong>und</strong> dann sein Sohn Rudolf I. waren<br />
als Interessierte <strong>und</strong> als Zeugen bei diesen Übertragungen dabei. Wichtiger<br />
Nutzniesser war der Bischof <strong>von</strong> Chur.
- 27 -<br />
Der Grosshof in Obervaz kam aber nicht auf diesem Weg an die <strong>Freiherren</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Er wird schon im Reichsurbar <strong>von</strong> 843 als Königsgut erwähnt.<br />
Lehensherr war ein gewisser Graf Azo. Der spätere Name <strong>Vaz</strong> geht auf diesen<br />
Azo zurück. Nach ihm nannten sich seine Nachkommen <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>.<br />
Ob der Grosshof Obervaz <strong>von</strong> diesem Azo gegen Ende des 12. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
direkt an die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> überging oder auf dem Umweg über den<br />
Bischof <strong>von</strong> Chur, bleibt offen. Über diese Übertragung gibt es keine Urk<strong>und</strong>e.<br />
Sie erlaubte aber den <strong>Vaz</strong>ern, in Oberrätien Fuss zu fassen.<br />
Im <strong>Vaz</strong>er Urbar um 1300 sind <strong>von</strong> 27 Höfen die Abgaben verzeichnet, die auf<br />
den 960 <strong>und</strong> 1061 erwähnten Zins <strong>von</strong> Königsgut hinweisen. Mit den vier<br />
1222, 1237 <strong>und</strong> 1246 genannten Höfen des Klosters Churwalden <strong>und</strong> des<br />
Bistums Chur entsprachen die 31 <strong>Vaz</strong>er Höfe vielleicht den<br />
frühmittelalterlichen Höfen, die das Kloster Salem durch Kauf oder als<br />
Schenkung erhalten hatte. Der Fernbesitz des Bischofs <strong>von</strong> Konstanz wurde<br />
1227 <strong>und</strong> der bei Messkirch 1243 an Salem übertragen. <strong>Die</strong>se<br />
Güterübertragungen vollzog Walter III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> mit seinem Verwandten Graf<br />
Eberhardt <strong>von</strong> Rohrdorf, der <strong>von</strong> 1191 bis 1240 Abt in Salem war. Nach<br />
seinem Tod bekam Walter III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> pauschale Bestätigungen für die<br />
Übertragung des ganzen ehemaligen Besitzes der <strong>Vaz</strong>er im Linzgau. Für die<br />
sieben <strong>Vaz</strong>er Eigengüter <strong>und</strong> die 30 Seefelder Zehnten erhielt Walter III.<br />
insgesamt 505 Silbermark, sein Grossneffe Reiniger bekam noch 30 Mark.<br />
<strong>Die</strong>se recht hohen Beträge, die die <strong>Vaz</strong>er für <strong>ihre</strong> Besitzungen <strong>und</strong> Rechte in<br />
der Gegend am Bodensee in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
erhalten hatten, resultierten aus verschiedenen Kaufverträgen. Es zeigt<br />
einerseits, welchen Hunger zur Ausdehnung <strong>von</strong> Macht <strong>und</strong> Einfluss das<br />
Kloster Salem hatte <strong>und</strong> diesen neuen Besitz auch wie es heisst, gut bezahlen<br />
konnte. Anderseits zeigt sich, dass die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Seefelden - <strong>Vaz</strong> sich in<br />
relativ kurzer <strong>Zeit</strong> einen bedeutenden Reichtum aneignen konnten. Mit dem am<br />
Bodensee erwirtschafteten Besitz kamen sie nach Rätien, um sich hier etwas<br />
noch grösseres aufzubauen. Der Besitzeshunger des Klosters hat<br />
wahrscheinlich zum Umzug der <strong>Vaz</strong>er nach Rätien beigetragen. <strong>Die</strong> dort<br />
wohnhafte Bevölkerung hatte zu all diesen Güterübertragungen nichts zu<br />
sagen. Ihre Zehntabgaben <strong>und</strong> Rechte waren vertraglich festgelegt,<br />
vorausgesetzt, der neue Herr hielt sich an die Abmachungen <strong>und</strong> versuchte<br />
nicht, zusätzliche Abgaben <strong>von</strong> seinen Untertanen zu erheben. Sie lebten unter
- 28 -<br />
<strong>ihre</strong>n Herren mehr schlecht als recht. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> gaben <strong>ihre</strong><br />
Herrschaftsrechte in<br />
S. 24: der lieblichen <strong>und</strong> fruchtbaren Gegend am Bodensee auf, um ins teilweise<br />
wenig fruchtbare <strong>und</strong> zum Teil noch kaum erschlossene Oberrätien zu ziehen,<br />
um dort <strong>ihre</strong>n Traum <strong>von</strong> einem grösseren zusammenhängenden Hoheitsgebiet<br />
zu verwirklichen. Hier am Bodensee war der Raum für die Verwirklichung<br />
<strong>ihre</strong>r Idee zu eng. Der Besitz war auf viele grössere <strong>und</strong> kleinere<br />
Herrengeschlechter verteilt. Zudem hatte das Kloster Salem anfangs des 12.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts einen starken Expansionsdrang <strong>und</strong> wurde auch vom<br />
Staufenkaiser Friedrich II. begünstigt. In Oberrätien gab es noch<br />
Möglichkeiten, neue Gebiete für sich zu gewinnen, Macht <strong>und</strong> Einfluss<br />
auszudehnen.<br />
Das Kloster Salem <strong>und</strong> seine Umgebung<br />
<strong>Die</strong> Abtei Salem wurde 1134 <strong>von</strong> einem lokalen Freiherrn in einem stillen Tal<br />
an der Linzer Aach 12 km östlich <strong>von</strong> Überlingen gegründet. Ein gewisser<br />
Flowin <strong>und</strong> zwölf Mönche entschlossen sich 1137, das Zisterzienserkloster zu<br />
bauen. <strong>Die</strong> Zwölfzahl der Mönche erinnert an andere<br />
Kolonisationsunternehmungen: <strong>Die</strong> Hofsysteme in Davos, Klosters, Safien<br />
oder Obervaz. <strong>Die</strong> Linzgauer Landschaft war um 1140 zwar keine Wildnis<br />
mehr, aber die hügelige Hochfläche mit eiszeitlichen Becken <strong>und</strong> Mulden <strong>und</strong><br />
sumpfigen Stellen bot noch eine zivilisatorische Herausforderung <strong>und</strong> kam<br />
dadurch dem Rodungs- <strong>und</strong> Expansionsdrang der Zisterziensermönche<br />
entgegen.<br />
Der Zisterzienserorden<br />
<strong>Die</strong>ser war in seiner frühen <strong>Zeit</strong> eine radikale Bewegung: Rodungsarbeit im<br />
Dickicht. <strong>Die</strong> klügsten <strong>und</strong> tatkräftigsten Menschen des 12. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
liessen sich begeistern vom zisterziensischen Aufbruch. <strong>Die</strong> Handarbeit hatte<br />
im Orden einen hohen Stellenwert neben Messen <strong>und</strong> Chorgebet. Das<br />
Klosterleben war Kasernendienst in einer Härte, gegen die heutige<br />
Fremdenlegionäre aufbegehren würden. <strong>Die</strong> durchschnittliche<br />
Lebenserwartung des Zisterziensermönchs betrug nur 28 Jahre gegenüber<br />
einem gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt <strong>von</strong> 35 Jahren. Hunger bei<br />
gleichzeitiger Arbeitsbelastung, so lautete das Prinzip der zisterziensischen
- 29 -<br />
Askese. <strong>Die</strong>se Existenzform führte zur frommen Entrückung, förderte aber<br />
auch einen ungekannten organisatorischen Realismus <strong>und</strong> produzierte ein<br />
unerhörtes wirtschaftliches Wachstum.<br />
Privilegien <strong>und</strong> Erfolge <strong>von</strong> Salem<br />
<strong>Die</strong> reichsunmittelbare Abtei Salem erfreute sich der besonderen Gunst der<br />
Staufenkaiser. Im Frühling 1212 kam der neugewählte Staufenkaiser Friedrich<br />
II. aus Italien über den Lukmanierpass nach Chur, während sein welfischer<br />
Gegenpartner Otto IV. ebenfalls aus Italien kommend über den Brenner an den<br />
Bodensee eilte, wo die beiden aufeinander trafen. Der Staufer setzte sich durch<br />
<strong>und</strong> wurde zum Kaiser gekrönt. Auf seinem Zug über die Alpen <strong>und</strong> nach<br />
Schwaben hatten ihn der Bischof <strong>von</strong> Chur <strong>und</strong> der rätische Adel unterstützt.<br />
So bestätigte der junge Kaiser dem Churer Oberhirten 1213 die Verleihung der<br />
Hochstiftsvogtei <strong>und</strong> weiterer Privilegien. Erwähnt werden auch die beiden<br />
Klöster St. Luzi <strong>und</strong> Churwalden.<br />
S. 25: Salem wurde vom Kaiser sehr bevorzugt behandelt. 1213 liess Friedrich II. der<br />
Abtei drei Privilegien <strong>und</strong> Besitzesbestätigungen ausstellen. 1214 folgten zwei<br />
weitere Königsdiplome, dazwischen die Bestätigung der <strong>Vaz</strong>er Schenkungen,<br />
1216 nochmals zwei Privilegien <strong>und</strong> 1217 eine abermalige Besitzbestätigung.<br />
1230 kam Salem abermals in den Genuss einer Königsurk<strong>und</strong>en Serie. Der<br />
Inhalt dieser zweiten Serie ist bezeichnend. Es handelte sich um<br />
Steuerbefreiungen für die Häuser <strong>und</strong> Nebenbetriebe, die Salem in den<br />
schwäbischen Städten hatte. Während dieser <strong>Zeit</strong> erlebte das Kloster eine<br />
beispiellose Wirtschaftsblüte. <strong>Die</strong>se war hauptsächlich dem Klostervorsteher<br />
zu verdanken, Abt Eberhard II., einem Grafen <strong>von</strong> Rohrdorf aus dem Linzgau.<br />
Walter III. <strong>und</strong> Rudolf II. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> nannten ihn anlässlich des Geschäfts <strong>von</strong><br />
1216 <strong>ihre</strong>n geschätzten Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Blutsverwandten. Sie waren wohl seine<br />
Neffen. <strong>Die</strong> Wirtschaftsverfassung der Zisterzienserklöster beruhte zunächst<br />
ganz auf Eigenbau. <strong>Die</strong> Klöster vermieden Streubesitz oder fassten diesen zu<br />
Aussenstellen zusammen. Wenn die Churwaldner Chorherren <strong>ihre</strong> Meierhöfe<br />
in Chur, Maienfeld <strong>und</strong> Feldkirch als Aussenhöfe bezeichneten, dann eiferten<br />
sie offenbar dem Beispiel Salems nach. Das System der Eigenbetriebe wurde<br />
durch Abt Eberhard <strong>von</strong> Salem mit einer aggressiven Erwerbspolitik <strong>und</strong> mit<br />
Verpachtungen, also Zinswirtschaft, kombiniert.
- 30 -<br />
Obwohl der Salemer dadurch eigentlich die zisterziensischen Gr<strong>und</strong>sätze<br />
verletzte, konnte sich sein Wirtschaftsstil im ganzen Orden durchsetzen.<br />
Wachstum <strong>und</strong> Krisenmanagement<br />
Der Auskauf der <strong>Vaz</strong>er Zehnten <strong>und</strong> Güter gehörte in ein Salemer<br />
Gesamtkonzept. Der Aussenhof Maurach war wegen des Seeanstosses wichtig.<br />
Von hier aus wickelten die Salemer Brüder <strong>ihre</strong> Güterschiffahrt ab.<br />
Insbesondere war es eine Etappe des Salzhandels, nachdem der Erzbischof <strong>von</strong><br />
Salzburg den Salemern seine Salinen zur Ausbeutung überlassen hatte.<br />
Schliesslich verfügte die Reichsabtei im Umkreis <strong>von</strong> 15 km um den<br />
Klosterstandort über ein Territorium mit voller Landeshoheit. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> wichen durch <strong>ihre</strong> Verkäufe <strong>und</strong> Schenkungen zugunsten Salems vor<br />
einer unaufhaltsamen Macht zurück <strong>und</strong> versuchten <strong>ihre</strong> Ziele anderswo zu<br />
erreichen. Durch die Verkäufe an Salem verfügten sie über ein Polster, um in<br />
Oberrätien Land <strong>und</strong> Rechte zu kaufen. Unterdessen wuchs die Herrschaft<br />
Salem weiter. 1282 ging man daran, eine grössere Klosterkirche zu bauen. Ihre<br />
Gemeinschaft zählte inzwischen h<strong>und</strong>ert Mönche <strong>und</strong> h<strong>und</strong>ert Konversen,<br />
während die alten <strong>und</strong> reichen Benediktinerklöster Reichenau <strong>und</strong> St. Gallen<br />
nur je ein halbes Dutzend Mönche zählten. Um die Mitte des 14. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
hatte Salem Jahreseinkünfte <strong>von</strong> tausend Silbermark, mehr als doppelt so viel<br />
wie Reichenau <strong>und</strong> fast dreimal so viel wie St. Gallen.<br />
Unterdessen hatte Salem auch die Krise des Interregnums <strong>von</strong> 1250 bis 1275<br />
gemeistert. Nach dem Tod Kaiser Friedrich II. 1250 hatte das Kloster seinen<br />
Beschützer verloren. Aber die Salemer reagierten kaltblütig. Sie schlossen sich<br />
dem andern grossen Schutzherrn, dem Papst an. Noch 1250 erhielten sie <strong>von</strong><br />
Papst Innozenz IV. die detaillierte Bestätigung aller urk<strong>und</strong>lich besiegelten<br />
Klostergüter. So<br />
S. 26: gewappnet hat das Kloster den Kampf gegen seine staufisch gesinnten<br />
Nachbarn aufgenommen. <strong>Die</strong>ser Adel hatte das Kloster beraubt. Unterstützt<br />
durch den Bischof <strong>von</strong> Konstanz mussten die Ritter <strong>und</strong> Herren der Umgebung<br />
gegenüber dem Kloster Sühne leisten. <strong>Die</strong> <strong>Vaz</strong>er mochten nach dem Tod des<br />
Kaisers Friedrich II. nicht länger für die Staufer Partei ergreifen <strong>und</strong><br />
schwenkten auf die Linie des Papstes über. Es war Walter III., der diesen<br />
Wechsel vollzog, als der Montforter Graf Heinrich Bischof <strong>von</strong> Chur wurde.
- 31 -<br />
Sein Halbbruder Hugo schwenkte auch zur päpstlichen Partei über. Da rückte<br />
sein noch junger Enkel Walter V. nach. Von seinem Vater Walter dem IV.<br />
erfahren wir nichts. Er war wohl schon vor seinem Vater verstorben. 1255<br />
haben wir die erste Urk<strong>und</strong>e, die Walter V. besiegelt hat, aber in Abhängigkeit<br />
<strong>von</strong> seinem geliebten Onkel Hugo II. <strong>von</strong> Montfort. Der junge <strong>Vaz</strong>er war noch<br />
kaum volljährig. Ausgestellt wurde die Urk<strong>und</strong>e im montfortischen Bregenz.<br />
Es ging darin einmal mehr um die Sicherung des vazischen Besitzes gegenüber<br />
dem Kloster Salem (im Wert <strong>von</strong> 500 Silbergulden). <strong>Die</strong> letzte Urk<strong>und</strong>e in<br />
dieser Sache stammt aus dem Jahr 1262. Inzwischen war Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
volljährig geworden. Er wurde einer der wichtigsten Vertreter des <strong>Vaz</strong>er<br />
Geschlechtes. In der Urk<strong>und</strong>e <strong>von</strong> 1262 geht es um alle Besitzungen <strong>und</strong><br />
Zehntrechte <strong>und</strong> um die Pfarrei, beziehungsweise das Patronatsrecht der<br />
Kirche <strong>von</strong> Seefelden. Damit scheint die Auseinandersetzung mit dem Kloster<br />
Salem beendet, <strong>und</strong> die <strong>Vaz</strong>er konnten das gewonnene Geld in neue<br />
Besitzungen <strong>und</strong> Rechte in Rätien investieren.
- 32 -<br />
S. 27: Aus der Frühgeschichte <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>-Obervaz<br />
Das Dorf <strong>Vaz</strong>-Obervaz ist nachgewiesen zur <strong>Zeit</strong> der Karolinger (zwischen<br />
750 <strong>und</strong> 910). Das Urbar der fränkischen Krongüter <strong>von</strong> 831 erwähnt die Orte<br />
Lain, Muldain <strong>und</strong> Zorten mit der damaligen Kirche St. Donat. Das am<br />
sonnigen Südhang der Lenzerheide gelegene Gebiet zog die Siedler schon sehr<br />
früh an. Es eignete sich für den Anbau <strong>von</strong> Korn. <strong>Die</strong>ses Gebiet zog auch die<br />
aus der Gegend nördlich des Bodensee stammenden <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> um<br />
die Mitte des 12. Jahrh<strong>und</strong>erts an. Auf welchem Weg sie nach Obervaz kamen,<br />
wissen wir nicht so sicher, vielleicht auf einem Umweg <strong>von</strong> Osten her. Denn<br />
als Walter I. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 1160 noch Vogt der Kirche Seefelden am Bodensee war,<br />
besass er dort noch viele Güter.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> waren schon mindestens seit 1153 in Obervaz<br />
anwesend. Auf dem Hügel Nivagl östlich <strong>von</strong> Zorten bauten sie eine einfache<br />
Burg als Wohnsitz. Von dort aus beherrschten sie den Weg nach Alvaschein,<br />
Tiefencastel ins Albulatal, den Weg nach Lenz, Brienz <strong>und</strong> den Weg durch den<br />
Schyn ins Domleschg. <strong>Die</strong> alte Burg ging etwa aufs Jahr 1000 zurück, als es<br />
das Geschlecht der <strong>Vaz</strong>er noch gar nicht gab. Mit <strong>ihre</strong>m Erscheinen in Obervaz<br />
um 1150 wurde sie zu einer Wohnburg ausgebaut <strong>und</strong> der erste Herrensitz der<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> in Rätien. Durch Grabungen auf diesem Hügel hoffte man,<br />
auf einen Gutshof zu stossen. Aber man fand im ganzen Bereich des Hügels<br />
nicht viel, das auf eine Burg <strong>und</strong> weitere Gebäude der <strong>Vaz</strong>er hinwies. Ihren<br />
Namen <strong>Vaz</strong> begründeten sie mit <strong>ihre</strong>m Gutsbesitz in Obervaz. In dieser ersten<br />
<strong>Zeit</strong> waren sie wahrscheinlich nur zeitweise in Obervaz anwesend, denn sie<br />
hatten auch noch <strong>ihre</strong>n Besitz im Linzgau am Bodensee zu verwalten.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> in <strong>ihre</strong>m Beziehungsnetz<br />
In Obervaz hatten die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>ihre</strong> erste rätische Besitzung. Sie<br />
hatten Fuss gefasst in einem Gebiet, wo sie ein eigenes Territorium aufbauen<br />
wollten. Was ihnen am Bodensee nicht gelang, wollten sie hier in Oberrätien<br />
aufbauen. Zu <strong>ihre</strong>m Besitz in Obervaz waren sie durch einen Gütertausch<br />
gekommen. <strong>Die</strong> Frau <strong>von</strong> Walter III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, Adelheid <strong>von</strong> Rapperswil<br />
übertrug Güter am Bodensee an das Kloster Salem. Dafür erhielt sie <strong>von</strong> Salem<br />
ein Gut in Obervaz. Jährlicher Zehnten waren 40 Scheffel Getreide, 40 Laib<br />
Käse, 3 Lämmer, 1 Schwein sowie 1 Saumtier <strong>von</strong> der Alp Sanaspans oberhalb<br />
Lenzerheide. Das war eine ganze Menge an Abgaben. Schon damals erhielten
- 33 -<br />
sie 12 Laib Käse aus dem Davoser Tal. <strong>Die</strong> Blicke der <strong>Vaz</strong>er richteten sich vor<br />
allem auf Mittelbünden, Davos <strong>und</strong> das Prättigau. Es gab darunter altbesiedelte<br />
Gebiete wie das Schams, das Domleschg, den Heinzenberg, das vordere <strong>und</strong><br />
mittlere Prättigau, teil- oder dünn besiedelte Gebiete wie das Churwaldner Tal,<br />
die Landschaft Davos <strong>und</strong> das hintere Prättigau. In diesen Gebieten gab es im<br />
13. Jahrh<strong>und</strong>ert noch ausgedehnte Wälder, aus denen man Gebiete für neue<br />
Siedlungen gewinnen konnte. <strong>Die</strong> Besitzesverhältnisse waren in solchen<br />
Gebieten noch nicht überall geregelt. Hier konnten die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
<strong>ihre</strong>n Expansionsdrang stillen <strong>und</strong> neue Gebiete <strong>und</strong> Rechte für sich sichern.<br />
Als Zentrum für ihr Herrschaftsgebiet hatten sie es auf die Landschaft Davos<br />
abgesehen. Dort war um 1200 herum erst das<br />
S. 28: Haupttal teilweise dünn besiedelt, teilweise auch nur im Sommer. Der erste<br />
Beleg für den Vorstoss der <strong>Vaz</strong>er ins Landwassertal stammt aus dem Jahr<br />
1213. In der Urk<strong>und</strong>e ist <strong>von</strong> einem Ort Kritsis die Rede. Das ist eine<br />
Verdeutschung des romanischen Wortes Crista oder Cresta <strong>und</strong> deutet auf den<br />
Vorstoss <strong>von</strong> Romanen ins Hochtal hin. Noch vor 1213 hatten die Herren <strong>von</strong><br />
Sagens-Wildenberg hier das Sagen, zu dieser <strong>Zeit</strong> die grossen Konkurrenten<br />
der <strong>Vaz</strong>er, mit denen sie erst um 1250 gleichziehen konnten. Unter den<br />
Sagens-Wildenbergern hatten sich schon etliche Jahre vor dem Erscheinen der<br />
<strong>Vaz</strong>er Siedler in Davos niedergelassen.
- 34 -<br />
Noch 1297, also unter <strong>Vaz</strong>er Herrschaft, tauschten die Wildenberger ein Gut in<br />
Davos gegen ein Gut zwischen Brienz <strong>und</strong> <strong>Vaz</strong>erol. Hier in Davos war noch<br />
Raum für die Ausbreitungsgelüste der <strong>Vaz</strong>er. <strong>Die</strong> Romanen drängten nicht<br />
weiter in das hochgelegene Gebiet vor, das sich für den Getreideanbau nicht<br />
eignete. <strong>Die</strong> <strong>Vaz</strong>er wollten Davos zum Zentrum für ihr angestrebtes Reich in<br />
Rätien machen. Hier war ihnen der Bischof <strong>von</strong> Chur mit seinen<br />
Machtansprüchen nicht im Weg, <strong>und</strong> einheimische Adelsgeschlechter, die den<br />
<strong>Vaz</strong>ern Konkurrenz machen konnten, gab es auch nicht mehr.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Vaz</strong>er verloren auch bald einmal ihr Interesse an <strong>ihre</strong>n Besitzungen in<br />
Obervaz <strong>und</strong> übertrugen sie 1237 an das Prämonstratenserkloster Churwalden<br />
<strong>und</strong> 1246 auch an den Stift St. Jakob in Klosters. Dazu gehörten neben den<br />
Höfen in Obervaz auch solche im vorderen Prättigau <strong>und</strong> im Domleschg. Sie<br />
besassen erbliches Lehen in Tomils mit Schloss Ortenstein. Ihnen gehörten<br />
auch die Burgen Neu Sins <strong>und</strong> Alt Sins bei Paspels <strong>und</strong> die Burg Heinzenberg.<br />
Der Bau <strong>von</strong> Burgen im Domleschg hatte auch mit der wichtigen<br />
Durchgangsroute zu tun. <strong>Die</strong> Arrondierung <strong>ihre</strong>r Herrschaft im Domleschg <strong>und</strong><br />
im Vorderprättigau waren den <strong>Vaz</strong>ern wichtiger als ihr Besitz in<br />
S. 29: Obervaz. Durch diese Abtretung konnten die <strong>Vaz</strong>er auch das Chorherrenstift<br />
Chur zufrieden stellen. Zur <strong>Zeit</strong> dieser Besitzverschiebungen hatten sie <strong>ihre</strong><br />
Burg in Nivagl schon aufgegeben <strong>und</strong> den neuen Wohnsitz auf Burg Belfort<br />
bezogen.<br />
<strong>Die</strong> Wehrburg Belfort, erbaut 1228 bis 1230, neuer Wohnsitz der <strong>Freiherren</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> (Aufnahme archäologischer <strong>Die</strong>nst Graubünden, 2007)
- 35 -<br />
<strong>Die</strong> Burg Belfort, der neue Wohnsitz der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
Sie wurde 1230 der neue Sitz der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. <strong>Die</strong>se Burg stand vom<br />
13. bis 15. Jahrh<strong>und</strong>ert im Brennpunkt des politischen, rechtlichen <strong>und</strong><br />
wirtschaftlichen Lebens des Landes Oberrätiens. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
wollten <strong>ihre</strong>n Einflussbereich über die Terrassendörfer des Albulatales in<br />
Richtung Davos ausdehnen. Der neue Standort war eine strategisch wichtige<br />
Stelle, wo der Verkehr in beide Richtungen gut kontrolliert werden konnte.<br />
Man überblickte <strong>von</strong> hier aus das äussere Albulatal, <strong>und</strong> damit die<br />
Verkehrswege Richtung Domleschg, Lenzerheide, Oberhalbstein <strong>und</strong> Bündner<br />
Pässe, aber auch Richtung inneres Albulatal <strong>und</strong> nach Davos. <strong>Die</strong> Burg<br />
gewährte, als sie einmal stand, den Bewohnern guten Schutz. Aber der Bau<br />
war hier keine einfache Sache. Schon der Bauplatz war steil. Viel Baumaterial<br />
musste hinauf befördert werden. Über den Bau der Burganlage sind uns keine<br />
Einzelheiten bekannt.<br />
S. 30: Ob die Burgherren <strong>ihre</strong>n zukünftigen Wohnsitz selber planen konnten, oder<br />
wie weit sie für diese Planung auswärtige Fachleute beiziehen mussten, ist<br />
nicht bekannt. <strong>Die</strong> Annahme liegt jedoch nahe, dass der eigentliche Bau der<br />
Burganlage durch Fachleute <strong>und</strong> die einheimische Bevölkerung unter grosser<br />
Mühe <strong>und</strong> Anstrengung erfolgt sein musste, zum Teil in Fronarbeit. Deshalb<br />
hatte die Bevölkerung <strong>von</strong> Anfang an ein gespaltenes Verhältnis zum neuen<br />
Bau, den sie eigentlich gar nicht haben wollte. Für die Gebiete, die zu dieser<br />
<strong>Zeit</strong> unter vazische Herrschaft kamen, hatte die neue Wehranlage auch etwas<br />
positives, indem <strong>von</strong> ihr ein gewisser Schutz gegen fremde Übergriffe ausging.<br />
Sie wurde <strong>von</strong> einem starken Herrn verteidigt, der <strong>ihre</strong> Rechte wahrnehmen<br />
konnte. Es war durchaus ein Vorteil, im Einflussbereich des starken vazischen<br />
Herrengeschlechts zu leben. Anderseits hatten die Untertanen, meist Hörige<br />
oder gar Leibeigene, <strong>ihre</strong> gesetzlich festgelegten Abgaben, <strong>ihre</strong> Zinsen zu<br />
entrichten. <strong>Die</strong> ab 1228 erbaute Burg Belfort war nicht die erste an diesem<br />
Standort. Sie hatte eine Vorgängerin an diesem für den Durchgangsverkehr<br />
wichtigen Platz. Sie stand an einer wichtigen europäischen West-<br />
Ostverbindung.<br />
Der Bau weiterer Burgen in Mittelbünden aus dieser <strong>Zeit</strong><br />
Zur gleichen <strong>Zeit</strong> wurden in Oberrätien weitere Burgen gebaut. Dabei hat man<br />
sich beim Bau einer Burg die Erfahrung anderer Burgenbauer zu Nutze
- 36 -<br />
gemacht. <strong>Die</strong> Nachbarburg Riom konnte als Vorbild für Belfort dienen. Ihr<br />
Bau geht auf das Jahr 1227 zurück. Auch im Domleschg wurden um diese <strong>Zeit</strong><br />
<strong>und</strong> zum Teil auch schon früher mehrere Burgen gebaut. Das hat einerseits mit<br />
der Einwanderung <strong>und</strong> Ausbreitung ausländischer Adelsgeschlechter zu tun.<br />
Anderseits mussten sie die Durchgangswege <strong>von</strong> Nord nach Süd <strong>und</strong> <strong>von</strong> West<br />
nach Ost sichern. Alle wurden an markanter Stelle ausserhalb der Siedlungen<br />
gebaut. Einige an heute nur schwer zugänglichen Orten. <strong>Die</strong> eigentliche<br />
Schwerarbeit beim Burgenbau mussten die Untertanen leisten. Wieweit sie die<br />
Arbeit in Frondienst ausführen mussten, ist nicht dokumentiert. Nach drei<br />
Jahren stand die Burg Belfort, zwar noch nicht im Endausbau aber so, dass sie<br />
als Residenz der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> dienen konnte.<br />
S. 31:<br />
<strong>Die</strong> Funktionen der Burgen<br />
Burgen gab es in Oberrätien schon sehr früh, Burgen mit Zentrumsfunktionen<br />
erst etwa seit dem 12. Jahrh<strong>und</strong>ert. <strong>Die</strong> edlen Herren <strong>von</strong> Sagogn, Castrisch,<br />
Belmont <strong>und</strong> Rhäzüns hatten direkte Beziehungen zu den entsprechenden<br />
Burgen dieser Herren an den betreffenden Örtlichkeiten. Zu dieser <strong>Zeit</strong><br />
verliessen viele rätische Herrengeschlechter ihr Domizil in den Dörfern <strong>und</strong><br />
errichteten in der Nähe, meistens auf einem Hügel eine Burg.
- 37 -<br />
Sie bezeugten damit <strong>ihre</strong> herrschende Stellung, konnten <strong>von</strong> dort aus <strong>ihre</strong>n<br />
Besitz besser überblicken <strong>und</strong> fühlten sich sicherer. Einfache Anlagen<br />
bestanden aus einem Wehrturm mit bis zu 2.50 Meter dicken Mauern <strong>und</strong> einer<br />
Umfassungsmauer. Das Leben in solchen Wehrtürmen war alles andere als<br />
komfortabel. Strahlegg bei Fideris <strong>und</strong> gewisse Wehrtürme am Eingang zum<br />
Domleschg sind Beispiele <strong>von</strong> Kleinburgen. <strong>Die</strong> Namen der Burgen waren oft<br />
fremden Ursprungs wie Belmont, Aspermont, Belfort <strong>und</strong> weitere. Andere<br />
hatten <strong>ihre</strong>n Namen <strong>von</strong> der Örtlichkeit, wo sie standen, wie Rhäzüns, Sagogn,<br />
Ortenstein, Tarasp <strong>und</strong> viele mehr. Wieder andere tragen einfach den Namen<br />
des Geschlechts, dem sie gehörten, wie Oberjuvalta oder Marmels. <strong>Die</strong><br />
Festlegung des Wohnsitzes eines Geschlechts ist nicht immer einfach. Manche<br />
Herren wohnten nur zeitweise auf <strong>ihre</strong>r Burg oder wechselten den Wohnsitz<br />
nach einer gewissen <strong>Zeit</strong>. Auf dem alten Wohnsitz wohnte dann nur noch ein<br />
Vogt oder Verwalter. <strong>Die</strong> meisten Burgen dienten als Sitz eines Geschlechts<br />
<strong>von</strong> Edlen <strong>und</strong> als Verwaltungszentrum für das dazugehörende<br />
Untertanengebiet. <strong>Die</strong>ses Gebiet war meistens schon besiedelt, bevor der<br />
adlige Herr dort erschien <strong>und</strong> seinen Wohnsitz dort einnahm. An manchen<br />
Orten diente auch ein Verwaltungshof als Wohnsitz des Herrn. Manche<br />
Geschlechter besassen auch mehrere Burgen. <strong>Die</strong> Abgaben <strong>und</strong> sonstigen<br />
Pflichten dem Herrengeschlecht gegenüber waren<br />
S. 32: recht verschieden <strong>und</strong> verschieden hoch. <strong>Die</strong> Abgaben wurden in Form <strong>von</strong><br />
Geld oder Naturalien erhoben. Mancherorts waren Frondienste zu leisten, z.B.<br />
in Form <strong>von</strong> Wegunterhalt. Zu manchen Burgen gehörte auch ein Gutsbetrieb,<br />
auf dem die Untertanen Frondienste leisten mussten. <strong>Die</strong> Umrisse der Gebiete,<br />
die zu einer Burg <strong>und</strong> dessen Herrn gehörten, waren teilweise unklar. Dazu<br />
kommt, dass mit Besitzungen oft gehandelt wurde. Es wurde gekauft <strong>und</strong><br />
verkauft. Manche Herren gerieten in Geldnot <strong>und</strong> mussten Besitzungen mit den<br />
dazu gehörenden Rechten verkaufen. Auch einzelne Burgen mussten verkauft<br />
oder wie die Burg Tschanüff bei Ramosch verpfändet werden. Manchmal hatte<br />
ein Geschlecht keine männlichen Nachkommen mehr. <strong>Die</strong> weiblichen Erben<br />
kamen dann durch <strong>ihre</strong> Heirat zu noch mehr Gütern <strong>und</strong> Rechten. <strong>Die</strong>se gingen<br />
aber an <strong>ihre</strong> Ehemänner über. Burgen mussten auch Territorien oder<br />
Durchgangsrouten sichern. So hat es etwa im Domleschg besonders viele<br />
Burgen, nicht nur, weil dort die besonders fruchtbaren Gebiete lagen, sondern<br />
auch, weil dort wichtige Nord-, Süd- <strong>und</strong> West- Ostverbindungen hindurch
- 38 -<br />
führten. Im Gegensatz dazu standen im Oberengadin <strong>und</strong> im Rheinwald fast<br />
keine dauernd bewohnten Burgen. <strong>Die</strong> meisten Engadiner waren<br />
Gotteshausleute, also dem Fürstbischof <strong>von</strong> Chur unterstellt, der ihnen auch<br />
Schutz gegen fremde Übergriffe bot. <strong>Die</strong> meisten Burgen Rätiens waren zu<br />
klein, um ein grösseres Gebiet zu verteidigen, dienten mehr den aufgeführten<br />
Zwecken, also als Wohnsitz eines Herrengeschlechts <strong>und</strong> Verwaltungssitz des<br />
dazugehörenden Gebiets. Eine Ausnahme bildete die Burg Belfort bei Brienz,<br />
der Wohnsitz der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. <strong>Die</strong>se Burg war in der zweiten Hälfte<br />
des 13. <strong>und</strong> zu Beginn des 14. Jahrh<strong>und</strong>erts das Zentrum eines Gebietes, das<br />
sich über weite Teile Mittel- <strong>und</strong> Nordbündens erstreckte. Manchmal waren es<br />
ganze Verwandtschaftsgruppen, die zu einer Burg gehörten. Solche Gruppen<br />
waren etwa die Edelfreien <strong>von</strong> Sagogn-Wildenberg-Greifenstein sowie die<br />
ihnen nahestehenden Friberg-Frauenberg, die Grünfels-Löwenberg <strong>und</strong> die<br />
Castelberg-Surcasti-Löwenstein. <strong>Die</strong> meisten dieser Geschlechter stammten<br />
aus dem Vorderrheintal. Auch im burgenreichen Domleschg gab es solche<br />
Gruppen <strong>von</strong> Herrengeschlechtern.<br />
Intensiver Burgenbau in Nord- <strong>und</strong> Mittelbünden im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
Verschiedene oberrätische Burgen stammen aus dieser <strong>Zeit</strong>. Im Einflussbereich<br />
der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> waren es Belfort <strong>und</strong> Riom im Oberhalbstein. Neben<br />
den <strong>Vaz</strong>ern mischten hier noch andere Geschlechter mit wie die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
Wangen, die mit den Taraspern verschwägert waren <strong>und</strong> die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
Sagogn-Wildenberg, die zu dieser <strong>Zeit</strong> den <strong>Vaz</strong>ern noch Konkurrenz bieten<br />
konnten. Jedes Geschlecht brauchte mindesten einen sicheren Wohnsitz. Zu<br />
den Burgenbauern gehörte auch der Bischof <strong>von</strong> Chur. Neben dem<br />
Bischofssitz auf dem Churer Hof, der burgähnlich gesichert war, besass er die<br />
Churburg im Vintschgau <strong>und</strong> Burg <strong>und</strong> Städtchen Fürstenau im Domleschg. Er<br />
wollte dadurch seine weit verzweigten Gebiete besser sichern.<br />
S. 33: <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> mischten auch in andern Gebieten beim Bau oder bei<br />
der Vergrösserung <strong>von</strong> Burgen mit. Im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert versuchten sie auch im<br />
mittleren <strong>und</strong> vordern Prättigau zu Rechten <strong>und</strong> Besitz zu kommen. <strong>Die</strong><br />
Burgen dienten als Verwaltungszentren <strong>und</strong> zur Sicherung des Besitzes der<br />
<strong>Vaz</strong>er in diesem Gebiet <strong>Die</strong> <strong>Vaz</strong>er waren an verschiedenen Orten innerhalb<br />
<strong>ihre</strong>s Besitzes im Burgenbau tätig, wahrscheinlich vor allem, um <strong>ihre</strong>n Besitz<br />
zu sichern <strong>und</strong>, um in <strong>ihre</strong>m Territorium an verschiedenen Orten <strong>ihre</strong>
- 39 -<br />
Stützpunkte zu haben. So waren sie am Bau der Burg Aspermont im vordern<br />
Prättigau massgeblich beteiligt. Auch beim Ausbau <strong>von</strong> Solavers mischten sie<br />
mit. Bei <strong>ihre</strong>m Vorstoss in die Bündner Herrschaft stiessen sie auf die Grafen<br />
<strong>von</strong> Montfort. <strong>Die</strong> <strong>Vaz</strong>er sicherten sich das Städtchen Maienfeld. <strong>Die</strong><br />
Montforter stiessen aus dem Bodenseeraum über Vorarlberg nach Rätien vor.<br />
Vor ihnen sassen die Grafen <strong>von</strong> Bregenz in diesem Gebiet. Sie hatten <strong>ihre</strong>n<br />
Sitz in Bregenz an der engsten Stelle auf dem Weg <strong>von</strong> Schwaben nach Rätien,<br />
zwischen Bodensee <strong>und</strong> den Vorarlberger Bergen. <strong>Die</strong> Grafen <strong>von</strong> Montfort<br />
beerbten die Bregenzer nach <strong>ihre</strong>m Aussterben. Eine <strong>ihre</strong>r Burgen war die<br />
Schattburg bei Feldkirch. Ein anderes Gebiet, wo die <strong>Vaz</strong>er aktiv waren, war<br />
das Domleschg. Es gab dafür zwei Gründe. Zum einen war es das fruchtbare<br />
Tal, das bis an die steilen Flanken genutzt wurde <strong>und</strong> für die adeligen Besitzer<br />
hohe Zinsen abwarf. <strong>Die</strong> zahlreichen grösseren <strong>und</strong> kleineren Herrensitze<br />
dienten einerseits als Verwaltungszentren <strong>und</strong> anderseits als Schutzburgen für<br />
die Herren, darunter die <strong>Vaz</strong>er. Damit kommen wir zur strategischen<br />
Bedeutung des Tales als Zugang zu den rätischen Alpenpässen. Es ist nicht <strong>von</strong><br />
ungefähr, dass es beim Taleingang bei Rothenbrunnen, Paspels <strong>und</strong> Tomils<br />
eine ganze Reihe <strong>von</strong> Burgruinen gibt. Einzelne kleben gleichsam an den<br />
Felsen beim Taleingang auch das stolze Schloss Ortenstein, auf markantem<br />
Felsvorsprung gelegen, war vazisch. Dort wuchs auch Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, der<br />
letzte <strong>Vaz</strong>er mit seiner Mutter, der Gräfin <strong>von</strong> Kirchberg, auf.<br />
Auf die <strong>Vaz</strong>er gehen Neu-Sins <strong>und</strong> Alt-Sins zurück. Auf der andern Talseite<br />
stand die Feste Heinzenberg. Das Domleschg war zu vazischer <strong>Zeit</strong> gleichsam<br />
dreigeteilt. Oben am Talrand war bischöfliches Gebiet mit Almens <strong>und</strong><br />
Scharans, in der Mitte ein Streifen mit Paspels <strong>und</strong> Tomils unter Herrschaft der<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> unten dem Rhein entlang wieder bischöfliches Gebiet<br />
mit dem befestigten Städtchen Fürstenau als bischöflichem Stützpunkt. <strong>Die</strong>ses<br />
steht am Anfang der wichtigen Route durch den Schyn ins Albulatal <strong>und</strong><br />
weiter durchs Oberhalbstein über die Pässe in den Süden. Zu erwähnen wären<br />
noch die beiden Burgen Hohenrätien bei Thusis <strong>und</strong> Ehrenfels bei Sils.<br />
An einem andern Ort stand auch eine vazische Burg, Strassberg bei Malix<br />
gleichsam als Riegel am anderen Zugang zu den Bündner Tälern <strong>und</strong> den<br />
Pässen nach Süden. <strong>Die</strong> Burgen im Oberhalbstein flankierten gleichsam die<br />
Pässe Septimer <strong>und</strong> Julier. Der Bischof <strong>von</strong> Chur sicherte sich hier die Burg
- 40 -<br />
Riom. Zu den wichtigsten oberrätischen Burgen gehörte wie schon erwähnt<br />
Belfort. An diesem leicht zu kontrollierenden Punkt stand schon früher eine<br />
Burg, bevor die <strong>Vaz</strong>er nach Rätien kamen. Sie suchten sich diesen Ort aus<br />
verschiedenen Gründen zum Bau <strong>ihre</strong>r Burg aus.<br />
S. 34: Zum Schluss gehen wir noch ins Rheinwald. Dort ist die Burg bei Splügen,<br />
auch vazisches Gebiet. <strong>Die</strong> Rheinwaldner Walser hatten sozusagen zwei<br />
Herren, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax - Misox <strong>und</strong> die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Ein<br />
Gr<strong>und</strong>, warum sie auf die <strong>Vaz</strong>er Seite kippten, ist wahrscheinlich, dass sie sich<br />
<strong>von</strong> den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> einen besseren Schutz erhofften als <strong>von</strong> den<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax-Misox. Hatten sie doch <strong>ihre</strong> Burg Splügen ganz in der<br />
Nähe. Sie mussten ja auch jährlich 20 Mark Schirmgeld bezahlen <strong>und</strong> standen<br />
dafür unter dem Schutz der <strong>Vaz</strong>er.<br />
Von der Wehrburg zum Herrensitz.<br />
<strong>Die</strong> Burg Belfort östlich <strong>von</strong> Brienz war während gut 100 Jahren <strong>von</strong> 1230 bis<br />
1338 der Sitz der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Danach ging die Geschichte der<br />
Burganlage weiter bis zu <strong>ihre</strong>r Zerstörung im Jahr 1499. Sie wurde nach dem<br />
Tod <strong>von</strong> Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> nicht mehr als Sitz eines Adelsgeschlechtes genutzt.<br />
Für die Beschreibung der Burganlage Belfort stütze ich mich auf den<br />
Jahresbericht 2007 des archäologischen <strong>Die</strong>nstes <strong>und</strong> der Denkmalpflege<br />
Graubünden. Dort ist die in den Jahren 2002 bis 2007 erfolgte Sanierung <strong>und</strong><br />
Sicherung der ehemaligen Burganlage in allen Einzelheiten dokumentiert.<br />
<strong>Die</strong> damalige Bedeutung des Baus ist noch heute erkennbar an seiner Grösse<br />
<strong>und</strong> der baulichen Ausstattung der einzelnen Gebäude der Burg sowie an den<br />
Spuren der späteren Erweiterungen <strong>und</strong> Veränderungen. Im zitierten<br />
Jahresbericht des archäologischen <strong>Die</strong>nstes ist <strong>von</strong> einem Neubau die Rede.<br />
<strong>Die</strong> Stämme für den Burgbau wurden im Winter 1227/28 gefällt,<br />
wahrscheinlich im Wald oberhalb der zukünftigen Burganlage. Von dort her<br />
waren sie leichter auf den Bauplatz zu transportieren. Man orientierte sich auch<br />
an schon bestehenden Burgen. <strong>Die</strong> eigentliche Bauarbeit musste vor allem die<br />
einheimische Bevölkerung leisten. Sicher ist, dass es eine strenge <strong>und</strong> zu einem<br />
grossen Teil auch gefährliche Arbeit war. In der ersten Bauphase 1228 bis<br />
1230 wurden der Hauptturm in der Nordwestecke als selbständiger Baukörper,<br />
etwa 8 bis 9 Metern Höhe, einer Mauerdicke an der Basis <strong>von</strong> 2.30 Meter <strong>und</strong>
- 41 -<br />
einer Höhe <strong>von</strong> vier Stockwerken gebaut. Östlich anschliessend wurde danach<br />
der Torturm mit dem Zugang zur Burg <strong>von</strong> der Nordseite her gebaut. So<br />
entstand eine Wehrburg, wie es damals in Oberrätien viele gab. Im 2. Geschoss<br />
des Hauptturmes wurde ein Aufenthaltsraum mit Kamin eingebaut. In der<br />
Aussenwand befand sich ein Aborterker. <strong>Die</strong> beiden Türme erhielten als<br />
Abschluss eine steinerne Plattform <strong>und</strong> auf den Aussenseiten Zinnen. <strong>Die</strong><br />
Plattform erlaubte eine R<strong>und</strong>umsicht. Im südlichen Teil wurde der Palas in<br />
dieser Bauphase zwei Stockwerke hoch gebaut. Er enthielt den Wohnbereich<br />
<strong>und</strong> wurde mit einer Umfassungsmauer geschützt. Im Innern war ein Hof.<br />
Darin wurde eine fünf Meter tiefe Zisterne ausgehoben. Es war nicht einfach,<br />
im Kalkuntergr<strong>und</strong> genügend Wasser für die Burg zu bekommen.<br />
S. 35:
- 42 -<br />
<strong>Die</strong> zweite Bauphase, die Erweiterung zur eigentlichen Wohnburg zum<br />
Herrensitz der <strong>Vaz</strong>er, erfolgte schon 1240 <strong>und</strong> in den darauf folgenden Jahren.<br />
In diesen Jahren wurde auf der Süd- <strong>und</strong> der Westseite der Palas um zwei<br />
Stockwerke erhöht <strong>und</strong> überdeckt. <strong>Die</strong>se oberen Geschosse wurden mit Kalk<br />
geweisselt. Dort befanden sich neue Wohn- <strong>und</strong> Schlafräume. Über die ganze<br />
Breite erstreckte sich der repräsentative Rittersaal. <strong>Die</strong>ser wurde besonders<br />
schön ausgeschmückt auch mit dem Wappen der <strong>Vaz</strong>er, dem doppelten<br />
Schwanenhals <strong>und</strong> dem Schild mit vierteiligem, teilweise quadratischem<br />
Muster. <strong>Die</strong> ausgebaute Burg enthielt wahrscheinlich mehr als eine<br />
Wohneinheit. <strong>Die</strong> Wohnräume waren heizbar. Man fand auch Reste <strong>von</strong><br />
Kacheln, die auf einen Ofen hinweisen. Schönheit <strong>und</strong> Komfort waren wichtig.<br />
Zu diesem gehörte auch der Einbau <strong>von</strong> R<strong>und</strong>bogenfenstern, ja sogar <strong>von</strong><br />
einem Doppelfenster. Solche waren neu für diese <strong>Zeit</strong>. Der Zugang zur Burg<br />
wurde in dieser zweiten Bauphase <strong>von</strong> der Nord- auf die Ostseite verlegt.<br />
Aussen musste man über eine Treppe hoch nach oben steigen <strong>und</strong> gelangte<br />
durch das Burgtor <strong>und</strong> den Torturm in den Innenhof <strong>und</strong> über Lauben in die<br />
oberen Stockwerke. Mit dem Innenausbau der Burg wurde der Innenhof immer<br />
kleiner. Man war froh, dass man mit gewissen Tätigkeiten in den freien Raum,<br />
die Unterburg, ausweichen konnte. Von der Sicherungsmauer für diesen<br />
S. 36: südlichen Teil der Burg ist fast nichts mehr vorhanden. Im Torturm wohnte<br />
wahrscheinlich ein <strong>Die</strong>nstmann mit seiner Familie. Er hatte eine wichtige<br />
Aufgabe. Ihm war die Burghut übertragen. Er kontrollierte das Burgtor <strong>und</strong><br />
sorgte dafür, dass keine Leute hereingelassen wurden, die auf dem Schloss<br />
nichts zu suchen hatten. Er war für die Sicherheit der Schlossfamilien<br />
verantwortlich. Bilder, die während der Restaurationsarbeiten gemacht<br />
wurden, zeigen anschaulich, wie das Schloss des 13. <strong>und</strong> l4. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
ausgesehen haben mag.<br />
<strong>Die</strong> Grafen <strong>von</strong> Rapperswil <strong>und</strong> die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
Zwischen diesen beiden Geschlechtern bestand zu einer gewissen <strong>Zeit</strong> im<br />
dreizehnten Jahrh<strong>und</strong>ert eine enge Verbindung. Rudolf III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> wurde als<br />
Universalerbe zum Vogt Rudolf III. <strong>von</strong> Rapperswil. Aus rätischer Sicht <strong>von</strong><br />
Bedeutung ist aber die Frage, wann ein Freiherr <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> zu einem Grafen <strong>von</strong><br />
Rapperswil wurde.
- 43 -<br />
Denn die Antwort kann die Rolle erklären, die Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> mit den<br />
Grafen <strong>von</strong> Werdenberg <strong>und</strong> Rudolf <strong>von</strong> Habsburg in nachstaufischer <strong>Zeit</strong><br />
spielte. <strong>Die</strong>ses Ostschweizer Triumvirat gestaltete in den 1260-er Jahren des<br />
Interregnums, der königlosen <strong>Zeit</strong>, die Herrschaftsverhältnisse zwischen<br />
Bodensee, Zürich- <strong>und</strong> Walensee bis zur <strong>Zeit</strong> der Wahl des Habsburger<br />
Herzogs Rudolf zum deutschen König um 1270 <strong>und</strong> der Ernennung des<br />
Werdenbergers zum oberschwäbischen Landgrafen. 1273 verlor der <strong>Vaz</strong>er an<br />
Bedeutung, <strong>und</strong> der Werdenberger stellte sich ganz in den <strong>Die</strong>nst der<br />
Habsburger Interessen.<br />
Eine <strong>Vaz</strong>er Übernahme der Rapperswiler Herrschaft kündigte sich 1229 an, als<br />
der Vogt Rudolf <strong>von</strong> Rapperswil seinen Neffen Rudolf den III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> auch<br />
als seinen Erben bezeichnete. Dessen Mutter Adelheid war die Ehefrau Walter<br />
des III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> also eine Schwester des Rapperswiler Vogtes. <strong>Die</strong>se<br />
Verwandtschaft bestätigt auch das Kloster Wettingen in seinem Index der<br />
Gründer <strong>und</strong> Wohltäter, wo ein Graf Rudolf<br />
S. 37: als Neffe des Klostergründers Heinrich <strong>von</strong> Rapperswil bezeichnet wird.<br />
Heinrich war der jüngere Bruder <strong>und</strong> also ebenfalls ein Bruder der <strong>Vaz</strong>er<br />
Gattin Adelheid. Mit dem urk<strong>und</strong>lichen Beleg 1229 <strong>und</strong> der Bestätigung im<br />
Wettinger Index kann an einer <strong>Vaz</strong>-Rapperswiler Heirat kaum mehr gezweifelt<br />
werden. Adelheid erscheint nur 1213 in Chur, wo sie auf <strong>ihre</strong> Rechte an den<br />
<strong>Vaz</strong>er Gütern im oberschwäbischen Linzgau verzichtet. In Lindau trat als<br />
nichträtischer Zeuge auch Johann <strong>von</strong> Strätlingen auf, der Ehemann einer<br />
weiteren Rapperswiler Schwester <strong>und</strong> Schwägerin Walter des III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Der
- 44 -<br />
<strong>Vaz</strong>-Rapperswiler Sohn Rudolf erscheint 1227 als jüngerer Bruder Walters IV.<br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> bei einem Güterverkauf an das Kloster Salem <strong>und</strong> bestätigt mit<br />
seinem Siegel. Rudolf III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> war damals schon über 20 Jahre alt. Seine<br />
Mutter Adelheid wurde um 1180 geboren, sein Vater Rudolf III. um 1170, <strong>und</strong><br />
sein Grossvater Rudolf I. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> heiratete 1169 die Tochter des Grafen <strong>von</strong><br />
Veringen. In Rapperswil gab es drei Grafen namens Rudolf, die sich eindeutig<br />
unterscheiden lassen. Der dritte <strong>und</strong> letzte Rudolf starb 1283, sein Vater<br />
Rudolf II. 1262 <strong>und</strong> Rudolf I. trat 1233 als Graf Rudolf I. <strong>von</strong> Rapperswil auf<br />
<strong>und</strong> muss der Freiherr Rudolf III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> gewesen sein, der 1229 als<br />
Rapperswiler Neffe <strong>und</strong> Erbe genannt wurde. In diesem Zusammenhang<br />
entstand in Rapperswil ein neues Grafengeschlecht, das nur noch den König<br />
über sich hatte. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> waren in diesen Vorgang involviert,<br />
blieben aber selber <strong>Freiherren</strong>. Ihnen ging es vor allem darum, die<br />
Verkehrswege <strong>von</strong> Zürich über Rapperswil Richtung Rätien <strong>und</strong> über die<br />
Alpenpässe in den Süden zu beherrschen. Sie wollten zwar in Mittelbünden ein<br />
eigenes Territorium aufbauen. Sie mischten aber auch in der übergeordneten<br />
Politik mit, <strong>und</strong> da war für sie die enge Beziehung <strong>und</strong> die Verschwägerung<br />
mit der neuen Grafschaft Rapperswil sehr wichtig, denn das Rapperswiler<br />
Schloss steht an einem wichtigen Zugang nach Rätien.<br />
Weitere Parallelen zwischen Belfort <strong>und</strong> Rapperswil<br />
<strong>Die</strong> Urk<strong>und</strong>e <strong>von</strong> 1229 bringt neben der Anwartschaft Rudolf III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> auf<br />
die Rapperswiler Erbschaft auch die Ersterwähnung der Stadt Rapperswil samt<br />
<strong>ihre</strong>m Schloss. <strong>Die</strong> Erwähnung der Bürgerschaft setzt auch die Existenz des<br />
Schlosses voraus. In der Urk<strong>und</strong>e <strong>von</strong> 1233 wird die rapperswilisch-vazische<br />
Standeserhöhung, die Erlangung der Grafenwürde bekannt gegeben. Bauherren<br />
für die zweite Bauphase auf Belfort waren die Brüder Rudolf III. <strong>und</strong> Walter<br />
IV. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. <strong>Die</strong> Erwähnung der Burg <strong>von</strong> Rapperswil lässt auf sich warten.<br />
Erst 1258 wird in Castri Rapperswil eine Urk<strong>und</strong>e ausgestellt. Bei Belfort<br />
erfolgt dieses Rechtsgeschäft erst 1254 in einer Urk<strong>und</strong>e der Gebrüder Rudolf<br />
III. <strong>und</strong> Walter IV. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>.<br />
Eine Witwe in Nöten<br />
1283 starb Graf Rudolf III. <strong>von</strong> Rapperswil. Zurück blieben seine Frau <strong>und</strong> ein<br />
einjähriges Töchterchen. Andere Herren waren sofort bereit, seine Herrschaft<br />
zu übernehmen. Doch die Ehefrau, eine Gräfin <strong>von</strong> Neuffen, trug ein Kind
- 45 -<br />
unter <strong>ihre</strong>m Herzen. Das keimende Leben wurde ein Knabe <strong>und</strong> der<br />
rechtmässige Erbe seines<br />
S. 38: verstorbenen Vaters. Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> eilte der Frau zu Hilfe. Das zeigt<br />
wieder die enge Verbindung der beiden Geschlechter. Mit Kriegern aus<br />
Oberrätien, Schwyz <strong>und</strong> Glarus warf er die Äbtischen aus St. Gallen in den<br />
See. <strong>Die</strong> Kriegsmacht des <strong>Vaz</strong>ers kam aus seinem Herrschaftsbereich sowie<br />
aus dem südlichen Teil der Herrschaft Rapperswil <strong>und</strong> aus dem<br />
habsburgischen Einflussbereich. <strong>Die</strong>ses Beispiel zeigt auf, wie weit der<br />
Einflussbereich Walter V. zu dieser <strong>Zeit</strong> reichte.<br />
Stammbaum der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
Walter I. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, urk<strong>und</strong>lich erwähnt <strong>von</strong> 1135 bis 1160,<br />
† vor 10. März 1169<br />
Walter II., Sohn <strong>von</strong> Walter I., erwähnt 1160<br />
Rudolf I. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, Sohn <strong>von</strong> Walter I., Vogt der Kirche Seefelden<br />
† vor 1200, verheiratet mit Willibirg, Gräfin <strong>von</strong> Veringen<br />
Walther <strong>von</strong> Vatz († 18. Januar 1213) war Bischof <strong>von</strong> Gurk.<br />
Rudolf II. Sohn <strong>von</strong> Walter I., † vor 1227<br />
Walter III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, † 26. November 1254, Sohn <strong>von</strong> Rudolf II.,<br />
verheiratet mit Adelheid <strong>von</strong> Rapperswil<br />
Rudolf III, Sohn <strong>von</strong> Walter III., † 27. Juli 1262 als Rudolf IV.<br />
<strong>von</strong> Rapperswil, Graf <strong>von</strong> Rapperswil<br />
Walter IV. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, Sohn <strong>von</strong> Walter III. verheiratet mit Adelheid<br />
<strong>von</strong> Montfort, † vor 25. April 1255<br />
Walter V., Sohn <strong>von</strong> Walter IV., † 4. November 1284,<br />
verheiratet mit Liukarda <strong>von</strong> Kirchberg, † 24. Mai 1326<br />
Johannes <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, Bruder <strong>von</strong> Donat<br />
Donat, Sohn <strong>von</strong> Walter V., † 23. April 1337/38 in Churwalden,<br />
verheiratet mit Guota <strong>von</strong> Ochsenstein<br />
Margarethe, Tochter <strong>von</strong> Walter V., verheiratet 1. mit Ulrich II. <strong>von</strong> Matsch,<br />
† 1309, 2. mit Ulrich <strong>von</strong> Aspermont, †1333
- 46 -<br />
Kunig<strong>und</strong>e, Tochter des Donat, † 5./6. Februar 1364, verheiratet mit<br />
Friedrich V. <strong>von</strong> Toggenburg<br />
Ursula, Tochter des Donat, verheiratet mit Rudolf IV., Graf <strong>von</strong> Werdenberg-<br />
Sargans, † 27. Dez. 1361, ermordet bei Chiavenna (Quelle: Wikipedia)<br />
S. 39:<br />
<strong>Die</strong> Grafen <strong>von</strong> Montfort <strong>und</strong> die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
Im alten Rätien, das sich bis an den Bodensee erstreckte, waren die Grafen <strong>von</strong><br />
Bregenz ein führendes Geschlecht. Sie starben aber am Anfang des 13.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts aus. Ihre Nachfolger wurden die Grafen <strong>von</strong> Montfort. <strong>Die</strong>se<br />
stammten auch aus dem südschwäbischen Raum, hatten aber auch Besitzungen<br />
<strong>und</strong> Einfluss in Rätien. Ihr Schloss steht heute noch in Langenargen am<br />
Bodensee. Zu den Autoren, die die montfortisch-vazische Verschwägerung<br />
hervorheben, gehören Johann-Ulrich <strong>von</strong> Salis-Seewis <strong>und</strong> Paul Gillardon. Für<br />
diese Forscher holten die <strong>Vaz</strong>er gewissermassen das vordere Prättigau <strong>und</strong><br />
Maienfeld aus montfortischer Hand nach Oberrätien. <strong>Die</strong> Ehefrau Walters III.<br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> wird 1213 beim Davoser Gütertausch als Mitgiftbringerin aus dem
- 47 -<br />
Hause Montfort betrachtet. (Montforterin oder Rapperswilerin) Eine<br />
Montforterin unbekannten Vornamens wurde mit Walter IV. verheiratet. Als<br />
Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 1255 erstmals eine Rechtshandlung vornimmt, ist er noch<br />
unmündig. Sein Vater <strong>und</strong> sein Grossvater sind schon verstorben. Der<br />
Rechtsakt - eine Bestätigung <strong>von</strong> Besitzübertragungen an das Kloster Salem<br />
sei auf Veranlassung seines Onkels Hugo II. <strong>von</strong> Montfort erfolgt. Der<br />
Montforter hängte denn auch sein Siegel an die Urk<strong>und</strong>e. Anderthalb Monate<br />
später agierte Walter V. dann schon völlig selbständig. Er war der erste <strong>und</strong><br />
eingeborene Sohn Walter IV. Er hat die Gräfin <strong>von</strong> Kirchberg geheiratet.<br />
S. 40: Familienverhältnisse in den 1240er Jahren<br />
Zu dieser Datierung passt das gemeinsame Auftreten <strong>von</strong> Rudolf <strong>von</strong> Montfort<br />
mit den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, 1243 am Kaiserhof in Süditalien, im August in<br />
Chur. Ob Walter der III. oder sein Sohn Walter IV. gemeint war, ist unklar.<br />
Mit andern Worten: Dass Walter III. gestorben war, <strong>und</strong> dass sich die<br />
Erwähnungen auf Walter den IV. oder seinen noch jungen Sohn Walter V.<br />
bezogen. Der fast gleichzeitige Tod <strong>von</strong> Walter dem III. <strong>und</strong> Walter dem IV.<br />
um 1254 ist damit geklärt.<br />
Siegeln <strong>und</strong> schöner wohnen<br />
Ab 1243 führt das <strong>Vaz</strong>er Familienoberhaupt - eher Walter IV. als sein Vater<br />
Walter III. - ein neues Siegel mit verändertem Wappenbild, nachdem sein<br />
Vater noch bis 1236 das alte geführt hatte. <strong>Die</strong> Änderung des Wappenbildes<br />
scheint einer Aufwertung zu entsprechen. Das kennzeichnende<br />
Schachbrettmuster rückt auf den ersten, den vornehmsten Schildplatz vor.<br />
Der so rasch auf die erste Bauphase folgende Ausbau der Wehrburg zum<br />
Schloss hatte vor allem mit der zunehmenden politischen Bedeutung des<br />
Geschlechts der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> in Rätien zu tun. Man verkehrte mit den<br />
bedeutendsten Adelsgeschlechtern der damaligen <strong>Zeit</strong> in Rätien. Der Wohnsitz<br />
musste nach aussen repräsentieren <strong>und</strong> im Innern Wohnkomfort <strong>und</strong> Sicherheit<br />
für die Bewohner bieten. Ein weiterer Gr<strong>und</strong> für den so rasch nach dem Bau<br />
der Burg erfolgten Ausbau zum Schloss war in der Heiratspolitik der <strong>Vaz</strong>er<br />
<strong>Freiherren</strong> begründet. Sie verschwägerten sich mit möglichst hoch gestellten<br />
Grafengeschlechtern. Das war wichtig für <strong>ihre</strong> politischen Tätigkeiten <strong>und</strong>
- 48 -<br />
Ambitionen <strong>und</strong> brachte den <strong>Vaz</strong>ern neue Besitzungen <strong>und</strong> Rechte als<br />
Heiratsgaben ein. Wenn diese jungen Prinzessinnen bei <strong>ihre</strong>r Heirat in ein so<br />
abgelegenes Gebiet wie Belfort zügelten, wollten sie dafür einen <strong>ihre</strong>r Stellung<br />
entsprechenden Wohnkomfort vorfinden. <strong>Die</strong> wichtigste Aufgabe einer<br />
solchen jungen Frau war es, <strong>ihre</strong>n Gatten möglichst rasch mit einem Sohn zu<br />
beschenken, damit der Fortbestand des Geschlechts gesichert war. Wenn man<br />
bedenkt, dass das Durchschnittsalter der Bevölkerung im Hochmittelalter, auch<br />
der Adeligen, bei 35 Jahren lag, blieb nicht immer viel <strong>Zeit</strong>, um die Nachfolge<br />
zu regeln. Einzelne Vertreter des Geschlechts wie Walter III. wurden auch fast<br />
doppelt so alt. <strong>Die</strong> Männer waren oft in politischen Geschäften unterwegs <strong>und</strong><br />
oft mehrere Tage oder gar Wochen abwesend. <strong>Die</strong> Frauen auf dem Schloss<br />
pflegten als Beschäftigung den Minnesang. Sie lasen die Texte <strong>und</strong> sangen die<br />
dazu gehörenden Lieder. Damit füllten sie <strong>ihre</strong> Tage auf dem Schloss aus. Für<br />
die Arbeit <strong>und</strong> zum Teil auch für die Kindererziehung hatten sie Angestellte.<br />
Aber viele starben sehr früh. Eine Ausnahme macht Walter III. Sein Sohn<br />
Walter IV. starb ungefähr gleichzeitig mit ihm. Sein Sohn Walter V. war zu<br />
diesem <strong>Zeit</strong>punkt knapp 16 Jahre alt. Dazu kam eine hohe Kindersterblichkeit,<br />
die den Fortbestand des Geschlechts in Frage stellen konnte.<br />
S. 41:
- 49 -<br />
<strong>Die</strong> Verschwägerung der <strong>Vaz</strong>er mit den Grafen <strong>von</strong> Montfort<br />
<strong>Die</strong> Erneuerung des Spiegelbildes geschah in zeitlicher Parallele zur<br />
Verschwägerung mit dem Haus Montfort. Um 1240 herum heiratete Walter IV.<br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> eine Montforter Gräfin. <strong>Die</strong>se wurde die Mutter <strong>von</strong> Walter V. <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong>. <strong>Die</strong> neue Verwandtschaftsbeziehung war für die <strong>Vaz</strong>er nicht nur materiell<br />
interessant. Sie bedeutete auch einen Prestigegewinn. Immerhin wählten die<br />
Montforter <strong>ihre</strong> Ehepartnerinnen aus gräflichen oder noch höher gestellten<br />
Familien aus. Das vermehrte Prestige verlangte einen Ausbau <strong>von</strong> Belfort. Der<br />
Palas wurde um zwei Etagen aufgestockt. Oben drauf kam ein Dach. <strong>Die</strong><br />
wehrhafte Burg zum Wohnschloss ausgebaut, zur standesgemässen Residenz<br />
aufgewertet. Dass diese zweite Bauphase in Belfort 1239/40 so rasch nach der<br />
ersten <strong>von</strong> 1228/29 folgte, muss vor allem im Zusammenhang mit der<br />
Verschwägerung mit dem Hause Montfort gesehen werden. Auch der Name<br />
des Schlosses, Belfort, ist ein internationaler Prunkname. <strong>Die</strong> Grafen <strong>von</strong><br />
Montfort waren die Nachfolger der Grafen <strong>von</strong> Bregenz. <strong>Die</strong>ses<br />
Herrengeschlecht spielte im unterrätischen Raum bis ins 14. Jahrh<strong>und</strong>ert eine<br />
wichtige Rolle. <strong>Die</strong> Grafen <strong>von</strong> Montfort wohnten zuerst auf der Schattenburg<br />
bei Feldkirch. Um 1260 zogen sie an den Bodensee, nach Südschwaben um. In<br />
diesem Raum hatten sie <strong>ihre</strong> Rechte <strong>und</strong> Besitzungen <strong>und</strong> waren eines der<br />
führenden Adelsgeschlechter. Ihr Einfluss reichte bis an die Grenzen zwischen<br />
Unter- <strong>und</strong> Oberrätien. Zu <strong>ihre</strong>m Besitz gehörte die Bündner Herrschaft, <strong>und</strong><br />
sie hatten auch Besitzungen im vorderen Prättigau. <strong>Die</strong> Grenze<br />
S. 42: zwischen Ober- <strong>und</strong> Unterrätien bildete die Landquart, was nicht überall eine<br />
leicht festzusetzende Grenze war. In dieses Gebiet stiessen auch die <strong>Freiherren</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> vor. Aber sie gingen mit den Montfortern nicht auf Kollisionskurs,<br />
sondern suchten die Zusammenarbeit.<br />
<strong>Die</strong> vazisch- montfortische Verschwägerung stiess bei den Forschern auf<br />
grosses Interesse. Walter IV. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> wurde um l238 mit der Montforterin mit<br />
unbekanntem Vornamen verheiratet. <strong>Die</strong> Montforter Braut brachte neben<br />
Prestige auch Besitz mit in die Ehe. Sie gebar <strong>ihre</strong>m Gatten auf Schloss Belfort<br />
einen Sohn, Walter V. <strong>Die</strong>ser brachte die Herrschaft der <strong>Vaz</strong>er während seiner<br />
Regierungszeit <strong>von</strong> 1255 bis 1284 auf den Höhepunkt der Macht. Am 25. April<br />
1255 nahm er, noch nicht ganz volljährig, die erste Rechtshandlung vor. Er war<br />
zu diesem <strong>Zeit</strong>punkt gleichsam bevorm<strong>und</strong>et. Sein Vater Walter IV. <strong>und</strong> sein
- 50 -<br />
Grossvater Walter III. waren 1255 schon verstorben, meldet die Urk<strong>und</strong>e. Der<br />
Rechtsakt, eine Bestätigung <strong>von</strong> Übertragungen an das Kloster Salem, sei auf<br />
Veranlassung Hugos II. <strong>von</strong> Montfort erfolgt. Der Montforter hängte sein<br />
Siegel als erster, noch vor dem jugendlichen Aussteller an die Urk<strong>und</strong>e. Seine<br />
Abhängigkeit vom montfortischen Onkel wird dadurch deutlich. Monate später<br />
agierte der <strong>Vaz</strong>er dann völlig selbständig <strong>und</strong> muss zu diesem <strong>Zeit</strong>punkt<br />
mindestens 16 Jahre alt gewesen sein. Er wurde um 1238 geboren. <strong>Die</strong><br />
Montforter hatten <strong>ihre</strong>n Wohnsitz zeitweise auch in Bregenz <strong>und</strong> dann in<br />
Tettnang in der Nähe <strong>von</strong> Friedrichshafen. Eine Burg besassen sie auch in<br />
Langenargen direkt am Bodensee.<br />
Grafengleiche <strong>Vaz</strong>er<br />
Im Jahre l275 erhielt Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> vom Bischof <strong>von</strong> Chur einzelne<br />
Besitzungen im Domleschg als erbliches Lehen, unter anderem Tomils mit<br />
Schloss Ortenstein. Dazu besassen die <strong>Vaz</strong>er schon die Burgen Neu Sins <strong>und</strong><br />
Alt Sins bei Paspels <strong>und</strong> die Burg Heinzenberg.<br />
Der Typus der jüngeren Grafschaft oder Territorialgrafschaft hätte sich in<br />
mehreren Territorialherrschaften verwirklichen lassen. Obervaz, Ortenstein /<br />
Tomils, später Rheinwald, Davos <strong>und</strong> inneres Prättigau. Der Umfang dieser<br />
Gebiete, vor allem der letztgenannten, war so gering nicht. Hätten die <strong>Vaz</strong>er<br />
diese als Reichslehen empfangen, wäre dadurch auch die formalrechtliche<br />
Voraussetzung für den Grafentitel erfüllt gewesen. <strong>Die</strong> <strong>Vaz</strong>er Erben, die<br />
Grafen <strong>von</strong> Werdenberg - Sargans führten diesen Titel schon <strong>von</strong> Haus aus. Da<br />
sich der Bischof <strong>von</strong> Chur als Lehensherr der Herrschaften Schams, Obervaz<br />
<strong>und</strong> Ortenstein betrachtete, hätte der Grafentitel den Bischof <strong>von</strong> Chur<br />
herausgefordert. Gerade das Verhältnis zum Bischof war letztlich der Gr<strong>und</strong>,<br />
warum sie auf diesen verzichteten. Der dem Reichsoberhaupt nahestehende<br />
Freiherr Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, der seine Dynastie 1254 bis 1284 auf den<br />
Machthöhepunkt führte, vermied eine Konfrontation mit dem Bischof Konrad<br />
III., seinem Vetter. Immerhin wird Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> in einer Urk<strong>und</strong>e <strong>von</strong><br />
1275, sogar noch vor den Montfortern mitten unter den Grafen erwähnt. Sein<br />
Sohn Donat liess sich bei Gelegenheit ebenfalls Graf nennen, soweit überliefert<br />
nur zweimal in Bezug auf Davos.
- 51 -<br />
S. 43: <strong>Die</strong> Grenze zwischen Ober- <strong>und</strong> Unterrätien bildete, wie schon erwähnt, die<br />
Landquart. <strong>Die</strong> Bündner Herrschaft war montfortisches Gebiet, gehörte zu<br />
Unterrätien. Durch die vazisch-montfortische Verschwägerung kam Maienfeld<br />
in <strong>Vaz</strong>ischen Besitz, <strong>und</strong> sie kamen auch im Prättigau zu Besitz oder gar zu<br />
gräflichen Befugnissen.<br />
Ausser zu Rapperswil hatten die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> auch Beziehungen zu<br />
Zürich. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Frauen weilten oft in Zürich. Ihr<br />
Absteigequaıtier war dort das Haus zum Eich, wo sie einkehrten <strong>und</strong> feierten.<br />
<strong>Die</strong> Frauen <strong>und</strong> auch die Männer vertieften sich in den Inhalt der damaligen<br />
Minnegesänge. Der Ritterstand war damals ein fest gefügter Stand mit Regeln<br />
über das Zusammenleben: Wie man miteinander umging. Man respektierte<br />
sich gegenseitig. Es wurde in diesen Kreisen politisiert, denn es kamen<br />
verschiedene Rittergeschlechter zusammen. Gelegentlich verkehrten auch die<br />
Grafen <strong>von</strong> Toggenburg in diesem Kreis. Man hatte politisch nicht immer die<br />
gleichen Absichten. Der eine oder andere Graf lernte hier vielleicht seine<br />
spätere Gattin kennen. So waren die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> nur zeitweise auf<br />
Schloss Belfort anzutreffen. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> waren auch oft in <strong>ihre</strong>n Territorien<br />
unterwegs.<br />
Sie reisten auch nicht nur nach Zürich, sondern auch über die Bündner Pässe in<br />
den Süden. Sie trieben Handel <strong>und</strong> kamen dabei bis ins Bistum Como. Sie<br />
holten sich vor allem <strong>ihre</strong>n Wein aus südlichen Gefilden. Dazu brauchten sie
- 52 -<br />
einigermassen sichere Routen mit Übernachtungsmöglichkeiten. <strong>Die</strong><br />
wichtigste Route war auch für sie der Weg über den Septimerpass. <strong>Die</strong><br />
verschiedenen Burgen entlang dieser Route ermöglichten einerseits das<br />
Übernachten. Zu viele Burgen konnten auch nachteilig sein, da man immer<br />
wieder einen Wegzoll bezahlen musste.<br />
S. 44: Dynastenpolitik <strong>und</strong> Burgenbau, Zusammenhänge<br />
1. Als die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 1229 bis 33 Belfort errichten, geben sie Obervaz<br />
nicht nur als Residenzort, sondern auch als Besitzschwerpunkt auf. Seit 1213<br />
haben sie nachweislich Besitz im Landwassertal. Ihre weiteren<br />
Besitzansprüche in Davos beruhen unter anderem wohl auf Kontakten mit den<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Wildenberg. <strong>Die</strong>s mochte vor allem auch für den Standort<br />
Belfort gelten.<br />
2. <strong>Die</strong> Verwandtschaft der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> mit den Grafen <strong>von</strong> Montfort<br />
zeigt sich in einer Urk<strong>und</strong>e <strong>von</strong> 1255. Danach hat Walter IV. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> um 1238<br />
die Tochter des Grafen Hugo I. <strong>von</strong> Montfort geheiratet. Ab den 1240er Jahren<br />
ist ein Zusammengehen der beiden Dynastien zu beobachten. <strong>Die</strong><br />
Eheschliessung <strong>von</strong> 1238 gibt den Anlass zum Ausbau der Burg Belfort<br />
1239/40.<br />
3. 1258 unterstützte Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> den Churer Bischof Heinrich I. <strong>von</strong><br />
Montfort, seinen Onkel, Halbbruder der Mutter, beim Erwerb der Burg Riom.<br />
Der geistliche Fürst betreibt zu dieser <strong>Zeit</strong> eine eigentliche Burgenpolitik,<br />
wozu die Gründung der Churburg im Vintschgau <strong>und</strong> die Gründung <strong>von</strong><br />
Fürstenau im Domleschg gehören.<br />
4. <strong>Die</strong> Vorbesitzer der Burg Riom, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Wangen, waren mit den<br />
Montfortern <strong>und</strong> den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Tarasp verwandt. Ihre Oberhalbsteiner<br />
Güter haben sie wohl <strong>von</strong> den Taraspern übernommen, noch vor 1160. Der<br />
erste urk<strong>und</strong>liche Hinweis auf eine Wangener Präsenz im Oberhalbstein datiert<br />
zwar erst <strong>von</strong> 1219. <strong>Die</strong> Burg Riom wird 1227 erbaut.<br />
5. Walter III. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, Erbauer <strong>von</strong> Belfort ist mit einer Freifrau <strong>von</strong><br />
Rapperswil verheiratet. Sein Sohn, Rudolf III. wird 1229 als Erbe der<br />
Grafschaft Rapperswil bezeichnet. Um diesen <strong>Vaz</strong>er muss es sich handeln, als<br />
1233 der erste Graf <strong>von</strong> Rapperswil auftritt. <strong>Die</strong> Burg Rapperswil ist 1229
- 53 -<br />
belegt. Ab 1233 wird sie wohl ausgebaut. Später engagiert sich Freiherr Walter<br />
V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> für die Sicherung des Erbes. Sein Eingreifen für die bedrängte<br />
Witwe <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Kinder.<br />
6. All diese Beziehungen, beruhend auf dem ganzen verwandtschaftlichen<br />
Netzwerk des Hochadels, zeigen sich beim Burgenbau. Auffallend sind<br />
zeitliche Parallelen: Belfort wird ab 1227, Riom ab 1227 <strong>und</strong> Rapperswil ab<br />
1229 gebaut.<br />
Wanderbewegungen in Mitteleuropa im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
<strong>Die</strong> Auswanderung der Walser aus dem Oberwallis kann nicht als einzelne<br />
Erscheinung betrachtet werden. <strong>Die</strong> Bevölkerung in Mitteleuropa wuchs nach<br />
der Jahrtausendwende in vielen Gebieten stark an. Es kam zu einer<br />
Übervölkerung vieler besiedelter Gebiete. Neuland musste gewonnen werden.<br />
In Holland baute man Dämme, um dem Meer zusätzliches Siedlerland<br />
abzugewinnen. Im Osten Deutschlands <strong>und</strong> andernorts wurden Waldgebiete<br />
gerodet, um Siedlerland zu<br />
S. 45: gewinnen. In diesem Zusammenhang ist auch der Auszug der Walser aus dem<br />
Oberwallis zu sehen. <strong>Die</strong> deutsch sprechenden Oberwalliser waren seinerzeit<br />
aus dem Berner Oberland eingewandert <strong>und</strong> hatten das Goms <strong>und</strong> andere<br />
Oberwalliser Täler besiedelt. Es war ein zäher Menschenschlag, der hier auf<br />
Höhen <strong>von</strong> 1200 bis 1700 Metern siedelte <strong>und</strong> das Land fruchtbar machte. <strong>Die</strong><br />
meisten Familien hatten viele Kinder. Das führte mit der <strong>Zeit</strong> zu einer<br />
Übervölkerung der Siedlungsgebiete im Oberwallis. Und hier kamen die<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> andere Adelsgeschlechter ins Spiel. <strong>Die</strong>se brauchten<br />
Siedler für <strong>ihre</strong> schwach- <strong>und</strong> unbewohnten Gebiete in den hochgelegenen<br />
Alpentälern Oberrätiens.<br />
Von 1250 bis 1270 herrschte in Mitteleuropa ein Interregnum, eine kaiserlose<br />
<strong>Zeit</strong>. <strong>Die</strong>se <strong>Zeit</strong> des fehlenden Rechts <strong>und</strong> Schutzes verleitete verschiedene<br />
Herren, auch solche aus Oberrätien, sich Gebiete <strong>und</strong> Rechte anzueignen.<br />
<strong>Die</strong>sen Zustand nutzte vor allem auch Freiherr Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, um Gebiete<br />
unter seine Obhut zu bringen. Als 1273 Herzog Rudolf <strong>von</strong> Habsburg zum<br />
neuen deutschen König gewählt wurde, versuchten die <strong>Vaz</strong>er, diese<br />
Aneignungen zu behalten, was zu einer nicht unwesentlichen Erweiterung<br />
<strong>ihre</strong>s Machtbereichs führte. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> pflegten während dieser
- 54 -<br />
<strong>Zeit</strong> weiterhin gute Beziehungen zum Hause Habsburg. 1298 wurde Herzog<br />
Albrecht I. neuer deutscher König. Neuer Freiherr <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> wurde nach der<br />
kurzen Regierungszeit <strong>von</strong> Freiherr Johannes <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> sein Bruder Donat <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong>.<br />
<strong>Die</strong> Einwanderung der Walser in Graubünden<br />
<strong>Die</strong> Geschichtsschreibung über die Walser im einzelnen <strong>und</strong> die <strong>Freiherren</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> im besonderen weist gewisse Eigenheiten auf, auf die im Folgenden<br />
kurz eingegangen werden muss. Man muss sich vor Augen halten, dass das<br />
Bild der "freien Walser" im 19. <strong>und</strong> teilweise noch im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
weitgehend <strong>von</strong> Autoren gepflegt wurde, die im politischen Liberalismus <strong>und</strong><br />
damit dem Kampf für die Demokratie <strong>und</strong> den liberalen Verfassungsstaat<br />
verpflichtet waren. Für sie war die charakteristische walserische Autonomie<br />
ein leuchtendes Vorbild aus früheren <strong>Zeit</strong>en, das über die reine Feststellung<br />
historischer Fakten doch auch zu gewissen emotionalen Bindungen führte, die<br />
in der damals aktuellen Gegenwart verankert waren. Eine gewisse Tendenz zur<br />
Idealisierung der Walser ist unter diesen Umständen verständlich, aber es muss<br />
dies bei der Interpretation geschichtlicher Fakten berücksichtigt werden.<br />
Anderseits kann gesagt werden, dass gerade in jüngerer <strong>Zeit</strong> versucht wurde,<br />
ein nüchternes Bild <strong>von</strong> den Walsern zu zeichnen. Es besteht in der populären<br />
Bündner Geschichtsschreibung noch immer die einseitige Darstellung dass die<br />
"freien Romanen" gesamthaft gesehen weit weniger im Bewusstsein verankert<br />
zu sein scheinen als die bekannteren "freien Walser". Das Wirken der<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> wurde oft überzeichnet. Es gelang, ihnen unter den<br />
besonderen Bedingungen in der Grafschaft Oberrätien zusammen mit anderen<br />
Dynasten des 12. <strong>und</strong> 13. Jahrh<strong>und</strong>erts zu grafengleicher Stellung aufzusteigen<br />
<strong>und</strong> zur <strong>Zeit</strong> der ersten habsburgischen Könige neben den Bischöfen <strong>von</strong> Chur<br />
zum entscheidenden Machtfaktor zu werden.<br />
S. 46: Für das Verhältnis zwischen den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> den Walsern ist<br />
festzuhalten, dass die kulturellen <strong>und</strong> politischen Gegensätze Graubündens im<br />
19. <strong>und</strong> zum Teil noch im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert auf die Interpretation der<br />
historischen Fakten eingewirkt haben, <strong>und</strong> damit auch das Bild des<br />
Verhältnisses zwischen den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> den Walsern nachhaltig<br />
beeinflusst wurde <strong>und</strong> bisweilen eine zweifelhafte historische Landschaft<br />
entstanden ist.
- 55 -<br />
Durch die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> ausgelöste Zuzüge <strong>von</strong> Walser Siedlern<br />
Hier ist vor allem <strong>von</strong> den durch die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> ausgelösten Zuzüge<br />
<strong>von</strong> Walsern Siedlern nach Oberrätien die Rede. Es ist Freiherr Walter V. <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong>, der in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts den Zuzug <strong>von</strong><br />
Walser Siedlern in Oberrätien vorantrieb <strong>und</strong> dadurch seinen Machtbereich<br />
noch einmal ausdehnte <strong>und</strong> festigte. Durch eine kluge Politik konnte er die<br />
Walser Siedler an sich binden, <strong>und</strong> er sorgte dafür, ein gutes Verhältnis zu den<br />
übrigen Feudalherren in Oberrätien <strong>und</strong> zum Churer Bischof herzustellen. Da<br />
die Oberwalliser Familien viele Kinder hatten, kam es im Oberwallis im Laufe<br />
des 12. Jahrh<strong>und</strong>erts zu einer Übervölkerung. Das führte zu einer<br />
Auswanderungswelle. <strong>Die</strong> ersten Siedler aus dem Oberwallis siedelten in den<br />
Tälern südlich der Gebirgskette der Walliser Alpen. Vom Goms kamen sie<br />
über den Griespass <strong>und</strong> vom Binntal über den Albrunpass ins Pomatt, vom<br />
Sasstal über den Monte Moropass <strong>und</strong> <strong>von</strong> Zermatt über den Theodulpass in<br />
die obersten Täler südlich der hohen Berge. Sie siedelten in Alagna,<br />
Macugnaga, Gressoney <strong>und</strong> weiteren Orten südlich des Monte Rosa Massivs.<br />
Das Überqueren der Pässe wurde dadurch erleichtert, dass das Klima in jenen<br />
Jahrh<strong>und</strong>erten ziemlich mild war. <strong>Die</strong> Waldgrenze lag an manchen Orten in<br />
den Alpen auf 2400 Metern. Darunter dehnten sich grosse Wälder aus, die in<br />
steilen Gebieten fast <strong>und</strong>urchdringlich waren. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> die<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax-Misox suchten Walliser Siedler für <strong>ihre</strong> bündnerischen<br />
Besitzungen. Aus den Tälern südlich des Monte Rosa zogen Gruppen <strong>von</strong><br />
Walsern bald weiter nach Bosco Gurin <strong>und</strong> weiter ins Tessin <strong>und</strong> ins Misox.<br />
<strong>Die</strong> Besiedlung des hintern Rheinwalds. Der Freibrief <strong>von</strong> 1277<br />
Das Gebiet des Oberen Rheinwalds war um die Mitte des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
noch ein fast unberührtes Waldgebiet. Nur in Hinterrhein stand ein einsames<br />
Kirchlein, wie wenn es auf die Besiedlung des Tales wartete. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong><br />
<strong>von</strong> Sax-Misox brachten die ersten Walser Siedler um 1270 vom obern Misox<br />
über den San Bernardinopass ins hintere Rheinwald. <strong>Die</strong>se ersten Walser<br />
Siedler stammten aus dem Goms, was auch ihr Dialekt verrät. Es ist auch<br />
urk<strong>und</strong>lich erwiesen. Sie kamen vorerst über den Griespass <strong>und</strong> vom Binntal<br />
über den Albrunpass ins Pomatt. Von dort gelangten sie über das Tessin ins<br />
Misox, das unter saxischer Herrschaft stand. Auch im hinteren Rheinwald<br />
übten die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax-Misox die Gr<strong>und</strong>herrschaft aus. <strong>Die</strong>se Walser
- 56 -<br />
Siedler wurden <strong>von</strong> den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax - Misox hierher geholt <strong>und</strong><br />
begannen die Gebiete beidseits des Bernardinopasses zu urbarisieren <strong>und</strong> zu<br />
besiedeln.<br />
S. 47: <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> hatten in diesem Gebiet schon früher Einfluss. Sie<br />
besassen im vordern Rheinwald Alpen, die sie an Leute aus dem Bistum Como<br />
zu Zinslehen vergeben hatten. Es handelte sich um die Alpen Lambegn<br />
(Andeer), Rhäzüns (Splügen) <strong>und</strong> Tambo (Medels). Das führte bereits im<br />
frühen 13. Jahrh<strong>und</strong>ert gelegentlich zu Zusammenstössen mit der<br />
einheimischen Bevölkerung. Im Schams <strong>und</strong> im untern Rheinwald besassen<br />
die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> die Vogtei <strong>und</strong> strebten die Gebietsherrschaft an.<br />
Gr<strong>und</strong>herr War der Bischof <strong>von</strong> Chur. Im Rheinwald strebten die <strong>Vaz</strong>er auch<br />
die Gebietsherrschaft an. Wer sollte nun im obern Rheinwald regieren? <strong>Die</strong><br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax - Misox hatten <strong>ihre</strong> Burg in Mesocco <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Talkirche in<br />
San Vittore, zu der auch das obere Rheinwald gehörte. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax-<br />
Misox wollten das obere Rheinwald unter <strong>ihre</strong>r Herrschaft behalten. Ungefähr<br />
gleichzeitig kamen auch die ersten Siedler der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> im Tal an.<br />
<strong>Die</strong>se Siedler kamen teils aus dem Vordern Rheinwald <strong>und</strong> teils aus dem<br />
Pomatt. Für die <strong>Vaz</strong>er musste es nun schnell gehen. Freiherr Walter V. schloss<br />
schon 1277 einen Schutzvertrag mit seinen Siedlern im Rheinwald ab. Im Jahr<br />
1286 kamen weitere Walser Siedler aus dem Pomatt ins Misox. Sie knüpften<br />
Kontakte mit der Gr<strong>und</strong>herrschaft im oberen Rheinwald. Aber da waren zu<br />
diesem <strong>Zeit</strong>punkt auch schon die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, die <strong>ihre</strong> Siedler<br />
vertraglich an sich geb<strong>und</strong>en hatten. Aber die Siedler der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax -<br />
Misox liessen sich nicht abhalten, das Rheinwald zu besiedeln. <strong>Die</strong> neuen<br />
Siedler erhielten Neuland zur Nutzung <strong>und</strong> als Erblehen für alle <strong>Zeit</strong>en. <strong>Die</strong><br />
Herren erhielten Gebiete zur Stärkung <strong>ihre</strong>r Herrschaften. <strong>Die</strong> Besiedlung des<br />
hintern Rheinwalds ist einwandfrei auf sax-misoxische Initiative<br />
zurückzuführen. Wer <strong>von</strong> beiden Herren im Rheinwald die Oberhand<br />
bekommen würde, war am Anfang noch offen. Von einer Auseinandersetzung<br />
ist nichts bekannt. Nach dem Vertrag <strong>von</strong> 1286 schlossen die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
Sax - Misox 1301 mit <strong>ihre</strong>n Siedlern einen neuen Vertrag ab. Der Schutzbrief<br />
<strong>von</strong> 1277 gab den deutschen Siedlern der <strong>Vaz</strong>er nicht nur das Erblehen<br />
sondern auch die niedere Gerichtsbarkeit. Nur die hohe Gerichtsbarkeit<br />
behielten die <strong>Vaz</strong>er für sich. <strong>Die</strong> Siedler konnten <strong>ihre</strong>n Ammann selber<br />
wählen, sich weitgehend selber verwalten <strong>und</strong> ganz wichtig: Sie standen unter
- 57 -<br />
dem Schutz der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, was in <strong>ihre</strong>r exponierten Lage sehr<br />
wichtig war. <strong>Die</strong> Verpflichtung zu militärischer Hilfeleistung galt für die<br />
Walser nur auf eng umgrenztem Raum. <strong>Die</strong>ser Schutzbrief überlebte die<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> um Jahrh<strong>und</strong>erte. <strong>Die</strong> Rheinwaldner Siedler erhielten auch<br />
Zuzug aus dem vordem Rheinwald. <strong>Die</strong>ses war nur dünn <strong>von</strong> Romanen<br />
besiedelt. Das ganze Rheinwald kam unter den Schutz des Briefes <strong>von</strong> 1277.<br />
<strong>Die</strong> für die <strong>Vaz</strong>er Walser gültigen Rechte wurden wahrscheinlich auch auf die<br />
Misoxer Siedler ausgedehnt. Aber die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax - Misox gaben keine<br />
Ruhe. Noch 1320 nennt sich Simon I. <strong>von</strong> Sax - Misox "Dominus et Rector<br />
Ceneralis" der Nachbarschaft Hinterrhein, ein klarer Hinweis auf den<br />
Machtkampf zwischen den <strong>Vaz</strong>ern <strong>und</strong> den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> Sax - Misox, die in<br />
den grossen Fehden des 14. Jahrh<strong>und</strong>erts nicht gr<strong>und</strong>los auf der Seite der<br />
Gegner der vazischen Herren standen. Der alte Streit zwischen den beiden<br />
Dynastien flammte immer wieder auf. Es zeigt sich an diesem Beispiel auch,<br />
wie falsch die Behauptung ist, die Ansiedlung <strong>von</strong><br />
S. 48: Walsern in Oberrätien sei nur <strong>von</strong> den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> ausgegangen. Der<br />
Schutzvertrag mit den Walsern im Rheinwald <strong>von</strong> 1277 hatte in der Folge<br />
Modellcharakter für andere vazische Walserkolonien, zum Beispiel Davos. <strong>Die</strong><br />
Walser Kolonisten besiedelten mit der <strong>Zeit</strong> die Waldgebiete im obern<br />
Rheinwald, in die sich bis dahin noch keine Siedler vorgewagt hatten. In<br />
mühsamer Arbeit rodeten sie den dichten Wald, beseitigten Steine <strong>und</strong> Gehölz<br />
<strong>und</strong> mussten das gewonnene Land ausebnen. So gewannen sie Weide- <strong>und</strong><br />
Wiesland für <strong>ihre</strong> Tiere, vor allem Ziegen <strong>und</strong> Schafe. Für sich mussten sie<br />
einfache Häuser bauen, Gr<strong>und</strong>mauern <strong>und</strong> die Küchen aus Stein, die übrigen<br />
Teile, Stube <strong>und</strong> Kammer aus R<strong>und</strong>holz. <strong>Die</strong> Dächer deckten sie mit<br />
Schindeln. Für <strong>ihre</strong> Tiere errichteten sie einfache Ställe aus Holz. So<br />
entstanden kleine Siedlungen mit dem umliegenden Land. Verbindungswege<br />
gab es nur wenige. <strong>Die</strong> Siedler mussten sich mit allem versorgen, was sie zum<br />
Leben brauchten. In den höher gelegenen Gebieten rodeten sie Land für neue<br />
Alpen. In <strong>ihre</strong>r neuen Heimat begannen die Walser Siedler auch, Grossvieh zu<br />
züchten <strong>und</strong> kamen so zu einem grösseren Nutzen. Sie brauchten dazu aber<br />
auch mehr Kulturland. <strong>Die</strong> Walser brachten neben <strong>ihre</strong>r Zähigkeit bei der<br />
Gewinnung <strong>von</strong> neuem Kulturland auch eine neue Sprache aus <strong>ihre</strong>r früheren<br />
Heimat mit, <strong>ihre</strong> deutschen Dialekte.
- 58 -<br />
Nach der Besiedlung des Rheinwalds versuchten die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>,<br />
offensichtlich mit Erfolg, die Walser nach Norden <strong>und</strong> Osten ziehen zu lassen.<br />
<strong>Die</strong> bisherigen Einwohner im Schams <strong>und</strong> im Rheinwald sprachen wie fast<br />
überall in Oberrätien romanisch. <strong>Die</strong> deutsch sprechenden Walser behielten<br />
<strong>ihre</strong> deutsche Sprache. Deutsch sprachen auch <strong>ihre</strong> Herren, zum Beispiel die<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Es war aber ein anderes Deutsch als dasjenige der Walser.<br />
Aber man verstand sich mehr oder weniger gut. Ich glaube nicht, dass die<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> für <strong>ihre</strong> Tätigkeit in Oberrätien die romanische Sprache<br />
verwendeten. Wer mit den Herren kommunizieren wollte, musste dies auf<br />
Deutsch tun, zum Beispiel <strong>ihre</strong> Vögte, Vasallen, Meier <strong>und</strong> Gerichtsherren.<br />
Davos, die grösste Walserkolonie Oberrätiens<br />
Zur grössten vazischen Walserkolonie in Oberrätien wurde das Hochtal Davos<br />
mit seinen Seitentälern. <strong>Die</strong>se Walser kamen aus dem mittleren Wallis <strong>und</strong><br />
dem Saas- <strong>und</strong> dem Mattertal. Ihre Dialekte verraten <strong>ihre</strong> Herkunft. Sie<br />
wanderten über die hohen Pässe in die südlich der Walliser Alpen gelegenen<br />
<strong>und</strong> schon <strong>von</strong> Walsern besiedelten Täler <strong>und</strong> Weiter ins Tessin <strong>und</strong> über das<br />
Misox nach Graubünden <strong>und</strong> dort über das Albulatal bis ins Landwassertal.<br />
<strong>Die</strong>ses war, bevor die Walser dort ankamen, nur dünn <strong>von</strong> Romanen besiedelt.<br />
<strong>Die</strong>se kamen aus dem Albulatal. Weite Gebiete waren noch <strong>von</strong> dichtem Wald<br />
bedeckt. Andere Gebiete wurden nur als Alpen genutzt. Das Landwassertal<br />
war vor dem Eintreffen der Walser wie auch das Oberengadin unter<br />
Gebietsherrschaft des Domkapitels Chur. Es gibt in Davos eine Reihe<br />
romanischer Flurnamen wie Flüela, Strela, Sertig, Spina, Monstein <strong>und</strong> andere.<br />
<strong>Die</strong> Urk<strong>und</strong>e <strong>von</strong> 1213 wurde im Ort Cristis ausgestellt, der sich heute nicht<br />
mehr lokalisieren lässt. <strong>Die</strong>se Urk<strong>und</strong>e weist auch die Anwesenheit der<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> in Davos aus. Sie<br />
S. 49: hatten damals schon Rechte in Davos. Zu dieser <strong>Zeit</strong> gab es in Davos erst<br />
wenige rechtliche Strukturen.<br />
Aus vorwalserischer <strong>Zeit</strong> stammt auch die Siedlung Monstein. Eventuell<br />
kamen romanische Kolonisten <strong>von</strong> Filisur im Albulatal über Jenisberg, das<br />
auch schon früh besiedelt war, nach Monstein. <strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
erkannten rasch, dass im Davoser Hochtal noch viel Platz für neue Siedler war.<br />
Fast gleichzeitig mit den Rheinwaldner Walsern holte Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>
- 59 -<br />
Walser nach Davos. <strong>Die</strong> ersten Walser Siedler kamen um 1280 <strong>von</strong> Westen her<br />
nach Davos <strong>und</strong> begannen, in den zum grössten Teil noch mit Wald<br />
überwachsenen Gebieten zu roden. Sie kamen wie vor ihnen schon die<br />
Romanen über inzwischen vazisch kontrolliertes Gebiet im Albulatal nach<br />
Schmitten, über die Wiesner- <strong>und</strong> die <strong>von</strong> bischöflichen Lehensnehmern<br />
genutzten Alteinalpen auf die Sattelhöhe <strong>und</strong> hinunter nach Glaris <strong>und</strong> weiter<br />
nach Davos.<br />
Eine Urk<strong>und</strong>e im Gemeindearchiv <strong>von</strong> Schmitten aus dem Jahr 1544<br />
beschreibt den Weg vom Albulatal nach Davos so: <strong>Die</strong> Strass zu cantniseil<br />
(Sattelhöhe), da man fert gen Tavas <strong>und</strong> mitten gen Trafaschinas (Satterüfe)<br />
nach Glaris. Das war ein abenteuerlicher Weg oberhalb der Waldgrenze.<br />
Möglich ist, dass auf dieser Reise die eine oder andere Familie zurückblieb <strong>und</strong><br />
auf dem Gebiet <strong>von</strong> Wiesen oder auf der Wiesner Alp Mutta siedelte. Eine<br />
frühe Siedlung auf den Histen unterhalb der Wiesner Alp ist bezeugt. Am Weg<br />
<strong>von</strong> der Schmittner zur Wiesner Alp existiert der Ort, z Amma Tisch Bode, der<br />
Boden des Ammann Mathis. Ein Weglein, das den Boden nach oben abgrenzt,<br />
war wahrscheinlich einmal ein Wassergraben zur Bewässerung der Wiesen.<br />
Vielleicht hat auf der Wiesner Alp in der Anfangszeit der Walserwanderungen<br />
eine kleine Walserkolonie bestanden. Etwa 500 Meter westlich der heutigen<br />
Alpsiedlung trifft man auf etwa 20 viereckige<br />
S. 50: Vertiefungen im Boden. Da muss sehr früh eine Siedlung bestanden haben.<br />
Nach dem Abstecher des Autors in seine engere Heimat, geht es weiter mit der<br />
Besiedlung des Landwassertales.
- 60 -<br />
Das hohe Ziel der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
Das Ziel Walter des V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> war es, in den Besitz eines möglichst<br />
zusammenhängenden Gebietes zwischen dem San Bernardino Pass, dem<br />
Schams, Davos, dem Prättigau <strong>und</strong> der Bündner Herrschaft zu kommen. Er<br />
strebte in diesen Gebieten die Gebietsherrschaft an. Dabei musste er die<br />
Besitzansprüche verschiedener anderer Herren, vor allem des Bischofs <strong>von</strong><br />
Chur berücksichtigen. Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> war wahrscheinlich ein gewiefter<br />
Taktiker, der es verstand, zu den führenden Geschlechtern <strong>und</strong> auch zum<br />
habsburgischen Königshaus gute Beziehungen aufzubauen. Er hatte im<br />
Allgemeinen ein gutes Verhältnis zum Bischof <strong>von</strong> Chur <strong>und</strong> auch zum Hause<br />
Habsburg. Kriegerische Auseinandersetzungen trachtete er zu vermeiden, da er<br />
wusste, dass sie ihn schwächen würden. Um seine Pläne zu verwirklichen,<br />
brauchte er auch die Siedler aus dem Wallis. Davos war ausersehen, das<br />
Zentrum seines angestrebten Alpenstaates zu werden. Das ganze rätische<br />
Gebiet war gegen Angreifer <strong>von</strong> aussen nur schwer zu verteidigen. Aber für<br />
seine Bewohner bot der mächtige Freiherr doch einen gewissen Schutz. Auf<br />
seinem Schloss Belfort wurde zu seiner <strong>Zeit</strong> erfolgreich bündnerische<br />
Landesgeschichte betrieben. Dazu musste der Schlossherr häufig unterwegs<br />
sein. Von ihm heisst es, dass er immer unterwegs war, um seine politischen<br />
Ziele zu erreichen.
- 61 -<br />
Er war auf Schloss Belfort wahrscheinlich ein seltener Gast. Für die Zürcher<br />
Gesellschaft hatte er auch nicht viel <strong>Zeit</strong>. An seinem Lebensende hatte er<br />
annähernd erreicht, was er wollte: Ein mit wenigen Ausnahmen<br />
S. 51: zusammenhängendes Territorium vom Rheinwald über die Landschaft Davos,<br />
das Prättigau bis in die Bündner Herrschaft. Allerdings waren darin viele<br />
fremde Flecken. <strong>Die</strong> Walserkolonie Davos wurde durch die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong> gegründet <strong>und</strong> gefördert. Sie waren sehr daran interessiert, das ganze<br />
Gebiet <strong>von</strong> Davos zu besiedeln. Sie hatte im Gebiet <strong>von</strong> Davos schon Rechte,<br />
Jahrzehnte bevor die Walser dort ankamen. Eine Ausnahme in der Besiedlung<br />
<strong>von</strong> Davos machte das Flüelatal. Dorthin kamen Siedler aus dem Engadin. Sie<br />
errichteten die gleichen Hofsiedlungen wie die Walser, sie aber sprachen<br />
romanisch wie übrigens auch die frühesten Siedler <strong>von</strong> Davos. <strong>Die</strong> romanische<br />
Sprache konnte sich in Davos nicht lange halten. Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> war ein<br />
Adeliger des ausgehenden Mittelalters, der sich mit allen seinen Kräften für<br />
sein Werk einsetzte. Der Unterschied seiner Persönlichkeit zu der seines<br />
Nachfolgers ist unter anderem auch im Übergang vom Spätmittelalter in die<br />
Renaissance begründet, <strong>von</strong> der Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> schon beeinflusst war.<br />
Der Vertrag der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> mit den Davoser Walsern, 1289<br />
<strong>Die</strong>ser Brief wurde am 31. August 1289 in Davos ausgestellt. Er richtet sich an<br />
die Walserkolonie in Davos. Wo diese Kolonie siedelte, wissen wir nicht so<br />
genau. Der Brief richtet sich an Ammann Wilhelm <strong>und</strong> seine Gesellen. Walter<br />
V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> lebte zur <strong>Zeit</strong> der Ausstellung des Briefes nicht mehr. Er hinterliess<br />
drei Söhne, Johannes, Donat <strong>und</strong> Walter VI. <strong>Die</strong>se waren zum <strong>Zeit</strong>punkt, als<br />
der Brief ausgestellt wurde, noch minderjährig, das heisst, noch nicht 16 Jahre<br />
alt. Für die Ausstellung des Briefes wurde ihr Oheim Hugo II. <strong>von</strong><br />
Werdenberg-Heiligenberg beigezogen. <strong>Die</strong>ser sıegelte den Brief mit seinem<br />
Siegel neben den drei Söhnen Johannes, Donat <strong>und</strong> Walter VI. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>:<br />
Wir übergeben das Gut zu Davos gemäss dem Willen unseres seligen<br />
Vaters dem Ammann Wilhelm <strong>und</strong> seinen Gesellen zu rechtem Lehen.<br />
Von demselben Gut müssen sie jährlich an der alten Fasnacht an Zins<br />
473 Käse 68 Ellen Tuch <strong>und</strong> auf St. Görien 56 Frischlinge, Fische, oder<br />
für den Käse drei Schilling mailisch <strong>und</strong> für einen Frischling 12<br />
Schillinge geben. Wenn sie das zinsen, können sie das Gut auf ewig
- 62 -<br />
behalten <strong>und</strong> haben mit niemand nichts zu schaffen. Der, der den See<br />
inne hat, der zu diesem Gut gehört. So er das nicht tut, soll er für h<strong>und</strong>ert<br />
Frischlinge ein Pf<strong>und</strong> maylisch geben. Es war eine ganze Menge, was die<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> in der Landschaft Davos jährlich an Zinsen<br />
einnehmen konnten. Auch <strong>von</strong> daher war Davos der wichtigste Teil <strong>ihre</strong>r<br />
rätischen Herrschaft.<br />
Es folgen Bestimmungen, was geschieht, wenn einer nicht bezahlen kann, sich<br />
verschuldet. Wer sich im Tal verschuldet, soll auch darin gerichtet werden.<br />
Wer frisch ins Tal kommt, hat den gleichen Rechtsschutz Wie die bisherigen<br />
Siedler. Der Brief wird mit den beiden Siegeln, dem <strong>von</strong> Hugo II. <strong>von</strong><br />
Werdenberg-Heiligenberg <strong>und</strong><br />
S. 52: dem der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> gesiegelt. Gegeben 1289 Jahre nach Christi<br />
Geburt am Tag San Bartholomei.<br />
<strong>Die</strong> wichtigsten Bestimmungen dieses Briefes:<br />
Das durch die Walser gerodete Land wird zum Erblehen, kann also <strong>von</strong><br />
Generation zu Generation übertragen werden.<br />
<strong>Die</strong> vereinbarten Abgaben sollen sie auf die vereinbarten Tage entrichten.<br />
Neu ankommende Walser Siedler genossen die gleichen Rechte wie die<br />
bisherigen.<br />
Wer ins Tal kommt, hat den gleichen Schirm, den Ammann Wilhelm seine<br />
Gesellen haben.
- 63 -<br />
Im Rahmen dieses Briefes waren die Walser frei. Sie mussten <strong>ihre</strong>m Herrn,<br />
dem <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, die festgesetzten Lehenszinsen entrichten wie die<br />
andern Bewohner des Tales, waren aber in das System <strong>ihre</strong>r vazischen Herren<br />
eingeb<strong>und</strong>en. Ihnen ging es in erster Linie um die Gebietsherrschaft <strong>und</strong> die<br />
hohe Gerichtsbarkeit. Etwas vom Wichtigsten war für die Walser Siedler das<br />
Erblehen. Land, das die Siedler urbarisierten, konnte ihnen <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>n<br />
Nachkommen niemand mehr wegnehmen. In diesem Erblehen ist das Davoser<br />
Hofsystem begründet, das in gewissen Gebieten wie im Sertig <strong>und</strong> in der Spina<br />
heute noch sichtbar ist.<br />
Kolonisation durch die Walser im Raum Davos<br />
<strong>Die</strong> erste Generation der neuen Davoser Siedler war vor allem mit der<br />
Gewinnung <strong>von</strong> Neuland für <strong>ihre</strong> Höfe beschäftigt. Gleichzeitig mussten sie<br />
Häuser <strong>und</strong> Ställe bauen. <strong>Die</strong> Gr<strong>und</strong>mauern <strong>und</strong> die Küchen wurden aus Stein<br />
gebaut, der übrige Aufbau aus R<strong>und</strong>holz, <strong>und</strong> die Dächer mit Schindeln<br />
eingedeckt <strong>und</strong> mit Steinen beschwert. Das war das Material, das sie durch <strong>ihre</strong><br />
Rodungsarbeit gewannen <strong>und</strong> an Ort <strong>und</strong> Stelle<br />
S. 53: zur Verfügung hatten. Der Innenausbau der Häuser war am Anfang sehr<br />
einfach. Sie mussten den Wald roden <strong>und</strong> das auf diese Weise gewonnene<br />
Neuland ausebnen. Allmählich stellten sie <strong>von</strong> der Haltung <strong>von</strong> Ziegen <strong>und</strong><br />
Schafen auf die Grossviehzucht um, was wieder mehr Kulturland erforderte.<br />
<strong>Die</strong> Verbindungswege waren schlecht. Kleine Zentren mit jeweils einer Kirche<br />
stammen zum Teil noch aus vorwalserischer <strong>Zeit</strong>. Der Getreidebau spielte in<br />
der Landschaft Davos eine bescheidene Rolle. Kleine Äcker legte man<br />
meistens an südwärts ausgerichteten steilen Hängen an. In Monstein, wo auf<br />
1600 Metern Höhe Gerste angebaut wurde, sieht man diese kleinen Äcker noch<br />
heute. Am Rand des Ackerlandes stehen noch einige der alten Speicher, in<br />
denen das Korn austrocknete <strong>und</strong> bis zum Dreschen gelagert wurde. Im<br />
Gegensatz zu den meisten Gebieten <strong>von</strong> Davos wurde Monstein <strong>von</strong> Anfang an<br />
als Dorf gebaut. Oberhalb der Waldgrenze wurden die Alpgemächer gebaut.<br />
Dort wurde die Milch zu Käse <strong>und</strong> Butter verarbeitet. Auf einzelnen Alpen,<br />
wie zum Beispiel auf der Stafelalp, wurde eine ganze Reihe <strong>von</strong> Alphütten<br />
gebaut. <strong>Die</strong>se dienten mehreren Bauern als Alp. <strong>Die</strong> Landschaft Davos wurde<br />
bald einmal ein einziges politisches Gebilde, bestand aber aus vielen<br />
Nachbarschaften <strong>von</strong> Monstein über Glaris, Spina, die Seitentäler bis nach
- 64 -<br />
Davos Dorf. Um 1300 bestand Davos aus 12 Nachbarschaften: Meierhof ob<br />
dem Dörflein, See im Dörflein, Flüela auf Pedra, Dischma in den Büelen,<br />
Schatzalp, Pravigan, in der Grüene, Clavadel, Siebelmatta, Glaris, Spina,<br />
Monstein.<br />
In den täglichen Angelegenheiten, vor allem was die Landwirtschaft betraf,<br />
organisierten sich diese Nachbarschaften selber.<br />
S. 54: <strong>Die</strong> Spina<br />
<strong>Die</strong> Spina ist eine Nachbarschaft am linken Talhang südlich <strong>von</strong> Glaris<br />
gelegen. <strong>Die</strong> Siedlung besteht aus lauter Einzelhöfen, gebaut auf den<br />
verschiedenen Terrassen <strong>von</strong> etwa 1500 bis 1700 Metern hinauf. Man sieht die<br />
Anlage der einzelnen Höfe noch, da dort in der späteren <strong>Zeit</strong> kaum noch<br />
gebaut wurde. Viele Häuser sehen noch ähnlich aus wie in früheren<br />
Jahrh<strong>und</strong>erten. <strong>Die</strong> Gr<strong>und</strong>mauern <strong>und</strong> die Küche aus Naturstein, der weitere<br />
Aufbau aus R<strong>und</strong>holz. Nur die Ställe sind grösser geworden. <strong>Die</strong> Flurnamen<br />
gehen in diesem Gebiet auf die deutschsprachigen Walser zurück. Beispiele<br />
<strong>von</strong> Flurnamen sind an de Züne, uf Michelsch uf Tomisch, uf Nadisch, uf m<br />
Board, uf wissige Bode, ober <strong>und</strong> <strong>und</strong>er Egge, in de Chännje, in den obere <strong>und</strong><br />
untere Leerch. <strong>Die</strong> Vorwinterungen führten dazu, dass man das Heu möglichst<br />
dort verfüttern konnte, wo man es geerntet hatte. Zuletzt wurden auch die<br />
meisten steilen Waldhänge zwischen den einzelnen Böden gerodet. Fast das
- 65 -<br />
ganze Gebiet bis auf etwa 1700 Meter hinauf besteht aus Wiesland. Dann<br />
folgen bald die Alpen. Sie sind heute zum Teil oberhalb der Waldgrenze. Beim<br />
Eintreffen der Walser waren alle noch bewaldet. <strong>Die</strong> Alpen sind Privatbesitz,<br />
gehörten zu den Höfen <strong>und</strong> wurden <strong>von</strong> mehreren Bauern genutzt. Eine Alp ist<br />
die Riederalp. Der Name weist auf Sumpf <strong>und</strong> nasse Wiesen hin. <strong>Die</strong><br />
Riederalp befindet sich etwas höher <strong>und</strong> weiter südlich. <strong>Die</strong> dritte Alp,<br />
diejenige im laiden Bach befindet sich auf etwa 1800 Metern. Sie ist mit etwa<br />
170 Hektaren Fläche <strong>und</strong> 73 Kuhrechten die grösste. An den steilen Hängen<br />
oberhalb der Alpen, waren die Mähder, die heute nicht mehr genutzt werden.<br />
Einige haben der Bergstation der Rinerhornbahn den Namen gegeben:<br />
Iatzmeder. In den Alpen wurde bis weit ins 19. Jahrh<strong>und</strong>ert in einfachen<br />
Einrichtungen Milch zu Butter <strong>und</strong> Käse verarbeitet. Maiensässe gibt es in<br />
Davos kaum. <strong>Die</strong> gerodeten Höfe reichen bis auf etwa 1700 Meter hinauf.<br />
Nach einem schmalen Waldgürtel folgen die Alpen.<br />
Im 12. Jahrh<strong>und</strong>ert reichte die Waldgrenze in manchen Gegenden bis gegen<br />
2400 Meter hinauf. Wegen der umfangreichen Rodungen <strong>und</strong> dem im 16.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert kälter<br />
S. 55: werdenden Klima kam die Waldgrenze in Nord- <strong>und</strong> Mittelbünden auf etwa<br />
1900 Meter herunter. <strong>Die</strong> höchstgelegenen Siedlungen der Walser wurden<br />
später zu Maiensässen oder Alpen.
- 66 -<br />
<strong>Die</strong> Besiedlung des Sertig<br />
In gleicher Weise gestaltete sich die Urbarisierung <strong>und</strong> Besiedlung des<br />
Sertigtales. Man begann mit der Rodung in der Gegend <strong>von</strong> Clavadel. Der<br />
Talgr<strong>und</strong> <strong>und</strong> die Sonnenseite des Tales wurden so weit hinauf gerodet, bis das<br />
Gelände zu steil wurde. <strong>Die</strong> Schattenseite des Tales blieb zum grossen Teil<br />
Wald. Von <strong>Zeit</strong> zu <strong>Zeit</strong> wurde ein Hof gebaut, die einen im Talgr<strong>und</strong>, andere<br />
höher oben. Das umliegende Land kam hinzu. So ging das bis hinein ins Sertig<br />
Dörfli. <strong>Die</strong>se Höfe werden bis heute bewirtschaftet. Neue Häuser wurden mit<br />
wenigen Ausnahmen nur im Sertig Dörfli <strong>und</strong> in Clavadel gebaut. Wir haben<br />
hier ein Tal vor uns, das sich seit seiner Besiedlung im späten 13. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
in seiner Struktur nur wenig verändert hat. Nur dass die Bauernhöfe anders<br />
bewirtschaftet werden, <strong>und</strong> die meisten Bauern ein Nebeneinkommen haben.<br />
Wegen einer guten Verkehrserschliessung des Tales ist es heute noch möglich,<br />
auf diesen Höfen zu wohnen.<br />
Der Einschluss der Walser in die hohen Ziele der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
Das Interesse der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> an den neuen Kolonien im Zentrum<br />
Graubündens war gross, vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen. Mit dem<br />
Einzug der Walser stieg die Bevölkerungsdichte in den neu besiedelten<br />
Gebieten. <strong>Die</strong>s führte zu neuem <strong>und</strong> intensiver genutztem Kulturland. <strong>Die</strong>s<br />
betraf alle <strong>von</strong> neuen Siedlern genutzten Gebiete in Oberrätien. <strong>Die</strong> zähen,<br />
furchtlosen Walser schützten ihr neu erworbenes Eigentum vor fremden<br />
Übergriffen. Ihr militärischer Einsatz beschränkte sich allerdings auf ihr<br />
Siedlungsgebiet. Für Einsätze ausserhalb dieses Gebietes mussten sie<br />
entschädigt werden.<br />
<strong>Die</strong> Walser siedelten in Davos in den noch unbesiedelten aber auch in den<br />
dünn besiedelten Gebieten. Der wirtschaftliche Nutzen war auch für <strong>ihre</strong><br />
Herren recht gross. Darum waren die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> an einer möglichst<br />
dicht besiedelten Landschaft Davos <strong>und</strong> andern Siedlungsgebieten interessiert.<br />
Je höher die Erträge der Walser Siedlungen, desto höher waren die Zinserträge<br />
für die Herren. Das Gebiet <strong>von</strong> Davos warf für die <strong>Vaz</strong>er einen jährlichen<br />
Zinsertrag <strong>von</strong> 140 Pf<strong>und</strong> mailisch ab, ein beträchtlicher Betrag. Für die<br />
Region Rheinwald dürfen wir, zusammen mit 20 Pf<strong>und</strong> Schirmgeld mit<br />
Erträgen <strong>von</strong> ca. 90 Pf<strong>und</strong> mailisch rechnen, für Arosa mit etwa 50 Pf<strong>und</strong>,
- 67 -<br />
zusammen aus den grössten Kolonien etwa 280 Pf<strong>und</strong> mailisch oder r<strong>und</strong> 70<br />
Mark Silber, was etwa einem Realwert <strong>von</strong> 1400 Mark Silber entsprechen<br />
würde. Man muss diese Erträge auch in Relation zu andern Erträgen setzen,<br />
warf doch die vazische Alp Rhäzüns bei Splügen allein jährlich einen Ertrag<br />
<strong>von</strong> etwa 150 Pf<strong>und</strong> mailisch ab. Es liessen sich also auch auf Alpen durch<br />
Nichtwalser ansehnliche Erträge erwirtschaften. Durch die Ansiedlung der<br />
Walser in Oberrätien liessen sich die Erträge der <strong>Vaz</strong>er im Jahr um etwa 10%<br />
steigern. Das deutet auf eine nicht sehr hohe<br />
S. 56: Zinsbelastung der Walser Lehen hin. Fast wichtiger waren die Walser für die<br />
<strong>Vaz</strong>er dadurch, dass sie durch <strong>ihre</strong> Vorzugsbehandlung zu <strong>ihre</strong>n treusten<br />
Verbündeten gehörten, was sich in der Folgezeit noch auswirken sollte.<br />
Überblickt man den ganzen Problemkreis, so dürften bei der Ansiedlung der<br />
Walser in Oberrätien militärische Aspekte eine sek<strong>und</strong>äre Rolle gespielt haben.<br />
Ideologische Ziele, wie sie bisweilen auch noch in Publikationen neueren<br />
Datums zu finden sind, dürfte man den <strong>Vaz</strong>ern eigentlich schwerlich<br />
zuschreiben, <strong>und</strong> es wäre verfehlt, sie als Wegbereiter eines demokratischen<br />
Graubündens zu feiern. Zwar hat der Kontakt zu oberitalienischen Städten<br />
zumindest Walter V. <strong>und</strong> seine Nachfolger mit den dort aufkommenden<br />
Selbstverwaltungsformen bekannt gemacht, <strong>und</strong> sie möchten in diesem Sinne<br />
auch ein tieferes Verständnis für die Autonomie der Walsergemeinden<br />
bekommen haben. Doch ist gerade zur Person Donats <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, um den sich so<br />
viel demokratische "Legenden" ranken, in den zeitgenössischen Quellen seiner<br />
<strong>Zeit</strong> nichts Spezielles in dieser Richtung zu finden.<br />
Nach den wenigen vorhandenen Dokumenten zu schliessen war er ein ganz<br />
normaler Adeliger seiner <strong>Zeit</strong>. Ihm ging es wie seinen Vorfahren darum, seinen<br />
Besitz in Oberrätien zu mehren <strong>und</strong> autoritär zu regieren, mit dem Ziel, einen<br />
möglichst zusammenhängenden Alpenstaat zu erhalten. In diesem Sinn waren<br />
auch seine Walser Siedler in seine Ziele eingeschlossen. In den wenigen<br />
bekannten Verträgen wurden ihnen einige wichtige Rechte zugestanden, wie<br />
das schon erwähnte Erblehen <strong>und</strong> eine weitgehende Selbstverwaltung. <strong>Die</strong><br />
Errichtung <strong>von</strong> Gerichtsgemeinden in Oberrätien blieb einer späteren<br />
Generation vorbehalten.
- 68 -<br />
<strong>Die</strong> Ausdehnung der <strong>von</strong> Walsern besiedelten Gebiete in Oberrätien<br />
Der Zustrom <strong>von</strong> Walser Siedlern riss gegen Ende des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts nicht<br />
ab. Vom Rheinwald kamen sie über den Safier Berg ins zum Teil schon früher<br />
bewohnte Safiental, das bischöflicher Gr<strong>und</strong>besitz war <strong>und</strong> auch ins Valser<br />
Tal. Walser siedelten auch im hochgelegenen Avers. Auch dieses war<br />
bischöflicher Gr<strong>und</strong>besitz, was die <strong>Vaz</strong>er nicht hinderte, dort Walser<br />
anzusiedeln. <strong>Die</strong> höchstgelegene Siedlung Juf auf 2125 Metern ist heute noch<br />
das ganze Jahr über bewohnt. Im untern Teil des Tales in Ausser- <strong>und</strong><br />
Innerferera siedelten schon früher Romanen. <strong>Die</strong> beiden Namen deuten auf<br />
Erzgewinnung hin. Walser Siedler treffen wir auch in, Mutten. Im Raum<br />
Klosters haben vor den Walsern schon andere urbarisiert. Das waren die<br />
Mönche des kleinen Stifts Klosters. <strong>Die</strong>ses ist eine Gründung des Klosters<br />
Churwalden, wo die <strong>Vaz</strong>er <strong>ihre</strong> letzte Ruhestätte hatten. Das Kloster<br />
Churwalden wurde 1160, jenes in Klosters etwa im 2. Jahrzehnt des 13.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts gegründet. Es waren in beiden Klöstern Prämonstratenser<br />
Mönche, die neben <strong>ihre</strong>m traditionellen Klosterleben harte körperliche<br />
Urbarisationsarbeit leisteten <strong>und</strong> das gewonnene Neuland bebauten. Neben der<br />
Seelsorgetätigkeit leisteten sie auch als Kolonisten harte Arbeit (siehe Kapitel<br />
"Kirchenbau <strong>und</strong> Klöster"). Den Besitz der Klöster respektierten die <strong>Freiherren</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> machten gelegentlich auch Schenkungen an sie. Von Davos<br />
zogen Walser weiter ins Prättigau <strong>und</strong> siedelten in den noch nicht bewohnten<br />
S. 57: Talrandgebieten. Im Klosterser Talgr<strong>und</strong> konnten keine Hofsiedlungen mehr<br />
errichtet werden, weil das ganze Tal <strong>von</strong> Klosters bis hinein nach Monbiel<br />
schon besiedelt war. Auch die Klosterser Alpen wurden schon früher genutzt.<br />
Sie wurden wie auch andernorts im Prättigau zu Gemeindealpen. Eine<br />
Walsersiedlung ist zum Beispiel Schlappin. Auch das Gebiet <strong>von</strong> St. Antönien<br />
wurde unter dem Einfluss der <strong>Vaz</strong>er besiedelt. Dort finden wir die gleichen<br />
Hofsiedlungen wie in Davos. Auch die Alpen sind zum Teil noch Privatbesitz.<br />
Das Tal war vor der Ankunft der Walser wenig besiedelt. Wenn man Weiter<br />
durchs Prättigau hinaus geht, nimmt der Einfluss der <strong>Vaz</strong>er rasch ab. Es waren<br />
auch die Herren <strong>von</strong> Aspermont, die hier die Ansiedlung <strong>von</strong> Walsern<br />
förderten.<br />
Über den Strelapass <strong>und</strong> die andern Übergänge Richtung Schanfigg kamen die<br />
Walser nach Arosa <strong>und</strong> in die Maiensässe im hintern Schanfigg, Fondei,
- 69 -<br />
Sapün, Medregen <strong>und</strong> nach Praden. <strong>Die</strong> Talgebiete des Schanfiggs waren um<br />
diese <strong>Zeit</strong> schon besiedelt. <strong>Die</strong>se verbreitete Ansiedlung <strong>von</strong> Walsern lag<br />
durchaus im Interesse der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. <strong>Die</strong> Neusiedler waren keinen<br />
andern in diesen Gebieten ansässigen Herren zinspflichtig. Sie standen ganz<br />
unter vazischem Einfluss. Einerseits konnten sie die Lehenszinsen aus den<br />
neuerschlossenen Gebieten erheben. Anderseits konnten sie <strong>ihre</strong><br />
Gebietsherrschaft weiter ausdehnen.<br />
Wie weit Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> die Ansiedlung der Walser in Oberrätien<br />
voranbringen konnte bis zu seinem Tod 1284, wissen wir nicht genau. Wir<br />
haben über die zeitliche Abfolge keine Quellen gef<strong>und</strong>en ausser dem Davoser<br />
Brief <strong>von</strong> 1289. Es blieb für seine Nachfolger Johannes <strong>und</strong> Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
noch einiges zu tun. Nach der Ausbreitung der Ansiedlung <strong>von</strong> Walsern in den<br />
verschiedenen mittel- <strong>und</strong> nordbündnerischen Tälern liess der Zustrom<br />
langsam nach, weil es in Oberrätien bald keine unbesiedelten Gebiete mehr<br />
gab. Neu ankommende Walser mussten weiterziehen in voralbergische Gebiete<br />
zum Beispiel ins Brandner- <strong>und</strong> ins Grosse <strong>und</strong> Kleine Walsertal.<br />
<strong>Die</strong> Ansiedlung <strong>von</strong> Walsern im Vorderrheintal<br />
Man vergisst oft, dass ausser den <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> noch andere<br />
Herrengeschlechter im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert Walser Siedler nach Oberrätien holten.<br />
Im Vorderrheintal entstanden an verschiedensten Orten kleinere <strong>und</strong> grössere<br />
Walserkolonien meistens auf der Schattenseite des Tales, wo noch Raum für<br />
Neusiedler vorhanden war. <strong>Die</strong> Sonnenseite, die sich besser für den Anbau <strong>von</strong><br />
Getreide eignete, hatten die Romanen schon früher besiedelt. Mit Obersaxen<br />
entstand im Vorderrheintal eine der grössten Walserkolonien überhaupt. <strong>Die</strong>se<br />
Kolonie konnte auch <strong>ihre</strong>n deutschen Walserdialekt bis heute bewahren. <strong>Die</strong><br />
übrigen Walserkolonien im oberen Vorderrheintal <strong>und</strong> in den meisten<br />
Seitentälern übernahmen mit der <strong>Zeit</strong> die romanische Sprache. Deutsch<br />
sprechende Walserkolonien gibt es dort noch im Safiental <strong>und</strong> in Vals. <strong>Die</strong><br />
Vorderrheintaler Walser waren vom Oberwallis über die Furka ins Urserental<br />
<strong>und</strong> weiter über den Oberalppass ins obere Vorderrheintal gekommen. An der<br />
Ansiedlung <strong>von</strong> Walsern im Vorderrheintal waren die Herren <strong>von</strong> Belmont <strong>und</strong><br />
die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong>
- 70 -<br />
S. 58: Sagogn-Wildenberg beteiligt. Impulse zur Ansiedlung <strong>von</strong> Walsern gingen<br />
auch vom Kloster Disentis aus.<br />
Auf dem Höhepunkt seiner Macht kam Freiherr Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> noch in<br />
den Besitz der Hochvogtei Chur, dies als Folge seines guten Einvernehmens<br />
mit dem Bischof <strong>von</strong> Chur. <strong>Die</strong>se Vogtei verlor sein Nachfolger Donat <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong> später wieder wegen seiner zunehmenden Distanz zu den Churer<br />
Bischöfen.<br />
Freiherr Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, der letzte <strong>Vaz</strong>er<br />
Nach dem Tod <strong>von</strong> Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> 1284 wurde sein ältester Sohn Johannes<br />
sein Nachfolger. Von ihm ist "geschäftlich" nur der Abschluss des Davoser<br />
Briefes <strong>von</strong> 1289 mit den Walsern überliefert. Weil er zu diesem <strong>Zeit</strong>punkt<br />
noch nicht volljährig, 16 Jahre alt war, hat man für diesen Vertragsabschluss<br />
<strong>von</strong> Werdenberg-Heiligenberg, der eigentlich kein Onkel war, beigezogen.<br />
Freiherr Johannes <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> starb nach wenigen Jahren Regentschaft über das<br />
Haus der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Walter V. <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> war ein ruheloser Mensch. Er<br />
war ständig in seinem "Geschäft" unterwegs. <strong>Die</strong> Erziehung seiner Söhne<br />
überliess er weitgehend der Mutter. <strong>Die</strong>se, eine Gräfin <strong>von</strong> Kirchberg, lebte<br />
mit <strong>ihre</strong>m Sohn Donat nicht auf Belfort sondern im Domleschg,<br />
wahrscheinlich auf dem vazischen Schloss Ortenstein.
- 71 -<br />
Was das Aufwachsen unter der Obhut einer Frau für sein späteres Leben<br />
bedeutete, wissen wir nicht. Es ist zu vermuten, dass auch die beiden andern<br />
Söhne Johannes <strong>und</strong> Walter VI. dort aufwuchsen, wobei Walter VI.<br />
wahrscheinlich schon als Kind starb. Johannes wurde der Nachfolger <strong>von</strong><br />
Walter V. Sein Bruder Donat sollte ein Studium absolvieren. Dazu schickten<br />
ihn seine Eltern an die Universität Bologna, um dort Rechtswissenschaften zu<br />
studieren. Nach fast 1000 Jahren entdeckte <strong>und</strong> lehrte man an dieser<br />
Universität wieder das römische Recht. Das zeigt, wie aufgeschlossen diese<br />
Universität war. Es weist aber auch auf das weite Beziehungsnetz der<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
S. 59: <strong>Vaz</strong> hin, dass sie <strong>ihre</strong>n Sohn so weit weg schickten, um zu studieren. Am<br />
Anfang stand an dieser Universität ein allgemeines Gr<strong>und</strong>studium mit<br />
verschiedensten Fächern. Vieles interessierte den aufgeweckten Jungen. Doch<br />
im Hauptfach studierte er das römische Recht. Dass er Rechtswissenschaft <strong>und</strong><br />
nicht Theologie studierte, hatte seinen Gr<strong>und</strong> wahrscheinlich darin, dass er in<br />
Rechtsgeschäften gegenüber seinen Kontrahenten besser gewappnet sein<br />
wollte, um sich besser durchsetzen zu können, wenn es um seinen vazischen<br />
Besitz ging. Er wusste <strong>von</strong> zahlreichen Vertragsabschlüssen seiner Vorfahren,<br />
wie wichtig es dabei war, in Rechtsfragen bewandert zu sein oder auch in<br />
kritischen Situationen das Recht zu seinen Gunsten auslegen zu können. Ob er<br />
sein Studium abschloss, wissen wir nicht. Mit dem erworben Wissen kehrte er<br />
in seine Heimat zurück. Ihm stand eine erfolgreiche geistliche Karriere bevor.<br />
Er verfügte über ein weit reichendes Beziehungsnetz, das bis nach Zürich<br />
reichte. Dazu verfügte er im Gegensatz zu seinen Vorfahren über eine<br />
universitäre Bildung. Er wurde bald Domherr in Chur. Eine erfolgreiche<br />
kirchliche Karriere stand ihm bevor, <strong>und</strong> er sollte nebenbei auch in der<br />
weiteren Entwicklung seines vazischen Besitzes mitreden können.<br />
Aber es kam anders. Sein Bruder Johannes starb nach kurzer Regierungszeit,<br />
<strong>und</strong> Donat musste nach Belfort zurückkehren <strong>und</strong> dort die Zügel in die Hand<br />
nehmen. Er setzte dort das Werk seines Vaters, Walter V. fort, nachdem er an<br />
der Universität in Bologna seinen Horizont erweitert hatte. Er war auch<br />
beeinflusst <strong>von</strong> der beginnenden Renaissance. Er regierte autoritär <strong>und</strong> suchte<br />
seinen Besitz zu erweitern wie sein grosser Vorgänger Walter V., aber<br />
ungestümer <strong>und</strong> weniger diplomatisch, schlau <strong>und</strong> gelegentlich auch
- 72 -<br />
skrupellos. In der Geschichtsschreibung des 19. <strong>und</strong> teilweise noch des 20.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts gibt es unterschiedliche Beschreibungen seiner Person. Für die<br />
einen war er ein Vorkämpfer der bündnerischen Freiheitsbestrebungen, die im<br />
14. <strong>und</strong> Anfang des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts zur Gründung der drei Bünde in Rätien<br />
führten. Von seiner Bildung her könnte dies durchaus so gewesen sein. Andere<br />
beschrieben ihn als Tyrannen, der sein Volk knechtete. Nach der neueren<br />
Geschichtsschreibung war er ein Adeliger des 14. Jahrh<strong>und</strong>erts, dessen Ziele<br />
die Mehrung seines Besitzes <strong>und</strong> die <strong>von</strong> seinem Vorgänger, Walter V.<br />
angestrebte Errichtung eines möglichst zusammenhängenden Alpenstaates in<br />
Mittel- <strong>und</strong> Nordbünden war. Er war selbstsicher im Auftreten, <strong>und</strong> er vertrat<br />
dank seiner Bildung eine neue <strong>Zeit</strong>, die in vielen Dingen aufgeschlossener war<br />
als das Mittelalter. Er nahm weniger Rücksicht auf die Interessen anderer<br />
Herren <strong>und</strong> war selbstsicher in der Durchsetzung seiner Ziele. Was er<br />
aufsetzte, das galt <strong>und</strong> wurde umgesetzt. Dabei kam es zu<br />
Meinungsverschiedenheiten mit andern Herren.<br />
<strong>Die</strong> umfangreiche Urbarisierung in den hochgelegenen Gebieten Graubündens<br />
führte dazu, dass die Waldgrenze <strong>von</strong> bis zu 2400 Metern auf etwa 1900 Meter<br />
sank. Dazu kühlte sich das Klima in den folgenden Jahrh<strong>und</strong>erten ab. Das<br />
führte dazu, dass einige hochgelegene Siedlungen mit der <strong>Zeit</strong> als<br />
Ganzjahressiedlungen aufgegeben werden mussten. Das Gleiche passierte auch<br />
im Wallis, wo einzelne Alpen unter den vordringenden Gletschern<br />
verschwanden. Eine Waldpflege gab es damals noch nicht.<br />
S. 60: Viel Land wurde als Weideland genutzt <strong>und</strong> der geschlossene Wald wurde<br />
dadurch ausgelichtet. <strong>Die</strong> <strong>Zeit</strong> vom 16. bis 19. Jahrh<strong>und</strong>ert wird auch die<br />
kleine Eiszeit genannt.<br />
Der Hauptkontrahent der <strong>Vaz</strong>er in Oberrätien war immer noch der Bischof <strong>von</strong><br />
Chur. Es kam ganz darauf an, ob auch der jeweilige Churer Bischof seinen<br />
Besitz zu mehren versuchte oder sich mit dem begnügte, was er schon besass.<br />
Wenn einer an der Macht war, der seinen Besitz auszuweiten versuchte, konnte<br />
es zu Konflikten mit dem <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> kommen. Solange ein Belmonter<br />
auf dem Fürstbischofsitz in Chur sass, ging das mit Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
einigermassen gut. <strong>Die</strong>ser war den <strong>Vaz</strong>ern wohlgesinnt. Schwieriger wurde es,<br />
als ein Montforter Graf Bischof <strong>von</strong> Chur wurde. <strong>Die</strong> Montforter <strong>und</strong> die<br />
<strong>Vaz</strong>er waren einst befre<strong>und</strong>et, ja verschwägert gewesen <strong>und</strong> hatten <strong>ihre</strong>
- 73 -<br />
Interessen gemeinsam vertreten. Warum sich das Verhältnis zwischen den<br />
beiden Herrengeschlechtern später verschlechterte, können wir nur vermuten.<br />
<strong>Die</strong> Montforter hatten Besitzungen <strong>und</strong> Rechte in der Bündner Herrschaft <strong>und</strong><br />
im vorderen Prättigau. Vielleicht kamen ihnen die <strong>Vaz</strong>er in <strong>ihre</strong>m<br />
Expansionsdrang zu nahe. <strong>Die</strong> <strong>Vaz</strong>er hatten auch Walserkolonien oberhalb der<br />
Bündner Herrschaft, zum Beispiel auf Fadära gegründet. Vielleicht fühlten sich<br />
die Montforter bedrängt. Auf jeden Fall waren sie nach 1300 auf die <strong>Vaz</strong>er<br />
nicht mehr gut zu sprechen. Vielleicht lag es auch in der neuen Person, die auf<br />
Belfort regierte. Wir sehen hier, wie sich das Fre<strong>und</strong>schaftsverhältnis zweier<br />
Familien innerhalb zweier Generationen ins Gegenteil kehren konnte, wenn<br />
sich die politische Konstellation entsprechend verändert <strong>und</strong> andere<br />
Exponenten das Sagen hatten.<br />
Während sein Vater Walter V. immer auf Ausgleich bedacht war, ging sein<br />
ungestümer Sohn Donat schnell einmal auf Konfrontationskurs um seine Ziele<br />
zu erreichen. 1308 kam es zu einem Wechsel auf dem deutschen Königsthron.<br />
Nach dem Tod <strong>von</strong> König Albrecht I. wurde Ludwig <strong>von</strong> Bayern deutscher<br />
König, kein Habsburger. Freiherr Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> schwenkte zum neuen König<br />
<strong>von</strong> Bayern über <strong>und</strong> ging dabei mit den Habsburgern auf Konfrontationskurs.<br />
In diese <strong>Zeit</strong> fiel die Schlacht am Morgarten, wo die Habsburger eine schwere<br />
Niederlage gegen die Innerschweizer einstecken mussten. Auch Donat <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong> scheute sich in der Folge nicht davor, gegen den geistlichen Herrn in Chur<br />
Krieg zu führen. Ob er sich vom Bischof <strong>und</strong> denen, die ihn unterstützten,<br />
bedrängt, oder in seinem Spielraum eingeengt fühlte, wissen wir nicht. 1332/33<br />
kam es zwischen dem Bischof <strong>von</strong> Chur mit den Montfortern im Hintergr<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Freiherr Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, der sich auf Schwyzer Söldner stützte, zu<br />
militärischen Auseinandersetzungen. Das Engadin war zum grossen Teil <strong>von</strong><br />
Gotteshausleuten bewohnt, die unter bischöflicher Herrschaft standen. Zuerst<br />
drangen bischöfliche Truppen aus dem Oberengadin über den Scalettapass ins<br />
Dischma vor auf das Zentrum der vazischen Macht. Auf der Kriegsmatte kam<br />
es zum Kampf zwischen den bischöflichen Truppen <strong>und</strong> jenen des Freiherrn<br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. <strong>Die</strong> letztem standen unter der Führung des Hauptmanns Lukas Guler<br />
<strong>von</strong> Davos. Unter seinen Truppen hatte es viele Walser, die sich für ihr<br />
Davoser Siedlungsgebiet wehrten. Es gelang, die Eindringlinge<br />
zurückzudrängen. <strong>Die</strong> bischöflichen Truppen gingen ins Albulatal <strong>und</strong><br />
versuchten es
- 74 -<br />
S. 61: <strong>von</strong> der andern Seite. Im Raum Filisur stiessen die bischöflichen <strong>und</strong> die<br />
vazischen Truppen aufeinander. <strong>Die</strong>se konnten auf die Unterstützung <strong>von</strong><br />
Innerschweizer Söldnern zählen. Es kam zu einer richtigen Schlacht mit<br />
entsprechenden Verlusten auf beiden Seiten. Schliesslich mussten sich die<br />
bischöflichen Truppen zurückziehen. Aber auch Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> wurde<br />
geschwächt. Eine wichtige Rolle spielten bei dieser Auseinandersetzung die<br />
Walser, die ihm als Defensivkräfte den Rücken frei hielten. Dank ihnen <strong>und</strong><br />
der Innerschweizer Verstärkung gelang es Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, seinen Besitz<br />
unbeschadet aus diesem Konflikt herauszuhalten Aber er war geschwächt. In<br />
diesem Kampf machten die <strong>Vaz</strong>er auch Gefangene, die sie auf Burg Belfort<br />
mitschleppten <strong>und</strong> dort ins Verlies sperrten. Über das Schicksal dieser<br />
Gefangenen schreibt der Mönch Johannes <strong>von</strong> Winterthur, ein <strong>Zeit</strong>genosse <strong>von</strong><br />
Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Nach seiner Darstellung wurden sie schlecht behandelt <strong>und</strong><br />
kamen nicht mehr alle lebendig aus diesem Kerker heraus.<br />
Für die Davoser Walser stand in diesem Konflikt viel auf dem Spiel. Sie sahen<br />
<strong>ihre</strong> mit dem Freibrief <strong>von</strong> 1289 erworbenen Rechte in Gefahr. Wir zitieren<br />
hier den Mönch Johannes <strong>von</strong> Winterthur, einen <strong>Zeit</strong>zeugen <strong>von</strong> Donat <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong>, was er über diesen sagte:<br />
"Obwohl er die Rechte studiert hatte, zeigte der erwähnte Herr <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong> grösste Wut <strong>und</strong> Willkür gegenüber seinen Feinden. Nachdem er<br />
viele <strong>von</strong> ihnen gefangen genommen hatte, gab er diesen zunächst<br />
reichlich zu essen <strong>und</strong> zu trinken, - nur um sie dann in den Kerker zu<br />
werfen, wo er ihnen kaum noch hartes Brot gewährte. Ja, ein<br />
verbreitetes Gerücht über ihn besagt, er sei <strong>von</strong> solcher Hartherzigkeit<br />
<strong>und</strong> Bosheit gewesen, dass er sich sehr freute, wenn er hörte, wie die<br />
Gefangenen vor Hunger <strong>und</strong> Pein in <strong>ihre</strong>m schrecklichen, schmutzigen<br />
Verliess heulten <strong>und</strong> wehklagten.<br />
Nachdem er lange <strong>Zeit</strong> das Bistum Chur bedrängt <strong>und</strong> viele <strong>von</strong> dessen<br />
Gütern an sich gerissen hatte, warf ihn endlich eine Krankheit aufs<br />
Sterbebett. Ermahnt, er solle auf sein Seelenheil bedacht sein <strong>und</strong> die<br />
letzte Beichte ablegen, wie es einem <strong>von</strong> innen scheidenden Gläubigen<br />
gezieme, antwortete er in seiner verstockten Bosheit:
- 75 -<br />
«Ich weiss genau, dass es sich gehören würde, zu beichten, aber ich<br />
beichte nicht. Mir würde die Beichte nämlich überhaupt nichts nützen,<br />
denn ich würde sie ganz ohne Reue ablegen. Und so schied er ohne<br />
Reue, ohne Busse <strong>und</strong> ohne Trost aus dieser Welt- wie entsetzlich <strong>und</strong><br />
beklagenswert"<br />
Soweit der <strong>Zeit</strong>genosse Johannes <strong>von</strong> Winterthur.<br />
Widerstand gegen Freiherr Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> gab es auch aus der Grafschaft<br />
Schams <strong>und</strong> <strong>von</strong> den Freien <strong>von</strong> Laax. Valendas führte einen eigentlichen<br />
Klagerodel gegen den <strong>Vaz</strong>er. So erwuchs ihm an mehreren Orten innerhalb<br />
seines Einflussgebietes Widerstand, <strong>und</strong> es war für ihn nicht einfach,<br />
zusammenzuhalten, was seine Vorfahren aufgebaut hatten. Der Zuzug <strong>von</strong><br />
Walsern liess nach, nachdem alle mittel- <strong>und</strong><br />
S. 62: nordbündnerischen Täler bis über die Waldgrenze hinauf besiedelt waren.<br />
Ankommende Siedlergruppen mussten weiter ziehen in vorarlbergische<br />
Gebiete <strong>und</strong> solche im St. Galler Oberland, wo die <strong>Vaz</strong>er keinen Einfluss<br />
hatten.<br />
Das Gebiet unter vazischer Gebietsherrschaft reichte zur <strong>Zeit</strong> <strong>von</strong> Freiherr<br />
Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> vom Rheinwald über das Schams, Vals, das Safiental, Mutten,<br />
das rechtsseitige innere Albulatal, die Landschaft Davos, das Prättigau, das<br />
Schanfigg, das Churwaldner Tal bis in die Bündner Herrschaft. Natürlich hatte
- 76 -<br />
es in diesen Gebieten noch Rechte anderer Gr<strong>und</strong>herren wie der Aspermont im<br />
vordern Prättigau <strong>und</strong> der Brandis in der Herrschaft. Gr<strong>und</strong>sätzlich erstreckte<br />
sich der Einfluss der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> über dieses ganze Gebiet. Damit<br />
hatten sie ohne es zu wissen das Territorium für den h<strong>und</strong>ert Jahre später<br />
gegründeten Zehngerichteb<strong>und</strong> nahezu festgelegt. Man kann sagen, dass die<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> im 13. <strong>und</strong> zu Beginn des 14. Jahrh<strong>und</strong>erts bündnerische<br />
Geschichte mitgestaltet haben.<br />
<strong>Die</strong> letzte <strong>Zeit</strong> des Schlosses Belfort<br />
Wir kehren wieder zurück auf Schloss Belfort, das bis zum Tod des letzten<br />
<strong>Vaz</strong>ers noch das Zentrum des vazischen Hoheitsgebietes war. <strong>Die</strong>ses hatte sich<br />
inzwischen nach Osten verschoben, wobei allmählich Davos zu dessen<br />
Mittelpunkt wurde. <strong>Die</strong>sem Zentrum galten auch die Angriffe der<br />
bischöflichen Truppen 1332/33. Auf dem Schloss regierte Donat mit seiner<br />
Frau Gräfin Guota <strong>von</strong> Ochsenstein. Nach der Überlieferung hatte Donat <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong> ein voreheliches Verhältnis zu einer <strong>Die</strong>nstmagd,<br />
S. 63: die ihm einen Sohn gebar. <strong>Die</strong>sen anerkannten er oder seine spätere Frau nicht,<br />
<strong>und</strong> er soll im Kloster Pfäfers aufgewachsen sein <strong>und</strong> später dort als Priester<br />
gelebt haben. Der Ehe mit Gräfin Guota <strong>von</strong> Ochsenstein entsprossen die<br />
beiden Töchter Kunig<strong>und</strong>a <strong>und</strong> Ursula, die späteren Erben des vazischen<br />
Besitzes.<br />
Bei einem Besuch der Burgruine Belfort im Frühjahr <strong>2013</strong> entdeckte ich etwas<br />
Neues. Im unteren Teil der Ruine hatten die Förderer der Ruine Belfort einen<br />
Kräutergarten angelegt. Verschiedenste Küchen- <strong>und</strong> Heilkräuter wachsen <strong>und</strong><br />
blühen am untern Rand der Ruine. Ich hatte gelesen, dass die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong>, <strong>und</strong> vor allem Donat der letzte <strong>Vaz</strong>er unter Verdauungsproblemen litten.<br />
Sollte dieser kleine Kräutergarten an die Leiden der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
erinnern? Bezeugt ist es meines Wissens nicht. Verw<strong>und</strong>erlich sind diese<br />
Verdauungsbeschwerden nicht bei der damaligen einseitigen Ernährung. <strong>Die</strong><br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> assen vor allem das, was sie aus den eingenommenen<br />
Zinsen auf den Tisch bekamen. Das waren aus den hochgelegenen Gebieten<br />
vor allem tierische Produkte, Käse, Fleisch <strong>und</strong> Speck. Pflanzliche Nahrung<br />
wie Mehl <strong>und</strong> Brot war wenig dabei, Gemüse <strong>und</strong> Früchte schon gar nicht.<br />
Daneben ernährten sie sich <strong>von</strong> dem, was sie auf der Jagd erbeuteten <strong>und</strong> <strong>von</strong>
- 77 -<br />
den Fischen aus dem Davoser See. Sie assen das, was ihnen schmeckte. Ob<br />
diese Lebensmittel alle noch frisch oder gut konserviert waren, wenn sie auf<br />
Belfort im Kochtopf landeten, ist fraglich. Um <strong>ihre</strong> Magenschmerzen zu<br />
lindern, haben die <strong>Vaz</strong>er wahrscheinlich auf Belfort gepflanzte Heilkräuter<br />
gegessen.<br />
Aus dem Leben der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> gibt es wenig schriftliche Zeugnisse.<br />
Vertragsabschlüsse wie Käufe, Verkäufe <strong>von</strong> Boden <strong>und</strong> Rechten,<br />
Belehnungen <strong>und</strong> Schenkungen wurden schriftlich festgehalten, mit dem<br />
Datum <strong>und</strong> dem Ort des Abschlusses versehen <strong>und</strong> gesiegelt. Schriftlich<br />
festgehalten wurden die beiden Briefe<br />
S. 64: mit den Walsern. Der Brief mit den Rheinwaldnern <strong>von</strong> 1277 <strong>und</strong> derjenige<br />
mit den Davoser Walsern vom 31. August 1289 in Davos ausgestellt, beide<br />
gesiegelt. In den Unterlagen wird meistens nur die <strong>Zeit</strong>spanne angegeben,<br />
innerhalb der schriftliche Zeugnisse der einzelnen <strong>Freiherren</strong> vorliegen, zum<br />
Beispiel bei Walter V. <strong>von</strong> 1255 bis 1284. Bei ihm wird ausnahmsweise das<br />
Todesdatum, der 15. November 1284 angegeben. Im Bestreben, mehr wissen<br />
zu wollen, haben sich vor allem um das Leben <strong>von</strong> Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong><br />
verschiedene Überlieferungen entwickelt, die nicht zu belegen sind. In seinen<br />
letzten Lebensjahren hat Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> verschiedene Vergabungen an Klöster<br />
<strong>und</strong> Kirchen in seinem Einflussgebiet gemacht. Das Kloster Churwalden<br />
wurde mit einer Vergabung bedacht. Vielleicht fühlte der Freiherr sein Ende<br />
nahen <strong>und</strong> dachte dabei an Unrecht, das er begangen hatte, <strong>und</strong> erkaufte sich so<br />
sein Seelenheil. Auch die Kirchen <strong>von</strong> Davos <strong>und</strong> Klosters wurden bedacht.<br />
Sicher bedrückte ihn auch, dass er der letzte Freiherr <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> war. Als Erben
- 78 -<br />
hatte er "nur" seine zwei Töchter, die nach damaligem Recht seinen Namen<br />
nicht weiterführen konnten. Wofür sich die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> ihr Leben lang<br />
eingesetzt hatten <strong>und</strong> das der Inhalt <strong>ihre</strong>s Lebens war, zerfıel nun in zwei Teile.<br />
Ihren Namen gab es in Zukunft nicht mehr. Sie teilten das Schicksal anderer<br />
Herrengeschlechter jener <strong>Zeit</strong>. Aber sie waren zu <strong>ihre</strong>r <strong>Zeit</strong> erfolgreich<br />
gewesen. Sonst hätte diese Darstellung auch nicht geschrieben werden können.<br />
<strong>Die</strong> Umstände <strong>von</strong> Donats Tod sind nicht genau zu klären. Es werden die Jahre<br />
1337 <strong>und</strong> 1338 als Todeszeit angegeben. Wie zu Lebzeiten wollte er auch bei<br />
seinem Tod keinen geistlichen Beistand haben. Wahrscheinlich fand Donat<br />
seine Ruhestätte wie schon seine Vorfahren im Kloster Churwalden. Zu diesem<br />
<strong>Zeit</strong>punkt waren seine beiden Töchter Kunig<strong>und</strong>a <strong>und</strong> Ursula schon<br />
verheiratet: Kunig<strong>und</strong>a mit Graf Friedrich dem V. <strong>von</strong> Toggenburg, Ursula mit<br />
Graf Rudolf IV. <strong>von</strong> Werdenberg Sargans. Beide galten zu <strong>ihre</strong>r <strong>Zeit</strong> als gute<br />
Partie, denn jede brachte die Hälfte der vazischen Besitzungen mit in die Ehe.<br />
Vielleicht hatten sich Freifrau Kunig<strong>und</strong>a <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> Graf Friedrich V. <strong>von</strong><br />
Toggenburg in einer unbeschwerten R<strong>und</strong>e im Haus zum Eich in Zürich<br />
kennengelernt. <strong>Die</strong> Toggenburger Grafen sollen auch dort verkehrt haben. Auf<br />
Schloss Belfort wurde es still. Der Hausherr war gestorben. <strong>Die</strong> beiden Töchter<br />
hatten das Schloss schon vorher verlassen.<br />
S. 65: Auf welcher <strong>ihre</strong>r Burgen die Grafen <strong>von</strong> Toggenburg wohnten, ist nicht<br />
gesichert. Ursula <strong>und</strong> ihr Gatte residierten auf Schloss Sargans im Rheintal.<br />
Auf Schloss Belfort würde nie mehr ein Freiherr regieren. <strong>Die</strong> beiden neuen<br />
Herren des vazischen Besitzes residierten in <strong>ihre</strong>n bisherigen Besitztümern.<br />
Auf Schloss Belfort wohnten nur noch <strong>ihre</strong> Vögte, die für die Rechtsprechung<br />
zuständig waren, wobei die bisherigen Rechte der Walser erhalten blieben,<br />
zogen Steuern <strong>und</strong> Zinsen ein <strong>und</strong> mussten das Territorium gegen äussere<br />
Feinde verteidigen.
- 79 -<br />
Für die Untertanen änderte sich wenig. <strong>Die</strong> Grafen <strong>von</strong> Werdenberg-Sargans<br />
residierten zeitweise auch auf <strong>ihre</strong>m Schloss Ortenstein im äusseren<br />
Domleschg, einer ehemals vazischen Besitzung, dort, wo seinerzeit der junge<br />
Donat <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> mit seiner Mutter gelebt hatte.<br />
Nach 100 Jahren kam auch für die Grafen <strong>von</strong> Toggenburg das Ende. Graf<br />
Friedrich VII. wurde mit Schwert, Schild <strong>und</strong> Helm in der Schattenburg in<br />
Feldkirch begraben. Sein Todesjahr war das Gründungsjahr des<br />
Zehngerichtenb<strong>und</strong>es. <strong>Die</strong>ser umfasste in etwa das Territorium des ehemaligen<br />
Besitzes der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Aber auch jetzt konnten die alten<br />
Abhängigkeitsverhältnisse nicht abgeschüttelt Werden. Neue Herren kamen,<br />
die Grafen <strong>von</strong> Matsch <strong>und</strong> die Montforter, <strong>und</strong> gingen wieder. Eine wichtige<br />
Verbindung, vor allem für das vordere Prättigau, fand 1390 zwischen den<br />
Grafen <strong>von</strong> Werdenberg-Sargans <strong>und</strong> den Grafen <strong>von</strong> Matsch statt <strong>und</strong> zwar<br />
auf Schloss Solavers bei Grüsch. 1470 übernahmen die Herzöge <strong>von</strong><br />
Österreich die Herrschaftsrechte der ehemaligen <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>. Schloss<br />
Belfort war unterdessen altersschwach <strong>und</strong> erneuerungsbedürftig geworden.<br />
Bewohnt wurde es um diese <strong>Zeit</strong> <strong>von</strong> Vertretern der Davoser Familie <strong>von</strong><br />
Beeli, die dort die Aufgaben des österreichischen Vogtes wahrnahmen. Als<br />
1499 unter dem deutschen König Maximilian der Schwabenkrieg ausbrach,<br />
belagerten brandschatzende bündnerische Truppen im März 1499 das Schloss.<br />
Der Besitzer, Herr <strong>von</strong> Beeli aus Davos bat vergeblich um Gnade für das<br />
Schloss. <strong>Die</strong> aufgebrachten Belagerer brannten nieder, was brennbar war.
- 80 -<br />
S. 66: <strong>Die</strong> dicken Mauern widerstanden den Belagerern weitgehend. Geblieben ist<br />
aus jener <strong>Zeit</strong> eine Burgruine, an der der Zahn der <strong>Zeit</strong> seit Jahrh<strong>und</strong>erten nagt.<br />
Burgruine Belfort<br />
Über weite Teile Graubündens zerstreut gibt es Schlösser <strong>und</strong> viele<br />
Burgruinen, die als Wehrbauten <strong>und</strong> Wohnsitze der damaligen<br />
Adelsgeschlechter dienten, später <strong>ihre</strong> Bedeutung verloren <strong>und</strong> heute als<br />
Ruinen an jene <strong>Zeit</strong> erinnern. Auch andere wurden zerstört wie Belfort. Heute<br />
werden solche Burganlagen, wenn noch genügend Substanz vorhanden ist,<br />
aufwendig gesichert, um sie der Nachwelt zu erhalten.<br />
Zu diesen sanierten Burganlagen gehört auch die Burgruine Belfort, die wie<br />
schon erwähnt in den Jahren 2002 bis 2006 durch den archäologischen <strong>Die</strong>nst<br />
des Kantons Graubünden nach den neusten Erkenntnissen saniert wurde, um<br />
sie der Nachwelt zu erhalten. In Brienz besteht der Verein Pro Ruine Belfort,<br />
der die Aufgabe hat, die Ruine zu unterhalten, damit sie gefahrlos besucht<br />
werden kann. Hinter diesem Verein steht die Herren <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> Stiftung mit Sitz<br />
in Basel, die Events auf der Burg <strong>und</strong> Veröffentlichen über die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Vaz</strong> <strong>von</strong> Fall zu Fall mit einem Beitrag unterstützt. Mit dieser Arbeit soll das<br />
Leben <strong>und</strong> Wirken der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> in Erinnerung gerufen werden. Sie<br />
soll einen Einblick gewähren in eine längst vergangene <strong>Zeit</strong>, die für die
- 81 -<br />
Entwicklung <strong>von</strong> Oberrätien, dem späteren Graubünden eine grosse Bedeutung<br />
hatte. <strong>Die</strong>se <strong>Zeit</strong> war eng verknüpft mit dem Adelsgeschlecht der <strong>Freiherren</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, das Geschlecht, das aus Oberschwaben gekommen war <strong>und</strong> hier in<br />
Oberrätien einen wesentlichen Einfluss auf die Geschicke <strong>von</strong> Nord- <strong>und</strong><br />
Mittelbünden vom 12. bis ins 14. Jahrh<strong>und</strong>ert hatte.<br />
S. 67:
- 82 -<br />
S. 68: Unterlagen für meine Arbeit, die <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Zeit</strong><br />
Unterlagen aus dem Staatsarchiv in Chur<br />
Rätien im Hochmittelalter <strong>von</strong> Werner Meyer<br />
<strong>Die</strong> Anfänge der <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, <strong>von</strong> Heinz Gabathuler<br />
Dynastenpolitik <strong>und</strong> Burgenbau <strong>von</strong> Florian Hitz, Klosters/Chur<br />
<strong>Die</strong> <strong>Vaz</strong>er <strong>und</strong> die Grafen <strong>von</strong> Rapperswil <strong>von</strong> Heinz Gabathuler<br />
Aus der Frühzeit <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> - Obervaz, Florian Hitz, Klosters/Chur<br />
Zwischen Schwaben <strong>und</strong> Rätien, Adel <strong>und</strong> Kirche im Hochmittelalter, <strong>Vaz</strong>,<br />
Salem <strong>und</strong> Churwalden <strong>von</strong> Florian Hitz, Klosters Chur<br />
<strong>Die</strong> <strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Walserkolonien <strong>von</strong> Jürg L. Muraro<br />
Brienz/Brinzauls, Burganlage Belfort, archäologischer <strong>Die</strong>nst <strong>und</strong><br />
Denkmalschutz Graubünden, Jahresbericht 2007<br />
<strong>Die</strong> Kirche St. Jakob in Klosters, <strong>von</strong> Florian Hitz <strong>und</strong> Maria Kasper, Klosters<br />
Walser Mitteilungen Nr. 61/201. <strong>Die</strong> Spina, eine Nachbarschaft, <strong>von</strong> Christian<br />
Schmid, Zürich/Davos<br />
Urk<strong>und</strong>e <strong>von</strong> 1544 im Gemeindearchiv <strong>von</strong> Schmitten<br />
Jean Claude Cantieni, Rechtsanwalt, Chur, Kenner der Kulturgeschichte der<br />
<strong>Freiherren</strong> <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong>, aus seinen Unterlagen über dieses Geschlecht.<br />
Bildernachweise (soweit nicht im Text angegeben)<br />
Illustrationen aus den zitierten Arbeiten,<br />
Bilder aus dem Jahresbericht 2007 des archäologischen <strong>Die</strong>nstes <strong>und</strong> der<br />
Denkmalpflege Graubünden <strong>von</strong> der Burg Belfort,<br />
Wikipedia,<br />
Karte <strong>von</strong> Oberrätien um 1300 aus Bündnergeschichte <strong>von</strong> F. Pieth,<br />
Eigene Aufnahmen.<br />
Bestellnummer: ISBN 978-3-033-04109-7<br />
2. Auflage, November <strong>2013</strong>
- 83 -<br />
S. 69: Dank<br />
An dieser Stelle danke ich dem Historiker Florian Hitz aus Klosters für seine<br />
Unterstützung. Ohne diese hätte ich mich nicht an das Thema gewagt. Er hat<br />
mir seine eigenen Schriften zum Thema im Staatsarchiv in Chur zugänglich<br />
gemacht <strong>und</strong> gesagt, welche Unterlagen ich dort sonst noch finde. Er hat mich<br />
auf den Jahresbericht 2007 des archäologischen <strong>Die</strong>nstes <strong>und</strong> der<br />
Denkmalpflege Graubünden hingewiesen <strong>und</strong> mir weiter geholfen, wenn ich<br />
irgendwo unsicher war. Zum Schluss hat er meine Arbeit überprüft.<br />
Jean Claude Cantieni aus Chur für seine Anregungen. Herzlich danke ich<br />
meinem Sohn Johannes für seine Mitarbeit. Mein Dank geht auch an die<br />
Stiftung Herrschaft <strong>von</strong> <strong>Vaz</strong> für <strong>ihre</strong>n grosszügigen Beitrag, sowie an den<br />
Verein Pro Ruine Belfort <strong>und</strong> an den Museumsverein <strong>Vaz</strong> für die Organisation<br />
der Vernissage auf Burg Belfort.<br />
Der Walservereinigung Graubünden danke ich für die Organisation des<br />
Anlasses zur Herausgabe des Buches im Heimatmuseum Davos.<br />
Ihr Interesse für meine Arbeit würde mich freuen. Vertiefen sie sich in die<br />
Geschichte jener längst vergangenen <strong>Zeit</strong>, welche für das Geschick des<br />
Kantons Graubünden <strong>von</strong> grosser Bedeutung war.<br />
Der Verfasser: Werner Gees<br />
Adresse: Rehweidstr. 6, 8590 Romanshorn<br />
Email: werner.gees@bluewin.ch
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S. 70:<br />
Internet-Bearbeitung: K. J. Version 11/<strong>2013</strong><br />
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