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Versorgungsreport Nordrhein 2013 - Kassenärztliche Vereinigung ...

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<strong>Kassenärztliche</strong> <strong>Vereinigung</strong><br />

<strong>Nordrhein</strong><br />

<strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong>


<strong>Kassenärztliche</strong> <strong>Vereinigung</strong><br />

<strong>Nordrhein</strong><br />

<strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong>


Editorial<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

die ambulante Versorgung von mehr als acht Millionen Versicherten in der Region <strong>Nordrhein</strong><br />

ist unser gesetzlicher Auftrag. Annähernd 19.000 niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie<br />

psychologische Psychotherapeuten erfüllen diesen Auftrag Tag für Tag, mit großem persönlichem<br />

Engagement und auf hohem fachlichem Niveau.<br />

Jahrzehntelang war diese Versorgungsleistung eine Selbstverständlichkeit. Die Perspektive<br />

fehlender Haus- oder Fachärzte erschien den meisten Menschen abwegig, dominierte doch in<br />

der öffentlichen Wahrnehmung das trügerische Bild einer „Ärzteschwemme“. Erste Warnsignale<br />

aus der brandenburgischen oder der mecklenburgischen Provinz wurden lange Zeit überhört.<br />

Nur zögerlich setzte sich die Erkenntnis durch, dass der Ärztemangel keine Erfindung von Ärztefunktionären<br />

ist, sondern in vielen Regionen längst Alltagserfahrung der Patienten.<br />

Politiker und auch die Medien reagieren mittlerweile sensibel auf Hinweise, dass die ambulante<br />

ärztliche Versorgung regional gefährdet ist. Dieser Umschwung in der öffentlichen Wahrnehmung<br />

hat sich in konkreten politischen Entscheidungen niedergeschlagen. Im Jahr 2011<br />

hat der Deutsche Bundestag mit einer gelegentlich als „Landärztegesetz“ titulierten Reform<br />

die Weichen für mehr Versorgungssicherheit gestellt. Ein besonders wichtiger Baustein ist der<br />

gesetzliche Auftrag, eine flexible, kleinräumige Bedarfsplanung zu entwickeln.<br />

Dr. Frank Bergmann<br />

Vorsitzender der Vertreterversammlung<br />

der KV <strong>Nordrhein</strong>, dem<br />

Organ der Selbstverwaltung für<br />

die rund 19.000 Vertragsärzte<br />

und -psychotherapeuten. Der<br />

gebürtige Hesse ist als Facharzt<br />

für Neurologie, Psychiatrie<br />

und Psychotherapie in Aachen<br />

niedergelassen. Seit 2001 ist er<br />

Vorsitzender des Berufsverbandes<br />

Deutscher Nervenärzte.<br />

„Eine hohe Lebens- und Arbeitszufriedenheit<br />

unserer Mitglieder<br />

ist die beste Nachwuchswerbung.“<br />

Diese neue Planung gilt seit Mitte <strong>2013</strong>. Sie erleichtert künftig die Arbeit der <strong>Kassenärztliche</strong>n<br />

<strong>Vereinigung</strong>. Sie löst aber auf absehbare Zeit nicht unser zentrales Problem; denn Planung<br />

allein schafft keine neuen Ärzte. Zehn Jahre und mehr gehen ins Land, bis ein Student, eine<br />

Studentin der Medizin nach ihrer Facharztprüfung für die Niederlassung zur Verfügung stehen.<br />

Selbstverständlich werden wir so lange nicht die Hände in den Schoß legen. Es gibt viel zu<br />

tun: allen voran das konsequente Eintreten für unsere heutigen Mitglieder. Ihre Lebens- und<br />

Arbeitszufriedenheit ist die beste „Werbung“, um mögliche Nachfolger für die Niederlassung<br />

zu begeistern. Dazu zählt selbstverständlich auch eine verlässliche wirtschaftliche Perspektive<br />

als Arzt oder Psychotherapeut.<br />

Unser Sicherstellungsauftrag erschöpft sich nicht in Verwaltungsakten, sondern ist in erster<br />

Linie eine Gestaltungsaufgabe. Die Zukunft wirksam zu gestalten kann aber nicht auf der Basis<br />

spekulativer Annahmen gelingen, sondern nur anhand seriöser Daten. Deren Verfügbarkeit und<br />

das methodische und analytische Know-how im Umgang mit diesen Daten tragen wesentlich<br />

bei zur Glaubwürdigkeit der <strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong> als verantwortlichen und kompetenten<br />

Akteurs – heute und in der Zukunft.<br />

Wir freuen uns, dass wir nunmehr den ersten <strong>Versorgungsreport</strong> für unsere KV-Region <strong>Nordrhein</strong><br />

vorlegen können. Die vorliegende Publikation enthält spannende Analysen zur Gegenwart<br />

und aufschlussreiche Prognosen bis ins Jahr 2030. Die Erfahrung lehrt: Die Zukunft kommt<br />

zumeist schneller als gedacht.<br />

Der Report vermittelt Hintergründe zum Versorgungsgeschehen und eignet sich ebenso als<br />

Nachschlagewerk. Er wird ergänzt durch eine Fülle von Informationen, die im vorliegenden Printexemplar<br />

keinen Platz gefunden haben, und die Sie online unter www.versorgungsreport.de<br />

abrufen können.<br />

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.<br />

Ihr<br />

Dr. med. Frank Bergmann<br />

2 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

3


Inhalt<br />

Inhalt<br />

Editorial 3<br />

1 Versorgung HEUTE 6<br />

Einleitung 7<br />

Versorgungsangebot 10<br />

Behandlungsbedarf 16<br />

Mitversorgungsbeziehungen 22<br />

Demografie 28<br />

2 Prognosen & Trends 32<br />

Patienten & Ärzte 2030 34<br />

Neue Arbeitsformen 46<br />

3 Fazit & Ausblick 54<br />

Ideen gegen Ärztemangel 56<br />

Standpunkt 60<br />

Quellenverzeichnis & Impressum 64<br />

Die nachfolgend verwendete männliche Form bezieht selbstverständlich die weibliche Form mit ein. Auf die<br />

Verwendung beider Geschlechtsformen wird lediglich mit Blick auf die bessere Lesbarkeit des Textes verzichtet.<br />

<strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

5


1VERSORGUNG Heute<br />

Wie werden wir in 20 Jahren leben? Wie werden sich unser Alltag,<br />

unsere Routinen verändern? Wie unsere Infrastruktur, Medien und<br />

Technik? Welche Werte teilen wir als Gesellschaft im Jahr 2030?<br />

Einleitung<br />

Die Zukunft war<br />

früher auch besser!<br />

Karl Valentin (1882-1948)<br />

19.455<br />

Vertragsärztinnen und -ärzte, Psychotherapeutinnen<br />

und -therapeuten versorgen rund<br />

8.000.000<br />

Versicherte der<br />

gesetzlichen Krankenkassen<br />

und ihre Familienangehörigen<br />

in <strong>Nordrhein</strong>.<br />

Prognosen sind allgegenwärtig: in der Politik,<br />

in der Wirtschaft, in den Medien. Dabei<br />

sind Prognosen und Szenarien schwierig zu<br />

erstellen, weil sie, ähnlich wie komplexe mathematische<br />

Gleichungen, zumeist mehrere<br />

Unbekannte enthalten. Oder um es mit Mark<br />

Twain zu formulieren: Das Schwierigste an<br />

Prognosen ist, dass sie die Zukunft betreffen.<br />

Verlässliche Versorgung: Planungsverantwortung<br />

der <strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong><br />

Das gilt auch für die Frage, wie sich die medizinische<br />

Versorgung in zehn oder 20 Jahren<br />

gestalten wird. Völlig klar dagegen ist das<br />

Ziel: Die Menschen erwarten auch in Zukunft<br />

eine gute und verlässliche ambulante Versorgung,<br />

die möglichst überall in Deutschland<br />

schnell und leicht erreichbar ist.<br />

Unser Land hat kein staatliches Gesundheitssystem.<br />

Dennoch zählt die gesundheitliche<br />

Versorgung zur öffentlichen Daseinsfürsorge.<br />

Das bedeutet: Nicht allein Markt und Wettbewerb<br />

bestimmen über die Kapazitäten und<br />

Standorte von Krankenhäusern bzw. Arztpraxen,<br />

sondern in hohem Maße öffentliche<br />

Planung. Für die Zukunft der ambulanten<br />

Versorgung trägt daher die <strong>Kassenärztliche</strong><br />

<strong>Vereinigung</strong> eine große Verantwortung. Denn<br />

sie hat den gesetzlichen Auftrag zur Sicherstellung<br />

der Versorgung inne.<br />

Trends in Gesellschaft, Technik und<br />

medizin<br />

Wir wissen bereits heute viel über unser Leben<br />

von morgen. Immerhin sind die meisten<br />

Menschen, die 2030 medizinisch zu versorgen<br />

sind, bereits geboren. Zudem haben sich<br />

wichtige gesellschaftliche Entwicklungen in<br />

den vergangenen Jahrzehnten als erstaunlich<br />

stabil erwiesen: immer mehr und dabei<br />

immer kleinere Haushalte, der Trend hin zu<br />

„Patchwork-Familien“, Bevölkerungswanderungen<br />

von Ost nach West, vom Land in die<br />

Städte und Ballungsräume. Und schließlich<br />

ein dynamischer, bisweilen atemberaubender<br />

medizinischer Fortschritt: neue Techniken in<br />

der bildgebenden Diagnostik, bahnbrechende<br />

Erkenntnisse in der Humangenetik, minimalinvasive<br />

Operationen sowie neue pharmazeutische<br />

und biotechnische Wirkstoffe. Vieles<br />

davon erleichtert und verbessert die Therapie.<br />

Mancher Fortschritt eröffnet völlig neue Optionen;<br />

Krankheiten, die früher zum Tod führten,<br />

sind „beherrschbar“ geworden. Allerdings<br />

oftmals um den Preis eines steigenden Anteils<br />

chronisch kranker Patienten. Hinzu kommen<br />

6 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

7


Einleitung<br />

ungesunde, sozial bedingte Lebensstile wie<br />

falsche Ernährung und Bewegungsmangel.<br />

Diabetes- und Herz-Kreislauf-Patienten werden<br />

zahlreicher – und immer jünger.<br />

Neue Daten für die Planung<br />

Statistikbehörden, Bevölkerungswissenschaftler<br />

und Gesundheitsökonomen, aber auch<br />

Krankenkassen und <strong>Kassenärztliche</strong> <strong>Vereinigung</strong><br />

verfügen über eine Fülle an Daten<br />

und Erkenntnissen. Dennoch erweist sich die<br />

Hoffnung auf eine exakte Planbarkeit unserer<br />

medizinischen Versorgung als Illusion. Viel zu<br />

groß sind in der Summe die Unschärfen und<br />

Wechselbeziehungen all der genannten und<br />

vieler weiterer Trends.<br />

Deutschland vertraut seit vielen Jahren auf<br />

die Planung ambulanter Versorgungsressourcen<br />

mit Hilfe von Verhältniszahlen. Bis vor<br />

wenigen Jahren gab es kaum Anlass, dieses<br />

Verfahren in Frage zu stellen. Die Versorgung<br />

konnte nahezu flächendeckend in ganz<br />

Deutschland gesichert werden. „Planung“ beschränkte<br />

sich im Wesentlichen darauf, die<br />

Kreise und kreisfreien Städte fast überall für<br />

haus- und fachärztliche Neuzulassungen zu<br />

„sperren“, um einen stetigen Zuwachs von<br />

Arztpraxen, insbesondere in den als „attraktiv“<br />

geltenden Regionen und Großstädten,<br />

zu unterbinden, wie etwa München und<br />

sein südliches Umland. Oder hierzulande die<br />

Rheinschiene von Bonn über Köln bis Düsseldorf.<br />

Mittlerweile haben sich die Verhältnisse<br />

gründlich gewandelt. Zwar ist die Anziehungskraft<br />

des Starnberger Sees ungebrochen.<br />

In immer mehr Flächenkreisen ist die<br />

haus- und auch die fachärztliche Versorgung<br />

dagegen in Gefahr. Nicht nur im Osten, in der<br />

sprichwörtlichen Uckermark, sondern auch im<br />

Westen: in Teilen Westfalens ebenso wie am<br />

linken Niederrhein, im Oberbergischen oder in<br />

der nordwestlichen Eifel. Die Gründe hierfür<br />

sind vielfältig und sollen in diesem Bericht<br />

ausführlich zur Sprache kommen.<br />

Die geänderte Situation stellt alle an der<br />

Planung Beteiligten vor neue fachliche Herausforderungen.<br />

Der Rückgriff auf verlässliche<br />

Daten wird immer wichtiger für eine<br />

am Bedarf orientierte Verteilung der knappen<br />

„Ressource“ Arzt. Der vorliegende <strong>Versorgungsreport</strong><br />

ist eine der Antworten der<br />

<strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong> <strong>Nordrhein</strong> auf<br />

diese Herausforderung. Der Report beruht<br />

auf Analysen von Abrechnungs- und Strukturdaten<br />

der <strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong>.<br />

Er bezieht darüber hinaus eine Fülle weiterer<br />

Datenquellen ein. Dieser breite, systematische<br />

Datenbestand bildet eine zuverlässige Basis:<br />

sowohl für die Beschreibung der Ist-Situation<br />

als auch für unterschiedliche analytische<br />

Szenarien zur Zukunft der ambulanten Versorgung<br />

in <strong>Nordrhein</strong>.<br />

Das Berliner Zentralinstitut für die kassenärztliche<br />

Versorgung in Deutschland (ZI) steht<br />

mit seiner Expertise und langjährigen Erfahrung<br />

für die wissenschaftliche Güte der Analysen<br />

im vorliegenden Report. Neben bereits<br />

bewährten Auswertungen hat das ZI spezifische<br />

Modelle eigens für diese Publikation<br />

entwickelt.<br />

Jenseits aller Daten und Analysen sind es<br />

Menschen, die die medizinische Versorgung<br />

tagtäglich in ihren Praxen mit großem Engagement<br />

und hoher Verantwortung erbringen.<br />

Fünf Haus- und Fachärzte kommen stellvertretend<br />

für die rund 19.000 niedergelassenen<br />

Kolleginnen und Kollegen in <strong>Nordrhein</strong> zu<br />

Wort. In Interviews äußern sie ihre persönliche<br />

Sicht auf aktuelle Fragen und Zukunftsperspektiven<br />

der ambulanten Versorgung.<br />

Und auch Patienten sprechen in diesem Report.<br />

Sie sind nicht nur passive Empfänger<br />

oder „Kunden“ von Versorgungsleistungen.<br />

Immer mehr Patienten bringen sich durch ihre<br />

informierte und selbstbestimmte Teilhabe aktiv<br />

in das Therapiegeschehen ein.<br />

Blick in die Zukunft<br />

In drei Abschnitten beleuchtet der Report<br />

wesentliche Aspekte der gegenwärtigen und<br />

künftigen Versorgung in <strong>Nordrhein</strong>. Die Beschreibung<br />

des Status quo liefert eine kleinräumige<br />

Darstellung der Einwohnerzahlen je<br />

Haus- bzw. Facharzt. Darüber hinaus zeigen<br />

spezifische Morbiditätsindikatoren erstmals<br />

regionale Unterschiede in der Krankheitslast.<br />

Neu ist auch die Betrachtung von grenzüberschreitenden<br />

Arzt-Patient-Kontakten, die<br />

als „Mitversorgungsbeziehungen“ zwischen<br />

Kreisen und Städten interpretiert werden und<br />

beträchtliche Auswirkungen auf den örtlichen<br />

Bedarf an ambulanten Leistungen haben.<br />

Der zweite Teil beschäftigt sich mit Prognosen<br />

und Trends. Das hier eingesetzte Rechenmo-<br />

dell berücksichtigt mehr Einflussfaktoren als<br />

vergleichbare Berichte für andere Regionen:<br />

Neben der Altersstruktur von Ärzten und Bevölkerung<br />

sind dies die auf der Basis von Behandlungsdiagnosen<br />

ermittelte Morbidität,<br />

die Zahl der Arzt-Patient-Kontakte sowie die<br />

Standortentscheidungen neu zugelassener<br />

Ärzte in den vergangenen fünf Jahren. Trends<br />

der ärztlichen Versorgung sind ein weiteres<br />

Thema in diesem Berichtsteil. Dabei steht der<br />

Wandel des ärztlichen Berufsbildes im Vordergrund.<br />

Die Zunahme kooperativer Arbeitsformen,<br />

die Attraktivität von Anstellungsverhältnissen<br />

in der ambulanten Versorgung und ein<br />

stetig wachsender Anteil von Ärztinnen sind<br />

die Schlaglichter eines eigenen Kapitels.<br />

Kein Schreckensszenario<br />

Der dritte Teil zieht versorgungspolitische<br />

Schlussfolgerungen aus den dargestellten Zukunftsmodellen.<br />

Für die Politik wie für die KV<br />

<strong>Nordrhein</strong> selbst.<br />

Zahlen sind überzeugend, aber anonym. Bei der Bedarfsplanung<br />

geht es für die Betroffenen um reale Herausforderungen. Im<br />

vorliegenden Report bekommen sie Persöhnlichkeit: stellvertretend<br />

für die Menschen in <strong>Nordrhein</strong>.<br />

Der vorliegende Bericht entwirft kein Schreckensszenario.<br />

Er will die Aufgabe eines Frühwarnsystems<br />

erfüllen. Dabei wird auch deutlich:<br />

Manche Aussichten sind besser, als es<br />

das allgemeine Lamento über den demografischen<br />

Wandel nahelegt. Denn dieser Wandel<br />

trifft die Region <strong>Nordrhein</strong> nicht mit derselben<br />

Wucht wie andere Regionen der Bundesrepublik.<br />

<strong>Nordrhein</strong> hat somit mehr Zeit, um sich<br />

auf die Veränderungen einzustellen. Die KV<br />

<strong>Nordrhein</strong> wird diese Herausforderungen nicht<br />

im Alleingang schultern. Seit jeher sind <strong>Kassenärztliche</strong><br />

<strong>Vereinigung</strong>en und gesetzliche<br />

Krankenkassen in den Gremien der Bedarfsplanung<br />

und Zulassung paritätisch vertreten.<br />

Ab sofort nimmt der Gesetzgeber die Länder in<br />

die Pflicht. Auch die Kommunen werden ihre<br />

Anliegen im Kontext einer kleinräumigen Betrachtung<br />

selbstbewusst zum Ausdruck bringen.<br />

Die Bedarfsplanung wird dadurch nicht<br />

einfacher. Aber es besteht die Chance für einen<br />

fairen Interessenausgleich – für eine gute,<br />

bedarfsgerechte Versorgung in <strong>Nordrhein</strong>.<br />

Im Detail<br />

Die Online-Version mit vielen<br />

zusätzlichen Karten und<br />

Tabellen:<br />

http://goo.gl/zfUVY<br />

8 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

9


Versorgungsangebot<br />

Visite in der Region<br />

Dr. Arno Theilmeier<br />

Eine Suche in den Gelben Seiten signalisiert: Ärzte gibt es reichlich.<br />

Doch erst der genaue Blick hinter die Kulissen verrät, ob die Zahl der Haus- und<br />

Fachärzte wirklich ausreicht, damit die Menschen einer bestimmten Stadt oder<br />

einer Region gut versorgt sind.<br />

55 Jahre, verheiratet, zwei<br />

Töchter; Gastroenterologe in<br />

Mönchengladbach-Rheydt und<br />

Vorsitzender der KV-Kreisstelle<br />

Mönchengladbach.<br />

„Die Qualität der fachärztlichen<br />

Versorgung in der Region ist<br />

exzellent – vor allem aufgrund<br />

des persönlichen Engagements<br />

der Kollegen.“<br />

H<br />

eilen, lindern und vorbeugen – das sind<br />

wesentliche Aufgaben von Ärzten überall<br />

auf der Welt. Wie gut dieser Auftrag<br />

erfüllt wird, hängt von vielen Voraussetzungen<br />

ab. Zuallererst von der Qualität, das heißt<br />

von der Ausbildung der Mediziner, ihrem fachlichen<br />

Know-how und ihrer Erfahrung, aber<br />

auch von der Güte der Zusammenarbeit zwischen<br />

Hausärzten und Spezialisten und nicht<br />

zuletzt von der Kommunikation zwischen Arzt<br />

und Patient. Selbstverständlich entscheiden<br />

auch die verfügbaren finanziellen Ressourcen<br />

darüber, in welchem Umfang die Möglichkeiten<br />

einer modernen Diagnostik und Therapie<br />

eingesetzt werden können. Schließlich bedarf<br />

eine gute Versorgung ausreichender personeller<br />

Ressourcen. Denn von der Zahl der in<br />

einer Region tätigen Ärzte hängt es ab, wie<br />

viele Patienten je Arzt im Durchschnitt zu betreuen<br />

sind und wie viel Zeit ein Arzt sich für<br />

den einzelnen Patienten und seine Probleme<br />

nehmen kann.<br />

Wer einen Arzt braucht, findet in aller Regel<br />

wohnortnah die passenden Versorgungsstrukturen.<br />

Das bestätigt eine aktuelle Umfrage der<br />

BARMER GEK, in der 92 Prozent der Befragten<br />

angeben, mit der Anzahl und der Erreichbarkeit<br />

von Hausärzten in ihrer Umgebung zufrieden<br />

zu sein. Und doch müssen Patienten<br />

an einigen Orten – insbesondere im ländlichen<br />

Raum – für den Arztbesuch zuweilen längere<br />

Anfahrtswege in Kauf nehmen. Der Grund<br />

hierfür: Auch im Versorgungsgebiet der <strong>Kassenärztliche</strong>n<br />

<strong>Vereinigung</strong> <strong>Nordrhein</strong> sind die<br />

Haus- und Fachärzte nicht gleichmäßig über<br />

das gesamte Versorgungsgebiet verteilt. Dies<br />

illustriert ein Blick auf unsere Grafiken auf den<br />

folgenden Seiten. Sie zeigen die Verhältniszahlen<br />

von Einwohnern zu Haus- bzw. Fachärzten<br />

in den nordrheinischen Kommunen und veranschaulichen<br />

damit die Arztdichte in der Region.<br />

In der Landeshauptstadt Düsseldorf etwa<br />

mit rund 600.000 Menschen praktizieren 404<br />

Hausärzte. Das bedeutet: Ein niedergelassener<br />

Allgemeinmediziner versorgt im Durchschnitt<br />

1.485 Einwohner. Hier kann man nach unseren<br />

deutschen wie auch nach internationalen<br />

Maßstäben von einer hohen Arztdichte sprechen.<br />

Ähnlich ist die Versorgung in den Städten<br />

und Gemeinden entlang der Rheinschiene,<br />

im Raum Aachen oder im Bergischen Städtedreieck<br />

Wuppertal-Solingen-Remscheid.<br />

Insgesamt haben fast 80 Prozent aller Kommunen<br />

in <strong>Nordrhein</strong> eine hohe Versorgungsdichte<br />

von unter 2.000 Einwohnern pro<br />

Hausarzt. In einigen kleineren Gemeinden in<br />

der Grenzregion zu den Niederlanden beziehungsweise<br />

Belgien kommen rechnerisch auf<br />

einen Hausarzt über 4.000 Einwohner, über<br />

doppelt so viele wie in Düsseldorf. Besonders<br />

ausgeprägt ist der Mangel etwa in Kranenburg<br />

am Niederrhein sowie in Waldfeucht<br />

(Kreis Heinsberg) im westlichsten Zipfel der<br />

Republik. Ähnlich ist es in den Eifelgemeinden<br />

Dahlem und Roetgen. Hier erschwert die Topographie<br />

mit ihren längeren Verkehrswegen<br />

die Erreichbarkeit des nächstgelegenen Hausarztes<br />

zusätzlich.<br />

10 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

11


Versorgungsangebot<br />

Goch<br />

Kleve<br />

Je nach Wohnort<br />

müssen sich mehr<br />

oder weniger Patienten<br />

ihren Hausarzt miteinander<br />

teilen: Im günstigsten<br />

Fall wie in Nettersheim<br />

oder Bad Honnef sind es<br />

um 1.000, im ungünstigsten<br />

Fall wie in<br />

Waldfeucht oder<br />

Kranenburg über<br />

4.000 Einwohner<br />

je Hausarzt.<br />

Brüggen<br />

Niederkrüchten<br />

Würselen<br />

Aachen<br />

Emmerich<br />

Oberhausen<br />

Bedburg-<br />

Hau<br />

Weeze<br />

Kevelaer<br />

Kalkar<br />

Uedem<br />

Geldern<br />

Sonsbeck<br />

Rees<br />

Issum<br />

Viersen<br />

Xanten<br />

Düsseldorf<br />

Schwalmtal<br />

Mönchen-<br />

Gladbach<br />

Wegberg<br />

Hückelhoven<br />

Linnich<br />

Eschweiler<br />

Stolberg<br />

Monschau<br />

Erkelenz<br />

Jülich<br />

Inden<br />

Titz<br />

Düren<br />

Kreuzau<br />

Alpen<br />

Heimbach<br />

Schleiden<br />

Hellenthal<br />

Dinslaken<br />

Kamp-<br />

Lintfort<br />

Willich<br />

Nideggen<br />

Dahlem<br />

Elsdorf<br />

Merzenich<br />

Kall<br />

Hamminkeln<br />

Wesel<br />

Voerde<br />

Rheinberg<br />

Meerbusch<br />

Nörvenich<br />

Vettweiß<br />

Bergheim<br />

Kerpen<br />

Zülpich<br />

Mechernich<br />

Nettersheim<br />

Blankenheim<br />

Hünxe<br />

Duisburg<br />

Frechen<br />

Erftstadt<br />

Euskirchen<br />

Schermbeck<br />

Mülheim<br />

Ratingen<br />

Hürth<br />

Brühl<br />

Bad Münstereifel<br />

Kranenburg<br />

Rheurdt<br />

Kerken<br />

Neu-<br />

kirchen- Moers<br />

Straelen<br />

Vluyn<br />

Wachtendonk<br />

Kempen<br />

Grefrath<br />

Krefeld<br />

Nettetal<br />

Tönisvorst<br />

Heiligenhaus<br />

Essen<br />

Velbert<br />

Wülfrath<br />

Mettmann<br />

Köln<br />

Roetgen<br />

Simmerath<br />

Übach-<br />

Palenberg Baesweiler<br />

Herzo-<br />

Aldenhovegenrath<br />

Alsdorf<br />

Hürtgenwald<br />

Langerwehe<br />

Niederzier<br />

Wesseling<br />

Bonn<br />

Wuppertal<br />

Einwohner pro Hausarzt<br />

unter 1.400<br />

1.400 bis unter 1.600<br />

1.600 bis unter 1.800<br />

1.800 bis unter 2.000<br />

2.000 bis unter 2.200<br />

2.200 bis unter 5.000<br />

Engelskirchen<br />

Kaarst<br />

Erkrath Radevormwald<br />

Haan<br />

Korschenbroich<br />

Neuss<br />

Hilden<br />

Remscheid<br />

Solingen<br />

Hückeswagen<br />

Langenfeld<br />

Jüchen<br />

Leichlingen<br />

Dormagen Monheim<br />

Burscheid<br />

Wermelskirchen<br />

Wipperfürth<br />

Grevenbroich<br />

Rommerskirchen<br />

Leverkusen<br />

Marienheide<br />

Odenthal Kürten<br />

Bedburg Pulheim<br />

Lindlar Gummersbach<br />

Bornheim<br />

Weilerswist<br />

Alfter<br />

Swisttal<br />

Niederkassel<br />

Rheinbach<br />

Rösrath<br />

Much Nümbrecht<br />

Lohmar<br />

Neun-<br />

kirchen-<br />

Waldbröl<br />

Seelscheid<br />

Ruppichteroth<br />

Troisdorf<br />

Siegburg<br />

Windeck<br />

Sankt<br />

Augustin<br />

Hennef Eitorf<br />

Bergisch<br />

Gladbach<br />

Overath<br />

Königswinter<br />

Bad<br />

Honnef<br />

Bergneustadt<br />

Wiehl<br />

Meckenheim<br />

Wachtberg<br />

Hausärztliche Versorgung<br />

Im Detail<br />

Daten zu Ihrer Stadt und<br />

Region finden Sie unter:<br />

http://goo.gl/Md2Mw<br />

Waldfeucht<br />

Heinsberg<br />

Selfkant<br />

Gangelt<br />

Geilenkirchen<br />

Wassenberg<br />

Reichshof<br />

Morsbach<br />

Fachärzte stärker in den Zentren<br />

konzentriert<br />

Szenen einer Arztpraxis<br />

Bei den Fachärzten zeigt sich ein etwas anderes<br />

Bild: Erwartungsgemäß ist die Versorgungsdichte<br />

im städtischen Bereich durchweg<br />

hoch: In einem Viertel aller nordrheinischen<br />

Kommunen kommen auf einen Facharzt weniger<br />

als 1.000 Einwohner. Eine hohe Facharztdichte<br />

verzeichnen dabei insbesondere<br />

die Städte entlang der Rheinschiene (s. Grafik<br />

Seite 15). So kommen in Bonn auf einen<br />

Facharzt rechnerisch 473 Einwohner; in Köln<br />

sind es 568 und in Düsseldorf 628. Auch die<br />

Ruhrstädte sind vergleichsweise dicht versorgt.<br />

Gleichzeitig gibt es nicht wenige Gemeinden in<br />

der Region, in denen überhaupt kein Facharzt<br />

praktiziert. Das sind vor allem ländliche Kommunen<br />

mit geringer Einwohnerzahl. Hier kann<br />

eine spezialisierte Facharztpraxis naturgemäß<br />

kaum wirtschaftlich betrieben werden, da zu<br />

wenige Patienten im jeweiligen Einzugsgebiet<br />

leben. Dieser Befund lässt eine Ungleichverteilung<br />

von Facharztpraxen zu Gunsten der Kreisstädte<br />

erwarten. Tatsächlich bestätigt die Grafik<br />

diese Vermutung: Nicht selten weisen die<br />

Städte in den Landkreisen eine hohe bis sehr<br />

hohe Facharztdichte auf, die direkt angrenzenden<br />

Gemeinden hingegen eine geringe Quote.<br />

Dies ist beispielsweise der Fall in der Region<br />

um Düren und um Jülich, aber auch am Niederrhein<br />

rund um die Städte Wesel und Kleve.<br />

Im gespräch mit DR. Arno Theilmeier<br />

Es ist 12 Uhr an einem regnerischen Montag. Eigentlich<br />

Mittagszeit. Doch von Mittagspause ist in der gastroenterologischen<br />

Praxis von Dr. Arno Theilmeier nichts zu<br />

erkennen. Im Wartebereich sitzen sechs Patienten, die<br />

Arzthelferinnen dirigieren die Aufgerufenen ins richtige<br />

Sprechzimmer, halten wartende Patienten bei Laune und<br />

bedienen die permanent klingelnden Telefone. Die Praxis<br />

liegt im 2. Stock des „Medizentrums“, NRWs größtem<br />

Facharztzentrum in Mönchengladbach-Rheydt. „Das<br />

Zentrum mit Ärzten aller Fachrichtungen habe ich 2006 mit<br />

initiiert und entwickelt – es entspricht einem ambulanten<br />

Erwartungsgemäß findet die spezialärztliche<br />

Versorgung der Menschen aus Kleinstädten<br />

und ländlichen Räumen in den größeren Städten<br />

einer Region statt. Umso interessanter ist<br />

aus Sicht der Versorgungsplanung, wie dieser<br />

Umstand von den davon betroffenen Patienten<br />

wahrgenommen und beurteilt wird. Die<br />

bereits erwähnte Umfrage der BARMER GEK<br />

zeigt, dass auch beträchtliche Distanzen zum<br />

Spezialisten von den Versicherten als durchaus<br />

normal und akzeptabel eingeschätzt werden.<br />

Danach beurteilen 85 Prozent der Befragten<br />

die Anzahl und die Erreichbarkeit der Fachärzte<br />

als zufriedenstellend. Besonders auffallend:<br />

Selbst 80 Prozent der Patienten mit chronischen<br />

Erkrankungen, die in ländlichen Gebieten<br />

wohnen, bewerten die Fahrtzeiten zum<br />

Spezialisten als akzeptabel.<br />

Regionaler Bedarf entscheidend<br />

Die subjektive Zufriedenheit der Patienten<br />

hängt also nicht allein von der Entfernung<br />

der Praxis zum Wohnort ab. Möglicherweise<br />

bietet eine Konzentration mehrerer Fachärzte<br />

an einem Ort auch Vorteile für Patienten.<br />

Ein Beispiel dafür ist die Praxis von Dr. Arno<br />

Theilmeier, einem von vier Spezialisten für<br />

Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts in<br />

Mönchengladbach (s. Infobox). Eine der zentralen<br />

Aufgaben der <strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong>en<br />

ist es, eine flächendeckende – das<br />

Krankenhaus“, erzählt Dr. Arno Theilmeier, seit 1992<br />

niedergelassener Gastroenterologe. „Ich arbeite in der<br />

Regel von morgens Viertel vor sieben bis abends um halb<br />

sieben und nehme meinen Versorgungsauftrag sehr ernst“,<br />

betont der 55-Jährige. Bis zu 1.200 Fälle behandelt er pro<br />

Quartal, eine Work-Life-Balance kennt er nicht. Zudem<br />

hat Theilmeier zahlreiche Ämter inne, unter anderem den<br />

Vorsitz der KV-Kreisstelle Mönchengladbach. Und dies, wie<br />

er klarstellt, bestimmt nicht aus purer Langeweile, sondern<br />

vielmehr aus beruflichem Engagement – gerade auch für<br />

das Wohl seiner Patienten.<br />

12 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

13


Versorgungsangebot<br />

„Die Kliniken drängen auf den ambulanten Markt“, beschreibt<br />

Theilmeier seine Situation und die seiner drei Kollegen,<br />

die Praxen mit gleicher Fachrichtung in Mönchengladbach<br />

betreiben, und ergänzt: „Im Durchschnitt beträgt<br />

die Wartezeit auf einen Termin bei mir nur eine Woche,<br />

im Wartebereich bleibt niemand lange sitzen. „Allerdings<br />

arbeite ich 50 Prozent meiner Zeit umsonst, da etliche<br />

meiner Kassenleistungen nicht adäquat vergütet werden“,<br />

bedauert der Mediziner. Das, so Theilmeier, sei auch ein<br />

Grund, warum sich immer weniger junge Kollegen für einen<br />

Praxissitz entscheiden: „Unter diesen Bedingungen wird der<br />

momentan qualitativ und quantitativ hochwertige Versorgungsstandard<br />

in Zukunft so nicht zu halten sein.“<br />

Theilmeiers Einzugsgebiet ist groß – zur Darmspiegelung,<br />

seinem Spezialgebiet, aber auch zu anderen Diagnose- und<br />

Behandlungsmethoden kommen Patienten etwa aus Pulheim<br />

bei Köln oder aus den Niederlanden. Insgesamt 350<br />

zuweisende Ärzte versorgen ihn mit Patienten.<br />

Gemeinsam stark:<br />

Kooperation auf dem<br />

Vormarsch<br />

Patienten, die von mehreren<br />

Fachärzten behandelt<br />

werden müssen, können<br />

weitere Termine gleich an<br />

Ort und Stelle im Medizentrum<br />

wahrnehmen. Die<br />

Spezialisten dort tauschen<br />

sich aus. „Der Kardiologe<br />

im Haus teilt mir beispielsweise<br />

mit, dass einer seiner Patienten hohe Leberwerte<br />

aufweist, er informiert dessen Hausarzt und schickt ihn zu<br />

mir in die Praxis“, so beschreibt Theilmeier die gute Kooperation<br />

unter den Fachärzten und fügt noch hinzu: „Für die<br />

Patienten und die Qualität der medizinischen Versorgung<br />

zahlt sich das Zentrum auf alle Fälle aus.“<br />

heißt möglichst wohnortnahe – ambulante<br />

Versorgung der Versicherten zu gewährleisten.<br />

Dreh- und Angelpunkt für eine am regionalen<br />

Bedarf orientierte Versorgung ist die sogenannte<br />

Bedarfsplanung. Der Gesetzgeber hat<br />

die Zuständigkeit für die Bedarfsplanung auf<br />

die Ärzteschaft und die Krankenkassen gemeinsam<br />

übertragen. Die Ausgestaltung der<br />

Bedarfsplanung wird durch den Gemeinsamen<br />

Bundesausschuss (G-BA) in einer Richtlinie<br />

bundesweit geregelt. Die „Bedarfsplanungs-<br />

Richtlinie“ gibt vor, wie viele Vertragsärzte<br />

einer Fachgruppe bzw. Psychotherapeuten<br />

sich pro Region niederlassen können. Sobald<br />

der vorgegebene Sollwert um zehn Prozent<br />

überschritten ist, können keine weiteren Zulassungen<br />

vergeben werden. Lediglich Übernahmen<br />

bereits bestehender Arztsitze sind<br />

dann noch zulässig, aber auch diese Möglichkeit<br />

können die „Zulassungsausschüsse“<br />

künftig einschränken. Auf Veranlassung des<br />

Gesetzgebers ist zum Jahresbeginn <strong>2013</strong> eine<br />

Neufassung der Richtlinie in Kraft getreten.<br />

Die alte Richtlinie war bereits in den 1990er<br />

Jahren verabschiedet worden, um die Zahl der<br />

niedergelassenen Ärzte insgesamt zu begrenzen.<br />

Damals war ein Mangel in den strukturschwächeren<br />

Regionen noch nicht abzusehen,<br />

man sprach von einer „Ärzteschwemme“ und<br />

befürchtete explodierende Kosten. Die Steuerung<br />

auf der Ebene der Kreise und kreisfreien<br />

Städte erschien ausreichend. Es wäre nach alter<br />

Rechtslage theoretisch möglich gewesen,<br />

dass sämtliche Hausärzte eines Kreises sich<br />

an einem Ort niederlassen und das Umland<br />

leer ausgeht. Dies hat sich nun geändert. Die<br />

neue Richtlinie legt bei den Hausärzten neue<br />

Verhältniszahlen und eine kleinräumigere Betrachtungsweise<br />

fest. Statt in 27 nordrheinischen<br />

Kreisen und kreisfreien Städten wird<br />

die hausärztliche Versorgung nunmehr in 94<br />

„Mittelbereichen“ geplant.<br />

Auf dieser Grundlage könnte die <strong>Kassenärztliche</strong><br />

<strong>Vereinigung</strong> <strong>Nordrhein</strong> künftig mehr als<br />

200 neue Hausarztsitze besetzen, die meisten<br />

davon in den Gemeinden jenseits der Großoder<br />

der Kreisstädte. Doch mit der Änderung<br />

der Richtlinie allein ist noch kein einziger<br />

Hausarzt für die <strong>Kassenärztliche</strong> <strong>Vereinigung</strong><br />

der Region <strong>Nordrhein</strong> gewonnen. Es sind weitere<br />

Anreize nötig, um die offenen „Sitze“ mit<br />

der entsprechenden Anzahl an Hausärzten zu<br />

besetzen.<br />

Goch<br />

Die Fachärzte konzentrieren<br />

sich in den<br />

Großstädten und Zentren<br />

der Landkreise. Im<br />

Umfeld dieser Zentren<br />

ist die Arztdichte am<br />

niedrigsten.<br />

Kleve<br />

Brüggen<br />

Würselen<br />

Aachen<br />

Emmerich<br />

Oberhausen<br />

Bedburg-<br />

Hau<br />

Weeze<br />

Kevelaer<br />

Straelen<br />

Kalkar<br />

Uedem<br />

Geldern<br />

Rees<br />

Issum<br />

Wegberg<br />

Wesseling<br />

Geilenkirchen<br />

Hückelhoven<br />

Linnich<br />

Eschweiler<br />

Stolberg<br />

Monschau<br />

Sonsbeck<br />

Viersen<br />

Düsseldorf<br />

Mönchen-<br />

Gladbach<br />

Erkelenz<br />

Alpen<br />

Willich<br />

Jüchen<br />

Dinslaken<br />

Kamp-<br />

Lintfort<br />

Rheurdt<br />

Kerken<br />

Neu-<br />

kirchen-<br />

Vluyn<br />

Jülich<br />

Inden<br />

Titz<br />

Xanten<br />

Düren<br />

Kreuzau<br />

Heimbach<br />

Schleiden<br />

Hellenthal<br />

Nideggen<br />

Dahlem<br />

Krefeld<br />

Kaarst<br />

Bedburg<br />

Hamminkeln<br />

Wesel<br />

Elsdorf<br />

Merzenich<br />

Kall<br />

Voerde<br />

Rheinberg<br />

Moers<br />

Nörvenich<br />

Vettweiß<br />

Neuss<br />

Grevenbroich<br />

Korschenbroich<br />

Meerbusch<br />

Rommerskirchen<br />

Bergheim<br />

Kerpen<br />

Zülpich<br />

Mechernich<br />

Nettersheim<br />

Blankenheim<br />

Hünxe<br />

Niederkrüchten<br />

Schwalmtal<br />

Duisburg<br />

Morsbach<br />

Schermbeck<br />

Mülheim<br />

Ratingen<br />

Erkrath<br />

Haan<br />

Hilden<br />

Essen<br />

Velbert<br />

Dormagen<br />

Langenfeld<br />

Monheim<br />

Leichlingen<br />

Burscheid<br />

Wülfrath<br />

Mettmann<br />

Solingen<br />

Kranenburg<br />

Wachtendonk<br />

Kempen<br />

Grefrath<br />

Nettetal<br />

Tönisvorst<br />

Heiligenhaus<br />

Pulheim<br />

Frechen<br />

Erftstadt<br />

Euskirchen<br />

Hürth<br />

Brühl<br />

Weilerswist<br />

Bad Münstereifel<br />

Köln<br />

Leverkusen<br />

Roetgen<br />

Simmerath<br />

Übach-<br />

Palenberg Baesweiler<br />

Herzo-<br />

Aldenhovegenrath<br />

Alsdorf<br />

Hürtgenwald<br />

Langerwehe<br />

Niederzier<br />

Bornheim<br />

Swisttal<br />

Niederkassel<br />

Rheinbach<br />

Alfter<br />

Neun-<br />

kirchen-<br />

Seelscheid<br />

Ruppichteroth<br />

Bonn<br />

Wuppertal<br />

Odenthal<br />

Remscheid<br />

Bergisch<br />

Gladbach<br />

Rösrath<br />

Kürten<br />

Lohmar<br />

Troisdorf<br />

Siegburg<br />

Wachtberg<br />

Sankt<br />

Augustin<br />

Fachärztliche Versorgung<br />

Overath<br />

Bad<br />

Honnef<br />

Hennef<br />

Königswinter<br />

Einwohner pro Facharzt<br />

Wipperfürth<br />

Lindlar<br />

Much<br />

Gummersbach<br />

Hückeswagen<br />

Radevormwald<br />

Wermelskirchen<br />

Meckenheim<br />

Unter 1.000<br />

1.000 bis unter 1.500<br />

1.500 bis unter 2.000<br />

2.000 bis unter 2.500<br />

2.500 bis unter 3.000<br />

3.000 bis unter 3.500<br />

Eitorf<br />

3.500 und mehr<br />

Marienheide<br />

Bergneustadt<br />

Engelskirchen<br />

Wiehl<br />

Nümbrecht<br />

Waldbröl<br />

Windeck<br />

Waldfeucht<br />

Heinsberg<br />

Selfkant<br />

Gangelt<br />

Wassenberg<br />

Reichshof<br />

Morsbach<br />

Im Detail<br />

Daten zu den einzelnen Fachgruppen<br />

finden Sie unter:<br />

http://goo.gl/Md2Mw<br />

14 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

15


Behandlungsbedarf<br />

Flächen decken, Lücken schließen<br />

Planung mit Augenmaß bedeutet zunächst: Den Bedarf erkennen. Nach der<br />

Erkenntnis folgt konkretes Handeln. Wo abzusehen ist, dass in naher Zukunft<br />

Unterversorgung droht, heißt es für die <strong>Kassenärztliche</strong> <strong>Vereinigung</strong> <strong>Nordrhein</strong> im<br />

übertragenen Sinne: intervenieren, therapieren und vielleicht sogar „operieren“.<br />

Damit die Versorgung der Patienten nirgends zu kurz kommt.<br />

Tetyana Khalakhan<br />

32 Jahre, Angestellte und Mutter<br />

der vierjährigen Anna Maria aus<br />

Düsseldorf.<br />

„Mit einem Kleinkind sucht man<br />

öfters einen Arzt auf. Symptome<br />

treten zudem häufig sehr plötzlich<br />

auf. Deshalb darf der Weg dorthin<br />

nicht allzu weit sein. Ich habe<br />

Glück: In meinem Stadtteil praktizieren<br />

sowohl ein Kinderarzt als<br />

auch ein Gynäkologe und mehrere<br />

Hausärzte – für mich ein Grund,<br />

in der Großstadt zu leben.“<br />

W<br />

er krank ist, der geht zum Arzt. Das<br />

erscheint den meisten Menschen in<br />

Deutschland als selbstverständlich<br />

– egal, ob bei Schnupfen, Übelkeit oder sonstigen<br />

Symptomen. Die ambulante ärztliche<br />

Versorgung bewegt sich auf hohem Niveau.<br />

Wie Umfragen immer wieder zeigen, sind die<br />

Deutschen mit der Versorgung durch die niedergelassenen<br />

Haus- und Fachärzte rundum<br />

zufrieden: Über 90 Prozent aller Befragten<br />

bezeichnen das Vertrauensverhältnis zu ihrem<br />

Arzt als gut oder sehr gut. Seine fachlichen<br />

Fähigkeiten beurteilen ebenfalls über 90 Prozent<br />

der Befragten positiv (KBV Versichertenbefragung).<br />

Arztbedarf =<br />

Alter + Geschlecht + Krankheitslast<br />

Verlässlich zu kalkulieren, wie viele Haus- und<br />

Fachärzte in einem Gebiet tatsächlich benötigt<br />

werden, ist eine höchst anspruchsvolle<br />

Planungsaufgabe. Bis zum Jahr 2012 wurde<br />

dieser Bedarf ausschließlich auf Basis der<br />

Einwohnerzahl des jeweiligen Planungsbereichs<br />

(damals: Kreise und kreisfreie Städte)<br />

festgelegt. Die pure Einwohnerzahl spiegelt<br />

aber den damit verbundenen tatsächlichen<br />

medizinischen Aufwand nur bedingt wider.<br />

So liegt es nahe, dass ältere Menschen einen<br />

deutlich höheren medizinischen Versorgungsbedarf<br />

haben als jüngere, vor allem durch<br />

altersbedingte Leiden wie Herz-Kreislauf-<br />

Erkrankungen oder Arthrose. Neben dem Alter<br />

spielt auch der Anteil chronisch Kranker<br />

eine entscheidende Rolle. Denn Patienten mit<br />

chronischen Erkrankungen wie etwa Diabetes<br />

oder Bluthochdruck haben eine höhere<br />

Krankheitslast (Morbidität) als der Bevölkerungsdurchschnitt<br />

– und damit verbunden<br />

auch einen erhöhten Bedarf an ambulanter<br />

medizinischer Versorgung. Wie sich der regionale<br />

Bedarf unter Einbeziehung von aktuellen<br />

Morbiditätsdaten für die gesamte Region<br />

<strong>Nordrhein</strong> darstellt, zeigt die nachfolgende<br />

Karte (s. Grafik Seite 19).<br />

Für diese Darstellung wurden alle Einwohner<br />

<strong>Nordrhein</strong>s, die gesetzlich versichert sind,<br />

16 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

17


Behandlungsbedarf<br />

zunächst nach den Kriterien Geschlecht,<br />

Alter und Morbidität auf insgesamt 32 Gruppen<br />

verteilt.<br />

• Zwei Geschlechtsgruppen: männlich oder<br />

weiblich<br />

• Vier Altersgruppen: 0–4 Jahre; 5–53 Jahre;<br />

54–73 Jahre und 74 Jahre und älter<br />

• Vier Morbiditätskategorien: sehr geringe,<br />

geringe bis mittlere, mittlere bis hohe und<br />

sehr hohe Krankheitslast des Patienten<br />

Mittels Geschlecht, Alter und Morbidität eines<br />

Patienten errechnet sich ein statistischer<br />

Wert, der sogenannte Relative Risikoscore<br />

(RRS). Dieser gibt den Versorgungsbedarf eines<br />

Patienten im Verhältnis zum Durchschnitt<br />

aller gesetzlich Versicherten (RRS = 1) wieder.<br />

Ein 64-jähriger Mann beispielsweise, der<br />

an Prostatakrebs und Leberzirrhose erkrankt<br />

ist, könnte einen RRS von 2 aufweisen, also<br />

doppelt so viel Versorgung benötigen wie der<br />

Durchschnitt aller acht Millionen gesetzlich<br />

Versicherten <strong>Nordrhein</strong>s. Eine 20-jährige gesunde<br />

Frau hingegen weist mit einem RRS<br />

von beispielsweise 0,6 einen deutlich geringeren<br />

Bedarf auf als der Durchschnitt.<br />

Der Risikoscore wurde vom Zentralinstitut<br />

für die kassenärztliche Versorgung (ZI) auf<br />

der Basis ambulanter Abrechnungsdaten auf<br />

die regionale Bevölkerung hochgerechnet. In<br />

der Darstellung werden Unterschiede zwischen<br />

den Regionen als Abweichung vom<br />

nordrheinischen Durchschnitt sichtbar.<br />

In <strong>Nordrhein</strong> sind die regionalen Unterschiede<br />

beim hausärztlichen Behandlungsbedarf<br />

der Bevölkerung im Vergleich zu anderen<br />

Bundesländern relativ gering. Der Oberbergische<br />

Kreis liegt mit seiner Krankheitslast<br />

im gesamtdeutschen Maßstab sechs Prozent<br />

unter dem Durchschnitt, Düren sieben Prozent<br />

darüber – also insgesamt eine Spannweite<br />

von 13 Prozent. Deutschlandweit beträgt<br />

diese Spannweite zwischen niedrigster<br />

und höchster Krankheitslast dagegen 35 Prozent.<br />

Zudem weisen in <strong>Nordrhein</strong> nur wenige<br />

Kreise auffallend hohe Werte mit Blick auf<br />

den ambulanten Behandlungsbedarf auf.<br />

Die gemessene Ungleichheit sagt allerdings<br />

nichts über die Höhe des gesamten Behandlungsbedarfs<br />

aus. Hier liegt <strong>Nordrhein</strong> im<br />

Bundesdurchschnitt.<br />

Trotz aller Vorsicht, die bei der Interpretation<br />

der Daten geboten ist, kann die Gegenüberstellung<br />

von Arztzahlen und RRS als eine Art<br />

Frühwarnsystem betrachtet werden: Kreise<br />

und Städte mit niedriger Arztdichte und hohem<br />

RRS könnten trotz ausreichender Arztzahl<br />

– gemessen an den formalen Vorgaben<br />

der Bedarfsplanung – schon bald Probleme<br />

bei der wohnortnahen Versorgung durch<br />

Hausärzte bekommen.<br />

Eine dieser Regionen ist der Kreis Heinsberg.<br />

Drei Prozent Morbiditätsüberhang auf der einen<br />

und sechs Prozent „Rückstand“ bei der<br />

Arztdichte auf der anderen Seite sind ein Anlass,<br />

diese Region näher zu betrachten.<br />

Der Reiz der Rheinmetropolen<br />

In einigen Kreisen im Landesteil <strong>Nordrhein</strong><br />

ist die Arztdichte deutlich überdurchschnittlich.<br />

In anderen Kreisen – wie Heinsberg –<br />

liegt sie deutlich unter dem Durchschnitt.<br />

Die Gründe liegen auch in der Attraktivität<br />

der Standorte. Daten hierzu liefert der Niederlassungsindex<br />

des ZI (s. Tabelle Seite 20).<br />

Umfragen unter jungen Medizinern identifizierten<br />

vier Faktoren, die bei der individuellen<br />

Niederlassungsentscheidung vorrangig<br />

sind: die Lebensbedingungen für die Familie,<br />

Möglichkeiten des fachlichen Austauschs mit<br />

Kollegen, die finanziellen Möglichkeiten sowie<br />

schließlich die Lebensqualität des Ortes.<br />

Forscher vom ZI prüften anhand von Infrastrukturdaten,<br />

wie viele und in welchem Ausmaß<br />

diese Faktoren in der jeweiligen Region<br />

tatsächlich gegeben sind und inwieweit sich<br />

hierüber die Arztdichte erklären lässt. Abgebildet<br />

wird im Niederlassungsindex also die<br />

tatsächliche Infrastruktur der Städte und<br />

Kreise, nicht jedoch persönliche Einschätzungen<br />

etwa auf der Basis von Befragungen.<br />

Bei den Lebensbedingungen für die Familie<br />

sind dies der Anteil weiblicher Beschäftigter<br />

und männlicher Teilzeitbeschäftigter sowie<br />

der Anteil von Schülern an Gymnasien. Beim<br />

Faktor Austausch mit Kollegen sind dies die<br />

Krankenhausdichte und die Erreichbarkeit<br />

von Mittelzentren. Den Faktor finanzielle<br />

Möglichkeiten bildet das Bruttoinlandsprodukt<br />

pro Einwohner ab und die Lebensqualität<br />

ist durch Kennzahlen zu Erholungsflächen<br />

und Stadtlage repräsentiert.<br />

Ein Fazit ist dabei wenig überraschend:<br />

Metropolen, in denen angehende Ärzte ihr<br />

Die Karte zieht Vergleiche<br />

zwischen den Städten und<br />

Kreisen. Die unterdurchschnittliche<br />

Hausarztdichte<br />

im Ruhrgebiet ist auch den<br />

rechtlichen Vorgaben der bisherigen<br />

Planung geschuldet.<br />

Beim Behandlungsbedarf<br />

sind die Unterschiede<br />

(noch) nicht so groß.<br />

(Stand: 2010)<br />

-6 %<br />

-7 % -4 %<br />

3 %<br />

Heinsberg<br />

5 %<br />

Kleve<br />

-5 % 1 %<br />

1 %<br />

Städteregion<br />

Aachen<br />

Viersen<br />

12 %<br />

-16 % 0 %<br />

Duisburg<br />

-12 % 0 %<br />

1 %<br />

2 %<br />

14 %<br />

Düren<br />

Wesel<br />

-1 %<br />

Krefeld<br />

7 %<br />

-6 %<br />

Oberhausen<br />

-16 % 0 %<br />

-8 %<br />

10 %<br />

3 %<br />

Rhein-Kreis<br />

Neuss<br />

-6 % -1 %<br />

1 % -1 %<br />

Euskirchen<br />

Hausärzte: Arztdichte und behandlungsbedarf, 2010<br />

Rhein-Erft-<br />

Kreis<br />

Mülheim<br />

5 %<br />

4 %<br />

Düsseldorf<br />

Abweichung vom nordrheinischen Durchschnitt in %<br />

Hausärzte pro Einwohner<br />

relativer Risikoscore (RRS)<br />

13 %<br />

-4 % 2 %<br />

-3 %<br />

Essen<br />

3 % -1 %<br />

-4 %<br />

4 %<br />

Mettmann<br />

Solingen<br />

12 %<br />

Köln<br />

-1 %<br />

Leverkusen<br />

14 %<br />

Bonn<br />

2 % -1 %<br />

13 %<br />

-4 %<br />

-4 %<br />

Remscheid<br />

-5 % -2 %<br />

Wuppertal<br />

Rheinisch-<br />

Bergischer Kreis<br />

-5 % -6 %<br />

Oberbergischer<br />

Kreis<br />

-4 % -3 %<br />

Mönchengladbach<br />

Rhein-Sieg-<br />

Kreis<br />

Im Detail<br />

Alles zum Relativen Risikoscore<br />

finden Sie unter:<br />

http://goo.gl/rmNLq<br />

18 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

19


Behandlungsbedarf<br />

Bonn oder Heinsberg?<br />

Die Niederlassungswahrscheinlichkeit<br />

belegt: Der Kampf<br />

der Kommunen um<br />

Mediziner ist bereits<br />

vorprogrammiert.<br />

Für die Kommunalpolitik<br />

wichtig: Es<br />

gilt die Attraktivität<br />

der „unbeliebten“<br />

Gemeinden zu<br />

verbessern.<br />

Medizinstudium absolvieren, üben offensichtlich<br />

eine hohe Anziehungskraft auf junge<br />

Ärzte aus, wenn sie eine Praxis gründen<br />

wollen. Sicherlich spielt dabei die Tatsache<br />

eine Rolle, dass viele Absolventen nach ihrem<br />

Studium in ihrer Universitätsstadt bleiben<br />

möchten, weil sie sich dort heimisch<br />

fühlen und bereits sozial verwurzelt sind.<br />

Bonn rangiert auf Platz eins der attraktiven<br />

Wunschstandorte für eine Niederlassung, gefolgt<br />

von Aachen, Düsseldorf und Köln. Allgemein<br />

– auch dies wenig überraschend – üben<br />

die größeren Städte deutlich mehr Reiz auf<br />

angehende Praxisgründer aus als ländliche<br />

Regionen. Laut Niederlassungsindex meiden<br />

Ärzte vor allem den Rheinisch-Bergischen<br />

Wohin strebt der nachwuchs?<br />

INDEX Niederlassungswahrscheinlichkeit<br />

Rang Kreis<br />

1 Bonn<br />

2 Aachen, Stadt<br />

3 Düsseldorf<br />

4 Köln<br />

5 Essen<br />

6 Krefeld<br />

7 Duisburg<br />

8 Wuppertal<br />

9 Leverkusen<br />

10 Mönchengladbach<br />

11 Oberhausen<br />

12 Mülheim an der Ruhr<br />

13 Solingen<br />

14 Remscheid<br />

15 Rhein-Kreis Neuss<br />

16 Mettmann<br />

17 Düren<br />

18 Rhein-Erft-Kreis<br />

19 Aachen, Land<br />

20 Oberbergischer Kreis<br />

21 Wesel<br />

22 Rhein-Sieg-Kreis<br />

23 Viersen<br />

24 Euskirchen<br />

25 Kleve<br />

26 Rheinisch-Bergischer Kreis<br />

27 Heinsberg<br />

Kreis sowie den Kreis Heinsberg. Diese beiden<br />

Standorte bilden die Schlusslichter der<br />

Attraktivitätsskala im Versorgungsgebiet der<br />

<strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong> <strong>Nordrhein</strong>. Allerdings<br />

liegen selbst diese beiden Kreise im<br />

bundesdeutschen Vergleich noch immer im<br />

Mittelfeld.<br />

Eine statistische Überprüfung des ZI-Modells<br />

ergab, dass 87 Prozent der tatsächlichen<br />

Unterschiede in der Arztdichte durch das<br />

Vorhandensein oder Fehlen der gemessenen<br />

Standortfaktoren erklärbar sind. Da aber kein<br />

statistisches Modell eine hundertprozentige<br />

„Trefferquote“ erreicht, weichen auch<br />

beim Niederlassungsindex einige Kreise vom<br />

errechneten Niveau ab. So ist zum Beispiel<br />

der Rheinisch-Bergische Kreis tatsächlich<br />

attraktiver als vorhergesagt, denn es haben<br />

sich dort mehr Ärzte niedergelassen, als die<br />

Infrastruktur auf den ersten Blick erwarten<br />

lässt. Umgekehrt sind Duisburg, Oberhausen<br />

und der Kreis Kleve entgegen ihrer statistischen<br />

Standortprofile weniger attraktiv als<br />

Standort für eine Arztpraxis.<br />

Wie gelingt der Ausgleich?<br />

Vor dem Hintergrund der vorgestellten Daten<br />

stellt sich die Frage, wie sich die Attraktivität<br />

der weniger beliebten Standorte verbessern<br />

ließe, um dort mehr Ärzte für eine Niederlassung<br />

zu gewinnen. Zur Anziehungskraft der<br />

als „attraktiv“ identifizierten Standorte tragen<br />

sowohl eine gute soziale und wirtschaftliche<br />

Infrastruktur sowie das Kultur- und Freizeitangebot<br />

der Kommunen bei.<br />

Negativ ins Gewicht fallen in den meisten<br />

ländlichen Regionen nicht nur die im Niederlassungsindex<br />

abgebildeten Kriterien.<br />

Hinzu kommen weitere „Defizite“: etwa die<br />

vielen dort zu erwartenden Notdienste, lange<br />

Anfahrtswege bei Hausbesuchen sowie<br />

fehlende Einkaufs- oder Freizeitmöglichkeiten.<br />

Insbesondere für niederlassungswillige<br />

Familienväter und -mütter ist nicht so sehr<br />

das kulturelle Angebot, sondern die Qualität<br />

und Verfügbarkeit der Kinderbetreuung und<br />

Schulen vor Ort wichtig für die Wahl des<br />

Praxis standortes.<br />

Es liegt auf der Hand, dass in den meisten<br />

dieser Kategorien die „unattraktiven“ Kreise<br />

und Kommunen ihren Standortnachteil nur<br />

schwer oder überhaupt nicht aus gleichen<br />

können.<br />

Im Gespräch mit Tetyana Khalakhan<br />

Großstadtfieber<br />

Doch es gibt auch Lichtblicke: Einer im nordrhein-westfälischen<br />

Maßstab kleineren Stadt<br />

wie Dormagen gelang es, sich in den letzten<br />

Jahren in gleich mehrfacher Hinsicht vorbildlich<br />

aufzustellen und zu entwickeln: Neben<br />

einem hervorragenden Kita-Angebot hat die<br />

Stadt in den vergangenen Jahren zahlreiche<br />

Tagesmütter ausgebildet, die Babys und<br />

Kleinkinder unter drei Jahren betreuen. Dieses<br />

Beispiel zeigt: Neben den Initiativen der<br />

KV <strong>Nordrhein</strong> für eine zukunftsorientierte,<br />

Nicht nur bei Ärzten, auch bei Familien stehen Metropolen<br />

hoch im Kurs. Eine Mutter verrät, warum sie gerne und gut<br />

in Düsseldorf lebt.<br />

Sie haben eine vierjährige Tochter. Warum ziehen Sie<br />

nicht aufs Land?<br />

In meinem Stadtteil finde ich alle Annehmlichkeiten –<br />

Supermarkt, Apotheke, Kindergarten, Haus- und Kinderarzt<br />

– nur wenige Fußminuten entfernt. Diesen Komfort möchte<br />

ich nicht missen. Freunde, die ländlicher leben, müssen<br />

für jeden Einkauf und jeden Arztbesuch ins Auto steigen.<br />

Wie wichtig ist Ihnen die Nähe zum Kinderarzt?<br />

Die gute Infrastruktur für Familien spielte bei unserer<br />

Wohnortwahl eine entscheidende Rolle. Als berufstätige<br />

Mutter brauche ich kurze Wege zur Kita und zum Arzt, den<br />

man mit Kindern eben öfters aufsuchen muss, ansonsten<br />

ist der Alltag schwerer zu organisieren. In kleineren Orten<br />

praktiziert meist gar kein Kinderarzt. Auch aus diesem<br />

Grund kam das Landleben für uns nicht in Frage.<br />

Was macht eine gute medizinische Versorgung aus?<br />

Wichtig für mich als Mutter sind kurze Wartezeiten. Wenn<br />

meine Tochter plötzlich Fieber bekommt, kann ich spontan<br />

in die Sprechstunde gehen – und bin dann auch immer<br />

schnell an der Reihe.<br />

nachhaltige Bedarfsplanung, etwa durch die<br />

Unterstützung angehender Landärzte, können<br />

die Kommunen und Kreise selbst einiges für<br />

ihr Image und ihre Beliebtheit unter Ärzten<br />

und Psychotherapeuten beitragen, die einen<br />

freien Arztsitz suchen oder eine Praxis neu<br />

gründen oder einer kooperativen Praxisform<br />

beitreten möchten.<br />

20 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

21


Mitversorgungsbeziehungen<br />

Jederzeit erreichbar –<br />

auch über Grenzen hinweg<br />

Ein zentrales Gütekriterium für ein Gesundheitssystem ist dessen Zugänglichkeit.<br />

Finanzielle, rechtliche und auch räumliche Barrieren können den Arztbesuch<br />

erschweren oder sogar verhindern. Deutschland zeichnet sich durch einen<br />

besonders leichten Zugang zur ambulanten medizinischen Versorgung aus.<br />

Wenn kein Arzt vor Ort tätig ist, übernehmen die Kollegen in anderen Gemeinden<br />

die Mitversorgung. Nicht immer gehen die Patienten dabei den kürzesten Weg.<br />

Peter-Olaf hoffmann<br />

Bürgermeister in Dormagen.<br />

Der seit 2009 amtierende<br />

Bürgermeister von Dormagen<br />

im Rhein-Kreis Neuss, Regierungsbezirk<br />

Düsseldorf, ist für<br />

über 60.000 Menschen politisch<br />

verantwortlich.<br />

„Ich halte unsere Stadt für so<br />

attraktiv, dass wir unsere gute<br />

Infrastruktur auch in Zukunft<br />

erhalten können.“<br />

Die Zugänglichkeit von medizinischer<br />

Versorgung hängt von mehreren Faktoren<br />

ab. Die Arztdichte ist sicherlich<br />

die wichtigste Kennzahl, denn sie zeigt an,<br />

wie viele Ärzte überhaupt in einer Region zur<br />

Verfügung stehen. In Deutschland werden gegenwärtig<br />

100.000 Einwohner von rund 370<br />

Ärzten versorgt – etwa so viele wie in Schweden<br />

oder der Schweiz.<br />

Verglichen mit den anderen Industrieländern<br />

der OECD rangiert Deutschland bei der Arztdichte<br />

im oberen Viertel. Damit medizinische<br />

Leistungen tatsächlich ohne größere Hürden<br />

in Anspruch genommen werden können,<br />

müssen aber noch weitere Bedingungen erfüllt<br />

sein.<br />

Auch zeitliche Beschränkungen beeinträchtigen<br />

den Zugang zu medizinischen Leistungen<br />

kaum: Die Basisversorgung ist rund um die<br />

Uhr gewährleistet. Im ärztlichen Notdienst<br />

werden Patienten mit akuten Beschwerden<br />

auch abends und am Wochenende behandelt.<br />

Das Gleiche gilt für Hausbesuche.<br />

Finanzielle und rechtliche Barrieren spielen in<br />

Deutschland glücklicherweise so gut wie keine<br />

Rolle für die Bürger, denn unser Gesundheitswesen<br />

garantiert einen umfassenden<br />

Leistungskatalog für alle Versicherten sowie<br />

die freie Arztwahl. Mit dem Wegfall der Praxisgebühr<br />

haben sich die im internationalen<br />

Vergleich ohnehin niedrigen Zuzahlungen<br />

weiter verringert.<br />

Misst man die Erreichbarkeit allerdings anhand<br />

der Entfernung zu Haus- und Facharztpraxen,<br />

liegt es auf der Hand, dass Patienten<br />

in strukturschwachen Gebieten weitere Wege<br />

zurücklegen müssen als Einwohner von Großstädten.<br />

In der Wissenschaft gibt es jedoch<br />

keine Richtwerte oder Übereinkünfte darüber,<br />

ab welchem Aufwand von einem gravierenden<br />

Mangel in der Versorgung auszugehen ist.<br />

90 Prozent der Westdeutschen erreichen<br />

ihren Hausarzt innerhalb von 15 Minuten<br />

Die Barmer GEK und die Bertelsmann Stiftung<br />

fragten die Bürger im Gesundheitsmonitor<br />

2012 nach subjektiv empfundenen<br />

Barrieren für die Erreichbarkeit von Fachärzten.<br />

Eine Frage war, ob die Befragten wegen<br />

eingeschränkter Möglichkeiten, die Praxis zu<br />

erreichen, schon einmal bewusst auf einen<br />

Facharzttermin verzichtet hatten. Dies kam in<br />

durchschnittlich 16,2 Prozent der Fälle schon<br />

einmal vor.<br />

Jedoch unterschieden sich die Antworten<br />

nicht nach den Regionstypen Stadt und Land.<br />

Es zeigt sich immer wieder, dass für die Wege-<br />

22 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

23


Mitversorgungsbeziehungen<br />

Methodik<br />

Gute Beziehungen ...<br />

zeit zu Haus- und Fachärzten nicht allein die<br />

Entfernung vom Wohnort entscheidend ist,<br />

sondern auch die Topographie – der Rhein bildet<br />

hier oft eine natürliche Grenze – und vor<br />

allem die Qualität der Verkehrs-Infrastruktur.<br />

Laut <strong>Kassenärztliche</strong>r Bundesvereinigung erreichen<br />

89,7 Prozent der Westdeutschen ihren<br />

Hausarzt innerhalb von 15 Minuten. Überraschend:<br />

In der Befragung stellte sich heraus,<br />

dass die Erreichbarkeit der Hausarztpraxen<br />

in Kleinstädten bis 20.000 Einwohnern erkennbar<br />

besser war als in Großstädten. Dafür<br />

waren Patienten aus Städten mit über 20.000<br />

Einwohnern schneller beim Facharzt.<br />

Der größte Strom im Rheinland ist der<br />

Pendlerstrom<br />

Die Verkehrswege sind in <strong>Nordrhein</strong> so dicht<br />

ausgebaut wie in kaum einer anderen Region<br />

Europas. Für die Stadt- und Raumplaner<br />

ist unser Versorgungsgebiet eine einzige, eng<br />

verflochtene Großstadtregion ohne größeres<br />

Hinterland. Die einzigen Ausnahmen bilden<br />

in diesem Zusammenhang Kleve und der<br />

Oberbergische Kreis. Dies ermöglicht es den<br />

Bürgern, in relativ kurzer Zeit zum Arbeiten,<br />

Einkaufen oder auch zum Arztbesuch in einer<br />

anderen Stadt zu sein.<br />

In Düsseldorf halten sich allein durch Berufspendler<br />

tagsüber rund 200.000 Menschen<br />

mehr auf, als dort Einwohner registriert sind<br />

– und in den Herkunftsgemeinden der Pendler<br />

entsprechend weniger. Kleine Kommunen<br />

wie Vettweiß im Kreis Düren „verlieren“ laut<br />

NRW-Pendlerstatistik in den Arbeitsstunden<br />

Für die Berechnung von Mitversorgungsbeziehungen legt<br />

das ZI die geokodierten Abrechnungsdaten des Jahres<br />

2010 zugrunde. Geokodiert heißt: Bei jedem abgerechneten<br />

Arzt-Patient-Kontakt in <strong>Nordrhein</strong> wurde sowohl der<br />

Patientenwohnort als auch der Standort der Arztpraxis<br />

erhoben. Die Anzahl grenzüberschreitender Facharztkontakte<br />

ist am Beispiel Köln nebenstehend dargestellt.<br />

ein Drittel ihrer Bevölkerung. Bewegungen<br />

über Gemeindegrenzen hinweg gehören also<br />

für die Bürger zum Alltag. Darum stellt sich<br />

die Frage, wie diese Bewegungen in die Planung<br />

von medizinischer Infrastruktur einbezogen<br />

werden müssen.<br />

Natürlich verhalten Patienten sich nicht genauso<br />

wie Berufspendler. Gerade den Hausarzt<br />

möchte man in der Nähe des Wohnortes<br />

wissen, allein schon um in dringenden Fällen<br />

einen Hausbesuch in Anspruch nehmen zu<br />

können.<br />

Anders sieht es bei den meisten Fachärzten<br />

aus: Die Analyse von deren Abrechnungsdaten<br />

zeigt, dass nicht jeder Patient den zum<br />

Wohnort nächstgelegenen Facharzt wählt.<br />

Die freie Arztwahl macht es möglich, der<br />

Empfehlung von Bekannten zu folgen, die<br />

beispielsweise mit einem Arzt in der nächsten<br />

Stadt gute Erfahrungen gemacht haben.<br />

Pendler, die weite Wege zur Arbeit zurücklegen,<br />

suchen sich oft einen Facharzt in der<br />

Nähe des Arbeitsortes.<br />

Das erklärt, warum Patientenströme vielerorts<br />

Pendlerströmen folgen. Diese Patientenströme<br />

sind Ausdruck unserer mobilen Gesellschaft<br />

und nehmen zum Teil eine erstaunliche<br />

Größenordnung an.<br />

Starke Zentren versorgen das Umland mit<br />

Deutlich wird dies mit Blick auf die fachärztliche<br />

Mitversorgung in Köln, wo nominell<br />

nur 568 Einwohner auf einen Spezialisten<br />

kommen. Von den fast 9,5 Millionen Facharztkontakten<br />

im Jahr 2010 fanden aber 34<br />

Darüber hinaus geben die Daten auch Auskunft darüber,<br />

wie viel Prozent der innerhalb eines Kreises erbrachten ambulanten<br />

Leistungen von den dort ansässigen Patienten in<br />

Anspruch genommen wurden oder wie viel Prozent der Bevölkerung<br />

eines Kreises auch tatsächlich im eigenen Kreis<br />

zum Facharzt gehen. Diese Zahlen finden Sie im Onlineatlas<br />

unter der Rubrik „Beziehungen zwischen Regionen“.<br />

Heinzberg<br />

Städteregion<br />

Aachen<br />

Kleve<br />

Eifelkreis<br />

Bitburg-<br />

Prüm<br />

Viersen<br />

Mönchen-<br />

Gladbach<br />

Düren<br />

Krefeld<br />

Euskirchen<br />

Wesel<br />

Rhein-Kreis<br />

Neuss<br />

Rhein-<br />

Erft-<br />

Kreis<br />

Oberhausen<br />

Duisburg<br />

Vulkaneifel<br />

Düsseldorf<br />

Bottrop<br />

Mülheim<br />

Köln<br />

Quelle: geokodierte Abrechnungsdaten 2010 der KV <strong>Nordrhein</strong>,<br />

eigene Berechnungen, Kreise 2010 von EasyMap<br />

Fachärztliche Mitversorgung durch die stadt Köln<br />

Essen<br />

Mettmann<br />

Gelsenkirchen<br />

Solingen<br />

Leverkusen<br />

Ahrweiler<br />

Bonn<br />

Herne<br />

Bochum<br />

Wuppertal<br />

Remscheid<br />

Rheinisch-<br />

Bergischer<br />

Kreis<br />

g<br />

Ennepe-<br />

Ruhr-<br />

Kreis<br />

Rhein-Sieg-Kreis<br />

Mayen-<br />

Koblenz<br />

Hagen<br />

Anzahl der Arzt-Patienten-Kontakte<br />

durch einströmende Patienten*<br />

5.000 bis unter 10.000<br />

10.000 bis unter 25.000<br />

50.000 bis unter 100.000<br />

Über 100.000<br />

Oberbergischer Kreis<br />

Neuwied<br />

Märkischer Kreis<br />

Alpenkirchen<br />

Olpe<br />

Siegen-<br />

Wittgenstein<br />

* Für die Darstellung<br />

wurden nur Kreise der<br />

Umgebung berücksichtigt,<br />

in denen mindestens 5.000<br />

Arzt-Patienten- Kontakte<br />

in Köln stattfanden.<br />

Insgesamt gab es in Köln<br />

9.435.364 Facharztkontakte,<br />

34,1 Prozent davon<br />

mit Patienten aus anderen<br />

Kreisen.<br />

Im Detail<br />

Alle Kennzahlen zur<br />

Mitversorgung:<br />

http://goo.gl/aNEDt<br />

24 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

25


Mitversorgungsbeziehungen<br />

Prozent mit Patienten aus anderen Kreisen<br />

statt. Jeweils mehr als 100.000 Kontakte<br />

kamen aus der Städteregion Aachen, dem<br />

Rhein-Kreis Neuss, dem Oberbergischen Kreis,<br />

dem Rhein-Erft-Kreis, dem Rhein-Sieg-Kreis<br />

und der Stadt Bonn. Das Einzugsgebiet der<br />

Domstadt erstreckt sich auf ganz <strong>Nordrhein</strong><br />

und darüber hinaus (s. Grafik Seite 25).<br />

Als einzige Millionenmetropole hat Köln sicherlich<br />

eine Sonderstellung unter den nordrheinischen<br />

Städten, doch als „Exporteur“ von<br />

medizinischen Leistungen ist die Domstadt<br />

nicht allein. Auch Düsseldorf, Bonn und Mönchengladbach<br />

versorgen viele Patienten von<br />

außerhalb. In geringerem Maße trifft dies<br />

ebenso auf Krefeld, Essen und Wuppertal zu.<br />

Auf der anderen Seite stehen Kreise, die mehr<br />

ambulante fachärztliche Leistungen importieren<br />

als exportieren, etwa der Rhein-Erft-<br />

Kreis, Euskirchen und der Rhein-Sieg-Kreis.<br />

Letzterer ist ein sogenannter „Donut-Kreis“<br />

mit Bonn in der Mitte. Für diese Art von Siedlungsstruktur<br />

gilt überall in Deutschland: Die<br />

Großstadt im Zentrum stellt Infrastruktur für<br />

das Umland bereit – hierzu zählt auch die<br />

spezialisierte medizinische Versorgung.<br />

Die Bedarfsplanung für Haus- und Fachärzte<br />

ist ein dynamischer Prozess<br />

Die Planung der ambulanten Versorgung<br />

muss die „natürlichen“ Mitversorgungsbeziehungen<br />

berücksichtigen, anstatt starr auf die<br />

Einwohnerzahl einer Kommune oder eines<br />

Kreises Bezug zu nehmen. Dabei sollten die<br />

Entfernungen für Patienten trotzdem akzeptabel<br />

bleiben.<br />

In der Bedarfsplanung der <strong>Kassenärztliche</strong>n<br />

<strong>Vereinigung</strong> und der Krankenkassen werden<br />

deshalb die Hausärzte kleinräumig verteilt,<br />

ohne Pendlerbeziehungen zu den Großstädten<br />

in Betracht zu ziehen. Hausarztsitze werden<br />

nach einer einheitlichen Verhältniszahl den<br />

sogenannten „Mittelbereichen“ zugewiesen.<br />

Davon gibt es in <strong>Nordrhein</strong> 94. Mittelbereiche<br />

sind eine Kategorie der Raumplanung und<br />

umfassen in der Regel mehrere benachbarte<br />

Kommunen, die zu einem „Mittelzentrum“ hin<br />

orientiert sind.<br />

Anders sieht es bei den zehn Gruppen der<br />

allgemeinen fachärztlichen Versorgung 1 aus.<br />

Die Verhältniszahl von Ärzten pro Einwohner<br />

variiert, je nachdem, ob ein Kreis bzw. eine<br />

Stadt das Umland mitversorgt oder durch<br />

das Umland mitversorgt wird. Ein Zentrum<br />

wie Köln bekommt daher mehr Fachärzte pro<br />

Einwohner zugesprochen als der benachbarte<br />

Rhein-Erft-Kreis.<br />

Die Mitversorgungsbeziehungen sind nicht<br />

auf alle Zeit festgeschrieben, auch hier wird<br />

der demografische Wandel zu Veränderungen<br />

führen. Wenn ehemalige Industriestädte<br />

schrumpfen oder in wachsenden Großstädten<br />

die Mieten weiter steigen, wird vielleicht das<br />

Umland attraktiver, und die Patienten ändern<br />

ihre Präferenzen auch bei der Wahl ihres<br />

Arztes.<br />

Sollte ein immer höherer Anteil der Bevölkerung<br />

in seiner Mobilität eingeschränkt sein,<br />

würde sich das negativ auf die Erreichbarkeit<br />

von Praxen auswirken. Dann bedarf es<br />

verstärkter Anstrengungen der Allgemeinheit,<br />

um auch räumlich entferntere Arztkontakte<br />

zu ermöglichen. Die <strong>Kassenärztliche</strong><br />

<strong>Vereinigung</strong> wird die Patientenströme weiterhin<br />

genau beobachten, um rechtzeitig auf geänderte<br />

Bedingungen reagieren zu können.<br />

Im Gespräch mit dem Dormagener Bürgermeister Peter-Olaf Hoffmann<br />

„Arztansiedlung ist Wirtschaftsförderung“<br />

Zeichnet sich in Dormagen ein Mangel in der ambulanten<br />

Versorgung ab?<br />

Aktuell haben wir keine Sorgen, doch da die meisten Ärzte<br />

zwischen 45 und 55 Jahre alt sind, könnte es in 15 bis 20<br />

Jahren schwierig werden, sofern der Nachwuchs ausbleibt.<br />

In Dormagen kommt auf 1.700 Einwohner ein Hausarzt.<br />

Welches Verhältnis ist für Sie wünschenswert?<br />

Ich halte die aktuelle Situation für wünschenswert – mehr<br />

Patienten sollte ein Arzt nicht versorgen müssen. Wichtig<br />

ist, dass Ärzte wirtschaftlich arbeiten und ihre Patienten<br />

zugleich auch in Form von Haus- und Heimbesuchen<br />

versorgen können.<br />

Wie lange darf die Anfahrt zum Arzt dauern?<br />

Ich möchte in 15 Minuten beim Hausarzt sein. Bei Fachärzten<br />

muss man längere Wege und Fahrtzeiten akzeptieren,<br />

aber zumeist werden diese Besuche längerfristig vorab<br />

organisiert.<br />

Was kann eine Stadt tun im Wettbewerb um Niedergelassene?<br />

Sie muss selber attraktiv sein, um Menschen anzulocken.<br />

Gerade junge Mediziner, unter ihnen immer mehr Frauen,<br />

interessieren sich für ein gutes Bildungsangebot und<br />

Kinderbetreuung. Akademiker wünschen auch ein ansprechendes<br />

Kulturangebot.<br />

Ärzte könnten sich also wie andere Unternehmer an die<br />

Stadt wenden?<br />

Ja, die Ansiedlung von Ärzten ist eine Art der Wirtschaftsförderung,<br />

weil sie die Infrastruktur vor Ort verbessert –<br />

und weil Ärzte Arbeitsplätze schaffen.<br />

Manche Politiker schildern der <strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong><br />

die Probleme ihrer Kommunen. Haben Sie schon<br />

mal Kontakt gehabt zur KV <strong>Nordrhein</strong>?<br />

Wir haben im vergangenen Jahr mit den örtlichen Ärzten<br />

und der KV <strong>Nordrhein</strong> über die Zukunft der ambulanten<br />

ärztlichen Versorgung in Dormagen gesprochen. Wir<br />

haben den Boden geschaffen, um diese Informationen in<br />

Politik und Gesellschaft zu tragen.<br />

Sie haben eine Stabsstelle für Demografie, beschäftigen<br />

sich intensiv mit der „alternden Bevölkerung“ – warum?<br />

Fakt ist: 2010 hatten wir 9.000 junge Menschen bis 16<br />

Jahre in Dormagen. 2035 werden es 6.000 sein. 2010 waren<br />

13.000 Menschen über 65 – 2035 werden es 19.000 sein.<br />

Wenn wir die Größe der Stadt und ihre Infrastruktur erhalten<br />

wollen, müssen wir gegensteuern.<br />

Wird Dormagen eine gute ambulante ärztliche Versorgung<br />

behalten?<br />

Ich halte unsere Stadt für so attraktiv, dass wir die Infrastruktur<br />

erhalten können. Köln und Düsseldorf können<br />

nicht allen, die dort leben wollen, bezahlbaren Wohnraum<br />

bieten. Zudem werden wir in Dormagen zusätzliche<br />

Arbeitsplätze und damit mehr Einpendler haben. Ich bin<br />

zuversichtlich – sofern wir den Mangel an ärztlichem<br />

Nachwuchs in den Griff bekommen.<br />

1<br />

Augenärzte, Chirurgen, Frauenärzte, Hautärzte,<br />

Hals-Nasen-Ohrenärzte, Kinderärzte, Nervenärzte,<br />

Orthopäden, Psychotherapeuten, Urologen.<br />

Peter-Olaf Hoffmann steht wie viele Amtskollegen<br />

vor dem Problem einer Überalterung der Wohnbevölkerung.<br />

Er sieht in einer guten medizinischen<br />

Versorgung einen wichtigen Anreiz, damit auch in<br />

Zukunft junge Familien in Dormagen wohnen möchten.<br />

26 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

27


Demografie<br />

Warten, bis der Arzt kommt?<br />

Von der noch vor wenigen Jahren befürchteten Ärzteschwemme ist bis heute<br />

nichts zu sehen. Ganz im Gegenteil: In einigen Gemeinden und Kreisen warten<br />

Patienten tatsächlich auf den Arzt. Freie Arztsitze werden mancherorts weder<br />

neu- noch wiederbesetzt, während der Behandlungsbedarf weiter steigt. Eine zukunftsorientierte<br />

Bedarfsplanung der KV <strong>Nordrhein</strong> will die Trendwende schaffen.<br />

Dr. Franz Josef Zumbé<br />

69 Jahre, verheiratet, zwei Söhne.<br />

Hausarzt in Tondorf/Nettersheim<br />

in der Eifel.<br />

Er ist seit 1977 als Allgemeinmediziner<br />

„auf dem Land“ selbständig.<br />

Seitdem passionierter Jäger –<br />

das Hobby gehört zum kulturellen<br />

Umfeld.<br />

„In Regionen und Orten, in denen<br />

heute kein Hausarzt praktizieren<br />

möchte, werden sich auch<br />

nicht mehrere Ärzte unter einem<br />

Dach ansiedeln. Entweder ist ein<br />

Standort attraktiv oder er ist es<br />

eben nicht.“<br />

Mit 69 Jahren möchte ich mich eigentlich<br />

langsam auf den Ruhestand<br />

vorbereiten. Aber es zeichnet sich<br />

ab, dass ich nicht so schnell in Rente gehen<br />

kann“, beschreibt Dr. Franz Josef Zumbé seine<br />

derzeitige Situation. In seiner Region rund<br />

um das kleine Eifel-Örtchen Tondorf in der<br />

Gemeinde Nettersheim fehlt es an niederlassungswilligen<br />

Allgemeinmedizinern. Einen<br />

Nachfolger für seine Praxis zu finden ist nicht<br />

einfach, obwohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen<br />

gut sind. Auch die jetzige Praxis<br />

von Zumbé hatte damals zwei Jahre leer gestanden,<br />

bevor er sich entschloss, in die Eifel<br />

zu ziehen. Eine Entscheidung, die er und seine<br />

Frau nie bereut haben. „Ich möchte meine Patienten,<br />

die ich zumeist seit Jahrzehnten persönlich<br />

kenne und häufig seit ihrer Geburt begleite,<br />

nicht einfach im Stich lassen“, erklärt<br />

der Mediziner. Ein Problem, das er derzeit mit<br />

manchen seiner Kollegen teilt.<br />

Würden niedergelassene Ärzte ausnahmslos<br />

mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen, gäbe<br />

es in <strong>Nordrhein</strong> heute schon eine empfindliche<br />

Lücke in der Versorgung. Ohne den Beitrag<br />

älterer Ärzte wie Dr. Zumbé wären über<br />

400 Hausarztsitze verwaist, das entspricht<br />

einem Anteil von 6,4 Prozent. Bei den Fachärzten<br />

wären es 5,2 Prozent.<br />

Betrachtet man die Altersverteilung der<br />

Haus- und Fachärzte in <strong>Nordrhein</strong>, wird<br />

schnell offensichtlich, dass die Sorgen um<br />

den Nachwuchs nur allzu berechtigt sind.<br />

Das Durchschnittsalter der Ärzte steigt an<br />

Im Durchschnitt sind die Hausärzte im gesamten<br />

Versorgungsgebiet mit 52,7 Jahren<br />

etwas älter als die Fachärzte mit 52 Jahren.<br />

Die nordrheinischen Hausärzte sind damit<br />

rund ein halbes Jahr jünger als der bundesweite<br />

Altersdurchschnitt, bei den Fachärzten<br />

gibt es keinen Unterschied zum Bund. Bemerkenswert<br />

ist die Dynamik der demografischen<br />

Alterung in den letzten Jahren: Von 1993 bis<br />

2010 ist nach Angaben der <strong>Kassenärztliche</strong>n<br />

Bundesvereinigung das Durchschnittsalter<br />

der Vertragsärzte in Deutschland um fünf<br />

Jahre angestiegen.<br />

Dieser Umstand ist die späte Folge der Entscheidung<br />

des Gesetzgebers im Jahr 1993,<br />

Neuzulassungen von Ärzten auf Jahre hinaus<br />

rigoros zu unterbinden, um der damals<br />

erwarteten „Ärzteschwemme“ zu begegnen.<br />

Der Effekt wurde zusätzlich verstärkt durch<br />

eine Niederlassungswelle all derjenigen, die<br />

sich noch vor Inkrafttreten des Gesetzes eine<br />

Zulassung sichern konnten. Bis heute bewegt<br />

sich der damalige Boom als „Seehofer-Bauch“<br />

durch die Tabellen und Grafiken der Statistiker.<br />

In der Abbildung auf der nachfolgenden<br />

Seite ist das nach dem damaligen Bundesgesundheitsminister<br />

benannte Phänomen<br />

deutlich als Wölbung der Kurve in den Altersklassen<br />

der heute 55- bis 65-Jährigen zu<br />

erkennen.<br />

28 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

29


Demografie<br />

Altersstruktur bei Haus- und Fachärzten<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

Bis 34<br />

Jahre<br />

MW: 52,0 MW: 52,7<br />

35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70 und<br />

älter<br />

Auch in <strong>Nordrhein</strong> hat es einen Anstieg des<br />

ärztlichen Durchschnittsalters gegeben. Allerdings:<br />

Wie bei allen anderen Merkmalen<br />

gibt es auch hier regionale Unterschiede.<br />

Eine weitere Erkenntnis: Das Stadt-Land-<br />

Gefälle ist weniger ausgeprägt als gemeinhin<br />

vermutet wird.<br />

Ungleiche Verteilung in Stadt und Land<br />

Der Anteil über 60-jähriger Ärzte ist ein geeigneter<br />

Indikator für den Nachbesetzungsbedarf<br />

in den nächsten Jahren. Auf der Ebene<br />

der Kreise und Städte sind noch keine größeren<br />

Ungleichheiten zu erkennen. Bei den<br />

Hausärzten liegt dieser Anteil zwischen 15<br />

und 22 Prozent. Allein Remscheid (27 %) und<br />

Bonn (24 %) liegen etwas darüber. Ähnlich<br />

sieht es bei den insgesamt jüngeren Fachärzten<br />

aus: Hier liegt die Spanne zwischen neun<br />

und 17 Prozent. Etwas höher ist der Anteil<br />

über 60-Jähriger im Rhein-Erft-Kreis (19 %)<br />

und wiederum in Bonn (20 %). Je kleinräumiger<br />

die Betrachtung, desto größer werden<br />

die Unterschiede zwischen den Regionen. Auf<br />

Gemeindeebene schwankt der Anteil der über<br />

60-jährigen Hausärzte zwischen null und 100<br />

Prozent. Diese Extreme betreffen kleine Gemeinden<br />

und sagen wenig über die Gesamtverteilung<br />

aus. Die Städte haben meist einen<br />

mittelgroßen Anteil an über 60-Jährigen,<br />

während bei den ländlichen Gemeinden Abweichungen<br />

nach unten wie auch nach oben<br />

zu beobachten sind. Insgesamt kann man also<br />

nicht von einem Stadt-Land-Gefälle sprechen.<br />

In einigen Gebieten gibt es allerdings<br />

auffällige Häufungen von Gemeinden mit einem<br />

hohen Anteil über 60-jähriger Hausärzte,<br />

nämlich im Rhein-Sieg-Kreis, im Oberbergischen<br />

Kreis und am Niederrhein.<br />

Am besten lassen sich die Analysen zur Altersstruktur<br />

der Ärzteschaft auf den interaktiven<br />

Karten in unserem Onlineatlas nachvollziehen.<br />

Sämtliche hier erwähnten Indikatoren<br />

sind dort für ganz <strong>Nordrhein</strong> abgebildet. Es<br />

ist abzusehen, dass in den kommenden 20<br />

Anteil der Altersklasse<br />

(in % aller Hausärzte)<br />

Anteil der Altersklasse<br />

(in % aller Fachärzte)<br />

Über die Hälfte der<br />

heute praktizierenden<br />

Haus- und Fachärzte<br />

ist über 50 Jahre<br />

alt und wird in den<br />

nächsten 20 Jahren<br />

in Rente gehen. Nicht<br />

selten: Arbeit darüber<br />

hinaus, wenn Nachfolger<br />

fehlen.<br />

Im Detail<br />

Daten zur Altersstruktur der<br />

Ärzteschaft:<br />

http://goo.gl/QW1oG<br />

Jahren überdurchschnittlich „starke“ Altersjahrgänge<br />

in den Ruhestand treten werden.<br />

Schon heute ist klar, dass nicht alle ausscheidenden<br />

Ärzte durch junge Kolleginnen<br />

und Kollegen ersetzt werden können. Dieses<br />

Problem wird hinsichtlich der Fachgruppen<br />

zeitversetzt auftreten: So weisen Hausärzte,<br />

Chirurgen und Psychotherapeuten ein hohes<br />

Durchschnittsalter auf. Jünger als der Durchschnitt<br />

aller Ärzte sind dagegen Orthopäden,<br />

Radiologen sowie Haut- und HNO-Ärzte.<br />

Auch kleine Erfolge helfen<br />

In einzelnen Gemeinden wird sich die Situation<br />

schon kurz- bzw. mittelfristig zuspitzen.<br />

Wenn beispielsweise von fünf Hausärzten vor<br />

Ort drei schon das Rentenalter erreicht haben,<br />

sind neben der <strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong><br />

zumeist auch Bürger und Kommunalpolitiker<br />

alarmiert. Die gute Nachricht lautet:<br />

Mit nur einem gewonnenen Arzt kann die<br />

Situation in ländlichen Gemeinden oftmals<br />

bereits deutlich entschärft werden. Franz<br />

Josef Zumbé möchte allerdings vor falschen<br />

Erwartungen warnen. Es sollten bei den jungen<br />

Kollegen keine zu großen Hoffnungen<br />

geweckt werden. Er ist davon überzeugt, dass<br />

die Einzelpraxis unter den heutigen Rahmenbedingungen<br />

in vielen ländlichen Gemeinden<br />

keine Zukunft mehr hat. Speziell die Einzelpraxis<br />

trägt sich finanziell nicht. Große medizinische<br />

Versorgungszentren hält Zumbé in<br />

ländlichen Gegenden allerdings auch nicht<br />

für eine ernsthafte Alternative: „In Regionen<br />

und Orten, in denen heute kein Hausarzt<br />

praktizieren möchte, werden künftig auch<br />

keine Einzelpraxen entstehen und sich schon<br />

gar nicht mehrere Ärzte unter einem Dach<br />

ansiedeln. Entweder ist ein Standort attraktiv<br />

oder er ist es eben nicht.“<br />

Ein Dorfarzt ist mehr als „nur“ Mediziner<br />

Als Hausarzt ist er nach eigenem Empfinden<br />

in gewisser Weise auch als Psychologe im<br />

Einsatz. Jeder auf dem Dorf kennt jeden, und<br />

natürlich muss man das soziale Umfeld seiner<br />

Patienten einbeziehen. „Das sehe ich als<br />

positive berufliche Herausforderung. Und wir<br />

haben hier unsere Kinder in einer intakten sozialen<br />

Umgebung und sauberen Umwelt aufwachsen<br />

lassen können. Es gibt gute Gründe,<br />

auf dem Land tätig zu sein. Das müssen wir<br />

Landärzte und die Politik nur stärker klarstellen“,<br />

fordert Zumbé. Der Trend der Alterung<br />

bei den Medizinern spiegelt sich in der Altersstruktur<br />

der Bevölkerung wider: Auch sie wird<br />

in den kommenden Jahren älter. Dabei zeigen<br />

sich regional erhebliche Unterschiede: Bedingt<br />

durch Wanderungsbewegungen werden<br />

2030 in Köln und im Rhein-Sieg-Kreis prozentual<br />

so viele Kinder und Jugendliche leben<br />

wie nirgendwo sonst in <strong>Nordrhein</strong>. Dem<br />

gegenüber stehen Wesel, Viersen, Euskirchen<br />

und Mettmann, in denen 2030 der Anteil der<br />

über 65-Jährigen höher sein wird als in allen<br />

anderen Kreisen und kreisfreien Städten der<br />

KV-Region.<br />

Eine gute Versorgungsplanung wird auf die<br />

beschriebenen demografischen Entwicklungen<br />

reagieren müssen: Je nach Region und<br />

medizinischer Fachrichtung werden aufgrund<br />

der sich verändernden Altersstruktur<br />

der Bevölkerung und der Ärzteschaft mehr<br />

oder weniger Ärzte benötigt. Neben der reinen<br />

Bevölkerungszahl und der Alters- und<br />

Geschlechterverteilung beeinflusst auch die<br />

Krankheitslast der Einwohner eines Planungsgebietes<br />

den Behandlungsbedarf. Schließlich<br />

müssen die Mobilität der Patienten und die<br />

damit zusammenhängenden Mitversorgungsbeziehungen<br />

zwischen großen und kleinen<br />

Gemeinden berücksichtigt werden. Eine einfache<br />

Pauschallösung zum Umgang mit der<br />

demografischen Entwicklung in der ambulanten<br />

Versorgung kann es daher nicht geben.<br />

Dr. Zumbé im<br />

Doppel. Sein Sohn<br />

Benedikt wollte<br />

nicht nur Mediziner<br />

werden, sondern<br />

teilt auch die Heimatverbundenheit<br />

mit seinem Vater<br />

und ist in dessen<br />

Praxis eingestiegen.<br />

Doppeltes Glück:<br />

glücklicher Hausarzt<br />

und Glück für die<br />

Patienten.<br />

30 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

31


Prognosen & Trends<br />

2Prognosen & Trends<br />

Wir werden immer älter und wollen auch im Alter unser Leben<br />

genießen. Die Begleiterscheinung mit zumehmenden Alter der<br />

Bevölkerung: Die Anfälligkeit wie auch Wahrscheinlichkeit für<br />

Erkrankungen steigt an.<br />

Rund<br />

5.000<br />

Hausärztinnen und -ärzte müssten bis zum Jahr<br />

2030<br />

ersetzt werden, um den<br />

Stand von heute zu halten.<br />

83 Prozent der im Jahr 2010<br />

tätigen Hausärzteschaft<br />

werden dann über 65 Jahre<br />

alt sein.<br />

Patienten von morgen −<br />

Prognosen und Trends<br />

Wer heute 50 Jahre alt ist, macht sich<br />

noch wenig Gedanken über Prostatakrebs,<br />

Arterienverkalkung oder Demenz. Doch<br />

nur 20 Jahre später braucht ein dann rund 70<br />

Jahre alter Mann möglicherweise eine engmaschige<br />

medizinische Betreuung durch den<br />

Hausarzt, den Urologen, den Kardiologen oder<br />

einen Psychiater. Älter werden bedeutet in<br />

der Regel auch kränker werden, oftmals sogar<br />

chronisch.<br />

Es kommt was auf uns zu<br />

Was in den kommenden 15 bis 20 Jahren geschieht,<br />

kann niemand mit Gewissheit vorher<br />

sagen. Jedoch verfolgen Experten in den verschiedensten<br />

Lebens- und Gesellschaftsbereichen<br />

Trends, auf deren Basis künftige Entwicklungen<br />

prognostiziert werden können. Oftmals<br />

mit erstaunlich großer Genauigkeit und Verlässlichkeit.<br />

So auch im Gesundheitssektor.<br />

Speziell für den <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>Nordrhein</strong><br />

hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche<br />

Versorgung in Deutschland (ZI) Prognosen<br />

für den zukünftigen Behandlungsbedarf und<br />

Modelle für die (Nach-)Besetzung von Arztsitzen<br />

erstellt. Grundlage aller Vorhersagen ist<br />

dabei die Entwicklung der Bevölkerung. Hier<br />

ist ein dominierender Trend schon lange erkennbar<br />

und unverändert stabil: Bessere Lebensbedingungen<br />

und ein hoch dynamischer<br />

medizinisch-technischer Fortschritt führen<br />

dazu, dass die Menschen immer älter werden.<br />

Seit 1900 steigt die mittlere Lebenserwartung<br />

in den entwickelten Industrie staaten pro Jahr<br />

nahezu konstant um mehr als einen Monat.<br />

32 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

33


Patienten & Ärzte 2030<br />

Startklar für die Zukunft<br />

In 15 bis 20 Jahren soll die ambulante ärztliche Versorgung genau den gleichen<br />

hohen Standard aufweisen wie heute. Auf dieses Ziel fokussieren schon heute<br />

Programme und Initiativen der KV <strong>Nordrhein</strong>.<br />

Dr. Harald Clade - Patient<br />

Dr. Harald Clade, 72, aus Frechen.<br />

Der Journalist ist Teilnehmer am<br />

Disease-Management-Programm<br />

(DMP) für Diabetiker.<br />

„Als Diabetiker muss ich alle drei<br />

Monate zur ärztlichen Kontrolle.<br />

Meinen Hausarzt erreiche ich in<br />

zehn Minuten im benachbarten<br />

Hürth. Zur Augenärztin muss ich<br />

weiter fahren. Wenn ich Augentropfen<br />

bekomme, bin ich auf<br />

einen Fahrer angewiesen, denn<br />

es gibt keine gute öffentliche<br />

Verbindung dorthin.“<br />

Immer mehr ältere Menschen bedeutet fast<br />

automatisch mehr Krankheitslast. Dies gilt<br />

sowohl in Bezug auf die Anzahl erkrankter<br />

Personen als auch in Bezug auf die gesundheitlichen<br />

Beeinträchtigungen, die jeder<br />

betroffene Mensch individuell zu tragen hat.<br />

Gründe für diesen altersabhängigen Anstieg<br />

von Erkrankungen sind unter anderem die<br />

Funktionseinschränkungen von Organen im<br />

Zeitverlauf, die abnehmende Reaktionsfähigkeit<br />

des Immunsystems und das Merkmal vieler<br />

Krankheiten, regelmäßig erst im höheren<br />

Alter aufzutreten.<br />

Krankenhäuser sowie Haus- und Fachärzte<br />

in <strong>Nordrhein</strong> werden daher künftig anteilig<br />

mehr ältere Patienten versorgen als heute:<br />

Während der Anteil der Menschen über 65<br />

Jahre in der Region <strong>Nordrhein</strong> im Jahr 2010<br />

rund ein Fünftel betrug, wird dieser Anteil bis<br />

2020 auf 22,3 und bis 2030 auf 26,4 Prozent<br />

steigen. Dabei ist auch mit einer überproportionalen<br />

Zunahme der Hochaltrigen zu rechnen,<br />

also der Menschen im Alter von über 85<br />

Jahren.<br />

Alterstypische Krankheiten<br />

Ältere Menschen gehen häufiger zum Arzt als<br />

junge, sie suchen häufiger mehrere (Fach-)<br />

Ärzte parallel auf. Im Krankheitsspektrum von<br />

älteren Menschen dominieren insbesondere<br />

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems<br />

wie Angina Pectoris (Brustenge) und Herzinsuffizienz<br />

sowie akuter Herzinfarkt. Auch<br />

Schlaganfälle sowie Durchblutungsstörungen<br />

treten bei älteren Menschen deutlich häufiger<br />

auf als bei Menschen im jungen bzw. mittleren<br />

Lebensalter. Als zweite Gruppe alterstypischer<br />

Erkrankungen sind Störungen des<br />

Bewegungsapparats zu nennen, die beispielsweise<br />

durch Osteoporose (Knochenschwund)<br />

oder aber durch Stürze bzw. den altersbedingten<br />

Gelenkverschleiß an Hüfte und Knie<br />

verursacht werden. Auch Krebserkrankungen<br />

treten gehäuft im höheren Alter auf: Auf die<br />

über 65-jährigen Männer und Frauen entfallen<br />

61 Prozent bzw. 64 Prozent aller erstmalig<br />

festgestellten Krebsdiagnosen. Ein weiterer<br />

Beleg für die Altersabhängigkeit von Krebs ist<br />

der Umstand, dass das mittlere Erkrankungsalter<br />

für alle Krebsarten aktuell bei ca. 70<br />

Jahren liegt. Noch deutlicher ist der Zusammenhang<br />

von Alter und Krankheit im Fall von<br />

demenziellen Erkrankungen: Von den 65- bis<br />

69-Jährigen sind ca. 1,5 Prozent von einer<br />

Demenz betroffen, von den über 90-Jährigen<br />

dagegen mehr als jeder Dritte.<br />

Neben diesen alterstypischen Krankheitsbildern<br />

zeigt die Realität in den Praxen und<br />

Krankenhäusern auch, dass ältere Menschen<br />

oftmals mehrfach erkrankt sind (Multimorbidität).<br />

Zudem verlaufen Krankheiten, die im Alter<br />

auftreten, häufig chronisch, das heißt: Die<br />

Menschen leiden unter Symptomen, die dau-<br />

34 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

35


Patienten & Ärzte 2030<br />

erhaft der medizinischen Behandlung bedürfen<br />

und meist nicht mehr vollständig heilbar<br />

sind. Nicht in der Gesundung der Patienten,<br />

sondern in deren Begleitung – mit dem Ziel<br />

einer möglichst hohen Lebensqualität – liegt<br />

bei diesen Patienten die Herausforderung für<br />

Im Gespräch mit Dr. Harald Clade<br />

Patienten in der Pflicht<br />

Dr. rer. pol. Harald Clade (72), ehemaliger Redakteur des<br />

Deutschen Ärzteblatts und heute freier Journalist, bezeichnet<br />

sich selbst als „kritischen Patienten“, der längere<br />

Wartezeiten oder ungerechtfertigte Zuzahlungen stets<br />

hinterfragt und wenn nötig auch zur Sprache bringt.<br />

Dr. Clade, wie schätzen Sie Ihren eigenen Gesundheitszustand<br />

ein?<br />

Seit 20 Jahren bin ich Altersdiabetiker. Als ich um die 50<br />

Jahre alt war, hat mein Hausarzt die chronische Krankheit<br />

erkannt.<br />

Wie werden Sie medizinisch betreut?<br />

Da ich an Diabetes Typ 2 und zudem an Retinopathie<br />

leide, also einer durch den Diabetes verursachten Netzhauterkrankung,<br />

muss ich sowohl meinen Hausarzt als<br />

auch meinen Augenarzt mehrmals im Jahr aufsuchen.<br />

Zum Hausarzt habe ich zwar einen kurzen Weg, etwa zehn<br />

Autominuten, muss aber öfters – trotz lange im Voraus<br />

vereinbartem Termin – lange Wartezeiten in Kauf nehmen.<br />

Das finde ich nicht in Ordnung. Ich bin eingeschrieben im<br />

Disease-Management-Programm (DMP) für Diabetes-Typ-<br />

2-Patienten. Alle drei Monate muss ich deshalb zur Kontrolle<br />

und Blutanalyse zu meinem Hausarzt im Einkaufszentrum<br />

in Hürth, eine Praxis mit Schwerpunkt Diabetologie.<br />

Dort fühle ich mich sehr gut betreut. Zum Augenarzt in<br />

Pulheim muss ich weiter fahren, etwa 20 Minuten mit dem<br />

Auto. Diese Termine plane ich daher im Voraus.<br />

Worin bestehen für Sie die Vorteile des DMP?<br />

Ist man in einem solchen Programm eingeschrieben,<br />

verläuft die medizinische Betreuung sehr strukturiert und<br />

folgt einem konsequenten Plan. Das hilft sowohl dem<br />

Patienten als auch dem Arzt. Das A und O sind jedoch<br />

die behandelnden Ärzte. Grundsätzlich sind der<br />

regelmäßig längere Krankheitsverlauf und die<br />

verzögerte Genesung wesentliche Merkmale<br />

von Erkrankungen im Alter.<br />

Im Detail<br />

Den ausführlichen DMP-Qualitätsbericht<br />

finden Sie unter:<br />

http://goo.gl/l0PSc<br />

Compliance und Selbstdisziplin. Das heißt, ich als Patient<br />

muss mitziehen, etwa den Ernährungsempfehlungen auch<br />

Folge leisten. Für den Arzt bedeutet das, den Patienten<br />

zunächst einmal aufzuklären und hinsichtlich seines Lebensstils<br />

zu beraten. Ich habe einen Hausarzt gewählt, der<br />

meine Krankheit und meine Ernährung ausführlich mit mir<br />

bespricht.<br />

Diagnosen der Zukunft<br />

Einen Hinweis darauf, wie sich das Krankheitsspektrum<br />

in der ambulanten Versorgung<br />

in <strong>Nordrhein</strong> entwickeln wird, liefern die Tabellen<br />

„Prognose der Krankheiten“ (s. Seite<br />

37 und 38). Sie zeigen den Entwicklungstrend<br />

für ausgewählte Diagnosen. Um eine Prognose<br />

für die Häufigkeit bestimmter Erkrankungen<br />

im Jahr 2025 zu treffen, wurde zunächst<br />

unterstellt, dass die Wahrscheinlichkeit, von<br />

der jeweiligen Krankheit betroffen zu sein, in<br />

2025 genauso hoch ist wie heute. Dann wurde<br />

die aus den Abrechnungsdaten bekannte<br />

Altersverteilung der Diagnosen auf die Bevölkerungsprognose<br />

des Jahres 2025 übertragen.<br />

Es wurde also der rein demografisch bedingte<br />

Anstieg von Krankheitshäufigkeiten vorausberechnet.<br />

Diese einfache Kalkulation offenbart<br />

eindrückliche Steigerungsraten für einzelne<br />

Diagnosen.<br />

Was können Sie anderen Diabetes-Patienten empfehlen?<br />

Die höchsten Steigerungsraten von rund 30<br />

Prozent weisen neurologische bzw. neurodegenerative<br />

Erkrankungen wie Demenz und<br />

Aufgrund meines Übergewichts muss ich jeden Tag auf die<br />

Waage. Das geht vielen Diabetes-Patienten ähnlich. Durch<br />

Morbus Parkinson auf. In <strong>Nordrhein</strong> müssen<br />

richtige Ernährung und Bewegung in der Gruppe habe ich<br />

im Jahr 2025 nach der vorliegenden Progno-<br />

in den vergangenen zwei Jahren neun Kilo abgenommen<br />

und fühle mich fit. Das DMP beinhaltet beispielsweise<br />

Koch- und Sportkurse, bei denen man erstens lernt, richtig<br />

zu essen, zweitens sich bewegt, was das Übergewicht bekämpft.<br />

Drittens trifft man im Programm auch Mitstreiter,<br />

die mit der gleichen chronischen Krankheit leben. Krankheit Patienten 2008<br />

se ca. 40.000 Demenzfälle mehr behandelt<br />

werden als im Jahr 2008. Noch deutlicher<br />

fällt der Zuwachs bei den Herz-Kreislauf-<br />

Erkrankungen aus: So sind allein bei der ischämischen<br />

Herzkrankheit im Jahr 2025 in<br />

<strong>Nordrhein</strong> 93.000 Patienten mehr zu erwarten<br />

– eine Steigerungsrate von 21 Prozent.<br />

Ähnliche oder sogar noch höhere Quoten gelten<br />

für Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern und<br />

Schlaganfall. Auch Osteoporose weist mit einem<br />

Plus von fast 20 Prozent und einem absoluten<br />

Zuwachs von über 42.000 Fällen eine<br />

deutliche Steigerung in den Fallzahlen auf.<br />

Die typischen Patienten von morgen werden<br />

die alltäglichen Herausforderungen in den<br />

Arztpraxen verändern. Diese Veränderungen<br />

werden verstärkt und überlagert von anderen<br />

Trends - wie der weiteren Liegezeitverkürzung<br />

in den Krankenhäusern oder auch dem gesundheitspolitisch<br />

gewünschten Vorrang der ambulanten<br />

vor der stationären Versorgung. Die<br />

damit einhergehenden Verlagerungseffekte<br />

werden das Arbeitspensum niedergelassener<br />

Ärzte erheblich erhöhen. In den vorliegenden<br />

demografischen Modellrechnungen sind diese<br />

Effekte jedoch noch nicht berücksichtigt.<br />

Prognose der Krankheiten – Nach Zunahme der absoluten PATientenzahlen<br />

Zunahme<br />

Absolute<br />

2008–2025 in % Zunahme<br />

1 Hypertonie 1.451.872 13,78 % 200.099<br />

2 Ischämische Herzkrankheit 446.189 21,05% 93.926<br />

3 Diabetes mellitus 541.385 15,30 % 82.841<br />

4 Osteoarthrose der großen Gelenke 423.148 16,39 % 69.365<br />

5 Herzinsuffizienz 194.161 26,86 % 52.146<br />

6 Osteoporose und Folgeerkrankungen 218.678 19,47 % 42.568<br />

7 Demenz 124.162 33,94 % 42.136<br />

8 Atherosklerose, periphere Gefäßerkrankung 196.527 20,23 % 39.762<br />

9 Emphysem/Chronische obstruktive Bronchitis 253.395 14,85 % 37.633<br />

10 Depression 483.601 6,75 % 32.626<br />

Die Steigerungsrate<br />

einiger Krankheitsbilder<br />

verstärkt<br />

den Ärztemangel<br />

zusätzlich. Den<br />

steigenden Patientenzahlen<br />

müssen<br />

ausreichend<br />

Ärztinnen und Ärzte<br />

gegenüberstehen.<br />

Modellrechnung auf der<br />

Basis der nordrheinischen<br />

Abrechnungsdiagnosen<br />

von 2008.<br />

36 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

37


Patienten & Ärzte 2030<br />

Die alternde Bevölkerung<br />

geht einher<br />

mit einem steigenden<br />

und intensiven<br />

Behandlungsbedarf,<br />

mehr Erkrankungen<br />

und längeren Behandlungszeiten.<br />

Modellrechnung auf der<br />

Basis der nordrheinischen<br />

Abrechnungsdiagnosen<br />

von 2008.<br />

Prognose der Krankheiten – Nach prozentualer Zunahme<br />

Krankheit Patienten 2008<br />

DMP: Chroniker im Fokus<br />

Um Diabetiker wie Dr. Clade nach dem aktuellen<br />

Stand der Medizin behandeln zu<br />

können, wurden in den letzten Jahren die<br />

Strukturen und die Prozesse der Versorgung<br />

in den sogenannten „Disease-Management<br />

-Programmen“ (s. Interview Seite 36) an<br />

die Bedürfnisse chronisch kranker Patienten<br />

angepasst. Ambulanter und stationärer<br />

Sektor arbeiten hierbei Hand in Hand:<br />

Zur DMP-Versorgungskette gehören neben<br />

den von den Patienten frei gewählten koordinierenden<br />

Hausärzten die diabetologischen<br />

Schwerpunktpraxen, Fußambulanzen zur Behandlung<br />

des diabetischen Fußes und Krankenhäuser<br />

mit diabetologischen Abteilungen.<br />

Für diese spezialisierten Angebote müssen<br />

Patienten aus ländlichen Gebieten längere<br />

Wege auf sich nehmen. Drei Viertel aller<br />

nordrheinischen Patienten finden die nächste<br />

diabetologische Schwerpunkteinrichtung im<br />

Umkreis von acht Kilometern. Einwohner des<br />

Oberbergischen Kreises müssen aber schon<br />

durchschnittlich 14 Kilometer bis zur Schwerpunktpraxis<br />

zurücklegen, in Euskirchen sind<br />

es rund 18 und in Kleve 19 Kilometer.<br />

Dennoch schlägt sich der Faktor Entfernung<br />

nicht negativ in der Behandlungsqualität<br />

nieder, wie eine Studie des Zentralinstituts<br />

für die kassenärztliche Versorgung (ZI) auf<br />

der Basis umfangreicher DMP-Dokumentationsdaten<br />

belegt (Hagen u.a. 2012). Wichtige<br />

Qualitätsziele, wie die möglichst hohe Teilnahmequote<br />

von Patienten an Schulungen<br />

oder die frühzeitige Überweisung der Diabetiker<br />

durch den Hausarzt an den Spezialisten,<br />

wurden unabhängig von der Entfernung zu<br />

den Betreuungsangeboten erreicht.<br />

Stadt in Sicht:<br />

Urbanes Leben auf dem Vormarsch<br />

Die Zahl der Single-Haushalte nimmt bereits<br />

seit 20 Jahren stetig zu; Tendenz weiter steigend.<br />

Insbesondere junge Männer und ältere<br />

Frauen leben zunehmend in Ein-Personen-<br />

Haushalten. Singles, aber auch ältere Ehepaare,<br />

zieht es aus ländlichen Gegenden in<br />

die Großstädte, die immer weiter wachsen.<br />

In der Millionenstadt Köln beispielsweise<br />

lebten 2010 rund 183.000 Menschen, die 65<br />

Jahre und älter waren. 2030 wird es 223.000<br />

Kölner in dieser Altersgruppe geben – ein<br />

Zunahme<br />

Absolute<br />

2008–2025 in % Zunahme<br />

1 Demenz 124.162 33,94 % 42.136<br />

2 Herzinsuffizienz 194.161 26,86 % 52.146<br />

3 Morbus Parkinson/Basalganglienerkrankungen 35.995 26,75 % 9.630<br />

4 Niereninsuffizienz 128.305 22,78 % 29.228<br />

5 Delir und Enzephalopathie 14.550 22,60 % 3.288<br />

6 Bösartige Neubildungen der männl. Genitalorgane 61.395 22,58 % 13.861<br />

7 Hautulkus, exkl. Dekubitalulzera 19.026 22,37 % 4.255<br />

8 Vorhofarrhythmie 136.178 22,22 % 30.261<br />

9 Schlaganfall und Komplikationen 131.220 21,42 % 28.107<br />

10 Ischämische Herzkrankheit 446.189 21,05 % 93.926<br />

ärzte ohne nachwuchs<br />

Zuwachs von mehr als 21 Prozent, laut der<br />

Bevölkerungsprognose des Bundesinstituts<br />

für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).<br />

Das bedeutet: Im gesamten Stadtgebiet werden<br />

nicht nur mehr altersgerechte Wohnungen<br />

und Pflegedienste benötigt, sondern auch<br />

mehr Ärzte und Psychotherapeuten.<br />

Was in einigen großen Städten noch gelingen<br />

mag, wird auf dem Land künftig schwieriger:<br />

Infolge von Verstädterung und Landflucht<br />

schwindet in kleinen Orten nicht nur die jüngere<br />

Bevölkerung, sondern mit ihr auch die<br />

Infrastruktur: Geschäfte, Frisöre, Bankfilialen<br />

und Krankenhäuser schließen vielerorts und<br />

konzentrieren sich auf die Ballungsräume.<br />

Weniger Einwohner, höheres Alter: Szenarien<br />

des künftigen Behandlungsbedarfs<br />

Während eine sinkende Bevölkerungszahl<br />

auch weniger medizinischen Behandlungsbedarf<br />

für eine Gemeinde bedeutet, wirkt<br />

der Trend der demografischen Alterung entgegengesetzt.<br />

Was bedeutet es, wenn beispielsweise<br />

im Kreis Wesel die Zahl der über<br />

65-Jährigen von 2010 bis 2030 zwar um 35<br />

Prozent wächst, die Bevölkerung insgesamt<br />

aber um mehr als fünf Prozent schrumpft?<br />

Die <strong>Kassenärztliche</strong> <strong>Vereinigung</strong> <strong>Nordrhein</strong><br />

steht vor der Herausforderung, ihre Bedarfsplanung<br />

auf die zunehmende Dynamik des<br />

demografischen Wandels abzustimmen.<br />

Die folgenden, speziell für diesen Report<br />

in Auftrag gegebenen Szenarien versuchen<br />

abzuschätzen, wie sich die beschriebenen<br />

Trends auf den künftigen Behandlungsbedarf<br />

in der Region <strong>Nordrhein</strong> auswirken werden.<br />

Fünftausend Hausärzte bis 2030 nötig<br />

Um das gegenwärtige Versorgungsniveau zu halten,<br />

müssten bis zum Jahr 2030 über 5.000 Hausärzte ersetzt<br />

werden. Dazu reichen die aktuellen Zugänge nicht aus.<br />

Momentan gehen jährlich rund 200 Hausärzte in den<br />

Ruhestand, aber nur 100 absolvieren eine Facharztprüfung<br />

für die hausärztliche Tätigkeit. Wenn die jährliche Wiederbesetzungsquote<br />

in den nächsten 20 Jahren konstant<br />

Gleichzeitig präsentieren wir eine Modellrechnung<br />

zur Wiederbesetzung der in den<br />

nächsten Jahren frei werdenden Arztsitze.<br />

Prognose: In ländlichen Kreisen steigt der<br />

Behandlungsbedarf zweistellig<br />

Wie die Grafik auf der folgenden Seite zeigt,<br />

steigt der mit dem Relativen Risikoscore (RRS)<br />

berechnete hausärztliche Behandlungsbedarf<br />

demografisch bedingt von 2010 bis 2030 in<br />

<strong>Nordrhein</strong> um sieben Prozent. Das wären nur<br />

0,35 Prozent im Jahr - mit einer „Explosion“ des<br />

Behandlungsbedarfs ist also nicht zu rechnen.<br />

An den roten Balken in der Grafik ist zu erkennen,<br />

wie stark der regionale Behandlungsbedarf<br />

vom nordrheinischen Durchschnitt<br />

des Jahres 2010 abweicht (s. Grafik Seite 19).<br />

Diese Kennzahl beinhaltet sowohl die für die<br />

Zukunft vorausgesagten regionalen Ungleichheiten<br />

als auch die Entwicklung des Behandlungsbedarfs<br />

über 20 Jahre.<br />

Wie schon 2010 sind regionale Unterschiede<br />

zu beobachten; sie haben sich insgesamt vergrößert.<br />

Hauptursache für die zunehmende<br />

Ungleichheit ist, dass in den meisten ländlichen<br />

Kreisen der Behandlungsbedarf im Prognosezeitraum<br />

zweistellig zunimmt, von Kleve<br />

über Viersen, Heinsberg, Düren, Euskirchen<br />

und dem Rhein-Erft-Kreis bis zum Rhein-<br />

Sieg-Kreis. Andernorts heben sich die Effekte<br />

von Abwanderung und Alterung gegenseitig<br />

auf, so dass der hausärztliche Behandlungsbedarf<br />

im Vergleich zu 2010 sinkt oder stagniert.<br />

Das ist in den Ruhrgebietsstädten sowie<br />

in Wuppertal und Remscheid der Fall.<br />

bleibt, entsteht eine Lücke von 1.714 Ärzten – das ist mehr<br />

als ein Viertel der dann benötigten Hausärzte.<br />

Selbst in attraktiven Städten wie Köln und Düsseldorf, die<br />

derzeit deutlich mehr Hausärzte aufweisen als nach den<br />

Planungsvorgaben erforderlich, würde die rechnerische<br />

Überversorgung durch die demografische Entwicklung bis<br />

2030 vollständig abgeschmolzen sein.<br />

38 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

39


Patienten & Ärzte 2030<br />

Im Vergleich zu 2010 haben<br />

sich die regionalen Ungleichheiten<br />

bei der Hausarztdichte<br />

verstärkt. Hier muss rechtzeitig<br />

gegengesteuert werden.<br />

Der Behandlungsbedarf wächst<br />

nicht überall. Mancherorts<br />

sinkt die Nachfrage nach<br />

Hausärzten trotz demografischer<br />

Alterung.<br />

-39 %<br />

-43 % 12 % Kleve<br />

Wesel<br />

20 %<br />

Heinsberg<br />

Hausärzte: Arztdichte und Behandlungsbedarf; Modellrechnung 2030<br />

Viersen<br />

-37 % 13 %<br />

18 %<br />

-34 % 6 %<br />

Duisburg Oberhausen<br />

-39 % -3 % -42 % 1 %<br />

4 %<br />

Vergleich der Werte von 2030 mit dem Durchschnitt von 2010 in %<br />

Hausärzte pro Einwohner 2030:<br />

Abweichung vom Durchschnitt<br />

rrS 2030: Abweichung vom Durchschnitt<br />

-27 % 2 %<br />

Krefeld<br />

-35 %<br />

-25 % 12 %<br />

Rhein-Kreis<br />

Neuss<br />

-31 % 14 %<br />

Mülheim<br />

5 %<br />

-16 % 13 %<br />

Düsseldorf<br />

-17 % 0 %<br />

Essen<br />

9 % 9 %<br />

Mettmann<br />

-28 % 6 %<br />

Mönchengladbach<br />

-8 % 4 %<br />

Rheinisch-<br />

Rhein-Erft-<br />

Kreis<br />

Köln<br />

Bergischer Kreis<br />

19 %<br />

17 %<br />

-30 %<br />

-31 %<br />

-32 % 10 %<br />

Düren<br />

Rhein-Sieg-<br />

13 %<br />

Kreis<br />

2 %<br />

Städteregion<br />

Aachen<br />

Bonn<br />

-7 % 13 %<br />

Euskirchen<br />

-6 %<br />

Solingen<br />

2 %<br />

-27 % 3 %<br />

Leverkusen<br />

-9 % -3 %<br />

Wuppertal<br />

Remscheid<br />

-15 % -8 %<br />

-17 %<br />

2 %<br />

Oberbergischer<br />

Kreis<br />

Im Detail<br />

Alles zum Relativen Risikoscore<br />

finden Sie unter:<br />

http://goo.gl/rmNLq<br />

Fachgruppe<br />

Die orangefarbenen Balken in der Grafik<br />

zeigen, wie stark die für 2030 vorausgesagte<br />

Hausarztdichte im jeweiligen Kreis vom<br />

nordrheinischen Durchschnitt des Jahres<br />

2010 (1.606 Einwohner pro Hausarzt) abweicht.<br />

Das Szenario dieser Darstellung geht<br />

von zwei Bedingungen aus: Die vorhandenen<br />

Hausärzte gehen mit 65 Jahren in den<br />

Ruhestand, und die Wiederbesetzungszahlen<br />

in den einzelnen Kreisen verbleiben auf dem<br />

Niveau der letzten fünf Jahre. Das heißt: Im<br />

Modell werden sowohl die regionale Altersstruktur<br />

der Hausärzte als auch die jeweilige<br />

„Attraktivität“ der Regionen für eine<br />

Niederlassung berücksichtigt.<br />

Brisante Verkettung: Weniger Hausärzte,<br />

steigender Behandlungsbedarf<br />

Szenario: Ärztliche Versorgung 2030<br />

Entsprechend der Modell-Annahmen würden<br />

in den kommenden 20 Jahren deutlich mehr<br />

Hausärzte ausscheiden als nachrücken. Auf<br />

jeden der verbleibenden Ärzte entfielen im<br />

Jahr 2030 im Durchschnitt 2.028 Einwohner,<br />

422 mehr als heute. Besonders auffällig<br />

stellt sich die Situation in Heinsberg und Kleve<br />

dar: Beide Kreise würden per saldo über<br />

ein Drittel ihrer Hausärzte verlieren. Dadurch<br />

würde sich die Einwohnerzahl je Arzt um 941<br />

(Heinsberg) bzw. sogar um 1.086 (Kleve) erhöhen.<br />

Gleichzeitig steigt gerade in diesen<br />

Kreisen der Behandlungsbedarf demografiebedingt<br />

stärker an als in anderen Regionen<br />

– es würden also trotz sinkender Einwohnerzahl<br />

nicht weniger, sondern mehr Hausärzte<br />

gebraucht; eine brisante Verkettung der beiden<br />

dargestellten Trends. Die Berechnungen<br />

zeigen, dass künftig nicht nur ländliche Gebiete<br />

vom Hausärztemangel betroffen sind.<br />

Auch Oberhausen, Duisburg und Mülheim an<br />

der Ruhr verlieren nach dem Modell über ein<br />

Drittel ihrer Hausärzte. Essen scheint dagegen<br />

als Niederlassungsort beliebter zu sein,<br />

die Stadt muss 2030 mit „nur“ 19 Prozent<br />

weniger Hausärzten auskommen. Die Voraussagen<br />

über das Ruhrgebiet sind allerdings<br />

mit Vorbehalt zu betrachten, da sich dort die<br />

Rahmenbedingungen für die Planung von<br />

Hausarztsitzen aller Voraussicht nach innerhalb<br />

der nächsten fünf Jahre ändern werden.<br />

Insgesamt wäre die Hausarztdichte im Jahr<br />

2030 nur in Bonn, Mönchengladbach und<br />

im Kreis Mettmann höher als im Jahr 2010.<br />

Nur an diesen Orten könnte auch die in der<br />

Planung vorgesehene Verhältniszahl erreicht<br />

Szenario 2030: Notwendige<br />

Differenz*<br />

Versorgungsvorhandene<br />

Ärzte* Ärzte 2030** quote 2030<br />

Hausärzte 4.635 6.349 1.714 73 %<br />

Augenärzte 521 705 184 74 %<br />

Frauenärzte 1.358 1.172 -187 116 %<br />

HNO-Ärzte 479 524 46 91 %<br />

Hautärzte 461 411 -50 112 %<br />

Fachinternisten 881 860 -21 102 %<br />

Kinderärzte 657 672 15 98 %<br />

Nervenärzte 613 623 10 98 %<br />

Orthopäden 751 653 -98 115 %<br />

Radiologen 495 320 -175 155 %<br />

Urologen 312 387 75 81 %<br />

Summe 11.161 12.676 1.515 88 %<br />

Im Detail<br />

Die ausführliche Modellrechnung<br />

finden Sie unter:<br />

http://goo.gl/50aJ3<br />

* Vollzeit-Äquivalente<br />

** Hochrechnung des<br />

Behandlungsbedarfs<br />

auf Basis der Abrechnungsdaten<br />

2010,<br />

Vollzeit-Äquivalente.<br />

Veränderungen des<br />

Krankheitsspektrums<br />

aufgrund demografischer<br />

Alterung werden<br />

berücksichtigt.<br />

Einige Fachgruppen<br />

fehlen aufgrund niedriger<br />

Fallzahlen oder<br />

Inkonsistenzen in der<br />

Modellbildung.<br />

40 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

41


Patienten & Ärzte 2030<br />

werden. Ansonsten dürften Versorgungsgrade<br />

von mehr als 100 Prozent, wie sie<br />

in der gegenwärtigen Hausarztversorgung in<br />

der Region <strong>Nordrhein</strong> noch die Regel sind, im<br />

Jahr 2030 der Vergangenheit angehören.<br />

Nicht alle Fachgruppen haben<br />

Nachwuchssorgen<br />

Auch in Zukunft ist der Ärztemangel in<br />

<strong>Nordrhein</strong> weder ein generelles noch ein flächendeckendes<br />

Phänomen. Und doch gibt es<br />

künftig auch unter den Fachärzten Gruppen,<br />

die ähnlich wie Hausärzte mit gravierenden<br />

Nachwuchssorgen konfrontiert sind. Andere<br />

Fachgruppen hingegen verfügen über mehr<br />

Ärzte als für die ambulante Versorgung erforderlich<br />

sind (s. Tabelle Seite 41).<br />

Fünf von zwölf Fachgruppen haben offenbar<br />

keine Probleme, die aus Altersgründen ausscheidenden<br />

Kolleginnen und Kollegen zu<br />

ersetzen. Auch bei den Fachgruppen mit Versorgungsgraden<br />

von geringfügig unter 100<br />

Prozent ist die Situation nicht alarmierend.<br />

Zu dem sehr hohen Wert bei den Radiologen<br />

ist anzumerken, dass bei kleinen Gruppen<br />

wegen der niedrigen Fallzahlen die Schätzfehler<br />

größer sind als bei den großen. Der in<br />

der Tabelle ausgewiesene Überhang von 175<br />

Radiologen ist nur ein theoretischer Wert,<br />

weil die Vorgaben und Instrumente der Bedarfsplanung<br />

Zulassungen in dieser Größenordnung<br />

ohnehin ausschließen.<br />

Anlass zu erhöhter Aufmerksamkeit geben die<br />

Voraussagen für Augenärzte und Urologen. Da<br />

Szenario: So viele Ärzte fehlen 2030 in den Kreisen und Städten<br />

kreis/kreisfreie Stadt Hausärzte Augenärzte Frauenärzte HNO-Ärzte Hautärzte Internisten Kinderärzte Nervenärzte Orthopäden Radiologen Urologen<br />

Aachen (Städteregion) 161 6 8 4 14 25 1<br />

Bonn 13 6 31 7<br />

Duisburg 90 5<br />

Düren 72 12 3 12 1 2 2<br />

Düsseldorf 112 16 14 4 21 2<br />

Essen 56 6 6<br />

Euskirchen 25 12 1 6 6 9 1<br />

Heinsberg 74 6 3 4 10<br />

Kleve 95 8 11 9 9 4<br />

Köln 169 53 18 32<br />

Krefeld 70 10 12 2 8 6 8 16 11<br />

Leverkusen 45 5 9 2 9 3<br />

Mettmann 1 10 10 3 9<br />

Mönchengladbach 7 7 11 11 20 12 8 6 6<br />

Mülheim 31 5 2 8 4 5 1<br />

Oberbergischer Kreis 40 9 3 1 2 10 6 1<br />

Oberhausen 40 6 5 1 3 2 6 3<br />

Remscheid 23 3 5<br />

Rhein-Erft-Kreis 105 1 9 1 9<br />

Rheinisch-Bergischer Kreis 56 5 3 2<br />

Rhein-Kreis Neuss 79 10 16 7 11<br />

Rhein-Sieg-Kreis 149 2 14<br />

Solingen 17 2 2 5 4<br />

Viersen 82 18 5 9 7 3 11 1 3<br />

Wesel 77 18 3 1 3 2<br />

Wuppertal 35 18 10<br />

Felder in Orange = ausreichend Ärzte vorhanden.<br />

es sich bei den genannten Versorgungsquoten<br />

um Durchschnittswerte handelt, könnte<br />

in manchen Regionen Unterversorgung eintreten.<br />

So müssen im Kreis Euskirchen und<br />

im Oberbergischen Kreis bis 2030 sämtliche<br />

Augenarzt-Praxen neu besetzt werden.<br />

Die Übersicht nach Kreisen und kreisfreien<br />

Städten (s. Tabelle Seite 42) zeigt, wie viele<br />

Ärzte im Jahr 2030 benötigt würden, wenn<br />

die Nachwuchszahlen auf dem Niveau der<br />

letzten fünf Jahre verblieben.<br />

Psychische Krankheiten:<br />

Schwierig zu prognostizieren<br />

Die Bedarfsplanung der Psychotherapeuten<br />

weist gegenüber den anderen Fachgruppen<br />

mehrere Besonderheiten auf. Anders als bei<br />

Ärzten bemisst sich der quantitative Versorgungsbeitrag<br />

eines Psychotherapeuten ausschließlich<br />

nach der Zeitdauer, die er seinen<br />

Patienten im therapeutischen Gespräch zur<br />

Verfügung steht. Seine Arbeit enthält keine<br />

Prozeduren und Verrichtungen, die – je nach<br />

Routine – in größerer oder geringerer Zahl erbracht<br />

werden.<br />

Psychotherapeuten<br />

So liegt die Vermutung nahe, die psychotherapeutischen<br />

Behandlungsressourcen – also<br />

die „Angebotsseite“ – seien besonders leicht<br />

planbar. Dem stehen jedoch methodische Probleme<br />

entgegen, wenn es um die Bemessung<br />

und um die Prognose des Behandlungsbedarfs<br />

geht, also der „Nachfrageseite“. So beeinflussen<br />

das Geschlecht und der Sozial- und Bildungsstatus<br />

der Versicherten die Inanspruchnahme<br />

von Leistungen in der Psychotherapie<br />

mehr als in der somatischen, also der körperbzw.<br />

organbezogenen Medizin. Seit Aufnahme<br />

der Psychotherapie als Regelleistung der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung sind unter<br />

den Patienten sowohl Frauen als auch Menschen<br />

mit höherem Bildungsstatus deutlich<br />

überrepräsentiert. Erfreulicherweise ist der<br />

gesellschaftliche Umgang mit psychischen Erkrankungen<br />

in den vergangenen Jahren durch<br />

einen Diskurs der Entstigmatisierung geprägt,<br />

der künftig weiter fortschreiten dürfte. Das<br />

zeigt: Die Akzeptanz der Psychotherapie beruht<br />

auf gesellschaftlich und kulturell geprägten<br />

Vorstellungen von Krankheit und Leid, die<br />

in hohem Maße veränderlich sind.<br />

Dieser Befund stellt die künftige Versorgungsplanung<br />

vor beträchtliche methodische<br />

Herausforderungen. Eine besondere Betrachtung<br />

kommt dabei dem Lebensalter der Patienten<br />

zu. Derzeit suchen jüngere Menschen<br />

eher einen Psychotherapeuten auf als ältere.<br />

Diese Verteilung repräsentiert aber kaum<br />

das Altersprofil psychischer Erkrankungen.<br />

So treten etwa depressive Episoden im Alter<br />

viel häufiger auf als in jüngeren Jahren. Die<br />

Im Jahr 1999 hat der Deutsche Bundestag das Psychotherapeutengesetz verabschiedet.<br />

Seither nehmen auch Psychologische Psychotherapeuten sowie<br />

Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten als akademische, nichtärztliche<br />

Heilberufe an der ambulanten Versorgung von gesetzlich Versicherten teil.<br />

Circa 2.100 von ihnen sind Mitglieder der <strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong><br />

<strong>Nordrhein</strong>. Sie stellen fünf der 50 Mandate in der Vertreterversammlung.<br />

In der Bedarfsplanung bilden sie mit den ärztlichen Psychotherapeuten eine<br />

gemeinsame Arztgruppe.<br />

dennoch geringere Inanspruchnahme der Älteren<br />

kann durch die erwähnte Historie der<br />

Stigmatisierung psychischer Leiden erklärt<br />

werden. Sie stellt für diese Gruppe noch immer<br />

eine sehr hohe Barriere dar, sich einem<br />

Psychotherapeuten anzuvertrauen. Für nachfolgende<br />

Generationen verliert diese Barriere<br />

jedoch an Bedeutung. Der psychotherapeutische<br />

Versorgungsbedarf der Menschen, die<br />

in 20 Jahren 70 Jahre alt sind, kann nicht<br />

42 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

43


Patienten & Ärzte 2030<br />

Nicht überall muss<br />

dringend eine<br />

Praxisnachfolge<br />

gesucht werden.<br />

Die oberen Ränge<br />

verdienen erhöhte<br />

Aufmerksamkeit,<br />

wenn es um die<br />

Zukunft bedarfsgerechter<br />

Versorgung<br />

geht.<br />

einfach hochgerechnet werden auf der Basis<br />

der heute 70-Jährigen. Das für diesen Report<br />

verwendete Prognosemodell des „Relativen<br />

Risikoscores“ (RRS) würde den künftigen Versorgungsbedarf<br />

systematisch unterschätzen<br />

und wurde daher in der Analyse für diesen<br />

Report nicht angewandt.<br />

Facharzt-Dichte: Auf Viersen und Krefeld<br />

kommen die größten Probleme zu<br />

Die regional unterschiedliche Dring lichkeit<br />

für die Nachbesetzung von Facharztsitzen<br />

lässt sich auch auf andere Weise messen:<br />

nämlich als Rangfolge der Kreise und Städte<br />

mit besonders akutem Nachbesetzungsbedarf<br />

Dringlichkeit der<br />

Facharzt Nachbesetzung<br />

Rangfolge Kreis/kreisfreie Stadt<br />

1 Viersen<br />

2 Krefeld<br />

3 Mönchengladbach<br />

4 Düren<br />

5 Heinsberg<br />

6 Oberbergischer Kreis<br />

7 Kleve<br />

8 Oberhausen<br />

9 Duisburg<br />

10 Mülheim<br />

11 Mettmann<br />

12 Leverkusen<br />

13 Städteregion Aachen<br />

14 Euskirchen<br />

15 Wesel<br />

16 Rhein-Kreis Neuss<br />

17 Rhein-Erft-Kreis<br />

18 Düsseldorf<br />

19 Solingen<br />

20 Remscheid<br />

21 Rhein-Sieg-Kreis<br />

22 Essen<br />

23 Wuppertal<br />

24 Köln<br />

25 Rheinisch-Bergischer Kreis<br />

26 Bonn<br />

gemessen am Behandlungsbedarf je Arzt und<br />

an der gegenwärtigen Altersstruktur.<br />

Das ZI hat die Dringlichkeit der Wiederbesetzung<br />

bis zum Jahr 2030 anhand dieser Indikatoren<br />

berechnet (s. Tabelle links). Ein Beispiel:<br />

In einem Kreis mit nur wenigen Urologen,<br />

bezogen auf die Einwohnerzahl, behandelt<br />

jeder einzelne dieser Ärzte in der Regel mehr<br />

Patienten als ein urologischer Kollege in der<br />

Großstadt. Der Wegfall eines einzigen Urologen<br />

würde hier eine größere Lücke in der Versorgung<br />

reißen als in einer Region mit hoher<br />

Arztdichte. Auch eine wachsende Morbidität<br />

der Bevölkerung würde den Behandlungsbedarf<br />

je Arzt und damit die Dringlichkeit der<br />

Nachbesetzung von Arztsitzen erhöhen.<br />

Ebenso verhält es sich mit den Auswirkungen<br />

der aktuellen Altersstruktur auf die künftige<br />

Versorgung: Je höher der Anteil älterer<br />

Fachärzte in einem Kreis, desto eher werden<br />

Praxen nachzubesetzen sein. Die Dringlichkeit<br />

ergibt sich also aus dem Zeitdruck, schon in<br />

naher Zukunft Nachfolger finden zu müssen.<br />

Das Rechenmodell liefert dabei lediglich<br />

Anhaltspunkte für eine zukunftsorientierte<br />

Bedarfsplanung, nicht jedoch „harte Daten“.<br />

Insbesondere die in der fachärztlichen Versorgung<br />

wichtigen Mitversorgungsbeziehungen<br />

sind hier nicht berücksichtigt. Dennoch<br />

kann die aus dem Modell abgeleitete Rangfolge<br />

die verantwortlichen Entscheidungsträger<br />

dafür sensibilisieren, welche Regionen<br />

erhöhte Aufmerksamkeit verdienen. In der<br />

Gesamtbetrachtung aller Facharztgruppen<br />

nehmen Viersen und Krefeld die obersten<br />

Ränge ein, wenn es um die Dringlichkeit der<br />

Nachbesetzung von Arztsitzen geht. Es folgen<br />

Mönchengladbach, danach die Kreise Düren<br />

und Heinsberg. Die mutmaßlich geringsten<br />

Probleme mit dem fachärztlichen Nachwuchs<br />

haben Bonn, der Rheinisch-Bergische Kreis,<br />

Köln, Wuppertal und Essen.<br />

Im Detail<br />

Den Indikator für einzelne<br />

Fachgruppen finden Sie unter:<br />

http://goo.gl/R7TuL<br />

Nachwuchssorge: Allgemeinmedizin<br />

Die größte Herausforderung ist und bleibt<br />

indes die Sicherstellung der hausärztlichen<br />

Versorgung. Um die Verhältniszahl von 2010<br />

zu halten, müssen bis zum Jahr 2030 in <strong>Nordrhein</strong><br />

ca. 5.000 Vollzeit-Arztsitze besetzt werden.<br />

Bei einem steigenden Anteil von Ärzten,<br />

die in Teilzeit tätig sind (s. nächstes Kapitel),<br />

benötigt <strong>Nordrhein</strong> tatsächlich erheblich<br />

mehr junge Ärzte, die sich dieser wichtigen<br />

Aufgabe stellen möchten.<br />

Die gute Nachricht in diesem Zusammenhang:<br />

Das Medizinstudium ist nach wie vor ein attraktives<br />

Ziel für viele Abiturienten. Auf einen<br />

Studienplatz kommen aktuell 4,8 Bewerber.<br />

Im Unterschied zu vielen anderen Studiengängen<br />

– so zeigt die Studentenbefragung<br />

der KBV – würden sich fast alle Studierenden<br />

nochmals für das Medizinstudium entscheiden<br />

(91 %). Ferner gibt die Mehrheit der Studierenden<br />

an, nach Abschluss ihrer Aus- und<br />

Weiterbildung in der ärztlichen Versorgung,<br />

also in einer ambulanten Praxis oder im<br />

Krankenhaus, arbeiten zu wollen. Gleichzeitig<br />

zeigt die Studie allerdings auch, dass die<br />

individuelle Neigung, sich als Hausarzt niederzulassen,<br />

mit dem Fortschreiten des Studiums<br />

abnimmt: Während in der vorklinischen<br />

Phase des Studiums sich noch 41 Prozent<br />

der Studierenden eine Tätigkeit als Hausarzt<br />

vorstellen können, beträgt der Anteil bei den<br />

Studenten im Praktischen Jahr, also am Ende<br />

des Medizinstudiums, nur noch 35 Prozent.<br />

Eine Tätigkeit als Krankenhausarzt erscheint<br />

hingegen rund drei Viertel der Studierenden<br />

als eine lockende Berufsperspektive, und das<br />

nahezu stabil über alle Phasen des Studiums<br />

hinweg.<br />

Ein schwindendes Interesse für die Allgemeinmedizin<br />

und gleichzeitig eine deutlich<br />

steigende Nachfrage nach Hausärzten: Diese<br />

Diskrepanz beunruhigt nicht nur die Verantwortlichen<br />

in den <strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong>en,<br />

sondern auch Gesundheitspolitiker,<br />

Landräte und Bürgermeister, aber vor allem<br />

Versicherte und Patienten, die sich um die<br />

Sicherstellung ihrer künftigen hausärztlichen<br />

Betreuung sorgen. Es sind daher wirksame<br />

Strategien gefragt, um Medizinstudenten und<br />

neu approbierten Ärzten das Interesse und<br />

die Freude an der hausärztlichen Tätigkeit<br />

überzeugend und authentisch zu vermitteln.<br />

Das wird nur im Zusammenspiel aller Akteure<br />

funktionieren – neben den <strong>Kassenärztliche</strong>n<br />

<strong>Vereinigung</strong>en sind hier auch medizinische<br />

Fakultäten, Ärztekammern, Gesundheitspolitik<br />

und Krankenkassen gefordert (s. folgendes<br />

Kapitel).<br />

MFA weiterhin hoch im Kurs<br />

Weniger Sorgen bereitet glücklicherweise die<br />

Entwicklung bei den Medizinischen Fachangestellten:<br />

In der Konkurrenz um die attraktivsten<br />

Karrieren bei den nichtakademischen<br />

Berufen liegt der Beruf immer noch weit<br />

vorn. Seit Jahren zählt die „Arzthelferin“, so<br />

die traditionelle Bezeichnung, zu den drei<br />

beliebtesten Ausbildungsberufen für junge<br />

Frauen. Gravierende Nachwuchsprobleme<br />

sind in diesem für die ambulante Versorgung<br />

unverzichtbaren Beruf daher zumindest auf<br />

mittlere Sicht kaum zu erwarten – zumal die<br />

Absolventinnen in der Praxis meist Familie<br />

und Beruf gut vereinbaren können.<br />

44 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

45


Neue Arbeitsformen<br />

Auf Teamwork bauen<br />

Hausarzt Reiner Cremer<br />

EVA Sabrina Ostrowski<br />

Eine steigende Erwerbsquote von Frauen, eine allgemeine Präferenz für das Arbeiten<br />

im Team und das Streben nach einer ausgewogenen Balance zwischen Arbeit,<br />

Familie und Freizeit. Diese Trends der Lebens- und Arbeitswelt zeigen sich auch in<br />

der ambulanten Versorgung.<br />

Facharzt für Allgemeinmedizin.<br />

Seit 1994 führt er eine eigene<br />

Praxis in Troisdorf bei Köln.<br />

„Entlastung für den Hausarzt<br />

heißt nicht mehr Freizeit für<br />

diesen, sondern mehr freie Zeit<br />

für die Patienten.“<br />

Ist seit 2004 Arzthelferin bei Reiner<br />

Cremer. Die Ausbildung dauerte<br />

drei Jahre. Es folgte die Ausbildung<br />

zur EVA, über einen Zeitraum von<br />

1,5 Jahren.<br />

„Ich arbeite jetzt mehr mit den<br />

Patienten, bin häufig auf Hausbesuchen<br />

und entlaste den Mediziner,<br />

so gut es geht. Er muss zwar<br />

stets die Vorgehensweise festlegen,<br />

aber nicht jede einfache Tätigkeit<br />

selbst erledigen.“<br />

D<br />

ie Altersstruktur der gegenwärtig tätigen<br />

Hausärzte ist naturgemäß eine<br />

nicht zu ändernde Tatsache. In den<br />

kommenden 20 Jahren werden weniger Hausärzte<br />

zur Verfügung stehen als heute, selbst<br />

wenn es gelingt, künftig mehr Nachwuchsmediziner<br />

für die hausärztliche Tätigkeit zu<br />

gewinnen. Damit dies für die Patienten keine<br />

Verschlechterung der Versorgung mit sich<br />

bringt, bedarf es innovativer Versorgungskonzepte<br />

und einer intelligenten Arbeitsteilung<br />

in den Teams der Hausarztpraxen. Mit der<br />

fachlichen Fortbildung zur EVA (Entlastende<br />

Versorgungssassistentin) haben die beiden<br />

<strong>Kassenärztliche</strong>n <strong>Vereinigung</strong>en in <strong>Nordrhein</strong>-Westfalen<br />

schon frühzeitig die Weichen<br />

gestellt, damit Hausärzte von Routinetätigkeiten<br />

entlastet werden. Die gewonnene<br />

Zeit kommt den ärztlichen Kernaufgaben<br />

und damit allen Patienten zugute. Eine der<br />

neuen Versorgungsassistentinnen ist Sabrina<br />

Ostrowski, die in der Praxis von Reiner Cremer<br />

in Troisdorf im Rhein-Sieg-Kreis als Medizinische<br />

Fachangestellte arbeitet: „Meine Arbeit<br />

besteht jetzt auch aus Hausbesuchen, Blutabnahmen,<br />

allgemeinen Kontrollen, Spritzen<br />

geben. Der Arzt muss die Indikation gestellt<br />

haben und er trägt letztendlich auch die<br />

Verantwortung für die Behandlung.“<br />

Leistungen, die vorher der Arzt selbst erbringen<br />

musste, werden nun an die EVA delegiert.<br />

Damit sich sowohl der delegierende Arzt als<br />

auch die Patienten auf die Qualität der Leistung<br />

verlassen können, muss jede Assistentin<br />

ein anspruchsvolles Curriculum absolvieren.<br />

Dieses innovative Modell könnte seine Wirkung<br />

noch wirksamer entfalten, wenn es angemessene<br />

materielle Anreize für den Einsatz der<br />

EVA gäbe. Die Leistungen können aktuell nur<br />

in unterversorgten Gebieten abgerechnet werden.<br />

Reiner Cremer musste es sich daher gut<br />

überlegen, ob er seiner Angestellten die Ausbildung<br />

finanzieren kann: „Zurzeit ist das eine<br />

betriebswirtschaftliche Mischkalkulation.“<br />

46 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

47


Neue Arbeitsformen<br />

Eva Curriculum<br />

Das EVA-Curriculum umfasst je nach vorhandener Berufserfahrung zwischen<br />

170 und 220 Unterrichtsstunden sowie 20 bis 50 Stunden Hausbesuche. Es<br />

beinhaltet folgende Themenkomplexe:<br />

• Case-Management<br />

• Geriatrisches Basis-Assessment und häufige Krankheitsbilder<br />

• Besuchsmanagement<br />

• Wundmanagement<br />

• Häufige Krankheiten in der hausärztlichen Praxis<br />

• Untersuchungs- und Behandlungsverfahren<br />

• Präventionsmanagement<br />

• Sozialrecht und Demografie<br />

• Telemedizin und elektronische Kommunikation<br />

• Palliativmedizin und Schmerztherapie<br />

• Ernährung<br />

• Psychosomatik<br />

• Notfallmanagement<br />

chenden Veränderungen im ärztlichen Berufsalltag<br />

geprägt. Die Existenzgründeranalyse von<br />

ZI und Apobank zeigt: 60 Prozent der jungen<br />

Ärzte in Westdeutschland entschieden sich für<br />

eine kooperative Arbeitsform – wie beispielsweise<br />

die Neugründung oder den Beitritt in<br />

eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG),<br />

so die neue Bezeichnung der altbekannten<br />

Gemeinschaftspraxis. Mehr Flexibilität, mehr<br />

Zeit für Erziehung, Familie oder Fortbildung<br />

sind gängige Motive für Kooperationen. Auch<br />

die Möglichkeit zum unmittelbaren kollegialen<br />

Austausch und damit zur Erweiterung des<br />

eigenen fachlichen Horizonts wird genannt.<br />

Das gilt auch für das Jobsharing. Bei diesem<br />

Modell teilen sich ein niedergelassener Arzt<br />

und ein Partner einen vertragsärztlichen Sitz<br />

und den damit verbundenen Versorgungsauftrag.<br />

Diese Arbeitsform eröffnet gerade für<br />

junge Ärztinnen und Ärzte die Chance des Einstiegs<br />

in die vertragsärztliche Tätigkeit – trotz<br />

Michaela Donk,<br />

Niederlassungsberaterin der KV <strong>Nordrhein</strong> in Köln.<br />

Medizin ist auch weiblich<br />

Immer mehr Frauen entscheiden sich für einen<br />

Berufsweg als Ärztin. Die Statistiken<br />

der Bundesärztekammer sprechen eine klare<br />

Sprache: Mittlerweile sind zwei Drittel aller<br />

Studienanfänger im Fach Humanmedizin<br />

weiblich. Der Anteil berufstätiger Ärztinnen<br />

ist bundesweit von 33,6 Prozent im Jahr 1991<br />

auf 43 Prozent im Jahr 2009 gestiegen. Aber<br />

auch 20 Jahre nach der deutschen <strong>Vereinigung</strong><br />

weist der Frauenanteil ein deutliches<br />

Ost-West-Gefälle auf: 51 Prozent in den neuen<br />

Ländern stehen 41 Prozent in der alten Bundesrepublik<br />

gegenüber. Ähnlich ausgeprägt<br />

ist der Unterschied zwischen den ärztlichen<br />

„Arbeitsmärkten“: Als Beschäftigte in Körperschaften,<br />

Behörden und in der Industrie erreichen<br />

Ärztinnen schon heute eine Quote von<br />

deutlich über 50 Prozent. Anders dagegen die<br />

Situation in der medizinischen Versorgung: In<br />

den Krankenhäusern der alten Bundesländer<br />

betrug der Anteil der Ärztinnen 2009 43 Prozent.<br />

In der ambulanten Versorgung betrug<br />

der Frauenanteil zur gleichen Zeit 34 Prozent,<br />

allerdings mit steigender Tendenz. Hält die<br />

Entwicklung an, werden im Jahr 2030 auch in<br />

den alten Bundesländern Frauen und Männer<br />

je zur Hälfte die Versorgung schultern (s. Grafik<br />

Seite 47). Fast identisch sind die Verhältnisse<br />

in der KV-Region <strong>Nordrhein</strong>. Dort sind<br />

aktuell 36 Prozent der Mitglieder weiblich.<br />

Besonders aufschlussreich für die künftige<br />

Entwicklung ist der Blick auf diejenigen, die<br />

sich heute für eine ambulante ärztliche Tätigkeit<br />

entscheiden. Aktuell sind 45 Prozent<br />

aller ärztlichen Existenzgründer im Westen<br />

weiblich, im Osten sogar 61 Prozent. Diese<br />

Entwicklung wurde auch von den verbesserten<br />

Möglichkeiten zur Vereinbarung von<br />

Familie und Beruf im ambulanten Sektor<br />

beeinflusst, sagt Michaela Donk, Niederlassungsberaterin<br />

der KV <strong>Nordrhein</strong>. „Die Möglichkeit,<br />

sich während der Elternzeit vertreten<br />

zu lassen, hat sich schnell herumgesprochen.<br />

Inzwischen gibt es immer wieder Fälle, in denen<br />

Ärztinnen nach einem Jahr Elternzeit zunächst<br />

einmal in Teilzeit wieder in die Praxis<br />

einsteigen“, berichtet die Beraterin aus Köln.<br />

Kooperation im Aufwind<br />

Team statt Einzelkämpfer - auch was die Arbeitsformen<br />

anbelangt, sind die vergangenen<br />

Jahre von äußerst dynamischen und weitrei-<br />

Frauenanteil in der Ärzteschaft (in Prozent, alte Bundesländer)<br />

60<br />

55<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

1990<br />

1995<br />

2000<br />

2005<br />

2010<br />

2015<br />

2020<br />

2025<br />

2030<br />

Krankenhaus<br />

Ambulant<br />

Trend Krankenhaus<br />

Trend ambulant<br />

Parallel zu den<br />

hohen Zulassungszahlen<br />

von Frauen<br />

für das Studium<br />

der Humanmedizin<br />

mit einem über<br />

60-Prozent-Anteil<br />

wird auch deren<br />

Beschäftigungsgrad<br />

stark zunehmen.<br />

48 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

49


Neue Arbeitsformen<br />

einer vor Ort bestehenden „Überversorgung“.<br />

Auch Praxisinhaber profitieren vom Jobsharing<br />

und der damit verbundenen Entlastung.<br />

Gerade in Anbetracht der von der <strong>Kassenärztliche</strong>n<br />

Bundesvereinigung jüngst ermittelten<br />

durchschnittlichen Wochenarbeitszeit<br />

niedergelassener Ärzte von 55 Stunden ist das<br />

Jobsharing eine gern genutzte Möglichkeit, in<br />

den letzten Jahren vor dem Ruhestand „etwas<br />

kürzer zu treten“.<br />

Der Trend zu kooperativen Arbeitsformen zieht<br />

auch eine räumliche Konzentration von Arztpraxen<br />

nach sich. Für kleinere Gemeinden, in<br />

denen sich Gemeinschaftspraxen wegen zu<br />

niedriger Patientenzahlen wirtschaftlich nicht<br />

tragen, ist das keine gute Nachricht. Für sie<br />

mag die Erkenntnis beruhigend sein, dass die<br />

Einzelpraxis keineswegs ein Auslaufmodell ist.<br />

Viele Existenzgründer wählen ganz bewusst<br />

diese Variante, an der sie die individuellen<br />

Gestaltungsmöglichkeiten ihres Arbeitsplatzes<br />

schätzen. „Die Optionen und Arbeitsformen<br />

in der ambulanten Versorgung sind zahlreich<br />

– für jede Lebenssituation findet sich<br />

inzwischen ein passendes Modell“, erklärt<br />

Michaela Donk. Insbesondere die jüngsten<br />

Flexibilisierungen im Vertragsarztrecht haben<br />

Dynamik in der Versorgungsstruktur erzeugt.<br />

So hat sich in den letzten fünf Jahren die Anzahl<br />

der angestellten Ärzte in <strong>Nordrhein</strong> mehr<br />

als verdoppelt (s. Grafik Seite 53). „Dabei<br />

ist die Anstellung eine attraktive Option für<br />

junge Ärzte, die finanzielle Investitionen am<br />

Beginn einer Selbständigkeit scheuen – weil<br />

sie Familie haben oder schon Eigentum finanzieren<br />

müssen“, fasst Donk die Eindrücke aus<br />

ihrer Beratungspraxis zusammen. Insgesamt<br />

bleiben jedoch Angestellte mit 12,6 Prozent<br />

immer noch deutlich in der Minderheit. Die<br />

meisten Ärzte sind dabei in Einzelpraxen angestellt,<br />

knapp 40 Prozent arbeiten in den Medizinischen<br />

Versorgungzentren (MVZ).<br />

Teilzeit gewinnt<br />

Auch ein anderer Trend der Arbeitswelt geht<br />

nicht an der ambulant tätigen Ärzteschaft vorbei:<br />

die Teilzeitbeschäftigung. Noch vor fünf<br />

Jahren war diese Form der Berufsausübung<br />

schwer zu realisieren: Nur drei Prozent aller<br />

Ärzte arbeiteten weniger als 40 Stunden pro<br />

Woche. Inzwischen sind in <strong>Nordrhein</strong> zwölf<br />

Prozent der Ärzte in Teilzeit tätig: 17 Prozent<br />

der Frauen und acht Prozent der Männer. Eine<br />

Teilzeitbeschäftigung ist insbesondere in der<br />

Familienphase attraktiv, und das längst nicht<br />

nur für Frauen. Auch immer mehr Männer nutzen<br />

diese Option, um an der Entwicklung ihrer<br />

Kinder nicht nur an Wochenenden teilzuhaben.<br />

Michaela Donk: „Wenn es Probleme gibt, einen<br />

Angestelltensitz nachzubesetzen, raten wir<br />

häufig, in der Ausschreibung auf die Option<br />

zur Teilzeit hinzuweisen – dann löst sich das<br />

Problem meist von selbst.“<br />

Diesen Satz könnte sicherlich auch jeder Personalchef<br />

eines mittelständischen Unternehmens<br />

unterschreiben.<br />

Im Gespräch mit Hausarzt Reiner Cremer und seiner Eva – Sabrina Ostrowski<br />

Gemeinsam stark<br />

„Es gibt Dinge, die ein Arzt notgedrungen machen muss,<br />

wofür er aber schlicht überqualifiziert ist oder aufgrund<br />

des Ärztemangels gar keine Zeit mehr hat“, berichtet Reiner<br />

Cremer, Facharzt für Allgemeinmedizin. Mehr Patienten<br />

und weniger Ärzte zwingen zu Entlastung, damit das Berufsbild<br />

Hausarzt nicht abschreckend auf den Nachwuchs<br />

wirkt.<br />

Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, ist der Einsatz<br />

von Medizinischen Fachangestellten, die eine Fortbildung<br />

zur sog. „Entlastenden Versorgungsassistentin“ (EVA) absolviert<br />

haben. Eine EVA macht klassisch das, was medizinische<br />

Assistenzberufe kennzeichnet: auf Anordnung eines<br />

Arztes gewisse Leistungen erbringen. Typische Beispiele<br />

sind die Wundversorgung und die Verabreichung von<br />

Spritzen. Bevor die EVA in Aktion treten kann, muss daher<br />

ein Mediziner den Patienten persönlich untersucht und die<br />

Details der Anwendung bestimmt haben.<br />

Die Erfahrung zeigt, dass die neue Form der Zusammenarbeit<br />

keine rein funktionale Arbeitsteilung ist: „Die Patienten<br />

haben zu uns einen anderen, privateren Zugang. Wenn<br />

sie etwas nicht verstehen, trauen sich viele nicht, den Arzt<br />

anzusprechen, sondern kommen zu uns. Wir sind ja auch<br />

häufiger vor Ort und sehen, wenn die häusliche Situation<br />

abrutscht, wie beispielsweise eine Verwahrlosung bei beginnender<br />

Demenz. Es gibt keiner gerne zu, wenn er etwas<br />

nicht versteht oder nicht mehr machen kann“, ist Sabrina<br />

Ostrowski (27 Jahre, Realschulabschluss) überzeugt. Als<br />

klassisches Beispiel nennt sie die Situation, dass ältere<br />

Patienten sich in der Apotheke auf eigene Kosten Medikamente<br />

besorgen, obwohl sie nur wenig Geld haben. „Sie<br />

wissen nicht, dass dies unter Umständen die Kassen tragen<br />

müssen. Wenn ich vor Ort bin und das sehe, kann ich es<br />

ansprechen und wir können helfen.“<br />

Zusätzliche Informationen zur Lebenslage und zu psychosozialen<br />

Besonderheiten des Patienten – das ist der qualitative<br />

Bonus, den der Einsatz der Versorgungsassistentin<br />

für den Arzt verspricht.<br />

Eine Investition in Qualität<br />

„EVA-Einsätze werden in meinem Fall leider nicht über die<br />

KV vergütet, noch nicht einmal die Fahrtkosten werden<br />

über den ‚Helferinnenbesuch’ im EBM kostendeckend<br />

Zu Besuch bei Patienten vor Ort. Dank EVA<br />

bleibt Reiner Cremer mehr Zeit für seine Praxis,<br />

Patienten, Weiterbildung und Familie.<br />

50 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

51


Neue Arbeitsformen<br />

erstattet. Ich als Arzt profitiere aber davon, weil ich entlastet<br />

werde und mehr Patienten in der Praxis mit der<br />

notwendigen Zuwendung und qualifizierter Diagnostik<br />

betreuen kann“, so Cremer.<br />

Die Ausbildung der EVA muss über eine Praxis erfolgen,<br />

die Mitarbeiterin hierfür freigestellt werden. Und nach der<br />

Ausbildung steigt sie im doppelten Sinne im Wert. Sie wird<br />

mehr verdienen, was angesichts des erweiterten Aufgabenund<br />

Verantwortungsbereichs gerecht ist, und übernimmt<br />

höher qualifizierte Aufgaben. Auch die Ausbildungskurse<br />

sind für den Arzt als Arbeitgeber kostenpflichtig. Die Angestellte<br />

muss im Gegenzug eine Menge Freizeit opfern.<br />

„Es ist schön, wenn man sich weiterbilden kann und Menschen<br />

noch mehr unterstützen und helfen kann“, so Sabrina<br />

Ostrowski. Für ihre Zusatzqualifikation musste sie nach<br />

Düsseldorf fahren. „Das Leistungsniveau ist anspruchsvoll,<br />

aber zu schaffen. Die Ausbildung ist zeitintensiv: mittwochs,<br />

freitags, samstags oder sonntags ist der Unterricht.<br />

Das ist eine Einschränkung“. Die Kurse waren dennoch<br />

immer gut besucht. „Meine Arbeit hat sich dadurch verändert.<br />

Ich bin motivierter, habe mehr Spaß, werde ernster<br />

genommen. Die Ausbildung gab mir eine Perspektive, bot<br />

eine Weiterentwicklung“, begründet sie ihren Einsatz.<br />

Grenzen der Delegation<br />

„Wir stoßen schnell auch an Grenzen der Übertragbarkeit<br />

von Aufgaben. Wenn die EVA eine intramuskuläre Spritze<br />

verabreicht, sollte der Patient noch eine Weile beobachtet<br />

werden, falls es zu Komplikationen kommt. Die Komplikationen<br />

wären dann klar wieder vom Arzt zu behandeln“,<br />

meint Reiner Cremer. Genau hier sieht er auch das Problem<br />

bei delegierbaren Leistungen. So würden beispielsweise<br />

Hersteller von speziellen Medikamenten anbieten, den Arzt<br />

zu entlasten und direkt bei den Patienten Medikamente zu<br />

spritzen. Was aber, wenn es zu absehbaren Komplikationen<br />

kommt? Und wenn er gerade nicht abkömmlich ist?<br />

„Diesen Weg möchte ich im Interesse der Patienten nicht<br />

mitgehen. Wenn meine EVA zu Patienten fährt, bin ich im<br />

Notfall schnell zur Stelle. Wir koordinieren die Termine<br />

miteinander. Selbst einen Gipswechsel würde ich nicht delegieren,<br />

denn auch der muss fachmännisch sitzen und darf<br />

nicht drücken. Die Grenze ist also durch die Haftungsgrenze<br />

gesetzt. Die EVA muss Komplikationen bei einer Wunde<br />

erkennen, aber nicht behandeln können“, so Cremer.<br />

Sabrina Ostrowski pflichtet ihrem Chef bei: „Diese Verantwortung<br />

will ich auch nicht tragen. Wenn ich erkenne, etwas<br />

stimmt mit den Medikamenten nicht, sie wirken nicht<br />

richtig oder falsch, dann melde ich das. Aber ich könnte ja<br />

nicht sagen, warum das so ist. Ich kenne die Wechselwirkungen<br />

der Medikamente nicht.“<br />

„Mehr EVAs wären sicherlich zweckdienlich, um die Ärzte<br />

weiter zu entlasten. Es müssten allerdings die Kosten für<br />

deren Ausbildung getragen und deren Einsatz entlohnt<br />

werden, damit sich mehr Hausärzte eine EVA leisten<br />

können“, fordert Cremer. Zudem empfiehlt er den jungen<br />

Kollegen, mehr Arbeit im Verwaltungsbereich zu delegieren:<br />

„Wir haben eine papierlose Praxis. Die gesparte Zeit für<br />

Papierablage, und das ist enorm viel Zeit, haben wir dann<br />

nicht in Stellenabbau umgesetzt, sondern in zusätzliche<br />

Qualifizierung der Mitarbeiter. Eine Fachkraft ist mir zu<br />

wertvoll, um Akten zu verwalten.“<br />

Entwicklung der absoluten Zahlen<br />

(2008 = 1)<br />

4<br />

3,5<br />

3<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

Trends der Arbeitsformen 2008–<strong>2013</strong><br />

2008 2009 2010 2011 2012 <strong>2013</strong><br />

3,85<br />

2,60<br />

2,06<br />

1,14<br />

1,05<br />

Ärzte (m/w) in Teilzeit<br />

(< 40 Stunden)<br />

Männl. Angestellte<br />

Weibl. Angestellte<br />

Ärztinnen insgesamt<br />

Alle Ärzte (m/w)<br />

Trends der Arbeitsformen: Die Gruppe<br />

der Ärztinnen und Ärzte in Teilzeit hat<br />

sich in den letzten fünf Jahren fast<br />

vervierfacht.<br />

Die Zahl der weiblichen Angestellten<br />

hat sich mehr als verdoppelt (2,06).<br />

Noch größer war der Anstieg bei den<br />

männlichen Angestellten, nämlich auf<br />

das 2,6-fache.<br />

Dazu wurde dem Ausgangswert des<br />

Jahres 2008 – die Anzahl der Personen<br />

in der jeweiligen Gruppe – der Indexwert<br />

eins zugeordnet. Der Wert 1,05<br />

im Jahr <strong>2013</strong> bei der Gesamtgruppe<br />

bedeutet, dass diese um fünf Prozent<br />

angewachsen ist.<br />

Quelle: Arztregister KV <strong>Nordrhein</strong>, Stand: 01.04.<strong>2013</strong><br />

Reiner Cremer in seiner Praxis in Troisdorf bei Bonn.<br />

Dank seiner EVA muss er nicht mehr so oft auf Hausbesuch<br />

und kann mehr Zeit in seiner Praxis verbringen.<br />

52 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

53


Fazit & Ausblick<br />

3FAZIT & AUSBLICK<br />

Die KV-Landschaft ist innovativ. Den Nachwuchs motivieren,<br />

wirksame Anreize für Niederlassungen finden, neue Formen der<br />

Berufsausübung fördern – für all das gibt es bereits Konzepte und<br />

Erfahrungen. Es kommt auf den Einzelfall an, wann und wo<br />

Interventionen sinnvoll sind.<br />

Heute denken,<br />

morgen lenken<br />

36 %<br />

der ambulant tätigen Ärzteschaft sind weiblich.<br />

62 %<br />

der Studienanfänger im Fach<br />

Humanmedizin sind Frauen.<br />

Die Analysen in diesem Report zeigen die<br />

Komplexität, die hinter der Planung ambulanter<br />

Versorgung steht. Die Zahlen der<br />

Einwohner und der niedergelassenen Ärzte<br />

sind nur ein Aspekt bei der Gestaltung eines<br />

bedarfsgerechten Angebotes. Weitere Daten<br />

zur Morbidität, zu grenzüberschreitenden<br />

Patientenströmen und zur Altersstruktur von<br />

Bevölkerung und Ärzteschaft sind erforderlich,<br />

um möglichst früh zu erkennen, wie<br />

sich der Versorgungsbedarf vor Ort verändern<br />

wird.<br />

Seit <strong>2013</strong> gilt eine reformierte ambulante<br />

Bedarfsplanung. Mit den neuen Instrumenten<br />

ist es künftig möglich, auch kleinräumige<br />

Versorgungsbedarfe zu identifizieren und in<br />

der Planung von Arztsitzen zu berücksichtigen.<br />

Allerdings schafft eine regionale Planung<br />

nicht die Ärzte, die bereit sind, sich insbesondere<br />

an „Mangelstandorten“ niederzulassen.<br />

Es bedarf daher einer Vielzahl konkreter<br />

Maßnahmen und Anreize, um auch in Zukunft<br />

weiße Flecken auf der ambulanten Versorgungslandkarte<br />

in <strong>Nordrhein</strong> zu verhindern.<br />

Zunächst geht es darum, angehende und<br />

approbierte Ärzte grundsätzlich für die ambulante<br />

Medizin zu gewinnen. Die <strong>Kassenärztliche</strong><br />

<strong>Vereinigung</strong> hat keinerlei Einfluss<br />

auf die Fächer- und Schwerpunktwahl junger<br />

Mediziner. Die meisten von ihnen kommen<br />

erstmals nach ihrer Facharztprüfung mit der<br />

KV in Berührung. Daher wirbt die KV <strong>Nordrhein</strong><br />

bereits unter Studierenden der Medizin<br />

für das Berufsziel des niedergelassenen<br />

Haus- oder Facharztes. Zudem fördert die KV<br />

<strong>Nordrhein</strong> insbesondere den hausärztlichen<br />

Nachwuchs (s. Interview Seite 61).<br />

Nach ihrer Weiterbildung zum Facharzt steht<br />

Ärzten heute eine Fülle beruflicher Optionen<br />

offen. Umso mehr gilt es, Wege in die ambulante<br />

Versorgung aufzuzeigen, die mit den<br />

individuellen Lebensplänen junger Ärztinnen<br />

und Ärzte vereinbar sind. Glücklicherweise<br />

hat sich in den zurückliegenden Jahren sehr<br />

viel getan: Nach einer mehr als hundertjährigen<br />

Dominanz der Einzelpraxis steht heute<br />

ein ganzes Spektrum an Formen und Konstellationen<br />

zur Auswahl, um als Arzt ambulant<br />

zu arbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass<br />

sich die Einzelpraxis überlebt hat. An vielen<br />

Orten werden die Einzelpraxen auch künftig<br />

das Rückgrat der Versorgung bilden.<br />

Die in diesem Report aufgezeigten neuen<br />

Möglichkeiten der Berufsausübung können<br />

jungen Ärzten den Weg in die ambulante<br />

Versorgung ebnen und erleichtern. Und für<br />

die <strong>Kassenärztliche</strong> <strong>Vereinigung</strong> bedeuten sie<br />

neue, passgenaue Instrumente für die Sicherstellung<br />

der Versorgung.<br />

54 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

55


Ideen gegen Ärztemangel<br />

Ideen gegen den Ärztemangel<br />

Im Kreis Viersen werden bald zahlreiche Kinder- und Jugendärzte das Ruhestandsalter<br />

erreicht haben. Kooperationsmodelle wie das von Christiane Thiele (42) und<br />

Dr. Alexandra Sell (43) könnten Schule machen und vor allem junge Ärztinnen<br />

dazu bewegen, eine Praxis zu gründen. Die beiden Kinder- und Jugendärztinnen<br />

und Mütter teilen sich einen Praxissitz.<br />

Christiane Thiele<br />

Die Fachärztin für Kinder- und<br />

Jugendmedizin empfindet die<br />

Teilung eines Arztsitzes als ideale<br />

Lösung – auch für die Patienten.<br />

„Wir nehmen uns Zeit für<br />

intensive Gespräche mit den<br />

Eltern, etwas älteren Kindern und<br />

Jugendlichen. Uns ist es wichtig,<br />

die Entwicklung der Kinder zu<br />

begleiten – und dadurch Krankheitsbilder<br />

besser zu verstehen.“<br />

Dr. Alexandra Sell<br />

Die Arbeitsteilung in der Gemeinschaftspraxis<br />

lässt der Fachärztin<br />

für Kinder- und Jugendmedizin<br />

Zeit für ihre eigenen Kinder.<br />

„Ein Modell, wie wir es praktizieren,<br />

sollte künftig besser gefördert<br />

werden. In ländlichen Gegenden<br />

könnte die Versorung in einigen<br />

fachärztlichen Bereichen wie der<br />

Pädiatrie sonst knapp werden.“<br />

Sie praktizieren ein Zukunftsmodell: eine<br />

Gemeinschaftspraxis auf dem Land. Warum<br />

haben Sie sich hierfür entschieden?<br />

Dr. Sell: Ich habe selbst zwei Kinder; mit einem<br />

Arztsitz alleine wäre mir die berufliche<br />

Belastung mit zwei schulpflichtigen Kindern<br />

zu groß gewesen. Daher kam für mich im<br />

Grunde nur eine Teilzeitstelle in Frage. Ich<br />

komme aus der Gegend, hatte in der Praxis<br />

unseres Vorgängers bereits als Vertretung gearbeitet<br />

und wusste, dass er in Rente geht.<br />

Als ich Christiane Thiele zufällig während der<br />

Praxissuche kennen lernte, entstand die Idee,<br />

den Sitz zu teilen.<br />

Thiele: Ich habe, bevor ich mich für einen<br />

Praxissitz entschied, im SPZ und in der<br />

Neugeborenen-Intensivstation einer Klinik<br />

gearbeitet und hatte den Wunsch, enger und<br />

partnerschaftlich mit den Familien zusammenzuarbeiten.<br />

Zudem habe ich nach einer<br />

Lösung gesucht, die mit meiner eigenen Familie<br />

vereinbar war. In der Klinik fallen regelmäßig<br />

Nacht- und Bereitschaftsdienste an –<br />

mit Kindern fast unmöglich zu leisten. Daher<br />

wollte ich eine eigene Praxis gründen. Fakt<br />

ist: Von einem halben Kassensitz kann man<br />

keine Familie ernähren. Da ich jedoch gerne<br />

das unternehmerische Risiko teilen wollte<br />

und noch eine andere medizinische Tätigkeit<br />

ausübe, erschien mir eine Teilung des Arztsitzes<br />

als ideale Lösung. Zumal ich keinen Chef<br />

mehr habe; die Therapiefreiheit liegt bei mir<br />

– trotzdem habe ich aufgrund unserer Kooperation<br />

nicht das Gefühl, alleine zu sein.<br />

Wie profitiert die eine von der anderen?<br />

Welche Vorteile genießen die Patienten?<br />

Thiele: Montags sind wir gemeinsam in der<br />

Praxis und können dann alle wichtigen Dinge<br />

rund um die Praxis und die Patienten besprechen.<br />

Wenn eine von uns einen Rat sucht,<br />

weiß die andere oft eine Antwort. Zudem vertreten<br />

wir uns gegenseitig: Werde ich krank,<br />

springt meine Kollegin ein, und umgekehrt, so<br />

dass die Familien nicht in eine andere Praxis<br />

ausweichen müssen. Unser Modell wird von<br />

den Familien gut angenommen. Gemeinsam<br />

können wir ihnen viele Spezialisierungen anbieten:<br />

zum Beispiel ADS-Betreuung, Neuropädiatrie<br />

oder Sozialmedizin.<br />

56 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

57


Ideen gegen Ärztemangel<br />

Wie kann der medizinische Standard auf dem<br />

Land gehalten werden?<br />

Dr. Sell: In ländlichen Gegenden könnte die<br />

Versorgung in einigen fachärztlichen Bereichen,<br />

auch in der Pädiatrie, knapp werden, da<br />

immer mehr Ärzte das unternehmerische Risiko<br />

einer Arztpraxis in strukturschwächeren<br />

Gemeinden scheuen. Daher müssen Modelle<br />

initiiert werden, die mehr Kollegen und Kolleginnen<br />

eine Praxisgründung ermöglichen.<br />

Insbesondere Fachärztinnen, die auch Mütter<br />

sind, ist eine Praxis alleine zu viel. Ein Modell,<br />

wie wir es praktizieren, sollte populärer<br />

und künftig besser gefördert werden. Obwohl<br />

wir uns einen Arztsitz teilen, mussten wir für<br />

alles doppelt zahlen – Bewerbungsgebühr,<br />

Teilungsgebühr, Zusammenlegungsgebühr.<br />

Kollegen und Kolleginnen, die dieses Modell<br />

anstreben, sollten weniger Steine in den Weg<br />

gelegt bekommen und mehr Unterstützung<br />

erhalten.<br />

Wie sichern Sie die Qualität Ihrer Versorgung,<br />

auch in Zukunft?<br />

Thiele: Wir setzen auf Teamwork, nicht nur in<br />

der Praxis, sondern auch in der Zusammenarbeit<br />

mit Kliniken, Stillberaterinnen und anderen<br />

Spezialisten. Wir beschäftigen beispielsweise<br />

eine eigene Stillberaterin, die sich um<br />

die jungen Mütter kümmert. Bei Diabetes-Patienten<br />

ist es wichtig, schnell Infos aus einer<br />

Spezialklinik zu bekommen oder Blutwerte<br />

einfach elektronisch dorthin übertragen zu<br />

können, damit eine Familie dafür nicht von<br />

Viersen nach Düsseldorf reisen muss. Durch<br />

dieses Netzwerk können wir unsere kleinen<br />

Patienten ganzheitlich betreuen.<br />

Wie könnte man junge Kollegen und Kolleginnen<br />

dazu motivieren, eine Praxis zu gründen?<br />

Dr. Sell: Ein Teil der Facharztausbildung sollte<br />

in der Praxis stattfinden – dann würden die<br />

jungen Ärzte merken, dass diese Arbeit sehr,<br />

sehr viel Spaß macht.<br />

Dr. Alexandra Sell und Christiane Thiele<br />

setzen auf Teamwork, auch in der<br />

Zusammenarbeit mit Kliniken, Stillberaterinnen<br />

und anderen Spezialisten.<br />

Warum kommen die Patienten – und ihre<br />

Eltern – gerne zu Ihnen?<br />

Thiele: Pädiatrie ist eine sprechende Medizin<br />

– und besteht aus meiner Sicht nicht nur aus<br />

Abhören und Abtasten. Wir führen sehr viele<br />

und intensive Gespräche mit den Eltern, und<br />

auch mit den etwas älteren Kindern und den<br />

Jugendlichen, die bei uns in Behandlung sind.<br />

Dafür nehmen wir uns Zeit – obwohl wir diese<br />

Gespräche nicht honoriert bekommen. Uns ist<br />

es aber wichtig, die Entwicklung der Kinder<br />

zu begleiten – und dadurch Krankheitsbilder<br />

besser zu verstehen und einzuordnen. Dazu<br />

gehören beispielsweise auch Erziehungsprobleme<br />

oder Schwierigkeiten in der Schule, die<br />

wir mit Lehrern besprechen.<br />

Dr. Sell: Wir verstehen uns nicht als Leistungserbringer,<br />

sondern wollen Menschen<br />

betreuen – diesen Ansatz lassen wir die Familien<br />

spüren.<br />

Zentrale Forderungen der „Gesundheits-<br />

Weisen“ sind umgesetzt<br />

Um das Gesundheitswesen zukunftsfähig zu<br />

machen, reicht es nicht aus, genügend Personal<br />

zu gewinnen. Weil der Bedarf sich auch<br />

qualitativ verändert, sind Innovationen der<br />

Versorgungsstrukturen ebenso wichtig. Mancher<br />

wünscht sich dabei ein schnelleres Tempo.<br />

Die vergangene Dekade war jedoch keineswegs<br />

von Stillstand geprägt.<br />

Erinnern wir uns: Vor zwölf Jahren monierte<br />

der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen<br />

in einem viel beachteten Gutachten ein<br />

erhebliches Maß an Über-, Unter- und Fehlversorgung.<br />

Als „Therapie“ forderten die „Gesundheits-Weisen“<br />

unter anderem die Einführung<br />

von strukturierten Behandlungsprogrammen<br />

für chronisch Kranke sowie den Ausbau von<br />

Hospizen und ambulanten Palliativangeboten<br />

für sterbende und schwerstkranke Patienten.<br />

Diese zentralen Forderungen von damals sind<br />

mittlerweile umgesetzt.<br />

Mehr Qualität für Chroniker<br />

Das gilt besonders für die Region <strong>Nordrhein</strong>,<br />

in der große Fortschritte bei der strukturierten<br />

Behandlung von Chronikern erzielt wurden:<br />

Gegenwärtig nehmen in <strong>Nordrhein</strong> rund<br />

800.000 Patienten an den Disease-Management-Programmen<br />

teil (s. Interview Seite 36).<br />

Es gibt Programme für Diabetes mellitus Typ<br />

1 und 2, für koronare Herzkrankheit, Asthma<br />

bronchiale und chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen<br />

sowie für Brustkrebs. Die<br />

KV <strong>Nordrhein</strong> und die Krankenkassen begleiten<br />

die Programme mit einer in Deutschland einzigartigen<br />

Qualitätssicherung. So erhalten die<br />

Ärzte in <strong>Nordrhein</strong> regelmäßig eine detaillierte<br />

Rückmeldung darüber, inwieweit sie die in den<br />

Programmen festgelegten Versorgungs- und<br />

Qualitätsziele erreichen. Fällt ein Patient in der<br />

Dokumentation durch kritische klinische Werte<br />

auf, bekommt sein Arzt einen Hinweis. So<br />

wird eine optimale Versorgung und eine gute<br />

Lebensqualität für chronisch kranke Patienten<br />

erreicht.<br />

Ambulante Palliativversorgung:<br />

Begleitung am Lebensende<br />

Gleichzeitig ist <strong>Nordrhein</strong> führend im Auf- und<br />

Ausbau einer vernetzten, multiprofessionellen<br />

und sektorenübergreifenden Palliativversorgung.<br />

Auf Initiative des Landes NRW haben die<br />

KV <strong>Nordrhein</strong> und die Krankenkassen 2006 die<br />

„allgemeine ambulante Palliativversorgung“<br />

(AAPV) auf den Weg gebracht. Sie ermöglicht<br />

dem Hausarzt, seine sterbenden Patienten mit<br />

Unterstützung besonders qualifizierter Ärzte<br />

und Pflegekräfte zu betreuen und zu begleiten.<br />

In nur wenigen Jahren wurden Versorgungsstrukturen<br />

geschaffen, die bundesweit<br />

Beachtung finden. Für den Aufbau der heute<br />

34 nordrheinischen Palliativnetze war eine<br />

intensive Koordination und Unterstützung<br />

seitens der KV <strong>Nordrhein</strong> gefragt. Unverzichtbarer<br />

Bestandteil der AAPV sind qualifizierte<br />

Haus- und Fachärzte sowie eine persönlich<br />

engagierte und fachlich qualifizierte Pflege.<br />

Die Versorgungsnetze, die die palliative Basisversorgung<br />

gewährleisten, arbeiten daher<br />

sektoren- und professionsübergreifend. Dieser<br />

Versorgungsansatz war anfangs Neuland für<br />

die KV <strong>Nordrhein</strong>. Das Engagement der KV hat<br />

sich doppelt gelohnt: Zum einen verfügt <strong>Nordrhein</strong><br />

inzwischen über eine flächendeckende<br />

allgemeine ambulante Palliativversorgung, die<br />

im Jahr 2012 rund 13.000 schwerstkranke Patienten<br />

betreut hat. Zum anderen gewann die<br />

KV <strong>Nordrhein</strong> mit diesem Projekt wertvolle Erfahrungen<br />

und spezifisches Know-how für die<br />

Umsetzung weiterer Versorgungsinnovationen.<br />

Flächendeckende Innovationen:<br />

Nur mit der KV<br />

Die Erfahrungen der Disease-Management<br />

-Programme und der ambulanten Palliativversorgung<br />

zeigen: Nachhaltige Innovationen<br />

in der ambulanten Versorgung, die allen Patienten<br />

zugänglich sind, gelingen insbesondere<br />

mit Akteuren, die in der Lage sind, um flächendeckend<br />

zu agieren – so wie die <strong>Kassenärztliche</strong>n<br />

<strong>Vereinigung</strong>en. Hingegen hat der vom<br />

Bundesgesetzgeber in den vergangenen Jahren<br />

etablierte Wettbewerbsrahmen für neue<br />

Versorgungsformen nicht die erhofften Innovationen<br />

gebracht. Stattdessen sind vielerorts<br />

kleinteilige und wenig nachhaltige Strukturen<br />

entstanden: Nicht selten wurden neue Modelle<br />

und Verträge nach nur kurzer Laufzeit sangund<br />

klanglos beendet. Zwar haben einzelne<br />

„Leuchttürme“ auch nach einigen Jahren noch<br />

Bestand; sie sind aber meist zu teuer, zu aufwändig<br />

oder zu komplex, um als Blaupause für<br />

die Flächenversorgung zu dienen.<br />

58 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

59


Standpunkt<br />

Herausforderungen<br />

gemeinsam meistern<br />

Die Versicherten in <strong>Nordrhein</strong> haben einen Anspruch auf hochwertige ärztliche<br />

Versorgung. Der Vorsitzende des Vorstandes der KV <strong>Nordrhein</strong> erläutert im Interview,<br />

wie dieser Anspruch trotz des drohenden Ärztemangels erfüllt werden kann.<br />

Dr. Peter Potthoff über die Aufwertung der Allgemeinmedizin, funktionierende<br />

Kooperation und seine Forderungen an die Politik.<br />

Dr. med. Peter Potthoff<br />

Vorsitzender des Vorstandes der<br />

KV <strong>Nordrhein</strong>. Bankkaufmann mit<br />

erstem juristischen Staatsexamen<br />

und Frauenarzt. Er ist als Gynäkologe<br />

in Bad Honnef tätig.<br />

„Wir würden gerne eine aktivere<br />

Rolle spielen. Dazu müssen wir<br />

wieder an allen maßgeblichen<br />

Versorgungsformen mitwirken<br />

können. Auch an Selektivverträgen.“<br />

In der Diskussion um den künftigen Ärztemangel<br />

ist fast ausschließlich von Hausärzten<br />

die Rede. Brauchen wir bei den Fachärzten<br />

keine Engpässe zu befürchten?<br />

Auch der fachärztliche Nachwuchs in der<br />

ambulanten Versorgung rekrutiert sich nicht<br />

von selbst. Fachärzte haben, anders als die<br />

Hausärzte, immer die Alternative, auch im<br />

Krankenhaus zu arbeiten. Sie werden dort<br />

heftig umworben, denn schon heute können<br />

viele Kliniken ihre Stellen nicht mehr besetzen.<br />

Es liegt auf der Hand, dass wir hier mit<br />

dem stationären Sektor im Wettbewerb stehen.<br />

Junge Ärztinnen und Ärzte werden ihre<br />

beruflichen Optionen sorgfältig prüfen und<br />

dann entscheiden. Dabei geht es um Berufszufriedenheit<br />

im weitesten Sinne: Arbeitsklima,<br />

Arbeitszeiten und natürlich auch die<br />

Verdienstmöglichkeiten …<br />

… also ist der Mangel bei Haus- und Fachärzten<br />

gleichermaßen drängend?<br />

Bei den Hausärzten ist die Situation besonders<br />

akut. Seit Jahren entfällt nur ein Zehntel<br />

aller Facharztanerkennungen in Deutschland<br />

auf die Allgemeinmedizin; nötig wären doppelt<br />

so viele. Wir brauchen Hausärzte, aber<br />

von den Hochschulen und Kliniken kommen<br />

Neurochirurgen und Humangenetiker. Hinzu<br />

kommt: In der hausärztlichen Versorgung<br />

wird der Mangel von der Bevölkerung früher<br />

und unmittelbarer wahrgenommen. Die<br />

meisten Menschen sind bereit, für den Facharzt<br />

eine längere Anfahrt in Kauf zu nehmen.<br />

Dagegen soll der Hausarzt „vor Ort“ und<br />

möglichst kurzfristig erreichbar sein. Das ist<br />

ja auch ein wesentliches Merkmal der hausärztlichen<br />

Versorgung. Und genau deshalb<br />

planen wir künftig Hausärzte kleinräumiger<br />

als alle anderen Fachgruppen. Aber Planung<br />

allein macht keine Ärzte; natürlich können<br />

wir nur die Hausärzte einsetzen, die wir<br />

haben.<br />

Ist es tatsächlich so unattraktiv, Hausarzt<br />

zu sein?<br />

Nahezu alle Hausärzte versichern uns das Gegenteil.<br />

Allerdings ist die hausärztliche Tätigkeit<br />

zum Teil mit unzutreffenden Vorurteilen<br />

und Klischees behaftet. Etwa die Unterstellung<br />

einer finanziellen Benachteiligung nach<br />

dem Motto: armer Hausarzt versus reicher<br />

Facharzt. Das mag vor über 20 Jahren so gewesen<br />

sein. Seither haben sich die Einkommen<br />

von Haus- und Fachärzten – im Durchschnitt<br />

– vollständig angeglichen.<br />

60 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

61


Standpunkt<br />

Was hält junge Mediziner sonst davon ab,<br />

Hausärztin oder Hausarzt zu werden?<br />

Es ist kein Geheimnis, dass die Allgemeinmedizin<br />

in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung<br />

nicht den Stellenwert hat, der ihr nach<br />

ihrem Gewicht in der Versorgung zusteht.<br />

An den medizinischen Fakultäten dominieren<br />

die Fächer, in denen klinische Forschung<br />

und technische Verfahren eine große Rolle<br />

spielen. Dagegen fristet die Allgemeinmedizin<br />

eher ein Schattendasein. Man muss nur<br />

einmal über den Campus einer beliebigen<br />

Universitätsklinik spazieren und versuchen,<br />

ein Institut für Allgemeinmedizin oder etwas<br />

Vergleichbares dort zu finden …<br />

Was können Sie gegen diese Fehlentwicklungen<br />

tun?<br />

Für die dringend nötige Aufwertung der Allgemeinmedizin<br />

brauchen wir Mitstreiter: In<br />

erster Linie die Verantwortlichen für die Forschungs-<br />

und Hochschulpolitik – im Bund wie<br />

in den Ländern. Aber auch die medizinischen<br />

Fakultäten. Dort müssen die Ressourcen mehr<br />

in Richtung der künftigen Versorgungsbedarfe<br />

gelenkt werden.<br />

Im Übrigen fördern wir die Allgemeinmedizin<br />

nicht erst seit heute: In den letzten 15 Jahren<br />

haben die KV <strong>Nordrhein</strong> und die Krankenkassen<br />

gemeinsam viel Geld investiert, damit<br />

qualifizierte Ärzte einen Assistenten zur Weiterbildung<br />

im Fach Allgemeinmedizin beschäftigen<br />

und vernünftig bezahlen können.<br />

Allein im laufenden Jahr sind es fünf Millionen<br />

Euro. Und seit Februar 2012 gewähren<br />

wir eine begrenzte Zahl von Stipendien für<br />

Medizinstudierende im Praktischen Jahr, die<br />

sich im Wahlbereich für die Allgemeinmedizin<br />

entscheiden.<br />

Wenden wir uns den Ärzten zu, die heute in<br />

der Versorgung tätig sind. Seit Jahren fordern<br />

Experten mehr Vernetzung und Kooperation.<br />

Sind Ärztenetze eine Option für die KV<br />

<strong>Nordrhein</strong>?<br />

Über die Perspektiven von Netzen wird seit<br />

Jahren intensiv auf verschiedenen Ebenen<br />

diskutiert. Seit kurzem gibt es Kriterien der<br />

<strong>Kassenärztliche</strong>n Bundesvereinigung, um<br />

besonders entwickelte und leistungsfähige<br />

Netze anzuerkennen und gegebenenfalls zu<br />

fördern – auch wenn wir dafür leider keine Finanzierung<br />

von den Kassen erhalten. Richtig<br />

ist aber auch, dass Netze praktisch nirgendwo<br />

in Deutschland eine echte Sicherstellungs-<br />

Verantwortung übernehmen. Es gibt einzelne<br />

„Leuchttürme“, etwa in Baden-Württemberg,<br />

die aber bisher keine Nachahmer gefunden<br />

haben.<br />

Was sind die Gründe dafür?<br />

Viele unterschätzen den organisatorischen<br />

Aufwand und die nötigen Vorleistungen an<br />

Geld und an Zeit, um ein geschäftsfähiges,<br />

und das heißt vor allem: ein vertragsfähiges<br />

Netz zu etablieren. Und nicht zuletzt braucht<br />

es Stehvermögen und Konfliktfähigkeit, etwa<br />

wenn es um Verträge mit Krankenkassen geht<br />

oder um die interne Verteilung von Einnahmen.<br />

Vieles davon steht ja im Widerspruch zu<br />

den Bedürfnissen und Wünschen, die heute<br />

oftmals den jungen, nachrückenden Ärzten<br />

zugeschrieben werden.<br />

Die viel zitierte Generation Ypsilon?<br />

Ja. Diese Einteilungen und Zuschreibungen<br />

sind sicher überzeichnet. Trotzdem steckt ein<br />

Körnchen Wahrheit darin. Viele junge Ärzte<br />

– Frauen wie Männer – sagen uns klipp<br />

und klar: Die traditionellen Arbeitszeiten<br />

unserer Vorgänger sind für uns indiskutabel.<br />

Viele sagen uns auch: Die Übernahme einer<br />

Praxis mit der ganzen unternehmerischen<br />

Verantwortung, auch für das Praxispersonal,<br />

das kommt für mich nicht Betracht. Ich sehe<br />

bei dieser Gruppe daher auch wenig Neigung,<br />

Praxisnetze zu gründen oder sich in Netzen<br />

zu engagieren.<br />

Bedeutet dieser Mentalitätswandel das<br />

Aus für neue Kooperationsformen?<br />

Nein, ganz im Gegenteil. Kooperation ermöglicht<br />

Arbeitsteilung. Deshalb liegt Kooperation<br />

im Trend. Wir erleben einen regelrechten<br />

Boom kooperativer Modelle. Die Berufsausübungsgemeinschaft<br />

(BAG), also die gute alte<br />

Gemeinschaftspraxis, ist so attraktiv wie nie.<br />

Hinzu kommen die Medizinischen Versorgungszentren,<br />

Teil-BAGs, Zweigpraxen und<br />

vieles mehr. Nur noch die Hälfte unserer Mitglieder<br />

arbeitet in einer traditionellen Einzelpraxis.<br />

Und auch für die Einzelpraxis werden<br />

wir Kooperations- und Vernetzungsangebote<br />

schaffen.<br />

Was ist darunter zu verstehen?<br />

Vielen unserer Mitglieder ist kaum bewusst,<br />

dass sie bereits in einem Netz tätig sind,<br />

nämlich als Mitglied ihrer KV. Wir testen<br />

derzeit in der Modellregion Düren mit Erfolg<br />

den elektronischen Arztbrief. Mit Hilfe der<br />

dort eingesetzten Instrumente etablieren wir<br />

ein papierloses Einweisungs- und Entlassmanagement.<br />

Dabei geht es nur in zweiter Linie<br />

um Technik. Im Vordergrund steht das Ziel,<br />

dass die Zusammenarbeit und der Austausch<br />

von Informationen endlich zu einer Selbstverständlichkeit<br />

im Versorgungsalltag werden:<br />

Zwischen Ärzten untereinander, zwischen<br />

ärztlichen Fachgruppen, zwischen Niedergelassenen<br />

und Krankenhäusern und auch zwischen<br />

Ärzten und anderen Heil- und Gesundheitsberufen.<br />

Auf den Punkt gebracht: Wir<br />

brauchen vernetzte Strukturen. Sei es durch<br />

organisierte Netze oder durch Ärzte, die in<br />

der Patientenversorgung vernetzt denken und<br />

handeln. Diesen Ärzten wollen wir helfen.<br />

Also ein unbegrenztes Tätigkeitsfeld<br />

für die KV?<br />

Leider nein. Wir würden gerne auf mehr Innovationsfeldern<br />

eine deutlich aktivere Rolle<br />

spielen. Allerdings hat der Gesetzgeber<br />

in Berlin unsere Möglichkeiten weitgehend<br />

beschnitten. Am Ende müssen Innovationen<br />

stets in konkreten Verträgen mit Krankenkassen<br />

umgesetzt werden. Dafür steht uns aber<br />

de facto nur der „Kollektivvertrag“ zur Verfügung,<br />

also das Instrumentarium, mit dem wir<br />

in <strong>Nordrhein</strong> die Regelversorgung für rund<br />

acht Millionen Versicherte organisieren. Für<br />

die Krankenkassen ist es aber viel attraktiver,<br />

neue Versorgungsformen zunächst selektiv zu<br />

erproben. Zum Beispiel in einer ausgewählten<br />

Region, mit ausgewählten Ärzten, für ausgewählte<br />

Krankheiten oder Patienten.<br />

Die Teilnahme an solchen selektiven Verträgen<br />

oder auch nur deren Abwicklung für<br />

unsere Mitglieder verwehrt uns die Politik<br />

konsequent. Dafür gibt es keine auch nur im<br />

Ansatz nachvollziehbare Begründung. Zumal<br />

die Politik selbst den KVen gerne vorhält, zu<br />

wenig innovativ zu sein.<br />

Was fordern Sie konkret von der Politik?<br />

Ich fordere die Instrumente, die wir als KV<br />

brauchen – und die wir früher auch hatten –,<br />

um unseren gesetzlichen Sicherstellungsauftrag<br />

zu erfüllen. Erstens: die Möglichkeit, an<br />

allen maßgeblichen Versorgungsformen mitzuwirken.<br />

Zweitens: Transparenz über die ambulante<br />

Versorgung in Gänze. Unter den jetzigen<br />

Bedingungen erfahren wir von direkten<br />

Versorgungsverträgen zwischen Ärzten und<br />

Krankenkassen bestenfalls per Zufall. Auf dieser<br />

Basis können wir aber keine vernünftige<br />

Bedarfs- und Versorgungsplanung betreiben.<br />

Apropos Bedarfsplanung: Seit <strong>2013</strong> können<br />

sich daran das Land, die Kommunen und<br />

die Patienten beteiligen. Fürchten Sie ein<br />

Planungschaos?<br />

Nein. Aber es ist klar, dass die neuen<br />

Möglichkeiten Disziplin von allen erfordern.<br />

Mitsprache ist kein Wunschkonzert, sondern<br />

bedeutet auch Mitverantwortung. Aber wir<br />

starten diesen Dialog glücklicherweise nicht<br />

bei null, sondern arbeiten mit den neuen<br />

Partnern in anderen Kontexten bereits seit<br />

Jahren gut zusammen. Mit anderen Worten:<br />

Die Versorgungsplanung wird schwieriger,<br />

aber zugleich spannend und herausfordernd.<br />

Darauf freuen wir uns.<br />

62 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong> <strong>Versorgungsreport</strong> <strong>2013</strong><br />

63


Quellenverzeichnis<br />

Bertelsmann Stiftung/Barmer GEK (2012): Aktuell nachgefragt: Werden regionale Unterschiede<br />

in der fachärztlichen Versorgung wahrgenommen? In: gesundheitsmonitor. Newsletter der Bertelsmann<br />

Stiftung und der Barmer GEK, 4/2012, 12–13.<br />

Bock, Christian/Osterkamp, Nicole/Schulte, Claudia (2012): Fachärztliche Versorgung auf dem Land<br />

– Mangel oder fehlender Komfort? In: gesundheitsmonitor. Newsletter der Bertelsmann Stiftung<br />

und der Barmer GEK, 4/2012, 1–12.<br />

Bundesärztekammer (<strong>2013</strong>): Ärztestatistik, www.baek.de.<br />

Gemeinsamer Bundesausschuss (2012): Richtlinie über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe<br />

zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung<br />

(Bedarfsplanungsrichtlinie) vom 20. Dezember 2012, www.g-ba.de.<br />

Hagen, Bernd/Köhler, Jan/Kretschmann, Jens/Groos, Sabine/Weber, Arne/Altenhofen, Lutz (2012):<br />

Analyse regionaler Distanzunterschiede im DMP Diabetes mellitus Typ 2, Arbeitspapier Nr. 5/2012,<br />

DMP Projektbüro des Zentralinstitutes für die <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung, Köln.<br />

<strong>Kassenärztliche</strong> Bundesvereinigung: Grunddaten ambulante medizinische Versorgung, www.kbv.de.<br />

<strong>Kassenärztliche</strong> Bundesvereinigung: Versichertenbefragung Mai/Juni 2010, www.kbv.de.<br />

<strong>Kassenärztliche</strong> Bundesvereinigung: KBV Berufsmonitoring Medizinstudenten 2010, www.kbv.de.<br />

Kopetsch, Thomas (2010): Dem Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! – Studie im Auftrag von<br />

Bundesärztekammer und <strong>Kassenärztliche</strong>r Bundesvereinigung, Berlin.<br />

<strong>Nordrhein</strong>ische Gemeinsame Einrichtung DMP (Hg.) (2012): Qualitätssicherungsbericht 2011.<br />

Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2001): Bedarfsgerechtigkeit<br />

und Wirtschaftlichkeit. Band III: Über-, Unter- und Fehlversorgung. Gutachten 2000/2001,<br />

ausführliche Zusammenfassung.<br />

Statistisches Bundesamt/Deutsches Zentrum für Altersfragen/Robert Koch Institut (2009):<br />

Gesundheit und Krankheit im Alter – Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes,<br />

Berlin.<br />

Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI)/Apobank (2011): Existenzgründungsanalyse<br />

für Ärzte 2011, www.apobank.de.<br />

Impressum<br />

Herausgeber: <strong>Kassenärztliche</strong> <strong>Vereinigung</strong> <strong>Nordrhein</strong><br />

Redaktion: Johannes Reimann, Simone Grimmeisen, Miguel Tamayo<br />

Datenanalysen: Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Berlin<br />

<strong>Kassenärztliche</strong> <strong>Vereinigung</strong> <strong>Nordrhein</strong>, Düsseldorf<br />

Gestaltung: Content Company, Köln<br />

Druck: E&B engelhardt & bauer, Karlsruhe<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

September <strong>2013</strong><br />

gedruckt mit Biofarben,<br />

mineralölfrei<br />

64 <strong>Kassenärztliche</strong> Versorgung <strong>Nordrhein</strong>


<strong>Kassenärztliche</strong> <strong>Vereinigung</strong><br />

<strong>Nordrhein</strong><br />

Hausanschrift<br />

Tersteegenstraße 9<br />

40474 Düsseldorf<br />

Telefon 0211-5970-0<br />

www.kvno.de<br />

kvno.hauptstelle@kvno.de<br />

Postadresse<br />

40182 Düsseldorf

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