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Notfallpsychiaters - Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Notfallpsychiaters - Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

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<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong><br />

1.11.2013<br />

Wir Psychiater<br />

und Psychotherapeuten:<br />

Über unseren<br />

“unmöglichen” Beruf<br />

1<br />

Dr.med. Christoph Räber - Wetzikon<br />

Die Identität des <strong>Notfallpsychiaters</strong> ?!<br />

Erfahrungen und Entwicklung der beruflichen Identität<br />

eines <strong>Notfallpsychiaters</strong><br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong><br />

1.11.2013<br />

Erfahrungen und<br />

Entwicklungen eines<br />

<strong>Notfallpsychiaters</strong><br />

Dr.med. Christoph Räber - Wetzikon<br />

oder auch – anders gesagt :<br />

vom Unmöglichen zum Möglichen


<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

2<br />

oder:<br />

vom<br />

Unmöglichen<br />

zum<br />

Machbaren<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

_____________________________________________________________________________________________________________________<br />

Der Psychiater und sein unmöglicher Beruf.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

gesunder Menschenverstand<br />

redet andere Sprache<br />

unmöglicher Beruf<br />

kein richtiger Arzt<br />

„Der spinnt ja selbst“<br />

kein Naturwissenschafter<br />

gehört nicht recht zur Medizin<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Als meine Mutter erfuhr, dass ich Psychiater werden wollte, glaubte sie, nun würde ich nicht mehr ein<br />

„richtiger Arzt“ sein. – Von vielen somatischen Ärzten werden wir ähnlich kritisch gesehen, nach Meinung<br />

einiger ist der Umgang mit Psychischkranken doch bloss eine Frage des „gesunden<br />

Menschenverstandes“.<br />

Und der Notfallpsychiater steht in der Psychiatrie wohl ähnlich am Rande unseres Tätigkeitsfeldes,<br />

unserer Interessen und unserer Identität – zumindest für viele, glaube ich. Und in der Öffentlichkeit ist<br />

das Bild des <strong>Notfallpsychiaters</strong> unmöglich, weil kaum fassbar. Es sei denn eine eigene Erfahrung oder<br />

eines uns nahestehenden Menschen habe uns ein Bild geschaffen – dann oft geprägt durch Betroffenheit<br />

und nicht selten mit der Klage, es sei „unmöglich“, mit dem Notfallpsychiater oder Klinikpsychiater zu<br />

reden.


<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

3<br />

ehemalige Psychiater<br />

Psychoanalytiker<br />

Gerontopsychiater<br />

Psychotherapeut praktizierender Psychiater<br />

Forscher<br />

Klinik-Psychiater<br />

Forensiker<br />

Notfallpsychiater<br />

kranker Psychiater<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Ich bin mir bewusst, hier von mir persönlich und den aus meinen Erfahrungen gewachsenen<br />

Überzeugungen zu sprechen. Dass andere manches anders erleben, bewerten und anders damit<br />

umgehen, ist mir wohl bewusst. Die individuellen Unterschiede im Bereich der Notfallpsychiatrie sind<br />

sicherlich nicht geringer als in anderen Bereichen unseres Fachgebietes.<br />

In meinen Überlegungen dazu, wer sich wohl für meine Ausführungen interessieren dürfte, habe ich<br />

besonderes Augenmerk auf unsere jungen Kollegen gerichtet, die erst kurz oder auch noch gar nicht in<br />

dieser Aufgabe haben eigene Erfahrungen machen können. Die Altgedienten mögen es mir verzeihen,<br />

wenn vieles vom Gesagten für sie alltäglich und banal erscheinen mag.<br />

Ich habe mich gefragt: Gibt es diese Identität des <strong>Notfallpsychiaters</strong>?<br />

Ist es eine mit der Persönlichkeit oder mit der Rolle zusammenhängende Identität, oder die Folge<br />

unserer Erfahrungen? Oder alles zusammen?<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Persönlichkeit<br />

Rolle<br />

Erfahrungen<br />

Identität des<br />

<strong>Notfallpsychiaters</strong><br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater


Nach gut 23 Jahren und über 700 Notfalldiensten mit gegen 3000 Notfalleinsätzen in der Stadt <strong>Zürich</strong> 4<br />

reflektiere ich hier meine Erfahrungen. Was vielen ein Greuel – nämlich Notfalldienst leisten zu müssen –<br />

habe ich all diese Zeit freiwillig gemacht, denn meine mit der Praxis zusammenhängende<br />

Notfalldienstpflicht habe ich zusätzlich im Zürcher Oberland absolviert.<br />

Ich möchte Sie hier an meinen Erfahrungen als Notfallpsychiater und einigen Gedanken zur speziellen<br />

Rolle und Aufgabe dieser Tätigkeit teilhaben lassen.<br />

1. Wie ich dazu kam<br />

2. Wie es mir dabei ging: Aller Anfang ist schwer<br />

3. Schwierigkeiten und Nöte:<br />

4. Die Lieber zum Aussergewöhnlichen: Erfolge, Freude und Befriedigung und noch mehr…<br />

5. Wie es mich veränderte: Prägungen und Gestaltungen<br />

6. Äussere Veränderungen<br />

7. Was gebe ich andern mit? - Was bleibt für mich zurück?<br />

1) Wie ich dazu kam:<br />

Wie kam es dazu, dass ich Notfalldienst zu machen begann ?<br />

Für eine 2-monatige Pause zwischen 2 Arbeitsstellen suchte ich nach einer Beschäftigung und stiess<br />

dabei auf die Tätigkeit der sogenannt „Fliegenden Ärzte“ im organisierten Notfalldienst der Stadt <strong>Zürich</strong>.<br />

<strong>Zürich</strong> ist eine der Städte, wo bereits sehr früh eine Spezialisierung im Notfalldienst vollzogen wurde (im<br />

Unterschied zB zur Stadt Bern) und wo somit die Möglichkeit bestand, im eigenen Fach- und<br />

Kompetenzgebiet Notfalldienst zu leisten.<br />

Mit Interesse nahm ich die Möglichkeit dieser Tätigkeit an und informierte mich bei zwei darin erfahrenen<br />

psychiatrischen Kollegen über die Abläufe, nötige Ausrüstung und begegneten Herausforderungen. Der<br />

Kollege Jürg Good hatte zu jener Zeit ein hilfreiches, aber meines Wissens leider nie publiziertes<br />

Manuskript über die von ihm gemachten Notfallpsychiatererfahrungen geschrieben, das er mir<br />

liebenswürdigerweise zur Verfügung stellte. Es half mir sehr, mir im Voraus manches besser vorstellen zu<br />

können.<br />

Die differenzierten Erfahrungen dieser Kollegen machten mir Mut, es anzupacken. Wiederholt habe ich<br />

dankbar diese Bereitschaft erlebt, mir, einem Anfänger in seinen Unsicherheiten mit selbstverständlicher<br />

Kollegialität, konkretem Rat und Ermutigung beizustehen.<br />

Immerhin – und vielleicht ist dies auch ein Grund für die Unsicherheit vieler vor der Tätigkeit als<br />

Notfallpsychiater: Im Unterschied zu andern Aufgabenfeldern erleben wir kaum Vorbilder, sind nie mit<br />

dabei, wenn andere diese Tätigkeit ausüben. Jeder (von uns) weiss vom Notfallpsychiater, aber wir erleben<br />

ihn nie! Wie herausfordernd es ist, jemand mitzunehmen, erlebte ich selber, als ich mal einen Psychologen<br />

mitnahm.<br />

2) Wie es mir dabei ging: Aller Anfang ist schwer<br />

Bis heute geblieben sind mir die im Vorfeld aus den Zeitungen entnommenen beängstigenden<br />

Ereignissen in der Stadt, wenn da von Überfällen, Tätlichkeiten und Pöbeleien an der durch Beizen, Bars<br />

und Milieu bekannten Langstrasse die Rede war. Da der Notfallpsychiater auch in diesem Quartier öfters<br />

Einsätze hatte, packte mich manchmal die Angst vor diesen unfassbaren Möglichkeiten, die die Zeitung<br />

uns entgegenbrachte.


<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

5<br />

im Bereich des Nachtlebens<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Die später gemachten Erfahrungen waren stärkend im Vertrauen auf die eigene Wahrnehmung. Denn<br />

diese erlaubte sehr wohl eine Einschätzung und Anpassung an die Situation, beispielsweise anstatt durch<br />

eine Gruppe dunkler Gestalten vor einer Bar hindurchzulaufen halt auf die andere Strassenseite zu<br />

wechseln und so mit ein paar zusätzlichen Schritten eine bewältigbare Situation zu schaffen. – ich habe<br />

gelernt, mich auf mein Gefühl verlassen zu können.<br />

Wenn ich mal krank war und meinen Einsatz nicht erfülllen konnte, half mir mehrere Male Christian<br />

Malär, der in den Jahren vor mir der wohl meisterfahrene Notfallpsychiater in <strong>Zürich</strong> war. Wenn nötig<br />

übernahm er von seinem thurgauischen Wohnort anreisend meine Pflicht und hat mich dadurch sehr von<br />

diesem Druck der Unersetzbarkeit entlastet.<br />

Der Notfallkoffer, das Abschiedsgeschenk meiner Kollegen an der letzten Stelle, wurde mit den<br />

Empfehlungen und aufgrund der Erfahrungen des Kollegen Markus Schweizer von mir aufgefüllt und hat<br />

mich bisher stets im Notfalldienst begleitet. Dass ich wohl meist zuviel verschiedene Medikamente,<br />

Ampullen und einen Beatmungsbeutel dabeihatte, war mir selbst eine Sicherheit. Aus heutiger Sicht würde<br />

ich meinen, dass wir als Notfallpsychiater unter den Verhältnissen der Stadt <strong>Zürich</strong> wohl nur ganz wenig<br />

zwingend bei uns haben müssen, alles weitere gut und rasch durch andere verfügbar gemacht werden<br />

kann.<br />

Die Wiederaufnahme meiner wöchentlichen Dienste war nach den Ferien stets wieder viel schwerer als<br />

innerhalb der durch Regelmässigkeit geprägten Zeiten. Dass ich vor jedem Dienst etwas Lampenfieber<br />

habe, erinnert mich an Aussagen gewisser Schauspieler, die vor jeder Premiere dasselbe empfinden.<br />

Nichtstun und Warten auf einen Einsatz ist zuweilen etwas vom Schwierigsten. Immerhin sind wir bereit,<br />

in Wartestellung, haben uns von Praxisterminen befreit und möchten etwas Sinnvolles tun und zuletzt<br />

hierfür auch eine Entlöhnung kriegen.<br />

Die Möglichkeit, in einen Einsatz gehen zu können, ein Hausbesuch oder Besuch im Gefängnis,<br />

Polizeiposten, Betreutem Wohnen löst einen Adrenalinschub aus, voller Erwartung und auch<br />

Anspannung, was wir antreffen werden.


<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

6<br />

das Polizeigefängnis<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Angst und Lust paaren sich, suchen eine Balance zu finden. Mit Sachverstand suchen wir aus den<br />

wenigen Vorinformationen rauszuholen, was möglich ist, oder holen bei Bedarf und Möglichkeit telefonisch<br />

mehr Informationen.<br />

Weshalb werde ich gerufen und von wem? Was sind die Erwartungen, was die möglichen Gefahren?<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

was erwartet mich ???? schattenhafte Ängste können hochkommen<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Und wo muss ich hin, finde den Weg durch den stets zeitaufwendiger werdenden Stadtverkehr. Finde ich<br />

die Adresse (mit oder ohne GPS), wo kann ich parkieren (trotz Polizeibewilligung besser nie auf<br />

Privatgrund mit Verbot), habe ich alles richtig notiert, welcher Name ist angeschrieben, habe ich vom<br />

Anrufer, von der Zielperson usw eine Tf-Nr, wann werde ich etwa dasein können, wer (und was) erwartet<br />

mich????


3) Schwierigkeiten und Nöte:<br />

7<br />

Entsprechend dem eigenen Erfahrungshintergrund stellen ganz verschiedene Aspekte für den<br />

Notfallpsychiater die grössten Schwierigkeiten dar:<br />

Anders als im psychotherapeutischen Handeln – wo ein imaginärer Freiraum des Nachdenkens,<br />

Fantasierens, Klärens und Nachdenkens von zentraler Bedeutung ist - ist die Situation des<br />

<strong>Notfallpsychiaters</strong> dadurch gekennzeichnet, dass die Zeit äusserst limitiert ist und er unter Zwang steht,<br />

am Schluss eine Entscheidung zu treffen zu müssen und entsprechend zu handeln.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

gewaltsames Öffnen einer Türe<br />

(angeordnet durch die Polizei)<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Sie können sich meine innere Not vorstellen, wenn ich auf dem Weg zum ersten Notfall bereits den<br />

dritten Auftrag von der Zentrale bekommen habe und die Angst wächst, es könnte in diesem Rhythmus<br />

weitergehen und letztlich unbewältigbar sein. Die Erfahrung zeigte dann, dass dem kaum je so ist, meist<br />

hört der Ansturm mal auf und vieles mag bei klaren Abmachungen und der verbindlichen Zusage, sich der<br />

Not dann auch anzunehmen, gut auch mal 2 oder 3 warten.<br />

Und wenn doch alles überbordet, gibt es die somatischen Notfallärzte, die Notfallpforte des USZ mit dem<br />

dortigen Dienstpsychiater, das KIZ oder eben heute auch die SOS-Ärzte. Um den Zeitpunkt des<br />

Dienstwechsels lassen sich bei Bedarf auch Absprachen mit dem andern Notfallpsychiaterkollegen treffen,<br />

dass dieser etwas übernimmt.<br />

Äussere Zwänge und Erwartungen stecken das Feld ab, gerade wenn wir in Institutionen gerufen<br />

werden, ist deren Erwartung meist eng definiert. Dieser Erwartung nicht zu folgen ist nicht einfach, mitunter<br />

quasi unmöglich. So werden wir manchmal zu Ausführenden von etwas, das bereits vorbestimmt ist. Diese<br />

Funktionalisierung auch mal zu ertragen, ist unausweichlicher Teil unserer Aufgabe, finde ich.<br />

Uns bleibt dann die Umsetzung aufgrund der vom Gesetz uns verliehenen oder aufgetragenen Kompetenz.<br />

Dass wir hierbei quasi ordnungspolitische staatliche Aufgaben übernehmen, mag dem einen störend<br />

sein. ich sah meinerseits die Möglichkeit darin, diese Aufgabe in menschlich-vertretbarer Weise<br />

durchzuführen, statt sie weniger geeigneten andern zu überlassen.


<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

8<br />

Im Einsatz…..<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Meine Erfahrungen mit Institutionen zeigen ein breites Spektrum: Es gibt Betreuungseinrichtungen, wo<br />

erst spät der Notfallpsychiater gerufen wird und trotz langbestehender psychischer Problematik keine<br />

diesbezügliche Fachperson beigezogen wird. Hier ist der Handlungsdruck für mich dann manchmal auch<br />

ultimativ oder manipulativ, und nebst der Erledigung des Notfalles gab ich auch schon die Empfehlung,<br />

eine konstante Zusammenarbeit der Institution mit einem Psychiater aufzubauen. – Andere Institutionen<br />

erfüllen in hochprofessioneller Weise ihre Aufgabe und verdienen unseren Respekt, auf die autonome<br />

Definition ihrer eigenen Grenzen angewiesen zu sein. Dies auch dann, wenn sie in der Konsequenz<br />

manchmal unserer Hilfe bedürfen, um zwischen Selbstdefinition der Institution und der Fürsorgepflicht<br />

gegenüber Betreuten eine momentane Lösung zu finden. Meine Aufgabe ist in dieser Situation nicht die<br />

Belehrung, was sie besser hätten machen können, sondern im Wissen um die Wirksamkeit sozialer<br />

Systeme auch meine Hilfe für die Betreuer durch das Akzeptieren der von ihnen beklagten Untragbarkeit.<br />

In ganz vielen Notfallsituationen kam ich als Notfallpsychiater in ein komplexes Netz sich stark<br />

widersprechender Ansprüche. Eine hiervon ist das Agieren von Patienten, Angehörigen, Nachbarn oder<br />

Institutionen, die eigentlich nicht einzig eine Hilfestellung erwarten, sondern zumindest implizit –<br />

gelegentlich auch explizit – ein in ihrer Sicht vorbestimmtes Handeln von uns erwarten. Beispielsweise<br />

fordern die einen klar die Einweisung des Indexpatienten, andere gerade wollen eine Lösung unter der<br />

Vorbedingung, dass es keine Einweisung geben dürfe. Oftmals lohnt es sich, direkt nach diesen<br />

Erwartungen zu fragen! – Wir kennen das Sprichwort: „Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die<br />

niemand kann“ (Robert Bosch 1861-1942, Industrieller, 1921 // geht zurück auf Johann Peter Hebel : Geschichte "Seltsamer<br />

Spazierritt"). Zum Notfallpsychiater gehört es, diese unlösbare Konflikthaftigkeit auszuhalten und zu<br />

ertragen, was vermutlich die Toleranz einer Portion eigener Aggression voraussetzt! Mindestens ein Teil<br />

der Beteiligten bleibt nicht selten mehr oder weniger enttäuscht oder fühlt sich leider auch mal vor den Kopf<br />

gestossen, auch wenn unsere Bemühen darin liegt, dieses Unvermeidbare erträglich und verständnisvoll<br />

zu vermitteln.<br />

Nicht immer sind mit dem Notfalldienst auch die inneren Fragen erledigt: Unsere Reflexion, manchmal<br />

auch Hängenbleiben über die Stimmigkeit der von uns gewählten Schritte mag uns manchmal auch<br />

weiterbeschäftigen, und ich glaube das ist richtig so, gerade wenn unsere weitreichenden Entscheidungen<br />

sich doch oft im abzuwägenden Grenzbereich und nicht immer im uns klar und eindeutig erscheinenden<br />

Richtigen Handeln liegt. Wenn dieses Nachdenken zu belastend und quälend wird, hat mir nebst dem<br />

offenen Ohr meiner Ehefrau schon oft der Supervisor oder die Intervisionskollegen Entlastung geben<br />

können.


Eigene Probleme und die anderer:<br />

9<br />

Nicht alles ist mir stets so gelungen, wie ich selbst das möchte.<br />

Gut erinnere ich mich, von einem Mann zu dessen akut psychotischem Untermieter gerufen worden zu<br />

sein. Dieser sitze in seinem Zimmer, habe ein Messer in der Hand und verhalte sich komisch, in letzten<br />

Tagen zunehmend schlechter. Sicherheitshalber ziehe ich die Polizei bei, um die Sicherheit für alle<br />

Beteiligten sicherzustellen.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Die Polizei – Hilfe auf Gegenseitigkeit<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Die Polizei erscheint dann aber, erwartet hätte ich einen Streifenwagen, mit 2 Wagen und einem<br />

Überfallkommando, übernimmt ungefragt die ganze Situation und ich werde meinem heftigen Protest zum<br />

Trotz zum untergeordneten Informanten degradiert. Eine später vom Polizeikommandanten<br />

vorgeschlagene Aussprache ändert an den Einstellungen beidseits sichtlich nichts. Sobald Gefahr durch<br />

eine Bedrohung besteht, sieht sich die Polizei Kraft ihrer Kompetenzen und Aufträge als die einzige<br />

zuständige Instanz. Eine vorgängige Absprache unter gleichberechtigten Beteiligten ist für sie (diese<br />

Polizeieinheit) nicht vorstellbar. – Wobei wohl zu bedenken ist, dass das Überfallkommando eigentlich für<br />

Situationen vorgesehen und geschult ist, wo diese ihre Logik sicherlich die Richtige ist: zB Banküberfälle,<br />

Bombendrohungen, Geiselnahme, also schwere Gewaltsituationen und massive Gewaltdrohungen.<br />

Dennoch möchte ich hier anschliessend auch davon berichten, wie hoch die von mir erlebte<br />

Sozialkompetenz der Zürcher Stadtpolizisten ist.<br />

Tagtäglich haben sie gerade auf den Polizeiposten und auf der Strasse mit einer grossen Zahl schwieriger,<br />

auffälliger, eigenwilliger, auch süchtiger oder psychischkranker Menschen zu tun und haben insgesamt<br />

eine sehr gute Fähigkeit entwickelt gelassen mit diesen umzugehen.


<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

10<br />

auf dem Polizeiposten<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Ohnmacht und Grössenwahn<br />

Lange her ist derjenige Notfalleinsatz, wo ich von einem der Partner zu einem zerstrittenen Paar gerufen<br />

wurde. Wüste Worte auf beiden Seiten, ständige Schuldzuweisungen an den andern und zuletzt eine<br />

völlige Verweigerung von beiden, einen auch noch so kleinen Schritt zu tun. Dass einer der beiden auch<br />

nur für diese Nacht andernorts unterkommen könnte, verweigerte jeder mit dem Stolz des Beherrschenden.<br />

Da nützt auch das Sprichwort „Der Gescheitere gibt nach, der Esel bleibt stehen“ nichts. – Zuallerletzt<br />

weise ich beide Partner per FFE und gegen deren Willen in je eine andere <strong>Psychiatrische</strong> Klinik ein. Ein<br />

komisches Gefühl blieb mir zurück, wohl deshalb erinnere ich mich noch heute, ob die oft so schwer<br />

fassbare Verhältnismässigkeit denn da stimmig war o der nicht.<br />

Routine<br />

Vielerlei Situationen sind im Laufe der Zeit zu einer Art Routine geworden, wobei ich mit Routine das innere<br />

Gefühl der Sicherheit meine, aus Erfahrung zu wissen, wie mit etwas umzugehen.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Angst und Panik<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater


Alleine einen psychotischen Menschen aufzusuchen, der alleine wohnt, macht mir keine Mühe und in11<br />

der Regel auch keine Angst. Bei Hinweisen auf aggressives Verhalten rufe ich bereits im voraus die Polizei<br />

zu Hilfe und suche den Kranken mit dieser Begleitung auf. Einziger Nachteil: die Anwesenheit der Polizei<br />

entfaltet einen gewissen Zeitdruck, nicht alleine nach dem inneren Gefühl den zeitlichen Ablauf zu<br />

gestalten. Das heisst, mich soweit die Bereitschaft von Seiten des Patienten besteht, mich auf dessen<br />

Erlebensweise und Sicht der Dinge auch einzulassen. Auch psychotische Menschen zeigen sich im<br />

Moment der Anwesenheit des <strong>Notfallpsychiaters</strong> am liebsten normal, gesund und unauffällig – wie jeder<br />

von uns das gegenüber Fremden wohl auch kennt. Um die psychotische Dynamik der Situation<br />

erkennen zu können, braucht es oft zweierlei. Erstens Zeit, denn nach initialer Unauffälligkeit treten mit<br />

der Zeit manchmal zunehmend wahnhafte und psychotische Erlebensinhalte hervor. Und zweitens braucht<br />

es Konfrontation, manchmal auch mit einiger Hartnäckigkeit. Die Konfrontation mit den unvereinbaren,<br />

unlogischen Teilen der Situation und Verhaltensweisen des Kranken – man könnte auch sagen: die<br />

hartnäckige Forderung, die Situation auch verstehen zu wollen – bringt manchmal im ersten Schritt<br />

eine halbwegs überzeugende Erklärung, im weiteren meist bei Psychotikern ein Nichterklärenkönnen, auch<br />

verpackt in Nichterklärenwollen.<br />

Bei jedem allein durchgeführten Hausbesuch habe ich das Prinzip in mir, ohne Scham auch jederzeit<br />

rückwärts aus der Situation fliehen zu dürfen. Trotz meiner kämpferischen Seite ist ein vorläufiger<br />

Rückzug oft das beste Mittel, wenn Gesprächsverweigerung, Ablehnung des anrückenden<br />

<strong>Notfallpsychiaters</strong>, aber auch ein Kippen während des Gesprächs ins Bedrohliche auftritt. Ich verabschiede<br />

mich dann, als ob alles erledigt wäre, erkläre allenfalls in unverbindlicher Weise, ich müsste nochmals mit<br />

dem Auftraggeber besprechen oder selber in Ruhe nachdenken.<br />

Zurück im Auto organisiere ich dann bei Bedarf die Einweisung, suche einen Platz in der psychiatrischen<br />

Klinik, rufe die Ambulanz und schreibe das Einweisungszeugnis. Wenn notwendig bestelle ich auch die<br />

Polizei, wenn ein physischer Widerstand gegen die Einweisung zu erwarten ist. Das ist aber oft gar nicht<br />

notwendig, denn wenn der Arzt und die Sanitäter in einer emotional spürbaren Entschlossenheit auftreten,<br />

lassen viele psychotische Menschen den getroffenen Entscheid und die Einweisung mit sich geschehen.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Schutz und Rettung <strong>Zürich</strong> – „die Sanität“<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Zusammen mit der Sanität gehe ich zum Patienten zurück und teile ihm meine Entscheidung mit,<br />

erläutere sie – soweit und sofern das überhaupt möglich ist.<br />

Eine Bemerkung zur Vorankündigung einer nun anstehenden Einweisung: Was für uns im Alltag nichts<br />

als Recht und Anstand und für die meisten auch hilfreich ist, sich auf etwas einzustellen, gilt bei einem<br />

psychotischen Menschen nicht unbedingt. Der der Psychose innewohnende Verlust von Zeit und Logik


führt dazu, dass das Angekündigte zu etwas Bedrohlich-Unfassbarem wird und dadurch das Risiko 12<br />

aggressiver oder suizidaler Handlungen oder des Davonlaufens besteht. Mit andern Worten: Einem akut<br />

psychotischen Menschen etwas anzukünden, auf das er dann warten soll, überfordert ihn völlig.<br />

Deshalb erlaube ich mir hier das, was wir sonst als Überrumpelung empfinden würden: ich teile ihm den<br />

Entscheid erst in dem Moment mit, in dem er vollzogen wird.<br />

Diese Abläufe in relativer Gelassenheit und Ruhe durchführen zu können, in Kenntnis und<br />

angemessenem Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel, sehe ich als das Handwerk des<br />

<strong>Notfallpsychiaters</strong>, das nach meiner Einschätzung auch aus der Erfahrung erwächst.<br />

Weitere Routinesituationen sind für mich das Beurteilen eines Menschen auf dem Polizeiposten oder im<br />

Gefängnis.<br />

Früher von der Polizei oft vor Ort, zB an den Wohnort von jemanden gerufen, werden diese allermeist auf<br />

den Polizeiposten gebracht und hier der Notfallpsychiater beigezogen. Ich bedauere dies, fand die Einsätze<br />

vor Ort spannender, aufschlussreicher. Die uns zur Verfügung stehende Sicherheit auf dem Polizeiposten<br />

ist zweifelsfrei von grossem Wert. Nachteil ist die oft minimale zur Verfügung stehende Fremdinformation<br />

über das Geschehene. Am Wohnort hingegen haben wir die Wohnung selbst als Spiegel des Lebens und<br />

Erlebens eines Menschen, aber bei Bedarf auch Nachbarn, Angehörige als Auskunftsquellen.<br />

Gewalt – ein Thema mit weitreichenden Folgen:<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Gewalt<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Vielen ist wohl dieser Punkt einer der grössten Hindernisse, sich als Notfallpsychiater wohl zu fühlen.<br />

Schon mal vorweg: Es ist mir in all den vielen vielen Notfalldiensten nie etwas wirklich Schlimmes passiert.<br />

Sicher mag auch Glück dabei sein, aber ist dies neben Vorsicht und Umsicht beim Autofahren nicht<br />

ebenso?<br />

Einmal war ich in der Familie eines schwer depressiv-suizidalen jungen Mannes, gerufen von dessen<br />

Mutter. Bald war mir dort die Notwendigkeit eines äusseren Eingreifens klar. Bloss hatte der junge Mann<br />

unter seinem Bett das Sturmgewehr vom Militärdienst, und während ich mit einer Hand das Gewehr


ehändigte, musste ich mit der andern Hand nach der Polizei telefonieren, währendem die Mutter hilflos 13<br />

danebenstand, unfähig behilflich zu sein. Sicherlich half mir die Ambivalenz des Kranken, so dass dieser<br />

nicht wirklich seine physischen Ressourcen einsetzte, um seine suizidale Verzweiflung umzusetzen, alleine<br />

hätte ich es kaum geschafft, der potentiellen Destruktivität Grenzen zu setzen.<br />

Ein andermal hielt ich mit physischer Kraft eine jüngere Frau davon ab, in suizidaler Verzweiflung im<br />

4.Stock aus dem Fenster zu springen.<br />

In noch einer andern Situation schlug mir ein psychotischer Mann seine Vorderarmprothese ins Gesicht,<br />

wobei die dadurch aufgeplatzte Unterlippe wesentlich dramatischer aussah, als dass der Schaden<br />

ernsthaft war.<br />

Verzwickt war die Situation mit einem stark intoxizierten und Alkoholiker, der mich selbst um Hilfe<br />

gerufen hatte (wie dies Alkoholiker ja öfters mal tun), um dann jede Kooperation und Hilfe zu verweigern.<br />

Nur kam hier dazu, dass er – nun physisch und emotional ganz bedrohlich die Situation beherrschend –<br />

mich ebenso nicht mehr gehenlassen wollte. Ich litt grosse Ängste, fühlte mich zunehmend bedrohter<br />

und weiss ehrlicherweise nicht mehr, was ich tat, vermutlich konnte ich bloss abwarten, bis sich die<br />

Anspannung löste und der Mann mich ziehen liess. – Die meiner Meinung nach indizierte Hospitalisation<br />

vollzog ich anschliessend mithilfe der Polizei, mich selbst um mich besorgt im Hintergrund haltend.<br />

Daneben habe ich sicher noch 2 oder 3 mal eine Ohrfeige abgekriegt, doch eigentlich waren meine<br />

eigenen Ängste weit weniger die vor der Gewalt als jene, zum Schaden des Patienten falsch zu<br />

entscheiden oder besonders auch akute somatische Probleme nicht zu erkennen.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Häusliche Gewalt<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Als Notfall – zwar nicht im Notfalldienst in <strong>Zürich</strong> – übernahm ich es, einer meiner eigenen Borderline-<br />

Patienten in der Praxis seiner Hausärztin zwangsweise einzuweisen. Vorangegangen waren eine<br />

wahnhafte Dekompensation, in welcher er in gefährlicher Weise seiner Ex-Frau nachzustellen begann und<br />

die Gefahr einer Gewalttat wuchs. – Nach erfolgter Einweisung rutschte dann ich in eine Angst vor<br />

ebendiesem Mann, er könnte sich an mir bei einer erneuten Begegnung (die Therapie hatte er<br />

abgebrochen) rächen. Die Besprechung in der Supervision half mir zu erkennen, dass dieser Mann trotz<br />

seiner Persönlichkeitsstörung ausserhalb seiner psychotischen Dekompensation nicht rachsüchtig sei. Ich<br />

hatte ihm dann noch geschrieben. Als ich ihn lange Zeit später zufällig bei der Post traf, war er wieder der<br />

„Alte“, zwar ohne viel Verständnis für andere in der Begegnung, aber mir keineswegs böse und<br />

nachtragend – und ich war natürlich nochmals erleichtert.


4) Die Liebe zum Aussergewöhnlichen:<br />

Erfolge, Freude und Befriedigung und noch mehr…<br />

14<br />

Handeln dürfen – handeln müssen<br />

Im Gegensatz zur Tätigkeit in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis steht im Notfalldienst das<br />

Handeln ganz stark im Zentrum. Die angetroffenen Situationen definiere ich meist als Sackgassen, wo<br />

jemand nicht mehr weiter weiss, ob nun der Patient selbst oder die andern. Erneut eine Perspektive zu<br />

schaffen, im Verständnis und oft auch vermittelt durch das Handeln, ist mein prioritäres Ziel.<br />

Grenzen erkennen, Grenzen ertragen:<br />

An meine Grenzen bin ich unzählige Male gestossen, wovon ich typische eine Situation skizzieren möchte:<br />

Wegen Unruhe und Verwirrtheit nachts in ein Pflegeheim zu einem Alterspatienten gerufen, erwartet die<br />

verzweifelte Pflegerin unmittelbare Hilfe, die zu geben oft schwierig ist. Entlastend mag sein, dass oft bis zu<br />

unserem Eintreffen das Schlimmste vorbei ist. Unsere Unmöglichkeit, unmittelbar die vielfältigen<br />

somatischen Ursachen erfassen oder ausschliessen zu können, verführt zu blinder Pharmakotherapie mit<br />

all ihren Risiken. Ob ich es dann doch Dipiperon verordne, Anweisungen für somatische Abklärungen am<br />

Folgetag hinterlasse, die unmittelbare Einweisung in die Somatik oder in die Psychiatrie veranlasse, oft<br />

bleiben gerade in diesem Bereich viel Unsicherheit und Zweifel zurück.<br />

Als weitere Bsp wären chronifizierte psychosoziale Probleme zu nennen, wo uns Möglichkeiten idR fehlen.<br />

Äussere Einsichten und innere Einsichten<br />

Die Notwendigkeit, als Notfallpsychiater Menschen bei sich zu Hause aufzusuchen, hat mich bereichert<br />

und immer wieder gefreut. Wie oft erschien der Charakter und die Erkrankung in einer Art Abbild in der<br />

Weise, wie jener Mensch seine Umgebung, seine Wohnung und den Umgang mit der Umgebung gestaltet.<br />

Ich erinnere an die hochbedeutungsvoll, manchmal auch ornamental angeordneten Dekorgegenstände von<br />

wahnhaften Menschen: Kerzen, religiöse und andere Gegenstände in offensichtlich bedeutungsvoll<br />

geprägter Anordnung.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

sonderbare Bedeutungen<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater


Es erinnerte mich manchmal an die eigenweltliche Darstellungslogik des schizophrenen Künstlers Adolf<br />

Wölfli (1864-1930; im Kunstmuseum Bern).<br />

15<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Adolf Wölfli 1864-1930<br />

Aber auch die Wohnung von Messies zu erleben, deren so unterschiedliche Hintergründe, von<br />

Schizophrenien, schweren Depressionen, Zwangskrankheiten, Demenz und anderen Gründen reichen und<br />

zu diesem eigentlich einzigen Charakteristikum des Sich-nicht-Trennenkönnens führen, was im Begriff<br />

Vermüllungssyndrom kaum erkennbar wird.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

bei einem „Messie“<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Und auch die unterschiedlichsten Formen und Masse der Verwahrlosung, des Verlustes an innerer und<br />

äusserer Struktur und deren gegenseitigen Entsprechung.


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16<br />

Schwere Verwahrlosung<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Tag- und Nachtarbeiter [ persönliche Statistik der letzten 3 Jahre ]<br />

Viele andere Menschen arbeiten auch nachts, Handwerker, aber auch Dienstleister.<br />

Obwohl der grösste Teil der psychiatrischen Notfälle zwischen 0800 und 2400 Uhr = 92% (eigentlich nur<br />

sehr wenige zwischen 0100 und 0700 Uhr !! = 4% ) an uns herangetragen werden, kommt es doch auch<br />

mal vor, zu nächtlichen Stunden ausrücken zu müssen. Der bezüglich psychischer Leistungsfähigkeit<br />

absolute Tiefpunkt so etwa zwischen 0100 und 0300 Uhr (oder wohl etwa nach 1-2 Stunden ersten Schlafs<br />

aus dem Tiefschlaf geholt zu werden) führt dazu, dass unser Denken da wohl deutlich eingeschränkter ist,<br />

die Lösungssuche gröber, holzschnittartiger. Ich glaube, man soll sich das trotz aller Bemühungen auch<br />

zugestehen dürfen. Es gab auch Momente, da wollte ich einfach nicht raus, und wenn es möglich war,<br />

habe ich es zu vermeiden versucht.


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17<br />

Nachts unterwegs<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Nachts sehen wir aber zwischen den spätesten Ausgangsheimkehrern und den ersten Zeitungsverträgern<br />

auch mal einen der die Stadt bevölkernden Stadtfüchse die Strasse queeren, vielleicht auch mal ein<br />

Marder, ein Reh, einen Dachs. Es sind kleine, aber beglückende Geschenke dieser Aufgabe.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

<strong>Zürich</strong> bei Nacht<br />

Unerwünschte Praxispatienten<br />

Manche Patienten im Notfalldienst gehören zu der Gruppe wenig eingebundener Menschen, die ihr<br />

Leben, Konstanz und Zuverlässigkeit nicht derart enwickelt haben, dass sie unsere Rahmenbedingungen<br />

als Selbständigerwerbende in der eigenen psychiatrischen Praxis erfüllen.


<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

18<br />

Schwere Verwahrlosung<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Übermässiges Termin-Nichteinhalten, Unbezahltbleiben der Rechnungen, Fehlende Konstanz und<br />

Compliance, aggressives Verhalten, destruktive Handlungsweisen uam können dazu führen, dass die<br />

Behandlung in der ambulanten Praxis nicht beidseits fruchtbar werden können. – Dennoch ist die<br />

Begegnung mit solchen Menschen im Notfalldienst bereichernd, es erlaubt, sie als Menschen in ihrer Not<br />

zu erleben, zudem frei von beängstigenden und distanzierenden Vorurteilen.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Schwere Sucht (hier von Lösungsmitteln)<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Psychotherapeutisches<br />

Keinesfalls möchte ich jene Situationen zu erwähnen vergessen, wo durch das Gespräch, das Aushalten<br />

und die Begegnung eine Bewältigung möglich wurde. Ich nenne diese Notfälle die „Zückerchen“, weil sie<br />

eine noch ganz andere Befriedigung beinhalten als beim handelnden Eingreifen. –<br />

Ob dann die manchmal hinterlassenen Ratschläge dasjenige ist, was hilft, weiss ich nicht ??? Nicht zu<br />

vergessen ist die Sicht, dass Ratschläge oftmals ja auch „Schläge“ sind und ganz andere Funktionen<br />

erfüllen als das, wovon wir selbst wohlwollend überzeugt sind. – Immerhin habe ich doch von einigen<br />

erfahren, die einen ihnen empfohlenen Kontakt zum Psychiater tatsächlich auch aufgenommen haben.


5) Wie hat mich die Erfahrung des PNFD verändert?<br />

Prägungen und Gestaltungen<br />

19<br />

Ich habe durch die Tätigkeit als Notfallpsychiater viel mehr Sicherheit gefunden, wieweit eine Behandlung<br />

ambulant machbar ist, wann es zwingend die Klinik braucht. Einschätzung von Suizidalität und<br />

Gefährdungen gehören dazu, ganz wesentlich aber auch das Zumutbare für Angehörige und Umgebung.<br />

Was braucht es, um in einer gegebenen Situation an bestimmte Behandlungsmöglichkeiten glauben zu<br />

können, zu spüren ob diese realisierbar sind, zu erkennen, wo sie Wunschdenken, sich-an-Hoffnungfesthalten<br />

oder ganz simpel den Versuch Konsequenzen zu vermeiden darstellen.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Suizidalität<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Zugleich ist für mich die Klinik viel stärker zu etwas Entlastendem und einer weiteren<br />

Behandlungsmöglichkeit geworden, wodurch die Begrenztheit der ambulanten<br />

Therapiemöglichkeiten auch viel erträglicher ist und das Erreichen dieser Grenze nicht allein mit<br />

Ohnmacht oder gar eigenen Versagensgefühlen verbunden ist.<br />

Obwohl ich als Notfallpsychiater in gewisser Weise ein Einzelkämpfer bin, findet mein Handeln in einem<br />

(oft auch komplexen) Beziehungsnetz statt. Auftraggeber wie Angehörige, Nachbarn oder andere und die<br />

Patienten selbst sind fast regelhaft verschiedener Meinung über das zu ihrer Hilfe Notwendige. Umso<br />

wichtiger ist es, wenn im inneren Prozess der Entscheidungsfindung nach womöglich anfänglicher<br />

Ambivalenz eine eigene Klarheit entsteht. Habe ich erstmal für mich eine Entscheidung getroffen, bin<br />

ich überaus stur und lasse mich kaum noch davon abbringen. Es entsteht für mich und die Zielsetzung<br />

aber eine unbedingt notwendige Eindeutigkeit. Dass Patienten diese auch spüren, hat sich immer wieder<br />

gezeigt, und nie war es so schwierig wie wenn sie zutreffenderweise die ärztlicherseits nicht überwundene<br />

Ambivalenz wahrnahmen.<br />

Hier unterscheidet sich nach meiner Meinung auch klar psychotherapeutisches und<br />

notfallpsychiatrisches Wirken: Beim ersteren steht die gemeinsame Reflexion und Ich-Stärkung des<br />

Patienten, dessen autonome Verantwortung für sein Handeln klar im Vordergrund. Im zweiten Fall geht<br />

es um das Akzeptieren, dass gerade dieses Therapeutische gewisser Voraussetzungen bedarf und<br />

nicht immer möglich ist. Ich glaube, dass dies manchen Psychotherapeuten schwerfällt, weil eigenes<br />

Handeln einseitig als unerwünschtes Agieren verstanden wird. Die Erfahrung, als Psychiater auch handeln<br />

zu können hat mich gestärkt und ist ein Teil der Fähigkeit, auch unangemessene Erwartungen der<br />

Patienten ablehnen zu können.


Zurück zum Eingebundensein in ein Netzwerk: Von grosser Bedeutung ist es, dass es zu einem 20<br />

gesteuerten Zusammenwirken von Arzt, Polizei, Sanität und wenn immer möglich den Angehörigen<br />

kommt. Nicht immer gelingt dies. Meine präferierte Zusammenarbeit mit der privaten Sanität<br />

EUROMEDTRANS mag nicht allen gefallen haben, indem wir (Arzt und Sanitäter) uns und unsere<br />

Vorgehensweisen gegenseitig kannten, entstand viel Sicherheit und Ruhe. Auch mit den Stadtpolizisten<br />

gelingt diese Gegenseitigkeit meist, mein innerer Gedanke war hierbei: manchmal brauche ich sie und<br />

manchmal brauchen sie mich, so sind wir in verschiedenen Situationen gegenseitig aufeinander<br />

angewiesene Partner.<br />

Nicht zu vergessen ist die Bedeutung der gegenseitigen sozialen Kontrolle! Übergriffe, übers Ziel<br />

hinausschiessende Verhaltensweisen, unnötige physische oder verbale Gewaltanwendung, aber auch die<br />

Sicherheit der Beteiligten werden durch diese gegenseitige soziale Kontrolle positiv beeinflusst.<br />

In einer komplexen Situation diese Vielschichtigkeit zu erfassen und sich dennoch darin nicht zu<br />

verlieren, verlangt einige klare innere Strukturen und Leitlinien. Letztlich zwingt uns diese Aufgabe, das<br />

Wesentliche zu definieren und uns in der Konsequenz auch hierauf zu konzentrieren.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Chaos und Aussichtslosigkeit – welche Struktur gibt Orientierung<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Eine hiervon ist zB, dass ich als Arzt handle und nicht als Jurist, was im praktischen Umgang ohne<br />

Weiteres Auswirkungen hat. Mit anderen Worten: Von ihr selbst gerufen kam ich vor Jahren in die<br />

Wohnung einer jungen psychotischen Frau, die sich völlig abgekapselt hatte und zurückzog, zugleich aber<br />

kaum andere störte. Ich veranlasste trotz nur geringer Gefährdung die Einweisung aus der Erkenntnis,<br />

dass ein zum Reagierern und Helfen fehlendes Umfeld ebenso fehlte wie die schwer kranke Frau in ihrem<br />

Kranksein gefangen war, unfähig Hilfe zu holen.<br />

6) äussere Veränderungen<br />

Seit Anfang dieses Jahres (dh 1.1.2013) sind die Zeiten der Notfalldienste nicht mehr von Mittag zu Mittag<br />

als 24-Std-Dienste organisiert, sondern in wählbare 12-Std-Dienste entweder tags oder nachts, jeweils 8-8<br />

Uhr.<br />

Die psychiatrische Versorgung hat sich gewaltig verändert. Ganz zentral sind nach meiner persönlichen<br />

Einschätzung die Präsenz der SOS-Ärzte (gegründet 1996, in <strong>Zürich</strong> seit…?), über die besonders die<br />

Kantonspolizei, aber auch andere Institutionen ihre Notfallpsychiaterbedürfnisse abdecken. Und diese<br />

SOS-Ärzte haben sich mit schnellem Reagieren, speditivem Vorgehen und guter Arbeitsmotivation ihren<br />

Platz erworben. Zwar waren bisher unter den SOS-Ärzten keine Psychiater, sondern Allgemein- und


Notfallmediziner. Viele psychiatrische Notfälle kommen deshalb nicht mehr zu uns als über das Ärztefon 21<br />

und von der Ärztegesellschaft organisierten Notfalldienst. In der Konsequenz bedeutet dies weniger Arbeit<br />

für uns trotz Präsenzzeit und damit eine schlechte Rentabilität dieser Tätigkeit.<br />

Permanence-Praxis am Bahnhof, erweiterte Walk-in-Öffnungszeiten von Hausarztpraxen,<br />

spitalvorgeschobene Notfallpraxen, diversifizierte und spezialisierte ambulante Angebote im Bereich<br />

psychiatrischer und psychotherapeutischer Aufgaben, vieles hat sich verändert. Die oft unübersehbare<br />

Vielfalt ist fraglos auch ein Wert unserer pluralistischen Gesellschaft. Dass es im konkreten Fall dann doch<br />

immer wieder schwierig ist, die passende Möglichkeit zu finden, bleibt dennoch bestehen.<br />

7) Was gebe ich andern mit? - Was bleibt für mich zurück?<br />

Im Vordergrund dessen, was ich andern geben kann oder möchte, ist es die Zuversicht, dass diese für<br />

manche beängstigend erscheinende Aufgabe bewältigbar ist. Sie verlangt von uns den Mut, nicht alles<br />

können zu müssen, aber für sich selbst innere Leitlinien und Orientierungen zu schaffen, anhand derer<br />

die Begegnung mit der stets von neuem fremden Situation zumutbar ist.<br />

Analog zur Fremdesituation bei der Erforschung von Bindungstypen kleiner Kinder dürften hier innere und<br />

äussere sichere Beziehungen massgebend sein. Das Vertrauen in die Fähigkeit zu angemessenem<br />

Handeln – obwohl es richtig oder falsch oftmals nicht gibt. Und das Sich-Einbinden in ein Netz mit andern,<br />

das uns hilft, uns selbst wieder zu orten und abzustimmen. Gewisse Psychiaterinnen machen ihren Dienst<br />

zu zweit, manchmal ist der Psycho-Tisch ein Ort des Austauschs, Intervisionen und Supervisionen,<br />

Patensysteme bei Anfängern sind hilfreich, trotz der Einsamkeit des <strong>Notfallpsychiaters</strong> nicht allein zu sein.<br />

Die Identität als Notfallpsychiater besteht aus der Vielfalt der Facetten jener Situationen, in denen ich<br />

durch diese Aufgabe gefordert bin. So sind diese Rollen verschieden auf dem Polizeiposten, im Gefängnis,<br />

im Alterspflegeheim, in der psychiatrischen Klinik, im somatischen Spital, im Wohnheim, im Asylzentrum, in<br />

der Privatwohnung, im Hotel, auf der Staatsanwaltschaft uam. Aber zudem prägt natürlich auch meine<br />

eigenen Persönlichkeit die Art, diese Aufgabe umzusetzen. Ich kann sagen, dass ich als Notfallpsychiater<br />

sehr wohl auch im Sinne der heute in der Öfffentlichkeit in den Hintergrund rückenden gemeinschaftlichen<br />

Verantwortung und Fürsorge ein Stück paternalistische Haltung in mir trage, welche in andern<br />

Situationen der Behandlungskette wiederum zu Recht in den Hintergrund zu treten hat.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Pfadfinder<br />

Nachtschwärmer<br />

Jäger & Sammler<br />

Handwerker<br />

Seelsorger<br />

Lehrer<br />

Netzwerker<br />

Feuerwehrmann<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater


Manchmal war ich als Notfallpsychiater „der Feuerwehrmann“, ein andermal der „Jäger und Sammler“.22<br />

Meine innere Landkarte der Stadt <strong>Zürich</strong> besteht aus vielen Orten und Plätzen, an denen ich Schwieriges<br />

und Bereicherndes zugleich erlebt habe. Es ist mein persönlicher innerer Stadtplan als Notfallpsychiater.<br />

Ebenso war ich Seelsorger und Tröster, wie ein Pfarrer, gerufen in Situationen, wo durch tragisches<br />

Unglück oder Suizid ein Angehöriger verstorben war und die Polizei mich um Mithilfe bat. Ich habe mich<br />

dabei oft völlig hilflos und ohnmächtig gefühlt – und gerade aus dieser Befindlichkeit die ebensolchen<br />

Gefühle der Betroffenen zu teilen versucht.<br />

Als Sicherheitsnetz gefordert und benutzt war ich dann, wenn der Betreibungsbeamte die<br />

Zwangsräumung einer Wohnung vornehmen musste und ich helfen sollte, die dadurch ausgelöste Krise<br />

und Überforderung des Bewohners aufzufangen. Oder wenn die Staatsanwaltschaft meine Anwesenheit<br />

beantragte anlässlich einer kritischen Einvernahme.<br />

Ich war auch der Lehrer und Instruktor: Begonnen hat es aus der Wahrnehmung, wie oft Angehörige<br />

ebenso Betroffene sind und dass im Anschluss an eine Intervention (zB Einweisung) ein Gespräch des<br />

<strong>Notfallpsychiaters</strong> mit Angehörigen oder Beteiligten gewünscht und als sinnvoll erlebt wurde. Nicht immer<br />

erlaubte es der Zeitdruck, ein bereits nächster wartender Notfall. Dennoch sind Menschen, die die auch<br />

turbulenten oder berührenden Ereignisse persönlich mitbekommen haben oft sehr belastet, verunsichert,<br />

auch oft ambivalent und voll Zweifel über die Richtigkeit des eigenen Handelns (zB um Hilfe gerufen zu<br />

haben). Mein Versuch galt hier stets, Ihnen soweit möglich ein gutes Stück Entlastung von dieser<br />

Ambivalenz durch Stützung, Zuspruch und Abgrenzung zu ermöglichen und durch die klare<br />

Verantwortungsübernahme des Arztes für die getroffenen Entscheide. – Es beinhaltete auch Erklärung<br />

und Ermutigung, das eigene Verhalten zu überdenken, in eine bestimmte Richtung zu entwickeln oder<br />

allenfalls auch als Mitbeteiligte sich Beratung und Therapie zu holen für einen anderen Umgang mit dem<br />

Indexpatienten (und der ja häufig bestehenden Kollusion).<br />

Gegenüber Sanitätern, aber auch Polizisten, galt es immer wieder die Erwartungen an sie, das eigene<br />

Verhalten als Arzt, die Verhaltensweisen von Menschen mit bestimmten Krankheitsbildern und einen<br />

geeigneten Umgang mit diesen zu erklären und zu fördern.<br />

In der praktischen Umsetzung vom Aufsuchen, Autofahren und Adressenfinden bin ich zugleich<br />

Pfadfinder, sich mit Karte (und heute GPS) zu orientieren fand ich schon immer spannend und gehört zum<br />

Notfallpsychiater auch dazu.<br />

8) Schlusswort und Abschied<br />

α Ω<br />

Zusammenfassend zur Identitätsfrage sage ich für mich :<br />

Meine Identität als Notfallpsychiater ist sicherlich eine Rollenidentität. Wie viele Gesicher sie hat, hoffe ich<br />

mit meinen Ausführungen angedeutet zu haben, entsprechend der Vielfalt und Vielgestaltigkeit der<br />

angetroffenen Situationen und Aufgaben.<br />

Dass sie im Kern aber auch ganz viel mit mir selbst als Person zu tun hat, ist mir bewusst. Ich habe diese<br />

Aufgabe geliebt, manchmal darunter gelitten, stets aber war sie mir wichtig und faszinierend.


<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

23<br />

Rolle<br />

Persönlichkeit<br />

Erfahrungen<br />

Identität des<br />

<strong>Notfallpsychiaters</strong><br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Indem ich mit diesem Vortrag auch von der Tätigkeit als Notfallpsychiater in der Stadt <strong>Zürich</strong> Abschied<br />

nehme, bin ich gefordert von der Rolle loszulassen. Ich nehme vieles mit, setze es in anderen Situationen<br />

ein.<br />

Zusammenfassend zur „Unmöglichkeit“ des Notfallpsychiaterdaseins:<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Routine<br />

Strukturierung<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Ich habe mit meinen Gedanken zu zeigen versucht, wie ich aus der Unmöglichkeit dieser Aufgabe<br />

versucht habe, für die Kranken, ihre Umgebung, die Gesellschaft und natürlich auch mich selbst etwas<br />

Sinnvolles möglich zu machen. Ganz oft besteht dies darin, die bestehende Situation entweder<br />

einzugrenzen oder zu erweitern, praktisch immer also verbunden mit der Auseinandersetzung und aktiven<br />

Gestaltung von Grenzen. Welche Ressourcen sind vorhanden und verfügbar, und wie können sie<br />

eingesetzt werden für längerfristig sinnvolle und menschenwürdige Möglichkeiten – manchmal auch das<br />

Weiterleben überhaupt .


<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

24<br />

Abschied<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Für mich persönlich bedeutet die Beendigung dieser Tätigkeit (im Zürcher Oberland, Standort meiner<br />

Praxis, werde ich weiter meine Dienste machen) mir neue Möglichkeiten zu schaffen in der<br />

Zeitgestaltung meiner Arbeit, auch eine dem Alter angepasste etwas geruhsamere Arbeitsweise.<br />

Mit Dank denke ich allen, die mir darin behilflich waren, um Nachsicht bitte ich die, denen ich nicht<br />

gelassen und respektvoll zu begegnen vermochte.<br />

<strong>Psychiatrische</strong>s Kolloquium – ZGPP und PUK <strong>Zürich</strong> – 1.11.2013<br />

Herzlichen Dank<br />

Christoph Räber – Erfahrungen als Notfallpsychiater<br />

Und Ihnen danke ich für die Aufmerksamkeit, neugierig über das was andere beim Thema<br />

Notfallpsychiater und seiner Rolle berührt und bewegt.<br />

Und wo andere vieles ganz anders sehen und machen.<br />

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